Nates verquollene Augen starrten glasig durch den dichten Nebel beißenden Zigarettenrauchs. Heftige Gitarrensounds trugen melancholische Texte durch den verpesteten Raum, rangen um die geringe Spanne der Aufmerksamkeit, die Nate noch zu bieten hatte. Und er verdrängte verbissen das, was so offensichtlich an die Oberfläche drängte. Sein Kater hatte sich vor langer Zeit und in weiser Voraussicht ins Schlafzimmer verzogen und entging so dem kratzigen Rauch und der klagenden Musik, die nichts außer immerwährender gegen sich selbst gerichteter Wut in sich trug. Das Piepsen seines Omnitools ging in dem Lärm unter, das orangene Blinken jedoch funkelte im Nebel des Qualms wie ein Leuchtfeuer in unbekannter Strecke. Mehr aus antrainiertem Verhalten als aus echten Interesse griff Nate nach dem Datenpad, das die Nachricht ebenfalls empfangen hatte. Er überflog den Absender und war versucht das Ding einfach wieder wegzulegen. Dann jedoch hielt er inne. Wieso gönnte er sich diesen Schmerz nicht? Er hatte ihn verdient. Nate öffnete die Nachricht, las die ersten Zeilen und bemerkte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten. Die Echtheit der Situation schmetterte ihn sofort zu einem Tiefpunkt zurück, dessen Überwindung er nicht gespürt hatte und der durch das Delirium aus Alkohol, Kippen und seinem faden, alten Leben wirkungsvoll verdrängt worden war. Der Detective kostete den Schmerz, die psychische Selbstflagellation, voll aus. Süßer Schmerz, dachte er sich, als die Gewissheit ihm entgegensprang. „
Ich möchte Ihnen hiermit mein aufrichtiges Beileid für den Verlust ihrer Partnerin aussprechen.“ Er las den Satz wieder und wieder. Seine Gedanken kreisten um Anders, Anastasias Verlobten. Und um den Morgen im Büro, als die Welt noch friedlich und – im Rahmen des Möglichen – heil gewesen war. „
Verlust“, murmelte er und spülte das Wort mit einem kräftigen Schluck von irgendetwas Hochprozentigem hinunter. Dann las er weiter. Und plötzlich wurde aus der Niedergeschlagenheit rechtschaffener Zorn. In ihm reifte ein Gedanke, ein Gedanke, den er verdrängt hatte. Natürlich hatte er das Statement von Captain Yuhki gesehen, aber im Gegensatz zu dem Rest der Citadel war seine Welt bereits zersprungen wie trübes Glas. Er hatte es kaum wahrgenommen, doch nun regte sich in ihm ein Gedanke. Natürlich war Ilias nicht schuld an Anastasias Tod, zumindest nicht mehr oder weniger als er selbst. Und wenn sie unschuldig war, dann war es auch der Turianer. Der Kerl war der Grund für das Drama und Ilias kaum mehr als ein Bauernopfer. „Den Toten Gerechtigkeit verschaffen“, wer das wollte, der wollte den echten Killer demaskiert und mit einer Kugel im Schädel! Nate griff drückte auf den Button und formulierte eine Antwort: „
ichh kommm ud helfe“. Er sendete die Nachricht ohne sie gegenzulesen, stand stattdessen auf und wankte kurz. „
Verflucht Nate, werde klar“, sagte er sich, stürzte gen Waschbecken und schöpfte Hand um Hand kaltes Wasser ins Gesicht. Er sammelte Spucke und spie aus. Heute würde die Jagd beginnen und sie würde nicht eher enden, bis Anastasia Nix gerächt war.
*
Seeva war eine Statue ihrer selbst, unbeweglich, kühl und in gewisser Weise unmenschlich. Sie legte eine tiefe Entschlossenheit an den Tag, die man für Kaltblütigkeit halten konnte, während Yuhki sich ausließ. Die Asari hatte schon mit derlei penetranten C-Sicherheits-Offizieren zu tun gehabt, da war Yuhkis Existenz noch nicht einmal von seinen Eltern geplant gewesen und die Menschen verfolgten noch die Ansicht, sie wären allein im Universum. Nachdem der Japaner endlich geendet hatte, sprach Seeva mit provokanter Eintönigkeit. „
Es ist kein Witz“, sagte sie, als wolle sie eine ernstgemeinte Frage beantworten. „
Ihr Verlust tut mir aufrichtig leid, auch wenn Sie mir das vermutlich kaum glauben werden. Aber ich habe meine Befehle“, erklärte die Asari weiter. „
Und diese sprechen nicht von PR, auch wenn dies der Grund des Rates sein mag. Oder besser gesagt: könnte. Ich bin hier, weil Sie, Captain, sich als erbärmlicher Ermittler erwiesen haben und die Zahl der Opfer die Toleranzgrenze mittlerweile überschritten hat, in der man bereit ist über stümperhaftes Vorgehen hinwegzusehen.“ Der Spectre trat einen halben Schritt vor, ihre Oberschenkel berührten den Schreibtisch, der das einzige zwischen ihr und dem Captain war. Ihre Augen waren klar auf das Ziel fokussiert aber von einem fieberhaften Glanz umgeben, der immer dann auftrat, wenn Seeva eine Konfrontation spürte – oder herbeisehnte. Die Beschimpfung durch den Captain kümmerte die Asari nicht, seine Insubordination schon. „
Captain, ich brauche, nein ich verlange, Ihre Unterstützung, damit wir diesen Killer – oder mehrere – schnell liquidieren.“ Sie hielt inne. Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, dem Captain zu verraten, dass sie kein Interesse an einer Festnahme, Verhandlung und gegebenfalls eines Deals hatte. Wenn der Killer vor ihr stehen würde, ob bewaffnet oder in Handschellen, wäre es die sicherste Methode, ihn einfach zu töten. „
Sie werden sich jetzt nicht um irgendwelche Angehörigen kümmern. Lassen Sie das jemanden aus dem Geschäftszimmer machen oder erledigen Sie das später. Und Sie werden vor allem keine schwachsinnigen Pressekonferenzen mehr abgeben. Sie werden sich jetzt mit vollem Einsatz der Verfolgung des Killers widmen und mir dazu alle verfügbaren Unterlagen und Ergebnisse zusammensuchen. Wenn Sie sich dazu nicht in der Lage fühlen, melden Sie sich beim Executor. Wenn Sie den Fall verfolgen wollen, aber mich daran hindern, wie Sie es gerade getan haben, enthebe ich Sie des Kommandos. Habe ich mich klar ausgedrückt?“ Ihre langen Finger ballten sich zur Faust, welche sie langsam auf den Schreibtisch senkte und sich vornüberbeugte. Seevas Muskeln spielten auf der Schulter und als Yuhki nicht antwortete sagte sie: „
Das ist ein Befehl, Captain.“
*
„
Ich hatte nichts dergleichen vor!“, zischte Hanna gen Sorax, als die Turianerin sie vor einer Eskalation warnte. „
Ich brauche Antworten.“ Sie war sich nicht sicher, ob die Schützin ihr noch zuhörte, letztlich war es aber auch egal. Vhan war am Zug. Und den spielte er mit derselben Schlichtheit, die sein gesamtes Handeln so mitleidig untermalte. Seine Erklärung war mehr eine Beichte, als ein Bericht. Er beteuerte seine Reue, sprach von seinem Fehlverhalten, erniedrigte sich in gewissem Maße selbst, obwohl er bei der ein oder anderen Stelle verdächtig abkürzte. Hanna verschränkte die Arme, sah zu Sorax, dann zu Vhan, dann warf sie einen Blick durch den Raum und erkannte Vincent van Zan. Sie nickte ihm zu, aus einer Natur heraus, die entstand wenn man gemeinsam gekämpft hatte. Er erwiderte es mit derselben grimmigen Distanziertheit. Hanna entschied, dass Teile von Beyos Erzählung eben dies waren: eine Erzählung. Die Leute von denen er sprach waren seit Jahren tot oder verschollen. Der wichtigste Part war wohl die Erkenntnis am Schluss. Vhan gab zu, dass es weiser wäre, sich zu stellen. „
Sehe ich auch so“, kommentierte die Blondine und warf in einem Anflug von Stolz den Kopf zurück. Vhans depressiven letzten Worte wurden harsch von dem Piepsen seines Omnitools unterbrochen. Er aktivierte es, ohne auf Hannas Fingerzeig und ihre Wort „Ihnen ist schon klar, dass man…“ zu achten. Stattdessen starrte er wie gefesselt auf ein Video, welches automatisch abgespielt wurde. Hanna rückte ein Stück herum, um den Blick auf das Bild zu erhaschen. „
Das wird ja langsam langweilig!“, knurrte sie, denn es war nicht schwer zu erraten, wer die blutbefleckten Würfel gerade zu einer weiteren Runde des Spiels rollen ließ. Die Agentin wollte den roten Turianer eigentlich davon abbringen ein weiteres Mal mit dem Killer in den Ring zu steigen und sich einen verbalen Schlagabtausch zu liefern, doch sie wusste, dass dies nichts nützen würde. Also steigerten sich beide wieder herein, Beyo in selbstzerstörenden Attacken und der Killer in seine krude Ekstase. Die Überraschung kam am Schluss und sie kam live. Irgendwie hatte es der Mistkerl hinbekommen, Beyos Stimme zu imitieren und sich nun als er selbst auszugeben. „
Was für eine kranke Scheiße“, murmelte Hanna. „...was tun wir jetzt?“, entwich es Beyo, der von der Wendung verständlicherweise in einen fast schockartigen Zustand verfallen war. „
Wir bleiben bei dem Plan“, beharrte die Agentin. „
Wenn Sie sich verstecken, machen Sie genau das, was der Killer will. Sind Sie auf dem Revier und der Killer sendet erneut eine Botschaft, dann ist bewiesen, dass Sie es nicht sein können. Naja, abgesehen natürlich, sie hätten Helfer instruiert. Aber – und das meine ich nicht respektlos – dazu fehlt ihnen das kriminelle Genie.“ Hanna dachte an den Angriff der purem Aktionismus gefolgt war und sie schollt sich selbst dafür, dass sie ihn unterstützt hatte. Kyron und Boles waren so oder so tot aber Nix hätte nicht sterben müssen. Andererseits war Gillespie in Sicherheit und das… Sie fragte sich, ob sie ihn jemals wiedersehen würde. Sie wandte sich ab, ließ Beyo hinter sich und ging auf den Mann zu, den sie mittlerweile als Syren Vox ausgemacht hatte. „
Mister Vox, mein Name ist Hanna Ilias, Agent bei C-Sicherheit.“ Sie warf einen Blick zum Bildschirm, dann zuckte sie angesichts der Trivialität ihrer Vorstellung mit den Schultern. „
Vielen Dank für die Unterstützung in den Tunneln. Ich bin mir sicher, dass Sie als Zeuge für Mister Vhan aussagen können. Daher würde ich Sie darum bitten, dass wir unverzüglich den Weg zum Revier antreten.“ Sie sah an sich hinab. „
Ich hätte vorher nur gerne meine Klamotten wieder. Und meine Waffen.“