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Damit sprach Oluf eine Möglichkeit an, die Arzu gar nicht in den Sinn gekommen war. Bauernhöfe musste es hier haufenweise geben und gewiss könnten sie dort für die Nacht Unterschlupf finden. Arzu schob diese Unaufmerksamkeit ihrerseits auf die Tatsache, dass es in Varant keine Bauernhöfe gab.
Die Alternative mit dem Ruderboot gefiel der Varantin indes überhaupt nicht. Ohne jeden Zweifel würde der Nordmann den Kavalier spielen und das Rudern übernehmen. Das war nicht das Problem. Viel mehr die Aussicht an irgendeiner Klippe zu zerschellen. Der Gedanke, als aufgeblähte Leiche durch die Meere zu schwimmen, gefiel Arzu ganz und gar nicht. Dann doch lieber den Fußweg.
»Ich habe es nicht eilig.«, sagte sie schließlich. »Lass uns also den Landweg nehmen.«
Insgeheim war Arzu auch neugierig auf das Bluttal. Was für eine fantastische Schlacht dort geschlagen worden sein musste, damit es diesen Namen verdiente und sogar von Orks gemieden wurde.
»Am besten nehmen wir leichten Proviant mit. Danach auf zum Kartenzeichner«, sagte die Varanterin und rief den Wirt herbei.
»Ich brauche Proviant für zwei, der uns bis zur nächsten Stadt reicht. Schinken, Käse, Brot, Äpfel.«
»Das wird schon etwas mehr kosten.«
»Wie viel denn?«, fragte Arzu in einer säuselnden Stimme und beugte sich leicht über die Theke.
»Sagen wir fünfzig Münzen. Ein Freundschaftsangebot.«
Die Varanterin lächelte und bedankte sich.
»Hier.«, sagte sie dann und legte das Geld auf den Tresen. »Pack alles zusammen. Wir kommen später wieder.«
Dann wandte sie sich an Oluf. »Auf zum Kartenzeichner.«
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Apprentice
Letzte Besorgungen und Vorbereitungen
Kaum war der Entschluss gefasst, setzte die Varanterin auch schon alles daran, diesen in die Tat umzusetzen. Oluf gefiel das, grundsätzlich mochte er anpackende Menschen mehr als verschwurbelte Theoretiker und in diesem konkreten Fall blieb dadurch keine Chance wieder in alte Gewohnheiten und Apathie zu verfallen. Arzu hatte mit ihrer geschickten, diplomatischen oder auch charmanten Art dem Wirt einen guten Deal abgeschwatzt - wo da genau der Unterschied war blieb dem Nordmann, der nicht ganz so gut mit Worten war, ein Rätsel.
"Auf zum Kartenzeichner.", rief die schwarzhaarige Schönheit ihm zu, da war er noch nicht ganz aus den Gedanken und dem Staunen herausgekommen. Etwas überfordert, stolperte er sich im wahrsten Sinne des Wortes wieder zurück ins Bewusstsein und ordnete Gedanken und Schritte auf dem Weg Richtung Ausgang. Große Probleme entstanden da nicht, weil die Taverne an diesem Tage etwas leerer war und nur ein einzelner Betrunkener mit einem kleinen Stoß zur Seite bugsiert werden musste. Dieser Saufkopf setzte damit seinen Fall weiter fort und verfehlte durch das Eingreifen des Hünen seine Begleitung und landete mit dem Gesicht voran auf dem Boden. Mit dem lauten Klonk, wie wenn Holz auf Holz trifft, in den Ohren verließ das ungleiche Paar den Schankraum und trat nach draußen.
Das Wetter spielte Oluf heute keinen Streich und es war leicht bewölkt und eine leichte Briese wehte durch die Straßen der Stadt. Dies war das optimale Wetter aus seiner Sicht, da es weder zu feucht, noch zu heiß war und es ihm, der die Kühle Nordmars gewohnt war, so wohl erspart blieb wieder in Strömen zu schwitzen. Ob es der Varanterin da ähnlich gut ging, oder sie im Vergleich zu ihrer Wüste fror, das mochte der Nordmarer in diesen Momenten nicht zu sagen. Sie ließ nicht so leicht in sich hineinsehen und verborg ihr Gesicht hinter einer undurchschaubaren Miene, aber er hoffte einfach, dass sie es ihn wissen ließ, wenn es ein Problem gab.
So schlängelten die Gefährten sich kurze Zeit später durch das zu dieser Tageszeit gut gefüllte Hafenviertel, verließen aber nach einigen Minuten das große Gedränge der Hauptstraßen und kamen in einer kleinen Seitengasse an, wo ein grauhaariger älterer Mann auf einem wackeligen Tisch mit einem Kohlestift eine Karte zu kopieren schien. "Guten Morgen Gray, ich hoffe es geht dir heute gut. Ich bräuchte eine Karte von Argaan, das westliche Argaan um genau zu sein, wir wollen nach Süden reisen.", grüßte Oluf in seinem tiefen Bariton und als der Kartenzeichner die Stimme hörte, musste er lächeln und blickte auf und erkannte den Nordmann. Kurz schweifte der Blick auch auf Arzu, verharrte aber dort nicht lange und kehrte zu dem Mann zurück. "Ich hab dir ja gesagt, wann immer du was brauchst, kannst du zu mir kommen, mein Lieber! Denn ohne dich hätte ich wegen dieser Schläger meinen Laden schon längst aufgeben müssen.", sprach der Alte langsam und erhob sich mühsam von seinem Tisch, bevor er in der Hütte verschwand, "Wenn ihr wirklich nach Süden reisen wollt, geb ich euch eher eine Karte von hier, Stewark, dem Bluttal, Silbersee und der gespaltenen Jungfrau mit. Das ist zwar nur die nördliche Hälfte von West-Argaan, aber besser zum Reisen, da dort auch kleinere Wege und Höfe verzeichnet sind. Hier und da habe ich sie auch ausgebessert, aber natürlich kann es sein, dass manche Höfe nicht mehr existieren, ich bekomme ja auch nicht ständig neue Informationen und bin selbst zu alt zum Reisen."
Als der Hüne dem alten Mann zum Dank und Abschied noch ein paar Münzen zustecken wollte, winkte dieser ab und wünschte dem ungleichen Pärchen eine gute Reise. "So, wir haben eine Karte, wenn du willst kannst du sie dir gerne auch mal genauer ansehen.", verkündete Oluf das offensichtliche und gab der Schwarzhaarigen das Pergament, "Wenn du willst kannst du mich zu meiner kleinen Hütte begleiten, wo ich meine Sachen holen, oder wir teilen uns auf und treffen uns wieder bei der Taverne, um aufzubrechen?"
Hyp/Baruch
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Arzu nahm die Karte entgegen und warf einen flüchtigen Blick darauf. Sie war nicht sonderlich vertraut mit der Geographie der Insel, außer dass es mehr als eine Stadt gab und sich in der Mitte der Insel ein großer Berg erhob. Eben jene Dinge, die man von einer Weltkarte erfahren konnte. Zumindest wusste die Varanterin jetzt, dass die andere Stadt Stewark hieß. Nun, Oluf war nah genug dran gewesen. Ganz schlau wurde Arzu jedoch nicht aus der Karte. Stewark schien nicht direkt auf der eigentlichen Insel zu liegen. Eine kleinere Insel vielleicht, die direkt an die größere anschloss? Sie würde es früh genug erfahren.
Schließlich rollte die Varanterin die Karte wieder zusammen und steckte sie ohne viel Federlesens in ihre Hängetasche. Sie war sich sicher, dass das Dokument bei ihr besser aufgehoben wäre. Oluf schien ein netter Kerl zu sein, doch kannten sie sich weniger als einen Tag. Wer wusste, ob der Nordmann noch etwas anderes im Schilde führte. Sollte es hart auf hart kommen, könnte sie sich jederzeit von ihm absetzen und stünde nicht orientierungslos im Wald.
»Am besten teilen wir uns auf.«, sagte Arzu. Sie hatte wenig Interesse an der Unterkunft des Nordmanns. Etwas besonderes konnte es auch nicht sein, wenn Oluf sie so bereitwillig aufgab. »Ich warte an der Taverne.«
Mit wehendem Haar machte sich die Varanterin von dannen. Sich im Hafenviertel zurecht zu finden, war indes nicht so einfach. Alles sah gleich aus. Eine windschiefe Hütte neben der anderen. Mehrmals dachte Arzu, die richtige Gasse gefunden zu haben, nur um festzustellen, dass sie an irgendeinem Warenhaus angelangt war. Schließlich erreichte sie aber die Kreuzung an der sich die Taverne befand.
Inzwischen hatte sich der Schankraum auch gut mit Gästen gefüllt und das Durchkommen bis zum Tresen stellte eine Herausforderung dar. Mit genug Ellenbogenkraft erreicht Arzu endlich die Theke und winkte den Wirt herbei. Er erkannte die Varanterin und griff nach einem kleinen Sack.
»Wie bestellt. Brot, Käse, Schinken und Äpfel. Sollte bis nach Stewark reichen, wenn ihr gut rationiert.«
Neugierig lugte die Varanterin in das Säckchen. Es war beschaulich, doch das war für den Preis nicht anders zu erwarten. Ihr weiblicher Charme brachte sie auch nur soweit. Doch es genügte vollkommen für ihre Bedürfnisse. Sollte sich Oluf als großer Esser herausstellen, was Arzu insgeheim bei seiner Statur erwartete, müsste er eben seine Jagdkünste demonstrieren oder sich bei den Bauern einschmeicheln.
Wie verabredet zahlte Arzu dem Wirt die fünfzig Münzen aus und gab auch den Schlüssel für das Tavernenzimmer wieder ab. Anschließend nahm sie den kleinen Proviantsack und bahnte sich den Weg zwischen den Tavernengästen hindurch nach draußen. Auf einer Sitzbank neben dem Eingang, wo sie ein guten Blick auf die Kreuzung hatte, nahm die Varanterin dann Platz und wartete auf ihren Weggefährten.
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Apprentice
Aufbruch nach Süden
In der kleinen Hütte brachen immer wieder Sonnenstrahlen durch die lose zusammengezimmerten Holzbalken, die als Wand und Dach der Unterkunft dienten. Der Boden bestand aus einer verkrusteten Erdschicht, die teilweise eben und teilweise durch Gewichtseinwirkung verformt und verfärbt worden war. Ein Geruch, der feine Adelsnasen sicher aus den Socken gehauen hätte, stieg beim Betreten der klapprigen Hütte sofort in die Nase und dann zu Kopfe, wenn man nicht aufpasste. Der Nordmarer stopfte sich zwei Stoffstücke in die Nase und stieg über den Körper eines im Suff nahe des Eingang zusammengebrochenen Kumpanen, mit dem er sich diesen Ort teilte. Die Hütte vermochte beides zu sein, vom Wind durchblasen, dass immer wieder Staub aufgewirbelt wurde, aber auch nicht durchlüftet genug, um den Gestank zu vertreiben.
Allerlei Körper, Speise und andere Flüssigkeiten hatten sich bereits mit der Substanz, auf der alles lag, verbunden und waren neben Essensresten und ungewaschenen Männern sicher die Ursache für die bestialischen Ausdünstungen. Diese Bleibe war etwas, dem Oluf sicher nicht lange nachweinen würde und je mehr Zeit er mit dem Zusammensammeln seiner wichtigsten Güter verbrachte, umso sicherer wurde er sich, dass die Reise mit Arzu einer der besten Entscheidungen gewesen war, die er in den letzten Wochen getroffen hatte. Alles nahm er nicht mit, ein paar nicht völlig verranzte Klamotten, um etwas zum Wechseln dabei zu haben, seinen Trinkschlauch, eine große Keule und einen Sack, in den er trockenes Brot, gedörrte Früchte, geräucherten Fisch und etwas gebratenes Fleisch vom Vorabend einpackte. "Auf nimmer Wiedersehen, lasst euch nicht von den Hafenratten fressen.", rief der Hüne noch ins Dämmerlicht und verließ den Raum noch ehe eine Antwort erklungen war, die wahrscheinlich ohnehin nicht kommen würde.
Kurze Zeit später hatte er die Taverne wieder erreicht, die er mit Arzu als Treffpunkt ausgemacht hatte. Dass die Varanterin die Karte an sich genommen hatte, störte den Nordmann dabei weniger, hatte er ohnehin kein gutes Behältnis um sie zu transportieren und es wäre sicherlich ärgerlich gewesen, wenn diese beschädigt worden wäre. "Dann lass uns endlich losgehen", rief die Schwarzhaarige ihm in einem auffordernden Tonfall zu, woraufhin sich die Beiden in Bewegung setzten. Wie sie das ungleiche Paar durch die Straßen Thorniaras in Richtung Tor schlenderte, drehten sich allerlei Leute nach Ihnen um. Außerhalb des Hafen- und Armenviertels fielen die beiden schon auf. Er war ein großer ungepflegt erscheinender Nordmarer mit blasser Haut, roten Haaren, wuscheligen Bart und roten Flecken die wohl von Sonnenbrand stammten. Sie war eine elegante, wohl gekleidete Varanterin mit feinen Gesichtszügen, schwarzen Haaren und schlichter aber verhältnismäßig hochwertiger Kleidung.
Man konnte fast meinen, die junge Dame wäre eine reiche Adlige oder ein verruchter Syndikatsanführerin, die von einem grobschlächtigen Leibwächter begleitet wurde. Das war wohl mit ein Grund, warum zumindest die großen Säcke am Tor von den Wachen durchsucht wurden, diese aber davon abließen als sich der Inhalt hauptsächlich als Lebensmittel herausstellte. Nachdem die beiden eine Weile gelaufen waren und die Stadtmauern beim zurückblicken begannen klein zu wirken, wandte sich Oluf an Arzu und fragte: "Wollt ihr euch lieber am Hauptweg entlang halten, der etwas länger ist und die Chance birgt, dass wir vielleicht auf Wegelagerer stoßen, sobald wir außerhalb der Schutzzone der Hafenstadt sind, oder bevorzugt ihr die kleineren Wege, wo wir wahrscheinlich ungestörter sind, aber auch die Gefahr von Wildtieren größer ist?"
Hyp/Baruch
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Etwa eine Woche war er unterwegs gewesen, bis er den Hafen von Thorniara erreicht hatte. Er konnte sich nicht erinnern, schon jemals hier gewesen zu sein.
Ursprünglich war er den Wegweisern nach Setarrif gefolgt. Die ziehenden Händler auf den Straßen erzählten von der Stadt am Meer im Westen. Doch je weiter er kam, desto mehr kristallisierte sich heraus, dass sein Weg ihn weiter führen müsste. Scheinbar hatte Setarrif keinen Hafen. Die Gilde hatte sich dagegen ausgesprochen. Man wolle keinen Hafen. Man brauche keinen Hafen. Wozu auch einen Hafen, wenn man direkt am Meer liegt? Zumal die Stadt wohl auf einem Felsplateau thronte. Sicher, dann war der Weg nach unten bestimmt auch viel zu weit.
Eine umherziehende Wanderin von rotem Haar, mit der er seine Vorräte am Lagerfeuer teilte, wusste zu berichten, dass die Stadt zerstört worden war.
Irgendwie wusste er nicht recht, was er von all dem glauben sollte. Geschweige denn, was er davon halten sollte. Aber was auch immer ihm zu Ohren kam, deutete darauf hin, dass ihn der Marsch nach Setarrif in eine Sackgasse führte.
Die Wanderin mit dem Blitzen in ihren rehbraunen Augen legte ihm nahe, weiter nordwärts nach Thorniara zu ziehen. Das lag noch ein paar Tagesmärsche mehr entfernt, aber es schien seine beste Chance zu sein, um nach Khorinis zu gelangen.
Er verbrachte die Nacht am Feuer in Gesellschaft der Weltenbummlerin. Die Flammen hielten ihnen die Fleischwanzen vom Leib, die er aus dem Augenwinkel im Halbdunkel umherhuschen sah. Ekelhaftes Krabbelzeug. Er hoffte, das Feuer würde nicht vor Tagesanbruch verlöschen. Auf dem Boden zu schlafen kam ihm derweil seltsam vertraut und fremdartig vor. Die Frau hustete und ihr war kalt. Vielleicht war sie krank. Er hoffte insgeheim, dass er sich nicht angesteckt hatte, als sie das Brot gebrochen hatten. Ihr Brot. Es war köstlich gewesen. Weich und elastisch, dunkel, malzig und süßlich. Gesalzene Butter hatte sie auch dabei gehabt - die Kombination war eine Speise für die Götter. Er hatte derweil den Rest seines Schinkens zum Festmahl beigesteuert und seine letzte Wurst hatten sie geteilt. Jetzt hatte er nur noch etwas Zwieback in der Tasche gehabt.
Am frühen Morgen hatten sich ihre Wege schließlich getrennt. Nach einem langen, intensiven Gespräch bis tief in die Nacht. Er war ihren Anweisungen Richtung Thorniara gefolgt.
Jetzt schritt er durch das Hafenthor.
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In der Hafenspelunke "Zum Klabautermann" angekommen, hörte sich Gorr nach Schiffen um, die möglichst bald nach Khorinis übersetzen würden, um darauf anzuheuern.
Vom Kneipier wurde er in eine dunkle Ecke verwiesen, in der ein alter Seebär saß, der eine Fahne hatte die ihm meterweise voraus war. Auch sein Körpergeruch war für Gorr, der sich ja gerade erst vor einer Woche ausgiebig hatte waschen können, wie eine olfaktorische Wehranlage, die es erst mal zu durchdringen galt.
Er war wohl Kapitän eines "diensterfahrenen" Schooners aber sein Smutje war vor kurzem verstorben. Ein paar offene Wunden an den aufgequollenen Füßen wären wohl nicht verheilt und er wäre ... nun ja, verendet. Der Käpt'n ließ kein noch so unappetitliches Detail aus. Dass er selbst eine sehr löchrige Kauleiste mit geschwollenem purpurnen Zahnfleisch und einen blutunterlaufenen Haaransatz hatte, ließ Gorr kaum Zweifel daran, was den alten Smut dahingerafft hatte - und dass es nicht lange dauern würde, bis den Kapitän, der sich als Helgo vorstellte, ein ähnliches Schicksal ereilen mochte.
Helgo suchte jedenfalls händeringend tauglichen Ersatz, denn wie jeder weiß, gibt's ohne Mampf keinen Kampf. Natürlich war Gorr sofort zur Stelle, sich für die Überfahrt nach Khorinis bei ihm als Schiffskoch zu verdingen. Doch der alte Zausel war skeptisch. Er war schließlich verwöhnt. Bisher hatte er hier in diesem feinen Ort noch keinen adäquaten Nachfolger finden können.
Also legte er Gorr ein Stück gammeliges Salzfleisch und ein paar scheinbar jahrealte Seemanskekse auf den Tisch. Die Kekse, von manchen auch liebevoll Panzerplatten genannt, waren so hart, dass sie laut klackerten, als er sie aus der Hand auf die Tischplatte poltern ließ. Das gesalzene Fleisch mochte mal ein Schwein gewesen sein. So genau ließ sich das nicht bestimmen.
Daraus, jedenfalls, sollte Gorr dem Kapitän ein köstliches Mahl bereiten. Für einen Seemann keine außergewöhnliche Forderung. Das was da auf dem Tisch lag war etwa eine übliche Tagesration bei einer längeren Überfahrt. Nun gut, dem Erhaltungszustand der Ingredienzien nach zu urteilen mochte diese Überfahrt schon ein paar Jährchen länger gewesen sein.
Jedenfalls schlug Gorr ein, unterrichtete den Trunkenbold jedoch darüber, dass es heute noch kein Abendessen geben würde. Stattdessen würde er alles für morgen Mittag vorbereiten. Helgo stimmte zu. Was sollte er auch machen. Gute Arbeitskräfte waren Mangelware und Gorr sah so aus, als könnte er sein Päckchen tragen.
Ein kräftiger Handschlag besiegelte die Sache zwischen den beiden Männern.
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Die Nacht über hatte Gorr im Klabauter verbracht. Den Platz auf einer der Holzbänke brachte ihm sein Dienst als Tischabwischer und Alkoholleichenrausträger ein.
Die Seemannskekse hatte er mit einer gusseisernen Pfanne in grobe Stücke zerschlagen und dann in einem Krug Wasser ertränkt, bevor er sich schlafen legte.
Einerseits konnten die Panzerplatten so über Nacht aufweichen - sodass sie sich überhaupt kauen ließen - andererseits trieb am nächsten Morgen das ganze Getier, dass sich in den Keksen über die vergangenen Monate eingenistet hatte, auf der Wasseroberfläche und ließ sich mit der Hand abschöpfen. Zum Glück hatte ihn der Käpt'n nicht dabei beobachten können, wie er die Larven in den nächsten Kübel warf. Schließlich wäre das für ihn sicher Verschwendung wichtiger Nährstoffe gewesen.
Gorr erwarb sich mit dem Putzen der primitiven Küche das Recht, sie bis zur Mittagszeit zu nutzen. Er ließ das Fett des gesalzenen Schweinefleischs in einer Pfanne aus, bevor er es wieder entnahm und durch die Hartbrotbrocken austauschte, die er vorher gründlich mit den Händen ausgewrungen hatte. So sogen sie sich schön mit dem Schweinefett voll. Er wendete alles zusammen in der Pfanne bis es goldbraun war und sämtliches Fett in sich aufgenommen hatte. Nebenbei würfelte er das Fleisch in kleine Stücke, gab sie dazu und schmeckte alles mit etwas Pfeffer und Paprium ab.
Fertig war der Höllenfeuer-Eintopf.
Pünktlich um 12 Uhr Mittags hatte der dampfende Teller auf dem Tisch vor dem hungrigen Kapitän gestanden.
Ein paar gefräßige Minuten später hatte Gorr als neuer Smutje auf der "Siebenarmigen Jungfrau" angeheuert.
Noch am selben Tag waren sie in See gestochen. Die wenige Ware, die Helgo nach Khorinis rüberbringen sollte war schon lange überfällig.
Gorr zog seine fellgefütterte LuxZux-Weste eng zusammen und stellte sich der feuchten, steifen Brise, die ihnen entgegenstob.
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‚Warum?‘
Ihre großen, braunen Augen waren vorwurfsvoll auf ihn gerichtet, während ihr Mund stumm immer und immer wieder dieselbe Frage formte.
‚Warum?‘
Warum hast du uns im Stich gelassen? Yarik wünschte, er könnte sich erklären, aber es gab nichts, was er hätte sagen können. Es war alles seine Schuld gewesen, er hatte das Unglück über sie gebracht und am Ende hatte er allein, er, der es am wenigsten verdient hatte – er hatte überlebt.
Lysbeth sah ihn weiterhin regungslos an, ihre Augen voll Trauer und Vorwürfen. Die anderen waren auch da, das wusste Yarik, aber sie hielten sich im Hintergrund. Es war meistens so. Lysbeth war diejenige, die die Klage vorbrachte. Seine Tochter. Seine über alles geliebte Tochter…
Er hob zögernd die Hand und wollte ihr diese eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht wischen, doch noch bevor er sie berühren konnte, wich sie vor ihm zurück. Im selben Moment erblühte ein roter Striemen auf ihrem Hals, der sich öffnete wie ein zweiter Mund. Ein Schwall von Blut schoss aus der Wunde hervor, so viel, so unglaublich viel Blut, es besudelte ihr weißes Kleid und floss und floss und färbte die ganze Welt rot. Seine Tochter starb, und es gab nichts, was Yarik hätte tun können.
„Vergib mir!“, rief Yarik ihr hilflos hinterher, während sie sich immer weiter von ihm entfernte, „Vergibt mir! Vergib …“
„Was soll ich dir vergeben? Dass du im Stroh bei meinen Schweinen pennst, oder wie?“
Yarik öffnete mühsam die Augen und blinzelte. Über ihm stand breitbeinig ein missmutig dreinschauender Kerl mit einer imposanten Wampe, die Fäuste in die Hüften gestemmt.
„Sieh zu, dass du Land gewinnst! Du stinkst ja schlimmer als die Scheiße, in der du deinen Rausch ausgepennt hast!“, knurrte der Mann. Yarik versuchte etwas zu erwidern, brachte aber nur ein würgendes Husten hervor. Sein Hals kratzte und er hatte einen Geschmack auf der Zunge, als hätte der Fettsack ihm in den Mund geschissen. Also nickte er nur und rappelte sich mühsam auf. Der Dicke machte angewidert einen Schritt zurück, als Yarik schwankend auf die Beine kam.
„Ich seh‘ dich besser nicht nochmal hier, sonst kannst du deine Zähne einzeln vom Boden aufsammeln, hast du mich verstanden?“ Wie um ihrem Besitzer zuzustimmen, quiekte die Sau, in deren Gehege Yarik die Nacht verbracht hatte. Ein gutes Tier, registrierte er abwesend, gesund und wohlgenährt, wahrscheinlich hervorragend für die Zucht geeignet… Aber was zur Hölle kümmerte ihn das? Es war nicht seine Sau, und er hatte bereits alle Hände voll damit zu tun, auf den Füßen zu bleiben. Die ganze Welt schien zu schwanken wie die Planken eines Schiffes mitten in einem Orkan. Yarik ignorierte, was auch immer der dicke Schweinebesitzer ihm noch hinterherrief, und konzentrierte sich darauf, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, während er durch die enge Gasse davontaumelte. Sein Kopf dröhnte und er hatte keine Ahnung, wo er sich befand. Die Erinnerungen an die vergangene Nacht waren kaum mehr als verschwommene Bruchstücke. Er hatte noch ein wenig Geld übrig gehabt von der Arbeit am Kai, nicht viel, aber genug für etwas Bier und Wein in dieser schäbigen Hafenspelunke, wie hieß sie doch gleich? Irgendwas mit Klabustermann, oder so…
Seufzend lehnte sich Yarik an eine Hauswand und zog seinen Geldbeutel hervor. Er fühlte sich leicht an, sehr leicht… Ein einziges Kupferstück fiel auf seine Handfläche. Scheiße. Das reichte nicht einmal für einen trockenen Laib Brot! Yarik schloss die Augen und atmete tief durch. Er brauchte Geld, also musste er sich irgendwo Arbeit suchen, aber dafür musste er zumindest halbwegs nüchtern erscheinen. Er sah sich um und entdeckte eine Regentonne neben einer der windschiefen Holzhütten, die die Gasse säumten. Das Wetter der letzten Tage war recht nass gewesen, und so war die Tonne bis zum Anschlag mit Wasser gefüllt. Yarik verzog die rissigen Lippen zu einem sarkastischen Grinsen – man könnte fast meinen, dass er mal Glück hatte…
Ein Schwall kaltes Wasser ins Gesicht half ihm dabei, wieder ein wenig klarer im Kopf zu werden. Die Gegend, in der er sich befand, kam ihm nicht bekannt vor, aber das war nicht weiter verwunderlich. Er zog nun schon seit mehreren Jahren heimat- und ziellos durchs Land, blieb selten länger als zwei oder drei Nächte an einem Ort, und vor wenigen Tagen erst hatte er Myrtana den Rücken gekehrt und auf einem Handelsschiff angeheuert, das ihn auf die Insel Argaan gebracht hatte, nach Thorniara. Das Juwel Argaans… und eine Stadt wie jede andere auch: Kratzte man ein wenig an der schillernden Oberfläche, fand man darunter nur Fäulnis, Armut und Verzweiflung. Einen kurzen Moment lang dachte Yarik zurück an seinen alten Bauernhof – fernab des stinkenden Morasts der großen Städte, wo er ein einfaches, aber ehrliches Leben hatte führen können. Bis…
Er fuhr herum. Dort, zwischen den beiden Hütten – hatte dort nicht eben eine schemenhafte Gestalt gestanden? Yarik kniff die Augen zusammen, konnte aber niemanden sehen. Natürlich nicht. Trotzdem war er sich sicher, dass er sich nicht getäuscht hatte. Sie zeigten sich nie direkt, außer in seinen Träumen. Aber sie waren immer in seiner Nähe. Er versuchte, die Entfernung bis zu dem Hohlweg abzuschätzen, aus dem die Gestalt ihn beobachtet hatte. Kamen sie näher?
Wie viel Zeit hatte er noch?
Er klammerte sich am Rand des Regenfasses fest und ließ erschöpft den Kopf hängen. Früher hatte er in solchen Momenten geflucht, auf sich selbst, auf die Götter, auf das Schicksal – aber dafür fehlte ihm längst die Kraft. Dumpfe Resignation war alles, was noch übrig war. Eines Tages würden sie sich nicht mehr im Schatten vor ihm verstecken. Eines Tages, da war er sich sicher, würden sie aus dem Dunkel hervortreten. Und was sie dann mit ihm tun würden, um ihn für seine Sünden büßen zu lassen, das wusste nur Beliar allein…
Bis dahin blieb ihm nur, weiterzugehen. Seufzend richtete Yarik sich auf und raffte seinen schmutzigen Mantel enger um seine Schultern. Er brauchte etwas zu Essen. Er brauchte Geld. Er brauchte Arbeit.
Yarik blinzelte in die Sonne und machte sich mit schlurfenden Schritten auf den Weg ins Hafenviertel.
Geändert von Yarik (27.05.2023 um 23:58 Uhr)
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Yarik irrte eine Weile durch das Labyrinth an windschiefen Hütten, schmutzigen Hinterhöfen und halb verfallenen Lagerhäusern, bis die Gasse sich endlich zum Hafen hin öffnete. Eine frische Brise wehte ihm ins Gesicht, die den salzigen Geschmack des Meeres mit sich brachte. Er hielt kurz inne und nahm ein paar tiefe Atemzüge, um den Restalkohol aus seinem Kopf zu bekommen. Langsam fühlte er sich besser; er hatte zwar noch immer pochende Kopfschmerzen und das Licht der Sonne stach in seinen Augen, aber das war er mittlerweile gewohnt – kaum ein Tag, der nicht auf diese Weise begann.
Ohne Eile schlenderte Yarik das Kai entlang und ließ seinen Blick über das geschäftige Treiben streifen. Er hatte mittlerweile genug Erfahrung während seiner Zeit als vagabundierender Tagelöhner gesammelt, um Arbeitsgelegenheiten zu erkennen, wenn sie sich boten. Aber heute schien er kein Glück zu haben; es lagen nur wenige Schiffe vor Anker, und die Be- und Entladetätigkeiten waren entweder schon abgeschlossen, oder noch nicht aufgenommen worden. Auch die Händler hatten ihre Stände bereits aufgerichtet und warteten nur noch gelangweilt auf Kundschaft.
Schließlich entdeckte er eine Gruppe von Hafenarbeitern, die genauso arbeitslos wie er selbst im Schatten eines Lagerhauses herumlungerten und eine Flasche kreisen ließen, die vermutlich kein Wasser enthielt. Es waren junge Burschen, braungebrannt mit breiten Schultern und muskulösen Armen; Yarik glaubte, das eine oder andere Gesicht wiederzuerkennen, war sich aber nicht sicher. In seiner Erinnerung ging vieles durcheinander und meist war er zu sehr mit seinen eigenen düsteren Gedanken beschäftigt, um sonderlich auf seine Mitmenschen zu achten. Trotzdem beschloss er, sein Glück zu versuchen und die Burschen zu fragen, ob sie wüssten, wann es wieder etwas zu tun gäbe.
Als er auf sie zuging, warf ihm einer der Arbeiter einen Blick zu und zog dann die Augenbrauen zusammen. Er nahm einen tiefen Zug aus der Flasche und reichte sie einem seiner Kollegen weiter, während er sich Yarik zuwandte und demonstrativ die Arme vor der breiten Brust verschränkte.
„Sieh an, wen haben wir denn da?“, tönte der Bursche. Yarik blieb verwirrt stehen und musterte den jungen Mann von oben bis unten. Er hatte ein kantiges Gesicht und wildes, braunes Haar, seine Nase war krumm, als wäre sie bereits mindestens einmal gebrochen gewesen. Seine dünnen Lippen waren zu einem herausfordernden Lächeln verzogen.
„Wenn das nicht der alte Penner von der Roten Kuh ist! Was bei Adanos‘ Eiern willst du schon wieder hier?“
Yarik überlegte, ob er mit dem Burschen in der Vergangenheit aneinandergeraten war, konnte sich aber an keinen Vorfall erinnern. Sicher, das musste nicht zwingend etwas heißen, ihm fehlten oft genug zahlreiche Abendstunden in seiner Erinnerung, und wenn er tief genug ins Glas geschaut hatte, konnte er selbst durchaus auch mal handgreiflich werden, aber dennoch… Er erkannte sein Gegenüber zwar als einen der Männer, mit denen er vor zwei Tagen zusammen die Ladung eines Handelsschiffes, der Roten Kuh, an Land gebracht hatte, aber mehr auch nicht. Er hatte während der Arbeit und auch danach kein Wort mit ihm gewechselt. Warum also diese Aggression? Yarik beschloss, sich nicht darauf einzulassen und zuckte nur mit den Schultern.
„Ich suche Arbeit“, erklärte er ruhig. Sein Gegenüber grinste gehässig.
„Oh, und da sind wir natürlich deine erste Anlaufstelle, weil wir ja ganz offensichtlich Kapitäne großer Schiffe sind und dir einen Batzen Gold fürs Kisten schleppen zahlen, ja?“
Der Bursche lachte und drehte sich um Zustimmung heischend zu seinen Kameraden um, die pflichtgemäß in sein Gelächter mit einstimmten.
„Nein, ich dachte nur, ihr wüsstet vielleicht, wann das nächste Schiff anlegt oder beladen werden muss. Wir haben schließlich schon einmal zusammenge–“
„Einen Scheiß haben wir!“, unterbrach ihn der Bursche, sein Grinsen wie weggeblasen. Er machte einen Schritt auf Yarik zu und ließ die Arme zur Seite herabhängen, wobei er bedrohlich die Fäuste ballte. „Glaubst du, wir brauchen Typen wie dich hier am Hafen, hä? Nach Scheiße stinkende alte Landstreicher, die glauben, sie könnten uns unsere Arbeit streitig machen? Uns um unseren Lohn bringen? Wenn die Kapitäne anfangen, Arschlöcher wie dich anzuheuern, um ihre Waren abzuladen, was glaubst du wohl, werden sie noch zahlen wollen? Hä?“
Der Bursche hatte sich vor Yarik aufgebaut und stieß mit seinem stämmigen Zeigefinger nachdrücklich auf das Brustbein des Vagabunden. Yarik war ein großer Mann und überragte sein Gegenüber um ein paar Fingerbreit, so dass der Bursche den Kopf in den Nacken legen musste, um ihm in die Augen zu sehen, aber das machte ihn nicht weniger gefährlich. Er war in seinen besten Jahren und strotzte vor Kraft – Yarik wusste, dass er ihm körperlich unterlegen war. Er hatte nur zwei Möglichkeiten: Den Schwanz einziehen, oder zuschlagen, bevor es der andere erwartete und so den Kampf für sich entscheiden.
Er entschied sich für letzteres.
Yarik war nicht unerfahren, wenn es um Prügeleien ging. Wenn man sein Dasein als Landstreicher und Tagelöhner fristen musste, gehörten solche Auseinandersetzungen zum Alltag. Es war ein guter Schwinger, schnell und wohlgezielt auf das Kinn des Burschen, um ihn mit dem ersten und einzigen Hieb des Kampfes zu Boden zu schicken…
Und er war zu langsam.
Der Bursche reagierte mit den geschulten Reflexen eines Raufbolds und riss den Arm zur Deckung hoch. Yariks Hieb prallte wirkungslos von dem stahlharten Bizeps seines Gegners ab. Zeit für einen zweiten Schlag hatte er nicht. Eine Faust wie ein Vorschlaghammer landete in seiner Magengrube und presste ihm augenblicklich sämtliche Luft aus den Lungen, gefolgt von einer harten Linken gegen seine Schläfe, die eine ganze Galaxie vor seinen Augen explodieren ließ. Er strauchelte und ging zu Boden. Das Gelächter der Burschen nahm Yarik nur noch wie durch einen Schleier wahr. Er spürte irgendwo am Rande, dass sie ihm noch ein paar halbherzige Tritte versetzten, bevor alles schwarz wurde und er in die Bewusstlosigkeit abdriftete.
Geändert von Yarik (22.05.2023 um 23:15 Uhr)
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»He, es ist genug«, rief eine in die Farben des Ordens gekleidete Frau.
»Verschwindet, ehe euch die Stadtwache wegen Ruhestörung festnimmt«
Dabei gehörte sie selbst mehr oder weniger dazu. Wohl eher weniger. Zum einen, weil sie dem militärischen Zweig des Ordens beigetreten war und nicht der Miliz, die eher Polizeiaufgaben wahrnahm. Und zum anderen, weil sie noch nicht einmal in der Soldrolle des Ordens verzeichnet war nach all den Jahren, die vergangen waren, seitdem sie aktiven Dienst erfüllt hatte. Ihr Streitross Zephir war einkassiert und aufs Festland verbracht worden und ihr Sold war wegen Inaktivität schon vor langer Zeit gestrichen worden. Ihre persönlichen Probleme mit dem, was ihr Esteban bei ihrer seltsamen Begegnung vor einiger Zeit so nebenbei erzählt hatte, kamen noch oben drauf.
»Wenigstens hatten sie meine Rüstung noch in ihren Kammern«, murmelte Nienor zu sich selbst und beigte sich dann herunter zu dem Verletzten.
Er hatte ein paar Treffer einstecken müssen, das war deutlich zu sehen, aber ihn hatte wohl auch entweder der Alkohol oder das Leben auf der Straße gefällt. Vielleicht auch beides.
»He, Fremder!«
Nienor rüttelte an der Schulter des Darniederliegenden. Zumindest war sie nicht bereit, ihn einfach zu ignorieren. Wenn in Thorniara Ordnung herrschen sollte, dann musste man ganz unten anfangen.
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Yariks Augenlider flatterten und er murmelte etwas Unverständliches, während er langsam wieder zu sich kam. Als er endlich die Augen öffnete, schien die ganze Welt um ihn herum Karussell zu fahren. Er konnte kaum mehr als ein paar undeutliche Schemen erkennen und beschloss daher, dass es sich noch nicht lohnte, aufzuwachen. Stattdessen lauschte er lieber dem Schmerzorchester, das in seinem Schädel ein donnerndes Crescendo spielte.
„He, Fremder!“
Jemand rüttelte ihn schon wieder an der Schulter. Yarik grummelte unwirsch und schlug doch wieder die Augen auf. Er wartete ein wenig, bis sich sein Blickfeld klarte. Über sich erkannte er das Gesicht einer Frau, die ihn mit zweifelnd zusammengezogenen Augenbrauen musterte. Yarik biss die Zähne zusammen und rappelte sich in eine sitzende Position auf. Ihm wurde kurz übel, aber er schaffte es, sich zusammenzureißen.
„Danke, alles… alles in Ordnung“, krächzte Yarik und versuchte, tief durchzuatmen. Das war gar nicht so einfach. Durch den Schlag in den Magen, den er hatte einstecken müssen, fühlte es sich noch immer so an, als würde ein eisernes Band um seinen Brustkorb ihm die Lunge zusammenquetschen. Er musterte kurz die Frau, die über ihm stand. Sie trug die Rüstung einer Ordenskriegerin. Er fragte sich, wann er zuletzt einen Ordenskrieger in einem der schlechteren Viertel irgendeiner beliebigen Stadt gesehen hatte, und konnte sich beim besten Willen an keine einzige Gelegenheit erinnern. War das jetzt also ein gutes oder schlechtes Zeichen?
Andererseits, um wie viel beschissener konnte der Tag schon noch werden?
Yarik stemmte sich hoch und kam schwankend auf die Füße. Er befühlte kurz seinen Kiefer, aber es schienen noch alle Zähne da zu sein. Dass er Blut im Mund schmeckte, musste wohl daran liegen, dass er sich auf die Zunge gebissen hatte oder etwas ähnliches.
„Danke nochmal“, wandte er sich an die Kriegerin. Es war sicherlich besser, höflich zu bleiben. Trotzdem war er misstrauisch. Es würde ihn nicht wundern, wenn sie ihm gleich die Arme auf den Rücken drehte und ihn wegen Unruhestiftung einknastete oder sonst etwas in diese Richtung. Es wäre nicht das erste und vermutlich auch nicht das letzte Mal.
„Was verschlägt eine Kriegerin des Ordens in dieses Viertel?“, fragte er schließlich. Es klang mehr resigniert als herausfordernd. „Habt ihr keine Tempel zu bewachen?“
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Nienor betrachtete den Mann. Er war groß und konnte sicher etwas mit seiner Hände Kraft bewegen. Und doch sah er abgerissen aus. Das Haar lang und strähnig, die Kleidung abgerissen. Eine der armen Gestalten, die es in Thorniara zu nichts gebracht hatten. Aber wer schaffte das schon in einer Stadt, die jahrelang im Kriegsgebiet gelegen hatte, in der normale Regeln zu wenig und Skrupellosigkeit zu viel galten. Nun, im Grunde herrschte noch immer Krieg, aber soweit Nienor wusste waren schon seit vielen Jahren keine Schlachten mehr geschlagen worden, keine Angriffe befohlen, keine Gebiete eingenommen. Der Krieg hatte sich einfach festgekrallt an diesem Land, dieser Stadt und den Menschen hier.
»Du siehst aus, als könntest du Arbeit gebrauchen - oder vielmehr den Lohn für Arbeit. Wenn du Interesse hast, melde dich bei Sir Marsilius im Quartier der Stadtwache. Er wird dir auch ein Abendessen geben.«
Sie machte eine Pause und schob sich den Schwertgurt zurecht, während eine Strähne ihres weißen Haares ins Gesicht rutschte.
»Wenn ich's mir recht überlege, kannst du auch für mich arbeiten. Allerdings nicht als Handwerker oder Milizionär. Ich benötige andere Fähigkeiten. Bezahlung garantiert.«
Dann erst ging sie auf seine Frage ein.
»An Tempeln mögen andere Wache stehen. Ich unterstütze im Moment die Miliz bei einigen ... sagen wir, verwickelteren Aufgaben. Und die führen mich in jedes Stadtviertel.
Falls du etwas mit deiner Zunge umgehen kannst, überleg es dir, du kannst heute Abend am Quartier der Stadtwachen nach mir fragen. Mein Name ist Nienor.«
War es leichtsinnig, einen völlig Fremden für diese Aufgabe zu rekrutieren? Wohl nicht, er lag zusammengeschlagen in der Gosse, niemand interessierte sich für ihn, keiner war ihm zu Hilfe gekommen, keine Freunde oder nicht einmal Geschäftspartner waren bei ihm. Entweder, er würde Arbeit benötigen oder eben nicht. Aber er schien auf sich allein gestellt und kein Mitglied irgendeiner der Banden aus dem Hafenviertel. Und sie benötigte ein frisches, unbekanntes Gesicht.
»Wir sehen uns heute Abend!«
Und damit verließ sie ihn und widmete sich weiter ihren Aufgaben in anderen Teilen der Stadt.
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Yarik sah der Ordenskriegerin mit den auffällig weißen Haaren verwundert hinterher, als sie ihn ohne eine Erwiderung abzuwarten stehen ließ und zwischen einigen Verkaufsständen verschwand. Vielleicht hätte er sogar angefangen zu lachen, wenn ihm nicht alles wehgetan hätte – so absurd erschien ihm ihr Vorschlag. Er sollte für die Miliz oder gar den Orden arbeiten? Normalerweise stempelten die Stadtwachen jemanden wie ihn grundsätzlich und ohne zu fragen als Dieb oder Unruhestifter ab – niemand, dem man eine warme Suppe oder gar Arbeit anbot. Wenn diese Nienor also ausgerechnet ihn für irgendeine… Mission anheuern wollte, war das dann wirklich eine Tätigkeit, die er annehmen sollte?
Unschlüssig ließ Yarik seinen Blick über das Kai streifen, das noch immer vergleichsweise ausgestorben dalag. Hier gab es nichts für ihn zu tun. Und selbst wenn heute noch ein Schiff anlegen sollte – auf eine weitere Konfrontation mit den Hafenarbeitern wollte er es lieber nicht ankommen lassen. Wollte er also nicht die Nacht mit leerem Geldbeutel und ebenso leerem Magen verbringen, blieb ihm kaum eine andere Wahl, als Nienors Angebot anzunehmen. Was sollte schon passieren? Schlimmstenfalls starb er. Ende der Geschichte.
Bis zum Abend blieben ihm noch ein paar Stunden. Yarik nutzte die Zeit, indem er sich eine ruhige Ecke in einem aufgegebenen Lagerhaus suchte – ohne Schweine – und sich noch ein wenig erholte. Er schaffte es sogar, ein oder zwei Stunden zu schlafen, bevor die Träume einsetzen und er nur noch wachliegen und grübelnd ins Halbdunkel starren konnte.
Als die Sonne sich schließlich nur noch etwa eine Handbreit über dem Meeresspiegel erhob, machte Yarik sich auf den Weg zum Quartier der Wache. Ein erstuanlich hilfsbereiter Gemüsehändler erklärte ihm, wie er zu der Bastion gelangen konnte – und wenn man erst einmal wusste, welches Gebäude man ansteuern musste, war es ohnehin nicht zu übersehen. Alles andere als einladend erhoben sich die Festungsmauern über die Dächer der Stadt.
Yarik schlang seinen Mantel, den er zuvor noch so gut es eben ging gereinigt hatte, eng um die Schultern, um nicht völlig abgerissen auszusehen, während er zwischen den Häusern der Bürger und Handwerker entlangging (um das Reichenviertel musste er natürlich einen Bogen machen – die arrogant dreinblickenden Milizionäre, die die Zugänge bewachten, hätten ihn in hundert Jahren nicht passieren lassen). Er schritt weit aus und bemühte sich, möglichst zielstrebig zu wirken, damit nicht etwa irgend ein Warenanpreiser oder gar ein gelangweilter Spaziergänger auf die Idee kam, ihn anzuquatschen.
Als Yarik schließlich sein Ziel erreichte, war die Sonne gerade dabei, unterzugehen. Finster und brütend im Abendrot erhob sich der massive Turm der Bastion vor ihm und warf seinen langen, schwarzen Schatten über die Stadt. Das Tor stand offen, aber es wirkte nicht einladend, sondern vielmehr wie ein Schlund, der alles verschlingen würde, was ihm zu nahe kam. Yarik blieb stehen, seine Gedanken schweiften zurück in die Vergangenheit. Er hatte schon einmal vor einer solchen Festung gestanden, vor solch einem Schlund, und der hatte seine Söhne verschlungen. Die Zwillinge hatten kaum siebzehn Sommer gesehen, als der König nach ihrem Dienst verlangte. Für Innos! Für den König!
Für die Freiheit!
Yarik schnaubte verächtlich. Seine Söhne hatten weder Ruhm und Ehre gefunden, noch die Freiheit, nur einen brutalen Tod auf dem Schlachtfeld eines Krieges, der sie nicht betroffen hatte, bevor der König ihren Dienst verlangte. Ob irgend ein König das Land beherrschte oder die Orks, was machte das schon für einen Unterschied? Aussaht und Ernte kümmerte das nicht. Der Platz seiner Jungs wäre auf dem Hof gewesen, auf den Feldern, den Weiden und in den Wäldern, nicht in einem Scharmützel auf irgend einem von allen Göttern verlassenen, völlig unbedeutenden Gebirgspass, dessen Namen er nicht einmal kannte.
Für den König…
Und jetzt war er im Begriff, denselben Schlund zu betreten. Oh, es würde nicht das erste Mal sein, dass er die Festung einer Stadtwache von innen sah – aber es würde das erste Mal sein, dass er dies freiwillig tat. Unwillkürlich sah Yarik sich um. Ihm war, als könnte er die Blicke seiner Jungs in seinem Rücken spüren. War das, was er vorhatte… Verrat? Eine Art Pakt mit den Mördern seiner Söhne?
„Aber sie hat mir geholfen…“, murmelte er, „Ich meine… ich schulde ihr zumindest, dass ich mir anhöre, was sie zu sagen hat, oder?“ Er lauschte und suchte mit seinem Blick forschend die tiefsten Schatten ab, bekam aber keine Antwort. „Oder?“, fragte er noch einmal und wartete. Wieder nichts. Yarik seufzte. Ja, das zumindest schuldete er der Ordenskriegerin. Und schließlich konnte er dann immernoch ablehnen. Wenn das, was auch immer diese Nienor ihm vorschlagen wollte, ihm auch nur im Geringsten komisch vorkommen sollte, würde er ihr sagen, dass sie sich ihren König oder ihren Innos oder was auch immer da hin stecken konnte, wo nicht einmal der Sonnengott persönlich hinleuchtete, und sein Glück lieber wieder mit den verdammten Hafenarbeitern versuchen!
Yarik straffte sich, atmete noch einmal tief durch und trat in den Schlund.
Geändert von Yarik (23.05.2023 um 22:52 Uhr)
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Nienor hatte den Mund kurz zu einem Lächeln verzogen, als ihr gemeldet wurde, dass jemand nach ihr gefragt hatte.
»Na bitte, immerhin ist er erschienen«, sagte sie zu sich selbst und stand auf, die Schüssel mit dem, was die Garnision zum Nachtmal ausschenkte, von sich schiebend. Sie war mittlerweile sowieso leer.
Stattdessen griff sie sich ein Bündel Kleidung, dass ordentlich verschnürt neben ihr lag und ging, um den Mann nicht länger als nötig auf die Folter zu spannen, sondern ihm zu erklären, wofür sie ihn brauchte.
»Da bist du ja, sehr gut.«
Sie nickte ihm zu, er sah noch genauso abgerissen aus wie vor einigen Stunden.
»Du kennst niemanden im Hafen, oder?«
Er schüttelte verwundert den Kopf.
»Das dachte ich mir, du bist nicht aus Thorniara. Also hör zu, hier ist mein Angebot: Es verwundert dich sicher nicht, wenn ich dir sage, dass Häfen auch immer Schmuggel anziehen, sobald jemand den Hafen kontrolliert. Den von Thorniara kontrolliert das Myrtanische Reich. Erhebt Steuern, Zölle und so weiter. Ich will dich nicht mit derartigen Einzelheiten langweilen. Wichtiger sind andere Einzelheiten. Es gibt Grund zur Annahme, dass der Hafenmeister mehr als üblich von dem Strom an Einnahmen, die dem König gehören, abzweigt. Und anders als vielleicht gedacht, zieht der Orden nicht einfach Leute auf Verdacht hin aus dem Verkehr. Wir brauchen also Beweise, ehe wir ihn anklagen und ein Richter ihn verurteilen kann.«
Nienor machte eine kurze Pause, um sicher zu gehen, dass der Mann alles mitbekam.
»Und diese Beweise zu beschaffen, das ist unsere heutige Mission - falls du daran teilnehmen willst. Das ist nicht weiter kompliziert. Ich weiß, dass er heute Besuch von einem Unterhändler der Nebelkrähen bekommt. Die Nebelkrähen sind eine Art lockerer Schmugglerring, der wie die meisten dieser Organisationen arbeitsteilig organisiert ist. Das heißt, es kennt nie jeder jeden und alle haben nur eine bestimmte Aufgabe. Es gibt Träger, Warenverteiler, Leute fürs Grobe - wenn du verstehst, was ich meine - Hehler und Organisatoren. Du wirst der Organisator sein, ich kümmere mich um den echten. Der Hafenmeister kennt weder den echten, noch dich - hoffe ich. Auf Mitglieder der Stadtwache kann ich leider nicht zurückgreifen, die sind ja alle bekannt wie bunte Hunde. Ich brauche also ein unbekanntes Gesicht.
Und hier sind einige Kleidungsstücke, mit denen du etwas glaubhafter aussiehst.«
Sie öffnete das Bündel mit einem Messer und es entfaltete sich ein dünnes Wams, das - obgleich es schon bessere Tage gesehen hatte - noch immer etwas her machte. Und ein langer gewebter Mantel, einfach aber robust.
»Wenn du mitmachen willst, dann wirf das über.
Was deine Aufgabe ist?
Im Namen der Nebelkrähen ein Angebot machen. Warengruppen und Anteile verhandeln. Bei Abzweigung von soundsoviel von demunddem an den Zöllen vorbei die Anteile verhandeln, die die Nebelkrähen dem Hafenmeister zugestehen wollen. Dazu brauchst du ein wenig Verhandlungsgeschick. Oder zumindest darfst du nicht auf den Mund gefallen sein. Ich weiß noch nicht, ob das gegeben ist.«
Sie schaute ihn kritisch an.
»Achja, keine Sorge, das wird eine Unterredung ganz ohne Waffen und Drohungen. Die Nebelkrähen wollen nur ausloten, was möglich sein könnte. Und ich bin sicher, der Hafenmeister wird sie anhören wollen.
Was für doch raus springt? Nun, du kannst die Kleidung behalten. Und ein paar Münzen sind auch noch drin.«
Nienor griff an die Geldkatze, in der einige Geldstücke klimperten.
»Was sagst du?«
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Yarik legte nachdenklich die Stirn in Falten und strich sich mit der Hand durch den struppigen Bart. Er sollte also Ratte spielen. Nicht, dass es ihn überraschte. Er hatte zwar gehofft, es würde sich um irgend eine andere Art von Auftrag handeln, aber… Naja, was hatte er erwartet? Ehrliche Handarbeit etwa?
Der König und diese Nebelkrähen stritten sich um Beute, die ihnen im Grunde beiden nicht gehörte, und er sollte als Soldat in diesen Krieg eintreten, der ihn nichts anging – Geld hin oder her. Er wollte gerade schon ablehnen, als sein Magen ein vernehmliches Knurren von sich gab. Unwillkürlich presste er die Hand auf den Bauch und biss die Zähne zusammen. Ihm war mittlerweile schon schlecht vor Hunger. Wann hatte er zuletzt etwas halbwegs anständiges zu Beißen bekommen? War das jetzt zwei Tage her? Oder sogar schon drei? Sein Blick wanderte zu der leeren Schüssel, die auf dem Tisch vor Nienor stand und deren Ränder von der reichhaltigen Suppe, die sie enthalten hatte, noch vor Fett glänzten. Verflucht…
„Also gut…“, knurrte Yarik leise. Nienor sah ihn noch immer erwartungsvoll an. „Also gut!“, wiederholte er lauter, „Ich tue es. Unter einer Bedingung: Etwas zu Essen… Jetzt!“
Nienor lehnte sich lächelnd zurück und schickte mit einer knappen Anweisung einen der Milizsoldaten los, um eine Portion Eintopf zu organisieren.
Sie hatten eine Abmachung.
Als ihm die Schüssel mit dem dampfenden Eintopf und ein anständiger Kanten Brot dazu gereicht wurden, machte Yarik sich gar nicht erst die Mühe, den Löffel zu benutzen, sondern schlürfte die heiße, fettige Flüssigkeit einfach direkt aus der Schüssel. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte er Wert auf Manieren gelegt – man musste kein Adeliger sein, der sich den Arsch mit Seide abwischte, um gewisse Sitten zu pflegen –, aber der bohrende Hunger sorgte dafür, dass ihm all das für den Moment vollkommen egal war. Hauptsache, er konnte dieses Loch in seinen Eingeweiden mit etwas füllen!
Als er schließlich den Eintopf geradezu in sich hineingeschüttet und auch die letzten Reste der Brühe mit Hilfe des Brotes vom Boden der Schüssel gesogen hatte, lehnte er sich zurück und sah wieder zu Nienor. Er war sich nicht ganz sicher, ob sie ihn angewidert, belustigt, oder vielleicht sogar mitleidig beobachtete. Ihr Gesichtsausdruck war schwer zu deuten.
„Ich will ehrlich sein“, hob er schließlich an, „Es gefällt mir nicht, Eure kleine Ratte zu sein. Aber wie irgend so ein Gelehrter wohl mal gesagt hat: ‚Erst kommt das Fressen, dann die Moral‘, richtig?“
Beinahe schuldbewusst schaute er auf die leere Schüssel in seinen Händen und schob sie dann auf den Tisch, möglicht weit weg, als könnte er mit dieser Geste die Schuld selbst von sich schieben. Er hatte sich bestechen lassen, oder nicht? Er hatte das Versprechen über Bord geworfen, das er noch vor wenigen Minuten sich selbst und seinen seinen beiden toten Söhnen gegeben hatte – nicht für die Kleidung, die Nienor ihm angeboten hatte, nicht für das Geld – sondern für eine verdammte Schüssel Eintopf…
„Es gefällt mir nicht“, wiederholte er resigniert, „Aber ich habe Euch mein Wort gegeben, und daran halte ich mich. Versteht mich nicht falsch, ich hege keinerlei Sympathie für Typen wie diese… diese Nebelkrähen – ich habe auf meinen Wanderungen genug Schmugglerringe, selbsternannte Diebesgilden und ähnliches Gesindel kennen gelernt. Allesamt nichts als gierige Halsabschneider, die ehrliche Menschen um den Lohn ihrer Arbeit bringen“, …genau wie euer König mit seinen Abgaben und Zöllen, fügte er in Gedanken an, sprach es aber nicht aus. „Es ist nur, ich hätte… nun… ehrlichere Arbeit bevorzugt.“
Yarik schüttelte kurz den Kopf und hob entschuldigend die Hände. Was quatschte er da herum? Als ob sich eine wie Nienor für seine Ideen von Moral und ehrlicher Arbeit interessieren würde! Sie brauchte eine Ratte. Und er würde ihre Ratte sein. Ende der Geschichte.
Er räusperte sich: „Entschuldigt, ich sollte… Ich hätte ein paar Fragen. Zum Ablauf. Erstens, woran soll der Hafenmeister erkennen, dass ich der Unterhändler der Nebelkrähen bin? Ich glaube kaum, dass ich einfach hereinspazieren und behaupten kann, ich sei der Bote der Schmuggler. Diese Leute haben meistens Erkennungszeichen… Symbole… geheime Losungen? Und zweitens, von welcher Art von Waren reden wir hier? Ich war einst Bauer, kein Händler. Ich kenne vielleicht die Preise von Schweinen, Kühen und Weizen, aber viel mehr auch nicht. Ich brauche eine gewisse Orientierung, sonst unterbreite ich aus versehen irgendwelche völlig bescheuerten Angebote und die ganze Geschichte fliegt auf.“
Yarik nickte bedächtig, mehr zu sich selbst, während er überlegte, ob er noch etwas vergessen hatte.
„Oh, eines noch“, fügte er schließlich an, „Mein Name ist Yarik.“ Er zuckte mit den Schultern: „Nur für den Fall, dass ihr ein Grab markieren müsst.“
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»Schön, dich kennenzulernen, Yarik«, erwiderte Nienor mit einem knappen Lächeln.
»Falls du noch Hunger hast, lässt sich sicher noch eine weitere Schüssel auftreiben.«
Dann wurde sie wieder ernst.
»Du stellst gute Fragen«, stellte die Kriegerin fest.
»Keine Sorge, du bist kein entbehrlicher Idiot, sondern nimmst eine wichtige Rolle ein. Die Gefahr eines Waffengangs ist auch gering und im Fall der Fälle kannst du dich auf mich verlassen. Ich lasse niemanden zurück«, stellte Nienor zuerst klar.
»Zu deinen Fragen:«, fuhr sie dann direkt fort.
»Hafenmeister Sankar hatte bisher noch keinen direkten Kontakt mit den Nebelkrähen.«
Die Informationen liefen über Briefe. Durch das zufällige Abfangen solcher Briefe war der Orden überhaupt erst auf Sankars Treiben aufmerksam geworden.
»Aber du hast Recht, es gibt ein Erkennungszeichen. Das Erkennungszeichen der Nebelkrähen wird mit Sicherheit der echte Kontaktmann mit sich tragen. Ich werde es ihm abnehmen, nachdem ich ihn unschädlich gemacht habe. Du kannst dich damit ausweisen. Wahrscheinlich eine Art Brief mit Siegel.«
Die Kriegerin blies sich eine Strähne ihres Haares aus dem Gesicht.
»Die Waren ... das lässt sich leicht eingrenzen. Edelmetalle wie Gold aus Varant, Magisches Erz aus Nordmar - aus Khorinis kommt ja nichts mehr. Edelsteine, Elfenbein und Stoffe wie Brokat, Seide, Damast. Besondere Schnitzereien, Kunstwerke ... Gemälde, Statuetten, Bronzeguss ... Also alles, was teuer ist und bei möglichst geringem Gewicht viel Gewinn verspricht. Sich also leicht transportieren und schnell verstecken lässt. Gerne auch mal einen Innosaltar oder ein paar goldene Kerzenleuchter aus irgendeinem Tempel. Mit normalem Handelsgut wie Getreide, Holz, Baustoffe, Wolle oder Fisch geben die sich nicht ab.«
Sie beugte sich vor, näher zu Yarik.
»Und mach dir nicht zu viele Gedanken um Moral. Die Nebelkrähen sind einfach nur ein Haufen Verbrecher - und nicht der Schlimmste. Daher ist die Gefahr für dich recht gering. Sie haben keine gut ausgestatteten Schlägertrupps wie andere Bruderschaften, die gar nicht mehr auf Bestechungen von Beamten angeweisen sind. Es gibt ganz andere Vereinigungen, die zum Beispiel auf lebende Waren setzen, diese direkt auf See umladen, um keinen Hafen zu benötigen und mit ihren Geschäften ganz andere Profite erzielen. Mit denen sind dann auch schlagkräftige kleine Privatarmeen möglich, denen niemand in die Quere kommen sollte, falls er nicht einen Zug Ordensritter in der Hinterhand hat. Die Nebelkrähen hingegen stehen ganz unten in der Hackordnung und wollen weiter aufsteigen. Daher strecken sie ihre gierigen Finger in alle Richtungen aus.«
Sie machte eine Pause und dachte kurz nach.
»Die Arbeit ist so ehrlich wie jede andere auch für den Orden. Wir versuchen hier Recht und Gesetz durchzusetzen. Und wenn es weniger Korruption gibt, bleibt mehr übrig, was in die Stadt zurück fließt.
Aber ja«, stimmt sie ihm dann zu, »als Bauer hat man derzeit auf Argaan einen schlechten Stand. Der Krieg hat zuerst die Höfe vor den Toren der Stadt verheert und alle Bauern vertrieben, sofern sie nicht getötet wurden. Rund um Stewark soll es noch ein paar Höfe geben. Aber dort herrschen Ethorns Gefolgsleute. Wenn du mich fragst, ist dieser König es nicht wert, ihm zu folgen. Er ist nur ein schwacher Schatten dessen, was die Argaanischen Könige einst waren. Und er hat das Reich verloren. Halb Argaan ist verwüstet, er hat weder eine große Armee und auch keine Flotte mehr. Argaans Reichtum ist vergangen und die anderen Inseln scheren sich nicht mehr darum, was dieser Ethorn aus Stewark von seinem Marionettenthron herab befiehlt. Aber egal, heute geht es nur um den Hafenmeister von Thorniara. Den Krieg werden wir beide hier nicht beenden.«
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Das Angebot einer zweiten Portion lehnte Yarik ab – nicht, weil er keinen Hunger mehr gehabt hätte, sondern weil er sich insgeheim noch immer dafür schämte, diesen Auftrag für eine Schüssel Eintopf angenommen zu haben. Man konnte es drehen und wenden, wie man wollte – er hatte sich als Söldner in einem Krieg verpflichten lassen. Noch dazu in einem Krieg, der sicherlich vermeidbar gewesen wäre, wenn die großen Herren Könige nicht in erster Linie darauf bedacht wären, ihre Kriege zu führen. Der Krieg brachte grundsätzlich das Schlechteste im Menschen zum Vorschein. Wenn die Armeen der Könige das Land verwüsteten, dann brauchte man nicht lange warten, bis in ihrem Gefolge Banditentum und Korruption aufblühten. Und egal wer am Ende den großen Krieg gewann, die eigentlichen Verlierer würden immer die einfachen Leute sein. Die Bauern, die Handwerker, die kleinen Händler… Leute wie er, auf deren Hände Arbeit das wahre Fundament eines jeden Reiches ruhte, mochte es auch die ganze Welt umspannen! Und er würde nun dabei helfen, den Dreck wegzuräumen, für den im Grunde der König selbst verantwortlich war. Damit die Schatzkammern des Königs gefüllt wurden. Gefüllt für den nächsten Krieg. Denn das schien alles zu sein, was diese Herrscher überhaupt nur im Sinn hatten – Krieg und noch mehr Krieg. Nienor hatte sicher Recht damit, dass dieser Ethorn kein König war, der es wert wäre, ihm zu folgen. Yarik allerdings fiel kein einziger König ein, auf den das nicht zutraf…
Er ließ sich seine Gedanken jedoch nicht anmerken, während er Nienors Ausführungen lauschte. Jetzt war nicht der Zeitpunkt, über Politik zu philosophieren. Er hatte seine Entscheidung getroffen, als er diesen Eintopf angenommen hatte, und musste jetzt damit leben. Besser, er konzentrierte sich auf das Hier und Jetzt und brachte es hinter sich. Und, so versuchte er sich zu überzeugen, einer Bande von Halsabschneidern das Handwerk zu legen, war für sich genommen durchaus eine ehrliche Arbeit. Selbst wenn sie im Auftrag des Königs erfolgte.
Yarik wartete, bis Nienor mit ihren Erläuterungen am Ende war, und überlegte, ob es noch etwas zu besprechen gäbe. Ihm fielen allerdings keine weiteren Fragen ein – er würde es einfach auf sich zukommen lassen und hoffen müssen, dass alles gut ging.
„Gut, ich verstehe“, meinte er schließlich und nahm die saubere Kleidung an sich, die Nienor ihm angeboten hatte, „Nennt mir einfach Zeit und Ort, wo wir uns treffen sollen – ich werde dort sein. Und dann sei–“, er zögerte einen Moment, es auszusprechen: „Dann sei Innos mit uns.“
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Nienor stand auf. Im Fackelschein des Raumes glänzte ihre Rüstung kurz auf, ebenso die Schwertscheide an ihrem Gürtel.
»Folge mir einfach, Yarik«
Sie nahm ihren Langbogen, der am Tisch gelehnt hatte und verstaute ihn am Rücken, ebenso einen Köcher mit Pfeilen. Vielleicht nicht die nützlichste Waffe in den engen Gassen rund um den Hafen, aber sie konnte nie wissen ...
»Es geht jetzt los.«
Sie griff sich noch eine einfache Keule aus einem Waffenregal.
»Wir gehen zum Hafen, Sankar erwartet den Unterhändler heute Nacht.«
Und so geschah es. Nienor schritt voran, sie brachten die Straßen und Gassen der Stadt schnell hinter sich, um diese Zeit war alles wie ausgestorben, nicht einmal Stadtwachen begegneten ihnen. Vermutlich saßen die auch lieber in irgendwelchen windgeschützten Ecken an einem Feuer und ließen den Branntwein kreisen.
Sie erreichten den Hafen.
»Hier warten wir. Der Bote muss aus dieser Richtung kommen. Ich werde ihn aufhalten, sobald er in Sichtweite ist«, erklärte sie.
»Danach gehst du mit dem Erkennungszeichen dorthin ins Haus des Hafenmeisters.«
Sie zeigte auf ein recht ansehnliches Gebäude mit zwei Stockwerken, das untere aus Stein gebaut. Im oberen brannte hinter einem Fenster noch Licht, vermutlich eine Öllampe.
Beide verblieben im schwarzen Schatten eines Lagerhauses, während Wolken über den Himmel zogen und irgendwann den Mond bedeckten, so dass die Nacht noch etwas dunkler wurde. Nienor hoffte, sich auf Yarik verlassen zu können. Immerhin hatte sie ihn für die einfachste ihrer offenen Missionen ausgewählt. Für alles andere, was sie an der Anschlagtafel im Hauptquartier gesehen hatte, hätte sie kampferfahrene Leute, denen sie vertrauen konnte, benötigt.
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Yarik rieb sich nachdenklich das Kinn, während er den reglos auf dem Boden liegenden Boten betrachtete. Zumindest hoffte er, dass es wirklich der Bote war. Als der Bursche nichtsahnend die Straße entlanggeschlurft kam, hatte Nienor ihm aus ihrem Versteck im Schatten heraus ohne zu zögern eine übergebraten. Es hatte ziemlich hohl geklungen, als ihr Holzknüppel mit seinem Hinterkopf kollidiert war, und er war einfach zusammengeklappt wie eine Marionette, der man die Schnüre gekappt hatte. Der Kerl war ein ziemlicher Hänfling und wahrscheinlich noch Grün hinter den Ohren; Yarik wunderte sich, wieso die Nebelkrähen so einen Jungspund zu ihrem Unterhändler machen sollten. Entweder war er ein Naturtalent, was sein Verhandlungsgeschick betraf, oder die Krähen hatten einfach keine besseren Leute – dann würden sie aber lange darauf warten können, in der Argaaner Unterwelt aufzusteigen… Oder natürlich, er war ein völlig unbescholtener Bürger, der jetzt ohne Grund mit gewaltigen Kopfschmerzen aufwachen würde.
„Ah, da ist er ja!“, rief Nienor zufrieden. Sie hatte den Bewusstlosen mit geübten Handgriffen durchsucht und hielt jetzt den Brief hoch, der ihn tatsächlich als den Boten der Nebelkrähen auswies. Yarik atmete erleichtert auf und nahm das zusammengefaltete Pergamentstück entgegen. Ein dunkles Wachssiegel mit dem Emblem eines Vogelkopfes haftete darauf – eigentlich eine erstaunlich unsubtile Methode für ein geheimes Erkennungsmerkmal…
„Du weißt, was du zu tun hast“, stellte Nienor fest, während sie dem Burschen die Hände auf den Rücken fesselte.
„Natürlich“, bestätigte Yarik.
Sie hob kurz den Kopf und sah ihn mit erwartungsvoll hochgezogenen Augenbrauen an: „Worauf wartest du dann noch?“
Die Kriegerin und ihren Gefangenen in der engen, schlecht einsehbaren Gasse zurücklassend, machte sich Yarik auf den Weg zum Haus des Hafenmeisters. Den Brief mit dem Siegel der Nebelkrähen wechselte er nervös von einer Hand in die andere. Er konnte nur hoffen, dass Nienors Plan aufgehen und dieses Schriftstück ausreichen würde, um den Hafenmeister zu täuschen – falls dieser den Boten doch bereits persönlich kennen sollte, selbst wenn er ihn nur flüchtig gesehen hatte, bestand keine Chance, dass er ihn jemals mit Yarik verwechseln würde.
Die Tür zur Hafenmeisterei war nur angelehnt und Yarik betrat das Gebäude. Das Erdgeschoss lag dunkel und verlassen vor ihm, nur eine in ihren letzten Zügen liegende Öllampe, die in einer Halterung an der Wand hing, wies ihm den Weg zur Treppe, die nach oben führte. Bedächtig stieg er die knarrenden Stufen hoch und gelangte in einen Flur, von dem links und rechts Türen abgingen. Es war jedoch sofort ersichtlich, dass die einzige Tür, die ihn interessieren musste, diejenige am Ende des Flurs war: Ein Wachposten in der Uniform der Miliz stand davor und unter dem Türspalt drang Licht hervor.
Yarik strich unwillkürlich noch einmal sein neues Gewand glatt – bevor sie aufgebrochen waren, hatte er in der Bastion der Stadtwache noch die Zeit gehabt, sich umzuziehen und sich das Gesicht zu waschen, so dass er zumindest halbwegs zivilisiert aussah – und schritt dann zielstrebig auf den Wachposten zu. Der Wachmann war ein Hüne; als Yarik vor ihm stand, merkte er erst, was für ein Hüne – er war fast einen Kopf größer als er selbst, seine Schultern waren so breit, dass Yarik sich fragte, ob der Kerl sich seitlich drehen musste, wenn er durch eine Tür gehen wollte. Das Schwert, das an seinem Gürtel hing, war groß genug, dass es für so manch anderen wohl als Zweihänder hätte durchgehen können. Er hatte eine Glatze und ein breites, kantiges Gesicht mit kleinen, stechenden Augen, mit denen er Yarik eindringlich musterte; quer über seine deformierte Nase zog sich eine lange, wulstige Narbe. Yarik schluckte nervös. Wenn dieser Kerl auch nur den geringsten Verdacht schöpfen sollte, war er tot – und es gab nichts, was er oder auch Nienor dagegen tun könnten. Jetzt kam alles darauf an, dass er überzeugend auftrat.
„Ich werde erwartet“, verkündete er.
Der Posten bewegte sich keinen Millimeter. Er schien Yarik mit seinem Blick durchbohren zu wollen, machte sonst aber keinerlei Anstalten, den Weg freizugeben oder überhaupt irgendwie zu reagieren.
Nach ein paar Sekunden unangenehmen Schweigens räusperte sich Yarik und wiederholte: „Ich… werde erwartet! Das ist doch das Büro des Hafenmeisters, oder etwa nicht?“
Keine Reaktion.
Yarik überlegte fieberhaft. Am liebsten wäre er einfach umgedreht, aber irgendwie hatte er das Gefühl, dass er keine drei Schritte weit kommen würde, wenn er dem Riesen jetzt den Rücken zuwandte. Und gegen das, was dieser Kerl mit ihm anstellen würde, würden sich die Prügel durch den Hafenarbeiter heute Morgen anfühlen wie Streicheleinheiten! Ihm blieb nur noch, alles auf eine Karte zu setzen: Er zog den Brief hervor und hielt ihn dem Wachmann unter die Nase, so dass er das Siegel erkennen konnte: „Ich sagte doch, ich werde erwartet!“
Einige Sekunden lang, die Yarik wie Jahre vorkamen, schien es, als würde der Hüne weiterhin nichts tun wollen, als unverrückbar wie ein Gebirgsmassiv vor ihm aufzuragen. Dann, endlich, machte er einen Schritt zur Seite und öffnete die Tür, um den Besucher einzulassen. Yarik atmete erleichtert auf, wobei er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Das Herz schlug ihm jetzt schon bis zu Hals… was hatte er sich nur dabei gedacht, diesen Auftrag anzunehmen?
Das Büro des Hafenmeisters war nicht, was Yarik erwartet hatte; ebenso wenig wie der Hafenmeister selbst. In seiner Vorstellung war Hafenmeister Sankar ein dekadenter, verfetteter Möchtegern-Adeliger gewesen, der in unverdient angehäuftem Reichtum schwelgte und ein Luxusleben auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung führte. Der Mann jedoch, der dort im spärlichen Licht einer Öllampe an einem einfachen, fast schon primitiven Schreibtisch saß und über einem Stapel Pergamente brütete, strahlte nichts als Disziplin und Bescheidenheit aus. Er verzichtete auf jeglichen zusätzlichen Dekor an seiner Amtstracht, ebenso wie das Büro rein praktisch eingerichtet war – Regale, in denen sich Bücher und Akten in fein säuberlich beschrifteten Fächern stapelten, ein großer Abakus, eine Waage mit Gewichten und einige Kisten waren neben dem Schreibtisch in der Mitte die einzigen Einrichtungsgegenstände.
„Du bist spät“, stellte Sankar fest, ohne aufzublicken. Er nahm eine Feder zur Hand, tauchte sie in das Tintenfass zu seiner Rechten und setzte mit sorgsamen Strichen seine Unterschrift unter das Dokument, das er gerade gelesen hatte.
„Ich wurde–“, setzte Yarik an, unterbrach sich aber. Er verkörperte den Boten einer Verbrecherorganisation, und eine solche Organisation konnte es sich nicht leisten, Schwäche zu zeigen, vor allem dann nicht, wenn sie tatsächlich schwach war – wollte er sich also wirklich rechtfertigen? „Ich bin keiner deiner Lakaien oder irgend so ein Bittsteller“, sagte er stattdessen und versuchte, möglichst kalt und verächtlich zu klingen.
Sankar hob kurz den Kopf. Er hatte silbergraues Haar und einen weißen, sorgsam gestutzten Bart. Auf seiner Nase klemmte eine kupferne Brille, über deren Ränder er hinwegsah, um Yarik einen abschätzigen Blick zuzuwerfen.
„Ist das so?“, fragte er und nahm ein neues Dokument zur Hand.
„Wenn du das anders siehst – dann wünsche ich dir viel Glück bei deinen Geschäften. Wir werden unseren Schnitt schon machen, mit oder ohne deine Beteiligung. Es liegt an dir, ob du als Teilhaber dabei sein willst – oder als Zuschauer.“
Sankar hielt kurz inne und Yarik fragte sich, ob er jetzt nicht zu hoch gepokert hatte. Dann fing der Hafenmeister leise an zu lachen. Nicht gerade die Reaktion, auf die Yarik gehofft hatte…
„Machen wir uns doch nichts vor“, sagte Sankar schließlich. Immerhin legte er jetzt das Dokument zur Seite, nahm die Brille von der Nase und schenkte Yarik seine volle Aufmerksamkeit, „Ihr seid Bittsteller. Denkt ihr vielleicht, ich wüsste nicht, wie euer trauriger kleiner Verein seit Jahren versucht, hier in Thorniara Fuß zu fassen? Dieser Hafen…“, er deutete mit einer Armbewegung in Richtung Fenster, von dem aus man das gesamte Kai überblicken konnte, „Dieser Hafen ist mein Reich! Hier geschieht nichts, wovon ich nicht wüsste. Ihr Vögel tätet besser daran, das nicht zu vergessen.“ Sankar lächelte kalt. Yarik schwieg und versuchte, sich seine immer weiter wachsende Nervosität nicht anmerken zu lassen. Das lief ganz und gar nicht so, wie er es sich erhofft hatte…
„Gut, nachdem das nun hoffentlich geklärt ist, können wir dann zum geschäftlichen Teil übergehen?“, sagte Sankar und erhob sich. Er kam hinter den Schreibtisch hervor und streckte die Hand aus: „Lass sehen.“
Yarik händigte ihm den Brief aus. Sankar brach das Siegel und überflog den Inhalt, bevor er das Pergament über die Flamme seiner Öllampe hielt. Es dauerte ein wenig, bis die gegerbte Haut Feuer fing.
„Euer Angebot ist… ein wenig dürftig“, stellte er dabei trocken fest. „Euch ist sicherlich bewusst, dass ich bereits mit der Roten Hand geschäftlich involviert bin? Ja, natürlich wisst ihr das. Ganz blöd seid ihr Vögelchen ja nun auch wieder nicht. Und daher wird euch sicherlich klar sein, dass jedes Geschäft mit euch ein gewisses Risiko für mich birgt. Die Rote Hand ist eifersüchtig, und ihr wollt in ihrem Gebiet wildern.“ Sankar warf das brennende Pergament in einen Tonkrug, wo es langsam zu Asche verglühte, und sah Yarik an. „Sag, hast du schon einmal die Wirkung des Giftes der Fahlen Sandviper erlebt?“
Yarik schüttelte den Kopf.
„Ich schon, mein Freund. Während des Feldzugs in Varant. Kein schöner Anblick, das kann ich dir versichern. Ein Kratzer mit einer vergifteten Waffe genügt, und dein Hals schwillt an, bis du keine Luft mehr bekommst. Deine Adern treten schwarz hervor und es sieht aus, als würden deine Augäpfel aus den Höhlen springen wollen. Es dauert nur wenige Minuten, bis du stirbst, aber glaub mir, diese Minuten sind die reine Hölle.“
Sankar ging zu einer der Truhen, nahm eine Laterne heraus und entzündete sie. „Und weißt du, wer dieses Zeug liebt?“ Er hob die Laterne auf Kopfhöhe und sah Yarik an: „Richtig, unsere Freunde von der Roten Hand. Man nennt Selika nicht umsonst die ‚Schlange von Bakaresh‘. Du siehst also, es ist ein Risiko, und Risiken verursachen Kosten. Komm.“
Er öffnete die Tür und bedeutete Yarik, ihm zu folgen, als er auf den Flur hinaustrat. Ohne ein Wort zu sagen, schloss der Wachmann sich ihnen an. Yarik fühlte sich alles andere als behaglich mit dem Riesen in seinem Rücken.
„Wohin gehen wir?“, fragte er, während Sankar, mit der Latere in der Hand, die Treppe ins Erdgeschoss hinunterstieg.
„Wir sehen uns die Waren an“, erwiderte der Hafenmeister, „Ich will euch klarmachen, dass wir sicherlich noch immer zu einer Lösung kommen können, die beide Parteien zufriedenstellt, vorausgesetzt, ihr hört auf, mich mit solchen ‚Angeboten‘ wie dem, das du mir gerade vorgelegt hast, zu verarschen.“
„Tja, das, äh… will ich auch hoffen!“, krächzte Yarik. Er hatte das Gefühl, dass die Nervosität in seiner Stimme jetzt unüberhörbar sein musste, und angesichts des kleinen Lächelns, das über Sankars Gesicht huschte, lag er mit dieser Annahme wohl nicht ganz falsch. „Äh, was… was ist mit ihm?“, fügte Yarik an und deutete mit einem Kopfnicken auf den Hünen, der inzwischen wortlos neben ihm her ging.
„Mach dir keine Sorgen, Brago ist zuverlässig“, erwiderte Sankar, „Er würde nichts sagen, selbst wenn er könnte. Wir haben zu viel zusammen erlebt, er und ich… Er ist gewissermaßen Familie. So, da wären wir!“
Sie standen vor dem Tor eines unscheinbaren Lagerhauses unweit der Hafenmeisterei. Sankar holte einen großen Schlüssel hervor und öffnete das massive Schloss. Im Innern des Lagerhauses war es warm und stickig; Kisten, Ballen und Fässer stapelten sich bis unter die Decke. Sankar hob die Laterne und schritt langsam durch die Warenreihen, Yarik und Brago folgten ihm.
„Ich glaube, euch ist nicht ganz klar, wie viele Waren tatsächlich an diesem Hafen hier umgeschlagen werden“, erläuterte Sankar und ließ seinen Blick über die gestapelten Reichtümer schweifen, „Legale, aber auch illegale. Der Einzige, der wirklich einen Überblick hat, das bin ich. Und das bedeutet, dass ich derjenige bin, der bestimmt, wer, wann, wo was kaufen und verkaufen, ein- oder ausführen kann. Die Rote Hand zahlt nicht schlecht, aber wenn jemand mit einem besseren Angebot daherkäme…“ Der Hafenmeister lächelte und deutete auf einen Ballen, der aussah, als würde es sich nur um einen Haufen zusammengeschnürte Lumpen handeln. Er zog einige der Fetzen heraus und hielt plötzlich ein sorgsam in Leinen gewickeltes Päckchen in der Hand.
„Riech mal!“, forderte er Yarik auf und hielt es ihm vors Gesicht. Yarik hob zweifelnd die Augenbrauen und tat, wie ihm geheißen. Das Päckchen verströmte einen intensiven und durchaus anregenden Duft, der ihn fast schwindlig machte.
„Sumpfkraut“, erläuterte Sankar, „Das Beste vom Besten. Sie bauen es zwar auch auf dem Festland an, aber ich habe gehört, dass das Kraut dort nicht annähernd an die Qualität dessen herankommt, was diese zugedröhnten Waldkauze hier auf der Insel herstellen. Die Nachfrage in Myrtana steigt seit Jahren. Ein bisschen Verkaufsgeschick, und ihr könnt das Zeug bald in Gold aufwiegen.“ Er stopfte das Päckchen wieder zurück in den Lumpenballen. „Und das ist noch längst nicht alles, was–“
Alle drei fuhren erschrocken herum, als plötzlich die Tür mit einem vernehmlichen Krachen ins Schloss fiel. Im flackernden Licht von Sankars Laterne erkannte Yarik schemenhaft zwei Gestalten, die langsam auf sie zu schlenderten.
„Sankar, Sankar, Sankar…“, hob eine der Gestalten an. Der Mann hatte einen unverkennbaren varantischen Akzent. „Und ich hatte gedacht, wir wären Partner! Wir hatten eine Abmachung, eine geschäftliche Vereinbarung, erinnerst du dich?“
„Johar“, knurrte Sankar ungehalten, „Was willst du? Das hier ist, wie man so schön sagt, ein freier Markt. Angebot und Nachfrage.“
„Ist es das?“, kicherte der Angesprochene. Yarik konnte ihn mittlerweile recht gut sehen. Johar war von unscheinbarer Statur, weder besonders groß, noch auf den ersten Blick besonders muskulös. Er hatte ein hageres Gesicht, das dichte schwarze Haar und die bronzene Haut eines Varanters und trug eine einfache dunkle Tunika mit weiten Leinenhosen. Auf den Fingern seiner rechten Hand steckten schwere Gold- und Silberringe. Er balancierte geschickt die Klinge eines Dolches auf der Handfläche, scheinbar seine einzige Waffe.
„Du weißt doch, Selika mag es nicht, wenn man neben ihr noch andere hat. Dann wird sie traurig. Und wenn Selika traurig wird, dann werde ich auch traurig. Und wenn ich traurig werde…“ Johar gluckste, wirbelte den Dolch mit einer einzigen schnellen Bewegung seines Handgelenks herum um deutete mit der Spitze der Waffe auf Sankar. Dabei verzog er die Lippen zu einem breiten Grinsen, wobei er ungewöhnlich ebenmäßige, weiße Zähne zur Schau stellte. Seine Augen blitzten vor Boshaftigkeit.
Sankar sagte nur ein Wort: „Brago.“
Der Riese machte einen Satz nach vorn und riss dabei sein Schwert aus der Scheide. Er war schnell, bedeutend schneller, als man es ihm mit seiner Statur zugetraut hätte. Im selben Augenblick aber ertönte irgendwo aus den Schatten neben der Tür das unverkennbare Geräusch einer schnappenden Armbrustsehne. Brago, das Schwert zum Schlag erhoben, erstarrte mitten in der Bewegung und griff sich mit der freien Hand an die Kehle. Er packte den Bolzen, der in seinem Hals steckte, zog ihn heraus und warf ihn zur Seite, so achtlos, als handele es sich um nichts weiter als eine kleine Unannehmlichkeit. Dann jedoch stand er ein paar Sekunden nur wie versteinert da und fing plötzlich an, wie wild an seiner Kehle zu zerren. Er ließ das Schwert fallen, umklammerte mit beiden Händen seinen Hals und drehte sich langsam, taumelnd, auf der Stelle zu Sankar und Yarik um. Seine Augen waren vor Entsetzen und Schmerz geweitet, während sein Hals purpurrot wurde und mit jedem Moment weiter und weiter anschwoll. Sein Gesicht lief blau an und die Blutgefäße in seinen Augäpfeln platzten; es wirkte, als würde er Blut weinen, während seine Augen so sehr hervortraten, dass man Angst hatte, sie würden jeden Moment aus den Höhlen springen. Er stieß ein pfeifendes Röcheln aus, das erste und letzte Geräusch, das Yarik ihn je von sich geben hörte, brach in die Knie und kippte schließlich vornüber zu Boden, wo er regungslos liegen blieb.
Johar schlug wie überrascht die Hand vor den Mund: „Hups! Na sowas aber auch…“ Er kam langsam auf Sankar und Yarik zu. Der Hafenmeister starrte wie betäubt auf die Leiche seines Leibwächters… seines Freundes.
„Ich habe es jetzt schon so oft gesehen“, sagte Johar mit fast verträumtem Tonfall und stieß Bragos leblosen Körper sachte mit dem Fuß an, „Aber ich muss sagen, ich kann einfach nicht genug davon bekommen! Ist es nicht ehrfurchtgebietend? Ihr müsst wissen, die Vipern sind nicht groß, die meisten erreichen kaum die Länge einer Elle, aber ihr Gift…“ Johar zuckte mit den Schultern. Inzwischen war der Armbrustschütze hinter den Kisten, die ihm als Versteck gedient hatten, hervorgekommen. Sie waren also zu dritt, wobei seine beiden Kumpane respektvollen Abstand zu Johar hielten und wohl hauptsächlich dafür sorgen sollten, dass Sankar und Yarik keinen Fluchtweg hatten.
„Was willst du jetzt tun?“, knurrte Sankar mit zusammengebissenen Zähnen, „Wenn du mich umbringst, ist unsere Geschäftsvereinbarung auch dahin!“
„Oh, nein, nein, wo denkst du hin?“, lachte Johar und hob beschwichtigend die Hände, „Ich werde dich doch nicht umbringen! Ein oder zwei Finger sollten reichen, um dich daran zu erinnern, was Treue heißt. Die Krähe hingegen… hmm… Ich fürchte, man wird sie morgen früh wohl im Hafenviertel finden.“ Johar grinste Yarik an und tippte sich dabei mit der Spitze seines Dolches gegen die Zähne: „An verschiedenen Stellen im Hafenviertel.“
Geändert von Yarik (30.05.2023 um 13:44 Uhr)
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Nienor hatte aus dem Schatten, den einige verwinkelt zueinander stehenden Häuser warfen, heraus gesehen, wie Yarik und Sankar aus der Hafenmeisterei heraus kamen, hinter ihnen ein dritter, riesenhafter Kerl.
»Na wo wollen wir denn hin ...«, murmelte sie leise zu sich selbst und beobachtete weiter.
Die Umgebung schien ruhig, nichts regte sich zu dieser Nachtzeit im Hafen. Wolken bedeckten teilweise den Himmel und schoben sich gerade vor den Mond. Sofort wurde es noch dunkler.
Die drei Männer gingen auf eines der Lagerhäuser zu.
»Ah, da werden wohl gleich Nägel mit Köpfen gemacht«, vermutete Nienor.
Sobald die drei in dem Lagerhaus verschwunden waren, wollte sie vorsichtig hinterher, doch etwas - ein Instinkt? - hielt Nienor davon ab und sie verharrte noch einen Augenblick länger an Ort und Stelle.
Aus Richtung der Stadt huschten drei weitere schemenhaften Gestalten durch den Schatten. Auch deren Ziel war das Lagerhaus. Hatten sie die Szene beobachtet? Sie wussten augenscheinlich von Sankars Treffen.
Nienor überlegte fieberhaft. Die drei durften wohl kaum zu Sankar und auch nicht zu den Nebelkrähen gehören. Obwohl es wohl besser für sie gewesen wäre, wenn die ein wenig mehr Leute zu Sankar geschickt hätten und nicht nur ihren Boten allein. Aber dann wäre Nienors Plan von vorneherein zum Scheitern verurteilt gewesen ...
Die Tür zum Lagerhaus fiel laut zu.
Nienor lauschte noch einmal in die Umhebung, suchte jede Hausecke, jeden Schattenwurf ab, aber bemerkte nichts Verdächtiges.
»Ich hoffe, das waren nun alle«, sagte sie leise zu sich selbst.
Kurz entschlossen schlich sie so leise es eben ging ebenfalls zum Lagerhaus. Statt jedoch ebenfalls die Eingangstür zu benutzen, suchte sie eine andere Möglichkeit, hinein zu gelangen.
An der einen Seite schloss sich dicht an dicht das nächste Gebäude an, soweit sie wusste, ebenfalls ein Lager. An der anderen ein Zaun, der einen offenen Hof abtrennte, wo meist Holz gelagert wurde und ein paar Schritte offenes Gelände.
Sie entschied sich für den Zaun, kletterte darüber und versuchte, möglichst wenig Geräusche dabei zu machen. Mit Kettenhemd und Schwertgehänge nicht wirklich ein erfolgversprechendes Unternehmen. Sie dachte daran, dass das für Dumak sicher eine leichte Übung war, schließlich hatte er Jahre seines Lebens als Mitglied von Diebesgilden verbracht und Schleichen, sich verstecken, lautlos bewegen war ihm zur zweiten Natur geworden. Aber er war nicht hier und sie kam auch ohne ihn klar.
Sanft ließ sie sich auf der anderen Seite hinunter gleiten. Nur um dann sogleich den Stapel an Balken und Holzbrettern im Hof zu erklimmen. Oben angekommen schob sie eines der oberten Bretter so nach vorne, dass es zu dem nicht weit entfernten Schindeldach des Lagerhauses eine Art Brücke oder Steg bildete. Leise ging sie, vorsichig Fuß vor Fuß setzend hinüber. Auf dem Dach angekommen suchte sie tastent sicheren Halt. Sie wollte weder vom Dach fallen noch hindurch stürzen. Nach einigen Schritten war sie an einer der Dachgauben angelangt und konnte in das Lagerhaus sehen.
»... ich kann einfach nicht genug davon bekommen! Ist es nicht ehrfurchtgebietend?« sprach gerade einer von den drei zuletzt gekommenen zu Sankar. Der Hühne lag reglos auf dem Boden. Yarik stand noch.
»Noch nicht alles verloren«, murmelte Nienor tonlos, nach den Langbogen vom Rücken und legte lautlos einen Pfeil ein. Wenigstens hatte sie hier oben auf dem Dach genug Bewegungsfreiheit mit dem großen Bogen. Oft genug war der in den engen Gassen, Durchgängen und Kellergewölben der Stadt kaum zu gebrauchen.
Zur Sicherheit ham sie noch zwei weitere Pfeile in den Mund, um schneller nachladen zu können. Dann sah sie weiter zu, wie sich die Situation entwickeln würde. Eins war klar. Sobald ein weiterer Angriff auf Sankar und vor allem auf Yarik erfolgen würde, würden ein paar gezielte Pfeilschüsse für Ausgleich sorgen. Das Problem war nur, dass sie niemals schnell genug drei Schüsse abgeben könnte, ehe sich nicht die Gegner darauf eingestellt hätten. Einer war einfach, in der entstehenden Überraschung war auch noch ein schneller zweiter drin. Aber danach hätte sich der verbleibende Gegner darauf eingestellt und wäre in Deckung verschwunden.
Die Kriegerin konnte nur hoffen, dass Yarik gut genug mit seinem Messer umgehen konnte, um sich lange genug zu wehren. Sie hätte ihn gar nicht erst mitnehmen sollen, die Idee war nicht ihre beste gewesen, schalt sie sich selbst. Sie hätte wissen müssen, dass es gefährlich werden würde.
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