Kapitel 1

Ein stechender Schmerz durchstieß die Dunkelheit. Den aufkommenden Schrei konnte Laura eben noch unterdrücken. Sie versuchte die Augen zu öffnen, doch es gelang ihr nicht. Ihre Hände suchten nach der schmerzenden Stelle, doch so schnell wie der Schmerz gekommen war, schien er nun wieder verschwunden zu sein. Sie fühlte… beinahe nichts. Nur langsam kehrte das Bewusstsein zurück in ihren Körper. Sie versuchte zu sprechen. Aber genau wie ihre Augen schien auch ihr Mund ihr nicht zu gehorchen. Verzweiflung machte sich in ihr breit. Verzweiflung und Angst. Je wacher sie wurde, desto mehr Fragen schossen in ihren Kopf, Fragen auf die sie keine Antworten hatte. Mit ihren Händen tastete sie ihr Gesicht ab, suchte nach einem Grund dafür, dass sie weder sprechen noch die Augen öffnen konnte. Doch es schien alles in Ordnung zu sein. Ihre Hände glitten neben ihren Körper und versuchten die Umgebung zu ertasten. Sie spürte, dass sie lag. Unter ihr eine kalte, metallische Fläche, die nur wenige Zentimeter links und rechts neben ihr endete. An ihrem Körper konnte sie Schläuche ertasten, dutzende Schläuche, dünn wie Strohalme. Von ihrem Körper weg folgte Laura tastend ihrem Verlauf. Sie führten zu allerhand größeren Objekten, teilweise zu kalten Eisenstangen oder einfach zu weit, als das sie ihnen hätte bis zum Ende folgen können. Die Angst in ihr wurde langsam zu Panik, wieder und wieder versuchte sie Mund und Augen zu öffnen, ohne Erfolg.

Plötzlich hörte sie Schritte. Schritte von mehreren Menschen, die in ihre Richtung zu laufen schienen. Die Schritte kamen näher, eine Tür wurde geöffnet. Sie hob die Hand und drehte ihren Kopf nach links und rechts, um irgendwie auf sich aufmerksam zu machen. Sie spürte wie Tränen ihr das Gesicht hinunter liefen. Doch obwohl sie gehört hatte, dass mindestens zwei, vielleicht auch drei Menschen den Raum betreten hatten, war es nun auf einmal wieder still. Lauras Atmung wurde immer schneller. Sie versuchte trotz ihrer fehlenden Sehkraft und trotz der Schläuche an ihrem Körper aufzustehen. Als sie ihren Oberkörper hob spürte sie plötzlich Hände an ihren Armen und an ihrer Brust. Wie erstarrt blieb sie für einen kurzen Moment in dieser Position. Sekunden vergingen. Dann durchbrach auf einmal eine Stimme die Stille. Die Stimme einer Frau, die in einer für Laura unbekannten und unverständlichen Sprache sprach. Die Stimme der Frau schien etwas zu befehlen. Ruckartig und ohne Vorsicht wurde Laura von den Händen an ihrem Körper zurück auf das Metall gedrückt. Sie stöhnte, als ihr Hinterkopf auf die harte Fläche schlug. Sie wollte sich wehren, doch die Kraft, mit der sie gehalten wurde, war zu groß. Dann ein erneuter Schmerz. Jemand schien ihr etwas injizieren zu wollen. Laura schrie innerlich. Sie spannte ihren ganzen Körper an und versuchte mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, irgendetwas gegen diese Gewalt tun zu können. Es war aussichtslos.

Sie konnte fühlen, wie etwas in ihren Körper gespritzt wurde, und innerhalb von Sekunden überkam sie eine kaum zu ertragende Müdigkeit. Noch einmal hörte sie die fremde Stimme, die nun deutlich entspannter und ruhiger klang. Das Letzte was sie spürte waren Gurte, die an ihren Armen und Beinen festgemacht wurden. Mit ihren letzten wachen Gedanken versuchte sie eine Erklärung für all das zu finden. Doch es blieb keine Zeit dafür, sie verlor erneut das Bewusstsein.

Laura öffnete die Augen. Um sie herum war es dunkel. Und es war kalt. Eiskalt. Sie zitterte. All ihre Gliedmaßen schmerzten. Sie blickte an sich hinab. Ihr nackter Körper lag auf einer Art Operationstisch. Trotz der Dunkelheit konnte sie Umrisse von großen Geräten erkennen, die um sie herum aufgebaut waren. Helle Kacheln begrenzten den Raum zu allen Seiten hin, unterbrochen einzig von einer kleinen Tür aus Metall. Das winzige runde Fenster in der Tür war so sehr mit Staub bedeckt, dass es keinen Blick auf die andere Seite erlaubte. Links und rechts des Tisches auf dem sie lag waren metallische Ständer aufgebaut, an denen leere Flaschen und Beutel hingen. Erst jetzt wurde Laura bewusst, dass ihre Augen offen und ihre Sehkraft scheinbar wieder vorhanden war. Sie atmete tief ein und aus. Den Reflex nach Hilfe zu rufen unterdrückte sie sofort wieder. Stattdessen blickte sie auf ihre Handgelenke, die noch immer mit Gurten an den OP-Tisch gefesselt waren. Sie versuchte die Hände und Arme in Richtung ihres Oberkörpers zu ziehen um die Fesseln loszuwerden. Und tatsächlich löste sich der Gurt an ihrem linken Arm. Sofort öffnete sie mit der linken Hand den anderen Gurt. Als sie sich aufrichten wollte um auch die Gurte an ihren Beinen zu lösen stöhnte sie schmerzerfüllt auf. Kraftlos sank ihr Oberkörper nach nur wenigen Zentimetern zurück auf den Tisch. Verzweifelt blickte sie an die Decke. Mehrere große Lampen hingen dort, teilweise nur noch gehalten von den Kabeln die sie einst mit Strom versorgt haben müssen. Die Glühbirnen waren größtenteils zerbrochen. Durch das Loch, durch das eines der Kabel in den Raum gelegt war, schien etwas Licht. Woher es kam konnte Laura nicht genau bestimmen. Eine Weile, vielleicht dreißig oder vierzig Sekunden, blieb sie auf dem Rücken liegen, sammelte ihre Kraft, ordnete ihre Gedanken. Wo war sie? Warum hatte man sie her gebracht? Wieso hatte man sie so brutal wieder in die Bewusstlosigkeit gezwungen? Wie lang war das her und wieso war sie jetzt scheinbar allein? Frage auf Frage schoss durch Lauras Kopf. Sie rieb sich mit den Händen durch das Gesicht, versuchte sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Sie atmete tief ein und drückte ihre Oberkörper mit den Händen von dem Tisch nach oben. Sie schrie vor Schmerzen laut auf, schaffte es aber ihren Oberkörper in eine aufrechte Position zu bringen.

Immerhin funktioniert auch meine Stimme wieder... versuchte sie sich selber Mut zu machen. Aufrecht sitzend konnte sie die verbliebenen Gurte lösen. Mit ihren Händen strich sie über die Beine und versuchte, Gefühl und Wärme in ihre Gliedmaßen zu massieren. Erneut schaute sie sich um. Die Schläuche, die in ihrer Wahrnehmung eben erst noch überall in ihrem Körper steckten lagen nun wild verteilt um den OP-Tisch auf dem Boden. An einigen von ihnen schien getrocknetes Blut zu kleben. Die Geräte, die überall im Raum standen, schienen irgendwelche medizinischen Zwecke zu erfüllen. Aber sämtliche Anzeigen waren schwarz und von Staub bedeckt. Laura drehte sich und ließ ihre Beine seitlich vom Tisch hängen. Ihr Körper zitterte immer noch und sie hatte das Gefühl, bald zu erfrieren wenn sie nicht zumindest etwas zum Anziehen finden würde. In dem Raum aber konnte sie keine Kleidung entdecken. Vorsichtig ließ sie sich vom Tisch gleiten. Als ihre Füße den Boden berührten gaben ihre Beine nach, nur mit Mühe konnte sie sich vor einem Sturz bewahren und mit den Händen am Tisch wieder hochziehen. Sie schloss kurz die Augen, öffnete sie wieder, drückte sich mit den Armen an der Kante des OP-Tisches hoch und stand nun, wenn auch mit zitternden Knien, aufrecht im Raum. Ich muss hier raus! dachte sie, gleichwohl wissend, dass sie keine Ahnung hatte wie raus kam oder, noch viel schlimmer, was sie dort draußen erwarten würde. Mit langsamen und zitternden Schritten näherte sie sich der Tür. Mit der rechten Hand wischte sie den Staub beiseite, der das kleine Fenster fast einen halben Zentimeter dick belegte. Sie schaute hindurch, doch auf der anderen Seite war es ebenfalls dunkel. Mit Mühe erkannte sie, dass sich auf der anderen Seite der Tür ein langer Flur ausbreitete, an den Wänden die gleichen Kacheln wie dem Raum in dem sie sich befand. Sie wartete einige Sekunden um sich zu vergewissern, dass dort niemand war. Dann zog sie an der schweren Tür, die sich unter lautem Knarren und Ächzen öffnete. Rost splitterte von den Scharnieren und fiel wie brauner Schnee auf den Boden. Laura musste viel Kraft aufwenden, um die Tür weit genug zu öffnen, damit sie sich durch den Spalt nach draußen drücken konnte. Aber sie schaffte es und stand nun mit dem Rücken zu der Tür, blickte den düsteren Flur hinab und wartete erneut ob jemand hier war, der ihre Flucht gehört haben könnte. Doch sie hörte nichts außer ihrer eigenen Atmung und ihrem Herzschlag.

Schritt für Schritt ging sie vorwärts, hielt dabei eine Hand stets an der kalten Wand um sich im Notfall abstützen zu können, falls ihre Beine wieder nachgeben sollten. Vor ihr tauchte aus der Dunkelheit ein kleiner Wagen aus Metall auf, der seitlich im Flur stand. Neben allerlei Behältnissen lagen dort auch einige weiße Nachthemden, wie man sie als Patient im Krankenhaus bekommt. Laura nahm eines dieser Hemden und zog es über. Es bot kaum Schutz gegen die Kälte, doch zumindest war sie nun nicht mehr splitternackt. Sie nahm ein weiteres und zog es über das bereits angezogene. Geht schon... dachte sie als plötzlich ein tiefes Brummen den stillen Flur durchzog. Erschrocken blickte Laura auf, blickte in die vor ihr liegende Dunkelheit. Ihre Atmung wurde schneller und ihr Herz begann so laut zu schlagen, dass sie meinte man könne das Echo der Schläge den ganzen Flur entlang hören. Das Brummen verstummte wieder. Vorsichtig ging sie weiter. Sie kam zu einer Kreuzung, an der der Flur in dem sie sich befand von einem weiteren, scheinbar endlos langen Flur gekreuzt wurde. Auf der Kreuzung standen mehrere Krankenhausbetten und fahrbare Nachttische...




[Das ist der erste Teil einer Geschichte die ich schon längere Zeit im Kopf habe. Würde mich über etwas Feedback freuen.]