Leise rieselte der Schnee vom khoriner Himmel. In schier unendlichen Mengen fielen die weißen Flocken, dicht schön und daunenweich. Tanzende Kristalle strahlten in stummer Kälte, als ob ihr Licht das Firmament erhellen wollen würde. In kürzester Zeit wuchsen schaurige Schneegebilde heran. Die Schneeberge nahmen dabei die Form von Gestalten an und man mochte meinen, dass jene schon bald zum Leben erwachen würden. Khorinis war eingeschneit und es breitete sich eine romantische Stimmung aus. Obgleich das Leben in dieser Zeit sehr mühselig war, wurde die Mühe durch die winterliche Atmosphäre belohnt. In der Stadt bereiteten sich die Menschen auf ihre Festlichkeiten vor. Kekse wurden gebacken, heißer Tee getrunken und die Besinnlichkeit der winterlichen Zeit wurde in vollen Zügen genossen. Kaum einer vernahm das bedrohliche Rumoren unweit der Stadtmauern...
Angefangen hatte alles mit einem kleinen, sich losgelösten Stein. Es dauerte nicht sehr lang, dann war aus dem knopfgroßen Stein ein faustdicker Schneeball geworden. Nur ein Blinzeln später hatte der Schneeball die Größe einer Kanonenkugel erreicht. Der Einschlag erfolgte kurz, dafür aber ungebremst. Die Explosion förderte eine gewaltige Lawine zutage, die sich mehr und mehr zu einem gewaltigen Berg auftürmte. Ganz allmählich nahmen die zunächst noch irrational dreinschauenden Konturen Form an. Ein haushohes Ungetüm aus Schnee und einem kristallenen Zepter in den mächtigen Pranken bewegte sich unaufhaltsam auf die Stadt zu.
Mit genau einem Würfel Zucker verfeinerten die Bewohner der Hafenstadt ihren Tee. Auf keinen Fall einen zweiten Würfel, denn das würde den qualitativ hochwertigen Tee nur verschandeln. Der Würfel schlug beim Eintauchen in die heiße Flüssigkeit seichte Wellen, die sich üblicherweise wiederum nach einiger Zeit beruhigten. Dies geschah jedoch dieses Mal nicht. Kaum einer vernahm das bedrohliche Rumoren unweit der Stadtmauern, noch viel weniger sahen die Anzeichen in ihrer Tasse voll Tee...
Ein markerschütternder Schrei durchbrach plötzlich die allgegenwärtige Besinnlichkeit und hallte auch noch durch die allerletzten Winkel der Stadt. Es war ein Schrei, der das Blut in den Adern gefrieren, den Atem aussetzen und die Nackenhaare zu Berge steigen ließ. Eine eisige Stille, die mit der winterlichen Kälte beinahe schon konkurrieren konnte, legte sich für mehrere Sekunden auf die Stadt nieder, nachdem der Widerhall des Aufschreis abgeklungen war. Unzählige Flocken tanzten zur sanften Meeresbrise durch die Luft. Ein zarter Windhauch suchte sich seinen Weg durch die schmalen Gassen der Stadt. Die weihnachtliche Besinnlichkeit war den Häusern entwichen und trat nun als Gesamtes dem Ungetüm entgegen. Ein erneuter Aufschrei zerschlug jedoch die marode Fassade.
Die Bewohner der Hafenstadt verließen panisch ihre Häuser. Der verstörende Anblick des Schneemonsters vor ihren Stadtmauern löste eine Massenhysterie aus. Schreiend rannten die Mengen völlig chaotisch durch die schmalen Gassen der Stadt. Ein Schauspiel, dass dem Ungetüm zu gefallen wusste. Mit einem gebieterischen Schwung seines Zepters brach es die Wolkendecke entzwei. Eine Armada von messerscharfen Eiszapfen suchte ihren Weg zu Boden, um mindestens ein Viertel aller Stadtbewohner aufzuspießen. Voller Häme richtete das Ungetüm sein gewaltiges Zepter auf die schützenden Mauern der Stadt. Das Mauerwerk hatte der eisigen Kälte nur wenig entgegenzusetzen. Es zersprang in alle Himmelsrichtungen und öffnete dem Schneemonster die Pforte zur Stadt. Für jene, die innerhalb der schützenden Stadtmauern zu fliehen versuchten, war es im wahrsten Sinne des Wortes die viel gefürchtete Pforte der Pandora.
Endlich rückte das städtische Militär aus. Gottgleiche Ritter mit ihren prachtvollen Rüstungen. Zeitaufwendig anzulegen, doch die Inszenierung war entscheidend... womöglich sogar entscheidend für die Schlacht. Erste Armbrustbolzen trafen das Ungetüm, das aufgrund seiner Masse eine gewaltige Angriffsfläche bot. Ein jeder Treffer wurde dabei von den Stadtbewohnern heftigst umjubelt. Nicht wissend, dass die Bolzen nicht den annähernd gewünschten Effekt erzielten.
Dutzende Kieselsteinchen trafen das Schneemonster. Kaum spürbar und ohne nennenswerten Schaden der gut ausgehärteten Eisschicht. Ein Haufen aufgewühlter Ameisen, die verzweifelt versuchten, ihren Bau zu schützen. Dutzende Kanonenschläge am gegenüberliegenden Ende der Stadt erweckten die Aufmerksamkeit des Monsters. Nur wenige Sekunden später wurde es von mehreren Kanonenkugeln getroffen. Im Gegensatz zu den Armbrustbolzen bewirkten die einschlagenden Kanonenkugeln weitaus mehr Schaden. Die wuchtigen Explosionen sprengten riesige Eisbrocken vom Körper des Schneeriesen und brachten das Ungetüm ins Straucheln. Es rammte das gewaltige Zepter in den mit Kopfsteinpflaster verzierten Straßenboden und versuchte sich so auf den Beinen zu halten. Jedoch verteidigten aufgewühlte Ameisen ihren Bau bis zum letzten... Stadtbewohner.
Ein verzweifelter Aufschrei des Ungetüms durchbrach die allgegenwärtige Geräuschkulisse des Kampfes und hallte auch noch durch die allerletzten Winkel der Stadt. Es war ein Schrei, der das Blut in den Adern gefrieren, den Atem aussetzen und die Nackenhaare zu Berge steigen ließ. Die Kanonenschläge setzten aus. Eine eisige Stille, die mit der winterlichen Kälte beinahe schon konkurrieren konnte, legte sich für mehrere Sekunden auf die Stadt nieder, nachdem der Widerhall des Aufschreis abgeklungen war. Unzählige Flocken tanzten zur sanften Meeresbrise durch die Luft. Ein zarter Windhauch suchte sich seinen Weg durch die schmalen Gassen der Stadt.
Dem Aufschrei des Ungetüms folgten in der Ferne dumpfe Antworten. Zahlreich und ebenso grausam wie der Aufschrei des Schneemonsters zu Beginn des Angriffes. Eisriesen erhoben sich in der Ferne, um ihren gefallenen Bruder zu rächen; die Stadt in ihren Grundfesten zu erschüttern.
„Weckt den kleinen MiMo!", hallte eine männliche Stimme durch die schmalen Gassen der Hafenstadt.
„Eilt euch und weckt den kleinen MiMo!“, wiederholte die verzweifelte Stimme, wohl wissend, dass die neuerlichen Eisriesen die Stadtmauern baldigst erreichen würden.
Der kleine MiMo lebte in der Nähe der nassen Untiefen des Meeres. Ein Waisenkind, dass von einem Schmied aufgenommen ward. Als Zeche für die Unterkunft und Verpflegung half der kleine Junge in der Schmiede aus. Die Identität von MiMo`s Eltern war seit jeher unbekannt. Nur er wurde als alleiniger Überlebender an die Küsten der Hafenstadt gespült. Es war Neptuns Wille, dass er überlebte. Es war Morpheus´ Wille, dass sich die Träume des kleinen Jungen in der Realität manifestierten.
„So erwecket doch endlich den kleinen MiMo!“, hallte es ein letztes Mal durch die schmalen Gassen der Hafenstadt.