In Myrtana war ein neuer König an der Macht. Volksnah versuchte er stets die Wünsche und Probleme seiner Bürger herauszufinden. Dazu reiste der König durch sein Reich und hörte sich die Probleme der Menschen an und versuchte Lösungen zu finden. Da es sich um ein dünn besiedeltes Königreich handelte, bei der letzten Volkszählung waren es eintausendvierhundertdreizehn Einwohner, lag das auch im Bereich des Möglichen. Zuerst waren die Menschen skeptisch. König Rhobar der II. hatte sich nie in diesem Ausmaß um seine Bürger gekümmert. Er hatte Gesetze erlassen, Steuern erhoben und war sonst nur bei Paraden und Festlichkeiten gesehen worden. Bei Letzterem selbstredend nur von den Adligen. Sicher, König Rhobar der II. hatte einige Heldentaten vollbracht und doch war das Verhältnis zum neuen König ein ganz anderes. Die Menschen begrüßten ihn wie einen alten Bekannten, wenn er wieder in ihr Dorf oder ihre Stadt reiste und kamen schnell zum Kern des Problems, das sie plagte: Der Dorfbrunnen war versiegt, eine rätselhafte Krankheit ausgebrochen, randalierende Wildschweine verwüsteten die Felder. Für dergleichen und mehr hatte der neue König meist schnell eine Lösung parat und das gefiel dem Volk außerordentlich gut. Sind wir doch mal alle ehrlich. Das Volk erwartet von seinem König doch, dass er ihre Probleme löst und nicht, dass er noch welche hinzufügt. So gesehen waren die Bürger sehr zufrieden. Der König selbst musste sich allerdings einiges von seinem Staatsberater anhören, der auch schon unter dem vorherigen Regenten tätig war. Er sei zu bodenständig, das Volk würde ihn nicht genug achten. Doch dem König war es egal. Er zog weiterhin in regelmäßigen Abständen durch das Land und versuchte die Last des kleinen Mannes, oder der kleinen Frau, zu erleichtern.
In Montera war es eines Tages so weit, dass ein Mann, mit Namen Bengerd, nicht mehr darauf warten wollte, dass der König seine Runde drehte. Er war Jäger und demzufolge oft gerade dann nicht da, wenn der König zu Besuch kam. Deswegen schrieb er eine Nachricht, nagelte sie an die Linde, die vor dem Stadttor stand und benachrichtigte seine Nachbarn, der König möge doch seine Nachricht am Baum lesen, wenn er vorbeikäme. Sie taten es und etwas verwundert ging der König zu besagten Baum, als er das nächste Mal in Montera vorbeikam. Auch Bengerds Problem wurde gelöst, genau wie all die anderen. Monteras Bewohner berieten sich und kamen überein, dass dieses Prinzip Zukunft hatte. Deswegen befestigten sie einen hölzernen Kasten an der Linde und ab sofort warf jeder, der ein Problem hatte, eine Nachricht hinein. Wenn der König dann nach Montera kam, brauchte er nur noch zu der Linde mit dem Kasten zu gehen und nicht mehr die ganze Stadt abklappern. Das sparte Zeit. Die Bürger bekamen ihren König auch trotzdem noch oft zu sehen und zwar dann, wenn der verlorene Gegenstand gefunden, der Dieb gefasst oder das Untier erschlagen war. Ein weiterer Nebeneffekt war auch, dass die Bürger sich nun eher trauten private Probleme anzusprechen. War vormals immer noch die Gefahr, dass ungeliebte Nachbarn mit gespitzten Ohren zuhörten, wurden ihre Probleme jetzt weitgehend anonym behandelt. Ein Angehöriger der Miliz oder eine Wache stand sowieso am Stadttor, so dass man sich nicht darum sorgen musste, jemand Unbefugtes könnte die Briefe lesen. Die Bürger waren begeistert und der Baum bekam den Namen „Die Bittlinde“. Dieses Phänomen war bald auch in den anderen Städten Myrtanas bekannt und auch dort beschlossen die Menschen es den Leuten aus Montera gleichzutun und eine Bittlinde zu benennen. Nur Trelis und Faring hatten keine Linden in oder vor der Stadt. In Faring behalf man sich, indem man eine junge Linde in die Stadtmitte pflanzte und den Kasten für die Bitten daneben stellte. Die Leute aus Trelis benannten kurzerhand einen Ahornbaum als neuen Bittbaum, was ihnen viel Spott von den Bürgern aus anderen Städten einbrachte. Doch den Leuten aus Trelis war es egal, sie waren eben etwas Besonderes, das hatten sie doch schon immer gewusst. In Varant setzte sich diese Art der Nachrichtenübermittlung nicht durch. Die Assassinen hatten immer noch leichte Ressentiments gegenüber dem König. Die Bewohner von Nordmar standen indes vor anderen Problemen. Es war so kalt, dass es keine Linden gab und würde man welche pflanzen, würden sie noch am gleichen Tag eingehen. Deswegen wurde beschlossen es den Bürgern aus Trelis gleichzutun und einen anderen Baum zu benennen. Zugegeben, „Bitttanne“ hörte sich mindestens genauso beknackt an wie „Bittahorn“, aber diese Bäume wuchsen überall in Nordmar und so konnte jeder Klan einen vorweisen. Die Häufigkeit der Tannen wurde aber auch zu einem Problem. Es gab sie wirklich überall und wie sollte der König herausfinden welcher der Bäume in den Klans nun der Baum mit dem Bittkasten war? Doch auch für dieses Problem fand sich eine Lösung. Die Bürger begannen einfach ihren Bittbaum zu schmücken und zwar mit allem was gerade so da war: Krallen, Zähne, Hörner und Knochen von Tieren, Geschnitztes aus Holz oder Stein, Erzsplitter, Bergkristalle und Gestecke. Oben an der Spitze wurde ein eingefasster leuchtender Erzbrocken angebracht, so dass der Baum schon von weit her zu sehen war.
Jedes Mal wenn der König in die Klans kam, liefen einige der Bewohner auf ihn zu und fragten nach Neuigkeiten, oder ob er ihr Problem vom letzten Mal hatte lösen können. Gerne gaben die Bürger dann im Austausch auch etwas Gold für die Staatskasse her. Sie freuten sich, wenn der König eine nette Bemerkung über ihre Bitttannenbäume machte, denn das konnte keiner abstreiten, die Bittbäume aus Nordmar waren wirklich die ausgefallensten von allen mit ihrem Baumschmuck. Bald entbrannte ein Wettbewerb unter den Klans, wer den prächtigsten Baum hatte. Die Schmiede vom Hammerklan fertigten prachtvollen Schmuck aus Gold und anderem Edelmetall, der vorsichtshalber weit oben am Baum angebracht wurde. Die Leute aus dem Feuerklan fertigten Windlichter, die sie an ihren Baum hängten und die lange brannten, so dass der Baum immer schön beleuchtet war. Nur der Bittbaum des Wolfsklans sah etwas kläglich aus. Noch mehr als die anderen Klans betätigten sich die Leute hier an der Jagd. An so einem schönen Geweih war sicher nichts auszusetzen und auch Säbelzahntigerzähne hatten ihren Reiz, doch gegen Feuer und Geschmeide kam ihr Baumschmuck einfach nicht an, da konnte ihr Erzbrocken an der Spitze noch so schön leuchten.
Es war schon dunkel. Sir Ewek Emelot stand vor der Bitttanne und dachte nach. Allerdings nicht über den Baumschmuck, sondern, ob er seine Nachricht wirklich in den Bittkasten werfen sollte. Es war weder ein konkretes Problem, noch wusste er, ob der König in der Lage war es zu lösen. In seiner Nachricht stand einfach nur: „Ich wünsche mir hier oben in Nordmar einen Freund. Gezeichnet Sir Ewek Emelot“.
Sir Ewek Emelot war noch nicht sehr lange hier oben in der Kälte und die Menschen hier hatten eine raue Schale. War sie erstmal durchbrochen konnte man sich kaum loyalere und bessere Freunde wünschen, doch dieses Durchbrechen war gar nicht so einfach. Er hatte einige Bekanntschaften im Wolfsklan geschlossen, aber mehr war bisher nicht draus geworden. Er seufzte und steckte die Nachricht in einen Umschlag und diesen in den Kasten. Dann drehte er sich um und ging zurück nach Hause, um zu schlafen.
Am nächsten Morgen stand er früh auf, schulterte seinen Bogen und brach zur Jagd auf. Er ging den Berg hinunter, auf dem die Hütten des Klans gebaut waren, vorbei an den Eiswölfen, die dem Klan seinen Namen gegeben hatten und die darauf trainiert waren ihren Befehlen zu folgen. Im Verhalten waren sie ihren Herren verblüffend ähnlich. Schwer zu ihnen durchzubrechen, doch einmal geschafft waren sie loyal bis in den Tod und die besten Freunde der Menschen. Sir Ewek Emelot bog nach links ab in den Nadelwald hinein und suchte nach Spuren. Die Luft war klar und kalt, sein Atem stieg in weißen Wolken auf. In der Nacht hatte es wieder geschneit. Der frische Schnee war noch nicht fest genug um darauf zu laufen. Ständig sank er bis zu den Knien in die nasskalte Masse ein. So würde es sehr schwer werden sich an Wild anzuschleichen, aber der Vorteil war, dass auch die Tiere deutliche Spuren hinterließen. Bald fand er die Fährte eines Hirsches und verfolgte sie. Er kletterte über einige Felsen und stieg über einen umgestürzten alten Baum und dann sah er ihn. Es war ein prachtvoller Hirsch mit einem riesigen Geweih. Das Tier fraß die Rinde von einem Nadelbaum und stand mit dem Rücken zu ihm. Eine bessere Gelegenheit würde Sir Ewek Emelot nicht bekommen. Er spannte die Bogensehne und zielte, dabei verlagerte er sein Gewicht, um einen besseren Stand zu bekommen. Unter seinen Füßen knirschte der Schnee verräterisch. Das Wild sah sich erschrocken zu ihm um und sprang durch das Unterholz davon. Sir Ewek Emelot schimpfte enttäuscht.
Heute hatte er kein Glück mehr. Schlecht gelaunt kehrte er zum Wolfsklan zurück.
„Gut, dass du kommst. Ein Schneesturm zieht auf“, sagte Garik und warf einen kundigen Blick zum Himmel.
„Ist irgendwas passiert, seitdem ich weg bin?“ fragte Sir Ewek Emelot mehr aus Gewohnheit, als dass er etwas Bestimmtes erwartete.
„Der König war da. Er war wie immer an unserer Bitttanne, hat noch mit ein paar Leuten gesprochen und ist dann wieder gegangen.“
„Hast du ihm auch gesagt, dass ein Schneesturm im Anmarsch ist?“
„Ja natürlich, aber es sah aus, als sei ihm das egal“, sagte Garik achselzuckend.
Sir Ewek Emelot seufzte. Wusste der König denn nicht, wie gefährlich Schneestürme in Nordmar sein konnten? Die Winde wurden noch eisiger als üblich und fühlten sich wie kalte Messerklingen an, die einem durch den Leib fuhren. Außerdem wurde das Schneetreiben so dicht, dass ein Reisender schnell die Orientierung verlieren konnte. Sir Ewek Emelot machte auf dem Absatz kehrt und lief zurück in den Wald.
„He, wo willst du hin?“ rief Garik ihm nach. „Verrückter Hund“, murmelte er mehr zu sich selbst, als zu jemand Bestimmten.
Sein Eiswolf neben ihm jaulte.
Sir Ewek Emelot hatte den menschlichen Spuren im Schnee vormals keine große Beachtung geschenkt, immerhin gingen öfters Leute aus dem Klan in den Wald, doch jetzt konzentrierte er sich auf sie. Er meinte die Spuren des Königs auszumachen und folgte ihnen. Da der König wie er selbst mit dem Tiefschnee zu kämpfen hatte, fiel es ihm leicht seinen Fußabdrücken zu folgen. Ein leichter Wind begann zu wehen und die ersten Schneeflocken rieselten still und leise zu Boden. Es war ganz ruhig im Wald. Aufmerksam beobachtete Sir Ewek Emelot die Umgebung, bereit beim Angriff eines Säbelzahntigers sofort zur Waffe zu greifen. Doch es blieb alles ruhig. Die Bäume lagen still da und nichts regte sich im Unterholz. Offenbar war der König auf dem Weg zum Hammerklan. Sir Ewek Emelot wusste, dass sich der Pfad in wenigen hundert Metern teilen würde, doch so weit kam er gar nicht. Etwas lag da vorne auf dem Boden. Sir Ewek Emelot zog sein Schwert und ging langsam und vorsichtig näher heran. Er kniff die Augen zusammen. Jetzt konnte er erkennen, dass es sich um zwei Eiswölfe handelte. Leblos lagen sie im blutgetränkten Schnee. Die Spuren um die toten Tiere herum deuteten auf einen Kampf hin. Unschlüssig stand Sir Ewek Emelot da und betrachtete die Szenerie. Ein leises Winseln wurde vom Wind an seine Ohren geweht. Wäre er nicht so angespannt gewesen, hätte er es bestimmt nicht gehört. Verwundert wandte er den Kopf, um herauszufinden woher das Geräusch kam. Neugierig stapfte er in die Richtung, aus der das Winseln kam und fand kurze Zeit später eine eisige Höhle, in der die Wölfe offenbar gelebt hatten. Dort, in einer Ecke, lag ein kleines Knäul aus Fell. Als er sich weiter näherte, konnte er erkennen, dass es sich um aneinander gekauerte Welpen handelte. Vorsichtig trat er näher und betrachtete die Tiere. Sie hatten sich eng aneinander gekuschelt. Normalerweise blieb ein Eiswolf beim Nachwuchs, um die Kleinen zu wärmen. Nur bei einem Notfall sprang eins der Tiere seinem Partner bei. Dieser Notfall war offenbar der König gewesen, der einem der Wölfe begegnet war. Ohne ihre Eltern waren die kleinen Welpen hilflos. Eins nach dem anderen war in der erbarmungslosen Kälte Nordmars erfroren, nur eine kleine Wölfin lebte noch. Sie lag in der Mitte und ohne es genau zu wissen hatten die Welpen ihr Geschwisterchen gerettet. Sie winselte, weil sie fror. Sir Ewek Emelot bekam Mitleid mit dem kleinen Tier. Er packte es am Schlafittchen und hob es hoch. Der Welpe heulte jetzt laut und zitterte furchtsam.
„He, keine Angst, ich tu dir nichts“, sagte Sir Ewek Emelot und streichelte sanft über das weiche Fell des Wolfs.
Der kleine Körper war eiskalt. Sir Ewek Emelot steckte den Welpen in seinen Mantel, um ihn zu wärmen. Er warf noch einen Blick auf die toten Geschwister und drehte sich dann um. Als er die Höhle verließ traf ihn der Wind des Schneesturms wie ein Hammerschlag. Böen fegten ihm entgegen und der Schnee fiel in dicken Flocken. Zum Glück wusste er noch wo er hergekommen war und stapfte entschlossen durch den Schnee den Weg zurück. Der König war sicher bereits im Hammerklan angekommen, um ihn musste er sich nicht sorgen. Viel wichtiger war jetzt, dass er selbst wieder zurück zu seinem Klan kam. Angestrengt spähte er nach gefährlichen Tieren, die ihn im Sturm überraschen und töten könnten, doch es waren keine zu sehen. Auch die gefährlichsten Raubtiere suchten sich jetzt einen geschützten Platz und harrten dort aus, bis sich das Wetter besserte. Erleichtert sah Sir Ewek Emelot den Berg, auf dem er nur schemenhaft die vertrauten Hütten seines Klans sehen konnte. Mühsam kämpfte er sich weiter durch den Sturm und war froh, als er Garik sehen konnte, der sich an den Berg drückte, um möglichst wenig vom Wind abzubekommen.
„Da bist du ja“, rief er ihm durch den Wind zu.
Mit klappernden Zähnen stiefelte Sir Ewek Emelot zu ihm.
„Was hast du denn da?“ fragte der Wachmann interessiert.
Mit kalten Fingern lüftete Sir Ewek Emelot eine Mantelfalte und der kleine Welpe kam zum Vorschein. Er wimmerte. Garik’s Eiswolf legte den Kopf schräg, stellte sich dann auf die Hinterbeine und legte seine Vorderpfoten auf Sir Ewek Emelots rechten Arm, mit dem er den Welpen schützend an sich presste. Der große Eiswolf schnupperte interessiert, aber ohne Anzeichen von Aggression. Der kleine Wolf erschreckte sich trotzdem und heulte ängstlich.
„Süßes kleines Fellknäul“ kam es von Garik und er lachte. „Na bring das schnell ins Warme, bevor’s erfriert.“
„Das hab ich vor“, stimmte sein Gegenüber zu.
Er stapfte weiter den Berg hinauf auf seine Hütte zu. An der Tür klopfte er sich den Schnee notdürftig ab und trat dann hinein. Innen war es nicht viel wärmer als draußen, aber das Holz hielt den Wind ab. Sir Ewek Emelot legte den Welpen vor den Kamin auf das weiche Säbelzahntigerfell, das dort lag. Der Kopf desselbigen hing an der Wand darüber. Eilig raffte der Mensch Holz zusammen, nahm Zunder und Feuerstein zur Hand und kurze Zeit später entzündete sich eine Flamme. Er pustete, um das Feuer weiter in Gang zu bekommen. Zitternd hielt er die eisigen Hände über die Flammen und seufzte erleichtert. Endlich raus aus dieser Kälte. Die kleine Wölfin krabbelte auf schwachen Pfoten auf die Wärmequelle zu. Sir Ewek Emelot hob sie wieder hoch, drückte sie erneut an sich, um sie zu wärmen und rückte noch etwas näher ans Feuer. Das kleine Wesen winselte noch ein kurzes letztes Mal, dann stieß es ein behagliches Grollen aus. Zufrieden saßen sie da und hörten dem Knacken des wohlig wärmenden Feuers zu. Der warme, orangene Lichtschein, den die Flammen warfen, ließ eine gemütliche Atmosphäre entstehen.
Nachdem sie einige Zeit so dagesessen hatten, setzte Sir Ewek Emelot die Wölfin auf dem Säbelzahntigerfell ab und stand auf. Er lief zu einem Schrank, in dem er seine Lebensmittel lagerte. Dort holte er eine Flasche mit dicker fettreicher Milch hervor und öffnete sie. Dann goss er einen großen Schluck in eine Schale und stellte sie dem kleinen Eiswolf hin. Der guckte skeptisch, aber der Hunger war wohl größer als jede Vorsicht und bald schon schleckerte er genüsslich die Milch auf. Sir Ewek Emelot setzte sich neben den Wolf vor den Kamin und starrte in die Flammen. Als es dunkel wurde, legte er sich erschöpft in sein Bett. Die Wölfin schlummerte auf dem Säbelzahntigerfell vor den glimmenden Kohlen des Kamins ein.


Der nächste Tag begann mit einem Niesen. Sir Ewek Emelot hatte sich erkältet. Der kleine Wolf fuhr erschrocken zusammen und versteckte sich in einer Ecke neben dem Kamin. Nochmal ein Nieser. Verdammt! Sir Ewek Emelot fühlte sich schrecklich, kreutzkrummelahm stand er langsam auf und schlich zu seinem Vorratsschrank hinüber. Dort holte er einen Topf und einen Teebeutel heraus und versuchte das Feuer im Kamin wieder in Gang zu bekommen. Bald prasselte es wieder und er hängte den Topf gefüllt mit Wasser über den Flammen auf. Als der Tee fertig war, gab er einige Tropfen von einem Stärkungstrank hinein und nahm einen Schluck. Dann holte er ein Stück Fleisch von seinem letzten Jagderfolg aus dem Schrank. Der kleine Wolf beobachtete alles sehr genau aus seinem Versteck. Sir Ewek Emelot trennte ein Stück vom Fleisch ab und warf es dem Wolf hin. Zuerst geschah gar nichts, dann ganz plötzlich, kam die kleine Wölfin mit tapsenden Schritten aus ihrem sicheren Bereich hervor, schnappte sich das Fleisch und verschwand eilig wieder in der Ecke. Vielleicht dachte sie, das Fleisch sei aus Versehen herunter gefallen und wohlmöglich wollte er es ihr wieder wegnehmen. Soweit wollte sie es nicht kommen lassen. Eilig schlang sie das Futter hinunter. Sir Ewek Emelot gluckste amüsiert, dann kitzelte es in seiner Nase und er nieste laut, genau auf das Fleisch vor ihm. Na was soll‘s, jetzt kam es ja eh ins Feuer. Die Hitze würde es schon richten, sagte er sich, nahm eine Pfanne zur Hand und gab etwas Fett hinein, dann setzte er sich vor den Kamin und briet das Fleisch. Bald schon stiegen leckere Gerüche in seine Nase und auch in die des kleinen Wolfs, der hoffnungsvoll schnupperte und bald anfing wieder besonders mitleiderregend zu winseln. Sir Ewek Emelot sah wie magnetisiert ins Feuer. Das war sein Fleisch, sie hatte ihren Anteil schon gehabt, sollte sie doch rumjammern. Das Winseln wurde höher und lauter. Sir Ewek Emelot grollte. Sie kroch aus ihrem Versteck hervor und sah ihn aus ihren hellblauen großen Augen flehentlich an und greinte weiter. Nein, er würde hart bleiben. Wenn er jetzt nachgab, dann würde sie sich das sicher merken. Das Winseln wurde noch lauter und erreichte einen ganz besonders hohen Ton, so dass es einem förmlich das Herz zerriss. Er verdrehte die Augen und seufzte. Wer konnte sich das anhören? Er holte das Fleisch aus der Pfanne und trennte noch ein Stück ab. Abrupt endete das Jammern und die kleine Eiswölfin kam zu ihm getapst, um gebannt dabei zuzusehen was er da trieb. Er hielt das Fleischstück hoch und sie folgte mit den Augen.
„Ausnahmsweise, klar?“
Sie wedelte mit dem Schwanz und stellte sich auf sein Knie, um an das Fleischstück heranzukommen. Er ließ es fallen und sie schnappte eifrig danach. Mit ihrer Beute legte sie sich neben das Säbelzahntigerfell und schnabulierte genüsslich. Sir Ewek Emelot beschloss es ihr nachzutun und sein eigenes Fleischstück aufzuessen, bevor sie merkte, dass da ja noch was übrig war und wieder anfing zu jammern. Danach verließ er mal kurz seine Hütte und kam wenig später zurück, um sich wieder ins Bett zu schleppen. Doch lange konnte er nicht liegen bleiben. Ein Kratzen und Jaulen ließ ihn bald wieder aufhorchen. Er stöhnte. Was denn jetzt schon wieder? Er sah sich um und bemerkte, dass die Wölfin nicht mehr im Haus war. Offenbar war sie ihm hinterhergesprungen, als er die Hütte verließ und er hatte sie ausversehen ausgesperrt. Jetzt kratzte sie mit ihren Krallen an der Tür herum, damit er sie einließ. Grummelnd stand Sir Ewek Emelot wieder auf und öffnete die Tür.
„Na komm herein“, brummte er.
Die Wölfin sah ihn schief und etwas ängstlich an und tippelte dann wieder an ihren Platz vor dem Kamin. Dort rollte sie sich zusammen und schlief schnell ein. Der Mensch brauchte etwas länger um Ruhe zu finden. Hin und wieder drehte er sich im Bett herum, bevor er doch noch einschlief. Es war ein langer, erholsamer Schlaf bis die Eiswölfin am nächsten Morgen wieder Hunger bekam und zu ihm ans Bett lief. Zuerst kratzte sie am Bettpfosten, doch als das ungehört blieb, sprang sie aufs Bett und tapste dort über den schlafenden Sir Ewek Emelot. Ihre kalten Pfötchen ließen ihn frösteln. Grummelnd drehte er sich um und warf sie unbeabsichtigt herunter. Sie heulte und fiel zu Boden. Grollend sprang sie abermals aufs Bett und visierte nun seinen großen Zeh an, der unvorsichtigerweise aus der Decke hervorlugte. Ein beherzter Biss und Sir Ewek Emelot war wach. Der Mann fluchte und stieß den Eiswolf, der sich so vorwitzig in sein Bett gewagt hatte, rüde zur Seite. Dann setzte er sich auf, vergrub kurz das Gesicht in den Händen und seufzte. Naja, jetzt wo er eh schon mal wach war, konnte er auch aufstehen. Immerhin fühlte er sich schon besser. Der Stärkungstrank hatte geholfen. Er war noch leicht verschnupft, aber das sollte nicht weiter schlimm sein. Sir Ewek Emelot beschloss beim Schmied Larson neue Pfeile zu kaufen. Vielleicht konnte er auch noch Milch auftreiben. Er war kaum eine Stunde weg, doch als er zurückkam, sah es so aus, als wäre ein ganzes Zeitalter vergangen, denn wie sonst konnte so ein Chaos entstanden sein? Bücher, Gold, Pfeile, Krallen, Briefe und anderer Krempel lag verstreut überall herum. Auf dem Boden waren blaue Pfotenabdrücke zu sehen. Anscheinend war der kleine Eiswolf mit einem Tintenfass aneinandergeraten. Die Spur führte kreuz und quer durch die Hütte. Offenbar hatte sich die Wölfin mal so richtig ausgetobt. Als könne sie kein Wässerchen trüben fläzte sie sich, überall mit Tinte bespritzt, in seinem Bett und hatte sich so richtig breit gemacht.
„Was soll das? So geht das nicht!“ sagte Sir Ewek Emelot streng.
Sie drehte den Kopf schräg und sah ihn mit einem Blick an, der wohl sagen sollte: „Du siehst doch, dass es geht.“
Er nahm sie vom Bett und setzte sie auf dem Boden ab.
„Soll ich es bereuen dich gefunden zu haben? Böser Eiswolf, sieh dir doch mal dieses Chaos an!“
Sie tat beschämt, doch als er sich abwandte und anfing aufzuräumen, wedelte sie sorglos mit dem Schwanz und schaute ihm bei der Arbeit zu. Als er das sah, jagte er sie aus seiner Hütte. Verwirrt blickte sie ihn erschrocken an und sprang dann nach draußen. Er grummelte vor sich hin und packte wieder alles an seinen angestammten Platz. Es dauerte Stunden, bis alles wieder so war, bevor dieses kleine Fellknäul alles durcheinandergebracht hatte. Endlich war es vollbracht. Er seufzte und blickte sich zufrieden in seiner Hütte um. Alles aufgeräumt. Herrlich. Er nahm sich etwas zu essen aus seinem Schrank, dessen Tür glücklicherweise zu schwer war, als dass der kleine Wolf ihn öffnen könnte und genehmigte sich erstmal ein ausgiebiges Mittagessen. Dann stand er auf und öffnete seine Haustür, um zu sehen wo sich diese vermaledeite Eiswölfin jetzt wieder herumtrieb. Doch sie war nicht zu sehen. Ein leichter Anflug von Schuldgefühl und Sorge überkam ihn. Hatte er sie jetzt fortgejagt? So klein wie sie war würde sie alleine wohl nicht durchkommen. Er begann sie im Klan zu suchen und fragte bei seinen Nachbarn.
„Habt ihr einen kleinen Eiswolf gesehen?“
„Ähm…“ Larson dachte angestrengt nach. „Die Eiswölfin von Grim hat geworfen. Meinst du die?"
„Nein, ein einzelner Eiswolf.“
„Keine Ahnung, ich war mit Arbeit beschäftigt“, sagte Larson und wandte sich ab.
Sir Ewek Emelot suchte zwischen den Hütten und fragte noch andere Bewohner der Anhöhe, doch ein Eiswolf war hier nichts ungewöhnliches, so dass sich kaum einer erinnerte welcher Wolf wo langgegangen war. Doch der Jäger Mort wusste etwas.
„Kleiner Eiswolf? Den hab ich da hoch laufen sehen.“
Er zeigte rüber zum Bittbaum, an dessen Spitze der blaue Erzbrocken hell leuchtete. Tatsächlich fand Sir Ewek Emelot die kleine Wölfin dort. Sie hatte es auf die Knochen abgesehen, die an Bändern um die Äste des Baumes hangen. Immer wieder sprang sie hoch, um einen zu erhaschen, doch sie sprang nicht weit genug. Noch einmal, jetzt hatte sie den Rippenknochen eines Hirsches erwischt. Sie landete mit ihrer Beute zurück auf dem Boden, doch dann fiel ihr auf, dass sie ein Problem hatte. Der Knochen war irgendwie weiterhin mit dem Baum verbunden. Hexenwerk! Sie zog und zerrte an der Rippe und der Ast, der mittels Band noch mit dem Knochen befestigt war, bog sich unter ihren Anstrengungen, gab aber nicht nach. Wütend knurrte sie den Baum an und zerrte weiter, doch bald verließen sie ihre Kräfte und kaum hatte sie nachgelassen, da schnäppste das Seil zurück und sie konnte den Knochen nicht mehr im Maul behalten. Wütend knurrte sie ihren Feind an, der ihr ihre Beute so feige wieder entrissen hatte. Sir Ewek Emelot lachte. Sie hörte es, drehte sich um und wedelte bei seinem Anblick mit dem Schwanz.
„Du bist vielleicht ein kleiner Unruhestifter.“
Wedel, wedel.
Sein Blick blieb auf dem Kasten hängen, der am Bitttannenbaum befestigt war. Sir Ewek Emelot dachte wieder an seinen Brief, dann fiel sein Blick auf das kleine Eiswölfchen vor ihm.
„Hm… na mal sehen, vielleicht gebe ich dir eine Chance.“
Er fuhr ihr ruppig durch das Fell und sie wedelte noch mehr mit dem Schwanz, so dass der Schnee nur so um sie herum stob. Dann stellte sie sich auf die Hinterbeine und bettelte nach Leckerchen.