Mit Beyo an ihrer Seite hätte Hanna auch ebenso gut ein Rundumleuchte auf dem Kopf tragen und mit einem Megafon ihre Ankunft verkünden können. Zwar sahen Turianer alle irgendwie ähnlich aus, den roten „Killer“ würde aber jeder C-Sicherheits-Mann und sicherlich Dreiviertel der Bürger der Citadel im kollektiven Gedächtnis haben. Die Polizistin wusste jedoch, dass Beyo vollkommen resistent gegen jegliche Art von Klugheit war. Also schüttelte sie nur resignierend den Kopf. „
Das Basecap ist damit wohl überflüssig“, dachte sie, sollte es doch als Tarnung dienen. „
Also gut, Vhan. Wir treffen uns beim Wagen.“
Mit gepacktem Rucksack und einem ungefähren Plan, den sie lieber allein in die Tat umgesetzt hätte, saß Hanna schließlich im Skycar Richtung Boles‘ Wohnung. Es fühlte sich merkwürdig an über die Station zu fliegen. Früher war ihr bewusst gewesen, dass niemand sie wahrgenommen hatte – Hanna gehörte vermutlich nicht zu der Sorte Frauen, die einem auffielen – und sie hatte gut damit leben können. Sehen und gesehen werden galt in anderen Kreisen, in anderen Leben. Nun aber ertappte sie sich dabei, wie sie fast schon hastige Blicke aus dem Plexiglasfenster warf. Die Reflexion auf den Scheiben der anderen Verkehrsteilnehmer ließen den Schluss zu, dass sie ebenso wenig zu sehen war, wie ihre verspiegelten Gegenstücke. Sie hatte sich darüber nie Gedanken gemacht. Sie war immer alleine gewesen – auf einer Station voller Lebewesen. „
Vielleicht hat Van Zan ja auch noch ein paar Dinge herausgefunden...“ „
Was?“ Hanna schaute zu dem in sich gekehrten Turianer herüber. Beyo schien zu grübeln und ihren Einwurf nicht mitgeschnitten zu haben. Hatte er gerade etwas von van Zan gesagt? Eine Nachfrage wurde von dem raschen Sinkflug unterbunden. Schon setzte das Shuttle auf, die Tür schwebte geräuschlos auf und Beyo sprang heraus. Hanna folgte mit einem schlechten Gefühl oberhalb ihres Bauchnabels.
Es war eine dieser Gegenden, wo tausende Individuen in hohen, sich konischen verengenden Wohnblöcken in engstem Miteinander lebten ohne auch nur den Nachbarn zu kennen. Anonymität war hier das Gebot der Stunde. Hanna hatte mehr als einmal Mordfälle in derartigen Wohngegenden bearbeitet. Die Regel war, dass die Leute, die Tür an Tür mit den Opfern lebten diese nicht einmal flüchtig kannte. Vielleicht war man sich mal auf dem Flur begegnet, sicher sein konnte man sich dann aber wiederum auch nicht. Angesichts dieser in sich selbst geschlossenen Welt sank Hannas Befürchtung, von irgendjemandem erkannt zu werden leicht. Zudem schien es aktive Kameras lediglich in den oberen dreißig Stockwerken zu geben, Boles‘ Quartier lag aber um einige Nummern was Stockwerk und Preis anbelangte, darunter. Der Weg direkt zum breiten, halbkreisförmigen Eingang des Hauses war menschenleer. Hanna rückte die Basecap – sicher blieb sicher – zurecht, schob ihre Sonnenbrille auf die Nase und schulterte den Rucksack. „
Was haben Sie da gefaselt, Vhan? Was ist mit van Zan?“, fragte sie leise, obwohl keine Menschenseele in Sicht war.
*
Seeva überflog die Liste kurz im Skycar. Sie bestätigte nur, was sie sich ohnehin schon gedacht hatte: Boles steckte in der ganzen Nummer drin. Während ihr Shuttle sich per Autopilot durch den Verkehr schlängelte, fragte sich der Spectre, was sie in der Wohnung zu finden hoffte. Boles war kein Idiot, im Gegenteil. Er gehörte zur C-Sicherheit und wüsste vermutlich selbst am besten, was es zu verbergen galt und wie. Dennoch: Es war besser alle Eventualitäten abzuklären, als bestimmte Chancen ungenutzt zu lassen. Das Gebäude und die tunnelartig sich um den Wohnblock schlängelnden Gänge, die zu den einzelnen Wohnungen führten, waren auf den unteren Ebenen nicht mit Kameras versehen. Ein Fernzugriff war damit unmöglich, ebenso wie Überwachungsdaten und die geringe Hoffnung, jemand verdächtigen auf den Bildern zu erwischen. Seeva übernahm die Steuerung und landete das Shuttle auf einem Schweberparkplatz an der Westseite des Komplexes. Der Haupteingang lag im Süden, Seeva kam aber durch jeden Eingang hinein. Sie stieg aus dem Skycar, prüfte den Sitz der Phalanx und befestigte die Disciple-Schrotflinte am Magnethalter auf Steißhöhe. Ein Spectre rechnete immer mit Schwierigkeiten – irgendwie.