Vincent scheiterte an der komplexen motorischen Aufgabe, sich mit einer Hand die Haare abzutrocknen und mit der anderen sein Hemd zuzuknöpfen, während er aus dem Bad zu seinem Schreibtisch ging, weswegen der den schwarzen Stoff schließlich lose flattern ließ und sich voll auf die Arbeit mit dem Handtuch konzentrierte. Er schleuderte das nasse Ding unachtsam hinter sich und setzte sich auf seinen Platz. Während des Saunaganges waren ihm einige Ideen gekommen und er brannte darauf, sie in die Tat umzusetzen.
Auf dem Bildschirm vor ihn liefen die unsichtbaren Fäden aus Information und Desinformation zusammen und bildeten das feine Netz, in dem er sich zu bewegen gewohnt war. Er spürte, dass es richtig gewesen war, die anderen fürs erste ihrem Schicksal zu überlassen und zu dem zurückzukehren, war er am besten konnte. Mit schnellen, analytischen Blicken durchforstete er die Flut von Daten. Die Pressekonferenz von Yuhki hatte die Citadel in Aufruhr gebracht und offizielle wie inoffizielle Kanäle kochten förmlich über, erstere vor Bestürzung, Entsetzen und Sensationssucht, zweitere vor Gerüchten, ethisch verwerflichen Wetten und nicht zuletzt Geschäftssinn.
,,Packen wir es an.“ Vincent legte los und stellte die Informationen zusammen, die zur Zeit für Vhan und die Ermittlungen gegen ihn liefen am wichtigsten waren und feilte gleichzeitig an seinem Plan, die Methoden des Killers auszuhebeln. Ihr Gegner hatte es geschafft, die ganze Station gegen Vhan aufzubringen, indem er ihn wie einen Bauern über das Feld bewegt und im Licht der Öffentlichkeit als Mörder dargestellt hatte. Nun war der Turianer wirklich ein Mörder und sein Ansehen in der Öffentlichkeit interessierte den Mann in Schwarz kein bisschen, aber er hatte vor, die Überzeugung einiger weniger, einiger entscheidender Mitglieder dieser Öffentlichkeit ins Wanken zu bringen. Solange Vhan auf der Fahndungsliste von C-Sec ganz oben stand und Vincent nicht hundertprozentig ausschließen konnte, dort nicht auch in näherer Zukunft zu landen, hatten sie keine Kapazitäten frei, um selbst dem Killer nachzugehen. Und wenn dieser erstmal vom Druck der Verfolgung befreit war, hatte er alle Zeit und Muße, um die Schlinge um Vhans schuppigen Hals langsam enger zu ziehen. Doch dazu, hatte Vincent entschieden, würde es nicht kommen.
Sein erster Angriffspunkt war Seeva T’Saari, die Spectre, die die Ermittlungen übernommen hatte. Vincent machte sich keine Illusionen darüber, wie jede Auseinandersetzung mit der Asari enden musste. Mit perverser Freude malte er sich hingegen aus, was die Agentin mit dem Killer veranstalten würde, wenn sie sich an dessen anstatt Vhans Fersen geheftet hatte. Dafür hätte der Mann in Schwarz sogar auf seinen persönlichen Moment der Rache verzichtet, an den er seit dem Einbruch hin und wieder voll grimmiger Vorfreude gedacht hatte. Grade als er überlegte, wie er die Spectre am besten auf den richtigen Weg lotsen sollte, fiel ihm ein grade gesetzter Akteneintrag in der laufenden Ermittlung von C-Sec auf. Man hatte offenbar Walters Leichte gefunden und festgestellt, dass es diesen Mann nicht mehr geben dürfte. Schon lange nicht mehr.
Code:
Vhan ist nicht der Killer. Wenn Sie wissen wollen woher ich das weiß und was in den sieben Jahren zwischen Walters erstem und zweitem Tod passiert ist, treffen Sie mich.
Mein Name ist nicht Felix Alexander Pennyworth.
Mit freundlichen Grüßen,
Felix Alexander Pennyworth
Der letzte Satz war reine Spielerei und unnötig, aber nach der ganzen Scheiße, die in den letzten 24 Stunden passiert war, war Vincents Verstand entweder zu abgestumpft oder zu instabil geworden, um sich den schlechten Scherz verkneifen zu können. Auch er war nur ein Mensch und liebte die Geheimnistuerei seines Geschäfts. Er hängte den Standort einer Parkbank in der Nähe an und sendete die Nachricht an den offiziellen Kontakt von T’Saari, der auffallend leicht zu finden war und bediente sich dazu des Accounts seines günstig gekauften Alter Egos, der noch leichter zu knacken war. Sollte Felix Alexander Pennyworth tatsächlich irgendwo existieren, würde er sich eines Tages wundern, was er so alles getan hat.
Nachdem die Nachricht auf den Weg geschickt worden war, beobachtete Vincent für einen Moment sein jüngstes Projekt: Ein heller Punkt auf einer dreidimensionalen Übersichtskarte der gesamten Station. Der Punkt pulsierte langsam und regelmäßig wie ein schlagendes Herz und zeigte ihm die aktuelle, falls verfügbare Position von Decius Vhan an. Der Killer machte offenbar gezielt von Personen aus dem engsten Kreis seines Opfers Gebrauch und es lag auf der Hand, dass er früher oder später auch Vhans Eltern angehen würde. An Decius Vhans persönlichen Kalender war der Mann in Schwarz noch nicht gekommen, aber ein dichtes Netz aus offenen Augen und Ohren hatte sich um ihn herum aufgestellt und hielt den Broker auf dem Laufenden. Sollte der Patriarch in nächster Zeit zu irgendwelchen exponierten Terminen aufbrechen, bei dem der Lauf eines Gewehres auf ihn gerichtet sein könnte, würde nun mit großer Wahrscheinlichkeit der Lauf eines weiteren auf den gerichtet sein, der Vhan Senior im Visier hatte.
Quis custodiet ipsos custodes?
Von seiner stillen Betrachtung des Punktes wandte sich Vincent wieder seiner Tastatur zu. Er hatte Loyalität stets für ein überholtes Konzept gehalten, aber Zuverlässigkeit war auch in seinem Geschäft entscheidend und er hatte Vhan und den anderen zugesichert, dass er von sich hören lassen würde. Er fasste den aktuellen Stand der C-Sec-Ermittlungen kurz und bündig zusammen und skizzierte die Mannstärke, die aufgewandt wurde, um Vhan in die Finger zu bekommen. Ungekürzt hing er den internen Nachrichtenverkehr bezüglich dreier Ermittler an, die alle mit dem Fall zu tun gehabt hatten und nun nicht mehr aufzufinden zu sein schienen. Scheinbar hatten die drei beschlossen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Solange sich Vincents Mitstreiter auf dem Schiff von Vox‘ Handlanger befanden, sollten sie sicher sein, aber der Mann in Schwarz war sich sicher, dass sie nicht lange dort Unterschlupf finden würden. Sollte der Killer herausfinden, wo sie waren, säßen sie in der Falle.
Mit einem Blick auf die Uhr erhob sich Vincent von seinem Platz. Die Ereignisse waren ins Rollen geraten und er hatte seinen Anteil daran gehabt, aber für diesen Tag musste es nun gut sein. Mit immer noch offenem Hemd ging er in sein Schlafzimmer, um endlich etwas Ruhe zu finden, bevor die Jagd weiterging.