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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Willst du etwas Sumpfkraut kaufen?

    Als der Held wieder im Versteck angekommen war, hatte er gleich seine beiden Skelette zu sich gerufen. Lester, der gerade die Treppe vom Keller hochkam, um sich etwas zu essen aus dem Kühlschrank zu holen, blieb verwundert stehen.
    „He, ist alles klar? Wozu die Skelette? Ist was passiert?“
    „Was? Nein, es war einfach nur ein Test. Das eine von denen hier ist nämlich ein Ninja Skelett“, sagte der Held und grinste.
    „Aha?“ kam es fragend von Lester zurück. „Und was bedeutet das?“
    „Es kann Leute lautlos hinterrücks niederstrecken“, das Grinsen des Helden wurde noch breiter.
    Lester schluckte. Ihm war das doch ein bisschen gruselig. Unsicher fragte er: „Und was willst du jetzt mit den Beiden machen?“
    Er sah den Skeletten in die leeren, dunklen Augenhöhlen, die ihn anzustarren schienen und ein eiskalter Schauer lief ihm über den Rücken.
    „Ich dachte mir, …“ sagte der Held im Plauderton. „… dass sie unten vor dem Keller wache halten könnten.“
    „Warum? Glaubst du ich arbeite mir was in die eigene Tasche?“ fragte Lester verletzt.
    „Was? Nein!“ kam es resolut zurück. „Die sind für deinen Schutz. Ist wegen dieser Bande von diesem Miftah. Wer weiß, ob die uns mal einen Besuch abstatten und ich könnte mir denken, dass sie dir als unseren Obersumpfkrautzubereiter…“
    „Es heißt Koch“, stellte Lester richtig.
    Der Held verdrehte die Augen.
    „Gut, du als Koch könntest besonders gefährdet sein und deswegen werde ich die Beiden hier unten als Wache abstellen. Jeder, der dir was antun will, wird massakriert.“
    Lester wirkte nicht begeistert in Zukunft in Gegenwart dieser beiden Gestalten zu arbeiten.
    „He, ich bin nicht schutzlos. Ich hab meine Runen, wer sich mit mir anlegt, wird das bereuen.“
    „Sagen wir einfach, ich wäre beruhigt, wenn sie da stehen, in Ordnung?“
    „Na schön“, gab sich Lester geschlagen. „Aber wenn ich unterwegs bin, dann kommen die nicht hinterher, oder?“
    „Nein, die bleiben einfach hier stehen.“
    Der Held wandte sich zu seinen beiden beschworenen Skeletten.
    „Also Jungs, das ist Lester. Unter gar keinen Umständen greift ihr ihn an, klar?“
    Keine Reaktion.
    „Gut. Kommt mit!“
    Der Held ging die Treppe hinunter und das eine Skelett klapperte geräuschvoll hinter ihm her, während das andere auf gespenstische Weise ganz ohne Geräusche auskam. Lester zögerte und folgte ihnen dann, um zu sehen, was sein Freund da tat. Er stand jetzt im Keller und postierte die beiden Skelette links und rechts hinter dem Durchgang. So wurden sie nicht gleich gesehen und sorgten bei unliebsamen Gästen für einen ordentlichen Schreck.
    „So, hier bleibt ihr stehen und greift jeden an, der hier Ärger macht.“
    Der Held winkte Lester heran und sagte: „Komm, testen wir es mal.“
    Lesters Herz setzte einen Moment aus, nur um dann mit doppelter Geschwindigkeit weiter zu schlagen. Er wusste, dass sein Freund erst zufrieden war, wenn er es ausprobierte, also nahm er seinen Mut zusammen und trat, etwas zögerlich, in den Keller. Skeptisch sah er die beiden Skelette an. Sie rührten sich nicht, starrten starr geradeaus wie zwei gruselige Statuen. Lester lief ein Schauer über den Rücken, aber er würde vor seinem Freund nie zugeben, dass er Angst hatte.
    Es klopft oben an der Tür.
    „Erwartest du jemanden?“ fragte der Held.
    Lester zuckte mit den Schultern und sagte: „Nein, nicht dass ich wüsste.“
    Sie gingen hoch um nachzusehen. In der Tür stand eine unscheinbare, etwa dreißig Jahre alte Frau. Sie hatte braune, schulterlange Haare und trug eine Brille. Ihre Kleider sahen sehr ordentlich aus. Niemand würde vermuten, dass diese Person etwas mit Kriminellen zu schaffen hatte.
    „Hi, mein Bruder Marius sagte hier gibt es einen Job.“
    Der Held guckte erst verwirrt, dann fiel es ihm siedend heiß wieder ein.
    „Ah ja, richtig. Du bist also seine Schwester“, sagte er ziemlich überflüssigerweise.
    Dann zuckte er mit den Schultern.
    „Ok, komm rein.“
    Die Frau sah sich noch einmal um und trat dann ein.
    „Hallo ich bin Annette“, sie streckte ihre Hand aus.
    Der Held schüttelte sie, sagte aber seinen Namen nicht, weil es da nichts zu sagen gab.
    „Und du heißt?“ fragte sie deswegen nach.
    „Ich hab keinen Namen“, sagte der Held.
    Annette sah erst verwundert aus, dann wurden ihre Augen groß.
    „Oh…“ sagte sie im Glauben es zu verstehen.
    Sie dachte sich, dass das aus kriminellen Gründen so war. Wenn jemand keinen Namen vorwies, war es schwer für andere ihn zu finden und für seine Machenschaften zur Rechenschaft zu ziehen.
    „Und das ist Lester, er ist unser Koch“, stellte der Held vor.
    Anette schüttelte auch seine Hand und musterte Lester staunend.
    „Du meinst, so richtig ein Drogenkoch?“ fragte sie aufgeregt.
    „Es heißt Sumpfkraut“, stellte Lester klar.
    „Cool“, kam es von der Frau.
    Lester und der Held sahen sich an. Sie wussten nicht genau wen sie hier jetzt vor sich hatten und was sie mit ihr anfangen sollten.
    „Also Marius sagte du wärst gut im Organisieren“, sagte der Held und er hatte sehr genaue Vorstellung was unter „Organisieren“ zu verstehen war.
    Die Banditen im neuen Lager wurden manchmal auch Organisatoren genannt.
    „Ja, ich habe viele Connections und kann so ziemlich alles ranschaffen.“
    „Was hast du denn vorher gemacht?“ fragte der Held.
    „Ach …“ druckste Annette plötzlich herum. „Ganz normale Büroarbeit.“
    Es wurde kurz still, dann fügte sie hinzu.
    „Ich weiß nicht, ob ihr euch vorstellen könnt wie langweilig es ist jeden Tag das Gleiche zu machen. Immer wieder Rechnungen bezahlen und Formulare ausfüllen. Jeden verdammten Tag und das seit zehn Jahren. Und es passiert sonst überhaupt nichts.“
    Es war klar zu sehen, dass ihr ganz elend war, als sie daran zurückdachte. Der Held bekam sofort Mitleid. Er konnte sich gar nicht vorstellen was das für ein furchtbares Leben sein musste. So eine Verschwendung von Lebenszeit. Er wäre bestimmt schon längst vor Langeweile eingegangen.
    „Das muss ja schrecklich gewesen sein.“
    Sie nickte.
    „Naja, jetzt bist du ja bei uns, da wird es garantiert nicht langweilig.“
    Er klopfte ihr kumpelhaft auf die Schulter und sie knickte kurz ein.
    „Gut, dann wollen wir dich doch mal herumführen“, sagte der Held und sie zogen durch das Haus.
    Annette war fasziniert. Sie hätte nicht gedacht, dass jemand so heruntergekommen wohnen konnte. Das hatte was von Abenteuer. Die Sumpfkrautpflanzen fand sie interessant und stellte allerhand Fragen, die meistens Lester beantwortete.
    „Wo ist denn der Rest von eurer Gang?“
    Der Held sah erst sie verwundert an, dann sah er zu Lester und grinste.
    „Das hört sich an, was? Die „Gang“.“
    Er grinste. Genau zum richtigen Zeitpunkt knallte unten die Tür.
    „Aha, hört sich an, als wäre Gorn zurück“, sagte der Held amüsiert und sie liefen die Treppe wieder hinunter.
    Gorn stutzte, als er eine unbekannte Frau hier drin sah, aber das war nichts im Vergleich zu Annette. Staunend sah sie zu Gorn hoch und reichte ihm zitternd die Hand.
    „Das ist Annette“, erklärte der Held. „Sie ist unser neuer Organisator.“
    Er zwinkerte Gorn zu.
    „Aha“, machte der, denn auch er hatte ein sehr genaues Bild davon was er darunter zu verstehen hatte.
    „Toll, wo ihr gerade da steht, können wir ja auch zusammen in den Keller gehen und euch unseren neuen Wachen vorstellen.“
    „Äh… meinst du wirklich, dass das so eine gute Idee ist?“ fragte Lester, denn er stellte sich vor wie ihre neue Bekanntschaft schreiend aus dem Haus rennen würde, wenn sie die wandelnden Gerippe da unten sah.
    „He, irgendwann muss es gemacht werden und besser früher als später.“
    „Worum geht es denn?“ fragte Gorn mit seiner tiefen Stimme.
    „Ich hab ein paar Skelette beschworen, damit sie Lester beschützen können, falls wirklich so Typen auftauchen, die ihm was antun wollen.“
    Annettes Stirn kräuselte sich. Hatte ihr neuer Arbeitgeber da gerade wirklich von Skeletten gesprochen? Und was war unter „so Typen“ zu verstehen?
    „Wirklich?“ fragte Gorn und stöhnte genervt.
    Er fand es zwar ok, wenn die Skelette seinen Freund mal im Kampf unterstützten, er hielt aber nicht besonders viel davon dauerhaft mit welchen zusammen zu wohnen.
    „He, die sind ganz still, du wirst sie gar nicht weiter bemerken“, kam es vom Helden, der sich wohl denken konnte was Gorn durch den Kopf ging.
    Sie gingen die Treppen hinunter und er lief voran in den Keller.
    „He, ihr Beiden, ich hab zwei neue Leute vorzustellen, die ihr nicht angreifen sollt, ok?“
    Er winkte Gorn und Anette zu sich. Der starke Krieger ging ohne weitere Bedenken voran, doch Annette zögerte, weil sie nicht wusste, was sie erwartete. Langsam und vorsichtig trat sie näher und lugte dann um die Türecke. Innen sah sie Tische mit verschiedenen Apparaturen, die wohl dafür gebraucht wurden das Sumpfkraut zu Stengeln zu verarbeiten. Sonst konnte sie aber nichts erkennen. Sie hörte auch nichts. Doch wenn es wirklich Skelette waren, was sollten die schon groß sagen? Und was sollten die überhaupt machen? Immerhin waren Skelette doch tot, oder nicht? Sie hielt sich eigentlich für eine mutige Frau. Trotzdem erschreckte sie sich, als sie die Skelette schließlich sah. Sie wurde ganz blass und ihr blieb die Luft weg. Der Held nahm sie an der Hand und zog sie vorsichtig vor die Skelette.
    „Siehst du, überhaupt kein Problem. Die tun dir nichts. Sie sind einfach nur als Wachen hier.“
    Annette wusste nicht was sie glauben sollte. Es könnten auch einfach nur Exponate sein. Die Skelette standen so reglos da, dass sie sich einreden wollte, dass die sich gar nicht bewegen konnten. Vielleicht war es ja irgendein makabrer Scherz. Allerdings stellte sie sich jetzt vor, was ihr neuer Arbeitgeber mit den ehemals lebenden Menschen gemacht haben musste, damit sie jetzt so aussahen. Doch auf der anderen Seite und das war noch viel erschreckender, mussten diese Teile sich ja bewegen können, wenn die wirklich diesen Keller bewachen sollten. Sie kaute angespannt auf ihren Lippen herum. Zeit es rauszufinden. Sie streckte ihre Hand aus und griff nach der Skeletthand. Der ganze Arm hob sich und das Skelett ruckte mit dem Kopf um sie anzustarren. Sie erschreckte sich und ließ los. Die Hand pendelte wieder zurück in ihre Ausgangslage und das Skelett drehte den Kopf zurück. Gorn lachte. Er amüsierte sich über ihre neue Mitstreiterin.
    „Noch nie ein Skelett gesehen was? Tja, kann einen ganz schon erschrecken am Anfang, oder?“
    Sie nickte. Dann fragte sie aufgeregt ihren neuen Arbeitgeber: „Wo hast du die denn her?“
    Der Held zuckte mit den Schultern.
    „Beschworen“
    „Was heißt das?“
    „Na so, mit Magie.“
    Sie sah ihn staunend an, doch es gab keine andere logische Erklärung, als dass er die Wahrheit sagte. Immerhin wusste sie nicht, woher da sonst zwei Untote herkommen sollten.
    „Bist du so eine Art Satanist?“ fragte sie leise, weil sie wissen wollte wo sie hier hineingeraten war.
    „Was ist ein Satanist?“ wollte der Held wissen.
    Auch Lester und Gorn sahen sie fragend an.
    „Naja, jemand, der zum Teufel betet und dunkle Beschwörungen veranstaltet.“
    „Hm…“ kam es vom Helden der scharf nachdachte.
    Wenn der Teufel hier das Gegenstück zu Beliar war, dann war da schon was dran.
    „Ich mach das nur, weil mir das einen Vorteil bietet. Außerdem nutze ich noch alle anderen Arten von Magie, ist also nicht weiter wild.“
    Annette sah ihn verwundert an, dann wandte sie sich an die anderen beiden Männer.
    „Und ihr?“
    „Ich hab mit Magie nichts am Hut“, sagte Gorn sofort und hob abwehrend die Hände.
    „Ich bin im dritten Kreis und hab einige Runen, aber es ist hauptsächlich Schläfer Magie oder eigentlich welche von Beliar.“
    Annette verstand nicht was er da erzählte, aber sie sagte sich, dass sie gleich am ersten Tag nicht unangenehm wegen allzu vieler Fragen auffallen wollte.
    „Und hier stellst du also das Sumpfkraut her, Lester?“ stellte sie jetzt aber doch eine Frage, die sie einfach wissen musste.
    „Ja, genau, sieh mal hier“, er führte sie zu den Apparaturen und erklärte ihr grob den Hergang.
    „Und am Ende verpack ich die Stengel hier in diese Beutel und die kommen dann wieder in den großen Sack dort, bereit zur Auslieferung.“
    Annette griff sich einen der Klarsichtbeutel mit Stengeln und nahm ihn ganz genau unter die Lupe.
    „Ich denke die Verpackung kriegen wir noch besser hin.“
    „Was meinst du?“ fragten der Held und Lester fast gleichzeitig.
    „Also, so wie auch bei Zigarettenschachteln. Dann fällt es in der Öffentlichkeit mehr auf und ihr bekommt mehr Käufer. Außerdem kann man den Kunden suggerieren, dass es sich um ein ganz normales Rauchkraut handelt, das stimuliert die Akzeptanz und bringt wieder neue Käufer.“
    Diesmal waren Gorn, Lester und der Held diejenigen, die nicht ganz genau wussten was sie meinte. Trotzdem sagte der Held: „Ver-stehe und weißt du wo du diese Packungen her bekommen kannst?“
    „Na, dazu bin ich doch da, oder?“
    Sie zwinkerte ihm zu und er grinste.


    Diego hatte sich intensiv mit Nachforschungen über diese Bande beschäftigt, dessen Kundschafter neulich bei ihm im Laden war. Er war zum „Paradise“ gegangen, weil es ihm dort am wahrscheinlichsten war einen ersten Anhaltspunkt zu bekommen. Es war sehr mühsam die Gespräche in diese Richtung zu führen, ohne allzu viel Aufmerksamkeit zu erregen. Schließlich fragte er Tabo, der im Hinterzimmer Lagerarbeiten verrichtete nach diesem Miftah. Tabo wurde ganz aufgeregt, redete und gestikulierte wild. Nur leider verstand Diego kein Wort von dem was er sagte. Er hielt ihm eine Karte hin und Tabo entfaltete und musterte sie. Dann zeigte er auf eine Straße. Dort musste also etwas sein. Diego zückte einen Kugelschreiber, dessen Funktion er schnell herausgefunden hatte und markierte den Punkt auf der Karte. Er bedankte sich und reichte Tabo einen fünfzig Euro Schein. Der grinste breit. Diego war sich im Klaren darüber, dass das hier wohl viel Geld für eine Information war, doch er wusste nicht, ob er Tabo trauen konnte und versuchte so sein Schweigen zu erkaufen. Vielleicht wäre er auch eine gute Anlaufstelle für zukünftige Informationen. Sein Ziel lag ein ganzes Stück entfernt. Er machte sich sofort auf den Weg. Mittlerweile war er recht geschickt darin sich im öffentlichen Straßenverkehr durchzumogeln. Er kaufte nie Beförderungstickets, merkte aber immer schnell wenn ein Kontrolleur in Anmarsch war. Man musste nur auf die Leute achten. Es gab einige, die es wie er handhabten und die Zeichen deuten konnten. Manche Kontrolleure waren nicht sofort als solche zu erkennen, doch Diego merkte es an ihrem Verhalten. Er war wie der Fuchs, welcher der Meute der Jäger immer ein paar Schritte voraus war. Sicher hätte Diego das Geld gehabt, aber diesen kleinen Spaß wollte er sich gönnen, sonst wurde es einfach zu eintönig. Er erreichte sein Ziel ohne weitere Vorkomnisse. Es war ein großer Park. Er lag zwischen ihm und dem markierten Punkt auf der Karte. Heute war wieder die Sonne zu sehen. Es war ein schöner Tag. Große Schäfchenwolken zogen langsam über den Himmel. Die Temperatur war mild, der Wind mäßig. Es war sehr angenehm. Diego hatte sich schon gefragt, ob dieses nasskalte Wetter für immer anhalten würde. Die Vegetation sah noch sehr trostlos aus. Keine Blätter an den Bäumen, das Gras war lasch und der Boden noch feucht. Doch wenn er genau hinsah, konnte er an einigen Bäumen erste Knospen sehen und kleine weiße Blumen streckten sich zur Sonne. Blumen waren in Myrtana selten. Diego riss seine Gedanken wieder zum eigentlichen Projekt herum. So schön es auch war mal wieder durchs Grüne zu gehen, er hatte andere Gründe hier zu sein. Er ging also weiter durch den Park hindurch und beobachtete genau die Menschen um ihn herum. Es wirkte alles auffällig normal. Kinder spielten auf einer Wiese Ball, beaufsichtigt von einigen Erwachsenen, die sich unterhielten. Einige andere Leute, nutzten die ersten Sonnenstrahlen um zu grillen oder ein Picknick zu veranstalten. Die Stimmung war überwiegend ausgelassen, nicht gerade das was man erwartete, wenn man zu einem gefährlichen Typen unterwegs war. Aber gerade das sagte Diego, dass er hier richtig war. Dieser Mann hatte sich wohl extra diese Gegend ausgesucht, weil man nicht vermuten würde, dass er hier wäre. Diego wollte aber Gewissheit haben. Er sah das Ende des Parks und dahinter ein großes klotzartiges Gebäude, das sich nahtlos in die anderen einreihte. Das musste es sein. Diego zückte seine Karte und sah nach. Ja, das war es. Er sah sich um und grinste. Da stand eine Bank, wie für ihn gemacht, mit Blickrichtung auf dieses Gebäude. Er würde also ganz genau sehen wer da kam und ging. Er ließ sich auf der Bank nieder und richtete sich darauf ein hier lange zu sitzen. Das störte Diego nicht. Er mochte es einfach nur dazusitzen, sich zu sonnen und die Umgebung zu beobachten.


    Lester lief mal wieder im Dunkeln durch die Straßen der Stadt und verkaufte sein Sumpfkraut. Am Anfang fiel ihm das nicht leicht, denn es war ja sein Sumpfkraut, aber mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt und freute sich sogar bei jedem Verkauf, weil er sich sagte, dass er so viele neue Leute in den Genuss dieses tollen Rauchkrauts brachte. Allerdings hätte er sich gerne auch mal mit ein paar Leuten unterhalten. Die meisten wollten einfach nur Kraut kaufen und waren dann wieder weg. Anders sah es vor den Bordellen aus. Die Damen an der Straße hatten oft viel Zeit. Sie rauchten oder redeten miteinander, doch da sie oft und lange dort standen waren die Gesprächsthemen irgendwann aufgebraucht. Da kam eine Abwechslung ganz recht. Als Lester mal wieder dort auftauchte, wurde er wie ein alter Freund begrüßt. Er war schon so bekannt wie ein bunter Hund.
    „Hallo Lester, da bist du ja, wir warten schon sehnsüchtig auf deine Rückkehr“, sagte eine der aufgepimpten Frauen mit hartem Akzent.
    Sie hatte blonde, hochgesteckte Haare und war zwar dünn, aber hatte Kurven an genau den richtigen Stellen. Sie trug ein aufreizendes, rotes Kleid und wie ihre Kollegin hohe Schuhe.
    „Du hast doch Sumpfkraut dabei, oder?“ fragte die Andere, deren Finger zitterten und die jetzt ihre momentane Menthol Zigarette wegwarf, weil sie aufgeraucht war.
    Sie hatte lange schwarze Haare, die aber merkwürdig stumpf wirkten und trug ein Kleid, das im Licht der kühlen Straßenlampen glitzerte, was sie ein bisschen wie einen Paradiesvogel wirken ließ.
    „Immer langsam Mädchen“, sagte Lester grinsend und er machte eine abwehrende Handbewegung um sie zu bremsen. „Natürlich hab ich genug Sumpfkraut für alle dabei und für euch zum Freundschaftspreis, zwanzig Euro pro Beutel.“
    „Du bist der Beste, kannst du mir gleich zwei geben?“ fragte die zitternde Frau.
    „Klar, aber ich komme doch auch wieder“, sagte Lester verwundert, reichte ihr aber das Sumpfkraut im Austausch für das Geld.
    Er dachte, dass sie es vielleicht weiterverkaufen wollte. Das störte ihn im Grunde nicht, doch sagte er sich, dass er diese anderen Personen doch auch beliefern könnte.
    „Wenn ihr noch andere Leute kennt die gerne Sumpfkraut haben wollen, sagt mir doch einfach Bescheid.“
    „Oh, da gibt es viele, jede Menge“, sagte die erste Frau und holte ein Bündel Scheine hervor, um selbst Sumpfkraut zu kaufen. „Gibst du mir noch drei Packungen für unsere Freundinnen? Die sind auch alle ganz wild auf dein Kraut.“
    „Hier Olga.“
    Lester reichte ihr die Klarsichtbeutel und sie fischte sich sofort einen Stengel heraus und zündete ihn sich an. Ihre Kollegin tat es ihr gleich und Lester schloss sich ihnen an. So standen sie alle drei unter dem diffusen Licht der Straßenlaternen und wurden bald in eine große, dichte, grüne Rauchwolke eingehüllt.
    „Gibt’s was Neues?“ fragte Lester.
    „Laika hat sich den Knöchel verknackst und jetzt jammert sie deswegen ständig rum“, sagte Olga und nahm noch einen tiefen Zug.
    „Warum geht sie dann nicht einfach nach Hause und ruht sich aus?“ fragte Lester nach.
    Die beiden Frauen sahen sich verschmitzt an und lachten.
    „Ja, gute Idee, was Natascha? Lass uns einfach nach Hause gehen. Gino versteht das bestimmt.“
    Lester wusste bereits, dass dieser Gino das Bordell führte, aber er dachte sich nichts weiter dabei.
    „Hör mal Lester, es ist ja prima, dass du uns so oft besuchen kommst, aber ich hab in letzter Zeit ständig so einen Typen gesehen, der sich da drüben in seinem Wagen aufhält, doch er kommt nicht zu uns oder spricht mit uns. Da ist doch was faul“, sagte Olga und ruckte mit dem Kopf zu einem grauen Wagen auf der anderen Straßenseite, etwa hundert Meter entfernt. „Sieh nicht hin!“, setzte sie hinzu, aber Lester hatte sich bereits umgewandt.
    „Und? Was soll mit dem sein?“ fragte Lester unbesorgt.
    Olga fand es wohl unpassend, dass ihr Dealer so locker blieb.
    „Mensch, der ist von den Bullen! Ganz sicher sogar. Der guckt wann du hier vorbeikommst und irgendwann will er dich festnehmen“, sagte sie ganz aufgeregt.
    Lester nahm noch einen letzten Zug und warf den kümmerlichen Rest seines Stengels dann auf den schmutzigen Boden. Die beiden Prosituierten hatten ihre nun auch aufgeraucht, doch steckten sie sich gleich neue an. Lester tat es ihnen nach, denn es war schön mal wieder mit anderen zusammen zu rauchen und zu plaudern, auch wenn es um die Polizei ging, soweit hatte Lester das schon verstanden. Er hatte mitbekommen, dass Sumpfkraut wohl auch hier illegal war und ihm wahrscheinlich Gefängnis drohte, wenn er erwischt wurde, aber er wusste auch, dass er ein paar Asse in Form von Runen in der Tasche hatte. Schlaf, Vergessen und die Teleporterrune würden ihm sicher gute Dienste leisten, wenn die Lage tatsächlich mal eskalieren sollte, deswegen sah er nicht, warum er sich große Sorgen machen sollte, das belastete doch nur.
    „Macht euch keine Sorgen Mädchen, ihr werdet auch in Zukunft nicht auf euer Sumpfkraut verzichten müssen.“
    Er zwinkerte ihnen zu.
    „Na, deine Zuversicht hätte ich auch mal gerne“, sagte Olga und nahm noch einen tiefen Zug.
    Genussvoll blies sie den grünen Rauch aus.
    „Hab ich dir eigentlich schon mal gesagt, dass ich deine Tätowierungen toll finde?“ fragte die benebelte Natascha.
    „Nein, aber schön, wenn es dir gefällt“, antwortete Lester.
    Er war schon mehrfach darauf angesprochen wurden, aber er hatte auch viele andere Leute gesehen, die hier tätowiert waren, deswegen hatte er sich nie weiter darüber Gedanken gemacht. Natascha wollte es aber wohl ganz genau wissen.
    „Haben die eine Bedeutung?“ fragte sie.
    Lester nahm noch einen genussvollen Zug, bevor er antwortete. Er sah mit gemischten Gefühlen auf die Zeit in der Barriere zurück.
    „Ich war mal Mitglied in der Bruderschaft des Schläfers.“
    Olga schaute skeptisch, Natascha interessiert.
    „Ist das so eine Art Sekte?“ fragte Olga argwöhnisch.
    „Die anderen haben uns zumindest immer so genannt, Sektenspinner.“
    Lester lachte, als er an die Zeit zurückdachte.
    „Und was habt ihr da gemacht? Irgendwelche mystischen Rituale und so?“ fragte Natascha neugierig.
    Lester wiegte seinen Kopf hin und her.
    „Manchmal.“
    „Wow, der Wahnsinn“, kam es von Natascha, die das alles sehr aufregend fand.
    „Die meiste Zeit ging es aber einfach nur darum Sumpfkraut herzustellen oder andere Aufgaben zu erledigen, welche die Gurus uns Novizen gaben.“
    „Wurdest du da ausgebeutet?“ fragte Olga erschrocken.
    „Was? Nein, die meiste Zeit stand ich nur am Eingang herum und hab Neuankömmlingen erklärt wie sie durchs Lager kommen und was so läuft. Es war eigentlich ganz entspannt und manchmal sogar etwas langweilig. Doch alles in allem kann ich mich eigentlich nicht beklagen.“
    Er dachte daran, was andere in der Kolonie durchmachen mussten und fand, dass er dagegen eine recht angenehme Zeit im Minental hatte. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als eine weitere Frau angestöckelt kam. Sie hatte nie Sumpfkraut kaufen wollen und sah Lester etwas abschätzig an.
    „He, ihr Beiden, ihr sollt rein kommen.“
    Natascha und Olga sahen sich an, verabschiedeten sich von ihrem Dealer und folgten dann klackend ihrer Kollegin ins Innere des Puffs. Lester nahm noch einen Zug, blies lässig den Rauch aus, schnippte den Rest des Stengels dann weg und trollte sich.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 20:37 Uhr)

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    Der Marathon

    Der Held war die Nacht hindurch als Warg unterwegs gewesen und befand sich jetzt in der Nähe von kleinen Seen oberhalb von Berlin am Rande einer Stadt. Die Nacht hatte er damit verbracht weiter Wildschweine zu jagen. Allein war es nicht ganz so lustig, aber immerhin hatte er noch einige der Viecher erwischen können. Bei den Ausläufern des Waldes verwandelte er sich in einen Menschen zurück. Zufrieden kramte er jetzt sein Mobiltelefon hervor und rief beim Bauern ab. Der nahm noch reichlich verpennt ab und gähnte zur Begrüßung.
    „Dein Wildschweinproblem sollte erledigt sein. Ich hab jede Menge gejagt. Solltest du doch mal wieder Ärger haben, ruf mich an.“
    „He, wer … wer spricht denn da?“ fragte der Bauer verwundert.
    „Na ich, der Typ aus der Bar“, antwortete der Held etwas genervt.
    Da hatte er sich solche Mühe gegeben und dieser Bauer erinnerte sich nicht einmal daran, dass er den Auftrag vergeben hatte.
    „Ich kann mich nur noch ganz schlecht erinnern.“
    Eine lange Pause setzte ein.
    „Ah ja… DER Typ, ach so. Und du hast dich um die Wildschweine gekümmert? Hm… ok, wenn du das so sagst.“
    Der Bauer lachte, doch der Held konnte es nicht richtig deuten. Freute er sich einfach, weil sein Problem damit erledigt war? Glaubte er ihm vielleicht nicht? Oder gab es einen anderen Grund?
    „Schön, dass ich helfen konnte, aber wenn wir uns noch mal sehen, dann gibst du ein Bier aus, in Ordnung?“
    „Ja, in Ordnung“, sagte der Bauer, der sich immer noch amüsierte.
    Mit einem Klicken beendeten sie ihr Gespräch. Der Held trug die Aufgabe in seinem Tagebuch unter erledigt ein und freute sich, dass er um eine Erfahrung reicher war. Er ging weiter und in der nächsten Stadt sprach er mehrere Leute an, in der Hoffnung, sie hätten spannende Aufträge für ihn. Doch er hoffte vergebens. Die meisten Menschen brachten außer einem „Hallo“, oder „Guten Tag“, gar nichts über die Lippen und wollten sich partout nicht in ein längeres Gespräch verwickeln lassen. Manche wurden sogar sehr unfreundlich und sagten ihm, er solle verschwinden. Das Verhalten der Leute verwunderte den Helden. In Myrtana kamen die Leute mit ihren Problemen schnell auf den Punkt. Wie sollte er den Menschen hier denn helfen, wenn sie ihm nicht sagten, was sie bedrückte? Als der Held weiter durch die Stadt zog, sah er viele Bürger, die sich an einer abgesperrten Straße sammelten. Manche von ihnen standen in Reih und Glied und trugen Nummern auf ihren Klamotten. Auf ein Signal hin, liefen alle Leute mit Nummern los. Der Held trat an einen der Zuschauer heran und fragte: „He du, was ist denn hier los?“
    Der angesprochene Mann sah ihn perplex an und antwortete: „Was hier los ist? Das ist ein Marathon.“
    „Und wo laufen die alle hin?“
    „Na ans Ziel.“
    „Und was gibt es da?“ wollte der Held wissen, denn er vermutete, dass diese Leute sich in ein Abenteuer stürzten und am Ende des Weges ein versunkener Tempel, eine Drachenhöhle oder ähnlich spektakuläre Ziele lagen.
    „Oh Mann, kennst du keinen Marathon? Lauf doch einfach mit, dann siehst du es schon“, sagte der Zuschauer genervt.
    Er hätte wohl nie gedacht, dass sein Gegenüber das dann auch tatsächlich machen würde. Der Held lief einfach los, den anderen hinterher. Irgendwo würde er schon ankommen und er war gespannt was da am Ende des Weges auf ihn warten würde. Zuerst standen links und rechts überall Menschen, die ihn etwas verwundert ansahen, vermutlich weil er keine Nummer trug wie die anderen. Durfte er deswegen vielleicht nicht an dem Abenteuer teilnehmen? Aber niemand hielt ihn davon ab, also sagte sich der Held, dass es wohl in Ordnung war. Bald holte er den ersten Läufer ein und fragte ihn nach dem Ziel. Doch der sah ihn nur verwundert an und keuchte.
    ‚Komischer Typ‘, dachte sich der Held.
    Doch als er andere Teilnehmer dieses Marathons einholte, verhielten sie sich nicht viel anders. Entweder er erhielt gar keine Antwort, oder sie sagten einfach nur „Na, das Ziel“, oder „Was ist das denn für eine blöde Frage?“.
    Er hatte aber das starke Gefühl, dass alle diese Leute sehr wohl wussten was am Ende des Weges lag und es ihm nur nicht sagen wollten. Das frustrierte den Helden. Jetzt wollte er es erst recht wissen. Vor ihm ragten die letzten Häuser der Stadt auf und es ging an einigen Feldern und Wiesen einen Weg entlang. Die Sonne schien. Die Luft war klar und kalt. Es war ein schöner Tag. Während des Laufs beobachtete der Held die friedliche Natur, die langsam aus ihrem Winterschlaf erwachte, damit ihm nicht allzu langweilig wurde. Am Wegesrand standen aber auch hin und wieder Bürger, die aus irgendeinem Grund jubelten, vielleicht waren es einfach nur sehr fröhliche Menschen. Hin und wieder ging einer der Läufer zu jemandem am Wegesrand, der eine Flasche hochhielt, wohl um etwas zu trinken. Je weiter er kam, desto seltsamer verhielten sich die anderen Läufer. Immer öfter kam er an schwitzenden und schnaufenden Leuten vorbei. An Anstrengung konnte es ja wohl nicht liegen. Die Leute waren leicht bekleidet, trugen weder schwere Rüstungen noch Waffen. Waren diese Leute vielleicht krank und am Ziel wartete die Heilung? Immer häufiger sah er Menschen, die jetzt nur noch gingen, oder sogar anhielten und sich schnaufend an den Knien fassten. Der Held war sich sicher: Mit denen stimmte was nicht.
    Er war schon eine Weile unterwegs und nun sah er kaum noch andere Läufer. Entweder hatten sie aufgegeben oder lagen weit zurück. Er fragte sich gerade, ob überhaupt noch jemand vor ihm lief, oder ob er vielleicht unwissentlich vom Weg abgekommen war, denn ihm war, als liefe er im Kreis, da sah er weit vor sich ein Pünktchen, das sich nach einigen Minuten als ein Spitzenläufer herausstellte. Es war ein Mann, etwa in seinem Alter, von schlanker, drahtiger Gestalt. Verbissen und hochkonzentriert lief er und es dauerte tatsächlich einige Minuten bis der Held ihn einholte.
    „He du, kannst du mir sagen, was sich am Ziel befindet? Schon am Start konnte mir keiner sagen wo es eigentlich hingeht, “ startete der Held den letzten Versuch.
    Der Extremsportler, der nicht damit gerechnet hatte angesprochen zu werden, sah ihn verblüfft an, sagte aber keinen Ton.
    „Fein, dann sag es mir eben nicht. Ich werde es auch so herausfinden“, antwortete der Held säuerlich und zog an ihm vorbei.
    Der Sportler gab krächzende Laute von sich und sah ihm ungläubig hinterher. Der Held beachtete ihn nicht weiter. Wenn sich der Typ nun doch dazu entschieden hatte ihm etwas sagen zu wollen, dann war es dafür zu spät. Da war der Held eigenwillig.
    Der Weg führte wieder zurück zur Stadt, wo noch mehr Leute herumstanden und schrien wie am Spieß.
    „Ja, weiter!“, „Du schaffst es!“, „Gleich bist du da“.
    Der Held blieb ganz plötzlich stehen, als er das Ziel als den Ort erkannte wo er auf der anderen Seite losgelaufen war.
    „Was ist denn los? Noch ein paar Meter“, riefen die Leute zu ihm herüber.
    Unschlüssig sah der Held zu ihnen, sah dann zurück, wo er sonst niemanden sehen konnte. Meinten die ihn? Was war hier eigentlich los? Wenn er tatsächlich im Kreis gelaufen war, wozu dann das alles? Er trabte zu den Menschen hin, die alle hinter einem Band, das wohl als Absperrung diente, standen und ihm zujubelten. Kurz davor blieb er stehen, was bei den Menschen schlagartig für Ruhe und Unverständnis sorgte.
    „He, kann mir mal einer sagen, warum ihr alle so schreit? Was ist denn los? Und warum liegt das Ziel da, wo der Start war? Was ist denn nun hier am Ziel?“
    Die Menschen sahen ihn ungläubig an und brachten keinen Ton hervor. Ein Mann mit Stoppuhr in der Hand sagte in rauem Ton: „Halt keine langen Reden und geh durchs Ziel, das ist sonst schlecht für deine Zeit.“
    Der Held zuckte mit den Schultern, hob das Band hoch, das zwischen den Zielstangen hing und ging durch.
    „Zwei Stunden, zwei Minuten“, sagte der Stoppuhrträger nüchtern.
    „Was?“, „Echt?“, „Der Wahnsinn!“, kam es von den Umstehenden.
    „Herzlichen Glückwunsch“, sagte ein Mann, der eine blaue Jacke und eine Mütze trug und ihm jetzt die Hand schüttelte.
    „Wegen was?“ fragte der Held verwundert.
    „Na, weil Sie es geschafft haben“, antwortete ihm sein Gegenüber, wohl in der Annahme, er könne es selbst noch gar nicht fassen.
    „Was denn?“ wollte der Held wissen, der sich keiner Leistung bewusst war.
    „Na, den Weg hierher“, kam es, jetzt verdutzt, zurück.
    „Wieso, waren da irgendwelche versteckten Fallen?“
    „He, Gewinner, ich will dich eintragen, wo ist denn deine Nummer?“ fragte ein Mann mit Stift und Notizblock den Helden.
    „Was? Ich hab keine Nummer. Ich wollte einfach nur wissen wo all die Leute hinlaufen und da hab ich so einen Typen angesprochen, der mir das aber auch nicht sagen konnte und nur meinte, ich soll mitlaufen und es selbst sehen. Tja, da hab ich das eben gemacht.“
    Die Leute sahen ihn an, als hätte er gerade etwas Unbegreifliches gesagt.
    „He, komm hör auf zu spinnen. Du willst mir echt sagen, du weißt nicht mal was das hier ist? Bestimmt erlaubst du dir hier einen riesen Scherz und bist einfach irgendwo zwischendrin dazugekommen“, sagte der Mann mit der Stoppuhr streng.
    „Nein, wozu sollte ich das machen? Ich weiß ja immer noch nicht, wozu das alles gut sein soll“, sagte der Held, der nun aber wirklich fand, sie könnten ihn nun endlich aufklären.
    „Nein, das stimmt, das ist der Typ, der mich gefragt hat, was die hier alle machen“, kam es von hinten aus der Menge und erkannte, das seltsam blasse Gesicht des Zuschauers, den er als ersten über all das ausgefragt hatte.
    „Ja, ich hab auch gesehen, wie er losgelaufen ist“, sagte eine dicke Frau, die sich jetzt vordrängelte.
    Die anderen Männer, in der Nähe des Helden wussten offenbar nicht so ganz was sie von all dem halten sollten. Endlich lenkte sich aber ihre Welt wieder in geordnete Bahnen, als sie am Horizont den Extremsportler sahen, ein ganz normaler Sportler also, der auch eine Nummer trug und höchstwahrscheinlich wusste, dass dies ein Marathon war und warum er hierbei mitmachte. Der drahtige Kerl schien noch mal alle seine Reserven zu mobilisieren und legte noch einen Zahn zu, rannte jetzt fast. Er stürmte durch das Ziel, zerriss das Absperrband und brach dann japsend auf dem Boden zusammen.
    „Zwei Stunden und achtzehn Minuten“, verkündete der Stoppuhrträger.
    „Was hat er denn? Ist er krank?“ fragte der Held den Typen, mit der blauen Jacke, der ihn beglückwünscht hatte und sich jetzt besorgt über den Sportler beugte.
    „Er ist ganz normal erschöpft“, kam es harsch zurück. „Er wollte wohl eine gute Zeit einfahren und hat sich deswegen besonders angestrengt.“
    Der Held schüttelte den Kopf. Merkwürdige Leute gab es. Leute, die im Kreis liefen und ihm nicht sagen wollten warum, Leute, die schnauften und keuchten, als ob Laufen anstrengend wäre, Leute, die einfach so zusammenbrachen. Er zuckte noch einmal mit den Schultern, drängte sich dann durch die Menge und ging davon.
    „Hab ich gewonnen?“ hörte er hinter sich noch den Extremsportler japsen.
    „Tja … äh…“ kam es von dem Mann, in der blauen Jacke, der sich jetzt unschlüssig zu seinen Kollegen umdrehte.

    Milten saß wieder vor den Medizinbüchern. Er war so vorgegangen, dass immer, wenn ihm zugerufen wurde, was der Patient für ein Problem hatte und er das nicht wusste, sich das gemerkt, oder aufgeschrieben hatte, um dann später in den Büchern nachzulesen, um das nächste Mal zu wissen worum es sich handelte. Die Krankenschwestern waren aber trotzdem eine echte Hilfe, denn sie wussten meist sofort was diese Krankheitsbezeichnungen für den Patienten bedeuteten und daraus leitete sich dann ab, welchen Heilzauber er anwenden sollte. Im Moment las er über eine Krankheit, die im Volksmund einfach als „Krebs“ bezeichnet wurde. Dabei handelte es sich wohl um Zellwucherungen. Er hatte den Text erst halb durchgearbeitet, da flog ganz unvermittelt die Tür auf und er wurde mit
    „Hallo Milten, wie geht’s?“ begrüßt.
    Es war der Held, der sich jetzt im Raum umsah.
    „Alles in Ordnung“, sagte Milten nur.
    Er hatte seinen Freund hergebeten, weil er von Astrid gehört hatte, dass die Krankenhausleitung den Einsatz von Heiltränken genehmigte. Das hieß aber auch, dass sie große Mengen brauchten und die konnte nur der Held aufbringen.
    „Meinst du die sind noch in Ordnung? Du hast gesagt, du hättest viele aus dem Schläfertempel mitgenommen. Wer weiß wie lange die da schon lagerten“, fragte Milten unsicher.
    „Ach kein Problem, ich hab doch auch davon getrunken und ich bin noch da, oder? Also mach dir darüber keine Gedanken.“
    Der Held packte einen Heiltrank nach dem anderen aus und stellte sie auf den Tisch.
    „Lester ist dabei mal nachzusehen, ob schon neue Heilkräuter gewachsen sind. Er hat im Sumpf im Südwesten welche gepflanzt. Wenn wir wirklich so viele Heiltränke brauchen wie du sagst, dann wird auch mein Vorrat schnell zur Neige gehen.“
    „Naja, Astrid sagt, dass sie die Tränke nur nehmen wollen, wenn es unbedingt nötig ist. Irgendwas wegen Nachweisen und Abrechnungen, so ganz hab ich nicht verstanden was sie meinte. Es liegt wohl an diesen Krankenkassen und Versicherungen, welche die Leute hier haben.“
    Der Held zwinkerte kurz ungläubig und schüttelte den Kopf.
    „Verrückt, anstatt, dass es für die Bürger dadurch einfacher geht, wird es komplizierter. Bei uns geht man einfach zum nächsten Händler und kauft sich einen Heiltrank und gut ist. Ich finde, auch wenn es hier viele interessante Dinge gibt, sind die grundlegenden Sachen bei uns besser.“
    „Was meinst du?“ fragte sein Freund.
    „Naja, wie das mit den Heiltränken, oder das man draußen einfach jagen kann wie es einem gefällt, oder hingehen darf wo man hinwill.“
    „Also mir fallen da viele Orte ein, wo man bei uns nicht ohne weiteres hindarf“, antwortete der Feuermagier, der nicht wusste worauf sein Freund hinauswollte.
    „Ich meinte draußen im Wald, auf der Wiese, sowas“, sagte der Held. „Auf dem Weg hierher hat mich ein Bauer angemotzt, ich soll doch von seinem Land verschwinden. Das Feld war riesig. Größer als alle Felder von Onar zusammen und der schnauzt mich an, weil ich, ein einzelner Mensch nur mal drüber läuft.“
    „Was hast du gemacht? Bitte sag nicht du hast ihn verprügelt“, kam es nervös von Milten.
    „Nein, ich hab ihm gesagt, er soll zu mir kommen und mich eigenhändig davonjagen, wenn es ihm so wichtig wäre. Hat er aber nicht gemacht. Er saß weiter in seiner komischen Maschine und hat da irgendwas gemacht.“
    „Worauf willst du eigentlich hinaus?“ fragte Milten.
    „Hier kommt mir alles so reglementiert vor. In Myrtana gibt es nicht so viele Regeln.“
    Milten grinste.
    „Die gibt es schon, nur beachtest du sie für gewöhnlich nicht.“
    „Ach komm, jetzt übertreib mal nicht“, wehrte der Held ab.
    „Aber wo wir gerade dabei sind. Sieh dir doch mal das hier an.“
    Der Feuermagier reichte ihm eine Zeitschrift, die „Focus“ hieß und darin war ein Artikel enthalten, der ausgewählte Bürgermeinungen zum Schutz oder Abschuss der Wölfe verlauten ließ. So hieß es da zum Beispiel: „Der Wolf ist ein unberechenbares Raubtier, das in unserer dicht besiedelten Kulturlandschaft nichts zu suchen hat! Der erste Riss eines Menschen wird gewiss nicht mehr lange auf sich warten lassen. Die Problemlösung besteht nur im radikalen Abschuss der Wölfe!“, „Wölfe gehören hinter Gittern, da sind sie auch geschützt!“, „Der Mensch hat schon zu viel Natur zerstört. Das kann so nicht weitergehen. Ich finde, wir sollten die Wölfe schützen“, „Man kann beim Wolf nicht von einer bedrohten Art sprechen. Der Bestand muss im dicht besiedelten Deutschland reguliert werden, bevor es zu spät ist!“, „Wölfe sollten in unserem dicht besiedelten Land ins Jagdrecht aufgenommen und abgeschossen werden! Für die Nutztierhaltung und naturliebenden Menschen ist der Wolf in der freien Wildbahn nicht hinnehmbar!“, „Die Wölfe müssen unbedingt geschützt werden!“
    Es war ganz erstaunlich mit welcher Inbrunst das eine oder andere gefordert wurde. Doch wer sollte das durchführen? Wer war dafür verantwortlich? Und warum wandten sich diese Menschen nicht direkt an diese Personen? Der Held dachte kurz, dass sie das Problem doch auch selbst erledigen könnten, aber dann fiel ihm wieder dieses Jagdverbot ein.
    „Das alles nur wegen ein paar getöteten Wildschweinen?“ fragte der Held erstaunt.
    „Naja, ich denke, es waren schon mehr als nur ein paar, oder meinst du nicht?“ versuchte Milten ihn zu überzeugen.
    „Aber die waren doch ein Problem, hat der Bauer gesagt“, rechtfertigte sich der Held.
    „Und jetzt sehen die Menschen die Wölfe als ein Problem.“
    „Ich hab gar keine gesehen“, wunderte sich der Held und versuchte sich noch mal genau zu erinnern.
    Nein, keine Wölfe. Sollte es hier wirklich von ihnen wimmeln, dann konnten sie sich wirklich gut verstecken.
    Milten verdrehte die Augen.
    „Na, wer ist denn als Warg durch die Gegend gelaufen?“
    „Oh…“ kam es vom Helden, bei dem der Erzbrocken endlich fiel.
    „Und warum musstet ihr unbedingt diesen Jäger angreifen?“ fragte Milten streng.
    „Ach, das war nur ein kleiner Spaß“, wehrte der Held ab. „Das war der Typ, der mich angefahren hat, weil ich ja ach so dreist war ein Wildschwein zu töten. Da wollte ich ihn nur ein bisschen trietzen.“
    Milten seufzte.
    „Ist es dir egal, dass deine Handlungen auch negativen Einfluss auf andere haben können?“
    Der Held dachte nach. Er löste gerne die Probleme der Menschen, aber es war ja kein muss. Manchmal, da stand eben auch einfach der Spaß im Vordergrund. Er sah nicht, was daran verkehrt war.
    „Milten, reg dich doch nicht so auf“, sagte der Held ruhig, damit sich sein Freund wieder entspannte und sich das nicht so zu Herzen nahm.
    Es klopfte an der Tür. Der Feuermagier ging los, um zu sehen, um wen es sich handelte. Es war Günther.
    „Hallo, ich wollte vorschlagen dir einige Sehenswürdigkeiten der Stadt zu zeigen. Astrid sagt, du bist die meiste Zeit hier im Krankenhaus und siehst gar nicht viel von Berlin. Oh … du bist ja auch da. Ich darf doch du sagen, oder?“ fragte Günther, als er den Helden im Hintergrund erblickte.
    „Klar, wie denn auch sonst?“ fragte der Held und hob fragend die Hände.
    „Wir können ja zusammen gehen“, schlug Günther vor, denn der gestrige Auftritt des Helden hatte ihn sehr neugierig gemacht.
    Der Feuermagier gab einer Krankenschwester Bescheid, dass er für heute gehen würde und die leitete das an der nächsten Information weiter. Sie waren draußen auf dem Weg zur Bushaltestelle, als der Held es nicht mehr aushielt und fragte: „Müssen wir denn so langsam gehen? So kommen wir ja nie an.“
    Sein Freund warf ihm einen warnenden Blick zu, doch der Held war sich keiner Schuld bewusst. Doch Günther lächelte und sagte: „Weißt du, in meinem Alter, da läuft man nicht mehr so dynamisch durch die Welt.“
    Das leuchtete dem Helden allerdings ein. Xardas, Vatras und Pyrokar hatten auch alle ewig gebraucht, bis sie beim Ritual zur Wiederherstellung des Auges Innos ankamen. Das hatte ihn wahnsinnig gemacht, dieses ewige Warten.
    „Habt ihr schon das Brandenburger Tor und die Siegessäule gesehen? Das ist nicht weit weg von hier und auf jeden Fall einen Besuch wert.“
    Der Held war sich nicht sicher. Er war weit in Berlin herumgekommen, aber er wusste oft nicht, wie die Einheimischen dieses oder jenes nannten. Doch er hatte schon davon gehört und meinte zu wissen was er meinte.
    „Das befindet sich in der Nähe von so einem großen Park, richtig?“
    Günther lächelte.
    „In Berlin gibt es viele große Parks.“
    Der Bus kam und sie fuhren nur einige wenige Stationen mit. Dann stiegen sie aus und es dauerte nicht lange und sie befanden sich auf dem Pariser Platz. Hier wimmelte es von Menschen, die alle kamen oder gingen, erzählten, mitunter auch in Sprachen, die sie nicht verstanden und immer wieder mit komischen Geräten Blitze verschossen. Günther erklärte auch gleich warum der Platz so hieß. Es hatte was mit einer weit entfernten anderen großen Stadt zu tun. Der Platz wurde wohl unter der Herrschaft eines Friedrich Wilhelm des Ersten von einem preußischen Architekten angelegt. Der Platz erhielt aber erst später diesen Namen als die preußischen Truppen diese weit entfernte Stadt „Paris“ eroberten. Günther redete noch viel über die Geschichte des Platzes. Später gab es weitere verheerende Kriege und eine Mauer wurde gebaut und hier durfte niemand langgehen, oder er würde abgeschossen. Milten und der Held waren ganz erstaunt von dem historischen Wissen von Günther. Seine Ausführungen umfassten mehrere Jahrhunderte und es ging nur um diesen einen Platz. Dann fing er noch an von diesem großen Tor mit den Tieren zu sprechen. Das waren also Pferde. Bei den Menschen hier waren sie wohl sehr wichtig. Wie Günther erzählte, trugen sie damals die Soldaten in den Kampf und zogen Karren und Wagen und später sogar große Waffen, die Geschütze hießen. Das Tor selbst wurde wiederum unter der Herrschaft von Friedrich Wilhelm des zweiten gebaut, doch eigentlich war es ein Nachbau eines anderen irgendwie mickrigeren Tores, das zum ehemaligen Stadttor gehörte und das vormals auch da stand. So genau hörte der Held gar nicht mehr zu. Er hatte noch nie jemanden kennen gelernt, der sich so lange über die Historie von Bauten auslassen konnte. Das war bestimmt wichtig, aber der Held konnte nichts dagegen machen, so lange konnte er einfach nicht tatenlos herumstehen und nur zuhören. Deswegen ging er näher an das Tor heran, um es sich mal ganz genau von unten anzusehen. Nach einiger Zeit kamen auch Milten und Günther hinzu, der jetzt nach vorne auf eine große Säule zeigte, wo eine Figur an der Spitze im schwachen Licht des bewölkten Tages matt schimmerte.
    „Das ist die Siegessäule. Sie wurde 1864 nach dem Sieg Preußens im Deutsch-Dänischen Krieg gebaut.“
    Er wollte schon wieder ansetzen, um einen erneuten Vortrag zu halten, da nutzte der Held diese Atempause um zu fragen: „Du sagst immer Preußen, ich dachte das Land hier heißt Deutschland.“
    „Ja, jetzt heißt es so, aber früher gab es noch kein geeintes Land, sondern einzelne Staaten, die von Königen regiert wurden.“
    „Und jetzt nicht mehr?“ fragte der Held erstaunt.
    „Nein“, sagte Günther und lachte leicht. „Es gibt kaum noch Länder auf der Welt wo Könige regieren, naja manche Staatsoberhäupter benehmen sich weiterhin so, aber hier gibt es eine Demokratie.“
    Das fand der Held wiederum interessant, denn es war eine völlig neue Idee wie sie ihr Problem mit dem regieren in Myrtana in den Griff bekommen könnten und er fein raus wäre.
    „Was ist denn das?“ fragte er deswegen neugierig.
    Günther war erstaunt, dass ihnen das unbekannt war, denn auch Milten sah den Geistlichen verwundert an. Und so erzählte er ihnen lang und breit wie sich hier eine Regierung bildete. Soweit der Held das verstand, wählten die Bürger Gruppen, die dann einen Rat bildeten und der dann über die Geschicke des Landes entschied.
    „Das hört sich toll an“, strahlte der Held. „Das sollten wir bei uns auch einführen.“
    Milten war nicht gleich so euphorisch. Er sah es differenzierter.
    „Das bedeutet doch aber sicher auch, dass sie sehr lange brauchen um eine Veränderung herbeizuführen, oder?“
    „Ja“ gab Günther zu. „Im Normalfall schon, manchmal zieht sich eine Entscheidung über Jahrzehnte hinweg.“
    Milten und der Held sahen sich an.
    „Also bis dahin wären bei uns schon alle Tod, das können wir so nicht machen.“
    Der Feuermagier schüttelte den Kopf.
    „Milten, jetzt sei doch nicht gleich so pessimistisch. Man könnte es ja mal ausprobieren und wenn es eben nicht funktioniert, dann überlegen wir uns eben was anderes.“
    Milten wusste ganz genau, dass der Held nach Ausflüchten suchte, um ja nicht selber ins Amt zu müssen und das verärgerte ihn. Warum sträubte er sich nur so dagegen? Günther fand das alles sehr lustig.
    „Hört sich ja an, als hättet ihr bei euch richtig was mitzureden in der Regierung.“
    Der Held wollte sich nicht dazu äußern.
    „Also ich nicht, aber unser derzeitiger Regent Lee hat ihn als neuen König vorgeschlagen“, erklärte Milten.
    Günther sah aus, als hätte er eben empfohlen Till Schweiger sollte neuer Bundeskanzler werden.
    „Er? Wirklich?“ fragte er ungläubig.
    „Siehst du, er hält es auch für eine blöde Idee“, sagte der Held und grinste, froh endlich einen Unterstützer seiner „Kein König Kampagne" gefunden zu haben.
    Milten funkelte ihn wütend an.
    „Jetzt hör endlich auf damit! Hast du denn andere Vorschläge? Wer soll es denn sonst tun?“
    „Das haben wir doch schon öfter besprochen. Vielleicht schafft es Lee ja doch und wenn wir zurückkommen ist alles in Ordnung.“
    „Oder es gibt gar kein Myrtana mehr in das wir zurückkehren können, weil alle verhungert oder von irgendwelchen Viechern, oder Orks getötet wurden“, sagte Milten gereizt.
    Warum konnte sein Freund nicht endlich einsehen, dass es nötig war? Sonst hatte niemand die Macht sie alle zu retten. Sie brauchten ihn. Doch der sah gar nicht ein, warum er auf seine Freiheit verzichten sollte. Günther war indes jedes Lächeln vergangen. Was seine beiden neuen Bekannten da besprachen, hörte sich überaus ernst an.
    „Was ist denn mit eurem Land?“
    „So wie hier, gibt es auch bei uns Kriege und die letzten beiden Orkkriege haben zusammen ungefähr dreißig Jahre gedauert und wir hätten ganz sicher verloren, wenn er nicht das Ruder noch mal rumgerissen hätte.“
    „Wie meinst du das?“ fragte Günther verwundert.
    „Du hast doch vorhin gesagt, dass Berlin mal eine Zeit lang besetzt war und jetzt stell dir vor, da wäre ein Mann gewesen, der alle Besatzer erledigt hätte.“
    Günther sah völlig baff aus.
    „Jetzt übertreib mal nicht Milten, das ist doch was ganz anderes. Hier leben viel mehr Menschen als bei uns. In Myrtana leben doch höchstens, na wenn‘s hochkommt Tausendvierhundert Leute, oder so. Das ist was ganz anderes“, redete der Held seine Taten klein.
    „So oder so, ohne dich wären wir alle drauf gegangen. Ich würde immer noch im Minental festsitzen, die Drachen hätten vermutlich alles abgefackelt und die Orks die Bevölkerung entweder getötet oder versklavt“, sagte Milten, der mit seiner Geduld am Ende war, was schon etwas heißen sollte.
    „Naja, sie wurden auch so getötet und versklavt“, erwiderte der Held ungerührt.
    „Aber du hast die Herrschaft der Orks beendet“, hielt der Feuermagier dagegen.
    „Wartet mal, sagtet ihr da etwas von Drachen?“ fragte Günther, der langsam glaubte er wäre im falschen Film.
    „Ja, Drachen. Sechs Stück hat er erschlagen“ sagte Milten und zeigte kurz auf den Helden.
    „Naja, eigentlich zehn. Die vier kleineren auf dem Festland vergessen immer alle“, stellte der Held richtig.
    „Was heißt denn klein?“ wollte der irritierte Günther wissen.
    „Naja, so … drei Meter, weiß nicht mehr genau.“
    „Um wieder zum Thema zurückzukommen“, sagte Milten, der versuchte sich zu beruhigen. „Wir müssen eine Lösung finden und das am besten schnell. Zuerst müssen wir natürlich hier weg.“
    „Aber dieses „Demokratie“ hört sich doch gut an.“
    „Ach ja? Du kannst dich doch bestimmt noch daran erinnern wie schwer es war Xardas und Pyrokar zur Zusammenarbeit zu bewegen und da ging es um den Untergang unseres Volkes. Was glaubst du wie lange es dauert, wenn es um solche banalen Dinge wie Steuern und dergleichen geht?“
    Der Held versuchte sich tatsächlich daran zu erinnern was Steuern noch mal gleich waren. Er hatte nie welche gezahlt, so als Landstreicher, da hatte er nie große Berührungen damit gehabt. Es war so etwas wie Schutzgeld an das Königreich, wenn er sich richtig erinnerte. Aber er fand, Milten hatte Recht. Allzu wichtig war das nicht.
    „Naja gut, und was ist, wenn wir das Volk den König wählen lassen?“
    Sein Freund wurde ruhig.
    „Hm… ich weiß nicht, vielleicht.“
    Er dachte angestrengt darüber nach.
    „Aber das würde nur bedeuten, dass es einen König gibt, mit dem die Mehrheit einverstanden wäre, es heißt nicht, dass es auch der König wäre, den das Land braucht.“
    „Wo ist denn der Sitz dieser Regierung?“ wollte der Held wissen.
    „Gleich da vorn“, sagte Günther und zeigte nach rechts, wo eine große gläserne Kuppel auf einem riesigen Gebäude aufragte.
    Weder Milten noch der Held konnten sich eine Vorstellung davon machen, dass „gleich da vorn“ in diesem Land auch eher unüblich war, wenn es um die Beantwortung solcher Fragen ging.
    Günther erklärte sich bereit es ihnen zu zeigen. Es gab Führungen und Günther schlug vor an einer teil zu nehmen. Auch ihr Führer konnte unglaublich viel zu diesem Gebäude und der Politik, die hier stattfand und stattfindet erzählen. Es war unglaublich. Besonders der Held war fasziniert und alles was er sah und hörte bestärkten ihn in dem Vorhaben solche Volkswahlen auch in Myrtana einzuführen.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 20:38 Uhr)

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    Das In Extremo Konzert

    Im Versteck war Anette eifrig am Werkeln. Sie hatte ihren Laptop mitgebracht, ihn im Erdgeschoss an einem wackeligen Tisch aufgestellt und designte nun die Schachteln für das Sumpfkraut. Dazu hatte sie eine besonders schöne Sumpfkrautpflanze fotografiert und dann später mit dem Bearbeitungsprogramm Gimp so verändert, dass es gut ins Bild passte. Der Hintergrund war in einem Smaragdgrün, die hellere Pflanze stach so gut hervor. Mit knalligen Farben schrieb sie an die Seite, dass es rein biologisch war und es gab sogar einen Warnhinweis: „Nicht alle auf einmal rauchen!“
    Lester kam gerade die Treppe aus dem Keller hoch. Er hatte die nächste Charge Sumpfkraut hergestellt. Er fühlte sich nicht ganz wohl, wenn die Skelette dort unten standen, aber er wusste, dass er jetzt da durch musste. Es half nichts sich zu beschweren.
    „He Lester, ich bin fertig, willst du es dir mal ansehen?“ fragte Annette und er kam zu ihr.
    Lester verstand nicht wie dieses Bild sich materialisieren sollte.
    „Was genau hast du vor?“
    „Ich werde einen vertrauensvollen Händler finden, der mir das druckt und dann kommen Kistenweise Schachteln ins Haus.“
    „Und du kennst jemanden, der sowas macht?“
    Sie zwinkerte ihm zu.
    „Das ist doch meine Aufgabe.“
    Lester war es recht. Er zündete sich einen Sumpfkrautstengel an und schmauchte genüsslich.
    „Willst du auch einen?“ fragte er und hielt der Frau einen Stengel hin.
    „Ähm…“
    Annette wollte ihn nicht verärgern. Wenn sie schon in so einem „Betrieb“ arbeitete, wollte sie wenigstens ihren guten Willen zeigen.
    „Klar, ähm… hast du Feuer?“
    Auch Lester hatte eine Feuerpfeilrune. Es war einfach ungemein praktisch zum Anzünden von Sumpfkrautstengeln. Annette staunte und nahm dann auch einen Zug. Sie stellte sich ungeschickt an, sog ganz vorsichtig den Rauch ein und musste trotzdem husten.
    „He, alles in Ordnung?“ fragte Lester verwundert.
    Annette hustete weiter, Tränen schossen ihr in die Augen und sie brachte mühsam hervor: „Klar, alles ok.“
    „Sieht aber nicht so aus. Vielleicht verträgst du es nicht?“
    „Ist das schlimm?“ fragte sie unsicher.
    Lester schüttelte den Kopf. Dann blieb doch mehr für ihn übrig.
    Später kamen auch die anderen ins Versteck bis sie vollzählig waren. Selbst Elyas war da. So lernte Annette auch Diego und Milten kennen, obwohl sie etwas verwundert war, dass sie mit dem Sumpfkraut nichts so richtig zu tun haben wollten. Erst später verstand sie, dass sie keine Geschäftspartner, sondern Freunde der anderen waren. Sie blieb aber nicht lange, sondern sagte: „Ich muss los. Heute findet ein InExtremo Konzert statt, da will ich hin.“
    „Was ist denn das, ein Konzert?“ wollte Lester wissen.
    Annette sah verwundert aus der Wäsche.
    „Naja, Musik und eigentlich immer gute Stimmung.“
    „Und was ist InExtremo?“ fragte Gorn.
    „Die Band, die Leute, die da spielen. He, wollt ihr mitkommen?“
    Hoffnungsvoll sah sie zu ihren neuen Bekannten. Sonst würde sie allein hingehen.
    „Hört sich nach Spaß an, was meint ihr?“ fragte der Held seine Freunde.
    Es kamen etwas verhaltene Antworten wie: „Kann man sich mal ansehen“, „Mal sehen was das ist“, „Einfach mal gucken gehen“.
    Also zogen sie los. Annette lotste sie zu dem Konzert, aber es gab ein Hindernis. Man durfte offenbar nur rein, wenn man im Besitz gewisser Karten war.
    „Müssen wir jetzt erst in einen Tempel und dort gegen Steinwächter oder Untote kämpfen?“ wollte der Held wissen.
    „Was? Nein, eigentlich hatte ich gehofft jemand würde hier vorne stehen und seine restlichen Karten verkaufen. Das ist immer so!“ beteuerte ihre neue Bekanntschaft.
    „Tja, heute wohl nicht“, sagte Diego trocken.
    „Ich hab eine Idee“, sagte der Held, der nicht an aufgeben dachte.
    „Und was für eine?“ wollte Milten wissen.
    „Erstmal warten wir, bis alle drin sind.“
    „Und dann?“ fragte der Feuermagier gespannt, weil er angesichts des schelmischen Grinsens seines Freundes Übles erwartete.
    „Du wirst schon sehen.“
    „Das hatte ich befürchtet.“
    Annette sah sich nervös um. Sie wollte hinein gehen, aber ihre neuen Bekannte auch nicht einfach so stehen lassen. Von drinnen hörten sie bereits Musik.
    „Das ist nur die Vorband“, erklärte sie, mehr um sich selbst zu beruhigen, als eine wirkliche Erklärung abzugeben.
    „Sieht so aus, als wären alle drin“, sagte Gorn und sah sich noch mal prüfend um.
    „Was willst du tun?“ fragte jetzt auch Diego.
    „Lasst mich nur machen“, sagte der Held und ging zu dem Typen, der diese ominösen Karten durchsah.
    Es war wie bei Ravens Lager und was hatte er da gemacht? Es gab eine kurze Diskussion und dann volles Pfund aufs Maul, der Typ lag um und der Held warf einen Vergessens Zauber auf ihn. Dann winkte der Held seinen Freunden.
    „Kommt rein, alles in Ordnung.“
    „Wenn du das sagst“, kam es von Diego.
    „Ich hoffe, du machst das nicht öfter so“, bemerkte Milten.
    Annette hatte wohl für sich beschlossen sich über gar nichts mehr zu wundern was diese Typen anging und folgte ihnen einfach. Je weiter sie kamen, umso lauter wurde es. Dann erreichten sie die ersten Ausläufer der Menschenmassen und es war ein einziges Chaos aus Lärm, Gewusel und Rauchschwaden, die über die Menge zogen. Lester fühlte sich gleich animiert ebenfalls zu rauchen. Es war nicht zu übersehen, dass er mit seinem Sumpfkrautkonsum nicht allein da stand. Die Vorband war jetzt fertig und es gab eine Pause in der sie eine halbe Ewigkeit nur herumstanden.
    „War es das schon?“ fragte der Held Annette.
    „Nein, das ist nur eine Pause, jetzt wird ein bisschen umgeräumt und es geht weiter.“
    Zeit genug, um sich die Leute um sie her anzusehen. Es waren meistens Männer in ihrem Alter, die häufig dunkle Sachen trugen, viele davon bedruckt mit Bildern oder Schrift. Sie erzählten laut und da das fast alle taten entstand ein wogendes tosendes Meer des Gequassels. Tatsächlich ging es dann endlich weiter. Die Musiker, die fremdartige Instrumente trugen, stellten sich auf der Bühne auf. Die Band legte voll los und es war dem Helden und seinen Freunden, als würden ihnen die Ohren wegfliegen, so laut donnerte die Musik auf sie zu. Die Menge um sie herum hopste und grölte laut mit. Auch Annette sprang auf und ab wie ein Flummi und kam richtig aus sich heraus.
    „Warum schreien die alle so?“ fragte Diego und er musste die Frage zweimal stellen und selbst schreien, damit seine Freunde ihn hörten.
    „Ich glaube, die haben Spaß“, rief der Held zurück und freute sich mit den anderen mit.
    „Ich kann mich nicht erinnern, dass es bei uns mal so etwas gab“, sagte Lester laut frei heraus.
    Tatsächlich tobte der Krieg in Myrtana nun schon so lange, dass sich kaum jemand an kulturelle und fröhliche, gesellschaftliche Vergnügungen erinnern konnte. Doch bei Diego fiel etwas ein.
    „He, kommen euch diese Sänger und diese Musik auch bekannt vor?“ fragte Diego zwischen all dem Lärm hindurch.
    „Nein“ kam es von Gorn.
    „Nicht, dass ich wüsste“, sagte Lester.
    „Ich erinnere mich dunkel an etwas, das sich so anhörte“, ließ Milten verlauten.
    „Diego, weißt du noch wie da diese Musikgruppe im alten Lager spielte?“ fragte der Held aufgeregt.
    Diegos Augen wurden groß.
    „Ja, die! Aber wie kommen die hierher?“
    „Das sollten wir sie fragen. Wir müssen irgendwie herausfinden wie sie das gemacht haben. Dann kommen wir selbst auch wieder zurück“, sagte der Held und kratzte sich gedankenversunken am Bart.
    Annette, die nur die Hälfte von ihrem Gespräch mitbekommen hatte, fragte verwundert: „Ihr wollt zu Ihnen? Meine Güte, ihr seid bestimmt nicht die Ersten, die das versuchen. Die haben Bodyguards.“
    „Was?“ fragte der Held.
    „Leibwächter“, sagte Annette, die immer noch wild herumhüpfte und schon bemerkt hatte, dass ihre neuen Arbeitgeber mit Englisch nichts anzufangen wussten.
    „Ach was, ich komm überall rein“, sagte der Held selbstbewusst.
    „Bitte, schlag nicht noch mehr Leute zusammen“, beschwor ihn Milten.
    „Na schön, ich lass mir was anderes einfallen.“
    Er dachte kurz nach und schlug dann vor: „Wie wäre es denn mit der guten alten Fleischwanzenverwandlung?“
    Gorn war überzeugt.
    „Hört sich gut an. Jetzt müssen wir nur noch abwarten bis dieses Konzert vorbei ist und dann krabbelst du ungesehen zu ihnen.“
    Bis dahin ließen sie sich langsam von der Freude der anderen Leute anstecken. Es waren viele fröhliche und mitreißende Lieder dabei, die dazu einluden mitzusingen, auch wenn man den Text nicht kannte. Gerade dem Helden gefielen manche der Texte. Besonders angetan hatten es ihm ein Lied über Freiheit und Zigeunerleben* und das mit den Piraten**.
    „Das erinnert mich an meine Zeit als Pirat“, sagte er, als das Lied „Störtebeker“ lief.
    „Du warst mal ein Pirat?“ rief Milten fassungslos.
    „Ja, hab ich das nicht erzählt? Damals, als ich in Jharkendar war.“
    „Hörte sich für mich eher so an, als hättest du nur ein paar Tage Aufträge für sie erledigt“, kam es laut von Gorn.
    „Und wo ist da der Unterschied zu meiner Zeit als Schatten, oder Wassermagier? Es kommt mir so vor, als hätte ich alles nur ein paar Tage gemacht. Naja, Söldner und Drachenjäger war ich ein bisschen länger.“
    Gorn lachte und man konnte es selbst durch all den Lärm ein paar Meter weit hören. Er klatschte seinem Freund eine seiner schweren Pranken auf die Schulter.
    „Tja, du bist eben die Karriereleiter hochgefallen, was?“
    Die Stimmung wurde immer ausgelassener und weit vorne sah es so aus, als veranstalteten die Fans Ringelpietz mit Anfassen. Sie wogten hin und her und schuppsten sich gegenseitig in die Menge. Auf der Bühne ging es auch immer wieder richtig nach vorne. Laut schmetterten die Bässe und hin und wieder stiegen hohe Feuersäulen auf um mal so richtig einen drauf zu machen. Die Zeit verging im Flug. Als es schon so aussah, als wäre es vorbei, da kam die Band doch noch mal auf die Bühne und gab eine Zugabe. Es war richtig schön, einfach mal alles um sich herum zu vergessen und sich einfach nur zu freuen. Schade, dass es schon vorbei war. Die meisten der Leute verzogen sich langsam, oder drängten zu einigen Tischen wo Fanartikel verkauft wurden, um die letzten Reste abzugreifen. Lester, Milten, Diego, Gorn, der Held und Annette warteten und drängten sich dann in die Richtung wohin die Band verschwunden war. Dort standen auch einige Aufpasser, was den Verdacht erhärtete, dass sie dort sein mussten.
    Der Held suchte sich eine stille Ecke, um sich zu verwandeln. Als Fleischwanze wurde er leicht übersehen, doch das wesentlich Schwierigere war, sich nicht zerquetschen zu lassen. Doch der Held wäre nicht er, wenn er das nicht schaffen würde. Er war jetzt in einem Gang und sah sich umständlich um. Niemand da. Er verwandelte sich zurück und ging den Gang entlang, dahin wo er Stimmen hörte.
    „Ich hab mich halb tot gelacht, als dich der Typ geküsst hat“, hörte er eine leichte, lachende Stimme.
    „Ich find das gar nicht mehr witzig“, hörte er eine andere, sehr raue Stimme. „Da will man den Fans was Gutes tun und lädt sie zu ihrem Geburtstag hoch auf die Bühne und dann sowas …“
    „Ach nimm es doch nicht so schwer, der wollte bestimmt nur mal seinem Idol nahe sein.“
    Der Held hörte Gelächter und ohne anzuklopfen trat er zur Tür herein.
    „Hallo, ich hab eine Frage …“
    „Oh nein, was machst du denn hier?“ wollte einer der Männer vor ihm wissen.
    Die Mitglieder der Band hockten alle ganz lässig im Raum und hatten wohl gehofft sich einfach mal ausruhen zu können.
    „Ich sag doch, die Fans kommen überall rein“, sagte ein anderer, kleinerer Typ.
    „Es geht um folgendes…“ ließ sich der Held nicht aus der Ruhe bringen. „Ihr kommt mir alle sehr bekannt vor und auch eure Musik, aber das letzte Mal, als ich euch gesehen habe war das vor Gomez Burg, im alten Lager, im Minental. Wie kann das sein? Wie seid ihr da hingekommen und wie kamt ihr wieder hierher zurück?“
    Die Band sah ihn wie vom Donner gerührt an. Eine Zeit lang sagte keiner etwas, sondern starrte den Typen nur an. Der Held befürchtete schon er würde keine positive Antwort bekommen, da sagte der mit der rauen Stimme, den der Held als den Sänger erkannte: „Ja, du kommst mir auch irgendwie bekannt vor.“
    Er musterte den Helden eingehend.
    „Naja, letztes Mal hatte ich eine rote Rüstung an.“
    Sein Gegenüber schlug sich mit der Hand an den Kopf.
    „Stimmt. Dann war das doch kein Trip, ich hatte echt gedacht, dass hätte ich bloß irgendwie geträumt.“
    „Öh… sowas mit Burg und so mittelaltermäßig, das hab ich auch geträumt. Muss so 1999, oder 2000 oder so gewesen sein“, sagte einer seiner Kollegen.
    „Ja, genau. Eine riesen Burg und wir haben neben so einem stinkenden Tümpel gespielt“, sagte ein Dritter, der etwas dicker war.
    „Wir können doch nicht alle das Gleiche geträumt haben“, sinnierte der mit der rauen Stimme.
    „Gibt es Kollektivträumen?“ fragte der Kleinere.
    „Quatsch nicht … es muss wahr gewesen sein, jedenfalls wenn unser Freund hier uns nicht tüchtig verarscht.“
    „Wisst ihr noch, wie ihr da hingekommen seid?“ wollte der Held wissen.
    Die Männer sahen sich an und versuchten sich zu erinnern.
    „Da war so ein Typ…“ fing der eine an. „Ja, so ein alter Mann. Ich glaube, der war blind.“
    „Also, ich hatte das Gefühl, er hat uns trotzdem gesehen.“
    „Ja, dieser alte Mann, irgendwie hat der was gedreht, damit wir dann auf einmal bei ihm waren. War alles ziemlich … wirr, aber ich ging ja auch davon aus, ich hab das geträumt und deswegen hab ich mir nichts weiter dabei gedacht“, kam es vom Sänger.
    „Hm…“ kam es nachdenklich vom Helden, der sich denken konnte, wer dieser alte Mann war. „Ihr habt ihn nicht zufällig in letzter Zeit wieder getroffen?“
    „Nein, der war nur zwei Mal da, richtig Männer?“
    Seine Kumpels nickten.
    „Einmal am Anfang des Traums, dann haben wir eine Weile gespielt, kam mir wie Tage vor und immer das gleiche Lied und dann am Ende des Traums war der alte Mann nochmal da und dann bin ich aufgewacht.“
    „Genau“, stimmten ihm seine Jungs zu.
    „Gibt es sonst noch etwas Wichtiges darüber zu sagen?“ wollte der Held in Erfahrung bringen.
    „Hm… nein. Wir sind hin, haben gespielt und sind wieder zurück, mehr war nicht“, sagte der Sänger grübelnd.
    „Na schön …“ sagte der Held etwas enttäuscht, weil er gehofft hatte, etwas Licht in dieses Mysterium bringen zu können.
    „Manche von den Leuten dort hatten so blaue Steine …“ erinnerte sich der Kleinere.
    „Ach, du meinst solche hier?“ fragte der Held und holte ein paar davon aus seiner Tasche.
    „Ja, genau solche“, kam es aufgeregt zurück.
    „Das ist magisches Erz.“
    Er reichte es den Bandmitgliedern, die es ganz genau unter die Lupe nahmen.
    „Wenn ihr nicht mehr darüber wisst, danke ich euch aber für diese Information. Ich denke, ich weiß nach wem ich suchen muss.“
    Er wollte schon gehen, da drehte er sich noch einmal um, weil der Ruf hinterherkam: „He, dein Erz!“
    „Behaltet es ruhig. Ihr macht richtig tolle Musik.“
    Dann verschwand der Held und kaum hatte er das Zimmer verlassen, entstanden angeregte Gespräche unter den Bandmitgliedern.
    „He, wo kommst du denn her?“ fragte ein Leibwächter verärgert, als er aus dem verbotenen Gang zurückkam.
    „Ich hab mich nur mal umgesehen“, sagte der Held lapidar.
    „Mach das du wegkommst“, drohte der Wächter.
    Der Held hatte auch keinen Grund länger zu bleiben. Er suchte nach seinen Freunden. Sie standen mit gutem Blick auf den Leibwächter da und Lester winkte ihm zu.
    „Wo ist denn Annette?“ fragte der Held.
    „Sie sagte, sie müsse nach Hause“, sagte Lester.
    „Und, was hast du herausbekommen?“ fragte Gorn ungeduldig.
    „So wie es sich anhörte, hat Xardas was damit zu tun.“
    „Wieso Xardas?“ fragte Diego.
    „Ich weiß nicht“, gab der Held zu, „aber die Beschreibung der Musikanten passt auf ihn. Keine Ahnung warum er das gemacht hat, aber wenn er die in unsere Welt und wieder hierher zurück bringen konnte, dann sollte er es doch auch schaffen uns wieder nach Myrtana zu schicken.“
    „Und … wie sagen wir ihm das?“ fragte Lester.
    „He, warum schaut ihr auf einmal alle mich an?“ kam es genervt von Milten.
    „Naja“, fing Gorn an. „Wir dachten, du wüsstest vielleicht von so einer geheimen Kommunikation unter Magiern oder so.“
    „Nein, und selbst wenn, dann würden Dämonenbeschwörer und Feuermagier ganz sicher nicht mit einander in Verbindung stehen.“
    „Aber Xardas war doch auch mal ein Feuermagier“, hielt der Held dagegen.
    „Trotzdem. Sowas gibt es nicht und selbst wenn, warum sollte es von einer Welt in die andere funktionieren?“, sagte Milten entschieden.
    „Naja … Magie“, sagte der Held schulterzuckend.
    „Nein!“
    Es war klar, dass Milten da keinen Weg sah.
    „Schade, …“
    Nach der lauten Musik war die drückende Stille besonders schwer.
    „Und was machen wir jetzt?“ fragte Lester und zündete sich einen weiteren Stengel Sumpfkraut an.
    „Hm… wir müssen versuchen irgendwie mit Xardas in Kontakt zu treten, oder vielleicht kriegen wir ja auch selber raus wie er das gemacht hat“, überlegte der Held.
    „Hat bestimmt irgendwas mit Beliarmagie zu tun“, sagte Milten resigniert.
    „Kopf hoch, wir haben es so weit geschafft, da kriegen wir das andere auch noch hin“, sagte der Held und versuchte Optimismus zu verbreiten.
    Das war eine der großen Stärken des Helden. Es konnte noch so düster aussehen, er sah immer noch einen Silberstreif am Horizont. Seine Freunde konnten gar nicht anders, als sich etwas besser zu fühlen.

    *https://www.youtube.com/watch?v=apdiIvy5aM4
    **https://www.youtube.com/watch?v=dxxCCeaeLIw
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 20:39 Uhr)

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    Ein Mädchen das tote Menschen sieht

    Am nächsten Morgen wachte der Held in seinem Bett auf. Er hatte tatsächlich mal wieder geschlafen. Er stand auf und patschte Waldi kurz auf den Kopf, der neben ihm in seinem Korb lag.
    „Ja, kriegst ja was“, sagte der Held, weil Waldi bettelte und griff in seine Tasche um ein gut abgelagertes Stück Fleisch hervorzuziehen und dem Wolf hinzuhalten.
    Etwas zögerlich nahm das beschworene Tier das Stück ins Maul und fing an zu fressen. Der Held spitzte indes die Ohren. Er hörte fröhliches Pfeifen und ging in die Richtung aus der es kam.
    „Lester?“ fragte er, als er die Etage gewechselt hatte.
    „Hier“, kam es zur Antwort aus dem Badezimmer.
    „Was machst du da?“ fragte der Held, als er vorsichtig ins Zimmer lugte, wo Lester in der Wanne saß und mit einem Stück Seife sein T-Shirt schrubbte.
    „Ich wasche, oder siehst du das nicht?“
    Lester lachte.
    „Dieses Wasser, das aus der Wand kommt ist klasse. Da gibt es sogar warmes Wasser. Stell dir das mal vor: warmes Wasser, das aus der Wand kommt.“
    Der Held sah ihn ungläubig an.
    „Aha? Aber ich dachte für die Wäsche gäbe es diese Waschmaschinen? Da fällt mir ein, ich sollte mir mal eine neue Anlaufstelle suchen, ich glaub im letzten Laden kann ich mich nicht mehr blicken lassen.“
    „Was hast du gemacht?“ fragte Lester und klatschte sein „Ich mag Kraut“ Shirt jetzt ins Wasser und nahm als nächstes seine Hose zur Hand.
    „Na gewaschen, sonst nichts“, kam es unschuldig vom Helden.
    Lester kräuselte die Stirn.
    „Aha.“
    Er beschloss nicht weiter zu fragen.
    „Und wie kriegst du die Klamotten trocken?“ wollte der Held wissen, weil er sich erinnerte, dass ihn die meisten Bürger komisch angesehen hatten, als er pitschnass der Spree entstieg, eben aus dem Grund weil sich sein angepeiltes Ziel auf der anderen Seite befand.
    „Da gibt es so eine tolle Vorrichtung, die nennt sich „Der Föhn“. Davon hat mir Elyas erzählt. Da kommt heiße Luft raus, damit werde ich meine Klamotten nachher trocknen.“
    Das hörte sich für den Helden logisch an. Er drehte den Kopf, als er ein leises Klopfen hörte.
    „Da ist jemand unten an der Tür. Ich seh mal nach“, sagte er und ließ Lester allein, der wieder anfing fröhlich vor sich hin zu pfeifen.
    Er lief die Treppen nach unten und öffnete die Tür. Es war Annette.
    „He, ich steh mit meinem Auto im eingeschränkten Halteverbot. Kannst du mir helfen die Pakete rein zu tragen?“
    Der Held sah nach draußen, wo ein sturmgrauer Kleinwagen bis oben hin vollgepackt mit braunen Paketen am Straßenrand stand.
    „Klar.“
    Die Pakete waren sperrig, aber sehr leicht. Als Annette das Haus bepackt mit zwei Kisten betrat, ertönte ein furchteinflößendes Knurren und Waldi kam die Treppe hinunter gesprungen.
    „Waldi, Schluss! Sie gehört jetzt zu uns“, belehrte der Held seine Beschwörung.
    Annette hatte ihre Pakete erschrocken fallen gelassen und sah jetzt erstarrt zu dem Tier vor sich. Waldi hatte aufgehört zu knurren, musterte die Frau aber skeptisch.
    „Das ist mein Wolf“, erklärte der Held, weil seine Bekannte so aussah, als bedurfte sie einer Erklärung.
    „Ist der auch beschworen?“ fragte Annette leise, fast als wollte sie das Tier nicht dazu motivieren wieder zu drohen.
    „Ja.“
    „Und er heißt Waldi?“ fragte Annette perplex.
    „Ein Junge aus der Straße hat ihn so genannt.“
    „Ahja, dann ist mir alles klar.“
    Sie griff sich wieder die Pakete und brachte sie in den Keller. Ohne weitere Zwischenfälle luden sie alle Pakete aus. Annette fuhr ihren Wagen zu einem Parkplatz in der Nähe und als sie zurückkam, sah sie, dass der Held schon begonnen hatte die Pakete zu öffnen.
    „Das sind die Verpackungen für die Sumpfkrautstengel.“
    Es war eine Feststellung keine Frage, aber trotzdem sagte Annette: „Ja, richtig. Gefällt es dir?“
    Der Held nahm einige Stengel aus einer Tüte zur Hand und legte sie in die Schachtel. Sie waren sicher verstaut, die Schachtel ließ sich öffnen und schließen, das war es worauf es aus seiner Sicht ankam.
    „Passt“.
    Sie begannen die Stengel in die Schachteln zu Packen. Eine Packung konnte zwanzig Stengel aufnehmen.
    „Ich denke, ihr solltet mehr Geld verlangen.“
    „Wie viel denn?“ fragte der Held, dem es eigentlich gar nicht so sehr um das Geld ging.
    Sie hatten Elyas Schulden bei Cem schon abbezahlt und sie konnten sich von dem Geld, das sie hatten Essen kaufen. Wozu brauchten sie überhaupt noch welches? Der Held sah es eher als Beschäftigung. Auch wenn es nicht unbedingt spannend war, kam er in der Stadt herum und traf viele Leute und da war ihm nur Recht, wenn er auch etwas Nützliches damit verband.
    „Naja, so vierzig Euro pro Packung sollten es schon sein. Immerhin handelt es sich um … seltene Pflanzen.“
    „Von mir aus. Mal sehen, ob die Käufer das auch mit machen.“
    „Bestimmt“, sie zwinkerte ihm zu.
    „Sag mal“, fing der Held an. „Du hast gesagt, du wolltest diesen Bürojob nicht mehr machen, weil es zu langweilig war. Was hast du denn nach der Arbeit gemacht? Dieses Konzert neulich hat Spaß gemacht. Sowas ist doch eine Abwechslung von der Arbeit.“
    Der Held wollte besser verstehen wie ein Leben hier ablief. Im Finanzamt hatte er einige oberflächliche Einsichten in diese Bürotätigkeiten bekommen und fand schon das sterbens langweilig. Doch er wollte wissen, ob es wirklich so war.
    „Naja, gerade hier in Berlin gibt es viele Clubs und Kultureinrichtungen, um sich zu unterhalten. Aber irgendwann hatte ich eben alles was mich interessierte auch gesehen und dann war es nichts Interessantes mehr. Und meine Arbeit, … es war eine sichere Arbeit im Büro und das ist vielleicht auch Teil des Problems. Ich war abgeschottet von der Welt um mich herum. Es war immer das Gleiche, Schreibzeug hier, Schreibzeug da. Die gleichen Leute, jeden Tag. Ich musste irgendwann über gar nichts mehr nachdenken, es war ja immer gleich. Keine neuen Erfahrungen. Im Fernsehen oder im Radio laufen immerzu Nachrichten von überall auf der Welt. Erdbeben, Kriege, schreckliche Taten, die Menschen anderen Menschen antun, aber das ist … es ist, als wäre das in einer anderen Welt. Es berührte meinen Alltag nie, ob jetzt ein Hochhaus in England Feuer gefangen hat oder ein Bus in Italien verunglückt ist, es hatte überhaupt keinen Einfluss auf mein Leben. Immerzu sagte ich mir, dass ich ja auch froh darüber sein sollte. Wer will denn schon im Elend leben? Aber … es ist als hätte ich ein Leben in einem Elfenbeinturm verbracht, in einem goldenen Käfig. Hier gibt es alles was man braucht, ich musste nie Hunger leiden, nie wirklich um mein Leben fürchten. Ich sollte doch froh sein, oder nicht?“
    Annette hielt in ihrer Arbeit inne und sah den Helden aus großen Augen an. Sie schien um eine Bestätigung zu bitten.
    „Hm...“ kam es vom Helden. „Aber was ist mit Abenteuern?“
    Annette schnaubte.
    „Hier ist es doch schon ein Abenteuer, wenn man mit dem öffentlichen Zugverkehr fährt.“
    „Was meinst du?“
    Der Held verstand nicht was sie ihm damit sagen wollte.
    „In diesem Land ist alles ganz genau reglementiert. Es gibt Vorschriften und Gesetze, viele Gesetze. Ich war eigentlich immer froh deswegen und hab mich auch dran gehalten, aber es ist … langweilig.“
    „Du meinst, du machst das hier, weil du was erleben willst?“ fragte der Held verwundert.
    „Ja, genau. Schon allein, weil es verboten ist, ist es aufregend.“
    „Hm… und ich hatte den Eindruck Sumpfkraut in Pappschachteln zu stecken wäre langweilig.“
    Annette kicherte.
    „Dann bist du vermutlich anderes gewohnt. Ich finde es aufregend. Ich stehe in einem Keller und arbeite mit einem Drogenhändler zusammen, während an der Tür zwei Skelette stehen und Wache halten. Das ist so ziemlich das Aufregendste was mir in meinem ganzen Leben passiert ist.“
    Ihre Augen leuchteten.
    „Wirklich?“ fragte der Held bestürzt und ihm ging durch den Kopf was für ein ödes Leben sie geführt haben musste, wenn das wirklich der Fall war.
    „Wo ist eigentlich Lester?“ fragte Annette, weil sie dachte, dass es ihn interessieren könnte, dass die Sumpfkrautstengelverpackung endlich da war.
    „Wie es aussieht hat er heute Waschtag“, sagte der Held gelangweilt.
    Annette sagte nichts weiter dazu und die nächste halbe Stunde verbrachten sie weitgehend schweigend. Sie hatten zwei Pakete voller Schachteln befüllt, als Lester doch noch hereinspazierte. Er pfiff immer noch gut gelaunt vor sich hin.
    „Oh, sind das diese Schachteln, von denen du erzählt hast?“ fragte er und sah sie sich an. „Sieht auf jeden Fall besser aus, als diese langweiligen Tüten.“
    Er begann sofort sich selbst eine Packung zu füllen und in die noch leicht klamme Hosentasche zu stecken. Sie arbeiteten jetzt zu dritt.
    „Hast du die Heilkräuter eingesammelt?“ fragte der Held.
    „Ja, ich denke es sollte für zehn Tränke reichen“, kam zur Antwort.
    „Hm… nicht besonders viel.“
    „He, die müssen noch wachsen.“
    „Was denn für Tränke?“ mischte sich Annette ein.
    „Heiltränke. Wir haben vor so eine Art Arztpraxis aufzumachen, damit auch die Leute eine Chance auf Heilung haben, die keine Krankenversicherung haben.“
    „Milten arbeitet doch im Krankenhaus und heilt da mit seiner Magie Leute, oder? So hab ich das verstanden“, sagte Annette zögerlich, weil sie nichts falsches sagen wollte.
    „Ja, da dachten wir uns, das können wir doch auch, nur gegen Geld, viel Geld.“
    „Hört sich nach einem Geschäftsmodell um. Ich frag mal meinen Bruder, ob er eine passende Internetseite erstellt. Da gibt es sicher einen riesen Ansturm.“
    Das Handy des Helden klingelte. Es war Cem, der die nächste Fuhre Sumpfkraut haben wollte. Der Held griff sich einen Sack mit bereits fertig verschachtelten Sumpfkrautstengeln und begab sich auf den Weg zu ihm. Lester und Annette arbeiteten weiter. Es war eine eintönige Arbeit. Gespräche halfen da, damit es nicht langweilig wurde.
    „Ist der Namenlose der Anführer?“ fragte sie.
    „Der Namenlose?“ fragte Lester verwundert.
    Er wusste natürlich schon wen sie meinte, wunderte sich aber über diese Anrede.
    „Wie soll ich ihn denn sonst nennen, wenn er keinen Namen nennt?“
    Sie zuckte etwas patzig mit den Schultern. Lester dachte darüber nach. Ja, wie eigentlich? Irgendwie waren sie immer ohne eine Anrede ausgekommen. Es wusste auch so jeder über wen sie sprachen.
    „Anführer … naja, ich weiß nicht. Wir sind eben Freunde. Würdest du sagen, dass es unter deinen Freunden einen Anführer gibt?“
    „Ich hab keine Freunde“, kam es traurig zurück.
    Lester runzelte die Stirn.
    „Wirklich nicht?“
    Sie schüttelte wortlos den Kopf.
    „Oh.“
    Lester wurde in dem Moment klar, wie froh er war damals auf Milten, Diego und Gorn gestoßen zu sein. Ohne sie wäre die Zeit in der Kolonie bestimmt schwer erträglich gewesen. Freunde machten alles leichter, selbst, oder gerade dann, wenn man sich in einer echt beschissenen Situation befand.
    „Er ist der mit den Ideen. Bei ihm hab ich das Gefühl, dass er einfach alles schaffen kann, … und immer so optimistisch, das ist toll.“
    Anette lächelte schwach. Sie wollte sich für Lester freuen, aber sie konnte nicht ganz umhin auch ein bisschen neidisch zu sein. Sie sagte sich, dass sie immerhin ihren Bruder hatte.


    Der Held hatte den Tag zum einen Teil in Cems „Paradise“ verbracht, zum anderen war er mal wieder durch die Stadt gezogen und hatte Sumpfkraut vertickt, immer auf der Such nach neuen Aufträgen oder Hinweisen auf eine Reise zwischen den Welten. Doch wie auch schon zuvor, war er nicht sehr erfolgreich gewesen. Langsam bekam er das Gefühl, dass mit dieser Welt etwas nicht stimmte. Es war alles so kompliziert und die Leute wollten nicht richtig mit ihm reden. Sie waren oft so oberflächlich und ihm war, als sagten sie oft nicht das, was sie meinten. Wenn er seine Hilfe anbot, so lächelten die Meisten nur und wehrten ab. Es gab einige kleine Aufträge, die ihn aber auch nicht von den Socken hauten. Ein Mann brauchte Hilfe beim Verladen eines Schranks in einen Lastwagen. Es handelte sich wohl um einen Umzug. Ein anderes Mal hatte ein Dieb jemanden bestohlen. Der Held verfolgte ihn, versetzte ihm eine Kopfnuss und brachte das Diebesgut zu der Touristin zurück, die sich wortreich, aber unverständlich bedankte. Selbst das war nicht wirklich spannend gewesen. Wo blieben die Abenteuer, wo die Kämpfe, wo die Ungeheuer? Wenn er nicht bald etwas Interessantes fand, würde er noch wahnsinnig, war sich der Held sicher.
    Es war späte Nacht geworden. Er hatte unzählige Clubs besucht und war viel Sumpfkraut losgeworden. Es war wie Annette gesagt hatte, mit den neuen Schachteln zog er viel mehr Kunden an. Waren die Menschen bei den Tüten eher skeptisch, so fragten jetzt auch umstehende Leute, um was es sich handelte und wollten dann auch etwas. Diese Neukunden köderte er mit niedrigeren Preisen, denn vierzig Euro waren ihnen oftmals einfach zu viel.
    Er war jetzt in einem Park. Der Himmel war bedeckt, der Mond war nicht zu sehen, so dass es sehr dunkel war. Es war kalt geworden und der Wind pfiff durch die kahlen Äste der knorrigen Bäume. Auf einer Bank, beleuchtet von einer Straßenlaterne sah er jemanden sitzen. Erst als er sich weiter näherte, erkannte er, dass es sich um ein Mädchen von vielleicht acht, oder neun Jahren handelte. Es war klein und schmächtig und hatte braune Haare, die aussahen, als hätte jemand dem Kind einen Topf aufgesetzt und dann alle überstehenden Haare abgeschnitten. Es trug eine dünne Stoffhose, nur einen Pullover, aber keine Jacke, Halbschuhe, aber keine Socken. Alles in allem sah das Kind aus, als hätte es sich sehr schnell und unüberlegt angezogen. Er hatte nicht viel Erfahrung im Umgang mit Kindern, doch kam es ihm ungewöhnlich vor, eins zu dieser Zeit ganz allein anzutreffen.
    „He du“, kam es vom Helden.
    Das Mädchen zuckte erschrocken zusammen.
    „Was machst du denn hier, ganz allein?“
    „Nichts“, kam sofort die schüchterne Antwort zurück.
    Er sah, dass das Kind geweint hatte. Die kleinen Wangen waren ganz nass und die Augen rot. Was sollte er jetzt machen? Einfach weitergehen? Doch vielleicht gab es hier ja etwas zu tun.
    „Kann ich dir helfen?“
    Das Kind sah ihn unschlüssig an.
    „Hast du dich verlaufen? Weißt du nicht mehr wie du nach Hause kommst?“
    Keine Antwort.
    „Was machst du denn hier?“
    Er fand das Verhalten des Mädchens sonderbar. Warum antwortete sie denn nicht? Erst jetzt wurde ihm klar, dass sie vermutlich Angst vor ihm hatte.
    „He, ich tu dir nichts.“
    Er setzte sich zu ihr auf die Bank. Das Mädchen sah ihn skeptisch an.
    „Ich … ich bin weggelaufen“, sagte es schließlich.
    „Von zu Hause?“ mutmaßte der Held.
    Sie schüttelte den Kopf.
    „Nein, von so einem Ort, wo es Krankenschwestern gibt und Ärzte.“
    „Ein Krankenhaus?“ tippte der Held.
    Wieder Kopfschütteln.
    „Pyso, Psycho…dingsbums… mein Vater nannte es mal Klapse, als er dachte, ich höre nicht zu.“
    „Hm… und was ist das?“ fragte der Held weiter, der glaubte, dem Kind würde es besser gehen, wenn er es nur einfach am Reden hielte.
    „Ich weiß nicht genau. Mama sagt, die Leute dort sollen mir helfen, damit es mir wieder besser geht.“
    „Bist du krank?“ wollte der Held wissen.
    Das Kind ließ den Kopf hängen.
    „Weiß nicht.“
    Verwundert bemerkte der Held, dass es wieder anfing zu weinen.
    „Sie sagen, mit mir stimmt was nicht.“
    Ein tiefer Schluchzer ließ den kleinen Körper erzittern. Der Held sah sich um. Niemand war da. Nur er und das kleine Mädchen. Was sollte er denn jetzt machen? Hier konnte er es doch nicht lassen. Vielleicht konnte er ja das Problem lösen.
    „Worum geht es denn?“ fragte er weiter.
    Die Kleine sah ihn scheu aus verheulten Augen an.
    „Du bekommst bestimmt Angst, wenn ich es dir sage. Alle kriegen Angst.“
    „Ach was, ich bin nicht ängstlich“, sagte der Held, wurde aber jetzt sehr neugierig.
    Das Mädchen biss sich auf die Unterlippe und rutschte dann näher an den Helden heran. Sie flüsterte ihm ins Ohr: „Ich sehe tote Leute.“
    Der Held, nicht im Geringsten erschüttert, antwortete: „Ach, das ist doch normal.“
    Das Kind schaute ihn mit großen Augen an. Ein Hoffnungsschimmer keimte in der kleinen Brust.
    „Wirklich?“
    „Aber ja. Mir fällt eigentlich niemand ein, der keine toten Menschen gesehen hätte. Jeder stirbt doch mal und manchmal, da kommen eben Leute und greifen einen an und dann … sind sie hinterher tot. Alles ganz normal“, sagte der Held in fröhlichem Plauderton.
    „Hm…“
    Sie wusste wohl nicht, was sie davon halten sollte.
    „Naja“, sagte sie leise. „Aber ich meinte eigentlich Leute, die tot sein sollten, es aber nicht sind.“
    Der Held wurde hellhörig.
    „Untote meinst du?“
    „Weiß nicht … nennt man das so?“
    Der Held musterte das Mädchen eingehend. Redete sie jetzt von beschworenen Untoten oder eher verstorbenen Leuten, die immer mal wieder kamen? Ersteres könnte bedeuten, dass Xardas doch in der Nähe war und ihr vielleicht unversehens ein Skelett über den Weg gelaufen war. Oder war es vielleicht seine Schuld gewesen? Immerhin war er auch mal mit zwei Skeletten durch Berlin gelaufen. Er verwarf den Gedanken aber schnell wieder. Niemand, der klar bei Sinnen war, würde jemanden für verrückt halten, nur weil er zwei Skelette gesehen hatte. Das konnte es also nicht sein. Vielleicht war sie aber auch wie die Totenwächter von Jharkendar und sie konnte mit ihren Ahnen reden?
    „Kennst du diese Toten?“
    Sie schüttelte langsam den Kopf.
    „Sehen noch andere Leute sie?“
    „Nein, eigentlich nicht, aber vorhin, da hinten…“
    Sie zeigte auf die andere Seite des Parks.
    „… da hab ich zwei Männer getroffen, die sagten, sie hätten auch herumlaufende Tote gesehen, aber die wirkten komisch und waren voll mit grünem Rauch.“
    „Hm…“, kam es unschlüssig vom Helden. „Sagen diese Toten etwas zu dir?“
    „Manchmal“, hauchte sie.
    „Was sagen sie denn?“ bohrte der Held weiter.
    „Verschiedenes.“
    Das kleine Mädchen zog die Knie an und schlang dann die Arme um sie.
    „Das mich niemand lieb hat, das ich ganz allein bin. Einer sagt immer wieder, dass er mich töten wird.“
    Der Held blieb selbst angesichts dieser Antwort unerschütterlich und versuchte eine Lösung zu finden.
    „Du bist doch nicht allein. Ich bin doch jetzt da.“
    „Aber vorher war ich allein“, beharrte das Kind.
    „Aber jetzt nicht mehr“, gab der Held nicht nach.
    Ein leises Lächeln stahl sich auf das Gesicht des Mädchens.
    „Und so ein Toter kann ja noch so oft sagen, dass er dich umbringen will, das heißt ja noch lange nicht, dass er es auch schafft.“
    „Hat denn schon mal zu dir ein Toter gesagt, dass er dich umbringen will?“ fragte das Mädchen wieder mutlos.
    „Nein, das nicht, aber sie versuchen es eben immer wieder.“
    Das Mädchen sah ihn staunend an.
    „Wirklich?“
    „Ja, mit Schwertern und Äxten und manche untoten Tiere, die schnappen mit ihren Reiszähnen, aber keiner hat es je geschafft wie du siehst.“
    Er überlegte noch, wie das Kind sich selbst verteidigen sollte. Wenn es Tote sah, dann war es vielleicht magisch begabt. Er zog eine Lichtrune hervor, um es zu testen.
    „Hier, siehst du diesen Stein? Konzentriere dich doch mal darauf ein Licht zu machen, etwa so.“
    Er zeigte ihr wie es ging. Ein gleißend helles Licht erschien über ihm und ließ das Licht der Straßenlaterne neben ihnen stumpf und dunkel wirken. Er gab ihr die Rune.
    „Jetzt versuch du es!“
    Sie nahm die Rune in ihre kleine Hand und strengte sich mächtig an. Es sah aus, als würde sie auf dem Klo sitzen.
    „Nicht so verkrampft. Entspann dich! Es ist wichtig, dass du dir vorstellst was passieren soll.“
    Doch nichts passierte.
    „Schade."
    Der Held war etwas enttäuscht, doch dann fiel ihm ein, dass sie ja eigentlich auch erst den ersten Kreis der Magie lernen musste, um eine Rune wirken zu können. Ja, das musste es sein. Dann konnte er seinen Plan, ihr eine „Untote vernichten“ Rune zu übergeben wohl vergessen. Da wären ja noch viel mehr Kreise nötig gewesen. Er grübelte angestrengt, um eine neue Lösung zu finden. Das Mädchen sah ihm schweigend und interessiert zu und beobachtete gespannt das Licht über ihm.
    „Weißt du, wenn du da bist, dann reden die Toten nicht mit mir“, sagte das Mädchen langsam. „Vielleicht haben sie ja Angst vor dir.“
    „Das kann gut sein“, sagte der Held und zwinkerte ihr zu.
    „Aber was soll ich denn machen, wenn sie wiederkommen?“ fragte das Mädchen und wieder sammelten sich Tränen in ihren Augen.
    „Hm… vielleicht sind die Toten gar nicht so schrecklich wie du denkst“, startete der Held den zweifelhaften Versuch sie aufzubauen.
    „Ich finde sie meistens nicht so toll“, sagte das Mädchen leise. „Sie machen mir Angst.“
    „Aber machen sie denn auch was?“
    Das Mädchen druckste herum.
    „Nein, eigentlich nicht. Sie schweben einfach nur so herum und sagen mir Dinge.“
    „Vielleicht wollen sie einfach nur reden, weil sie auch allein sind.“
    Das Mädchen dachte nach.
    „Aber warum sind sie dann so gemein?“ wollte das Mädchen wissen.
    „Manche Untote machen gar nichts“, versuchte der Held sie zu überzeugen. „Soll ich es dir zeigen?“
    Das Mädchen sah ihn gebannt an und wollte offensichtlich wissen was da jetzt kam.
    „Ja, zeig mal!“
    Der Held zog eine „Skelett beschwören“ Rune hervor und holte das Ninja Skelett herbei. Stocksteif stand es da und machte keinen Mucks.
    „Nicht angreifen!“ befahl er. „Siehst du. Das ist eins meiner Skelette“, sagte er zum Mädchen gewandt.
    Das Mädchen schien nicht wirklich verwundert oder ängstlich. Neugierig rutschte sie von der Bank herunter und trat zu dem Skelett.
    „Und du sagst, das tut mir nichts?“ fragte sie und trat noch näher.
    „Wenn ich ihm befehle, dass er nicht angreifen soll, dann greift er auch nicht an.“
    Das Mädchen ging interessiert um das Skelett herum und sah es sich ganz genau an.
    „Dann ist es zu deinem Schutz?“
    „Ja, genau.“
    Der Held nickte und lächelte, weil dieses Kind so aufgeschlossen und mutig war.
    „Meine Toten sind nicht so … fest“, sagte sie, als sie das Skelett mit einem Finger antippte. „Die kann ich nicht anfassen … naja ehrlich gesagt, hab ich mich das auch noch nicht getraut, aber jetzt wo du da bist, da fühle ich mich nicht in Gefahr und dein Skelett scheint nett zu sein. Es ruft keine schlimmen Dinge und steht einfach nur da.“
    Sie streckte ihre kleine Hand aus und fasste in den leeren Brustkorb des Skeletts hinein. Der Untote beobachtete das kleine Kind aus kalten, toten, leeren, dunklen Augenhöhlen, doch das ließ sich überhaupt nicht aus der Ruhe bringen.
    „Wie heißt es denn?“ wollte das kleine Mädchen wissen.
    „Wer?“
    „Na das Skelett“, kam es zurück.
    Der Held kratzte sich im Nacken.
    „Ich … ich weiß nicht. Vielleicht hat es ja keinen Namen.“
    „Ach was, jeder hat doch einen Namen“, kam es altklug zurück.
    „He, ich hab keinen Namen“, sagte der Held in einem gespielt empörten Ton.
    „Wirklich nicht? Soll ich dir einen geben?“ fragte das Mädchen und sie lachte den Helden an.
    „Nein, lass mal, denk dir lieber einen Namen für das Skelett aus.“
    „Hmm…“
    Sie umkreiste das Skelett ein weiteres mal, stellte sich dann davor und stemmte die Hände in die Hüften. Sie sah jetzt nicht mehr im Mindesten ängstlich oder traurig aus.
    „Dann gebe ich dir jetzt den Namen: Elmo.“
    Elmo stand einfach nur da und ließ sich nicht anmerken, was er von dem Namen hielt.
    „Ich bin übrigens Elizabeth, aber eigentlich nennen mich alle Lizzy.“
    Sie trat vor und schüttelte dem Helden die Hand, der immer noch auf der Bank saß. Dann drehte sie sich um und schüttelte auch dem Skelett die Hand.
    „Hallo auch an dich, Elmo, ich bin Lizzy.“
    Die knochige Skeletthand fiel einfach in ihre Ursprungsstellung zurück, als sie losließ. Lizzy strahlte.
    „Elmo ist wirklich nett. Vielleicht hast du Recht und die anderen Toten sind auch gar nicht so übel wie ich denke.“
    „Weißt du, es gibt ein Land, das heißt Jharkendar, dort lebte früher ein Volk, in dem es Totenwächter gab, die redeten mit Verstorbenen, genau wie du. Vielleicht bist du ja auch so ein Totenwächter.“
    Lizzy sah ihn an, unsicher, ob sie Angst haben oder sich freuen sollte.
    „Du meinst, ich bin etwas Besonderes?“
    „Ganz bestimmt sogar“, bekräftigte der Held.
    Lizzy strahlte, kam zum Helden auf die Bank geklettert und in einem Anflug von Erleichterung und Glück umarmte sie ihn einfach.
    „He, ist ja gut, komm, lass uns zu deinen Eltern gehen.“
    „Meinst du? Die stecken mich doch bestimmt wieder zu diesen Ärzten“, sagte das Mädchen wenig begeistert.
    „Aber du willst doch auch nicht ewig auf dieser Bank hocken, oder?“
    Lizzy holte tief Luft und seufzte dann.
    „Nein. Ich dachte, ich könnte vielleicht bei dir und Elmo bleiben.“
    Der Held lächelte schief.
    „Aber deine Eltern würden dich doch vermissen.“
    Das Kind sah ein, dass da wohl was dran war.
    „Ja, da hast du wohl Recht. Bringst du mich noch nach Hause?“ fragte sie.
    „Sicher, wo wohnst du denn?“
    Lizzy wusste den Namen ihrer Straße, aber nicht genau wo sie sich befand. Der Held zog seine Karte hervor und sah nach.
    „Elmo kommt doch mit, oder?“ fragte das Mädchen und es schien traurig, bei dem Gedanken ihn hier zurücklassen zu müssen.
    „Natürlich kommt er mit“, sagte der Held und so zogen sie zu dritt los.
    „Er macht ja gar keine Geräusche“, staunte das Mädchen.
    „Tja, er ist ein Ninja Skelett.“
    Der Held zwinkerte ihr zu. Um diese Uhrzeit war kaum jemand unterwegs, doch in der U-Bahn ernteten sie einige verstörte Blicke. Als sie ausstiegen, rempelte Elmo einen alten Mann an, der aber nicht wagte sich darüber aufzuregen.
    „Da vorne ist es“, sagte Lizzy und zeigte auf ein dreistöckiges, unscheinbares, kastenartiges Haus.
    Der Held klingelte sturm und nach einer recht langen Wartezeit, wie er fand, öffnete sich endlich die Tür und ein dicker Mann mit kahlem Kopf stand vor ihm.
    Er sah erst zum Helden, dann zu Lizzy „Lizzy!“ seine Augen wurden groß, aber noch viel größer, als er das Skelett erblickte.
    „Was zum …?“
    Der Mann wurde kreidebleich und stütze sich an der hinteren Wand ab, als ihm die Knie plötzlich wegknicken wollten.
    „Hallo Papa, das ist Elmo und er hier hat mir gesagt, dass er gar keinen Namen hat.“
    „Ich hab sie im Park gefunden“, erklärte der Held.
    „Manfred, was ist da unten los?“ kam eine hohe Stimme aus dem Flur.
    Eine Frau mit Dauerwellenfriseur und nur in einem Bademantel bekleidet kam zur Tür, kreischte als sie Elmo sah und brach ohnmächtig zusammen.
    „Was hat sie denn?“ fragte der Held arglos.
    Lizzy sah ihn an und zuckte mit den Achseln.
    „Ich weiß auch nicht.“
    Sie sah ihn an, offenbar unschlüssig, ob sie ihn und Elmo wirklich verlassen sollte, oder nicht.
    „Danke, dass du mich gefunden hast“, sagte Lizzy und schüttelte dem Helden die Hand.
    „Lizzy, jetzt komm rein!“ befahl ihr Vater, der endlich seine Stimme wiedergefunden hatte.
    „Wiedersehen Mann ohne Namen, Widersehen Elmo“, verabschiedete sich Lizzy und winkte ihnen zu, bis ihr Vater die Tür geschlossen hatte.
    Der Held winkte zurück und als die Tür dumpf ins Schloss fiel, machte er kehrt und beschloss erst einmal zum Versteck zurückzukehren, um das Skelett, Elmo, wie es jetzt hieß, zu seinem Wachtposten zurückzubringen. Er teleportierte sich und rief dann Elmo nach.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 20:40 Uhr)

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    Diego auf der Bank

    Diego verbrachte viel Zeit auf der Bank im Park und beobachtete die Gegenüberliegende Straßenseite, wo er das Versteck ihrer Gegenspieler vermutete. Natürlich vernachlässigte er dadurch den Laden. Doch aufgrund der ständigen Verfügbarkeit mittels technologischer Kommunikationsübermittlung konnten seine Dienste trotzdem abgerufen werden. Diego störte das und er überlegte das Handy auszuschalten, doch dann würden ihm viele Aufträge und somit Geld durch die Lappen gehen, Geld, das er so niemals bekommen würde, Geld, das einfach so bei den ahnungslosen, leicht auszunehmenden Leuten verbleiben würde. Er war hin und hergerissen und entschied sich deshalb das Telefon aktiviert zu lassen. Einmal war es von alleine ausgegangen. Elyas erklärte ihm, dass er das Gerät hin und wieder an einer Öffnung in der Wand laden musste, um es aktiviert zu halten. Das war so ziemlich das Sonderbarste was Diego in seinem Leben erlebt hatte. Das Ding wurde mit einem Band verbunden, das dann in einem Loch in der Wand verschwand und das sollte das Ding nun füttern. Verrückt. Diego musste sagen, diese Welt war nichts für ihn. Sicher, es gab jede Menge Möglichkeiten, wie er an Geld kommen konnte. Elyas hatte ihm da einiges erzählt, aber für all diesen technischen Firlefanz hatte er keinen Sinn.
    Diego saß also auf der Bank im Park und hin und wieder wurde er wegen einem Auftrag weggerufen, das ließ es schwierig werden aus dem Kommen und Gehen der Leute schlau zu werden. Diego meinte aber herausgefunden zu haben, dass es sich lediglich um ein Nebengebäude handelte. Es war ganz sicher nicht der Ort, an dem sich ihr Gegner höchstpersönlich aufhielt. Als er das herausgefunden hatte, fragte er sich, ob es überhaupt noch lohnte das Gebäude weiterhin zu überwachen. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er unvermittelt angesprochen wurde.
    „Oh, Sie sind es, Diego richtig?“
    Er drehte sich zur Seite und sah eine bekannte Frau. Es war die gestresste Mutter, die damals unbedingt nach Hause musste um einen Impfpass für ihr Kind abzuholen.
    „Unerwartet Sie hier zu treffen“, sagte Diego, weil es ihm in dieser Stadt noch nie passiert war, dass er zufällig jemanden getroffen hatte, den er kannte.
    Die Frau lächelte. Im Moment trug sie ein Stirnband, ein Shirt und eine eng anliegende Hose, aber keine Jacke.
    „Ja, finde ich auch.“
    Sie zeigte nach hinten wo Kinder mit einem Ball auf einer Wiese spielten.
    „Mein Sohn spielt mit seinen Freunden Fußball und währenddessen jogge ich mit meiner Freundin durch den Park.“
    Jetzt wies sie auf eine rothaarige, abgekämpft aussehende Frau, die mit dem Rücken zu ihnen stand und den Kindern beim Fußball zusah. Diego hatte keine Ahnung warum sie ihm das alles erzählte, doch er vermutete sie wollte irgendetwas. Sie wollten alle irgendetwas, sonst würden die Leute, seiner Meinung nach, überhaupt keine Gespräche führen. Er merkte, dass sie pausierte und wohl darauf wartete, dass er eine Antwort gab.
    „Ich sitze hier einfach nur auf dieser Bank und genieße das schöne Wetter.“
    In der Tat war es ungewöhnlich warm, fast fünfzehn Grad und die Sonne schien, also war das eine plausible Erklärung.
    „Oh, eine Pause vom Geschäft, läuft es denn gut?“
    „Kann mich vor Aufträgen kaum retten. Und bei Ihnen? Wurde alles gut?“
    Die Frau wurde leicht rot, weil sie es rückwirkend sehr unangenehm fand so gestresst aufgefallen zu sein.
    „Ja, alles bestens. Irgendwie bekomme ich alles dann doch noch gewuppt.“
    Diego musste unfreiwillig Lächeln. Ja, so eine Frau hatte er in Myrtana noch nicht gesehen. Schon allein, weil es da nicht so viel Stress gab. Jeder hatte seine Aufgaben, das war klar, aber die wurden meist im eigenen Tempo erledigt. Es gab oft keine rigide Trennung zwischen Arbeit und Freizeit, wenn etwas länger dauerte im Geschäft, dann dauerte es eben länger. Doch hier war es wohl eher so wie damals mit den Buddlern im Alten Lager oder mit jungen Auszubildenden. Die Meister sagten wie sie zu arbeiten hatten und dann hatte man gefälligst zu parieren.
    „Ja, gut … dann … gehe ich wohl mal weiter joggen“, sagte seine Bekanntschaft. „War schön, Sie zu sehen.“
    Dann lief sie zurück zu ihrer Freundin und die beiden machten sich wieder auf den Weg. Diego war verwundert. Dieses Gespräch hatte seiner Meinung nach überhaupt keinen Sinn. Wozu führte man so ein Gespräch?
    Es dauerte gar nicht lange und er traf wieder zufällig auf jemanden, den er kannte. Diesmal war es Lester. Er war hier im Park unterwegs, um Sumpfkraut zu verkaufen, wie sich herausstellte. Dabei hatte er überhaupt keine Berührungsängste. Mehr oder minder offensichtlich verkaufte er die grünen Schachteln. Um diese Zeit waren viele Familien hier, da hatte er nicht viel Glück. Diego sah es auf die Art wie sie auf Lester reagierten. Sie schüttelten entschieden die Köpfe, manche sehr empört oder hoben abwehrend die Hände. Einige Mütter und Väter schimpften sogar laut. Diego konnte es hören, obwohl er noch ein Stück entfernt war.
    „Was erlauben Sie sich? Mitten am hellichten Tag vor Kindern Drogen verkaufen! Ich rufe jetzt die Polizei.“
    Lester schien das alles nicht weiter zu stören. Er zuckte nur mit den Achseln und suchte sich einen neuen potentiellen Kunden. Viel wurde er aber nicht los. Ein alter Mann, der aussah, als würde er noch ein letztes kleines Abenteuer wagen wollen ging auf Lesters Angebot ein und auch ein paar junge Studenten griffen zu. Sonst ging er leer aus. Doch er erspähte Diego auf seiner Bank.
    „He, was für ein Zufall, dass du auch da bist“, sagte sein Freund und setzte sich zu ihm.
    Diego grummelte. Es passte ihm gar nicht, dass er sich jetzt zu ihm setzte, nachdem er für so viel Aufsehen gesorgt hatte.
    „Hast du schon mal was davon gehört sich unauffällig zu verhalten?“ flüsterte Diego.
    „Wozu denn?“ wollte Lester wissen, denn für ihn ergab das keinen Sinn, da er was verkaufen wollte.
    „Weil die Leute jetzt die Miliz holen und die Typen dort im Gebäude haben sicher auch schon mitbekommen, dass du hier überall dein Kraut verteilst.“
    „Na und?“
    Lester zuckte mit den Schultern und zog einen Sumpfkrautstengel hervor, den er sich jetzt mit einer Feuerpfeilrune anzünden wollte.
    „Hörst du wohl auf damit? Du vermasselst mir noch meine ganze Überwachungsarbeit. Scher dich weg!“ zischte Diego genervt.
    Laut sagte er: „Nein, ich möchte nichts kaufen und jetzt verschwinde!“
    Sein ablehnender, aggressiver Tonfall ließ die Leute im Umkreis glauben die beiden hätten nichts miteinander zu tun. Jetzt sah Lester tatsächlich etwas verletzt aus, zog aber ab. Er verließ den Park und bog an der Straße rechts ab. Diego spähte wieder zu seinem Überwachungsziel hinüber. Dort, an der Straße, stand ein kräftiger Mann etwa Anfang dreißig, mit langem, krausen Bart und ihm war, als würde er Lester ganz genau beobachten, dann ging er dem Dealer nach. Diego seufzte. Es musste ja so kommen. Er erhob sich von der Bank und folgte in sicherem Abstand.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 20:41 Uhr)

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    Das Kaffeekränzchen

    Milten war schon wieder viel zu lange im Krankenhaus. Er konnte es einfach nicht über sich bringen die Leute mit ihrem miesen Los allein zu lassen. Wenn er den Menschen nicht gerade half, dann saß er im Bereitschaftsraum über Medizinbücher gebeugt, oder meditierte, um etwas von seiner magischen Kraft wieder herzustellen. Seit dem letzten Besuch von Günther kam noch hinzu, dass er pausenlos über das Schicksal von Myrtana nachdachte. Bei all den vielen Eindrücken dieser neuen Welt, hatte er seine Heimat zwar nicht vergessen, aber die Gedanken daran waren zumindest etwas zur Seite gedrängt wurden. Er hatte das nicht gewollt, es war ganz einfach passiert, weil er hier so viel Neuem begegnete, auf das er sich einstellen musste. Natürlich hatte er darüber nachgedacht, wie sie alle zurückkommen könnten, er hatte überlegt, wie es in Myrtana zur Zeit lief, aber es war nicht die Art von ruheloser Grübelei, die ihn jetzt befiel. Als er am Morgen aufgebrochen war, hatte Gorn ihn besorgt angesehen und ihm gesagt, er solle nicht zu sehr darüber nachdenken. Auch er sei unzufrieden mit ihrer derzeitigen Situation, aber es würde ihnen nicht weiterhelfen wenn sie sich selbst verrückt machten. Doch Milten konnte gar nicht anders, als über Myrtana und all die Menschen, die dort lebten, nachzudenken. Wie konnten sie den Untergang ihres Volkes noch abwenden? Was lauerten für neue Gefahren? Gab es überhaupt noch eine Chance? Es ließ ihn einfach nicht los.
    „He, ist alles in Ordnung?“ fragte ihn Astrid.
    Sie waren gerade auf dem Weg zu den nächsten Patienten und er war ganz in Gedanken versunken.
    „Oh, ähm… ja, alles in Ordnung. Was hat denn der nächste Kranke für ein Problem?“
    Astrid sah auf ein Klemmbrett und las vor: „Der Patient ist zu früh wieder aufgestanden und die Wunde hat sich erneut geöffnet. Eine erneute Operation ist möglich, aber für den Patienten gefährlich, weil er schon sehr alt ist.“
    „Wie alt ist er denn?“ wollte der Feuermagier wissen.
    „Vierundneunzig“, erklärte Astrid nüchtern.
    Milten sah sie ungläubig an.
    „Wirklich? Ich hab noch nie jemanden gesehen, der so alt ist. Ich wusste gar nicht, dass man überhaupt so alt werden kann.“
    Astrid lachte leise.
    „Tja, dann wird es höchste Zeit, dass du diesen Methusalem mal kennen lernst.“
    Als sie ins Zimmer des Patienten kamen war Milten tatsächlich sehr überrascht. In Myrtana gab es keine Menschen die so alt wurden. Siebzig, achtzig Jahre vielleicht, wenn sie sehr viel Glück hatten. Meist waren so alte Menschen Magier, doch grundsätzlich galt in Myrtana, wer sich seiner Haut nicht mehr erwehren konnte und nicht mehr selbstständig war, den ereilte bald der Tod.
    Es stellte sich heraus, dass der Mann sich geweigert hatte seine Notdurft in einem Topf zu verrichten und deswegen unbedingt zur Toilette hatte laufen wollen. Dadurch hatte sich die Naht dann wieder geöffnet. Astrid flüsterte ihm zu, dies sei ein klarer Fall von Altersstarsinn. Milten war sich da nicht so sicher. Er kannte viele Menschen, die sich so verhalten hätten.
    Die Heilung war sehr einfach, aber für den Patienten war es ein Wunder. Milten hatte sich daran gewöhnt. Routiniert sagte er ein paar erklärende Sätze, dann verschwanden Astrid und er wieder, um sich um die nächsten Patienten zu kümmern.
    „Wie geht es dir? Kannst du noch weitermachen?“ fragte Astrid.
    Sie fragte das jetzt öfter. Milten kam es so vor, als würde sie in letzter Zeit genau überwachen, wie viele Manatränke er zu sich nahm. Heute waren es immerhin erst drei gewesen, doch wenn er genau darüber nachdachte, so hätte er es vor ein paar Wochen wohl noch nicht als normal empfunden drei Manatränke am Tag zu trinken. Er fühlte Astrids besorgten, aber auch abwartenden Blick.
    „Ich denke, es wird auch gehen, wenn ich erst einmal einige Heiltränke benutze“, antwortete Milten.
    „Gut, unser nächster Patient ist gleich im übernächsten Gang“, sagte sie und blickte auf ihr Klemmbrett.
    Sie öffnete gerade die Tür zum nächsten Korridor, als ein wildes Piepen die Luft zerriss und Astrid lossprintete, bis sie vor einer der Türen im Gang kurz stehen blieb und sie aufriss. Auch daran hatte sich Milten langsam gewöhnt. Er folgte ihr, um zu sehen, ob er helfen konnte.
    „Was ist los? Kann ich helfen?“
    Astrid gab dem Patienten einen Beutel mit einer Flüssigkeit, den sie jetzt an eine Metallstange neben seinem Bett aufhängte.
    „Nein, ich hab das hier unter Kontrolle. Ich bin gleich wieder bei dir.“
    Hier war er also überflüssig. Der Feuermagier ging wieder nach draußen auf den Gang und ihm kam eine bedrückt wirkende Familie entgegen. Einem kleinen Jungen, vielleicht acht Jahre alt, liefen Tränen über die Wangen.
    „Muss Opi jetzt sterben?“
    Es war bezeichnend, dass die Mutter zwar versuchte ein beruhigendes Lächeln aufzubringen, es aber nicht schaffte und dem Kind auch kein Versprechen machen konnte, das dann nicht einzuhalten war.
    „Die Ärzte versuchen ihr Bestes, …“
    Es gab eine unangenehme Pause, dann versuchte die Mutter das Thema zu wechseln: „Jetzt komm, was hältst du davon, wenn wir zusammen ins Kino gehen? Du wolltest doch schon lange diesen lustigen Animationsfilm sehen.“
    Selbst das schien das Kind nicht aufheitern zu können. Der Vater sagte gar nichts, lief stumm neben seiner Familie her, angestrengt darauf bedacht nicht die Fassung zu verlieren. Milten sah ihnen nach und öffnete dann die Tür zu dem Zimmer, in dem der wohl bald sterbende Mann lag.
    „Guten Tag“, begrüßte Milten ihn.
    „Hallo“, kam es schwach zurück.
    Die Haut des alten Mannes wirkte wächsern und er war an allerhand Geräte angeschlossen. Die eigentlich weißen Augäpfel hatten sich gelblich verfärbt.
    „Sind Sie ein Arzt?“ fragte der alte Mann verwundert.
    Wenn man es nicht besser wusste, konnte man Milten dafür halten. Die Krankenhausleitung hatte darauf bestanden, dass er einen weißen Kittel trug, damit er als Krankenhauspersonal erkannt wurde.
    „So in der Art, ich bin ein Magier.“
    Die Augen des Alten hellten sich für einen Moment auf.
    „Aha …“ kam es ganz langsam von ihm. „Dann sind Sie der Mann von dem hier alle reden. Dieser Wunderheiler. Ich weiß ehrlich gesagt nicht was ich glauben soll, aber ich muss zugeben, in meinem Zustand würde ich gerade alles glauben, wenn ich dafür noch den nächsten Geburtstag meines Enkels miterleben könnte.“
    Die Traurigkeit in den Augen des Alten war herzergreifend. Milten war klar, er musste etwas tun. Er musste helfen.
    „Was haben Sie denn?“ fragte er deswegen.
    Er griff nach einem Blatt, das am Bett des Patienten festgemacht war, doch hatte er nie richtig verstanden diese Aufzeichnungen zu deuten. Er wurde nicht daraus schlau. Leider war auch keine Krankenschwester da, die er hätte fragen können.
    „Meine Leber versagt“, sagte der Alte.
    Seine Worte waren hart, als hätte er sein Schicksal bereits akzeptiert, doch es war ihm anzusehen, dass er um jede Minute, die er noch länger leben konnte kämpfen würde.
    „Sie halten mich mit diesen Maschinen hier am Leben, aber das eben … das war wohl das letzte Mal, das ich meine Familie gesehen habe. Ich bräuchte eine neue Leber, aber meine Chancen sind gleich null.“
    Milten hatte schon mitbekommen, dass Organe von Verstorbenen in noch lebende, aber kranke Menschen verpflanzt wurden. Das hielt er für sehr sonderbar und ethisch fragwürdig, aber er konnte verstehen, dass diese Menschen hier keine andere Möglichkeit hatten, um ihre Bürger zu retten. Doch er hatte diese Möglichkeiten sehr wohl. Er zog ein Elixier der Heilung hervor und zeigte es dem Patienten.
    „Das ist ein Heiltrank, wenn Sie den trinken, dann wird ihre Leber wieder geheilt und Sie müssen nicht sterben.“
    „Ach, so einfach geht das?“ fragte der Alte, unsicher, ob er einfach nur überrascht, oder skeptisch sein sollte.
    „Bei allen anderen hat es auch funktioniert, ich sehe nicht, warum es bei Ihnen anders sein sollte“, erklärte Milten und löste den Korken der Flasche.
    Er war gerade dabei sich über seinen Patienten zu beugen, damit der leichter trinken könnte, da flog die Tür auf und er zuckte zurück.
    „Halt! Nicht!“ rief Astrid.
    Der Ausdruck in ihren Augen zeigte, dass sie genauso erschrocken war wie Milten und der alte Mann.
    „Was ist los?“ fragte Milten überrascht.
    Astrid kam mit schnellen Schritten zu ihm und nahm ihm den Heiltrank ab.
    „Das wird nichts.“
    Sie warf einen kurzen, unglücklichen Blick auf den alten Mann, der in ihren Augen las, dass sein Schicksal doch nicht mehr geändert werden konnte.
    „Was hast du denn? Warum soll ich ihm den Heiltrank nicht geben?“ fragte Milten verwundert.
    Astrid versuchte freundlich und sachlich zu bleiben, aber er konnte sehen, wie es in ihrem Inneren brodelte.
    „Der Mann hat nicht nur eine versagende Leber, sondern auch ein Magenkarzinom. Wenn du ihm den Heiltrank gibst, dann sorgt der zwar dafür, dass seine Leber wieder hergestellt wird, aber eben auch, dass der Tumor in seinem Magen in Sekundenschnelle so sehr anwächst, dass er stirbt.“
    Ein gequälter Ausdruck trat in ihr Gesicht. Sie hatte das ganz bestimmt nicht vor dem Patienten sagen wollen, aber es war nötig, damit beide verstanden, warum es nicht möglich war.
    „Es tut mir so leid, Herr Brunnensteiger, ich würde Ihnen wirklich gerne helfen, wenn ich es könnte …“
    Sie sah ihn traurig an.
    „… aber ich kann es nicht.“
    Sie ging mit schnellen Schritten aus dem Zimmer, auf der Flucht vor ihren eigenen Gefühlen, die in ihr hochkamen. Die Tür knallte und Milten und der alte Mann, Herr Brunnensteiger, sahen sich beklommen an.
    „Es … es tut mir leid“, sagte jetzt auch Milten, der noch nicht fassen konnte, was er da beinahe angerichtet hätte.
    „Ist schon gut, Junge. Du meintest es gut. Wahrscheinlich hätte ich das mit meinem Krebs sagen sollen … ich hatte einfach die Hoffnung … weißt du, wenn man so daliegt und nur noch auf den Tod warten kann, dann ist es einem jedes Risiko wert, so lange man noch die Hoffnung hat, dass es vielleicht doch noch einen Lichtblick gibt. Als meine Familie dieses Zimmer verließ, verließ mich auch der letzte Rest Freude, doch als du von diesem Heiltrank erzählt hast, da hatte ich für einen kurzen Moment noch einmal Hoffnung. Dafür danke ich dir.“
    Der alte Mann streckte seine kraftlose Hand nach seiner aus und drückte sie ganz schwach. Milten steckte ein Kloß im Hals. Es war eine ganz und gar bedrückende Situation. Es brachte nichts, noch länger hier zu verweilen. Der Feuermagier verließ den Raum, ging den Korridor entlang und suchte nach Astrid. Er hörte angestrengtes Atmen aus einem kleinen Kabuff, das für die Reinigungsmittel gedacht war. Er öffnete die Tür und fand sie dort ganz aufgewühlt. Sie sah ihn aus gequälten Augen an.
    „Ich hab ihn über die Jahre, die er immer wieder hier auf Station war, gut kennen gelernt. Ich weiß, es sollte mich nicht mehr so mitnehmen, aber ich kann nichts dagegen machen …“
    Milten suchte nach einem Weg sie zu trösten.
    „Ich wusste nicht …“ fing er an.
    Astrids Laune schlug so schnell um wie ein Blinzeln. Da war sie wieder, die innere Wut.
    „Ja, du wusstest es nicht. Ganz toll“, warf sie ihm entgegen. „Und deswegen musstest du einfach einen Heiltrank zücken und es versuchen? Der Mann wäre unter entsetzlichen Schmerzen gestorben. Du hättest doch einfach etwas warten können, bis ich zu dir gekommen wäre, oder du hättest eine andere Schwester fragen können, oder du hättest ganz einfach wissen müssen was in der Patientenakte steht, aber nein, für dich ist es ja genug mit Tränken und Heilzaubern um dich zu werfen, ist ja auch egal was da bei den Patienten vorgeht, die Hauptsache ist doch, dass sie wieder gesund werden, nicht wahr?“
    Ihre Worte trafen Milten mit Macht, denn sie hatte Recht. Was wusste er denn schon von ihrer Medizin? Das wirkte sich dann auch darauf aus, dass er eben nicht ganz genau sagen konnte wie die Tränke und Heilzauber den Körper dazu brachten sich zu regenerieren. Er wusste nur, dass es so war. Sie hielt ihm den Spiegel seines Versagens entgegen und das traf ihn schwer. Angespannt biss er die Zähne hart zusammen.
    „Du hast Recht.“
    Mehr sagte er nicht. Sie sah ihn einen Moment einfach nur schwer atmend an, erstaunt, dass er das einfach so zugab und nicht etwa versuchte, es abzustreiten, oder sich zu rechtfertigen. Wieder wechselte ihre Stimmung. Ihr Ausdruck wurde weicher und er sah wie sich Tränen in ihren Augen bildeten.
    „Es … es tut mir Leid. Das ist alles so aus mir herausgebrochen. Woher solltest du das denn auch wissen? Du hast so viele Menschen hier gerettet und ich benehme mich … wie eine blöde Ziege."
    Sie wandte sich ab, wischte sich einige Tränen mit zitternden Fingern weg und sah schweratmend und schniefend die Wand an, wo ein Mopp und ein alter Besen lehnten.
    Milten konnte nicht anders, sie tat ihm ganz einfach leid, auch wenn sie ihn eben so angefahren hatte.
    „He, ist schon gut.“
    Er trat einen Schritt vor und umarmte sie, um sie zu stützen und zu trösten.
    „Ich kann verstehen, dass diese Aufgabe sehr schwer ist und es schrecklich ist, jemandem nicht helfen zu können, obwohl man es doch so gern möchte.“
    Astrid schluchzte ein wenig. Er merkte, dass sie versuchte es zurückzuhalten, doch dann entspannte sie sich etwas.
    „Danke“, murmelte sie.
    „Schon in Ordnung“, sagte er und löste die Umarmung.
    Jetzt schien sie wieder etwas gefestigt. Sie wischte sich noch weiter eilig die Augen trocken, ordnete dann ihr Haar, trat aus der Abstellkammer heraus und sagte, so, als wenn nichts gewesen wäre: „So unser nächster Patient … dort hinüber.“

    Später, als Milten gerade im Bereitschaftsraum war, um zu meditieren, damit er einen Teil seiner magischen Kraft zurückerhielt, klopfte es an der Tür und als sie sich öffnete, sah er Günther, der hereinlugte.
    „Störe ich?“ fragte er ruhig.
    Milten fand, dass es nicht besonders höflich wäre die Wahrheit zu sagen, deswegen kam als Antwort: „Komm doch herein.“
    Er stand auf und ging Günther entgegen und wartete ab, um herauszufinden was der Grund für seinen Besuch war.
    „Ich … äh …“
    Der Pfarrer wirkte etwas verlegen.
    „Ich bin vorbeigekommen, weil ich mit dir über neulich sprechen wollte, du weißt schon, als ich mit dir und deinem Kompagnon beim Pariser Platz war. Es ließ mir keine Ruhe …“
    Milten nickte.
    „Ja, mir lässt es auch keine Ruhe.“
    „So?“
    Günther war erstaunt. Im stillen Einvernehmen setzten sie sich an einen der Tische gegenüber.
    „Ja, ich kann gar nicht mehr aufhören an meine Heimat zu denken. Wir werden dort gebraucht. Ich mache mir große Sorgen.“
    Milten sah fertig aus und Günther hoffte, ihm mit einem Gespräch helfen zu können und damit gleichzeitig seine Neugier zu befriedigen.
    „Meintest du das ernst, als du sagtest dein Freund soll euer König werden?“
    Milten, der sich mit der rechten Hand seine kopfschmerzgeplagte Stirn hielt, sah zu ihm auf. Ihm ging auf, dass es Günther sonderbar vorkommen musste einen solchen … nun … Abenteurer wie den Helden als König vorzuschlagen.
    „Myrtana ist … anders als dieses Land. Wir befinden uns in einer ganz anderen Situation. Ich kann mir vorstellen, dass es dir verrückt vorkommen muss jemanden wie ihn zum Anführer zu bestimmen…“
    Er verstummte, um zu überlegen, wie er Günther erklären konnte, dass der Held die beste Chance für Myrtana wäre.
    „Vielleicht kommt er dir nicht als der große Politiker vor, aber er ist sehr intelligent, auch wenn er oft versucht das nicht so zu zeigen.“
    Auf Günthers Blick hin führte er noch weiter aus: „Du kennst das doch sicher, die Schläger verhauen immer die schlauen Kinder, oder? So ist das bei uns auch, nur dass es sich um sehr große Kinder handelt. Nur wer sich wehren kann, kommt weiter. Er ist sicher nicht perfekt, aber wer kann das schon von sich behaupten? Das Wichtigste ist, dass er genau der ist, den wir jetzt brauchen, um überhaupt eine Chance zu haben. Myrtana ist verwüstet, die Bevölkerung stark dezimiert, es droht eine Hungersnot und ich wette, jetzt wo die Orks vertrieben wurden, spähen schon andere Länder zu uns herüber. Die versprengten Reste unseres Militärs könnten die Bevölkerung nicht beschützen, wenn eine neue feindliche Streitmacht anrückt, aber wenn unsere Gegner wüssten, dass er unser König ist, dann würden sie es sich bestimmt zwei Mal überlegen.“
    „Wie meinst du das?“
    „Würdest du gegen jemanden in den Krieg ziehen der den Avatar des Totengottes besiegte, sechs … nein zehn Drachen tötete und auch noch ein ganzes Land quasi im Alleingang befreite?“
    Günther hob eine Augenbraue.
    „Nein, das würde ich wohl nicht, aber meinst du nicht … dass du ihn etwas übertrieben darstellst?“
    Milten musste nicht lange darüber nachdenken.
    „Nein, er hat das alles tatsächlich getan.“
    Die Stirn seines Gesprächspartners zerfurchte sich, aufgrund seiner Skepsis.
    „Sicher, er hat auch einige Sachen gemacht, die nicht sehr löblich waren“, sagte Milten langsam.
    Er dachte an den heiligen Hammer.
    „Aber, er ist derjenige, den wir jetzt brauchen.“
    Milten fand es etwas sonderbar mit jemanden über die Probleme Myrtanas zu reden, der dieses Land noch nie gesehen hatte, aber es tat ihm gut. Günther hatte so eine Art an sich, dass er sich gut bei ihm aufgehoben fühlte.
    „Aber …“
    Günther begann langsam und versuchte Milten nicht zu beleidigen.
    „… er meinte doch selbst, dass es keine gute Idee wäre. Mir kam es so vor, als würde er es nicht machen wollen.“
    „Jah, das stimmt“, sagte Milten und er konnte nicht umhin niedergeschlagen zu wirken. „Wenn es nach ihm ginge, würde er wohl einfach immer weiter durch die Welt reisen und Abenteuer erleben. Ich denke, er möchte sich einfach nicht festlegen und das würde er als König ja müssen.“
    „Naja, aber wenn er es nicht machen möchte …“
    Günther versuchte herauszufinden, warum es ausgerechnet dieser Mann sein sollte.
    „Sicher gibt es noch erfahrenere Männer, die auch etwas von Führung verstehen.“
    Der Feuermagier dachte nach. Ihm kamen da nur wenige Männer in den Sinn. Pyrokar, Saturas, Lord Hagen, Lord Garond, vielleicht sogar einer der damaligen Rebellenanführer.
    „Ein paar vielleicht …, aber keiner dieser Männer würde auch ein guter König sein, gute Berater, ja, aber gute Könige? Nein. Zu einseitig die jeweiligen Ansichten, zu groß die Gefahr hauptsächlich die eigenen Interessen durchzusetzen und keiner dieser Männer hätte einen Effekt wie er. Wenn er König werden würde, dann hätte das … Aussagekraft. Die meisten Menschen in Myrtana kennen ihn …“
    „Wie das? Ich hab immer noch nicht mal mitbekommen wie er überhaupt heißt“, sagte Günther leicht säuerlich.
    „Er hat keinen Namen“, antwortete Milten und es hörte sich sehr geheimnisvoll an, wie er das so sagte. „Und es ist so … meistens läuft er durch die Gegend und hört sich die Sorgen und Nöte der Bürger an und dann löst er ihre Probleme. Deswegen kennen ihn fast alle und ich denke deswegen wären auch die meisten froh, wenn er der neue König wäre. Sie wüssten, dass er sie beschützen könnte und sich um sie kümmert und wie gesagt hätte das auch nach außen hin eine große Wirkung.“
    „Aber warum muss er als König denn das Volk beschützen? Dazu gibt es doch eine Armee.“
    „Eigentlich schon … nur Tatsache ist, dass ein Großteil unserer Truppen im Krieg umgekommen ist. Außerdem ist es Tradition, dass der König das Land beschützt. Offen gestanden gab es erst zwei Könige vorher. So alt ist unser Land noch nicht. Vorher hat jeder so sein eigenes Süppchen gekocht.“
    „Hm… ich kann mir vorstellen, dass es das besonders schwer macht, jetzt für Einigung zu sorgen“, sagte Günther und versuchte sich in diese Lage hineinzuversetzen.
    „Nordmar und Varant haben sich abgespalten. Auch deswegen wäre es sinnvoll ihn zum König zu machen. Die anderen hätten keine Chance das Land wieder zu vereinen, aber bei ihm sieht es gar nicht mal so schlecht aus. Die Clanführer im Norden würde er sicher überredet bekommen und die Assassinen … naja, das wird sicher schwieriger.“
    „Assassinen?“ fragte Günther skeptisch.
    „Ja, ich wünschte wir bräuchten sie nicht. Meiner Meinung nach sind es verlogene Ausbeuter und hinterhältige Mörder, die Sklaverei und dunkle Magie praktizieren. Es ist aber so, dass sie vermutlich die Einzigen auf dem Kontinent sind, die eine noch einigermaßen intakte Infrastruktur haben. Wir brauchen sie als Handelspartner. Ohne sie wird es noch schwieriger nicht zu verhungern.“
    „Eine Hungersnot bricht häufig nach einem harten Krieg aus“, erklärte Günther und überlegte was man da tun könnte. „Wie sieht denn die landwirtschaftliche Lage aus?“
    „Die meisten Felder sind verwildert. Es gibt kaum noch Bauernhöfe, die überhaupt etwas erwirtschaften. Eigentlich fallen mir da nur die Handvoll auf Khorinis ein, das reicht aber nicht, um über Tausend Menschen zu ernähren.“
    „Könntet ihr vielleicht Jagen gehen?“ schlug Günther vor.
    „Schon, so kommen die Menschen im Moment über die Runden, aber es gibt kaum noch Tiere, die auch verwertbares Fleisch haben.“
    „Was meinst du?“
    „Es ist anders als hier. Viele Tiere sind sehr gefährlich. Es gibt Schattenläufer, riesige Bestien, mit einem harten Horn, Krallen und Zähnen, die einen Mann in nicht mal einer Minute in Stücke reißen können, oder Snapper und Razor, große aufrecht gehende Echsen, die meist in Rudeln jagen und ihre Beute nicht mehr entkommen lassen, Lurker, die einem am Wasser auflauern, wenn man gerade seinen Trinkschlauch auffüllen möchte, oder Warane, es gibt auch Feuerwarane, die Feuer speien können, oder Warge und Bluthunde, die eine sehr feine Nase haben und einen noch aus kilometerweiter Entfernung aufspüren können, wenn man verletzt ist. Nicht zu vergessen all die Untoten, die durch die Gegend schlurfen und unachtsame Reisende angreifen. All diese Viecher sind nicht nur mordsgefährlich, sondern auch ungenießbar.“
    Milten dachte angestrengt nach und achtete gar nicht auf Günther, der angesichts all dieser Scheusale mit offenem Mund da saß.
    „Wenn ich es mir recht überlege bleiben zur Jagd eigentlich nur Molerats, Scavenger, Wölfe und Wildschweine. Nur sind die eben auch die Beute für all die noch gefährlicheren Viecher. Hm…“
    Milten runzelte die Stirn.
    „Ich hab mal gehört, dass auch Beißerfleisch essbar ist, soll aber furchtbar schmecken. Und dann wären da noch Ripper, riesige Monsterschweine, die einen einfach umrennen und dann mit einem Biss das Genick brechen.“
    „Ok, ich habe es verstanden. Jagen gehen, ist eine ganz blöde Idee“, sagte Günther und rieb sich die Augen. „Wenn ich mir das so anhöre, dann bin ich wirklich froh, dass ich nicht in deinem Land leben muss. Wie kann man denn mit dieser ständigen Angst leben?“
    „Nun, die meisten Menschen verlassen ihr Dorf oder ihre Stadt nicht allein und gehen immer zusammen, um sich helfen zu können, wenn etwas geschieht, aber das ist eben auch keine Garantie es zu schaffen.“
    Eine lange, drückende Stille senkte sich über sie. Die Mittagssonne blinzelte durch die Fenster zu ihnen herein. Die angenehme Wärme, wirkte seltsam deplatziert.
    „Was ist mit Obstplantagen?“
    Milten dachte nach.
    „Es wäre schwer das Obst zu sammeln, wenn man immer nach Tieren ausschau halten muss, die einen fressen wollen. Einzelne Bäume in den Städten und Dörfern gibt es ja, aber eine ganze Plantage… schwierig. Einzäunen würde zu lange dauern und zu viel Arbeit machen.“
    „Was ist mit Fischfang? Im Meer gibt es doch bestimmt genügend Fische.“
    „Wir haben keine Schiffe mehr. Genau genommen haben wir noch ein Schiff, wenn man es denn so nennen will und das wird eigentlich auch zum Fischfang verwendet, aber im Moment werden damit die Paladine und Ritter von Khorinis zum Festland gebracht.“
    Günther seufzte. Es wurde einfach nicht besser. Milten wusste, wie er sich fühlte.
    „Glaub mir, ich hab mir schon lange darüber den Kopf zerbrochen.“
    „Was ist, wenn ihr etwas mit anderen Ländern gegen Nahrungsmittel eintauscht?“
    „Und was? Unser Land ist ausgeplündert. Das mit Abstand wertvollste ist das magische Erz auf der Insel Khorinis, aber wir haben keine Arbeiter, um es abzubauen. Es war schon schwierig während des Krieges, jetzt, völlig ohne Nahrungsversorgung wird es ein Ding der Unmöglichkeit genug abzubauen, damit es als Austausch genügend Nahrung für alle gäbe. Und dann ist es ja wieder … mit was für einem Schiff sollte es denn transportiert werden? Dem klapprige Wrack, was im Moment benutzt wird, traue ich nicht zu, dass es Kistenweise schweres Erz über das tobende Meer bringen kann. Und mit wem sollten wir auch tauschen? Jeder weiß doch, dass wir geschwächt durch den Krieg sind. Viel eher würden uns die anderen Länder überfallen und unterwerfen.“
    „Es tut mir Leid das sagen zu müssen, aber es sieht wirklich schlecht aus für dein Land“, sagte Günther trübsinnig. „Ich weiß aber nicht, was jetzt dein Freund deswegen tun soll. Das ist eine Mammutaufgabe. Wie stellst du dir vor, dass er das lösen soll?“
    „Ich weiß nicht“, gab Milten zu. „Aber ich glaube fest daran, dass er es schaffen kann. Er findet für alles eine Lösung.“
    „Findest du nicht, dass du ihn da auf ein etwas zu hohes Podest stellst?“ fragte Günther zweifelnd.
    „Du hast ja auch nicht miterlebt was wir durchgemacht haben“, sagte Milten leicht gereizt.
    Das verwies den Pfarrer in die Schranken. Nein, er wusste es tatsächlich nicht und deswegen wollte er sich auch nichts herausnehmen. Doch er befürchtete Milten stellte Anforderungen an seinen Freund, die er unmöglich halten konnte.
    „Aber weißt du … vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass er nicht der König werden möchte. Die Anforderungen sind so hoch.“
    „Er muss es einfach tun … wir sind verloren ohne ihn“, sagte Milten trübsinnig.
    „Aber was wäre …“
    Günther suchte nach Strohhalmen.
    „Was wäre, wenn jemand anders der König werden würde…“
    Er sah Miltens Blick und hob die rechte Hand.
    „Lass mich ausreden. Jemand anders wird König, aber er hilft tatkräftig mit, um die Probleme zu lösen. So eine Art Berater, vielleicht auch der Anführer vom Militär, er hilft da, wo er gerade am dringendsten gebraucht wird.“
    „Nein … ich denke nicht, dass er das macht. Ich denke, es würde ihm schwerfallen sich unter zu ordnen. Er macht lieber sein eigenes Ding … was ja auch wieder ein Problem ist. Er würde wohl früher oder später einfach weggehen und zu neuen Abenteuern aufbrechen und uns mit unseren Problemen allein lassen. Hat er schon einmal gemacht“, sagte Milten und ein leichter Schwung Bitterkeit lag in seiner Stimme.
    „Ich weiß nicht, ob du es verstehst. Ohne ihn … da sind wir verloren. Er hatte Myrtana von der Herrschaft der Orks befreit, aber dann ging er einfach weg. Brach zu neuen Abenteuern auf. Die Orks kamen nach Myrtana zurück und diejenigen, die noch kämpfen konnten, hatten alle Hände voll zu tun, damit die Orks nicht wieder die Herrschaft übernehmen. Es war ein langer und zäher Kampf, der sich über Monate hinwegzog. Dann kam er zurück und in nicht einmal einer Woche gab es das Problem gar nicht mehr. Er hat so eine Art … das ist einfach unbeschreiblich.“
    „Du hältst wirklich viel von ihm“, stellte Günther fest.
    „Wenn er der König wäre, dann hätten wir die Sicherheit, dass er nicht einfach wieder loszieht. Wir brauchen ihn.“
    Urplötzlich flog die Tür auf und niemand anderes als der Held stand im Türrahmen. Milten und Günther zuckten erschrocken zusammen.
    „Hallo. Du wolltest doch noch weitere Heiltränke, Milten. Das die so schnell alle gehen… Was ist? Warum guckt ihr so?“
    „Ach, nichts“, kam es von Günther, der aussah, als hätte er fast einen Herzinfarkt bekommen.
    „Worüber habt ihr geredet?“ fragte der Held und musterte ihre angespannten Gesichter.
    „Darüber wie Myrtana noch gerettet werden könnte.“
    „Achso“, kam es vom Helden, als hätte Milten gesagt, sie hätten über die Aussaat und Ernte von Rüben geredet.
    Günther sah den Helden forschend an, der jetzt einen Heiltrank nach dem anderen aus seiner magischen Hosentasche zog und auf dem Tisch abstellte.
    „Besser du stellst es gleich dahinten in den Schrank. Es ist abgesprochen, dass sie dort verwahrt werden sollen“, sagte Milten, stand auf, zückte einen Schlüssel und öffnete die Schranktüren.
    „Na schön“, sagte der Held gleichgültig.
    Der Pfarrer wollte testen, ob die großen Stücke, die der Feuermagier auf seinen Freund hielt, nicht von ungefähr kamen.
    „Wir überlegten, wie man die Menschen in Myrtana ernähren könnte. Hast du vielleicht eine Idee?“
    Der Held sah ihn leicht gelangweilt an und fast sofort kam als Antwort: „Na jagen. In Nordmar und Silden gibt es große Bisonherden. Es dürften nicht alle gejagt werden, aber wenn man hin und wieder eins aus der Gruppe treibt und tötet, wäre das ein Anfang. Man bräuchte jemanden der aufpasst, damit sich keine anderen Viecher an den Tieren vergreifen. Und in Varant gibt es große Nashörner. Die bringen auch ordentlich Fleisch.“
    Er hörte sich an, als wenn das Jagen eines riesigen, todbringenden Tieres ganz selbstverständlich und nicht weiter der Rede wert wäre. Milten warf Günther einen vielsagenden Blick zu. Günther wollte jetzt unbedingt mehr über diesen Mann herausfinden.
    „Was haltet ihr davon, mit mir mitzukommen? Ich lade euch zu mir nach Hause zum Kaffee ein.“
    Milten und der Held sahen sich verwundert an. Der Feuermagier ahnte, dass er ihr Gespräch fortsetzen wollte und er war der Meinung, dass es nicht schaden konnte den Helden darin einzubeziehen.
    „Wir kommen gern.“
    Der Held hob eine Augenbraue, als wollte er sagen: Ach wirklich?
    Aber er hatte wohl noch keine weiteren Pläne für den heutigen Tag, weswegen er nichts dagegen sagte. Sie trafen sich mit Astrid und zu viert verließen sie das Krankenhaus. Dort sahen sie Waldi, der seinem Herren entgegenlief.
    „Du hast ihn mitgebracht?“ fragte Milten verwundert.
    „Warum nicht? Er brauchte mal wieder etwas Auslauf. Als ich mit ihm ins Krankenhaus lief, fanden das aber einige von den Empfangsdamen nicht so toll. Sie meinten, es wären keine Tiere erlaubt. Ich sagte ihnen, streng genommen wäre er eine Beschwörung, aber ich glaube, sie haben es nicht so ganz verstanden.“
    „Ist das …?“ fragte Günther verwundert.
    „Ein beschworener Wolf“, sagte Milten und seufzte genervt.
    „Keine Sorge, er ist harmlos, so lange ich ihm nichts anderes sage“, versuchte der Held den alten Mann zu beruhigen.
    Günther sah noch nicht ganz überzeugt aus, aber als sie alle in seinen weißen Kleinwagen stiegen, musste er zugeben, dass er noch kein Tier getroffen hatte, dass sich so brav und ergeben gezeigt hatte. Es saß ganz friedlich zwischen Milten und dem Helden hinten auf der Rückbank und machte keinen Mucks. Günther lenkte das Auto in die Berliner Vorstadt. Hier waren die Häuser nicht so hoch und um jedes gab es einen kleinen Garten, meist umrissen von Hecken und Zäunen. Sein Haus war weiß, mit großen Fenstern und einem roten Dach. Eine hohe Hecke schützte vor unliebsamen Blicken. Waldi sollte vor dem Haus warten.
    „Wer wohnt denn alles hier?“ fragte Milten.
    „Meine Frau und ich“, antwortete Günther und schloss die Haustür auf.
    Milten und der Held sahen sich an.
    „Ein sehr großes Haus für zwei Leute. Ihr seid bestimmt sehr reich“, kam es vom Helden.
    „Reich? Naja, wenn man das so nennen will. Es gehörte vormals meinen Eltern.“
    Er ließ sie herein und staunend sahen sich der Held und Milten um. So ein Haus hatten sie noch nicht gesehen. Es gab mehrere Räume mit unterschiedlichen Funktionen. So ähnlich wie damals bei Gomez Burg. Da hatte es einen Thronsaal, eine Waffenkammer, eine Küche und oben Schlafzimmer gegeben. Zugegeben, ganz so groß war das Haus nicht, aber fast. Schon allein der Flur war so groß wie eine Hütte im Hafenviertel von Khorinis. Gleich rechts ging eine Tür in einen weiteren Raum ab.
    „Das ist das Wohnzimmer“, erklärte Günther.
    „Lass mich raten, hier wohnt man?“ fragte der Held und grinste.
    „Ein Spaßvogel, was?“ kam es amüsiert vom Hausherrn zurück.
    Das Wohnzimmer war ein helles Zimmer. Durch die großen Fenster kam sehr viel Licht ins Haus. Der Boden bestand aus etwas das aussah wie Holz, aber keins war. Hinten Richtung Garten gab es eine Sitzecke vor einem großen Fernsehgerät, wie sie es auch schon von Elyas kannten. In der Nähe der Tür stand ein riesiger Esstisch, an dem eine große Familie Platz fand und rechts davon ging es in einen weiteren Raum, den sie als Küche identifizierten. Günther gab eine kurze Führung und fand es sehr lustig wie seine Gäste so alltägliche Gegenstände wie Toaster und Mixer bestaunten. Der Held spielte am Herd herum und stellte staunend fest, dass es ja gar nicht innen drinnen brannte.
    „Kann man da überhaupt was mit anfangen, wenn da noch nicht mal ein Feuer brennt?“ wollte er wissen.
    „Es geht ja auch nicht um das Feuer, sondern um die Wärme“, erklärte Astrid, aber das verstand der Held nicht so wirklich.
    „Ich höre, wir haben Besuch?“ hörten sie eine weibliche Stimme.
    Es war Günthers Frau. Für ihr Alter hatte sie sich gut gehalten. Mit ihren blonden voluminösen Haaren und der gepflegten Haut wirkte sie viel jünger, als sie eigentlich war. Günther stellte sie als Anna vor. Sie wirkte nicht wirklich überrascht von ihren Gästen, was schon etwas heißen wollte, da der Held gerade den Schalter für die Abzugshaube gefunden hatte und jetzt immer hin und herschob, so dass es abwechselnd laut toste und dann wieder still wurde. Milten bekam den Eindruck, Günther hätte diesen Besuch schon vorher mit seiner Familie abgesprochen und hatte im Krankenhaus nur den Anschein erweckt, diese Einladung käme ganz spontan.
    „Liebling, wenn du raus gehen solltest, nicht erschrecken, draußen wartet ein beschworener Wolf, aber der ist wirklich ganz brav, hat keinen Mucks gemacht im Auto“, sagte Günther und gestikulierte angeregt mit den Händen herum.
    Anna sah ihn staunend an, war aber offenbar eine sehr tolerante Frau, denn gegen einen beschworenen Wolf im Vorgarten hatte sie offensichtlich nichts einzuwenden.
    „Und du bist Milten, der Feuermagier, richtig?“ fragte Anna und schüttelte Milten die Hand.
    „Ja, genau.“
    „Ich bin Richterin.“
    Der Blick des Helden fuhr skeptisch herum. Er erinnerte sich noch sehr gut an den letzten Richter, der ihm begegnet war. „Ein anstrengender Beruf, aber sonst könnten wir uns dieses Haus wohl nicht mehr leisten.“
    „Ich dachte es wäre geerbt?“ fragte Milten verwundert.
    „Ja, schon, aber die Reparaturen kosten ein Heidengeld.“
    Der Feuermagier fragte sich, was Ungläubige damit zu tun hatten, aber es war wohl nur eine Redewendung. Der Held hatte ein Aquarium im Wohnzimmer entdeckt und fragte wozu die Fische gut sein sollten.
    „Damit es schön aussieht, außerdem ist es ein Hobby von mir Fische zu züchten. Es ist sehr entspannend“, sagte Günther und stellte sich zu ihm, um zu erklären, was für verschiedene Arten sein Aquarium beherbergte.
    „Ich muss noch mal einkaufen fahren. Der Kaffee ist alle und wir haben auch kein Waschmittel mehr“, rief Anna ihrem Mann im Vorbeigehen zu und verschwand in den Flur, wo sie es klappern hörten und wenig später klappte die Haustür.
    „Du hast mich doch nach weiteren Medizinbüchern gefragt“, wandte sich Astrid an den Feuermagier. „Ich hab noch welche oben, in meinem Zimmer. Ich kann sie dir zeigen, wenn du möchtest.“
    Milten stimmte zu und folgte Astrid aus dem Wohnzimmer hinaus und eine Treppe hinauf. Er konnte noch hören, wie Günther den Helden bat ihn von seinen Abenteuern zu erzählen. Das konnte lange dauern, wenn er wirklich von allen hören wollte.
    „Hier, das ist mein Zimmer“, hörte er Astrid sagen.
    Im zweiten Stock gingen vier Zimmer ab und ihres lag rechter Hand des oberen Flures. Allein dieses Zimmer war so groß wie damals der Schlafraum der Feuermagier im Alten Lager. Es war über und über vollgestellt mit Schränken voller Bücher, Schachteln und Kästchen. Es gab ein großes Bett, welches unter der Dachschräge stand, in der ein Fenster eingelassen war, so dass der blaue Himmel draußen gut zu sehen war. An einer der Wände stand ein großer Schreibtisch auf dem allerhand Papier und Stifte verteilt waren. Alles in allem sah das Zimmer aber sehr ordentlich aus. Astrid blickt nervös zu ihm, als dachte sie, er würde eine Bewertung aussprechen, doch als nichts weiter kam, öffnete sie einen Schrank und holte einen Stapel dicker, schwerer Bücher hervor. Sie legte sie auf ihrem Bett ab und setzte sich daneben. Milten fand das etwas merkwürdig, aber sagte sich, dass das wohl ihre Methode war Bücher zu lesen.
    „Setz dich doch“, kam es von Astrid und sie wies neben sich aufs Bett und zog eines der Bücher aus dem Stapel. „Das hier ist ein Grundlagenbuch über Anatomie.“
    Sie schlug es auf und reichte es Milten, der jetzt neben ihr saß.
    „Und das führt in die Grundlagen der Pflege ein. Du brauchst es vermutlich nicht zwingend zu wissen, aber es kann ganz nützlich sein. Es wird beschrieben wie man einen Port legt, oder Blut abnimmt. Ganz alltägliche Sachen im Krankenhaus also.“
    Sie zog ein weiteres dickes Buch hervor und blätterte es vor Miltens schnell durch, um ihm einen groben Überblick zu geben.
    „In dem hier geht es um genetische Krankheiten.“
    „Was heißt das? Genetisch?“ wollte Milten wissen.
    Astrid sah ihn schief an.
    „Das sind Krankheiten, die weitervererbt werden können. Von den Eltern auf die Kinder.“
    „Hm…“
    Milten dachte angestrengt nach.
    „Kannst du mir mehr darüber sagen?“
    „Oh…“
    Astrid musste jetzt selbst nachdenken. Wie konnte sie das jemandem erklären, der noch nie von Genetik gehört hatte?
    „Also … grob gesagt gibt es für jedes Lebewesen ein Art Bauplan. Es wird DNA genannt.“
    „Und was heißt das ausgesprochen? Es ist doch eine Abkürzung, oder?“
    „Es heißt Desoxyribonukleinsäure. Sie ist der Träger der Erbinformationen.“
    Sie stand auf, ging zum Bücherschrank und zog ein weiteres, aber dünneres Buch hervor, ging dann zurück zum Bett, ließ sich nieder und schlug das Buch auf. Jetzt blätterte sie bis zu einer Seite wo eine Abbildung zu sehen war. Milten kam sie sehr abstrakt vor und er verstand nicht was es damit auf sich hatte. Für ihn hatte das Gebilde entfernte Ähnlichkeit mit einer Wendeltreppe.
    „Aber … was genau bedeutet das?“ fragte Milten und er kam sich sehr ahnungslos vor.
    Astrid machte auf ihn den Eindruck, dass es sich hierbei um grundsätzliches Wissen handeln musste. Sie biss sich auf die Lippen und ihre Augen huschten schnell umher auf der Suche nach einer einfachen Antwort bei so einem komplexen Thema.
    „Also … ähm… hm… nehmen wir mal an, du hast später mal Kinder ...“
    Milten hob verwundert eine Augenbraue. Wie kam sie denn jetzt darauf?
    „Dann werden sie dir deswegen ähnlich sehen, weil ihr zum Teil gleiche Gene habt. Vielleicht haben sie auch braune Haare, oder ihre Augen sehen so aus wie deine. Bestimmte Krankheiten werden auch vererbt und das nennt sich dann Erbkrankheit.“
    Milten saß einfach nur da und versuchte das zu verstehen. Er wusste natürlich, dass die Kinder ihren Eltern ähnlich sahen, aber er hatte das einfach immer als gegeben hingenommen und sich gar keine Gedanken darüber gemacht, warum das eigentlich so war.
    „Das kannst du auch mitnehmen, wenn du möchtest.“
    Astrid sah ihn eingehend an und fragte sich was in ihm gerade vorging.
    „Möchtest du denn mal eine Familie gründen?“
    Milten sah sie verwundert an. Sowas war er noch nie gefragt wurden.
    „Feuermagier gründen eigentlich keine Familien.“
    Astrid musterte ihn.
    „Warum nicht?“
    Tja … warum eigentlich nicht? Wieder etwas worüber sich Milten noch gar keine Gedanken gemacht hatte und das verwunderte ihn, denn eigentlich hielt er sich für einen sehr nachdenklichen Mann.
    „Nun … es ist einfach nicht üblich. Eine Familie würde den Magier doch von seinen Aufgaben ablenken.“
    Dafür erntete er skeptische Blicke von Astrid.
    „Ihr nehmt euren Job sehr wichtig, was?“
    „Ja, ich dachte, du nimmst deine Arbeit auch wichtig“, kam es zurück und er sah Astrid prüfend an.
    Sie zog eine Schnute.
    „Schon, aber es muss doch auch etwas Zeit für Privates bleiben.“
    „Bei mir zu Hause läuft vieles anders, als hier.“
    „Gibt es Frauen die Feuermagier sind?“ fragte sie unvermittelt.
    „Was? Nein.“
    „Warum nicht?“
    Wieder brachte sie ihn ins Grübeln. Ja, warum gab es eigentlich keine weiblichen Feuermagier? Logisch betrachtet sprach ja kein Grund dagegen. Gerade in dieser Welt war es so offensichtlich, dass es vollkommen Schnurz war, ob man nun eine Frau oder ein Mann war. Im Krankenhaus arbeiteten sowohl Ärzte, als auch Ärztinnen. Eine Frau leitete sogar das Krankenhaus. Es gab also keinen Grund anzunehmen Frauen wären nicht ebenso intelligent wie Männer. Sicher waren Männer von Grund auf überlegen in der Körperkraft, aber als Magier spielte das keine wichtige Rolle.
    „Ich … ich weiß es nicht“, sagte Milten selbst verwundert.
    Eine Weile saßen sie einfach nur stumm da und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.
    „Was wäre, wenn du nicht mehr in deine Welt zurück kommen könntest?“ fragte Astrid schließlich und durchbrach damit die Mauer des Schweigens.
    Milten sah sie erschrocken an.
    „Ich hoffe nicht, dass das passiert. Wir werden zu Hause gebraucht.“
    „Aber hier wirst du auch gebraucht“, hielt Astrid dagegen. „Sieh nur wie vielen Menschen du das Leben gerettet hast.“
    Milten sah sie an und wandte dann den Blick ab und fokussierte einen Fussel auf dem Teppich vor ihm. So gesehen hatte er hier mehr Menschen geholfen als in seinem ganzen Leben in Myrtana. Vielleicht, weil es hier viel mehr Menschen gab. Vielleicht, weil er die meiste Zeit bei seinen Kollegen mit Studien verbracht hatte und nicht so oft in Berührung mit den Sorgen und Nöten der Bürger kam, so wie es zum Beispiel bei Vatras war. Milten war plötzlich am Zweifeln, ob der Weg, den er gegangen war für sein Volk wirklich am Besten gewesen war. Wäre er eine viel größere Hilfe gewesen, wenn er direkt den Rebellen zur Seite gestanden hätte? Immerhin gab es Feuermagier, die das getan hatten. Doch waren seine Aufgaben doch auch wichtig gewesen. Die Ausbildung neuer Magier hatte Priorität und er hatte immerhin dazu beigetragen, dass es wieder Runenmagie gab. Doch Milten fühlte ein unangenehmes Ziehen in der Brust. Hatte er wirklich alles getan, was er hatte tun können, um den Menschen zu helfen? Er nahm sich vor, sich noch mehr anzustrengen, wenn sie nach Myrtana zurückkamen. Sie mussten es einfach schaffen und er würde alles tun, damit es gelang.
    „Astrid, es ist wichtig, dass wir zurückgehen. Hier helfe ich auch vielen Menschen, aber dein Volk droht immerhin auch nicht zu sterben, oder?“
    Er klang ruhig und das nahm die Wucht aus seinen Worten heraus und brachte Astrid dazu einzulenken.
    „Nein. Mein Volk stirbt nicht. Es sterben jeden Tag viele Menschen und es gibt in unserer Gesellschaft auch viele Probleme, aber sie sind vermutlich unbedeutend mit denen in deiner Welt.“
    Sie sah traurig aus. Sie sah ihn an und plötzlich legte sie eine Hand auf seinen rechten Unterarm.
    „Aber wenn es eben so ist und ihr nicht mehr zurück könnt, bleibst du dann im Krankenhaus?“ fragte sie leise.
    Milten seufzte. Der Gedanke all die Menschen in Myrtana im Stich lassen zu müssen, zehrte an ihm. Andererseits … hier war es wirklich angenehm. Keine Monster, die einem bei nächster Gelegenheit den Kopf abbeißen wollten, nicht so viele Halunken, die ihn alle Nase lang über den Tisch ziehen, ausrauben oder ermorden wollten. Man könnte schon fast sagen, es war friedlich hier. Er hatte bemerkt wie die Menschen miteinander umgingen. Nicht so hart, leichter, friedlicher. Für immer so leben? Es war tatsächlich verlockend. Hier war keine Hungersnot zu befürchten und wenn er sich das Haus hier so ansah, ließ es sich wirklich gut leben. Ihm würde schon ein kleines Zimmer im Krankenhaus reichen, wo er auch mal für sich sein konnte. Er hatte sich schnell an den Luxus gewöhnt jeden Tag dort essen zu können, ohne sich kümmern zu müssen. Es schmeckte gut und war von hoher Qualität. Kein altes, trockenes Brot oder Käse. Keine dünne Suppe. Richtig gutes Essen. Es wäre sehr angenehm hier zu leben. Es wäre geradezu zu schön um wahr zu sein.
    „Es … es wäre sicher ein schönes Leben hier“, sagte Milten leise. „Aber ich werde alles daran setzen wieder zurückzukommen und den Menschen in Myrtana zu helfen.“
    „Natürlich“, sagte Astrid, jetzt einen Hauch fröhlicher.
    Miltens Stirn furchte sich.
    „Woher weißt du eigentlich so genau Bescheid? Wir haben gar nicht so viel über meine Heimat geredet.“
    Astrids Wangen erglühten rot.
    „Mein Vater hat mir von euren gemeinsamen Ausflügen erzählt.“
    „Oh …, ach so“, kam es von Milten, der nicht genau wusste, was er davon halten sollte.
    Er hatte eigentlich gedacht Günther behielt es für sich. Wem hatte er alles davon erzählt? Und wenn, war es überhaupt schlimm, wenn einige Leute davon wussten? Doch Astrid kannte er immerhin und sie war seine Tochter, deswegen war es wohl gar nicht weiter verwunderlich, dass sie jetzt auch davon wusste.
    „Stimmt es, dass dein Freund mit zwei Skeletten unterwegs war?“ fragte Astrid skeptisch.
    Milten seufzte.
    „Erinnere mich bloß nicht daran. Ich wünschte, er würde nicht ständig irgendwelche Viecher beschwören. Das ist Beliar Magie.“
    „Und was heißt das? Sowas wie schwarze Magie?“
    „So in der Art. Es ist zwar nicht direkt verboten, aber wird nicht so gern gesehen. Wer möchte schon gern über ein paar Skelette stolpern, die einen dann angreifen?“
    „Haben sie aber nicht gemacht, oder?“ fragte Astrid nach.
    „Was?“ fragte Milten verwundert und wurde aus seinen Gedanken gerissen.
    „Die Skelette, die er bei sich hatte.“
    „Nein. Er hat sie wohl so weit unter Kontrolle, dass er sie gezielt angreifen lassen kann, wenn es nötig ist. Dennoch … ich mag das nicht.“
    „Kann ich verstehen. Hört sich gruselig an. Was ist mit dem beschworenen Wolf? Ist der gefährlich?“
    Milten zuckte mit den Schultern.
    „Auch nicht anders, als eure Hunde, nehme ich an. Vermutlich sogar um einiges gehorsamer.“
    Wieder wurde es still. Milten blätterte durch die Bücher und Astrid wusste wohl nicht so recht was sie sagen sollte.
    „Vielleicht hört sich das für dich … komisch an, aber ich bin froh, dass ihr ausversehen hier gelandet seid. Sonst hätte ich dich doch nie kennen gelernt.“
    Milten sah auf. Astrid lächelte ihn an und er fragte sich wie genau sie das meinte. Einfach so? Oder weil er so viele Menschen geheilt hatte? Oder, hm… nein, daran wollte er lieber gar nicht denken, das würde nur zu Problemen führen.
    „Schön, dass du es so positiv siehst. Ja, so gesehen … wir hätten das alles hier nie gesehen, wenn die Teleportation nie schief gelaufen wäre.“
    Gedankenverloren strich er über eins der Bücher und versuchte nicht zu Astrid zu sehen, die irgendwie erwartungsvoll aussah.
    „Vielleicht sollten wir wieder zurück ins Wohnzimmer gehen und mal hören worüber unten gesprochen wird.“
    „Oh … ja, na gut, wenn du möchtest“, sagte Astrid und es hörte sich wenig begeistert an. „Ich bleibe noch etwas hier, wenn du nichts dagegen hast.“
    Sie hörte sich niedergeschlagen an. Milten konnte sich das nicht erklären. Er ließ ihr ihren Willen und verließ ihr Zimmer, um zurück zu Günther und dem Helden zu gehen, die immer noch im Wohnzimmer am großen Tisch saßen und erzählten. Es ging selbstverständlich immer noch um die zahlreichen Abenteuer des Helden und er erzählte sie wie immer in einer derart beiläufigen Art, dass jemand der diese Sprache nicht verstand, glauben könnte es ginge um völlig banale Dinge. Ungeachtet dieser Tatsache hörte Günther hoch interessiert zu. Für Milten sah es so aus, als würde er alles was sein Freund sagte genau analysieren. Ob sich der Held dem bewusst war, konnte er nicht sagen. Es ging wohl gerade um die Drachen, als sich Milten zu ihnen setzte.
    „Pandrodor, Pedrakhan, Finkregh und Feomathar.“
    Beim Namen des Feuerdrachens erschauerte Milten. Der Held konnte nicht wissen welche grausigen Erinnerungen im Kopf seines Freundes Gestalt annahmen. Er war es, der Gomez alte Burg angegriffen hatte.
    „Auf Irdorath gab es dann noch Feodaron, er war der Bruder von Feomathar und …“
    Es war untypisch für den Helden, aber er sah tatsächlich beunruhigt aus.
    „der untote Drache ohne Namen“
    „Warum hatte der keinen Namen?“ fragte Günther sofort.
    Er merkte, dass er hier etwas auf der Spur war, dass seinen Gast sehr beschäftigte und das wollte er näher in Erfahrung bringen, nachdem er von all seinen Abenteuern bisher so leichthin gesprochen hatte, als würde er nur mal eben ein Glas Gurken aus dem Keller holen. Der Held antwortete nicht sofort und auch Milten saß jetzt wie auf heißen Kohlen. Ja, warum hatte der untote Drache eigentlich keinen Namen? Sein Freund hatte nie so direkt darüber gesprochen. Wenn man ihn danach fragte was da auf Irdorath genau geschehen sei, fasste er sich für gewöhnlich sehr kurz und mied wo es ging, dieses Thema. Der Held klopfte nachdenklich mit seinen Fingern auf den Tisch. Er überlegte, ob er das Thema irgendwie wechseln könnte, aber seine beiden Gesprächspartner sahen nicht so aus, als würden sie damit locker lassen. Deswegen seufzte der Held und rückte mit der Sprache heraus: „Der untote Drache sagte mir, dass er keinen Namen hat, weil auch ich keinen Namen trage und nur ich ihn töten könnte. Was auch immer das genau heißen soll.“
    Mit seinem letzten Satz versuchte er das Gewicht aus dem ersten zu nehmen. Milten sah ihn erstaunt an.
    „Du meinst …“
    „Was?“ fragte der Held unschuldig.
    „Weißt du was dazu geschrieben steht? „Und Beliar wählte das Tier…““
    Der Held verdrehte genervt die Augen.
    „Ja, ja, ich weiß „Und der Mensch erschlug das Tier und es ging ein in Beliars Reich.“ Vatras hat diese Geschichte jeden Tag erzählt und ich stand nicht weit entfernt in Coragons Kneipe und habe da Fleisch gebraten. Da kam ich gar nicht umhin, als seinem Gerede zuzuhören.“
    „Dann weißt du ja was das bedeutet“, sagte Milten und sah ganz aufgeregt aus.
    Günther sah gespannt von einem zum anderen. Die beiden schienen ihn vollkommen vergessen zu haben, aber das störte ihn nicht. Interessiert beobachtete er wie die beiden sich verhielten.
    „Und was?“ fragte der Held in einem Ton, der deutlich werden ließ, dass er es gar nicht wissen wollte.
    „Es war schon lange vorherbestimmt, dass du den Untoten Drachen tötest. Du wurdest wirklich von den Göttern auserwählt, vielleicht schon von deiner Geburt an.“
    „Ach Quatsch“, wehrte der Held ab. „Wenn jetzt irgendein anderer Typ den Drachen getötet hätte, dann wäre er der Auserwählte. Das ist so eine selbsterfüllende Prophezeiung. Wenn ich‘s nicht geschafft hätte, dann wäre ich es nicht gewesen, aber wenn doch, dann bin ich es, zumindest in den Augen der Leute. Das ist wie beim Schläfer Tempel, da hatten die Orks auch die Prophezeiung, dass da ein Typ käme um den Schläfer wieder zu verbannen.“
    Milten sah ihn erstaunt aber auch etwas amüsiert an.
    „Davon hast du ja noch gar nichts erzählt.“
    „Weil ich wusste, dass du da wieder allerhand hineininterpretierst. Hätte ich es nicht gemacht, hätt’s irgendwer anders gemacht.“
    „Das glaube ich nicht. Die magische Barriere bestand seit Jahren und du hast es in nicht einmal einem Monat geschafft sie zu Fall zu bringen.“
    Der Held verschränkte die Arme vor der Brust und sagte trotzig: „Was sollte ich auch noch länger da hocken.“
    Günther fand ihr Gespräch sehr interessant, aber er wusste, dass es noch mehr Verborgenes beim vorherigen Thema gab, von dem der Held so geschickt abgelenkt hatte.
    „Noch mal zurück zu diesem Untoten Drachen …“
    Der Held sah aus, als würde er ihm eine verpassen wollen. Da hatte er sich so viel Mühe gegeben und jetzt stocherte er weiter in dieser Wunde herum.
    „Wie hast du dich gefühlt, als der Drache sagte, dass nur du ihn würdest töten können?“ fragte Günther aufmerksam.
    „Wie soll ich mich schon gefühlt haben? Ich wollt‘s nicht glauben.“
    Günther nickte. Wenn ihm ein sprechender Drache, der eigentlich tot sein sollte, gesagt hätte, er sei dazu bestimmt gegen ihn zu kämpfen, dann hätte er es wohl auch nicht geglaubt.
    „Und wie denkst du jetzt darüber?“ fragte Günther mit sanfter Stimme weiter.
    Er hatte viel Übung darin. Es galt möglichst behutsam vorzugehen, damit sein Gesprächspartner das Gefühl bekam über alles reden zu können, egal wie schlimm es war. Der Held antwortete nicht sofort. Abwesend starrte er auf einen Kratzer auf dem Tisch und fuhr ihn mit dem rechten Zeigefinger nach, dann sagte er schließlich: „Ich habe lange darüber nachgedacht. Ein Teil von mir ist immer noch der Meinung, dass es nicht sein kann. Der Untote Drache sagte mir auch, dass er mich absichtlich zu ihm gelockt hätte.“
    Milten sah ihn verwundert an.
    „Was meinst du?“
    „Er sagte, er hätte die Zeichen seiner Existenz so deutlich gesät, dass ich gar nicht anders können würde, als früher oder später vor ihm zu stehen. Die Drachen und ihre Eier würden mich unweigerlich nach Irdorath führen. Er klang sehr überzeugt, aber ich sagte mir, dass er nur den Anschein erwecken wollte, das alles so vorhergeplant zu haben, um nicht eingestehen zu müssen, dass er mich nicht aufhalten konnte. So hörte es sich ja an, als wäre es alles Teil seines Plans.“
    „Und der wäre?“ fragte Milten gespannt weiter.
    Der Held atmete einmal tief aus.
    „Während des Kampfes war mir das nicht klar, aber wie ich schon sagte … ich hatte viel Zeit darüber nachzudenken. Warum ließ mich Beliar die Klaue führen? Ich musste ja zu ihm Beten und einen Teil meines Lebens an ihn abgeben…“
    „Was ich immer noch für sehr zweifelhaft halte“, unterbrach ihn Milten.
    „Willst du das jetzt hören, oder nicht?“
    Der Held sah ihn zornfunkelnd an. Milten hob die Hände zum Zeichen, dass er ihn nicht mehr unterbrechen würde.
    „Ich sagte mir lange, das ist der Preis, aber … was ist, wenn das nicht alles ist? Warum sollte mich Beliar so eine mächtige Waffe führen lassen und riskieren seine Streitmacht derart zu dezimieren? Mit der Klaue Beliars konnte ich die ersten fünf großen Drachen töten und die Orks fertig machen. Ohne die Klaue hätte ich es wohl gar nicht erst bis zum Untoten Drachen geschafft. Aber was wäre, wenn gerade das Beliars Absicht war?“
    Milten sah ihn mit großen Augen an. Er wagte aber nicht eine Zwischenfrage zu stellen.
    „Wir hatten ja schon mal darüber geredet, letztens in Diegos Haus und ich hab über deine Worte nachgedacht, Milten. Was ist, wenn ich die Klaue oft genug nutzte, um einen großen Teil meiner Lebenskraft hineinfließen zu lassen, ihr eine so große Macht zu geben? Was, wenn all diese Diener Beliars nur Mittel zum Zweck waren? Wenn selbst der Tod dieser fünf Drachen für Beliar zu verschmerzen gewesen wären? Als ich dann gegen den Untoten Drachen kämpfte zog ich, wie selbstverständlich, die Klaue Beliars zum Kampf. Doch dieses Mal verweigerte sie mir ihren Dienst.“
    Milten hörte interessiert zu und es war ihm anzusehen, dass seine Gedanken rasten. Davon hatte der Held noch nichts gesagt.
    „Als ich das Schwert gegen den Untoten Drachen einsetzten wollte, traf mich selbst ein Blitz. Es war sehr schmerzhaft und mittlerweile bin ich mir sicher, dass es Beliars Absicht war mich zu töten. Doch nach diesem ersten Angriff, steckte ich die Klaue weg und benutzte Magie um gegen meinen Feind vorzugehen. So komisch sich das auch anhört, dieser Untote Drache spuckte tatsächlich Feuer. Beliar war sich wohl sehr sicher, das wenn mir das Schwert nicht ganz den Rest gab, es der Drache tun würde und wenn ich erst tot wäre … Mittlerweile bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich überhaupt sterben kann, so richtig meine ich.“
    Die anderen beiden sahen ihn verwundert an, offensichtlich wussten sie nicht so ganz was er meinte.
    „Wenn ich so zurückdenke: Ich hab sowohl Quarhodron, als auch Rhademes als Geister gesehen. Beide waren im Besitz von Beliars Klaue, das heißt sehr wahrscheinlich haben sie in irgendeinem Maße auch zu Beliar gebetet und einen Teil ihrer Lebenskraft für das Schwert hergegeben, genau wie ich. Abgesehen von diesen beiden gab es keine Geister in Jharkendar, oder zumindest sind mir keine untergekommen. Damals hab ich das einfach so hingenommen, als ich aber so darüber nachdachte … Warum wurden ausgerechnet für diese beiden so aufwendige Krypten gebaut? Für niemanden sonst aus den hohen Kasten hab ich etwas Ähnliches gesehen. Auch keine Ruinen oder so… Die Kaste der Totenwächter gab es wohl schon länger, aber was, wenn es auch in Jharkendar ungewöhnlich war, dass jemand nicht so wirklich starb? Was ist also, wenn Beliar plante mich nach meinem Tod in Irdorath für seine Zwecke zu nutzen? Als sein untoter Diener, der mit seiner Klaue Tod und Verderben über Myrthana bringt? Was ist wenn das sein ganzer Plan war?“
    Milten sah ihn erschüttert an.
    „Das …“ er schluckte mühsam. „das ist ja ungeheuerlich.“
    Er atmete tief aus.
    „Meinst du wirklich?“ fragte er nach.
    Der Held nickte langsam.
    „Es könnte sein. Sonst würde mir nicht einfallen, warum mir Beliar die Klaue so bereitwillig überlassen hat. Kurzfristig gesehen gibt mir das Schwert die Macht gegen so ziemlich jeden Gegner zu bestehen, doch Beliar plant wohl langfristig. Früher oder später werde ich sterben, so wie jeder andere auch und dann hat er was er will.“
    Der Held erschauerte. Es war ungewöhnlich ihn so zu sehen, doch aber auch verständlich.
    „Wenn ich sterbe, wird mich wohl die verbliebene Kraft im Schwert am Unleben halten und wer weiß was dann passiert. Wenn ich glück habe, werde ich wohl einfach nur irgendeinen uralten unterirdischen Tempel bewachen müssen und mich zu Tode langweilen.“
    Sein eigener Galgenhumor lockte ihm ein schiefes Lächeln aufs Gesicht.
    „Wenn das stimmt, dann … wir müssen dich irgendwie von der Verbindung zu dem Schwert befreien“, sagte Milten energisch und im Geiste ging er schon fieberhaft alles durch was er über Bindungsmagie wusste.
    Die Miene des Helden wurde hart und er sah seinen Freund abweisend an.
    „Das will ich gar nicht.“
    „Was? Das kann nicht dein ernst sein“ brauste Milten auf.
    „Das Schwert gibt mir die Möglichkeit ein aufregendes, abenteuerliches Leben zu führen. Ich finde, irgendwie ist es das wert. Was später kommt, kann ich ja nicht vorhersehen. Vielleicht stimmt meine Theorie gar nicht und Beliar hat etwas ganz anderes vor.“
    Milten schüttelte den Kopf, total erschüttert über das was er gehört hatte. Der Held ahnte was in ihm vorging.
    „Immerhin weißt du jetzt Bescheid, falls so etwas wirklich mal geschehen sollte. Wenn ich sterbe … und irgendwie eben doch nicht, dann kannst du mich mit einem „Untote vernichten“ Zauber einfach endgültig sterben lassen.“
    Milten schüttelte heftiger mit dem Kopf.
    „Also ich glaube ja nicht, dass das so „einfach“ wird. Zum einen … wenn sich Beliar wirklich so einen raffinierten Plan ausgedacht hat, dann wird es mit einem einfachen „Untote vernichten“ Zauber nicht getan sein und zweitens … glaubst du denn wirklich das wäre einfach für mich dich umzubringen? Ganz zu schweigen davon, dass ich im Kampf vermutlich keine Chance gegen dich hätte … ich … ich könnte dich doch nicht einfach umbringen“, sagte Milten aufgewühlt.
    „Aber Milten, ich wäre doch schon tot“ antwortete der Held in einem beruhigenden Tonfall, der wohl ausdrücken sollte: Ist doch alles halb so wild.
    „Wieder einmal hab ich das Gefühl, du siehst nicht den Ernst der Lage“ sagte der Feuermagier streng.
    „Na schön…“ sagte der Held, verdrehte die Augen und lehnte sich weit im Stuhl zurück. „Dann schafft ihr mich eben in irgendeinen Tempel und versiegelt den, so wie sie es mit Rhademes im Adanos Tempel gemacht haben.“
    „Ich weiß nicht, ob du die Tragweiter dieser Konsequenzen wirklich anerkennst.“
    „Ach?“ fragte der Held verärgert. „Und was soll ich sonst machen? Denkst du ich freu mich darauf, später mal als Untoter durch die Gegend zu schlurfen? Ich hab zahlreiche Untote getötet“ und er zählte auf: „Skelette, Zombies, Schattenkrieger, untote Orks und Skelettschattenläufer und eben auch einen untoten Drachen. Da freut es mich sicher nicht, selbst ein Untoter zu werden.“
    Anna kam ins Wohnzimmer zurück und fragte in die sich ausbreitende Stille hinein, ob noch jemand einen Kaffee haben wollte, sie würde sich jetzt einen machen. Milten und Günther zuckten, ob dieses Angebots überrascht zusammen. Da dachten sie über Flüche, Untote und das Leben nach dem Tod nach und dann wurden sie nach einem Pott Kaffee gefragt.
    „Ich nehm gerne einen, danke“, sagte der Held und hob eine Hand.
    Anna lächelte ihn an und ging dann in die Küche, wo sie die Kaffeemaschine vorbereitete.
    „Und … wie läuft das genau, wenn du zu diesem Beliar betest?“ fragte Günther langsam.
    „Das ist so, ich geh zu einem Beliarschrein, lege das Schwert davor und spreche zu ihm.“
    „Und worüber?“ wollte der ältere Mann wissen.
    „Unterschiedlich. Manchmal sage ich einfach nur: „Beliar“, manchmal erzähle ich ihm aber auch, was ich so alles mit dem Schwert umgenietet habe. Keine Ahnung warum, vielleicht einfach nur so, als Monolog. Er sagt ja nicht viel. Er schickt einfach nur einen Blitz, der mir Lebenskraft entzieht und sie ins Schwert leitet.“
    Günther und Milten sahen sehr verstört aus, deswegen fügte er hinzu: „Keine Sorge, ich hol mir die Lebenskraft von Innos zurück. Wenn ich an dessen Schreinen Bete und hundert Goldstücke spende, dann kriege ich im Tausch Lebenskraft.“
    Günther sah ihn irritiert an.
    „Aber … aber“
    Aus der Küche hörten sie Anna sagen: „Ah … wie bei mir und den Kreditkartenabrechnungen. Die eine belaste ich für den Kauf und die andere benutze ich um die erste zu decken.“
    Der Held lächelte in ihre Richtung. Endlich jemand, der ihn verstand.
    „Aber …“
    Günther rang immer noch nach der Fassung.
    „Der Glaube ist doch kein Versandhandel. Man betet doch nicht, um etwas von seinem Gott einzufordern.“
    „Warum denn nicht?“ wollte der Held verwundert wissen.
    „Na weil …“
    Günther suchte nach Worten.
    „Wie machst du es denn?“ wollte der Held wissen. „Was bekommst du für dein Gebet zu deinem Gott?“
    Günther versuchte sich zu beruhigen.
    „Es gibt keinen physischen Gegenwert. Es ist das Gefühl, dass Gott über mich wacht und für mich da ist.“
    Der Held hob verwundert eine Augenbraue.
    „Mehr nicht? Also dafür würde ich nicht beten, dann kann man es ja genauso gut auch sein lassen.“
    Günther sah Milten an, der ihm einen Blick zuwarf, der wohl sagen sollte: „So ist er eben.“
    „Du meinst also, es muss einen Gegenwert geben?“ fragte Günther.
    „Ja na klar, was soll ich mit einem Gott anfangen, der mir nichts bringt?“ sagte der Held, als sei das selbstverständlich.
    Günther dachte über das nach was er heute gehört hatte. Milten versuchte es seinem Freund zu erklären: „Weißt du, es gibt Menschen die beten einfach, weil es ihnen ein gutes Gefühl gibt.“
    „Hm…“
    Der Held schien nicht überzeugt.
    „Nach dem was ihr so erzählt habt, kommt es mir ganz so vor…“ begann Günther „als würden eure drei Götter jeweils versuchen dich auf ihre Seite zu ziehen und deswegen bietet dir jeder etwas anderes.“
    Der Held dachte darüber nach.
    „Möglich.“
    „Seltsam“ murmelte Günther.
    Der Held fand das gar nicht seltsam, wozu sollte man sonst zu einem Gott beten? Es musste schon was für ihn dabei herausspringen.
    „So, der Kaffee ist fertig“, sagte Anna und reichte dem Helden einen großen Pott und nippte dann genüsslich an ihrer eigenen Tasse.
    „Es ist noch genügend da, falls ihr auch welchen wollt“, sagte sie an Milten und ihren Mann gewandt.
    Es klingelte an der Tür. Anna ging in den Flur, um nachzusehen wer es sein könnte. Sie hörten eine männliche, eine weibliche und zwei Kinderstimmen.
    „Das ist mein Bruder mit seiner Familie“, sagte Astrid, die gerade die Treppe von ihrem Zimmer herunterkam und sah Milten und den Helden fast schon entschuldigend an.
    Warum das so war, bekamen sie erst später mit.
    „Oh, ihr habt gerade Besuch“, sagte Astrids Schwägerin.
    Es gab eine große Vorstellungsrunde. Astrids Bruder hieß Christopher, seine Frau Ingrid, Sohn Martin und Tochter Anja. Günther stellte als Hausherr seine Gäste vor, wobei er den Helden in Ermangelung eines Namens einfach als Miltens Kumpel vorstellte. Anna schlug vor in den Garten zu gehen, weil sie dort mehr Platz hätten. Ausnahmsweise war heute mal ein sonniger Tag und es waren fast fünfzehn Grad. Der Garten war fast sechshundert Quadratmeter groß. Es gab einige Beete, wo zu dieser Jahreszeit allerdings nichts blühte, kahle Laubbäume, einen Nadelbaum und einen kleinen Teich wo außerhalb des Winters Fische zu sehen waren. Eine Hecke umgab den Garten und sorgte für Sichtschutz. An einem Birnbaum hing eine alte Schaukel, auf die das kleine, vielleicht siebenjährige blonde Mädchen Anja sofort zulief, um dort zu schaukeln. Der etwa zehnjährige Martin setzte sich lieber an den Tisch der Erwachsenen, aß ein paar Kekse, die seine Oma auf den Tisch stellte und hörte den Gesprächen der Erwachsenen zu, während diese Kaffee tranken. Milten und der Held fühlten sich deutlich fehl am Platz. Sie konnten sich nicht erinnern, jemals in einer ähnlichen Runde gesessen zu haben. Für diese Leute schien es aber ganz normal zu sein, sich an einem Sonntag mit der Familie zu treffen, völlig ungefährdet zusammenzusitzen und sich über, wie es ihnen zumindest schien, Belanglosigkeiten auszutauschen. Da ging es um den Preis von Butter, der offenbar um zehn Cent gestiegen war, über die neue Wandfarbe in der Küche und eine neue Maschine, die den Kaffee erzeugte. Keine Gespräche über Monsterangriffe, Überfälle aus anderen Ländern, Tod von Familienangehörigen, der drohenden Gefahr durch Untote oder ähnlichem. Wahrlich, den Leuten in diesem Land ging es gut, wenn sie sich über solche Kleinigkeiten austauschten. Milten fand das faszinierend. Der Held begann sich dagegen zu langweilen. Da kam es gerade recht, dass die kleine Anja auf einmal wie angestochen angesprungen kam und ihren Vater mit den Worten: „Komm! Pferdchen spielen!“ am Arm zog.
    „Ach nein“, murrte ihr Vater. „Du siehst doch, dass wir gerade so schön zusammen sitzen. Schaukel doch noch ein bisschen.“
    „Das wird langweilig. Lieber Pferdchen spielen.“
    Der Vater stöhnte.
    „Aber wir haben doch schon den Weg hierher Pferd gespielt. Jetzt trage ich dich nicht durch die Gegend.“
    „Da hinten ist doch Omas Karre“, sagte Anja und zeigte auf den Geräteschuppen.
    „Ach, und ich soll mich jetzt davor spannen und dich durch die Gegend ziehen, oder was?“
    „Ja, genau, siehst du, du hast es verstanden“, sagte die Kleine keck.
    „Unsere kleine Anja hält sich für eine Prinzessin“ erklärte Oma Anna ihren Gästen.
    „Oma, ich will auch Kekse“, sagte das kleine Prinzesschen im gewohnten Befehlston.
    „Aber natürlich, eure Majestät“, spielte Oma mit, deutete einen Knicks an und reichte ihr einen Teller mit Keksen.
    Sie nahm sich welche und kam dann wieder auf das Thema zurück: „Ich will spielen. Alleine ist es langweilig.“
    „Martin, spiel doch mit deiner Schwester“, legte der Vater seinem Sohn nahe.
    Der Junge seufzte.
    „Aber es ist doch immer das gleiche. Sie will immer alles bestimmen. So macht das doch keinen Spaß.“
    „Bitte, tu uns doch den Gefallen, sonst kriegen wir hier keine Ruhe.“
    „Na schön.“
    Der Held sah den gequälten Ausdruck im Gesicht des Jungen. Er hatte eine Idee. Hier herumzusitzen, war sowieso langweilig.
    „Vielleicht können wir meinen … Hund vor den Wagen spannen. Ist zwar kein Pferd, aber einen Versuch wäre es doch wert.“
    „Ach, das ist dein Hund? Wir haben uns schon gewundert, wie dieses Tier so brav vor dem Eingang sitzt.“
    „Ja“ freute sich Anja, weil jemand mitspielte.
    Sie kam sofort angeflitzt, als der Held aufstand und sprang um ihn herum.
    „Und du bist der Ritter!“ befahl sie.
    Milten verschluckte sich an seinem Kaffee und musste husten. Der Held sah sie verwundert an.
    „Ich?“
    „Ja, du. Ich brauch doch als Prinzessin Schutz vor Räubern und mein Bruder ist der Hofzauberer.“
    Damit hatte sie das Spiel bestimmt. Auf der einen Seite konnte einem ihre bestimmende Seite auf die Nerven gehen, aber sie hatte auch eine so einnehmende Art an sich, dass man es ihr gar nicht böse nehmen konnte. Der Held verließ den Garten durch die Gartentür, um Waldi zu holen.
    „Dein Kumpel ist ja sehr kinderlieb“, stellte Ingrid fest.
    „Offenbar schon“, sagte Milten, der den Kindern amüsiert zusah, wie sie einen alten Holzwagen aus dem Schuppen holten.
    Er war sehr klein, vermutlich dazu da, um Laub, Äpfel oder Kartoffeln zu transportieren. Für die kleine Anja reichte die Sitzfläche aber vollkommen. Zumindest eigentlich, denn sofort wies sie ihren Bruder an: „Ich bin eine Prinzessin und das hier ist dreckig. Ich brauche ein Kissen.“
    Ihr Bruder seufzte genervt, tat aber was sie wollte, weil er wusste, sie würde sonst keine Ruhe geben. Die Gartentür öffnete sich und der Held kam in eine Gardistenrüstung gekleidet zurück in den Garten. Waldi folgte seinem Herrn gehorsam.
    „Ich dachte mir, von den Rüstungen, die ich habe, ist diese noch am ritterlichsten.“
    Die Rüstung machte tatsächlich was her, auch wenn sie an einigen Stellen geflickt war. Immerhin stank sie dank der inzwischen zerstörten Waschmaschine nicht mehr. Martin sah den Helden mit weit aufgerissenen Augen an. Anja klatschte zufrieden in die Hände, sagte aber: „Ihr seht toll aus, Herr Ritter, aber habt ihr auch ein Schwert?“
    Milten fürchtete schon er würde jetzt Uriziel oder gar die Klaue Beliars ziehen, aber dann war es zum Glück doch nur der „Todbringer“.
    „Wo hat er denn das her?“ fragte Christopher verwundert.
    „Ach, er sammelt so altes Zeug“, wimmelte Milten die Frage ab.
    Die Erwachsenen sahen verwundert zu wie der Held zu den beiden Kindern ging. Martin sah ihn immer noch ehrfürchtig an.
    „Das hier ist Waldi. Mal sehen, ob er den Wagen zieht.“
    Er dirigierte den Wolf vor den Karren und befahl ihm still zu stehen. Waldi sah nicht sehr glücklich über seine Rolle in diesem Spiel aus. Der Held legte ihm ein behelfsmäßiges Geschirr aus Seilen an und knotete das am Lenker des Karrens fest. Der Held ging ein paar Schritte vor und rief: „Komm!“
    Waldi und somit auch der Karren setzten sich in Bewegung.
    „Hui!“ jauchzte Anja, doch dann kam der Karren wieder zum Stehen und das passte ihr gar nicht.
    Ihren Ärger ließ sie an ihrem Bruder aus.
    „Hofzauberer, ihr habt ja gar keinen Zaubererumhang an. Geh zur Schneiderin und lass dir einen Anfertigen.“
    „Dafür brauche ich aber Gold, eure Majestät“, erwiderte Ihr Bruder schlagfertig.
    „Du denkst doch wohl nicht, dass ich mein Gold selbst mit mir herumschleppe? Das Gold verwahrt mein Ritter, der kann es ja auch vor Räubern beschützen. Ritter, gebt dem Hofzauberer etwas Gold für seinen Umhang!“
    Martin erwartete ein paar Steine zu bekommen, doch der Held zwinkerte ihm schelmisch zu und zog ein paar echte Goldtaler aus seiner Hosentasche. Martin staunte.
    „Worauf wartest du, Hofzauberer?“ fragte Anja, die gar nicht so erstaunt war.
    Immerhin hatte sie ja befohlen, dass es Gold sein sollte. Martin rannte zu den Erwachsenen und zeigte gleich das Gold vor.
    „Seht mal, seht mal!“ sagte er ganz aufgeregt.
    Dann erinnerte er sich wieder an das Spiel.
    „Ähm… ehrenwerte Schneiderin, würdet ihr mir im Tausch gegen dieses Gold einen Zaubererumhang geben?“
    Seine Oma amüsierte sich über die Situation und verbeugte sich.
    „Aber natürlich, Herr Hofzauberer, ich gehe sofort einen holen.“
    Währenddessen schallte es von Anja her: „Herr Ritter, lass uns dahinten zu dem Baum gehen, ich will aus den Ästen einen Haarreif basteln.“
    „Und was ist mit dem Hofzauberer?“ fragte der Heldenritter.
    „Der wird uns schon finden.“
    „Ah ja.“
    Rumpelnd setzte sich Waldi in Bewegung, immer hinter seinem Herrn her. Als sie bei der acht Meter großen Birke ankamen hielten sie an und Anja befahl: „Helft mir aus dem Karren heraus!“
    Amüsiert hob der Held die Kleine aus dem Wagen und setzte sie aufs Gras. Sie ging zur Birke und fuhr durch die Äste. Zuerst sah es so aus, als wollte sie sich einige Äste abreißen, dann drehte sie sich um und sagte: „Herr Ritter, reißt mir ein paar Äste ab, damit ich mir keine Splitter in die Finger hole.“
    Der Held sah sich zum Hausherrn am Kaffeetisch um, der den Kopf schüttelte. Er wusste nicht, ob das war, weil er die Situation so albern fand, oder ob er nicht wollte, dass der Baum gerupft wurde.
    „Aber das ist doch die heilige Birke des Königs, da können wir doch nicht einfach Äste abreißen“, hielt der Ritter dagegen.
    Das schien der Prinzessin einzuleuchten. Sie sah auf dem Boden aber einige Zweiglein liegen und sagte: „Dann hebt mir einige Zweige vom Boden auf!“
    Der Held grinste und sagte schelmisch: „Aber ich bin doch ein Ritter, ich hab einen Stock im Arsch und kann deswegen nichts selbst aufheben.“
    Selbst Milten musste losprusten.
    „Na schön, dann warten wir eben auf den Hofzauberer“, sagte Anja vollkommen ernst.
    Der Hofzauberer wartete immer noch auf seine Oma, die jetzt aus dem Haus kam und ein Faschingskostüm in den Händen hielt. Es war ein lilaner Umhang mit Sternen darauf, dazu ein Spitzhut.
    „Hier, Herr Hofzauberer, euer Gewand.“
    Sie deutete einen Knicks an und gab ihm die Klamotten. Martin bedankte sich und zog die Sachen über. Dann ging er zu seiner Schwester zurück, die ihn sofort anwies einige Zweige aufzuheben. Dann ließ sie sich mit ihrer Ausbeute wieder in den Wagen heben und begann dort zu flechten. Das konnte sie erstaunlich gut und bald hatte sie sich einen Kranz aus Birkenzweiglein gebaut, den sie sich auf den Kopf setzte.
    „So, jetzt habe ich immerhin wieder eine Krone.“
    „Was ist denn mit deiner alten passiert?“ fragte der Held.
    „Aber Herr Ritter, wie redet ihr denn mit mir? Ich bin doch die Prinzessin, da gehört sich doch nicht so eine Anrede, wisst ihr das denn nicht?“
    „Ich habs gerafft, hochverehrte Lordschaft“, sagte der Held und musste das Lachen, das ihm entweichen wollte mühsam unterdrücken.
    Anja schien jetzt zufrieden.
    „Meine Krone wurde mir von Räubern gestohlen“, erklärte sie. „Da drin verstecken sie sich. Gehen wir hin und suchen nach meiner Krone.“
    Wieder setzte sich das Gefolge rund um die Prinzessin in Bewegung und sie kamen beim Geräteschuppen an. Diesmal kletterte die Prinzessin ungeachtet der Splittergefahren sogar selbst aus dem Wagen und öffnete wagemutig die Tür zum Räuberversteck. Der Ritter und der Hofzauberer folgten ihr. Drinnen war es stockdunkel.
    „Hofzauberer, mach Licht!“
    Klick. Das war der Lichtschalter, den Martin betätigt hatte, nur leider war die Glühbirne kaputt.
    „Hofzauberer, Licht!“ befahl die Prinzessin.
    „Es geht nicht“, sagte Martin genervt.
    „Bist du jetzt der Zauberer, oder was?“ fragte Anja eigenwillig.
    Plötzlich erstrahlte ein helles Licht über ihren Köpfen. Die Kinder sahen erstaunt darauf. Selbst Anja geriet aus der Fassung.
    „Sehr gut, Hofzauberer“, sagte sie dann wieder kühl und ging voran.
    Martin sah zum Helden, der ihm zuzwinkerte. Anja fing an im Schuppen herumzukramen. Nach einigen Minuten seufzte sie enttäuscht.
    „Die Krone ist nicht mehr da.“
    „Die Banditen haben sie bestimmt in der Stadt verkauft“, kam es fachmännisch vom Helden.
    „Dann sollten wir dort danach suchen!“ befahl die Prinzessin und sie brachen, Anja natürlich im Wagen, zum Kaffeetisch auf.
    Mal abgesehen von Milten waren alle sehr erstaunt vom hellen Licht über den Köpfen der kleinen Truppe. Der Feuermagier war einfach nur froh, dass der Held nicht etwa ein Goblinskelett beschworen hatte, um ein Monster zu haben, gegen das man ja die Prinzessin hätte verteidigen können.
    „Werte Bürger. Habt ihr die Krone der Prinzessin gesehen?“ fragte der Held schmunzelnd.
    Oma war für jeden Spaß zu haben und sagte, sie habe sie gefunden. Wenig später kam sie mit einem goldfarbenen Haarreif zurück, den sie Anja übergab.
    „Oh, Danke. Jetzt habe ich meine Krone endlich wieder. Nun dann können wir ja wieder aufbrechen.“
    „Und was ist mit den Räubern?“ fragte der Held.
    „Richtig, du bist der Ritter, du kümmerst dich um das Problem.“
    Der Held ging zum Tisch und griff sich einen Keks.
    „Jetzt ist keine Zeit für Kekse, du sollst dich doch um die Räuber kümmern“ protestierte die kleine Prinzessin.
    Der Held schluckte den Keks hinunter und sagte: „Aber ich bin doch ein Ritter. So ein Vorhaben muss doch gründlich geplant sein. Deswegen stehe ich jetzt hier ersteinmal zwei Wochen am Tisch herum und bespreche mich mit meinen Beratern.“
    Milten sah amüsiert zum Helden. Er sah ihm deutlich an, dass es ihm großen Spaß machte den Ritter zu spielen und sich so über all das lustig zu machen, was ihn an den Streitern Innos störte.
    Anja schien diese Antwort zu akzeptieren. Sie stieg aus dem Wagen und forderte den Hofzauberer zum Federballspielen auf. Für Milten war es das Stichwort sich von Günthers Familie zu verabschieden. Er fand, dass sie sich nun lange genug aufgedrängt hatten und vermutete, dass die Familie auch gerne wieder unter sich wäre. Anna bat sie noch zu bleiben, aber Milten glaubte in Christopher und Ingrids Augen zu lesen, dass es ihnen ganz recht wäre, wenn sie ihre Familie wieder für sich hätten und schlug das Angebot aus. Milten sah den Helden an und fragte: „Zurück zu den Anderen?“
    Der Held nickte und kramte in seiner Hosentasche nach der Teleporterrune. Fast zeitgleich teleportierten sie sich und ließen eine mächtig beeindruckte Kaffeerunde zurück.
    „Hat dir wohl großen Spaß gemacht den Ritter zu spielen was?“ fragte Milten und grinste den Helden amüsiert an.
    Sein Freund grinste zurück.
    „Oh ja, das war klasse, mal den schnöseligen Angeber heraushängen zu lassen.“
    Milten musste schmunzeln, aber dann fasste er sich wieder und sagte: „Weißt du, die Ritter sind gar nicht so unerträglich wie du denkst. Sie sind es einfach gewohnt Befehle zu geben, aber sie sind auch sehr ehrenhaft und versuchen ihr Bestes um das Volk von Myrtana zu beschützen.“
    „Oh ja, und sie brauchen ewig um sich mal zu entscheiden etwas in die Hand zu nehmen.“
    „Ich glaube, du tust ihnen unrecht. Wenn du dich mal mit ihren Problemen auseinandersetzen würdest, dann würdest du sie bestimmt auch besser verstehen.“
    Der Held sah nicht so ganz ein, warum er sich den Rittern und Paladinen gegenüber anders verhalten sollte, immerhin hatten sie ihn meist recht arrogant behandelt.
    „Sieh mal, so ein Leben als Ritter ist auch nicht leicht. Da gibt es viele Hintergründe warum sie sich so verhalten. Wenn du sie besser verstehen würdest, dann würdest du bestimmt auch besser mit ihnen klar kommen.“
    Der Held dachte angestrengt nach. Eigentlich wusste er gar nicht so recht, ob er überhaupt mit ihnen klar kommen wollte. Doch wie so oft hatte Milten natürlich Recht. Es würde viele Vorteile bringen nachvollziehen zu können, warum sich die Ritter oft so verhielten, wie sie es eben taten und deswegen nickte der Held schließlich und sagte: „Du hast Recht. Ich werde mich darum kümmern. Lester sagte mir, du wärst in einer Bibliothek hier in der Nähe gewesen, kannst du mir sagen wie ich da hinkomme?“
    Der Feuermagier war noch etwas überrascht wie schnell sein Freund eingewilligt hatte sich weiter mit dem Thema zu befassen und seine Meinung über die Streiter Innos zu überdenken, beschrieb ihm aber den Weg und zeichnete den Standort auf seiner Karte ein.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 20:42 Uhr)

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    In der Bibliothek

    Nach einem längeren Dauerlauf kam der Held, nun wieder in seiner Straßenkleidung, vor der Bibliothek an und war erstaunt wie riesig sie war. Es würde ewig dauern ein entsprechendes Buch zu finden. Innen sah es recht nüchtern aus. Überall Regale mit Büchern, hin und wieder Tische, an denen Leute lasen, schrieben oder auf diesen merkwürdigen Apparaturen herumhackten, welche die Leute hier Computer nannten. Der Held steuerte auf den Ausleihtresen zu, wo sich auch die Information befand und sprach eine junge Angestellte an. Sie hatte ein freundliches Gesicht, braune Haare und eine Brille mit starken Brillengläsern. Noch bevor er den Mund geöffnet hatte um sie anzusprechen kam sie ihm zuvor.
    „Wie kann ich Ihnen helfen?“ fragte sie mit einem Lächeln, als ob sie nichts lieber täte.
    Der Held war so verwundert über so viel Hilfsbereitschaft, dass er ganz durcheinander war.
    „Ich … äh… ich suche ein Buch, in dem steht wie Ritter so ticken.“
    Die junge Angestellte hob verwundert eine Augenbraue.
    „Meinen Sie, so eine Art Anleitung wie man ein Ritter wird?“
    Der Held zuckte mit den Achseln.
    „Ja, das dürfte es auch tun.“
    „Hm…“
    Die hilfsbereite Fachangestellte für Medien und Informationsdienste überlegte, setzte sich dann auf ihren Stuhl und tippte etwas auf der Tastatur vor ihr. Der Held fragte sich, ob das so sein musste, oder ob sie ihn ignorierte, als er aber um die Ecke linste, sah er, dass sie etwas in diesem Computer nachsah.
    „Wir hätten das Buch: „Ritter: Der ultimative Karriereführer“. Kennen Sie sich in unserer Bibliothek aus?“
    Er sah wohl recht unschlüssig aus, denn sie fragte weiter: „Wissen Sie wie sie suchen müssen, um das Buch zu finden?“
    Dem Helden wurde es unangenehm so viel nicht zu wissen.
    „Nein, keine Ahnung.“
    Die hilfsbereite FAMI sah ihm seine Lage wohl an, denn nutzerorientiert wie sie war, bot sie an, ihn zum Buch zu führen. Er folgte ihr durch das Bücherlabyrinth der Bibliothek und musste zugeben, dass er das Buch, auf sich allein gestellt, vermutlich erst in den nächsten Jahren gefunden hätte. Die nette Angestellte lief an einem bestimmten Regal zielgerichtet entlang, suchte dann mit den Augen die Buchrücken ab und zog bestimmend ein Buch hervor.
    „Hier ist es. Gerne können Sie sich noch umsehen, vielleicht finden Sie noch weitere Bücher, die sie interessieren.“
    Der Held sah sich kurz um und war schier erschlagen von der Vorstellung, dass man das alles hier theoretisch lesen könnte. Er zog verschiedene Bücher heraus, blätterte kurz darin und kommentierte es mit Aussagen wie: „Uninteressant“, oder „Das kenne ich schon.“
    Schnell verlor er die Geduld und entschied, dass dieses eine Buch reichte.
    Zurück bei der Ausleihe fragte ihn die Angestellte, ob er bereits zuvor Bücher geliehen hätte, was er verneinte und sie legte ihm ein Formular für ein Ausleihkonto vor und verlangte eine Gebühr. Außerdem schärfte sie ihm ein, dass er das Buch innerhalb der nächsten vier Wochen zurückbringen musste. Der Held zückte sein Tagebuch, in dem er in der letzten Zeit wieder zahlreiche neue Aufträge eingetragen hatte und setzte unter den letzten den Auftrag: Das Buch „Ritter“ innerhalb von einem Monat zurückbringen. Er fragte nach dem genauen Datum und trug es dann ein. Die Fachangestellte lächelte noch breiter. Offensichtlich fand sie es toll, dass der Nutzer gleich eine Notiz in sein Tagebuch eintrug, um das Buch auch wirklich rechtzeitig zurückzubringen. Ob ihr Optimismus allerdings angebracht war, war fraglich. Das Formular stellte den Helden vor eine ungekannte Herausforderung. Da hatte er so viele Heldentaten vollbracht und stand nun vor einer schier unlösbaren Aufgabe: Was sollte er ins Namensfeld eintragen?
    Doch er ließ sich nicht beirren und dachte sich einfach einen Namen aus, so wie er es schon öfter getan hatte. Die Leute gingen einfach davon aus, dass jeder einen Namen hatte. In seinem bisherigen Leben hatte er es immer so gehandhabt, dass er sich einfach immer einen Namen zurechtlegte, den er nannte, sollte ihn tatsächlich mal jemand danach fragen. Anders als hier gab es in seiner Welt keine Schriftstücke auf denen der Name festgehalten wurde, deswegen konnte er hinter dem nächsten Berg, dem nächsten Fluss, dem nächsten Meer einen anderen Namen nennen, ohne dass es weiter auffiel. Er reichte das ausgefüllte Formular zurück und die Angestellte erledigte die Formalitäten. Mit seinem ausgeliehenen Buch verließ der Held die Bibliothek. Draußen schien außergewöhnlicher Weise immer noch die Sonne und so beschloss er in den nächsten Park zu laufen und sich dort auf eine Bank zu setzen, um in dem Buch zu lesen. Die Bank hatte sogar eine Rückenlehne, was für ein Luxus.
    Das Buch* war tatsächlich so geschrieben, als würde man vorhaben in den Ritterstand treten zu wollen. Der Held nahm aber gar nicht so wirklich wahr, dass dies ungewöhnlich war, für ihn war es genau richtig. Denn er brauchte keine rückblickende Betrachtungsweise, sondern eine interne Ansicht.
    Offenbar dauerte es Jahre, bis man in den Ritterstand eintreten konnte. Das nahm der Held allerdings nicht so ernst, denn immerhin hatte er schon öfter beobachtet, dass es auch schneller ging, wenn man nur zur rechten Zeit am rechten Ort war und den richtigen Leuten aus der Patsche half. Viel erstaunter war er aber, dass die Ritter dafür bezahlen mussten im Ritterstand zu bleiben. Kein Wunder, dass sie dann immer so sehr auf ihren Status pochten.
    Interessiert sah er sich an, zu was ein Anwerber fähig sein musste, um ein Ritter zu werden. Die körperliche Verfassung war verständlicherweise sehr wichtig. Ausdauer war unerlässlich und gute Fähigkeiten im Umgang mit Schwert und Lanze essentiell. Der Held musste zugeben, dass er sich mit dem Lanzenkampf noch nicht befasst hatte. Weiterhin konnte er mit den Themen Pferde und Reiten nicht viel anfangen, weil es in Myrthana keine Pferde gab. Die Jagd war wohl auch sehr wichtig für einen Ritter, allerdings nicht vorrangig, um Tiere zu erlegen, sondern viel mehr, weil es eine Art von Statusbetätigung war. Anstelle von der Jagd auf Schattenläufer, Razor oder gar Trolle ging es in dem Buch aber hauptsächlich um die Jagd auf weniger gefährliche Tiere, wie Hirsche. Der Held wunderte sich darüber. Ein Ritter sollte doch so richtig mutig und heroisch sein, oder nicht? Da konnte man bei einer Jagd doch schon mehr verlangen, als dass der Herr Ritter anschließend mit einem erlegten Reh ankam. Das Buch erläuterte aber auch, dass nur wer auf die Jagd ging, die Achtung seiner Waffenbrüder erhielt und da man in solchen Kreisen, aber immer mit Armbrust oder Bogen zur Jagd aufbrach und im selben Absatz stand, dass dies nicht die bevorzugten Waffen eines Ritters waren, vermutete er, dass sie deshalb keine gefährlichen Gegner angriffen. Vielleicht war es nur so eine Art Training oder einfach zum Spaß.
    Weiterhin sollte ein Ritter Lesen und Schreiben können. Das verwunderte den Helden nun wirklich nicht, schließlich sollten sie ja auch die Befehle ihres Vorgesetzten lesen können. Abschließend stand in dem Kapitel, dass jemand der Ritter werden wolle folgende Fähigkeiten haben sollte: Erfahrung im Umgang mit Pferden, körperliche Härte, hoffähige Manieren und er sollte ein guter Kämpfer mit dem Schwert und der Lanze sein. Der Held überlegte, ob er, wenn er denn wollte ein Ritter hätte werden können. Das mit den Pferden erübrigte sich in Myrtana ja. Er wusste, dass er körperlich sehr fit war und dass er kämpfen konnte musste er wohl niemandem mehr beweisen. Doch das mit den Manieren … na … das hätte vielleicht ein Problem werden können. Er wusste, dass er Schwierigkeiten hatte Autoritäten anzuerkennen. Er stellte sich vor wie er vor Lord Hagen oder Lord Garond stand und es Ihnen immer Recht machen sollte. Er fand es bisher schon schwierig. Er hatte versucht sich anständig zu verhalten, auch wenn ihm hin und wieder vielleicht mal eine bissige Bemerkung entwischt war. Sowas hätte man ihm als Ritter vermutlich nicht mehr durchgehen lassen. Es hätte viel Willenskraft gekostet sich immer respektabel auszudrücken. Doch möglich wäre es. Für sich schloss er den Gedanken damit ab, dass er es sehr wahrscheinlich geschafft hätte ein Ritter zu werden, wenn er es denn gewollt hätte. Im Buch stand, dass es leichter war ein Ritter zu werden, wenn der Vater ebenfalls ein Ritter war, weil man dann bereits adlig war. Die Abstammung schien sehr wichtig zu sein. Der Held überlegte, dass das vermutlich ein Grund dafür war, warum die Ritter glaubten sie wären etwas Besseres. Als er las, dass es besonders ehrenhaft sei für Gott zu kämpfen, anstatt sich selbst zu bereichern, war er nicht weiter erstaunt. In Myrtana war es auch so, dass die Ritter vorrangig im Dienste Innos standen und erst an zweiter Stelle ihrem König dienten. Oder jedenfalls taten sie immer so …
    Alles in allem war der Held erstaunt wie viel Gewicht vielen Kleinigkeiten beigemessen wurde. Es war wichtig was man für Kleider trug, wie man sich verhielt, was man für ein Banner hatte, wie viel Vermögen und Land man besaß und ob man die Ritterideale achtete. Darunter fielen Großzügigkeit, Heldenmut, gute Manieren und Loyalität. Er musste zugeben, dass die Ritter in Myrtana zumindest versuchten diesen Idealen gerecht zu werden. Trotzdem fragte er sich wo ihre Großzügigkeit gewesen war, als er die Drachen getötet hatte. Ein bisschen mehr hätte da schon für ihn rausspringen können, und etwas mehr Mut im Angesichts der Orks wäre auch nicht schlecht. Ein kleiner Ausfall wäre doch mal ganz nett gewesen. Doch es war nicht zu leugnen, dass Garonds und auch Lord Hagens Männer ihren Herrn überallhin folgten und ihnen die Treue hielten. Im Buch stand, dass man vom Ritter zum Bannhern, Marschall und Konnetabel befördert werden konnte. In Myrtana gab es das nicht, aber dafür wurde man Paladin. Der Held vermutete, dass es etwas Ähnliches war. Informationen zu Rüstung und Waffen nahmen viel Raum im Buch ein. Der Held fand das nicht verwunderlich und las dieses Kapitel besonders interessiert. Etwas enttäuscht musste er aber feststellen, dass sich für ihn nicht viel fand, dass er bei sich selbst verbessern konnte. Die vorgestellten Rüstungen waren in seinen Augen viel zu starr und unbeweglich und die Waffen Massenware. Gegen Uriziel und die Klaue Beliars hatten diese Waffen einfach keine Chance. Doch natürlich verstand er, dass ihre ganz persönlichen Schwerter für die Ritter wichtig waren. Ihm selbst ging es ja nicht anders. Kurz richteten sich seine Gedanken auf die Klaue Beliars und er spielte einen Moment damit das Schwert hervorzuholen und es mal wieder in den Händen zu halten. Doch schnell verwarf er den Gedanken wieder. Er befand sich mitten in einem gut besuchten städtischen Park, wo es nicht üblich war, Leute mit Schwertern herumlaufen zu sehen. Der Held zwang sich seine Konzentration wieder auf das Buch zu lenken. Im Kapitel über Ritterorden las er, dass es einen Orden gab, der sich Johanniter nannte und deren Mitglieder offenbar halb Mönch, halb Ritter waren. Der Held stellte sich vor, wie es wäre sowohl ein Ritter als auch ein Feuermagier zu sein. Das wäre in der Tat beeindruckend und er konnte nicht verstehen wieso dies in dem Buch so schlecht geredet wurde. Vielleicht aufgrund der klösterlichen Verpflichtungen? Dann gab es noch den Templerorden, der hier aber aufgelöst wurde, weil die Mitglieder der Ketzerei, Anbetung von Götzen und des lasterhaften Lebensstiels angeklagt wurden. Der Held dachte darüber nach. Die Parallelen waren in der Tat verblüffend. Im Mienental war es nicht anders gewesen. Er hatte sich ja selbst ein Bild davon im Sumpflager machen können, auch wenn er es nicht so hart sehen würde. Was war schon dabei hin und wieder etwas Sumpfkraut zu rauchen? Aber vermutlich galt das eben als lasterhafter Lebensstiel. Die Anbetung des Schläfers fiel in jedem Fall unter Ketzerei und Götzenanbetung. Wäre die Bruderschaft nicht mit dem Zusammenbruch der Barriere von sich aus aufgelöst wurden, so hätten sich die Mitglieder vermutlich, wie ihre Namensvettern in dieser Welt, vor der Kirche und den Rittern verantworten müssen, weil sie alle den drei Göttern abgeschworen und stattdessen den Schläfer anbeteten.
    Weiterhin erfuhr der Held im Kapitel über Anwerbung und Gefolge, dass die Ritter normalerweise ihre eigene Gefolgschaft mitbrachten. Er versuchte sich zu erinnern, wie das damals in der Burg war. Sicher, da gab es einige Waffenknechte, er hatte aber nicht erkennen können, ob die nun wirklich bestimmten Rittern dienten, oder einfach wie alle anderen unter Lord Garonds Kommando standen. Er überlegte, dass die Gefolgsleute, wenn es denn überhaupt welche gegeben hatte, von den Orks getötet oder im Drachenfeuer umgekommen sein könnten. Er würde das weiter beobachten müssen. Es wäre interessant zu wissen, ob auch die Ritter in Myrtana normalerweise über ein Gefolge verfügten. Wer ständig gewohnt war zu befehlen, der hätte in der Tat Probleme wenn dann plötzlich jemand daherkam und sich einfach nichts befehlen ließ und sogar widersprach. Vielleicht war es vor dem Orkkrieg für Ritter üblich gewesen, ein Gefolge zu haben und aufgrund der Dauer des Krieges waren einfach keine Kapazitäten mehr übrig. Umso mehr sich der Held mit dem Thema des Rittertums befasste, umso interessanter fand er es. Noch vor ein paar Stunden hätte er das nicht für möglich gehalten, aber er musste zugeben, dass es ihm Spaß machte, all diese Informationen zu lesen und sich zu überlegen wie es in seiner Heimat um diese Dinge stand. Der Held war überrascht zu erfahren, dass die Konditionen unter denen die Ritter dienten, denen von Söldnern gleichen konnten. Ein Ritter konnte sich einem einzigen Herrn verpflichten und ihm ein Leben lang dienen, oder er konnte immer mal wieder wechseln und Verträge unterzeichnen, die lediglich Monate oder einige Jahre währten. Das Buch zeigte auf, dass man sogar gleichzeitig Söldner und Ritter sein konnte, was den Helden wirklich überraschte. Seiner Beobachtung nach, hatten sich Ritter und Söldner bei jeder Begegnung angefeindet und nur ungern gemeinsame Sache gemacht. Beides zu vereinen schien ihm fast unmöglich. Er überlegte lange wie sich diese Kluft überbrücken ließ. Als er allerdings weiterlas wurde ihm einiges klar. Im Kriegsfall war es mit den hochgelobten Ritteridealen wohl nicht mehr allzu weit her. Das Land des Feindes wurde verwüstet und geplündert. Selbst von Klöstern wurde Vieh geraubt und sollte es dann zurückgekauft werden erging im Buch der Rat man könne es dann ja noch einmal stehlen. Der Held fand das schon recht gewagt. Die Feuermagier würden sich bestimmt nicht einfach sehenden Auges bestehlen lassen und jedem der es versuchen würde eins auf den Pelz brennen. Im Buch wurde beschrieben, dass die Einwohner in jedem Fall ein schlimmes los zogen. Sie wurden schikaniert, für Lösegeldforderungen gefangen genommen oder getötet und sollten sie doch vorerst verschont bleiben, so mussten sie mit steigenden Steuern rechnen, weil der angerichtete Schaden der feindlichen Streitkräfte ihre Herrscher viel Geld kostete. Im Buch wurde damit argumentiert, das solche unschönen Arbeiten den einfachen Soldaten zufielen und die Ritter in den meisten Fällen einfach wegsahen. Der Held schüttelte den Kopf. Solches Verhalten würde er tatsächlich eher von Söldnern als von Rittern erwarten. Er fragte sich, ob so etwas in Myrtana auch geschehen könnte. Es war ein raues Land, doch bisher hatte er nicht gehört, dass sich die Ritter dort auch derartig verhielten. Im Kapitel über medizinische Versorgung las er von allerhand abstrusen Möglichkeiten jemanden wieder zusammen zu flicken. Von Heilzaubern oder heilsamen Kräutern hatte hier wohl keiner gehört. Es gab sogar ein Kapitel über Damen und Jungfrauen, in dem zu lesen war, dass diese weiblichen Wesen den Rittern mitunter nahelegten besondere Taten zu vollbringen um ihre Liebe zu erringen. Sowas würde ihm bestimmt nicht einfallen. Wenn er für sie Biester erschlug oder anderweitig ihre Probleme löste erwartete er eine Belohnung in Form von Gold oder etwas ähnlich nützlichem, so wie bei allen anderen auch. Weiter ging es im Buch mit Schlachttaktiken. Das las der Held sehr interessiert und versuchte daraus einen späteren Nutzen ziehen zu können. Alles in allem war der Held sehr überrascht über die Informationen, die ihm dieses Buch vermittelte. Was er hier erfahren hatte konnte in der Tat noch sehr nützlich werden, wenn er sich wieder einmal mit Rittern auseinandersetzen musste. Ein Klingeln riss ihn aus seinen Gedanken. Er kramte sein Handy hervor, drückte auf den grünen Knopf und legte das Gerät an sein Ohr.
    „Ja, hallo?“
    Es war Diego.
    „Wir haben ein Problem.“

    *Ritter, der ultimative Karriereführer von Michael Prestwich
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 20:42 Uhr)

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    Das Attentat

    Diego verfolgte den zwielichtigen Typen, der Lester nachging. Er sah, wie er eines von diesen mobilen Gesprächsgeräten aus der Tasche zog und sich ans Ohr hielt. Die Entfernung war viel zu groß, als dass er etwas hätte verstehen können. Es war ein kurzes Gespräch und dieser Typ steckte das Ding dann wieder ein und folgte Lester weiter. Er hielt sich bedeckt und hielt genügend Abstand um nicht aufzufallen. Lester hatte ihn wohl noch nicht bemerkt. Unter den vielen Menschen, die ihm begegneten wusste sein Freund genau bei wem er Erfolg mit seinen Geschäften haben könnte. Es waren Menschen, die aussahen, als hätten sie sowieso gerade nichts zu tun. Die am Straßenrand abhingen, oder auf den Bus, oder die Bahn warteten. Die größte Zielgruppe waren junge, gelangweilt wirkende Männer. Lester steuerte jetzt eine Hochschule an. Davor lag ein Grünstreifen mit einigen Bäumen, wo zwei dutzend junger Leute plaudernd zusammenstanden. Lester war wohl nicht das erste Mal hier und kannte seine Kunden. Sofort kam er ins Gespräch und kurze Zeit später tauschten Geld und Sumpfkrautpackungen die Besitzer. Diego beobachtete den Verfolger genau. Er schien auf etwas zu warten.

    Lester machte gute Geschäfte. Dann veränderte sich etwas. Viele der Schüler strömten in die Schule, nur einige wenige blieben zurück, weil sie offenbar noch etwas von Lester erstehen wollten, doch dazu kam es gar nicht mehr. Ein schwarzer Wagen kam angebraust und fuhr auf Lester zu, der überrascht zur Seite sprang und ihm verwundert nachsah. Die Schüler schrien auf und verteilten sich in alle Richtungen. Aus dem jetzt zum Stillstand gekommenen Wagen sprangen drei Männer, die Waffen hoben und mit ihnen feuerten. Instinktiv ging Lester hinter einer Mauer in Deckung, wo sich auch schon einige Schüler versteckt hatten, die erschrocken kreischten und schrien.
    „Was haben die für ein Problem mit dir?“ fragte ihn einer seiner Kunden schockiert.
    „Ich hab keine Ahnung“, sagte Lester, der jetzt durch einen starken Adrenalinstoß völlig klar war, auch wenn er gerade erst jede Menge Sumpfkraut geraucht hatte.
    Das war eine von den Situationen, die selbst Lester ernst nahm. Er spähte über die Mauer und versuchte die Lage zu überschauen. Beunruhigender Weise sah er nur zwei der drei Männer. Wo war der Dritte? Er griff in seine Tasche und zog die Rune Windfaust hervor. Das war ganz klar eine brenzlige Situation, die Magie erforderte.
    „Was willst du machen?“ fragte der junge Mann neben ihm ängstlich, der in seinen Augen sah, dass er etwas vorhatte.
    „Wirst schon sehen. Die werden ihr blaues Wunder erleben, “ sagte Lester unerschütterlich, konzentrierte sich und lud die Windfaust auf.
    Dann hechtete er hinter der Mauer hervor und entfesselte die Magie. Wie von einem unsichtbaren Felsblock getroffen, wurden die beiden Männer umgeweht und schlugen hart mit den Köpfen voran auf dem Boden auf. Lester hörte noch wie die Schüler in ihrem Versteck verwundert murmelten und merkte wie einige sogar einen Blick riskierten, in der Hoffnung zu sehen was da gerade passiert war, aber er achtete gar nicht weiter darauf, sondern rannte zu den beiden bewusstlosen Typen, um ihnen die Waffen abzunehmen. Er hatte keine Lust doch noch erschossen zu werden, wenn sie aufwachten. Doch er hatte nicht daran gedacht, dass da ja noch jemand übrig war. Ein stechender Schmerz am Bein ließ ihn zusammen fahren. Etwas hatte ihn getroffen. Er knickte kurz ein, blickte hinunter und sah, dass er am Unterschenkel verletzt wurde. Lester suchte dann aber schnell wieder Deckung. Die nächste Möglichkeit war hinter dem Wagen, mit dem die drei Kerle gekommen waren. Doch auch hier wurde auf ihn geschossen. Er sah über die Straße, wo ein bärtiger Mann hinter einem Auto hockte und hin und wieder Schüsse abgab. Verwundert sah Lester, wie sich überraschend Diego näherte und dem Kerl eins überzog. Der war also kein Problem mehr. Aber was war mit dem Letzten?
    „Komm raus, wenn du nicht willst, dass diese Kleine ein Loch in den Kopf bekommt!“ hörte er eine schnarrende Stimme.
    Lester spähte über den Wagen und sah, dass der letzte Mann, ein großer, kräftiger Kerl, eine junge Frau eingefangen hatte. Er hielt sie an seine linke Seite gepresst, die linke Hand auf ihren Mund, damit sie nicht schrie, die Waffe hielt er ihr an den Kopf. Verzweifelt huschten die Augen der jungen Frau herum, auf der Suche nach irgendjemanden, der ihr Beistand leistete, sie aus dieser gefährlichen Lage befreite. Tränen liefen ihr über die Wangen. Lester hatte eigentlich gehofft, dass er diese Rune niemals an einem Menschen würde anwenden müssen, doch er sah keine andere Möglichkeit. Er wählte die Rune „Pyrokinese“, verbarg sie in seiner Hand und sagte: „Ich komme raus, wenn du sie gehen lässt.“
    „Nein! Zuerst kommst du raus und dann lasse ich sie gehen!“
    Lesters Herzschlag beschleunigte sich. Eine verzwickte Situation. Er wollte nicht für den Tod der Frau verantwortlich sein, aber er wollte auch nicht selbst draufgehen. Er sah zu Diego, der jetzt versuchte sich im weiten Bogen an den verbliebenen Übeltäter heranzuschleichen, doch Lester sah, dass das viel zu lange dauern würde. Sein Gegenüber würde nicht ewig warten.
    „Nun, was ist?“
    Lester fasste einen Entschluss. Sein Gegner konnte seine Waffe nicht gleichzeitig auf die Frau und auf ihn richten. Es würde sehr schwierig werden, aber er musste es riskieren. Lester stand auf und kam aus seinem Versteck hervor. Er sah noch wie sein Gegner lächelte und die Waffe von seinem früheren Opfer auf ihn richtete. Genau auf diesen Moment hatte Lester gewartet. Pyrokinese entfesselte seine Macht und ließ den Kerl aufkreischen, als hätte ihn jemand aufgespießt und würde ihn jetzt in einem Topf mit heißem Öl kochen. Die Waffe entglitt seinen Fingern und sein Opfer konnte sich aus seinem nun sehr schwachen Griff befreien. Er sank auf den Boden und schrie seine Todesqualen laut in die Welt hinaus. Es war so laut, dass es an den Häuserwänden widerhallte. Wer einmal solche Schreie hörte, würde sie sein Leben lang nicht mehr vergessen. Seine Gefährten wachten davon auf. Zuerst noch benommen, wurden sie schnell wieder klar, als sie wahrnahmen was sich hier abspielte. Lester ging schnell zu dem Kerl und nahm ihm seine Waffe ab, erst dann beendete er Pyrokinese. Er wusste nicht genau wie lange es noch gedauert hätte, bis der Mann gestorben wäre, doch wenn er gut versorgt werden würde, standen die Chancen nicht schlecht, dass er es ohne weiteres überlebte.
    „Verschwindet!“ rief Lester den beiden Kerlen am Boden zu und es war selten, dass seine Stimme so hart und drohend klang. „Und vergesst euren Kumpel auf der anderen Straßenseite nicht!“
    Erst als er den Schauplatz verließ trauten sie sich zu ihrem Komplizen zu kriechen, der sich wimmernd wie ein einziges Häuflein Elend auf dem Boden windete. Sie sahen sich noch einmal nach Lester um, standen dann auf und schleiften ihren Kollegen dann zum Wagen.
    Lester hatte inzwischen Diego getroffen und gemeinsam gingen sie stumm die Straße hinunter.
    „Das war ja …“ fing Diego an.
    Lester sagte immer noch nichts, sondern zog eine Heilrune hervor, um seine Wunde zu schließen.
    „… ganz klar ein Mordversuch an dir. Die Lage ist ernst.“
    Diego zog sein Handy hervor und rief das erste Mal jemanden selbst an. Es dauerte etwas, bis er herausgefunden hatte, wie er zum Adressbuch kam, doch dann klingelte es. Der Held meldete sich am anderen Ende.
    „Wir haben ein Problem“, sagte Diego.

    Diego, Lester, Milten, Gorn und der Held trafen sich im Versteck und Diego und Lester erzählten von dem Anschlag.
    „Hört sich so an, als hätten wir dem größten Köter der Stadt ans Bein gepisst“, kommentierte Gorn.
    „Mich wundert, dass es mitten am Tag stattfand. Sowas ist doch eher was für eine Nacht und Nebel Aktion. Wenn Lester ganz allein durch die Gassen der Stadt gehen würde, wäre es doch viel einfacher und ganz ohne Zeugen.“
    Lester sah ihn miesepetrig an.
    „Danke, dass du auf meiner Seite bist.“
    „Ich vermute, das war Absicht“, erklärte der Held. „Es sollte Aufmerksamkeit erregen, vielleicht als Abschreckung. Wäre Lester gestorben, so hätten sie uns damit die Botschaft vermittelt, dass sie uns egal wann, egal wo, jederzeit umbringen könnten.“
    „Scheint dich nicht im Mindesten zu beunruhigen“, kommentierte Diego das aufgeregte Funkeln in den Augen des Helden.
    „Endlich mal was los“, kam es zurück.
    „Schön, dass ich euch allen so am Herzen liege“, sagte Lester verletzt.
    „Also mir hat es so ruhig gefallen wie es war“, entgegnete Milten, dem die Richtung in die sich ihre Lage entwickelte gar nicht gefiel. „Was wäre denn, wenn es eine spontane Aktion war? Diego, du hast gesagt, du hättest gesehen, wie dieser Typ Lester verfolgte, seitdem er mit dir im Park war.“
    Diego nickte.
    „Richtig.“
    „Ich vermute in so einer großen Stadt ist es gar nicht so einfach jemanden aufzuspüren und da er Lester einmal vor der Nase hatte, rief er gleich seine Komplizen an, damit sie ihn unterstützen.“
    „Die feige Sau wollte es nicht mit ihm allein aufnehmen“, stimmte Gorn Miltens Theorie zu.
    „Also? Was wollen wir jetzt deswegen unternehmen?“ fragte Lester und zündete sich einen Stengel Sumpfkraut an, um seine Nerven zu beruhigen.
    „Wir wissen doch wo ihr Versteck ist. Ich sage wir gehen rein, hauen alles kurz und klein und damit wäre das Problem erledigt“, erklärte der Held selbstbewusst.
    „Nein. Ganz schlechte Idee“, hielt Diego dagegen. „Wir wissen nicht was sie für Waffen haben. Ich glaube diese Schusswaffen sind nicht alles was es hier gibt. Es könnten uns viele totbringende und unerwartete Dinge begegnen und so wie ich das sehe, ist das nicht ihr Hauptquartier, sondern nur ein Außenposten. Bevor wir nicht wissen wo sich dieser Miftah selbst aufhält, sollten wir schön die Füße still halten und erstmal abwarten. Lester hat heute eine klare Botschaft vermittelt: „Wenn ihr uns angreift, dann setzt das Schmerzen, die gestandene Männer heulen lässt wie kleine Mädchen.““
    „Hehe, hätte ich ja gerne gesehen“, knurrte Gorn und schmunzelte.
    „Ich denke, Miftah wird sich demnächst zweimal überlegen, ob er gegen uns vorgeht“, sagte Diego mit rauer Stimme.
    „Ja, oder ganz andere Maßnahmen ergreifen“, gab Milten zu bedenken.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 20:44 Uhr)

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    Lesters Werk und der Beitrag des Helden

    Lester war nicht erfreut darüber tatenlos herumzusitzen. Er wollte mehr herausfinden und er hatte schon so eine Ahnung wo eine gute Anlaufstelle dafür war. Mittlerweile war es dunkel geworden und das grelle Neonschild des Bordells leuchtete ihm schon von weitem entgegen. Olga und Natascha standen wieder vor dem Gebäude und versuchten Freier zu einer Dienstleistung zu verführen. Die Männer, die sich dem Puff näherten, gingen aber wohl lieber in das Gebäude hinein, anstatt sich mit einer der Damen zu vergnügen. Als die Frauen Lester sahen, zuckten sie zusammen. Lester merkte schnell, dass es diesmal anders war als sonst. Die Frauen wirkten nervös.
    „Oh, hallo Lester. Ist … alles in Ordnung?“ fragte Olga besorgt.
    Lester ließ sich gar nicht anmerken, was er heute durchgemacht hatte.
    „Nichts worüber ihr euch Sorgen machen müsstet, wollt ihr etwas Sumpfkraut kaufen?“
    Olga und Natascha sahen sich an. Sie wirkten unschlüssig. Zum einen wussten sie wohl nicht mehr was sie von Lester halten sollten, zum anderen wollten sie unbedingt Sumpfkraut kaufen. Ihrem Verhalten nach zu urteilen, wussten sie ganz genau, was heute passiert war und das weckte Lesters Neugier. Hier war er richtig.
    „Ja, klar“, sagte Olga zögerlich.
    „Immer her damit“, kam es deutlich schwungvoller von Natascha.
    Sumpfkraut und Geld tauschten ihre Besitzer. Lester zündete sich einen Stengel Sumpfkraut an und nach kurzem Zögern taten es ihm die Frauen nach. Darauf hatte er gehofft. Wenn sie sich erst einmal entspannten, dann würde er vielleicht auch etwas aus ihnen herausbekommen. Zuerst sagte er kein Wort und sah sich nur um. Auf der anderen Straßenseite saß wieder ein Polizist in einem dunklen Wagen. Konnte der zu einem Problem werden? Wie viel Aufsehen hatte der Angriff heute erregt? War es schon zur Polizei durchgedrungen? Es war Olga, die das Schweigen wohl nicht mehr ertragen konnte und schließlich sagte: „Wir haben gehört was heute passiert ist. Geht es dir wirklich gut? Wir haben gehört, du seist verletzt worden.“
    „Nicht der Rede wert“, sagte Lester abwehrend und hob die freie Hand. „Ist schon wieder verheilt.“
    „Diesen Typen sollst du es aber so richtig gegeben haben“, kam es von Natascha, die ihm jetzt bewundernde Blicke zu warf.
    „Also alles lass ich mir auch nicht gefallen“, sagte Lester knapp um den Anschein zu erwecken, gar nicht so dringend darüber reden zu wollen.
    „Wie hast du das gemacht? Immerhin waren sie zu dritt?“ wollte Olga wissen.
    „Hab ein paar Tricks aus meiner alten Bruderschaft benutzt.“
    „Echt? Krass. Hab zwar nur davon gehört, aber der eine soll wohl irgendwie innerlich gebrannt haben“, kam es von Natascha, die jetzt offenbar jegliche Scheu überwunden hatte.
    „Es heißt Pyrokinese“, erklärte Lester. „Ihr wisst nicht zufällig etwas über diesen Miftah und seine Leute?“
    Olga und Natascha sahen sich kurz an. Olga schien zu viel Angst zu haben, um mit der Sprache herauszurücken, aber ihre Freundin war offen für Konversation.
    „Die kommen öfter mal vorbei um zu feiern und uns zu begrapschen. Widerliche Typen. Die wollen alles machen, ohne Schutz und sind rücksichtsloser als alle anderen. Schweine, widerliche, perverse Schweine.“
    Es brach so richtig aus Natascha heraus. Es machte ganz den Eindruck, als hätte sie lange darüber geschwiegen und konnte es jetzt nicht länger ertragen nichts zu sagen. Vielleicht hoffte sie in Lester einen Verbündeten gefunden zu haben.
    „Hat Gino mit ihnen geredet?“ bohrte Lester weiter und nahm einen tiefen Zug vom Sumpfkraut.
    Olga warf Natascha einen warnenden Blick zu, aber die redete einfach weiter.
    „Oh ja, recht oft, der ist ja genauso ein Schwein wie die. Wenn ich solche Fähigkeiten hätte wie du, dann würde ich ihm zeigen was ich über sein Verhalten denke.“
    „Hm…“
    Lester hatte nur einmal mit Gino geredet. Es war das erste Mal, als er den Laden betreten hatte, doch der Mann hatte auf ihn keinen abnormalen Eindruck gemacht. So wie es sich aber anhörte behandelte er seine Mädchen schlecht. Eine andere Nutte kam aus dem Puff und kaum war sie herausgestöckelt und hatte Lester bei den anderen Beiden gesehen, blieb sie abrupt stehen und kehrte eilig ins Gebäude zurück.
    „Ich glaube, ich geh auch mal rein“, sagte Lester, schnippte seinen abgebrannten Sumpfkrautstummel fort und ging los.
    „Lester, nein!“ rief Olga mit halb erstickter Stimme hinter ihm her, wohl weil sie nicht wusste, was diese Tat letztendlich für Konsequenzen für sie und ihre Freundin hatte.
    Doch Lester kümmerte sich gar nicht weiter darum und trat ein. Drinnen herrschte ein merkwürdiges Lichtverhältnis. Dort wo die Gäste, ausschließlich Männer, standen oder saßen, herrschte ein zwielichter aber bunter Lichtschein, die Frauen auf der Tanzfläche waren dagegen in strahlendes Licht getaucht, damit sie besonders gut zu sehen waren. Als Lester den Laden das erste Mal betreten hatte, war er über die Tänze der Frauen verwundert, hielt sich damit aber nicht weiter auf, weil er ja Sumpfkraut hatte verkaufen wollen. Im Moment lief wilde Musik* und zwei fast identisch aussehende dünne, aber kurvige Frauen schwangen das Tanzbein. Sie hatten kurze, aber verstrubbelte rote Haare und auf eine merkwürdige Art, sahen sie äußerst wild aus. Ihre Tänze passten zu ihrem Aussehen. Aggressiv betonten sie ihre weiblichen Reize und winkten die zusehenden Männer zu sich heran, blickten sie verführerisch, aber auch hart an und fuhren sich mit der Zunge über Zähne und Lippen. Hin und wieder hangelten sie an Stangen und verrenkten ihre Körper zu grotesken Formen. Fast wirkten sie wie Spinnen, die paarungswillige Männchen in ihr Netz lockten, um sie dann zu fressen. Den Zuschauern gefiel es aber offenbar. Sie jubelten und johlten und riefen laut, auch wenn Lester oft nicht verstand was, da auch fremde Sprachen darunter waren. Doch auch dieses Mal hatte Lester anderes zu tun, als lange den Frauentänzen zuzuschauen. Er suchte nach Gino und es war gar nicht so leicht ihn zu finden. Schließlich fand er ihn an der Bar, wo die Prostituierte, die er kurz draußen gesehen hatte, gerade wegging. Lester schlendert zum Hausbesitzer und setzte sich neben ihn.
    „Hallo Gino“, sagte Lester betont freundlich.
    „DU!“
    Der Bordellbesitzer keuchte erschrocken.
    „Ja, ich. He, was ist? Du guckst so erschrocken.“
    Lester musste bei seinem Anblick lachen. Es sah aus, als hätte jemand Gino einen Drachensnapper vor die Füße gesetzt.
    „Ich … ich, ich hab gehört was du heute gemacht hast.“
    „Was ich heute gemacht habe?“ fragte Lester gespielt ahnungslos.
    Er musste zugeben, dass er nicht allzu viel Übung in solchen Aushorch- und Drohtätigkeiten hatte. Diego würde das bestimmt viel besser hinbekommen, doch er war nicht da. Er musste es allein schaffen.
    „Du … du weißt genau wovon ich rede. Du hast diese Typen einfach ausgeschaltet, ohne, dass sie dir was antun konnten.“
    „Du hörst dich nicht besonders glücklich an“, kam es jetzt ernst von Lester.
    Er musterte sein Gegenüber genau.
    „Hattest du etwas damit zu tun?“
    „ICH? Nein, natürlich nicht“, kam es schrill von Gino und Schweiß rann ihm von der Stirn.
    Selbst Lester erkannte sofort, dass er log.
    „Glaub ich dir nicht“, kam es trocken von Lester.
    Gino sah ihn mit schreckgeweiteten Augen an.
    „Nein, wirklich.“
    „He, ich dachte eigentlich wir sind gut miteinander ausgekommen und jetzt muss ich feststellen, dass du versuchst mich zu verarschen. Was glaubst du wohl, wie ich mich da fühle?“
    Es kam keine Antwort.
    „Ich bin stinksauer und der Letzte, der mich wütend erlebt hat, heulte anschließend ganz schön herum.“
    „Du … du hast ihn umgebracht“ sagte Gino mit erstickter Stimme.
    Lester, der nicht genau beurteilen konnte, ob es eine Frage war, antwortete: „Nein, eigentlich nicht. Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, hat er jedenfalls noch gelebt.“
    „Ich hab gehört, dass er qualvoll verreckt sei.“
    Lester verzog keine Miene, aber innerlich konnte er nicht umhin erschrocken zu sein. Natürlich hatte dieser Typ es seiner Meinung nach verdient. Warum griff er ihn auch an? Aber der Tod durch Pyrokinese war etwas, das er nicht mal seinen Feinden wünschte. Konnte es wirklich wahr sein?
    ‚Er hätte doch nur ein paar Heiltränke trinken müssen …‘ dachte er.
    Erst dann fiel Lester ein, dass es hier ja gar nicht so einfach war, an Heiltränke heranzukommen. Die Zellen konnten sich so nicht einfach mal schnell regenerieren. Der Schaden, den er angerichtet hatte bestand weiterhin. Verbrannte Nerven und Blutbahnen, versengte Muskeln und Gefäße. Wenn er genau darüber nachdachte, musste der Tod des Mannes in der Tat langsam und sehr qualvoll gewesen sein. Kurz fand Lester schade, dass es so hatte kommen müssen, dann schüttelte er dieses Gefühl wieder ab. Es war passiert und es brachte jetzt nichts weiter darüber nachzudenken.
    „Tja und wenn du nicht bald mit der Sprache herausrückst, passiert dir vielleicht das gleiche“ drohte Lester dem Bordellbesitzer.
    Gino zitterte und wimmerte leise.
    „Also … ich hab wirklich nichts damit zu tun.“
    Lesters linke Augenbraue hob sich.
    „Es ist so. Diese Typen kommen öfter mal hier vorbei und hin und wieder reden wir auch etwas.“
    „Aha und da hast du ihnen von mir und dem Sumpfkraut erzählt, richtig?“
    „Ich … ja, es hätte ja sein können, dass du sie als Kunden gewinnen könntest“, schob Gino dieses fadenscheinige Argument vor.
    Lester schnaubte, was Gino zusammenzucken ließ.
    „Ich … nun, sie waren nicht gerade glücklich, dass du überall dein Kraut verkaufst. Für die bist du Konkurrenz, aber ich wusste nicht, dass sie dich aus dem Weg räumen wollten.“
    „Aber du konntest es dir denken“ sagte Lester und verschränkte die Arme vor der Brust.
    „Was hätte ich denn machen sollen? Ich kenn dich doch auch kaum und im Prinzip geht es mich doch überhaupt nichts an, wenn sich da ein paar Dealer bekriegen.“
    Da musste Lester ihm tatsächlich Recht geben. Das war nicht Problem des Bordellbesitzers. Er konnte ihm doch da keinen Vorwurf machen, oder? Doch Lester sah eine Chance.
    „Hör gut zu! Wenn diese Typen das nächste Mal hier auftauchen, verhalte dich wie immer. Sag deinen Mädchen, dass sie die Ohren offen halten sollten und wenn ich demnächst zu Besuch komme, berichtest du mir, was du herausgefunden hast.“
    Gino nickte ängstlich.
    „Gut.“
    Lester stand auf und wollte schon gehen, da drehte er sich noch einmal um und sagte drohend: „Und verhalte dich gegenüber deinen Mädchen nicht wie ein Arsch. Die machen doch auch nur ihre Arbeit.“
    Gino grummelt.
    „Was? Ich hab dich nicht gehört.“
    „Ja, in Ordnung.“
    Zufrieden drehte sich Lester um und entfernte sich. Es spielte jetzt andere Musik**. Leichter, verführerischer. Jetzt tanzte nur noch eine einzelne, üppig gebaute Frau mit langen blonden Haaren, die sich lasziv vor den Männern räkelte, dann stand sie auf, drehte sich um und ließ ihre Hüften kreisen. Von allen Seiten lautes Johlen.
    Lester verließ das Etablissement und kehrte zu Olga und Natascha zurück, die gespannt auf eine Reaktion von ihm warteten.
    „Und? Wie ist es gelaufen?“
    „Gino sollte euch jetzt besser behandeln und wenn er das nicht tut, lasst es mich ruhig wissen.“
    Die Augen der Frauen wurden groß. Sie fuhren herum, als sie quietschende Reifen hörten. Es war der graue Wagen des Polizisten, der abrupt startete und zu Lester brauste.
    „Schnell hau ab, der will dich einbuchten!“ rief ihm Olga zu.
    Lester lief sofort in die nächste Straße und kramte eilig in seiner Tasche nach der Teleportationsrune, die ihn in ihr Versteck zurückbringen würde. Das Auto folgte ihm und als Lester über eine schmale Grünfläche mit anschließendem Innenhof hastete, parkte der Polizist seinen Wagen, stieg eilig aus und rannte ihm hinterher.
    „Stehen bleiben, Polizei! Sie sind festgenommen!“
    „Ach ja?“ rief Lester, der gar nicht daran dachte stehen zu bleiben nach hinten.
    Er setzte über eine niedrige Mauer und wirkte den Teleportationszauber. Als sein Verfolger ächzend ebenfalls die Mauer überwunden hatte, war vom Dealer nichts mehr zu sehen.
    „Scheiße“, fluchte der Polizist und fragte sich, wie er das seinem Vorgesetzten erklären sollte.


    Währenddessen befand sich der Held in Cems „Paradise“. Annette und Marius hatten das Projekt mit den Heiltränken initiiert. Es gab jetzt eine Website, wo neugierige Kunden erfuhren, dass selbst ihre schlimmsten Verletzungen und Krankheiten kein Problem mehr waren, wenn nur das Geld stimmte. Marius hatte die Idee, dass sie die Tränke doch auch per Post verschicken könnten, doch der Held hatte darauf bestanden, die Interessenten sollten persönlich bei ihm vorbeikommen. Er wollte erst einmal sehen wie es lief. Was waren seine Kunden bereit zu bezahlen? Waren sie wirklich krank, oder würden sie die Tränke einfach nur weiter verkaufen? In dieser Nacht startete das Geschäft und es fand im Hinterzimmer des Paradise statt. Annette stand hinten im Hof am Eingang der Hintertür, in der Hand ihr Smartphone, wo alle möglichen Kunden gelistet waren, die sich vorher auf der Internetseite hatten anmelden müssen. Viele Leute hatten auch Fantasienamen angegeben, um Anonym zu bleiben.
    „Name?“ fragte Annette den nächsten Mann, der sehr merkwürdig lief.
    „Frank Meyer“ antwortete dieser.
    „Aha, Sie sind schon der zehnte Meyer heute. Na dann, rein mit ihnen“, sagte Annette und öffnete die Tür.
    Der Mann lief mit seinem merkwürdigen Gang durch die Tür und kam ins Hinterzimmer, wo der Held schon auf ihn wartete.
    „Was gibt’s?“ fragte der Held locker.
    „Wie bitte?“ fragte der angebliche Herr Meyer.
    „Na, was ist das Problem?“
    Der Kunde wurde puterrot.
    „Also, müssen Sie das unbedingt wissen? Kann ich nicht einfach so einen Heiltrank haben und ich geh dann wieder?“
    „Das geht auch, aber ich möchte gerne sicher sein, dass ich dir auch den richtigen Trank gebe. Vielleicht wäre es auch ganz gut dich gleich zu heilen, damit du nicht so bescheuert durch die Gegend trippelst.“
    Der Rotton des Kunden wurde dunkler.
    „Naja … es ist … mein Johannes. Irgendwie eine Entzündung, oder so…“ brachte der Mann schließlich heraus.
    „Ver-stehe“, kam es vom Helden.
    Das sollte eigentlich leicht zu beheben sein. Bisher hatte er versucht seinen Vorrat an Heiltränken zu schonen und stattdessen Zauber zu wirken. Für einen kleinen Heilzauber sollte sein Mana noch reichen. Er wählte die Rune und hob die Hand.
    „He, was … was machen Sie da?“ fragte sein Kunde, der erschrocken zusammengezuckt war.
    „Ich werde dich jetzt heilen, oder willst du das nicht mehr?“
    „Aber die Rede war doch von einem Trank, oder?“
    Der Held überlegte kurz was er deswegen sagen sollte und antwortete dann: „Ist günstiger.“
    Der Kunde verfiel jetzt endlich doch ins Du, immerhin ging es hier um etwas sehr persönliches.
    „Du musst mich da doch nicht anfassen, oder? Deswegen bin ich grade nicht zum Arzt gegangen.“
    Der Held sah ihn irritiert an.
    „Nein, du hast ja Ideen. Das ist ein Fernzauber.“
    „Ach so“, kam es vom Kunden, obwohl er in Wahrheit gar nichts verstand.
    Der Held wirkte den Heilzauber, blaues Licht erfüllte seinen Patienten und dann verblasste es wieder.
    „Wie ist es jetzt?“
    „Öhm…“
    Der Mann stand aus Gewohnheit immer noch merkwürdig da.
    „Der Schmerz ist weg, warte mal…“
    Herr Meyer wandte sich von ihm ab, ging, nun wieder normal, in eine Ecke und öffnete seine Hose, um sich zu vergewissern, dass auch wirklich alles in Ordnung war. Der Held schaute währenddessen gebannt auf die Neonröhren über ihm, als wenn sie hochinteressant wären. Ihm fiel auf, dass es in der einen ganz leicht flackerte. Dann hörte er ein Ratschen, als der Hosenreißverschluss wieder hochgezogen wurde und sich Herr Meyer wieder umdrehte.
    „Alles in Ordnung. Du hast mich wirklich geheilt. Kaum zu glauben. Was muss ich da jetzt bezahlen?“
    „Dafür? 50 Euro.“
    „In Ordnung.“
    Sein Kunde grinste breit, offenbar mehr als zufrieden, griff zu seiner Brieftasche und übergab einen orangenen Schein an den Helden.
    „Besten Dank. Werde dich weiter empfehlen.“
    Als sich die Tür öffnete, hörte er wie Annette mit jemandem stritt. Der Held ging nachsehen. Vor ihr stand ein Mann, der so roch wie es in Myrtana üblich war und ebenso abgewetzte Kleidung trug. Es war ein älterer Obdachloser, der ein altes, blutdurchtränktes T-Shirt um sein dürres Handgelenk gewickelt hatte. Er war blass und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.
    „Du hast dich nicht angemeldet“ beharrte Annette auf ihrer Position und wollte ihn partout nicht ins Hinterzimmer lassen.
    „Wie denn? Ich hab doch keinen Internetzugang. Ich hab das nur so aufgeschnappt was hier läuft. Lass mich doch rein. Ich hab Mist gebaut, das weiß ich, los, lass mich rein.“
    Der Held sah hier eigentlich kein Problem. Der Mann war da, er war verletzt, alle Vorgaben waren seiner Meinung nach erfüllt.
    „He, Annette, mach doch Platz!“
    Sie warf ihm einen missbilligenden Blick zu, gab aber den Weg frei. Wieder im Hinterzimmer, wickelte der Obdachlose das vollgesogene T-Shirt von seinem Arm und offenbarte eine Schnittverletzung am Handgelenk. Helles Blut quoll stetig aus der Wunde.
    „Ich hab mich mit einer kaputten Flasche geschnitten.“
    „Wozu das?“ fragte der Held verwundert.
    Die Augen des Obdachlosen weiteten sich, aufgrund dieser, wie es ihm vorkam, überflüssigen Frage.
    „Ich wollte mich umbringen. Mein Leben ist scheiße, aber als ich es dann gemacht habe und merkte wie es aus mir rauslief, da wollte ich dann doch nicht sterben.“
    „Ver-stehe“ sagte der Held, als wäre es das Normalste von der Welt, dass sich jemand die Hand aufschneidet. „Hier trink diesen Heiltrank!“
    „Und das Geld?“ fragte der Obdachlose zitternd.
    „Ich überleg mir was, trink erstmal.“
    Sein Kunde sah ihn argwöhnisch an. Ihm gefiel diese Situation nicht, aber er wusste, dass ihm nichts anderes übrig blieb. Nachdem er alles ausgetrunken hatte, starrte er auf seine Wunde, die sich jetzt schnell schloss. Nur das alte Blut zeugte von seinem Selbstmordversuch.
    „Unglaublich.“
    Der Mann konnte es nicht fassen.
    „Wegen der Bezahlung … mir ist da was eingefallen“, kam es langsam vom Helden und sein Gegenüber sah jetzt so aus, als mache er sich auf das Schlimmste gefasst.
    „Du brauchst doch Geld und hast keinen Job, richtig?“
    Der Obdachlose nickte schwach.
    „Du kannst mit dem Verkauf von Sumpfkraut anfangen, dann verdienst du was und musst deinen freien Lebensstil nicht aufgeben. Ist doch toll, oder?“
    Sein Kunde strich sich das fettige, dreckige Haar zur Seite und wusste nicht was er tun sollte. Er wagte es nicht zu widersprechen.
    „Hört sich gut an“, sagte er deswegen, obwohl es gar nicht danach klang.
    „Hier.“
    Der Held zog eine Plastiktüte mit Sumpfkrautpackungen hervor.
    „Zieh los und bring die Ware an den Mann. Sagen wir zehn Prozent springen zunächst für dich dabei raus. Und vergiss nicht: Vom Erlös musst du noch hundert Euro an mich für den Heiltrank bezahlen.“
    Der Obdachlose griff nach der Tüte, sah hinein und murmelte: „Du gibst mir das einfach so? Und was ist, wenn ich nicht mehr wieder komme?“
    „Dann werde ich dich finden und du bekommst volles Pfund aufs Maul.“
    Der Held schlug mit der rechten Faust in seine offene linke Hand um seine Worte zu unterstreichen.
    „Kapiert. Na dann … ich geh dann mal.“
    ‚Das wäre erledigt‘, dachte sich der Held und wartete auf den nächsten Kunden.
    Es war ein schon sehr alter Mann, der jetzt eintrat. Er sah wohlhabend aus, trug einen dunklen Anzug und darunter ein weißes Hemd.
    „Ich habe Ihre Internetseite gesehen. Nun…“
    Der Mann sah sich im schäbigen Zimmer um.
    „… unter anderen Umständen würde ich wohl nicht in so ein … Etablissement gehen …“
    Der Held fragte sich ungeduldig wann der Kerl endlich auf den Punkt kam.
    „Sie möchten einen Heiltrank kaufen?“
    „Ja“, sagte der Mann langsam und nahm den Helden genau in Augenschein. „Ich fürchte ja, das ist alles Schwindel, aber ich bin so verzweifelt, ich würde alles tun.“
    „Dann ist ihre Krankheit oder Verletzung wohl tödlich?“ fragte der Held nach. „Die besten Heiltränke kosten eintausend Euro.“
    Der Held zeigte auf eine große bauchige Flasche, gefüllt mit roter Flüssigkeit.
    Der Mann nickte.
    „Ja, tödlich,“
    Er zog ein Bündel aus seinem Anzug und legte es auf den Tisch.
    „ich habe Krebs im Endstadium.“







    *https://www.youtube.com/watch?v=yIhHou2k0Js
    **https://www.youtube.com/watch?v=qX6Ie_Xux3Y
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 20:45 Uhr)

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    Das Versteckspiel

    „Das funktioniert nicht“, beschwerte sich einer der Mediziner, ein älterer, dicker Mann mit schütterem Haar.
    Milten stand im Konferenzraum des Krankenhauses und versuchte Ärzte, Chirurgen und Krankenschwestern in der Magie zu unterweisen. Eine gefühlte Ewigkeit hatten sie ihn damit jetzt schon gelöchert und er hatte nun doch nachgegeben. Es war erst ihre zweite Unterweisung, aber manche Teilnehmer waren jetzt schon entmutigt.
    „Was hast du erwartet? Das du einfach so Magie wirken kannst? Das Studium der Magie ist keine leichte Sache“, erklärte Milten dem Mann, von dem er die Vermutung hatte, dass er es gar nicht wirklich lernen wollte, sondern nur zeigen wollte, dass es gar nicht möglich sei.
    Andre hieß der Mann und fiel schon länger damit auf, dass er Milten und seine Praktiken anzweifelte. Er wollte den Magier wohl als Schwindler entlarven.
    „Und nicht alle Menschen haben das Zeug dazu. Es ist große geistige Stärke, Konzentration und Entschlossenheit nötig.“
    Das ließ Andre nur noch griesgrämiger dreinschauen. Die Krankenschwester Sabrina hob die Hand und fragte mit ihrem dünnen Stimmchen: „Ist es nicht gefährlich, wenn wir allein Zaubern üben?“
    „Nein, das heißt, es wäre schon gefährlich, wenn es sich um einen gefährlichen Zauber handeln würde. Doch aus diesem Grund hab ich euch den Lichtzauber mitgegeben, damit ihr zuhause damit übt. Da kann eigentlich nichts schief gehen. Hat es jemand geschafft ein Licht zu erschaffen?“
    Gemurmel und Gemurre erfüllte den Raum.
    „Jedenfalls nicht mit diesem Zettel“, sagte ein junger Arzt keck.
    „Das ist nicht einfach ein Zettel, das ist eine Spruchrolle. Langsam frage ich mich, ob ihr wirklich zaubern lernen wollt.“
    Vielstimmige positive Zurufe kamen von seinen Schülern, aber es waren auch einige bei, die stumm blieben, oder nur murrten.
    „Stellt euch vor, ich würde Arzt oder Chirurg werden wollen, dann würde ich das doch auch nicht innerhalb von ein paar Tagen schaffen und genauso wie das Studium der Medizin braucht es für gewöhnlich Jahre, bis man es in der Magie zu etwas gebracht hat.“
    Die nächste Stunde erklärte Milten seinen Schülern noch einmal ausführlich wie eine Schriftrolle angewendet wurde und er zeigte an einem Beispiel, wie ein Lichtzauber auszuführen war. Das Ziel war, dass er seine Schüler eines Tages mit leichten Heilrunen ausstatten konnte, damit sie auch ohne ihn zurechtkamen. Er hatte immer noch die Hoffnung wieder mit seinen Freunden nach Myrtana zurück zu kommen.
    Als er nach der Unterrichtsstunde den Konferenzraum verließ, wurde er sofort von zwei Reportern belagert. Es hatte sich herumgesprochen, dass in diesem Krankenhaus wundersame Dinge vor sich gingen. Milten hatte es so verstanden, dass es hier etwas gab, das sich „Zeitungen“ nannte. So etwas wie ineinandergelegte Schriftrollten, aus denen die Bürger Neuigkeiten erfahren konnten. Er hatte gemerkt, dass die Krankenschwestern und auch einige Herren vom Sicherheitspersonal versuchten die Journalisten aus dem Krankenhaus hinauszukomplimentieren, aber irgendwann hatten die zumindest mit den Patienten zahlreiche Interviews geführt, was nicht schwer war, denn immerhin verließen sie nach einer Schnellheilung bald das Krankenhaus und waren, aufgrund ihrer plötzlichen Genesung so euphorisch, dass sie nur allzu gern darüber berichteten. Deswegen sah sich Milten gezwungen nun doch ein paar Sätze zu den Journalisten zu sagen. Im Prinzip war es nichts anderes, als das was er den Patienten erzählte. Dass er ein Feuermagier war und die Patienten mit Heilzaubern und -tränken behandelte. Doch die Journalisten wollten immer mehr wissen. Es wurde anstrengend und lästig. Er erklärte schließlich, dass er noch sehr viel zu erledigen hätte und sich jetzt nicht weiter mit einem Gespräch aufhalten konnte. Die Journalisten trollten sich zwar, sahen aber nicht so aus, als würden sie auf lange Sicht aufgeben.
    Miltens Kopfschmerzen wollte nicht mehr verschwinden. Im Krankenhaus gab es immer viel Arbeit, die einfach nicht enden wollte. Da brauchte er nicht noch hektische Fragen, die zwischen Tür und Angel gestellt wurden. Er arbeitete die Nacht hindurch und war am frühen Morgen im Bereitschaftsraum über den Medizinbüchern eingeschlafen. Er wurde sanft wachgerüttelt. Verschlafen blickte er auf. Es war Günther, heute in feinem Zwirn, was Milten vermuten ließ, dass es einen besonderen Anlass gab.
    „Es ist Karfreitag, ein wichtiger Feiertag meiner Religion. Mein Angebot steht immer noch. Wenn du möchtest, darfst du gerne die Messe in der Kirche miterleben, aber dann müssen wir bald los.“
    Milten war noch so schlaftrunken, dass er einen Moment brauchte, um sich zu sammeln.
    „Gib mir noch einen Moment“, bat der Feuermagier und verschwand kurz, um für den neuen Tag startklar zu sein.
    Bald darauf saß Milten zusammen mit anderen Menschen auf einer der vielen Bänke in der großen Kirche, die ihm Günther zuerst gezeigt hatte. Es war schön wieder in einer Kirche zu sein und auch wenn alles etwas fremdartig war, so gab es doch auch Gemeinsamkeiten zu seiner Religion. Zuerst war es ganz still. Keiner sagte ein Wort. Dann läuteten die Kirchenglocken. Milten fand es beruhigend dieses vertraute Geräusch wieder zu hören. Es folgte ein Lied, bei dem sowohl Günther, als auch die Gläubigen mitsangen. Das war neu für Milten. Mit singen hatten es die Magier nicht so. Vielleicht gab es das tatsächlich mal, oder wurde in anderen Kirchen seiner Heimat wirklich praktiziert und er hatte es nur nicht mitbekommen. Die Liebe und das Vertrauen in ihren Gott war klar aus den Gesängen der Gläubigen herauszuhören. Nach dem Lied wurde es wieder still, bis Günther erneut die Stimme erhob.
    „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes begrüße ich euch alle heute zu diesem besonderen Tag in unserer Kirche.“
    Anschließend wurde gebetet. Milten machte zwar nicht mit, da es ja nicht sein Glauben war, aber er beobachtete sehr genau die anderen. Die meisten Menschen wirkten glücklich, andere sahen so aus, als wären sie nur hier, weil es von ihnen verlangt wurde. Eine ganz normale Kirchengesellschaft also. Günther stand vor seinen Schäfchen und redete über den Tag der Kreuzigung von Jesus. Milten erinnerte sich, es war der Messias am Kreuz über den er sprach. Die Geschichte war sehr interessant und Milten fand es nicht einmal unrealistisch, immerhin kannte er auch jemanden, von dem er geglaubt hatte, er läge Tot in einer Höhle, nur um später festzustellen, das dem gar nicht so war. Anschließend wurde wieder gesungen und Milten drängte sich ganz automatisch die Vorstellung auf wie Corristo, Torez, er und die anderen Feuermagier im alten Lager lauthals Kirchenlieder gesungen hätten. Vermutlich hätte das Gomez und den anderen nicht so gefallen. Er musste bei dieser Vorstellung schmunzeln. Dann wurde es wieder still und Günther begann anhand einer Stelle aus seinem heiligen Buch mit seinen Gläubigen über den Glauben und ihren Gott zu sprechen. Dieses Gespräch empfand Milten als sehr vertraulich, anders als bei den Feuermagiern, wo oft von oben herab mit den Bürgern gesprochen wurde und kein Raum für Zweifel oder Diskussionen eingeräumt wurde. Hier aber konnten sich die Bürger fast auf gleicher Ebene mit ihrem Priester austauschen. Alles in allem empfand Milten die Messe als sehr entspannt und lehrreich. Er überlegte, ob dieses bürgerliche zugehen auf die Gläubigen in Myrtana funktionieren würde. Würden sich die Feuermagier überhaupt darauf einlassen? Würden die Bürger den Respekt vor den Magiern verlieren? Milten wurde traurig, als er an seine Heimat dachte. Vielleicht würde er sie nie wiedersehen.
    Nach der Veranstaltung blieb er noch in der Kirche, um auf Günther zu warten, der noch einiges nachbereiten musste.
    „Und? Wie fandest du es?“ fragte Günther schließlich und es war ihm anzuhören, dass er sehr gespannt auf Miltens Antwort war.
    „Sehr angenehm. Es ist schön, wie offen du zu den Gläubigen sprichst.“
    „Oh, ich bemühe mich, aber ich denke, ich kann noch besser werden.“
    Nach einer Kunstpause fragte Günther weiter: „Ist das in deiner Heimat nicht so?“
    Milten verschränkte die Arme vor der Brust, weniger aus Ablehnung, sondern eher, weil er diese Bewegung so gewohnt war. In seiner Feuermagierrobe sah es auch etwas würdevoller aus, als in seiner derzeitigen Straßenkleidung.
    „Nein. Die meisten Feuermagier würden sich nicht auf die gleiche Ebene wie die einfachen Bürger herabbegeben.“
    Günther runzelte verwundert die Stirn und bevor er noch einmal darüber nachdenken konnte rutschte ihm heraus: „Warum denn nicht?“
    Milten fühlte sich unangenehm bei dieser Frage. Er mochte das Verhalten seiner Kollegen diesbezüglich nicht. Es bräuchte wirklich mehr Feuermagier wie Isgaroth, oder selbst Daron, die meist ein offenes Ohr für die Gläubigen hatten.
    „Nun …“
    Günther bemerkte, dass er Milten wohl in eine Zwickmühle gebracht hatte. Der Feuermagier wollte nicht schlecht über seine Kollegen sprechen, die Frage des Pfarrers aber auch beantworten.
    „Viele Feuermagier sehen sich als die Erwählten von Innos und dementsprechend behandeln sie alle anderen.“
    „Oh…“ kam es getroffen von Günther. „Nun … das hätte ich jetzt nicht gedacht. Du verhältst dich gar nicht so.“
    „Es sind aber nicht alle Feuermagier so elitär“, beeilte sich Milten zu sagen und dachte wieder an Daron und Isgaroth und auch einige andere der Feuermagier kamen ihm kurz in den Sinn, auch wenn es da gewiss Verbesserungspotential gab.
    „Schon gut, beenden wir das Thema“, sagte Günther, der wohl vermeiden wollte weiter im Wespennest zu stochern. „Nicht weit von hier ist ein Park. Ich bin dort mit meinen Enkeln und meinem Sohn verabredet. Begleite mich doch.“
    Milten war sich unsicher.
    „Störe ich da nicht?“
    „Ach was, ich muss sagen, ich genieße jeden Ausflug, den wir zusammen unternehmen. Es ist sehr interessant mit dir zu sprechen und ich muss schon sagen, dass ich Glück habe einem Magier zu begegnen. Wer kann das in meiner Welt schon von sich behaupten?“
    Er lachte und zusammen verließen sie die Kirche.

    Als sie den Park erreichten und Christopher, Martin und Anja bei einem Spielplatz fanden, stellten sie überrascht fest, dass sie im Beisein von Elyas und dem Helden waren. Günther kannte Elyas noch nicht und der Feuermagier hoffte, dass er von dessen dubiosen Aktivitäten nichts wusste.
    „Wir haben uns gerade zufällig getroffen“, erklärte Christopher.
    Milten dachte sich, dass es so ganz zufällig wohl nicht wahr, denn der Held hielt Parks für einen hervorragenden Ort, um Sumpfkraut zu verkaufen.
    „Christopher hat erzählt, sie sind hier um Eier zu suchen“, sagte der Held und erstaunen lag in seiner Stimme.
    Günther gab ein verstimmtes Knurren von sich.
    „Wir haben doch darüber gesprochen. Ostereier gibt es erst am Ostersonntag.“
    „Wir wollen aber jetzt schon suchen“, krähte Anja und Christopher warf seinem Vater einen zerknirschten Blick zu.
    Es war klar, wer die Idee für die Eiersuche gehabt hatte.
    „Nennen wir es eine Generalprobe“, sagte Christopher und sah fast schon flehentlich zu seinem Vater, damit seine Kinder endlich Ruhe gaben, die wie angestochen um ihn herumhüpften und endlich suchen wollten.
    Günther und Christopher ließen sich breitschlagen.
    „Na schön.“
    „Ihr wartet mit Opa hier am Spielplatz und ich gehe mal voraus und gucke, ob der Osterhase schon was dagelassen hat“, bestimmte Christopher.
    „Yippi!“ kam es von seinen Kindern, die jetzt, wo sie ihren Willen bekommen hatten, zum Spielplatz rannten und dort tobten.
    Christopher seufzte und ging los und weil Milten und der Held sehen wollten, was passieren würde gingen sie mit. Elyas wollte nicht allein bei, dem ihm unbekannten, Günther bleiben und folgte ihnen. Als sie ein Stück gekommen waren, sah sich Christopher verstohlen nach seinen Kindern um und holte aus dem Rucksack, den er bei sich trug, ein knallorangenes kleines Ei hervor und legte es an den Rand eines Busches.
    Milten und der Held sahen ihm verwundert dabei zu.
    „Ist das eine Aufgabe, die deine Kinder lösen sollen?“ fragte der Held.
    „Naja … Es ist eine Ostertradition. Bunte Eier werden für die Kinder versteckt und die müssen sie dann finden.“
    „So eine Art Ausbildung zum Eier suchen?“ bohrte der Held weiter.
    Christopher runzelte die Stirn.
    „Wenn man es so nennen will.“
    „Hmm… vielleicht sollte es dann etwas schwieriger sein“, überlegte der Held. „Darf ich auch eins verstecken?“
    „Sicher.“
    Christopher überließ ihm ein blaues Ei und der Held legte es gut versteckt hinter einige Steine in einen Busch.
    „Das finden sie bestimmt nicht“, sprach der schmunzelnde Elyas laut aus, was die anderen nur dachten.
    „Sonst wäre es ja langweilig. Es geht ja einfach nur ums finden, oder? Es gibt nicht einmal irgendwelche Rätsel, Fallen, oder wilde Tiere, die ihre Eier beschützen“, kam es vom Helden.
    „Es ist ein Spiel für Kinder“, gab Milten zu bedenken.
    „Trotzdem …“ kam es störrisch vom Helden. „Ich erinnere mich da noch an eure Erzählung, wie Gorn und Diego dieses Snapperei beschaffen mussten…“
    Milten stöhnte.
    „Erinnere mich nicht an die Geschichte.“
    Er sah zum Helden in dessen Augen es blitzte.
    „Nein! Du wirst dich jetzt nicht in einen Drachensnapper verwandeln und die Kinder zu tode erschrecken“ sagte der Feuermagier streng.
    „Schade, das wäre bestimmt ein riesen Spaß gewesen.“
    Doch der Held dachte sich schon was Neues aus, während Christopher zunehmend beunruhigt weitere Eier versteckte.
    „Hm…“
    Der Held strich sich nachdenklich über seinen Bart.
    „Ich hab hier noch Dracheneier drin, die könnten wir doch auch verstecken und …“
    „Dracheneier?“ fragte Milten geschockt und Christopher und Elyas sahen jetzt so aus, als hätte der Held den Verstand verloren.
    „Du meinst … mit einem Spielzeug drin?“ wollte Christopher wissen.
    Der Held sah ihn verwundert an.
    „So würde ich es ja nicht nennen, nein. Ein Drachen eben, so ein schuppiges Vieh mit Flügeln, speit Feuer…“
    „und frisst Menschen“, warf Milten mit düsterem Blick ein.
    „Es sind ja noch kleine Drachen, vielleicht sind die ganz niedlich“, hielt der Held dagegen.
    „Wo hast du die überhaupt her?“
    „Die lagen bei Feodoran in Irdorath“, sagte der Held schulterzuckend, ganz so, als wäre es nichts weiter besonderes Dracheneier zu finden.
    „Aber du sagtest doch, alle Drachen wären männlich gewesen. Wie kann es da Eier geben?“
    „Hm… darüber hab ich noch nicht nachgedacht.“
    Der Held stand einen Moment einfach nur da und überlegte.
    „Vielleicht funktioniert das anders, vielleicht brauchen die keine Weibchen.“
    „Ja, oder da fliegen noch ein paar irgendwo rum“, sagte Milten zerknirscht.
    Der Held zuckte mit den Schultern, ganz so, als wäre das nicht weiter schlimm und vielleicht sogar ein Anreiz für ein neues Abenteuer.
    „Also was ist nun, die Dracheneier verstecken oder nicht? Die sind schön rot, passt doch zu den anderen bunten Eiern.“
    „Und wenn einer schlüpft?“ gab Milten zu bedenken.
    „Dann ist es ein Überraschungsei“ kam es jetzt belustigt von Elyas, der die ganze Situation zum schießen fand.
    „Also, ich verstehe nicht genau worüber ihr redet, oder ob ihr noch alle habt, aber wir verstecken hier ganz sicher keine Dracheneier“, kam es verstimmt von Christopher, der sich langsam fragte, was das für Gestalten waren mit denen sich sein Vater abgab.
    Er hatte das letzte Ei versteckt, klopfte sich die Hände ab und schlug vor zu seinen Kindern zurückzugehen, bevor andere die Eier fanden. Er rief seine Kinder herbei, die sofort angerannt kamen und mit frenetischem Eifer zu suchen begannen.
    „Und vergesst nicht: Keine Hundehaufen oder Müll aufsammeln“, erinnerte er mit erhobenem Zeigefinger seinen Nachwuchs.
    Trotzdem ließ es nicht lange auf sich warten bis Anja mit einem „Guck mal was ich gefunden habe“, ankam und eine Keksschachtel vorzeigte.
    „Die ist bestimmt leer und das fällt ganz klar unter Müll. Weg damit“, sagte der Vater und warf es in den nächsten Mülleimer. „Es geht um Eier, Anja, bei Ostern geht es darum Eier zu finden.“
    „Ok“, sagte Anja traurig, doch einen Moment später, als sie weiter suchte war ihr Trübseligkeit schon längst wieder vergessen.
    Martin hatte schon sehr viele Eier gefunden. Anja immerhin erst vier Stück. Ihrem Bruder war aber zugute zu halten, dass er rücksichtsvollerweise die einfacher versteckten Eier absichtlich übersah und die Herausforderung suchte. Das blaue Ei des Helden war als letztes übrig und nach einiger Zeit meinten die Kinder, sie hätten alle Eier gefunden.
    „Da fehlt noch ein blaues“, beharrte der Held.
    Günther erbarmte sich und dirigierte die Kinder mit Worten wie „heiß“ und „kalt“ immer näher an das Versteck. Martin sah sich sehr umsichtig um und durchsuchte dann den Busch, in dem der Held das blaue Ei versteckt hatte.
    „Hab’s gefunden!“ rief er triumphierend und streckte das Ei in die Höhe.
    „Sehr schön“, lobte sein Vater.
    Zusammen gingen sie anschließend durch den Park. Der Held, der nicht sah, dass hier noch etwas passieren würde, verabschiedete sich und Elyas folgte ihm.
    „Ich werde dann auch wieder ins Krankenhaus verschwinden“, erklärte Milten, zog die Teleporterrune für das Krankenhaus und wollte sie anwenden, doch ein „Wie machst du das?“ von Martin hielt ihn zurück.
    „Das ist ein Zauber. Ich bin ein Feuermagier“, erklärte Milten zum gefühlten zehntausendsten Mal.
    „Cool“, kam es von dem kleinen Jungen.
    Milten wusste ja nicht, ob „Cool“, das richtige Wort dafür war.
    „Kannst du mir zeigen wie das geht?“ fragte Martin aufgeregt.
    Der Feuermagier warf einen prüfenden Blick auf Günther und Christopher. Letzterer sah sehr unsicher aus, aber Günther lächelt und meinte: „Warum nicht? Er kann es ja mal versuchen.“
    Er glaubte wohl nicht, dass sich bei seinem Enkel etwas tun würde. Milten steckte die Teleporterrune vorläufig zurück in seine Tasche, zog stattdessen eine Lichtspruchrolle hervor und gab sie seinem neuesten Schüler.
    „Das ist eine Spruchrolle. Sie kann nur einmal verwendet werden, dann löst sie sich von selbst auf. Die magische Kraft, die notwendig ist, um Magie zu wirken nennen wir Mana.“
    „Muss er zu deinem Gott beten, um diese Spruchrolle anwenden zu können?“ fragte Günther.
    Milten konnte sehen, dass er beunruhigt war, wohl weil er nicht wollte, dass sein Enkel zu einem fremden Glauben konvertierte.
    „Er muss nicht, aber er kann. Meiner Erfahrung nach hilft das Beten, um die nötige Innere Ruhe und das Gleichgewicht zu finden, um neues Mana zu regenerieren. Die Magie kommt von den Göttern, daher denke ich, es wäre hilfreich zu beten.“
    „Was sind das für Götter?“ fragte der Junge, der jetzt immer mehr von Milten hören wollte.
    Während sie weiter durch den Park gingen erzählte Milten von Innos, Adanos und Beliar. Anja fand das sehr langweilig und sie löste sich immer wieder von der Gruppe, um etwas abseits auf eigene Faust im Park herumzustromern. Christopher wusste nicht, was er von Miltens Reden halten sollte und nahm seinen Vater beiseite, um mit ihm darüber zu sprechen. Der hatte ihn wohl beruhigt, denn Christopher unternahm anschließend keine Versuche den Feuermagier zu unterbrechen, oder seinem Sohn zu verbieten sich an der Magie zu versuchen. Milten sah ihm an, dass ihm das Erzählte wundersam vorkam, er seinem Vater aber vertraute. Lang und breit erzählte Milten Martin wie er die Spruchrolle anwenden sollte.
    „Wenn du es dann geschafft hast, lass es mich wissen. Vielleicht können wir uns dann den nächsten Zauber vornehmen.“
    Martin nickte und hütete die Lichtspruchrolle wie einen Schatz. Milten musste unwillkürlich schmunzeln. Er verabschiedete sich und zog jetzt seine Teleporterrune zum Krankenhaus hervor. Einen Moment später erglühte blaues Licht und er war verschwunden.

    Gorn und Diego waren zusammen durch die nächtlichen Straßen Berlins unterwegs. Sie wollten sich weiter nach Miftah umhören. Sie hatten schon einige Bars und Clubs abgeklappert, aber nicht viel herausbekommen. Entweder sie ernteten verständnislose Blicke, oder der Angesprochene wiegelte schnell ab. Selbst Diegos geschickte Überzeugungsarbeit brachte dann nicht mehr viel. Sie versuchten ihr Glück als nächstes in einer weiteren prunklosen Bar. Gorn setzte sich so, dass er den Rücken an der Wand und die Tür im Blick hatte. Diego fand es sehr angenehm mit Gorn unterwegs zu sein. Sein Freund übernahm das wachsame Sondieren der Umgebung, so dass er sich ganz damit befassen konnte nach möglichen Informanten Ausschau zu halten. Er musste zugeben, dass ihn diese Stadt vor ungeahnte Herausforderungen stellte. Dagegen war es in Myrtana vergleichsweise einfach solcherlei Erkundigungen einzuholen. Er entdeckte einen dünnen Mann mit kurzem dunklen Bart, der vom Teint so aussah, als käme er aus Varant. Das musste noch nichts heißen, aber obwohl seine Nachfragen meist im Nichts verliefen, hatte er festgestellt, dass diese Klientel größere Chancen auf Erfolg versprach als andere. Er stand auf und gesellte sich zu dem Typen, der sich an die Bar setzte und ein Getränk bestellte. Als er zum Geldbeutel griff, hatte Diego bereits einen zehn Euro Schein auf die Theke gelegt.
    „Geht auf mich.“
    Dem Wirt war es wohl egal, Hauptsache er bekam sein Geld, doch Diegos Günstling sah ihn scheel an.
    „He, ich kenn dich nicht mal.“
    Er musterte Diego argwöhnisch.
    „Und auf irgendeinen Kuschelkurs bin ich nicht aus.“
    Diego hob eine Augenbraue und setzte sich einfach neben ihn.
    „Ich möchte nur reden. Ich bin auf der Suche nach jemanden.“
    „Ach? Und warum glaubst du, sollte ich wissen, wo du diesen Jemand findest? Das hier ist Berlin. Wäre ja ein echter Zufall, wenn ich den Typen kenne, den du suchst.“
    „Es handelt sich um einen sehr bekannten Mann.“
    „Ach und wie heißt der?“
    „Miftah.“
    „Hmm…“
    Sein potentieller Informant verengte die Augen. Diego sah ihn wachsam an. Meist konnte er feststellen, wenn ihn jemand anlog.
    „Was willst du denn von dem?“
    „Ist was Geschäftliches“, gab Diego spärlich Antwort.
    „Ach was“, kam es zynisch zurück.
    „Kannst du mir irgendwas über ihn sagen?“
    „Nicht viel und ich wüsste auch gar nicht, warum ich das tun sollte.“
    „Weil ich dir noch einen ausgebe.“
    „Na schön.“
    Sein neuer Informant bestellte das teuerste Getränk, das der Laden zu bieten hatte und nachdem er es sich hinter gekippt hatte, sagte er: „Soll ganz groß im Drogengeschäft sein, aber auch Diebstähle und Glücksspiel sollen in seiner Hand liegen.“
    Diego wartete, aber als ihm die Pause zu lang vorkam fragte er weiter nach.
    „Weißt du wie viele Männer für ihn arbeiten?“
    „Schwer zu sagen. Es sind mehrere Familienclans, die sich zusammengetan haben.“
    „Haben sie die Polizei bestochen?“
    Sein Informant sah ihn mit großen Augen an.
    „Junge, was weiß ich? Ich gehöre nicht zu denen, sonst würde ich mit dir doch gar nicht darüber reden. Ich weiß nur, was man sich so erzählt.“
    „Was kannst du mir noch sagen?“
    „Die halten zusammen. Wenn sich jemand mit einem von denen anlegt, dann legt er sich mit denen allen an. Vielleicht macht die Polizei deswegen nichts und auch die anderen Kriminellen halten sich möglichst von ihnen fern, oder arbeiten für sie. Wer nicht nach denen ihrer Pfeife tanzt wird entweder gekauft, oder getötet.“
    „Hm…“ kam es nachdenklich von Diego.
    „Mehr weiß ich nicht.“
    Als Diego grübelnd zu Gorn zurückkehrte, stellte er fest, dass sein Freund nicht länger alleine war. Eine überaus hübsche Frau mit braunen, lockigen Haaren, die enge Jeans und ein blaues T-Shirt trug, das ihren Oberkörper an genau den richtigen Stellen betonte, hatte sich zu ihm gesetzt und in ein Gespräch verwickelt. Sie lächelte fast die ganze Zeit und warf ihm bewundernde Blicke zu.
    „Du bist nicht von hier, oder?“
    „Ist das wirklich so offensichtlich?“ fragte Gorn verwundert. „Ich komme aus Gotha.“
    „Na dann, Gorn aus Gotha, was machst du so?“
    „Ich bin … im Sicherheitsdienst“, erklärte er zögernd.
    „Soso, ich wette, dir macht so schnell keiner Ärger.“
    „Nein und wenn es doch einer versucht, überlegt er es sich für gewöhnlich ganz schnell anders.“
    Gorn grinste, dann fiel ihm doch noch Diego auf, der nicht wusste, ob er einfach wieder gehen sollte, um seinen Freund nicht zu stören, da sagte er: „Das ist mein Kumpel Diego.“
    Die Frau sah nicht genervt aus, sondern streckte ihm zur Begrüßung sogar die Hand entgegen.
    „Hallo, ich bin Alexandra, schön dich kennen zu lernen. Wir sprachen gerade über Berufe. Was machst du denn so?“
    „Ich habe einen Schlüsselnotdienst.“
    „Oh … interessant und wie läuft das Geschäft?“
    „Es geht so.“
    Diego hatte das unbestimmte Gefühl ausgehorcht zu werden und nahm sich fest vor es bei wagen Aussagen zu belassen.
    „Kennt ihr euch schon länger?“ wollte sie wissen.
    Diego antwortete nicht.
    „Ein paar Jahre“, kam es dann von Gorn, so dass sie sich wieder ganz auf ihn fokussierte.
    „Woher kennt ihr euch denn?“ fragte sie weiter, sah Gorn jetzt tief in die Augen, klimperte mit den Liedern und strich sich durchs Haar.
    Diego warf seinem Freund warnende Blicke zu, doch der hatte nur Augen für die schöne Frau. Es war, als hätte sie ihn mit einem ganz eigenen Zauber belegt.
    „Öhm… aus dem Knast.“
    Diego hätte sich am liebsten mit der Hand an den Kopf gefasst. Er konnte es einfach nicht fassen, wie konnte Gorn das einfach so einer Fremden ausplaudern? Die reagierte auch nicht wie eine typische Frau mit Entsetzen oder zumindest Zurückhaltung, es hatte im Gegenteil den Anschein, als fände sie es überaus interessant.
    „Das hört sich wahnsinnig spannend an“, sagte sie und zutschte am Strohhalm ihres Cocktails.
    Gorns Mund stand ein Stück weit offen. Diego war sich jetzt ganz sicher, dass hier etwas faul war. Wer war diese Frau nur? Warum wollte sie das alles wissen? Für wen arbeitete sie? Und wie konnte er Gorn von ihr wegbekommen?
    „Wie lange wart ihr denn im Gefängnis?“ wollte die Schönheit weiter wissen.
    „Etwa zwei Jahre“, sagte Gorn, bei dem es nun ganz so aussah, als hätte sich sein Gehirn vollends in den Sparmodus geschaltet und jetzt ganz anderes im Sinn.
    Vielleicht überlegte er sich gerade wie es wäre mit dieser Schönheit ganz allein zu sein. Sie wickelte sich jetzt verspielt eine ihrer braunen Locken um den rechten Zeigefinger und fragte: „Hört sich an, als wärt ihr richtig schlimme Jungs. Was habt ihr denn angestellt?“
    „Ach, eigentlich nur eine kleine Auseinandersetzung … mir ist ein bisschen mein Temperament durchgegangen.“
    „Ja, ist mir auch schon aufgefallen, dass du richtig heiß bist“, hauchte sie und beugte sich vor, um ihm tiefe Einblicke auf ihren Busen zu gewähren.
    Spätestens jetzt war Gorn ihr gänzlich verfallen. Er starrte sie einen Moment einfach nur an, dann fiel ihm offenbar etwas ein, denn er sagte: „Ach und bei Diego war es irgendwas mit Betrug, stimmt doch, oder Diego?“
    Diego sagte sich, dass es so keinesfalls weitergehen durfte.
    „Gorn, ich muss dich draußen mal sprechen.“
    „Nicht jetzt“, wehrte sein Freund ab und versank in den schönen Augen seiner Gesprächspartnerin, die ihn immer noch anlächelte, als wenn sie die Freundlichkeit in Person wäre.
    Diego fragte sich, wie sein Kumpel nicht sehen konnte, was hier vor sich ging. Es war doch so offensichtlich.
    „Es ist aber wichtig“, beharrte er.
    „Es kann bestimmt ein paar Minuten warten“, antwortete Gorn genervt, ohne ihn auch nur anzusehen.
    Diego überlegt Gorn einfach am Arm zu packen und nach draußen zu ziehen, aber schnell schlug er sich das wieder aus dem Kopf. Gorn würde nirgendwo hingehen, ohne, dass er es wollte. Er musste zu einer List greifen.
    „Unser Freund hat mich aber gerade angerufen und er sagt, er muss uns ganz schnell sprechen.“
    Gorn horchte auf und wandte ihm seinen Blick zu. Seine Treue ging so weit, dass selbst die strahlende Schönheit dieser Frau sie nicht ausblenden konnte.
    „Worum geht es denn?“ wollte Gorn gespannt wissen.
    „Ich weiß nicht, deswegen sollen wir ja zu ihm gehen.“
    „Wie heißt denn euer Freund?“ fragte die Frau, welche die Ohren gespitzt hatte und aussah, als wäre sie auf eine Goldader gestoßen.
    „Ach …, er hat keinen Namen“, antwortete Gorn, der jetzt langsam und sichtlich unwillig aufstand.
    Das steigerte nur noch die Neugier der gutaussehenden Frau und sie nahm ihn an der Hand und schnurrte: „Bleib doch noch, ich würde dich gerne besser kennen lernen.“
    „Gorn, kommst du jetzt endlich?“ schnarrte Diego.
    Gorn stand einen Moment unentschlossen herum. Er musste sich zwischen seinen Freunden und diesem gestaltgewordenen Traum von Frau entscheiden. Die Treue behielt die Oberhand und er folgte Diego schließlich aus der Bar heraus. Sein Freund schritt eilig aus, so dass er sich beeilen musste, um nicht zurückzufallen. Diego wartete, bis sie sich ein großes Stück von der Bar entfernt hatten, bevor er mit der Sprache herausrückte.
    „Was ist nur los mit dir? Hast du nicht gesehen, dass sie dich durchleuchtet hat wie ein Juwelier einen Diamanten?“
    „Was?“ fragte Gorn verwundert. „Was meinst du?“
    Diego sah ihn genervt an.
    „Die hat dich doch nur ausgehorcht.“
    „He, du musst nicht gleich neidisch sein, weil mich ein so hübsches Mädel angesprochen hat.“
    „Bin ich nicht!“ sagte Diego laut. „Du musst ihr doch nicht gleich erzählen, dass wir mal saßen, … und überhaupt unsere ganze Lebensgeschichte.“
    „Hab ich doch gar nicht“, wehrte sich Gorn, aber so ganz überzeugt klang er nicht.
    „Ich wette, die hat sich für jemanden umgehört. Die Frage ist nur für wen?“ überlegte Diego laut.
    „Ach komm, hör auf.“
    Diego musterte seinen Freund eingehend.
    „Was ist bloß los mit dir? Die muss dir ja komplett den Kopf verdreht haben. Sonst bist du doch immer so wachsam und verdächtigst alles und jeden. Was war das mit: „Immer den Rücken frei halten?“ Gilt das nur für Männer? Glaubst du eine Frau kann dich nicht auch in eine Falle locken? Gerade bei denen musst du auf der Hut sein.“
    „Tja, also…“
    Plötzlich wirkte Gorn beschämt.
    „Daran hast du wohl gar nicht gedacht, wenn du überhaupt gedacht hast“, hackte Diego weiter auf ihn ein.
    „He, jetzt ist aber auch mal gut, ja?“ knurrte Gorn. „Vielleicht hab ich tatsächlich einen Fehler gemacht, aber wann trifft man schon mal so eine schöne Frau? Da … hab ich nicht dran gedacht.“
    Diego verdrehte die Augen.
    „Immer wachsam bleiben“, mahnte er.
    Eine Weile schritten sie stumm grollend nebeneinander her, dann blieb Gorn auf einmal stehen und rief aus: „Dann hat er dich gar nicht angerufen? Du wolltest mich nur von ihr wegbekommen, oder?“
    Diego sah nicht nach hinten, als er sagte: „Schön, dass du es auch endlich mitbekommen hast.“
    Gorn grummelte und blickte Diegos Hinterkopf düster an, so als würde das die Situation verbessern.
    „Aber ich schätze, es wäre trotzdem gut, mal bei ihm zu horchen, wie es gerade läuft.“
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 20:50 Uhr)

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    Leichen im Keller

    Im Versteck erwartete sie eine Überraschung. Als Diego, Gorn und Annette, die gerade ihr Auto vor der Tür geparkt hatte, zur Tür hereinkamen sahen sie Elyas, Lester und den Helden im Treppenflur stehen.
    „Was ist denn los?“ fragte Diego, der sofort merkte, dass etwas nicht stimmte.
    „Wir haben Leichen im Keller“, erklärte der Held schonungslos.
    „WAS?“ fragte Annette erschrocken und japste nach Luft.
    „He, seht mich nicht so an, ich war es nicht. Ich vermute ja, die beiden wurden von Miftah geschickt und sollten Lester umbringen. Doch die beiden Skelette haben sie dann abgestochen.“
    „Woher wussten die nur, wo wir wohnen?“ fragte Gorn laut.
    „Die werden bestimmt genauso herumgefragt haben wie wir“, kam es von Diego, der jetzt die Treppe hinunter ging, um sich das Schlamassel anzusehen.
    Die anderen folgten ihm und als Annette die beiden Toten sah, stieß sie einen lauten Schrei aus. Bäuchlings lagen die beiden Männer in ihrem eigenen Blut auf dem Boden. Der eine war ein richtiger Muskelprotz, der andere vergleichsweise dürr. Letzterer hatte beim Angriff des Skeletts eine Hand eingebüßt, die jetzt etwas abseits lag wie die groteske Version des eiskalten Händchens. Die beiden Skelette standen reglos an ihren Posten, ganz so, als wäre nichts geschehen.
    „Und was machen wir jetzt?“ fragte Lester und zündete sich einen Sumpfkrautstengel an.
    „Was meinst du?“ fragte der Held arglos.
    Lester hob eine Augenbraue.
    „Naja … sollen wir die so liegen lassen?“
    „Also ich hab mich bisher nie um die Leichen gekümmert. Meist verschwinden sie von ganz allein. Vielleicht irgendwelche Viecher, die sie sich holen.“
    „Was denn für Viecher?“ wollte jetzt Gorn wissen.
    „Hast du denn Beschwörungen die Menschen fressen?“ wollte Diego wissen.
    Der Held dachte angestrengt nach.
    „Weiß nicht, vielleicht Waldi? Ja, bestimmt, aber dann bleiben immer noch Knochen übrig.“
    „Du willst Waldi die Beiden fressen lassen?“ fragte Annette erschrocken und griff sich an ihre Drosselgrube.
    „Hast du eine andere Idee?“
    „Säure!“ kam es jetzt von Elyas.
    Die anderen sahen ihn überrascht an.
    „Was denn für Säure?“ sprach es Annette aus.
    „Mann … hat denn keiner von euch Breaking Bad geguckt?“
    Verständnislose Blicke. Elyas seufzte.
    „Ja, warum denn auch? In der Serie lösen Jesse und Walter White ihre Leichen mit Säure auf.“
    „Ja, na klar“, kam es sarkastisch von Annette. „Machen wir es doch einfach wie in einer Fernsehserie, das klappt bestimmt. Ist ja nicht so, als wäre das bloß ausgedacht oder so.“
    „He, es gibt wirklich Chrystal Meth und es gibt Leichen und es gibt diese komische Säure“, verteidigte Elyas seine Idee.
    „Und weißt du auch wie diese Säure heißt?“ fragte Annette bissig.
    Der junge Mann dachte angestrengt nach.
    „War irgendwas mit Wasser … hm… ah, jetzt hab ichs: Flusssäure.“
    Elyas Augen strahlten. Er war ganz stolz, weil es ihm wieder eingefallen war.
    „Außerdem brauchen wir Anzüge aus Plastik als Schutz und große Plastikbehälter, wo die Leichen rein kommen. Wenn wir keine finden, die groß genug sind, müssen wir die Leichen zerhacken.“
    Annette war noch blasser geworden.
    „Ach und wo sollen wir das herbekommen?“
    „He, wer ist denn hier unsere Organisatorin?“ fragte Elyas kalt.
    Annette knirschte mit den Zähnen.
    „So etwas musste ich noch nie beschaffen. Mal sehen, wird bestimmt etwas dauern. Außerdem muss es ja dann auch irgendwohin. Wir brauchen also noch jemanden der sich mit der Beseitigung von Gefahrgut auskennt. Das wird sehr schwer.“
    „Hört sich sehr kompliziert an. Vielleicht sollten wir sie doch einfach von Waldi fressen lassen“, kam es vom Helden, der es gerne möglichst praktisch und einfach hatte.
    „Ach? Und die Knochen und was da auch immer sonst übrig bleibt, verbuddeln wir dann im Grunewald? Die werden irgendwann zufällig gefunden, nachdem ein paar Wildschweine die ausgegraben haben und dann sind wir geliefert. Ich hätte gerne, dass uns nachher niemand dran kriegt.“
    Elyas riskierte wieder eine dicke Lippe. Doch er erhielt unerwartete Rückendeckung von Diego.
    „Wenn es sicherer ist, dann bin ich auch für die Säure.“
    Gorn und Lester stimmten zu, weil ihnen selbst keine bessere Idee einfiel. Der Held zuckte mit den Achseln zum Zeichen dafür, dass es ihm vollkommen egal war.

    Gorn, Diego und der Held beschlossen zu Cem ins Paradise zu gehen und ihn zu fragen, ob er vielleicht einige der benötigten Sachen da hatte. Der Held war fest davon überzeugt, denn er schätzte Cem so ein, dass sich hin und wieder einmal ein „Unfall“ ereignete. Als sie durch die Hintertür eintraten, bot sich ihnen eine überraschende Situation. Cem hatte Marius am Wickel.
    „Du beklaust mich? Glaubst du echt, das lass ich dir durchgehen? Als Elyas dich anschleppte, dachte ich, du wärst vertrauensvoll und kein Dieb.“
    „Genau genommen, hab ich dir doch gar nichts gestohlen“, wagte Marius trotz zugeschwollenem linken Auge zu sagen.
    Cem hatte ihm wohl einen ordentlichen Schlag verpasst.
    „Einnahmen, die ich hätte haben können und dann nicht habe, sind für mich das gleiche wie Diebstahl“, schnauzte Cem.
    „He, was ist denn hier los?“ fragte der Held im Plauderton, ganz so, als wären sie zu einem angenehmen Treffen in der Taverne verabredet.
    Cem und Marius hatten die Neuankömmlinge bisher noch nicht bemerkt. Während Cem zuerst wütend und dann nachdenklich aussah, blickte Marius den Helden furchtsam, aber auch mit einem Funken Hoffnung an.
    „Dieser Nerd hat uns beklaut“, erklärte Cem und ließ von Marius ab, der schnell ein paar Schritte zurückging.
    Der Held fand es sehr interessant, dass es jetzt auf einmal wieder „uns“ hieß.
    „Hab ich nicht!“ wiedersprach Marius.
    „Schnauze!“ blaffte der ältere Mann.
    „Also, der Reihe nach. Was ist passiert?“ wollte der Held wissen.
    „Er hat unsere Sumpfkraut- und die Heiltrankseiten benutzt, um Rechner, die diese Seiten besuchen, zum Mining zu zwingen.“
    „Mining? Hat das was mit Minen zu tun?“ fragte der Held nach.
    Cem sah Marius mit einem wütenden Blick an.
    „So, jetzt rede dich gefälligst selbst aus der Scheiße raus!“
    Trotz seiner Lage blieb Marius überraschend unerschütterlich. Er war ein junger Mann, der ganz genau wusste, wie viel seine Fähigkeiten wert waren. Deswegen glaubte er nicht umgebracht zu werden.
    „Ja, Minen. Die Rechner, die unsere Seiten besuchen werden dazu gezwungen bei fünfzig prozentiger Auslastung nach Bitcoins zu schürfen.“
    „Was sind Bitcoins?“ fragte jetzt Diego.
    „Geld“, erklärte Marius schulterzuckend.
    In den Köpfen der Freunde bildete sich ein neues Bild. Marius schien so eine Art Erzbaron zu sein, nur eben mit diesen Bitcoins. Ein Bitcoinbaron.
    „Hätte ich dir gar nicht zugetraut“, sagte der Held grinsend und klopfte dem jungen Mann auf die Schulter.
    Cem wunderte dieses kumpelhafte Lob.
    „Also hör mal, er hat uns ausgenutzt und da lobst du ihn auch noch?“ fragte Cem verärgert.
    „Er hat immerhin eine Möglichkeit aufgetan weiteres Geld ranzuschaffen“, verteidigte der Held Marius Verhalten.
    „Aber wir sollten auch etwas vom Kuchen abbekommen“, stellte Diego schnell klar. „Mindestens fünfzig Prozent.“
    „He“, platzte es aus Marius heraus. „Ohne mich würden wir überhaupt keine Bitcoins bekommen. Da sollte mir schon etwas mehr zustehen, immerhin hab ich die ganze Arbeit.“
    „Ach?“
    Cem funkelte ihn böse an.
    „Allzu viel verstehe ich von diesem Zeug ja nicht, aber du musst diesen Befehl für die Seiten doch nur einmal schreiben, oder?“
    „Ja, du hast recht, du verstehst wirklich nicht allzu viel davon“, sagte Marius kalt.
    „Pass auf wie du mit mir sprichst!“ herrschte Cem ihn an und drohte mit der Faust. „Wenn es nach mir ginge, dann würdest du sofort von sämtlichen Geschäften mit uns ausgeschlossen. Fünfzig Prozent sind noch viel zu viel für dich. Also lass hören, was kannst du uns denn noch anbieten?“
    Er sah den IT-Spezialisten aus zusammengekniffenen Augen an, der gar nicht danach aussah ein Angebot zu unterbreiten.
    „Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass du außerdem allerhand Computer gekapert hast.“
    Marius wurde tiefrot im Gesicht.
    „Volltreffer, also wie viele sind es etwa?“ wollte Cem wissen und verschränkte die Arme vor der Brust.
    „Naja …“ wollte Marius hinter dem Berg halten.
    „Spuck es aus, sonst setzt es was!“ drohte Cem.
    Marius hob das Kinn, ganz so, als stünde er über solcherlei Drohungen.
    „Ich habe eine ganze Zombiearmee. Etwa achttausend sollten es schon sein.“
    Diego, Gorn und der Held sahen sich erstaunt an. Hörte sich ganz so an, als wäre Marius ein mächtiger schwarzer Magier. Er mochte schwächlich und klein wirken, doch verbarg er seine wahre Macht im Inneren. Es wäre besser diesen Typen auf der eigenen Seite zu haben, anstatt gegen ihn vorgehen zu müssen.
    „Gut“, sagte Cem. „Wenn ich … wenn wir mal ein Problem haben, dann erwarte ich, dass du deine Zombiearmee darauf ansetzt.“
    „Na schön“, ließ sich Marius breit schlagen.
    „Noch mal zurück zu dem Geld“, sagte Diego geschäftsmäßig. „Du sagtest vorhin die Schürfer würden nur mit fünfzig prozentiger Leistung arbeiten. Warum denn das? Da wäre doch sicher mehr zu holen.“
    „Schon“, gab Marius zu. „Aber umso mehr Leistung genutzt wird, umso höher ist die Gefahr, dass der Eigentümer mitbekommt, dass sein Rechner missbraucht wird.“
    „So hab ich ja überhaupt erst mitbekommen was läuft“, erklärte jetzt Cem. „Mit meinem altersschwachen Laptop hab ich mir unsere Seiten mal angesehen, um zu checken, ob auch alles ordentlich ist, da röhrte das Teil auf einmal laut auf, als würde es sonst was machen.“
    „Und was hast du unternommen?“ fragte Marius spitz, ein verschlagenes Lächeln im Gesicht.
    „Den Task-Manager geöffnet, um zu sehen, was für Prozesse laufen.“
    Marius Grinsen wurde breiter.
    „Aber dein Mining Programm schaltet sich einfach selbst aus, wenn es mitkriegt, dass der Task-Manager geöffnet wird, hab ich nicht Recht?“
    Marius Grinsen war Antwort genug.
    „Tja, aber als ich die .exe einfach umbenannt hatte konnte ich es doch sehen“, sagte Cem triumphierend.
    Marius Mund verzog sich.
    „Ja, das ist leider ein Problem, aber wer kommt schon darauf? Hätte nicht gedacht, dass du das kennst.“
    „Tjaha“, lachte Cem. „Ist nicht das erste Mal, das mir sowas passiert und ich hab auch ein paar Bekannte, die sich mit sowas auskennen.“
    Der Held, Diego und Gorn verstanden nicht worum es im Konkreten ging, vermuteten aber das Aufliegen der Sklaverei dieser Computer.
    „Wäre das dann geklärt?“ fragte der Held.
    Cem und Marius sahen sich unschlüssig an, zuckten mit den Schultern und nickten.
    „Eigentlich sind wir ja wegen etwas anderem hier. Wir brauchen Tonnen aus sogenanntem Plastik und auch Anzüge daraus und etwas das Flusssäure heißt.“
    „Was? Wozu denn das?“ fragte Cem misstrauisch.
    „Ach, wir hatten unerwartet Besuch. Vermutlich ein paar Typen von Miftah, die Lester umbringen wollten“, sagte der Held, als wenn sowas jeden Tag vorkam. „Aber meine beiden Skelette, haben sie abgemurkst, kaum dass sie durch die Kellertür kamen.“
    „Skelette?“ fragte Marius verwundert.
    „Na ja so Untote. Kennst du doch, du mit deinen Zombies…“
    Weil er es zu diesem Zeitpunkt für sehr unklug hielt etwas zu sagen, hielt Marius den Mund.
    „Verdammt“, kam es von Cem. „Ich wusste es würde Ärger geben, aber nicht, dass er so schnell käme. Ihr wollt die Leichen also in der Säure auflösen?“
    „Ja, Elyas hatte die Idee“, sagte der Held.
    „Na schön, ich werde mal sehen, ob ich etwas in der Art auftreiben kann. Ich glaube an die Plastiktonnen könnte ich rankommen.“
    „Im Darknet gibt es das ganz sicher, ich setz mich mal dran“, erklärte Marius hilfsbereit.
    Das brachte ihm wieder Pluspunkte ein.
    „Gut. Wo wir gerade von diesem Miftah reden,“ führte Cem das Thema fort „da kam letztens ein Typ, ein bekannter Kerl in der Wettszene, der von dir gehört hat Gorn.“
    Gorn, der bisher einfach nur zugehört hatte, horchte auf.
    „Ach und was will er von mir?“ knurrte er.
    „Du könntest ein großer Mann in verborgenen Hinterhofkämpfen werden, meinte er.“
    Gorn ließ sich das durch den Kopf gehen. Er mochte das Kämpfen, doch gefiel es ihm mehr, wenn es dabei auch um eine bestimmte Sache ging. Einfach nur kämpfen, des Kämpfens Willen war nicht genug. Immerhin barg es ja auch gewisse Risiken.
    „Und warum sollte ich da einsteigen?“ wollte er wissen.
    „Dieser Mann, alle nennen ihn bloß Tyson, genau wie diesen Boxer, könnte ein guter Verbündeter gegen Miftah sein. Miftah und seine Clans kontrollieren in dieser Stadt große Teile der Kriminalität. Beim Hinterhofkampf haben sie aber noch keinen Fuß in die Tür bekommen. Und Tyson hätte gerne, dass das auch weiterhin so bleibt. Mit seinem Geld und Einfluss und seinen Leuten konnte er sich bisher behaupten. Doch nun sucht er Verbündete und wir könnten jemanden brauchen, der uns den Rücken frei hält.“
    Das war ganz noch Gorns Geschmack.
    „Gut, wenn das so ist, dann bin ich dabei. Wann geht es los?“
    „Ich rufe Tyson an und kläre das mit ihm, dann sag ich dir Bescheid“, erklärte Cem.
    „Sieht ganz so aus, als würden wir eine Armee aufstellen“, kam es von Diego, der einen Krieg witterte.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 20:52 Uhr)

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    Diego der Märchenonkel

    Diego und Gorn waren am Abend wieder in den Bars und Clubs unterwegs, um Informationen zu sammeln. In einer Bar trafen sie völlig unvermittelt auf eine frühere Kundin von Diego, die damals mit ihrem Kind so eilig zum Arzt musste. Mit einer Freundin saß sie an einem der Tische und rief erstaunt aus: „Diego, so ein Zufall. Berlin ist so eine große Stadt, aber wir laufen uns einfach immer wieder über den Weg.“
    Sie lachte herzhaft, vermutlich war sie nicht mehr ganz nüchtern.
    „Setz dich doch zu uns.“
    Diego sah zu Gorn, um zu sehen was er dazu meinte, doch sein Kumpel zuckte nur mit den Schultern. Sie setzten sich dazu und sofort sagte die Frau: "Da fällt mir ein, du weißt ja noch gar nicht wie ich heiße."
    Sie kicherte.
    "Mein Name ist Marietta und das ist meine langjährige Freundin Franziska.“
    Diego erkannte sie als die Frau, mit der sie zusammen im Park unterwegs war.
    „Ich arbeite bei einer Bank“, erklärte sie. „Du hast einen Schlüsselnotdienst, richtig?“
    Diego nickte.
    „Und du bist sein Kumpel?“
    „Ja, ich heiße Gorn und arbeite im Sicherheitsdienst.“
    „Glaub ich dir sofort“, sagte Franziska, die Gorn bewundernde Blicke zuwarf.
    Sie blieben bei dem Thema Arbeit und so erfuhren sie schnell, dass Marietta eine Immobilienmaklerin war. Darunter konnten sich die beiden Männer nichts vorstellen.
    „Ich zeige Menschen Wohnungen, die sie dann mieten.“
    „Mieten?“ fragte Diego verwundert.
    Wären die beiden Frauen nüchtern gewesen, hätten sie sich jetzt wohl gewundert, so aber plapperte Marietta einfach weiter. „Na, du weißt schon, Leute, die selbst kein Haus haben, mieten sich eins, oder eben eine Wohnung und ich zeig ihnen das, ja das mach ich.“
    Sie lachte laut auf, obwohl es dazu ja eigentlich keinen Grund gab und nippte dann wieder an ihrem Drink. Gorn sah wohl nicht so recht was dieses Gespräch bringen sollte und die beiden Frauen waren bei weitem nicht so hübsch wie die von neulich. Doch Diego war hellhörig geworden. Er witterte eine Geschäftsidee. Häuser vermieten. So etwas in der Art hatte er doch auch in Mora Sul mit seinem Haus gemacht. Er hatte dem Arenakämpfer für Geld erlaubt, während seiner Abwesenheit in seinem Haus zu wohnen.
    „Wie oft müssen diese Mieter denn bezahlen?“ wollte Diego wissen.
    „Na, einmal im Monat, wie immer“, sagte Marietta und schaute jetzt doch etwas verwundert.
    ‚Gar nicht dumm.‘ dachte sich Diego. ‚So sieht es nach weniger aus, als es tatsächlich ist und die Menschen gewöhnen sich an die Last, so dass sie es irgendwann für selbstverständlich halten. Da lässt sich was draus machen.‘
    Die beiden Frauen hatten ein Gespräch mit Gorn angefangen, indem sie ihn ausfragten was er so in seiner Freizeit unternahm. Gorn, der sich nur zu gut an Diegos Ermahnung erinnerte, blieb verhalten und Antwortete nur kurz und bündig.
    „Sag mal, Franziska wie genau funktioniert das mit den Banken?“ wandte sich Diego jetzt ihr zu.
    „Wie? Was meinst du?“ wollte die beschwipste Frau wissen.
    „Die Leute zahlen in die Bank ein, aber was hat die davon?“
    „Die … äh … arbeiten mit dem Geld… investieren in Unternehmen und so …“
    Es war Franziska anzusehen, dass sie Schwierigkeiten hatte sich zu konzentrieren.
    „Wenn die Leute Geld brauchen, können sie es sich bei der Bank leihen.“
    Diego konnte ein Grinsen nicht ganz unterdrücken.
    „Und dann müssen sie es der Bank nachher mit vielen Zinsen zurückzahlen, richtig?“
    Da Franziska den Inhalt ihres Glases jetzt mit einem mal herunterstürzte antwortete ihre Freundin für sie.
    „Exakt … du kennst doch das Sprichwort: Die kleinen Gauner rauben die Banken aus, die großen gründen sie.“
    „Nun mach mal halblang“, kam es von Franziska.
    Die beiden Frauen fingen an sich zu zoffen, doch Diego nahm davon gar nicht wirklich Notiz. Er sah Möglichkeiten, Möglichkeiten der reichste Mann zu werden, der jemals in Myrtana gelebt hat. Er würde eine Bank gründen. Mit seinem angehäuften Reichtum, den der Held immer noch in der Tasche trug, hatte er ein ausreichendes Startkapital. Jetzt nach dem Krieg brauchten die einfachen Leute dringend Gold und er würde es ihnen geben. Natürlich würden sie es zurückzahlen müssen und die Zinsen würden enorm sein. Diego grinste. Aber er war ja kein Unmensch, sie sollten die Möglichkeit haben ihre Schulden abzuarbeiten. Das zerstörte Vengard war da gerade richtig. Schließlich musste die Stadt doch irgendwann wieder aufgebaut werden, oder? Es braucht nur den richtigen Investor und der würde er sein. Die Schuldner würden sich den Buckel für ihn krumm schuften und die Stadt wieder aufbauen. Die entstandenen Häuser würden dann ihm gehören und er würde sie vermieten. Zunächst noch für wenig Gold, doch umso mehr Leute in Vengard leben wollten, umso höher würden seine Mieten steigen. Würde einer Protestieren, würde er ihn rauswerfen und gegen jemanden ersetzen, der bereit war seinen Preis zu zahlen. Das versetzte ihm aber einen ersten Dämpfer. Rauswerfen… das könnte er nicht allein tun, immerhin war er auch nicht mehr der Jüngste. Er bräuchte Unterstützung. Der Held wäre ideal. Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht, wenn er der König werden würde. Selbst Lee hatte gesagt, Vengard müsse wiederaufgebaut werden und der Held hätte sicher nichts dagegen und würde ihn in seinem Vorhaben bestimmt unterstützen. Und wie war das? Der Held hatte ihm doch angeboten ihn zum Schatzmeister zu ernennen, sollte er König werden. Ja, das passte alles gut zusammen. Diegos Herz schlug immer schneller. Er war einem ganz großen Ding auf der Spur. Bisher hatte er den Wunsch des Helden für sich zu bleiben und weiterhin einfach nur ein abenteuerliches Leben zu genießen unterstützt, immerhin war er sein Freund und er hatte keinen Grund gesehen ihn dazu zu überreden, doch jetzt, wo sein eigener Vorteil davon abhing, dachte Diego anders. Wenn der Held König würde, hätte er die besten Chancen seine Ideen in die Tat umzusetzen. Er würde sein Schatzmeister werden und eine große Bank aufbauen, mit der er den Aufbau Vengards finanzierte, doch zuguterletzt würden die Gewinne so enorm sein, dass sein derzeitiger Reichtum wie ein Taschengeld wirkte und der Held würde ihm dabei helfen. Diegos Gedanken rasten. Angestrengt dachte er darüber nach wie er den Helden dazu überreden konnte, doch noch König zu werden. Es mussten sehr gute Argumente sein.
    „He, Diego, was ist denn mit dir los? Du grinst schon die ganze Zeit so dämlich, das ist doch sonst gar nicht deine Art“, riss ihn Gorn aus seinen Gedanken.
    Diego bezweifelte, dass sein Grinsen tatsächlich dämlich ausgesehen hatte und sagte nur: „Ach, heute ist nur so ein schöner Tag.“
    „Ja, da hast du vollkommen recht“, lallte Marietta und trank ein weiteres Glas auf Ex. „Noch eins“, krähte sie der Kellnerin zu, die gerade vorbeilief.
    Die warf ihr einen genervten Blick zu, lieferte ihre Bestellung ab und kehrte dann zur Bar zurück, um weiteren Alkohol zu besorgen. Gorn hatte sich einen Schnapps bestellt, den er aber mit einem Zug hinterkippte. Er verzog keine Miene. Auch die Damen zeigten, dass sie trinkfest waren und lachten sehr viel.
    „Wie kommt ihr denn nach Hause?“ wollte Diego wissen, denn der bezweifelte, dass sie den Weg finden würden.
    „Ich ruf einfach meinen Mann an“, säuselte Franziska. „Griff auch schon unbeholfen in ihre Tasche und zog ihr Smartphone heraus.
    Sie tippte darauf herum und sagte dann viel zu laut zu dem Gerät: „He, wo bissd du? Ich bin hier in …“
    Sie sah Marietta fragend an.
    „wie heißt das hier?“
    Marietta sagte es ihr und Franziska gab das so durch.
    „Wenn du mich gleich abholst, dann kannst du dich schon mal auf eine interessante Nacht gefasst machen.“
    Diego und Gorn wechselten Blicke. Sie konnten sich vorstellen, dass es vielmehr auf Kopfschmerzen und Kotze hinauslaufen würde, was ganz bestimmt nicht interessant war.
    „Und was ist mit dir?“ fragte Diego Marietta.
    „Ich … komm schon klar.“
    Sie versuchte aufzustehen, hatte dabei aber einige Schwierigkeiten. Ihre hochhackigen Schuhe trugen nicht gerade zu einem guten Gleichgewicht bei.
    „Komm, ich bring dich nach Hause“, sagte Diego, nicht ohne Hintergedanken.
    Das war DIE Gelegenheit sie weiter nach den Mieten auszufragen, um seinen Plan im Detail ausarbeiten zu können. Gorn dachte da wohl an ganz andere Dinge, denn jetzt grinste er und zwinkerte ihm schelmisch zu.
    „Mach das, ich verschwinde dann auch mal, weil es wohl keine gute Idee ist, wenn Franziskas Mann sie hier nur mit mir findet.“
    „Ach, glaubst du wirklich, der legt sich mit dir an?“ fragte Diego belustigt.
    „Das nicht, aber ich will doch keine Ehe zerstören“, sagte Gorn gutmütig.
    Franziska und Marietta verabschiedeten sich und Diego half ihr nach draußen auf den Bürgersteig. Er wusste ja wo sie wohnte und überlegte, wie er sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln am besten dorthin bringen konnte. Während der Fahrt mit der U-Bahn und einem Bus fragte er sie immer weiter über das Immobilienwesen aus. Marietta hatte aber nicht wirklich Lust darüber zu reden. Viel lieber grub sie alte Anekdoten aus, die sie dann zum Besten gab und an deren Ende sie jedes Mal in schallendes Gelächter ausbrach. Diego seufzte. Das war vielleicht doch keine gute Idee gewesen. Sie stiegen aus und Diego legte einen ihrer Arme, um seine Schultern, weil sie ständig drohte das Gleichgewicht zu verlieren.
    „Gab es irgendwas zu feiern?“ wollte Diego wissen.
    Marietta hickste.
    „Oder zu betrauern?“
    „Den Verlust meiner Jugend“, kam es von der Frau.
    Diego runzelte die Stirn. So alt würde er sie gar nicht einschätzen. Er brachte sie an die Haustür und es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis Marietta den Schlüssel gefunden hatte. Diego dachte daran, sie jetzt einfach stehen zu lassen, aber schon nach den ersten Treppenstufen, die sie nahm, wurde ihm klar, dass das kein gutes Ende nehmen würde. Jetzt wo er sich einmal damit einverstanden erklärt hatte, fühlte er sich doch irgendwie dafür verantwortlich, sie bis nach Hause zu bringen. Also griff er ihr erneut unter die Arme und bugsierte sie bis hoch zu ihrer Tür, wo er ihr den Schlüssel aus der Hand nahm, aufschloss und sie hineinbrachte. Die Tür knallte laut ins Schloss.
    „So, da wären wir“, sagte Diego und sah sich um.
    Es war ein sehr ordentlicher Haushalt. Der Flur war sehr schmal, gleich dahinter kam das Wohnzimmer mit zusammengelegter nobler Kochecke. Marietta zog sich die Hackenschuhe an und ließ sie liegen wo sie waren. Sie hustete, griff sich an den Mund und rannte dann schneller als Diego ihr in diesem Zustand noch zugetraut hätte, in ein weiteres Zimmer, wo er das Bad vermutete und übergab sich geräuschvoll. Diego wollte sich schon umdrehen und gehen, als er trippelnde Schritte hörte und ein kleiner Junge in seinem Sichtfeld erschien. Er trug dünne helle Sachen, die mit kleinen Löwen bedruckt waren. Im Arm hielt er ein merkwürdiges Tier, mit großen Augen, Ohren, Schnurrharen, Fell und einer grünen Latzhose.
    „Du bist der Schlüsselmeister, oder?“
    Diego runzelte die Stirn.
    „So kann man das sagen, ja.“
    Aus dem Bad kam lautes Würgen.
    „Was ist mit Mami?“ fragte der Junge ängstlich.
    Diego fühlte sich unbehaglich. In so einer Situation hatte er sich noch nie befunden. Wie war er da nur hereingeraten? Sollte er jetzt auch noch das Kindermädchen spielen? Genervt seufzte er. Was blieb ihm auch sonst übrig? Er wollte nicht, dass der Kleine seine Mutter so sah.
    „Ihr ist nur schlecht. Morgen geht es ihr wieder besser. Leg dich wieder ins Bett.“
    „Ich kann nicht schlafen.“
    Es war eine einfache Feststellung, doch Diego wusste nicht, was er jetzt damit anfangen sollte.
    „Und? Was soll ich da jetzt machen?“ fragte er.
    Er kam sich ein bisschen so vor, wie damals, als ihn die Neuen in der Barriere fragten, wie sie es zu etwas bringen konnten. Manchmal hatte er den Eindruck gehabt, sie erwarteten von ihm, dass er ihnen ihren Arsch hinterhertrug. Ein bisschen Eigeninitiative konnte doch nicht schaden.
    „Liest du mir vor?“ fragte der Kleine und riss Diego so aus seinen Gedanken.
    Diego seufzte noch einmal, blickte zum Bad, wo immer noch würgende und spuckende Laute herkamen und ließ sich von dem Jungen zu seinem Zimmer führen. Er hatte gar nicht erwartet, dass es hier so viel Platz gab. Abgesehen von den Räumen, die er schon bemerkt hatte, gab es noch mindestens drei Weitere. Zu einem davon zog ihn der Junge. Ein Nachtlicht in der Form eines Mondes leuchtete und ließ das kleine Zimmer in gemütlichem Licht erstrahlen. An den Wänden befanden sich helle aufgemalte Sterne, überall lagen Spielzeug und Blätter mit gemalten Kritzeleien. Viele zeigten davon einen Mann und ein kleines Tier, ebenjenes mit grüner Latzhose bei verschiedenen Tätigkeiten. Angeln, Klettern, Baden oder einfach im Gras liegen. Es brauchte etwas Fantasie um das zu erkennen. Der kleine Junge kletterte in sein gemütliches Bett.
    „So, da liegst du ja schon drin. Mach doch einfach die Augen zu und schlaf“, sagte Diego, der nicht so richtig wusste, was er da jetzt noch tun sollte.
    „Kann ich nicht. Ich schlafe besser ein, wenn mir jemand vorliest.“
    Diego verdrehte die Augen. Unter solchen Bedingungen wäre er als Kind wohl nie in den Schlaf gekommen.
    „Was soll ich dir denn vorlesen?“ fragte Diego und sah sich im kleinen Zimmer um.
    Der Junge streckte schon die kleine Hand aus und hielt ihm ein dünnes, abgegriffenes Buch hin. Diego griff danach und betrachtete es. Natürlich, auch da war dieses komische Latzhosentier mit dem alten Mann drauf. Der unfreiwillige Märchenonkel Diego seufzte erneut und ließ sich in den Sessel in der Zimmerecke fallen, der wohl allein zu diesem Zweck dort stand. Diego schlug das dünne Buch auf. Das Nachtlicht beleuchtete die Seiten, auf denen große, bunte Bilder zu sehen waren. Diego fing an zu lesen und der Junge kuschelte sich in sein Bett und hörte gespannt zu.* Es sah ganz so aus als, als hätte er überhaupt keine Bedenken, dass da ein Mann, den er eigentlich kaum kannte, vorlas. Seine Mutter hatte ihn immer nett behandelt, also musste es ein guter Mensch sein, so war wohl die Logik. In der Geschichte ging es um das Latzhosentier namens Findus, das eine Katze war und den alten Mann Petersson. Eigentlich ging es um ganz banale Dinge wie Pilze suchen und die Flucht vor Wildtieren und Diego verstand nicht, warum er das überhaupt vorlesen sollte. Vielleicht war es ganz einfach so langweilig, dass jedes Kind freiwillig dabei einschlief. Das musste es sein! Er las und las und spähte immer wieder zu dem Kleinen hin, in der Hoffnung, er wäre endlich eingeschlafen. Doch der hielt sich hartnäckig, gerade so, als wollte er gar nicht einschlafen und viel lieber der Geschichte zuhören. Also las Diego immer weiter vor und die kleinen, unbedeutenden Abenteuer von Petersson und Findus nahmen ihren Lauf. Er blätterte gerade in dem Buch, um herauszufinden, wie viele Seiten es noch waren, da sah er, dass der Junge endlich eingeschlafen war. Diego atmete angestrengt aus, klappte das Buch zu und legte es auf den Sessel. Dann stand er auf und unter Aufbietung all seiner Schleichkünste stahl er sich zur Tür, um bloß kein Geräusch zu verursachen, dass den Jungen aufwecken könnte. Dann hätte er vielleicht wieder lesen müssen. Geschafft, endlich hatte er das Zimmer verlassen. Draußen begegnete er Marietta, die an der Wand lehnte und versonnen lächelte.
    „Das hast du gut gemacht. Als ich mich einigermaßen wieder gefangen habe, musste ich doch sehen wo mein Kleiner abgeblieben ist. Hätte ich nicht gedacht, dass du ihm vorliest.“
    „Tja, …“ war alles was Diego herausbrachte.
    Er hätte das auch nicht geglaubt, wenn ihm das jemand erzählt hätte.
    „Bist ein guter Kerl“, meinte sie. „Du hast mich hergebracht und meinem Sohn vorgelesen…“
    Sie gähnte herzhaft.
    „Ich könnte jetzt auch ins Bett gehen. Willst du mitkommen?“
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 20:52 Uhr)

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    Gorn der illegale Kämpfer

    Gorns erster Kampf fand in den späten Abendstunden in einer leeren Industriehalle statt. Die hohen Fenster waren so voller Staub und Dreck, dass es beinahe unmöglich war von draußen hineinzusehen. An den Decken hingen nur schwache Funzeln, die diffuses Dämmerlicht in den gigantischen Raum warfen. Das Gebäude bestand aus roten Steinen. Innen hatte sich die Farbe zu einem sehr erdigen Ton verändert. Die hohe Decke wurde von großen, eckigen Säulen gestützt, in die metallene Stege und Plattforme verankert waren. Dort hatten sich jetzt allerhand Schaulustige versammelt, um einen guten Blick auf den bevorstehenden Kampf zu haben. Andere Fans des rohen Faustkampfes hatten sich direkt um den Kampfbereich versammelt, um dem Geschehen so nah wie möglich zu sein. Der Kampfplatz war mit einer weißen Linie umzogen, die an jeder Ecke an eine Säule stieß. Gorn war erklärt wurden, dass es Ziel des Kampfes war, den Gegner zu besiegen, oder über die Linie zu treiben. Er war in seiner alten Söldnerrüstung erschienen, mit der großen Doppelaxt auf dem Rücken, da er davon ausging, dass es ein richtiger harter Kampf werden würde, so wie das bei myrtanischen Hinterhofkämpfen so üblich war. Die Umstehenden sahen voller Staunen zu ihm auf. Cem sprach mit Tyson in einer Ecke des Raumes. Der Verwalter der Kämpfer war ein stattlicher Kerl, mit noch dunklerer Hautfarbe als Gorn und einem sehr kantigen Gesicht, das aussah, als wäre sein Kiefer schon mehrmals gebrochen worden. Sie hielten in ihrem Gespräch inne und kamen jetzt eilig zu Gorn.
    „He, was soll das denn?“ fragte Cem.
    „Was?“ wollte Gorn wissen.
    „Na, deine Aufmachung.“
    Überflüssigerweise sah Gorn an sich herunter und fragte sich, was damit nicht stimmen sollte.
    „Ich soll doch kämpfen, oder nicht?“ knurrte Gorn.
    „Was glaubst du, was das hier ist, ein Gladiatorenkampf?“ fragte Cem verwundert, aber auch mit Schärfe in der Stimme.
    „He, lass mal!“ hielt Tyson ihn zurück, denn ihm kam eine Idee. „Das ist gut, das ist sehr gut. So was kommt super beim Publikum an.“
    Er breitete die Arme aus, um seine nachfolgenden Sätze zu unterstreichen.
    „Gorn, der Gladiator, ja das ist gut. Wäre toll, wenn du vor dem Kampf noch mal richtig auf den Putz haust. Warte mal…“
    Er sah sich schnell um.
    „Ah, genau.“
    Er lief kurz weg und kam mit einem alten massiven Metallarbeitstisch zurück. Er sah schwer aus, doch Tyson war kräftig und stellte den Tisch in Gorns Kampfecke.
    „Wenn der Gegner in den Ring tritt, gibt es immer erst eine Vorstellung der Kontrahenten. Das ist alles Show fürs Publikum, damit ihnen auch was geboten wird und da kommst du ins Spiel. Du nimmst deine Axt und haust auf den Tisch ein. Wenn da eine tüchtige Kerbe entsteht, dann macht das ordentlich Eindruck.“
    „Eine Kerbe?“ fragte Gorn verwundert.
    Was glaubte dieser Mann, was er hier dabei hatte?
    „So kannst du nicht kämpfen“, sagte Tyson und zeigte auf seine Rüstung. „Bei diesen Kämpfen wird nur mit natürlichen Waffen gerangelt. Die Rüstung muss weg, sonst wird keiner gegen dich kämpfen wollen, weil es nach Bevorteilung aussieht.“
    „Die anderen haben wohl auch keine Rüstung?“ fragte Gorn skeptisch.
    „Nein, natürlich nicht.“
    Tyson sah nachdenklich aus. Er hatte schon wieder die nächste Idee wie er den Kampf zur Show machen könnte, noch bevor er überhaupt angefangen hatte. Abermals verschwand er in der Menge.
    „Lass dich nicht unterkriegen. Ich hab viel Geld auf dich gesetzt“, sagte Cem.
    „Na hier, dann setzt auch noch ein bisschen was mehr“, sagte Gorn und zog ein fettes Bündel Geldscheine hervor.
    „Gib das Tyson, wenn … ah, da ist er schon.“
    Der Kampfausrichter kam in der Begleitung von zwei hübschen, gewagt gekleideten jungen Frauen zurück. Er grinste breit und sagte laut: „Die beiden Schnecken werden dir aus deiner Rüstung helfen.“
    An die Frauen gewandt, sagte er: „Wartet dort in der Ecke. Ich sage jetzt Gorn an, dann schwingt er seine Axt und anschließend geht er in die Ecke zurück, wo ihr ihm dann aus seinen Klamotten helft.“
    Er steckte ihnen etwas Geld zu. Die Frauen nickten und sahen neugierig zu Gorn, der verwundert zurück blickte. So ganz verstand er noch nicht, was das hier alles sollte, aber er vertraute darauf, dass Tyson ein erfahrener Kampfausrichter war und wusste wie die Dinge hier liefen.
    „Ich will auf mich wetten“, erklärte Gorn.
    „Auf dich selbst? Na gut, her damit“, forderte Tyson, blickte in die Runde und fragte laut. „Noch andere letzte Wetteinsätze?“
    Vereinzelt drängelten sich noch ein paar Spätzünder durch und gaben ihre Einsätze ab. Dann trat Tyson zu eine der Säulen an den Rand, außerhalb des Ringes, wo ein stabiler Tisch stand. Dort kletterte Tyson hinauf und brüllte in die Runde: „Gleich geht’s hier rund. In der linken Ecke darf ich einen Neuzugang vorstellen: Gorn, den Gladiatoren.“
    Der Krieger trat vor, schwang seine riesige Axt und ließ sie auf den Metalltisch krachen. Der brach mittendurch. Das Publikum hielt die Luft an. Selbst Tyson war sprachlos. Diejenigen, die mit ihrem Smartphone gefilmt hatten, freuten sich diebisch und sagten ihren Nachbarn wo sie es demnächst im Internet hochladen würden. Weitere Smartphones wurden gezückt. Gorn schulterte seine Axt wieder und ging in seine Ecke zurück, wo die beiden Frauen sich jetzt näherten. Gorn musste ihnen sagen wie sie die Riemen und Verschlüsse lösen sollten. Die Frauen sahen etwas verunsichert aus. Anfangs zitterten ihre Finger und es wollte ihnen nicht so ganz gelingen. Sie warfen Gorn ängstliche, aber auch bewundernde Blicke zu und umso mehr sie von seiner Rüstung entfernten, umso mehr bewunderten sie ihn. Auch das Publikum war beeindruckt von Gorns Muskelbergen und einige Frauen johlten anerkennend. Zwei dicke Typen hievten die Tischreste angestrengt weg. Währenddessen fuhr Tyson mit dem Programm fort.
    „Und in der rechten Ecke der beliebte wilde Willi.“
    Der wilde Willi wirkte gar nicht so wild. Im Gegenteil, der durchtrainierte, aber eher sehnige Mann sah gar nicht so aus, als wäre er scharf auf einen Kampf. Ganz vorsichtig stieg er in den Ring und wollte sich Gorn partout nicht nähern. Tyson warf ihm einen strengen Blick zu und Willi fügte sich in sein Schicksal. Willi trug ein dünnes gelbes Hemdchen und eine kurze rote Hose. Nicht gerade die richtige Ausrüstung für einen Kampf, fand Gorn, aber er war ja hier in einem fremden Land, da gab es wohl einfach andere Gebräuche. Sie standen sich jetzt gegenüber und warteten auf Tysons Signal.
    „Der Kampf möge beginnen“ rief der Kampfausrichter laut.
    Gorn wollte erst mal warten wie das hier so lief, hob die Hände zur Abwehr und wartete darauf, dass Willi angriff, doch dazu kam es nicht. Willi tänzelte um ihn herum und traute sich gar nicht ihm eine zu langen.
    „Willi, Willi, Willi“ drang es von seinen Fans aus der Menge, die versuchten ihn zum Angriff zu bewegen.
    Vielleicht wollten sie auch einfach nur sehen, wie er ein paar Ohrfeigen kassierte. Gorn dauerte das zu lange. War das jetzt ein Kampf oder was? Er langte zu. Willi versuchte seinen Angriff abzublocken, doch seine Blockade wurde einfach durchbrochen. Links und rechts bekam der kleinere Mann ein paar Klatscher gegen den Kopf. Willi brach taumelnd zusammen. Gorn schaute verdutzt. Sollte es das schon gewesen sein?
    „Steh auf, du fauler Sack!“ brüllte Tyson, der wohl ähnlich dachte.
    Das Publikum zählte runter: „10, 9, 8, 7, 6…“
    Da war Willi wieder auf den Beinen. Seinerseits griff er jetzt an. Er war flink, dass musste Gorn ihm lassen. Der Krieger schaffte es nicht immer ihn mit seinen Armen abzublocken, doch musste er zugeben, dass das auch nicht unbedingt nötig war. Willis Schläge trafen nur auf harte, angespannte Muskelstränge. Wer gewohnt war Orkangriffe auszuhalten konnte über solche Treffer nur lachen. Für Gorn war das kein richtiger Kampf. Wo blieb die Herausforderung? Besser er beendete dieses Trauerspiel. Als Gorn einen gut gesetzten Schlag in Willis rechte Seite ausführte, merkte er wie etwas unter seinem Angriff riss. Oh, das war wohl die Leber gewesen. Willi erblasste und fiel um wie ein nasser Sack. Wieder zählte das Publikum runter.
    „10, 9, 8, 7 , 6, 5, 4, 3, 2, 1, aus!“
    Der Kampf war vorbei, aber Willi blieb immer noch liegen. Tyson pfiff laut und die zwei dicken Kerle kamen angewatschelt.
    „Kratzt den vom Boden ab und legt ihn da hinten irgendwo in eine Ecke. Wenn der Kampf heute vorbei ist, kümmern wir uns um seine Versorgung.“
    Er drehte sich wieder zur Menge und sagte: „Gladiator Gorn ist klarer Sieger.“
    Das Publikum jubelte laut. Willis ehemalige Siege schienen längst vergessen.
    „Der nächste Kampf…“
    Gorn war überrascht, aber ihm konnte es nur recht sein. Hoffentlich würde sein nächster Gegner fordernder sein.
    „… findet zwischen dem siegreichen Gorn und Ivan dem Zerstörer statt.“
    Das Publikum das bereits tobte, geriet jetzt völlig aus dem Häuschen. In die rechte Ecke trat nun ein Hühne von Mann mit kräftigen Armen und kantigem Kiefer.
    „Und los!“ sagte Tyson nur und die beiden Männer starteten beide einen Rammangriff.
    Sie hatten Ähnlichkeit mit zwei Dickhornschafen, die sich gegenseitig aus dem Weg rammen wollten. Dumpf prallten sie aufeinander und Ivan griff sich Gorns rechte Hand und wollte sie nach hinten drücken. Gorn konnte sich befreien, indem er seinen Arm gewaltsam herumdrehte und den großen Ivan über seinen Rücken rollen ließ. Damit hatte sein Kontrahent wohl nicht gerechnet. Er gab Gorn was aufs Dach, doch der fiel nicht um, was Ivan sichtlich verblüffte. Gorn nutzte den Moment aus und verpasste ihm einen Satz warmer Ohren. Ivan wollte sich revangieren, doch Gorn fing seinen Angriff mit den Armen ab und stieß ihn zurück. Ivan taumelte, fing sich aber noch ab. Er wartete auf Gorns nächsten Angriff. Der Krieger wollte ihm mit seiner rechten Faust mitten ins Gesicht schlagen, doch Ivan fing seinen Arm mit dem linken Unterarm ab, schlug ihn hoch, legte dann seinerseits seinen linken Arm in Gorns Nacken und hielt ihn fest, wehrte Gorns linke Hand mit rechts ab und führte dann einen Dampfhammerangriff auf. Drei Mal schlug Ivan mit der Handkannte seiner geballten Faust mit voller Wucht auf Gorns Schädel, dann schlug er ihm zwei Mal mit dem Ellenbogen ins Gesicht, nahm den nun benommenen Gorn an den Schultern und rammte ihm mehrmals das Knie in den Bauch, dann schubste er ihn auf den Boden.
    „10, 9, 8, 7 …“
    Gorn wäre nicht Gorn, wenn er einfach liegen bleiben würde. Er schüttelte seinen benommenen Kopf und richtete sich mühsam wieder auf. Sein Schädel dröhnte, als hätte ihm ein Troll einen Schwinger verpasst. Noch im Aufstehen lief er los, rannte den verdutzten Ivan um, warf ihn zu Boden, setzte sich auf ihn und hieb mit seinen Fäusten auf sein Gesicht ein. Ivan versuchte ihn abzuwehren, gab ihm einen Hieb auf die Nase und sofort schoss Blut daraus hervor. Längst hatte der Kampf Kneipenschlägereicharakter, aber Gorn sah da keinen Unterschied. Der Menge war es wohl auch egal, angestachelt grölten und brüllten sie, feuerten mal den einen, dann wieder den anderen an, vollkommen egal, Hauptsache es gab so richtig was aufs Dach. Gorn und Ivan standen sich jetzt wieder gegenüber und funkelten sich aus halb zugeschwollenen Augen an. Wie auf ein unausgesprochenes Stichwort gingen sie wieder aufeinander los und Gorn versetzte Ivan einen kampfentscheidenden Schwinger gegen die linke Schläfe. Ivan klappte zusammen und blieb am Boden liegen. Das Publikum zählte wieder runter und Tyson erklärte Gorn zum Sieger. Lauter Jubel brandete auf. Die Zuschauer hüpften und sprangen aufgeregt herum, bejubelten Gorn und aus unerklärlichen Gründen sich gegenseitig. So einen Kampf hatte es lange nicht mehr gegeben und das Publikum war schier begeistert. Tyson kam von seinem Tisch herunter und klopfte Gorn auf die schweißnasse Schulter und reichte ihm ein dickes Bündel Geldscheine.
    „Gut gemacht, du wirst es weit bringen. Du wirst noch eine richtige Berühmtheit.“
    Ivan richtete sich mühsam auf und überrascht sah Gorn wie er auf ihn zu kam und ihm die Hand reichte. Verwunderte schüttelte er sie und Ivan sagte mit tiefer Stimme und breitem Akzent: „Komm, lass einen trinken gehen.“


    Wenig später saßen die beiden in einer Kneipe und kippten sich Bier hinter die Binde. Das war in diesem Fall tatsächlich wörtlich zu verstehen, denn sie hatten sich behelfsmäßig verbunden, damit ihre Wunden nicht so stark nässten. Gorn hatte die erste Runde ausgegeben. Er wischte sich Schaum vom Mund und sagte: „War ein guter Kampf, muss schon sagen, du hast einen ordentlichen Schlag drauf Ivan.“
    Ivan sah ihn kurz an, senkte dann den Blick zu seinem leeren Bierglas und sagte: „Eigentlich heiße ich gar nicht Ivan. Das hat sich Tyson einfallen lassen. Ist gut für die Show, sagte er. Richtig heiße ich Stanislaus.“
    Er wischte sich über den Mund und fuhr dann fort: „Bei Tyson musst du aufpassen. Ihm ist egal was mit dir ist, der denkt nur an Kohle.“
    Gorn wiegte nachdenklich seinen Kopf. Das würde er sich merken. Er ging fest davon aus, dass Tyson sie im Kampf gegen Miftah unterstützte. Wenn nicht … Tatsächlich wusste Gorn nicht, was er tun würde, wenn Tyson sein Versprechen brach, aber er rechnete damit, dass es der Held wusste und das genügte ihm. Stanislaus erzählte ihm, dass er als junger Mann aus seiner Heimat weggezogen war, weil er hoffte hier gutes Geld zu verdienen. Er hatte aber nicht einmal einen richtigen Schulabschluss. Für Menschen wie ihn, war die Zukunft nicht so rosig.
    „Eigentlich kann ich froh sein, dass ich für Tyson kämpfen darf. Ich verdiene mehr Geld, als ich als Feldarbeiter oder Fabrikarbeiter bekommen würde, aber so hatte ich mir mein Leben auch nicht vorgestellt.“
    Stanislaus ließ den Kopf hängen. Gorn verstand nicht ganz worüber er sich beschwerte. Für ihn gehörte Kämpfen einfach zum Leben dazu und so schlecht war das Leben hier doch nun wirklich nicht.
    „Lass den Kopf nicht hängen, sieh es doch mal positiv. Es könnte schlimmer sein. Du könntest in einem Land leben, wo eine Hungersnot ausgebrochen ist, wilde Tiere und feindliche Armeen dein Leben bedrohen.“
    Stanislaus sah ihn überrascht an, dann dachte er darüber nach und sagte: „Ja, da hast du wohl Recht. Ich sollte nicht so negativ sein. Weißt du was? Ich geb auch einen aus, aber diesmal Wodka.“
    Stanislaus knallte einen Schein auf die Theke. Der drahtige Wirt kam herbei, holte eine Flasche und griff nach kleinen Gläsern, die er auf die Theke stellte.
    „Nein, vergiss das kleine Zeug, schütt es hier rein“, verlangte der Kämpfer und zeigte auf die großen Biergläser.
    Der Wirt bekam große Augen.
    „Aber das geht doch nicht“, protestierte er.
    „Was geht nicht?“ fragte Stanislaus und blickte finster.
    Der Wirt sah von ihm zu Gorn und entschied wohl, dass er keine Hilfe von ihm bekommen würde.
    „Na schön, kostet aber mehr.“
    „Kannst den Schein behalten“, knurrte Stanislaus.
    „Aber …“ protestierte der Wirt, da das nicht ansatzweise ausreichte um die Kosten zu decken.
    Ein weitere Blick und es kamen keine weiteren Widerworte. Er kippte den Wodka einfach in die Biergläser und verschwand dann eilig.
    „Na dann, zum Wohl“, sagte Gorn und hob seine Portion hoch.
    Stanislaus prostete ihm zu und hob das Glas dann an die Lippen. Mit einem Zug hatte er es zur Hälfte geleert. Gorn wollte es ihm gleichtun, doch ein überraschend beißendes Brennen ließ ihn innehalten. Überrascht setzte er das Glas ab und sah hinein. Er hatte kaum drei Schlucke getan.
    „Was ist das denn für ein Zeug? Da stellen sich mir ja die Nackenhaare auf.“
    „Stark, was? Ist gutes Zeug, nicht so ein billiger Fusel.“
    Stanislaus grinste dümmlich, woran vielleicht der Alkohol Schuld war und setzte das Glas erneut an die Lippen. Gorn hob eine Augenbraue und folgte seinem Beispiel. Jetzt wo er schon auf das Brennen gefasst war, kam er besser damit klar und zeitgleich mit seinem ehemaligen Gegner stellte er sein nun leeres Glas auf der Theke ab.
    „Hu, das haut echt rein“, sagte Gorn, denn schon bemerkte er die ersten Auswirkungen des Trunks.
    „Ja, was? Haut voll rein“, wiederholte Stanislaus und sein Grinsen offenbarte einige Zahnlücken. „Ich weiß was wo wir noch hingehen könnten, komm mal mit.“
    Sie verließen die Kneipe und Stanislaus führte Gorn zu einem Bordell. Grüner Rauch wallte in der Luft. Einige Prostituierten rauchten dort und bei ihnen war: „Lester.“
    Gorn tapste zu ihm. Er schrieb es dem Alkohol zu, dass er ihn erst jetzt erkannt hatte.
    „Was machst du denn hier?“
    Lester sah ihn überrascht an.
    „Sumpfkraut verkaufen, was sonst?“
    Er sah besorgt aus.
    „Naja und eigentlich wollte ich auch Informationen einholen, aber Gino hat seinen Mädels verboten mit mir zu sprechen.“
    „Tut uns Leid Lester“, sagte Olga, die Prostituierte, die neben ihm stand, betroffen. „Wir würden ja gerne, aber Gino hat gesagt, dass er zu drastischen Maßnahmen greift, wenn wir dir was über Miftahs Schweine vorsingen.“
    „Schweine? Singen?“
    Gorn hatte Probleme die Zusammenhänge zu verstehen. Sein Kopf fühlte sich benommen an und es war schwer einen klaren Gedanken zu fassen.
    „Miftahs Leute“, erklärte Lester. „Eigentlich muss ich jetzt was machen… irgendein Zauber oder so, aber mit einer einfachen Windfaust wird es wohl nicht getan sein und Pyrokinese will ich nicht einsetzen wenn es nicht unbedingt sein muss.“
    „Behandelt er euch immer noch so schlecht?“ wollte auf einmal Stanislaus wissen.
    „Nichts hat sich geändert, Stani“ sagte jetzt Natascha und stemmte die Hände in die Hüften.
    Die Nutte kannte den Kämpfer wohl etwas besser.
    „Komm Gorn, wir gehen jetzt da rein und hauen alles kurz und klein und dann werden wir ja sehen, ob Gino seine Meinung ändert“, sagte der enthemmte Stanislaus und ging schnellen Schrittes in den Puff.
    Gorn kratzte sich am Bart, versuchte vergeblich einen klaren Gedanken zu fassen und folgte seinem neuen Kumpanen dann einfach. Lester stand immer noch unschlüssig bei seinen beiden Kundinnen. Er überlegte, ob er seinem Freund folgen sollte, als er aber dann von drinnen lautes Krachen, Schreie, Brüllen und Schläge hörte, entschied er sich doch dagegen. Stattdessen zog er eine weitere Schachtel Sumpfkraut hervor.
    „Auch noch eine, Mädels?“
    Natascha und Olga, die besorgt zum Bordell schauten, wandten sich jetzt wieder zu ihm um und griffen zu.
    „Danke Lester, du bist der Beste.“
    Natascha lächelte ihn an. Ganz so, als wäre alles wie immer, standen sie da und pafften vergnügt, während drinnen scheinbar die gesamte Einrichtung zerlegt wurde. Es dauerte einige Zeit, aber schließlich wurde es doch ruhiger und Lester warf seinen Sumpfkrautstummel auf den Boden.
    „Ich seh mal nach wies Gino geht.“
    Er ging durch die Tür. Innen schlug ihm Chaos entgegen. Einige Männer, vermutlich Gäste oder vielleicht auch Angestellte, lagen bewusstlos zwischen Glassplittern von zertrümmerten Lampen und kaputten Stühlen oder Hockern, auf dem Boden. Jeder hatte Kampfspuren vorzuweisen, sei es ein zugeschwollenes Auge, eine blutige Lippe oder auch nur einige Flecken, wobei die Farbpalette von Gelb, über Grün, bis hin zu dunkelviolett reichte. Von den hier arbeitenden Frauen war keine zu sehen, vielleicht waren sie die Treppe hinauf in die anderen Räumlichkeiten geflohen. Lester fand Gorn und seinen neuen Freund bei der Bar, wo Gino in einem Scherbenhaufen aus zerstörten Flaschen mit vormals alkoholischem Inhalt lag. Er hatte einige üble Schnittwunden an den Armen und eine gebrochene blutige Nase. Krampfhaft hielt er sich einige Rippen. Vermutlich waren sie gebrochen. Mehr als Drohung kramte Lester seine Windfaust Rune hervor und ließ sie in seiner Hand schweben.
    „Reicht es dir jetzt, oder willst du noch einen Nachschlag?“ fragte Lester.
    Gino sah mit geweiteten Augen erst zu Lester, dann auf die Rune und gleich darauf zu Gorn und Stanislaus.
    „Ich pack ja aus, ich pack ja aus.“
    „Und behandel die Mädels besser“, röhrte Stanislaus, griff nach einer Flasche, die noch nicht kaputt war, öffnete sie grob und kippte den Alkohol seine Speiseröhre hinunter.
    Gino nickte eifrig und begann eilig zu erzählen.
    „Miftahs Männer waren hier und haben Stunk gemacht. Sie haben mir gedroht, sollte ich euch etwas erzählen, würde er mich verschwinden lassen, aber so wie es im Moment aussieht, ist das bei euch auch nicht anders zu erwarten. Miftahs Männer kommen oft hierher und hin und wieder rutscht ihnen auch das eine oder andere heraus.“
    „Aha, und was zum Beispiel?“ fragte Lester neugierig.
    „Wo sie ihre Drogen verkaufen, dass sie drei Köche haben, die bestens bewacht sind, verschiedene Kontakte in die unterschiedlichen Szenen, sowas eben.“
    „Ich hab da eine ganz tolle Idee“, grinste Lester. „Mach doch mal eine Liste. Schreib alles auf, was du weißt!“
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 20:53 Uhr)

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    Flexible Moral

    Der nächste Morgen war mit einem hellen Schimmer am Horizont zu erahnen. Im Versteckt herrschte rege Betriebsamkeit. Von Cem hatten sie zwei Plastikfässer bekommen und Annette hatte die Plastikanzüge und die Flusssäure organisiert. Sie wollte nicht über die Herkunft der kleinen milchigen Kanister sprechen. Nachdem sie die Säure abgeliefert hatte, verschwand sie auch eiligst wieder nach oben. Der Held konnte sich denken, dass sie beim zerhacken der Leichen nicht unbedingt dabei sein wollte. Es war nötig, denn die Behälter waren nicht groß genug, um die Leichen anders hineinzubekommen.
    „Sie ist eben eine Frau“, sagte Diego weise. „Die meisten wollen mit sowas nichts am Hut haben.“
    „Wollen? Also wenn ich ehrlich bin, will ich mit sowas auch nichts am Hut haben. Ich könnte mir besseres als das hier vorstellen“, sagte Lester, der gerade die Plastikbehälter neben die Leichen hievte.
    "Und was ist, wenn es nicht funktioniert?"
    Der Held trat zu ihm, klopfte ihm kumpelhaft auf die Schulter und sagte: "Mach dir keine Sorgen, alles wird gut."
    Das beruhigte Lester anscheinend. Elyas hatte den Morgen damit verbracht den Keller mit Zeitungen auszulegen. Die sollten Körperflüssigkeiten auffangen. Der Held wunderte sich darüber. Klar, wenn er Leute aufgeschlitzt hatte, dann war da hinterher auch Blut, aber bisher war es ihm egal gewesen, da er sowieso nicht lange an Ort und Stelle blieb. Die Leichen sahen jetzt irgendwie auch anders aus und Elyas erklärte das mit dem Einsetzen der Fäulnis. Es sei höchste Zeit die beiden verschwinden zu lassen. Lester und Elyas zogen sich umständlich die Plastikklamotten an.
    „In der Serie sah das nicht so kompliziert aus“, konstatierte Elyas.
    „Kann es losgehen?“ wollte Gorn wissen, der mit seiner riesigen Axt bereit stand, um die Leichen zu zerteilen.
    Er hatte mächtig Kopfschmerzen und wollte die Arbeit am liebsten so schnell wie möglich erledigt haben.
    „Ja, kann losgehen“, kam es gedämpft von Lester und Elyas.
    Gorn schwang seine Axt und mit einem Krachen und Spritzen wurde die erste Leiche ohne Probleme in zwei Hälften geteilt. Ein weiterer Schwinger und Nummer zwei ereilte das gleiche Schicksal. Gorn und der Held wuchteten daraufhin die vier Stücke in die Plastikbehälter und entfernten sich dann. Jetzt nahmen Lester und Elyas die Kanister mit der Säure zur Hand, schraubten sie auf und gossen die Säure in die Behälter, wobei sie darauf achtgaben nichts zu verschütten. Es gluckerte und blubberte und verströmte einen unangenehmen Geruch. Vielleicht war es das Fleisch, das sich langsam aufzulösen begann.
    „Deckel zu“, sagte Elyas und Lester tat es ihm nach.
    Es klappte laut und die Behälter waren verschlossen.
    „Was macht ihr denn hier?“ kam eine Stimme von der Tür her.
    Es war Milten, der gerade eingetreten war, aber nicht, ohne den Skeletten an der Tür einen argwöhnischen Blick zuzuwerfen. Dann sah er verwundert auf den merkwürdigen Anblick, der sich ihm bot.
    „Ach, wir lassen nur ein paar Leute verschwinden“, sagte der Held, so als wäre es das normalste der Welt.
    Milten blieb abrupt stehen, sah ihn erschrocken an und fragte noch einmal fassungslos mit unnormal hoher Stimme: „Was macht ihr?“
    Dem Helden dämmerte, dass ihre Arbeit wohl nicht mit seinen moralischen Vorstellungen übereinstimmte. Doch schnell ließ er sich etwas einfallen.
    „Das waren Banditen. Ganz miese Schweine. Sie sind hier eingedrungen und wollten Lester abmurksen.“
    Argumente wie diese hatten bisher immer gezogen. Milten sah trotzdem noch blass und beunruhigt aus. Er warf wieder einen weiteren skeptischen Blick zu den Skeletten.
    „Und die haben sie getötet, oder?“
    „Genau, wenn sie nicht da gewacht hätten, wäre Lester vielleicht verletzt wurden.“
    Lester verzichtete gekonnt darauf hinzuweisen, dass er zu dem fraglichen Zeitpunkt gar nicht anwesend war, denn das hätte ja die Argumentation des Helden entkräftet und er wollte ihm nicht in den Rücken fallen. Trotzdem war Milten anscheinend immer noch nicht überzeugt davon, dass den Skeletten zu trauen war. Er wandte sich jetzt von ihnen ab und trat zu den Behältern.
    „Und …“
    Milten schluckte mühsam.
    „Die sind jetzt da drin?“
    Seine Stimme ließ ganz deutlich werden, dass er so gar nicht mit der weiteren Aufbewahrung der toten Körper einverstanden war, auch wenn es sich um Banditen handelte.
    „Die müssen verschwinden Milten, sonst sitzt uns die Miliz irgendwann im Nacken“, erklärte Diego, der die Arme verschränkt, wie ein Fels in der Brandung da stand.
    Er strömte unnachgiebige Entschlossenheit aus. Milten erkannte schnell, dass an dieser Lösung des Problems nicht mehr zu rütteln war. Er wusste, er hatte einige Tage keine Zeit gehabt, um hier nach dem Rechten zu sehen, aber diese Entwicklung hatte er nun wirklich nicht erwartet. Er umrundete die Fässer und versuchte mit dem Gedanken klar zu kommen, dass sich darin tote Körper befanden.
    „Wie habt ihr die überhaupt da reinbekommen?“
    „Zerhackt“, sagte Gorn vorschnell, obwohl Diego ihm einen warnenden Blick zuwarf.
    Milten verzog angewidert das Gesicht. Handlungen wie diese machten es ihm sehr schwer weiterhin zu seinen Freunden zu stehen. Lester merkte wohl was in ihm vorging, denn er versuchte seinen Freund zu beruhigen.
    „Sieh mal, es musste sein. Irgendwo müssen die ja hin und auf einem Friedhof hätte jemand gemerkt, wenn da auf einmal zwei neue Leichen verscharrt wären. Ich hab das auch nicht gern gemacht.“
    „Jemand könnte sie immer noch finden“, gab Milten zu bedenken.
    „Nein, könnten sie nicht“, entgegnete Elyas gedämpft. „Wir haben die Tonnen mit Flusssäure gefüllt. Die löst die Leichen auf und später ist nichts mehr übrig.“
    Milten wandte erschüttert das Gesicht ab und schloss die Augen. Einen Moment stand er einfach nur da und seine Freunde fragten sich besorgt, ob sie jetzt vielleicht doch den moralischen Bogen überspannt hatten. Dann öffnete Milten wieder die Augen und fragte unvermittelt: „Was zersetzt diese Säure denn noch?“
    Elyas antwortete überrascht: „Sehr viel: Keramik, Holz, sogar Metall.“
    Beim letzten Wort leuchteten Miltens Augen auf. Darauf hatte er wohl gehofft. Der Held schaltete blitzschnell, denn er konnte sich denken was dem Feuermagier jetzt durch den Kopf ging.
    „Kommt nicht in Frage.“
    Milten sah ihn an, sowohl bittend, als auch entschuldigend.
    „Du weißt doch was das heißt, oder? Wir könnten die Klaue Beliars zerstören. Sieh mal, sie bringt doch nur Unglück über die Welt. Ich weiß, du hast viele Gegner nur mit ihrer Hilfe bezwingen können, doch du kannst nicht leugnen, dass sie einen schlechten Einfluss auf dich hat.“
    „Ist mir egal, ich geb‘ sie nicht her“, wehrte der Held jegliche Diskussion darüber von vornherein ab, verschränkte die Arme und sah Milten nicht mehr an.
    Diego und Gorn warfen sich einen Blick zu. An die Klaue Beliars hatten sie in letzter Zeit gar nicht mehr gedacht, vielleicht weil der Held sie derzeit nicht trug. Doch Lester war es wohl nicht entfallen, denn er sagte: „Ach komm, du könntest wenigstens darüber nachdenken. In Myrtana fällt mir kein Ort ein, an dem das Schwert wirklich sicher wäre, oder wie man es sonst vernichten könnte. Immerhin ist es ein göttliches Artefakt.“
    Elyas sah von einem zum anderen und fragte sich, worum es eigentlich ging.
    „Was für eine Klaue?“
    Doch die anderen beachteten ihn gar nicht weiter.
    „Man könnte das Schwert auch einfach im Meer versenken, wenn es doch zu gefährlich würde“, argumentierte der Held, ohne es wirklich in betracht zu ziehen.
    „Als ob du das zulassen würdest“, entgegnete Lester.
    Es war nicht leicht für ihn seinen Freund zu etwas zu überreden, was er nicht wollte, aber auch er war davon überzeugt, dass das Schwert eine Gefahr war und seinen Freund negativ beeinflusste. Er glaubte, dass es schon allein einen positiven Effekt hatte, dass er das Schwert jetzt nicht trug. Ihm kam er jetzt viel fröhlicher und weniger aggressiv vor, als zuletzt in Myrtana. Doch der Held ließ nicht mit sich reden. Er würde das Schwert niemals freiwillig hergeben und es kam ihm ein schrecklicher Verdacht.
    „Und wenn ihr daran denkt es mir zu klauen, dann blüht euch nicht nur ein Satz warmer Ohren.“
    Drohend funkelte er die anderen an und zum ersten Mal waren sie wirklich beunruhigt. Selbst während des Theaterstücks hatten sie sich nicht so gefühlt. Sicher, er hatte die Skelette, den Dämon … und den Golem auf sie gehetzt, aber nicht mit der wirklichen Absicht sie zu verletzten. Jetzt sah es dagegen anders aus. Er hatte eine klare Linie gezogen und wenn sie diese überschreiten würden, dann würde ihre Freundschaft unbarmherzig untergehen. Beklommen sahen sie sich an. Milten und Lester war jetzt klar, dass sie mit ihren Befürchtungen Recht hatten und sie das Schwert wirklich schnellstmöglich loswerden mussten, bevor es noch schlimmer werden würde. Gorn und Diego wollten dagegen einfach nur, dass ihre Gemeinschaft zusammenhielt.
    „Keiner nimmt dir das Schwert weg, ok?“ versuchte Gorn die Wogen zu glätten, denn die Streiterei verschlimmerte seinen Kopfschmerz noch mehr.
    Seine tiefe Stimme wehte durch den Keller und schien nachzuhallen.
    „Ja, mir egal, ob du es hast, oder nicht“, stimmte Diego zu, auch wenn es nicht gänzlich überzeugend klang.
    Prüfend warf der Held Lester und vor allem Milten einen scharfen Blick zu.
    „Ja, ist gut, wenn es dich glücklich macht“, sagte Lester, doch der Held konnte nicht sagen, ob er ihm glauben sollte.
    Bei Milten war er besonders unsicher. Der Magier sah ihn zutiefst beunruhigt an und brachte zuerst überhaupt kein Wort heraus. Hörbar stieß er die Luft aus und sagte: „Du … ähm…“
    Er verstummte wieder, versuchte Worte zu finden und setzte dann erneut an: „Ich hätte nie gedacht, dass du so etwas sagen würdest. Sind wir dir etwa wirklich nicht wichtiger als das Schwert?“
    Der Blick des Helden büßte seine Härte ein. Er gab seine ablehnende Haltung auf und fuhr sich mit der linken Hand in den Nacken.
    „Doch, natürlich seid ihr mir wichtiger, aber ich möchte auch nicht, dass ihr es mir stehlt. Ich habe hart dafür gekämpft und genug geblutet. Ich lass es mir nicht mehr wegnehmen.“
    „Das hat auch keiner vor“, bekräftigte Gorn noch einmal und warf jetzt seinerseits warnende Blicke zu seinen Freunden, damit das Thema endlich durch war.
    Als keiner mehr etwas sagte, nickte er zufrieden und erhob erneut die Stimme: „So, werden wir jetzt die Fässer los, oder was?“
    „Klar“, sagte Elyas, der zwar nicht den Inhalt, aber die aufkochenden Gefühle des Streits mitbekommen hatte und froh war, dass sich seine Geschäftsbeziehungen nicht aufzulösen begannen.
    Er zog sich den unangenehmen Anzug aus und bedeutete Lester es ihm gleich zu tun. Jetzt mussten sie die Fässer die Treppe hinauf ins Erdgeschoss hochhieven. Für Gorn und den Helden war das aber kein Problem.
    „Ich fahr das Zeug zu Cem. Der hat hin und wieder jemanden da, der besonderen Müll abholt. Wäre gut, wenn du mir helfen könntest.“
    Er sah zu Gorn, der nickte. Miltens Blick hatte sich hingegen beim Wort „Müll“ erneut verdüstert. Elyas fuhr sein Auto bis an die Tür heran, legte die Rückbank um und sie hoben das Gefahrgut in den Wagen. Dann fuhren Gorn und Elyas los. Einen Moment standen die anderen einfach nur in der Tür und sahen ihnen nach, dann klatschte der Held in die Hände und fragte: „So, was liegt sonst noch an?“
    „Mir hat’s für heute gereicht“, kam es von Lester, der sich ins nächste Zimmer schleppte und dort mit einem „Uff“ auf einen Stuhl fallen ließ.
    Routiniert griff er in seine Tasche, um ein neues Päckchen Sumpfkrautstengel zu öffnen und sich einen davon anzuzünden. Der Held wollte sich gerade umdrehen und woanders hingehen, als er Annettes Stimme hörte: „Es ist fertig.“
    Die anderen sahen zu ihr hin, um zu sehen was denn fertig war. Die junge Frau kam mit einem Blech in den behandschuhten Händen aus der Küchenzeile.
    „Was ist das?“ fragte Lester erstaunt.
    „Was das ist? Na Kekse“, sagte Annette, doch nicht ganz so selbstsicher wie sonst.
    Es sah ganz so aus, als würde sie ihre Arbeitgeber auf einem möglichst hohen Zufriedenheitslevel halten wollen, nachdem was sie heute mit angesehen hatte.
    „Langt kräftig zu, es ist genug da“, sagte sie und hielt ihnen das Tablet hin.
    Die Männer nahmen vorsichtig je einen Keks herunter, um sich nicht am heißen Blech zu verbrennen. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Diego und der Held fanden den Geschmack wohl ganz in Ordnung, Milten sah nach dem ersten Bissen jedoch skeptisch auf seinen Keks und Lester wirkte ganz angetan.
    „Das schmeckt ausgezeichnet“, sagte er fröhlich.
    Annette freute sich sichtlich über dieses Lob.
    „Mir kommt irgendwas im Geschmack bekannt vor“, sagte der Held und dachte angestrengt nach.
    „Ich hab Sumpfkraut hineingemischt“, sagte die Frau unumwunden.
    Lester strahlte.
    „Was für eine tolle Idee.“
    Milten sah aber gar nicht so aus, als würde er das für eine „tolle Idee“ halten. Er verzog den Mund und legte den angebissenen Keks auf ein altersschwaches Regal neben sich.
    Diego sah aber auch angetan aus.
    „Die lassen sich bestimmt gut verkaufen. Guter Geschmack und da es keine gewöhnlichen Kekse sind, haben sie immer noch einen gewissen Effekt. Die Kunden werden sie lieben und das Beste: Von außen ist überhaupt nicht erkennbar, dass es besondere Kekse sind.“
    Er dachte weiter nach und rieb sich über den Schnurrbart.
    „Hm… jetzt sind Gorn und Elyas schon weg, sonst hätten wir ihnen sagen können, dass sie Cem fragen sollen, ob er diese Kekse in sein Angebot mit aufnimmt.“
    „Kein Problem, dazu gibt es doch Smartphones“, erklärte Annette, zog ihr Kommunikationsgerät und gleich darauf hielt sie es in Richtung Tablet, wo noch einige der Kekse auf ihren Verzehr warteten, ein Blitz erschien und sofort tippte und wischte sie auf ihrem Gerät umher.
    „So, erledigt.“
    „Was hast du gemacht?“ wollte der Held wissen.
    „Eine Nachricht an Elyas geschickt. Dann zeigt er Cem die Kekse.“
    „Toll dieses Nachrichtensystem. Sowas könnte Kriegsentscheidend sein“, sagte der Held.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 20:54 Uhr)

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    Verwandlungen

    Am Nachmittag war Lester wieder unterwegs, um Sumpfkraut zu verkaufen. Er stand gerade vor einer Schule für Jugendliche. Im hiesigen Bildungssystem kannte Lester sich nicht aus, aber er wusste, dass es hier viele Käufer gab. Die jungen Leute fanden es „cool“ mit einem Stengel Sumpfkraut lässig an einer Hauswand zu lehnen und zu rauchen. Schnell hatte der ehemalige Novize mitbekommen, dass die Lehrer am besten nicht mitbekamen, wie er ihren Schülerinnen und Schülern Kraut verkaufte, deswegen stand er abseits vor dem Tor, hinter einem großen Laubbaum. Die Jugendlichen wussten aber ganz genau, wo er zu finden war. Sein nächster Kunde war ein junger Bursche, an dem als erstes seine Schmalztolle auffiel. Umringt von seinen Mitschülern kam er auf Lester zu und kaufte unter allgemeinem Gejohle und Gekicher zwei Sumpfkrautstengelpackungen. Eine laute Klingel ertönte und die schwatzende Schülerschaar strömte in den unordentlichen Schulhof und von dort aus in die halb verfallene Schule. Hier war für ihn nichts mehr zu tun. Er wandte sich um, und wollte die Straße entlanggehen, da hörte er es von hinten quietschen und wenig später stand der Held mit Elias Auto halb auf dem Bordstein.
    „Mittlerweile bin ich mir ziemlich sicher, dass man so nicht fahren sollte. Das dich die Miliz noch nicht erwischt hat...“ sagte Lester grinsend, öffnete die Tür und setzte sich zu ihm in den Wagen.
    „Vorhin haben sie es versucht“, kam es vom Helden zurück. „Mit Sirenengeheul und blinkenden Lichtern.“
    „Und was hast du gemacht?“ wollte Lester wissen, da er seinen Freund augenscheinlich vor sich hatte.
    „Angehalten und erst mal geguckt was sie wollten.“
    „Und was wollten sie?“ fragte Lester, der es langsam nervig fand dem Helden alle Antworten einzeln aus der Nase zu ziehen.
    „Irgendeinen Schein. Als ich ihnen ganz offen sagte, dass ich keine Ahnung habe, wovon sie sprechen, wurden sie auf einmal richtig wütend und sagten mir, ich solle aus dem Wagen steigen. Das hab ich dann auch gemacht, aber da ich mir denken konnte, dass sie mich dann abführen wollten, bekamen sie was aufs Dach und ich verzauberte sie mit Vergessen. Also kein Problem.“
    „Na, dann ist ja gut“, sagte Lester, so als wäre wirklich alles in bester Ordnung und zündete sich einen Sumpfkrautstengel an. „Wo fahren wir eigentlich hin?“
    „In den Wald. Ich hab mir was ausgedacht, damit es nicht so langweilig ist und wir im Training bleiben.“
    Lester schwante übles.


    Milten hatte sich gerade vom Krankenhaus ins Versteckt teleportiert, aber als er dort ankam, musste er feststellen, dass keiner seiner Freunde anwesend war. Nur Elyas lümmelte auf dem abgewetzten Sofa und drückte auf einem Gerät herum. Dazu drangen laute Geräusche vom Fernseher her und rasche Bildfolgen waren zu sehen.
    „Die sind im Tegeler Forst.“
    „Und wo ist das?“
    „In Tegel“, sagte Elyas keck. „Einfach die Straße am Flughafen nordwärts hoch.“
    Einfach war in Berlin schon mal gar nichts, vor allem, wenn derjenige, der sich zurechtfinden musste aus einer anderen Dimension stammte. Milten hatte das Liniennetz der öffentlichen Verkehrsmittel immer noch nicht ganz durchschaut. Oftmals konnte er sich auch einfach nicht entscheiden. Sollte er jetzt mit der Tram fahren, einem Bus, den Zügen, oder doch der Schnellbahn? Dazu kam, dass er es sehr unangenehm fand von so vielen Menschen umringt zu sein, die scheinbar alle ganz genau wussten wo sie hinmussten und er selbst keine Ahnung hatte und erst einmal etwas Zeit brauchte, um den Weg zu finden. Es war ihm viel lieber sich zu teleportieren, das war einfacher. Endlich hatte er den Flughafen Tegel erreicht. Mit viel Getöse erhob sich gerade eins der riesigen Flugobjekte in die Luft. Obwohl Milten jetzt schon mehrfach Flugzeuge am Himmel gesehen hatte, fand er sie immer noch überaus beeindruckend. Eine Zeit lang sah er dem Flugzeug nach, dann ging er die Straße nordwärts entlang, kam an den genannten Wald und ging hinein. Der Magier hatte ein kleines Wäldchen erwartet, so wie sie im Mienental üblich waren. Dort war es einfach jemanden nach wenigen Minuten zu finden. Der Wald hier hatte aber eine ganz andere Größenordnung. Er fragte sich wie er seine Freunde mit dieser ungenauen Beschreibung überhaupt jemals finden sollte. Seufzend setzte er seinen Weg fort und musste hoffen auf etwas zu stoßen, das ihn ans Ziel führte. Nach stundenlangem Herumirren, so kam es ihm zumindest vor, hörte er ein lautes Brüllen. Milten zuckte zusammen. Das hatte sich sehr stark nach einem Snapper angehört. Wie kam der denn hierher? Hatten seine Freunde den Weg zurück in ihre Welt gefunden? Jetzt hörte er ein lautes Schnaufen und Schnarren. Der Snapper musste hier irgendwo in der Nähe sein. Vorsichtshalber zog Milten eine Feuersturmrune und blieb in Habachtstellung. Krachend brach ein Drachensnapper hinter ihm aus den Büschen und stürzte sich auf ihn. Miltens Herz setzte kurz aus, nur um dann mit doppelter Geschwindigkeit weiter zu schlagen. Er fuhr herum, um seinen Zauber zu wirken, doch da hatte sich das Biest schon in seinen rechten Arm verbissen. Mit Entsetzten im Gesicht versuchte der Magier sich loszureißen, doch jeder schmerzhafte Versuch misslang. Doch der Snapper hatte ihn wohl nicht richtig zu fassen bekommen, denn er ließ kurz los um erneut zuzuschnappen und das war seine Chance. Angestrengt warf er den Zauber auf das Ungeheuer. Der Drachensnapper brüllte schmerzerfüllt und rannte kokelnd davon. Milten atmete schwer. Sein Kopf war ganz klar, wie leergepustet und er empfand es als seltsamen Zustand, da sonst immer so viele Gedanken hindurchschwirrten. Das Adrenalin hatte für einen kurzen Moment alles hinweggefegt. Mit der unverletzten Hand zog er eine Heilrune hervor, um sich zu verarzten. Vorsichtig ging er weiter, darauf gefasst, dass das Tier zurückkehren könnte. Er hatte gesehen, dass es bereits verletzt war. Einige, teilweise abgebrochene Pfeile hatten aus seinem Rück geragt. Die hatte doch bestimmt Diego abgeschossen. Er war also höchstwahrscheinlich hier irgendwo in der Gegend und vermutlich waren Lester und Gorn dann auch nicht weit. Nachdem er noch einige Zeit aufs Geratewohl im Wald unterwegs war, hörte er endlich vertraute Stimmen.
    „Was ist nur los mit dir Gorn? Du hättest ihn haben können. Du hast voll vorbeigehauen, das ist doch sonst gar nicht deine Art“, war Diegos Stimme zu hören.
    Es folgte ein genervtes Brummen: „Schrei doch nicht so!“
    „Ich schreie doch gar nicht.“
    „Du bist zu laut.“
    Milten folgte den Stimmen und trat auf eine Lichtung. Das war ein strategisch guter Platz, da der Snapper sich hier nicht einfach an sie heranschleichen konnte. Diego hatte den Magier bereits gesehen und winkte ihm zu, während Lester dem zerknirscht aussehenden Gorn einen Sumpfkrautstengel anbot, wohl um seine Beschwerden zu lindern.
    „Nein, bloß kein Sumpfkraut, davon kriege ich bestimmt noch mehr Kopfschmerzen.“
    „War wohl doch etwas zu viel gestern, was?“
    Lester grinste verschmitzt.
    „Hör bloß auf, wer hätte denn ahnen können, dass dieses Wodka so reinhaut?“
    Gorn war nicht nur unglücklich darüber, dass er sich so schrecklich fühlte, sondern auch, dass ihm klar anzusehen war, dass er sich so fühlte.
    „Habt ihr einen Weg nach Hause gefunden?“ fragte Milten, obwohl er noch nicht ganz ran war.
    „Was? Nein, wieso?“ fragte Diego überrascht.
    „Da war ein Drachensnapper. Ich hab die Pfeile gesehen, die in diesem Mistvieh steckten. Du musst ihm also auch begegnet sein.“
    Lester gackerte und auch Diego konnte sich ein belustigtes Lächeln nicht verkneifen.
    „Dieses … Mistvieh … ist unser ganz spezieller Kumpel. Er meinte es wäre eine gute Idee, wenn wir uns unserer Haut nicht allzu sicher fühlen würden und im Training bleiben.“
    „Oh…“
    Milten sah bestürzt zu seinen Freunden.
    „Das war … er?“
    „Na wer denn sonst?“ fragte Diego genervt. „Sag bloß er hat dich überrascht?“
    „Könnt sein, dass er jetzt etwas … angeschmort ist.“
    „Na, das hat er verdient“, meinte Diego und Schadenfreude funkelte in seinen Augen. "Vorhin hätte er mich fast eiskalt erwischt.“
    „Und was jetzt? Sollen wir hier jetzt einfach weiter hocken? Ich glaube nicht, dass er zu uns auf die Wiese kommt“, gab Gorn leise zu bedenken.
    „Dann müssen wir uns weiter raus schleichen.“
    Diego warf einen kurzen Blick auf Gorn und sagte dann. Wir bilden zwei Gruppen.
    „Milten und Gorn, ihr geht voraus und Lester und ich gehen unauffällig hinter euch her und decken euch den Rücken.“
    „Du willst doch nur, dass wir den Köder spielen“, hatte Milten ihn sofort durchschaut.
    „Na irgendwer muss es ja tun", sagte Diego schulter zuckend.
    Gorn war offenbar nicht in der Stimmung zu diskutieren, denn er ging einfach in den Wald hinein, ohne noch etwas zu sagen. Milten folgte ihm, versuchte aber die Lage zu ändern, indem er in den Wald hineinrief, um den Helden dazu zu bewegen sein Unternehmen abzubrechen.
    „Du hattest deinen Spaß, jetzt komm raus und lass es gut sein, bevor noch jemand ernsthaft verletzt wird.“
    Er wusste nicht, ob sein Freund ihn da draußen irgendwo im Wald hören konnte. Vielleicht war er ganz in der Nähe und beobachtete sie.
    „Diese Pfeile in deinem Rücken schmerzen doch bestimmt wie verrückt. Ein paar Heilzauber und alles wird gut.“
    Der Held kam in der Gestalt des Drachensnappers aus einem nahen Dickicht aus Himbeersträuchern, fauchte wild und wollte sie angreifen. Milten zuckte zusammen, doch Gorn hatte seine Axt schon zur Hand, fegte den Verwandelten mit der flachen Seite weg, so dass er umstürzte und erhob seine Waffe drohend zum erneuten Schlag.
    „Verwandel dich zurück, sonst setzt es was!“
    Der Held fauchte erbost, tat dann aber was sein Freund forderte.
    „Na schön, du hast mich erwischt. Nächstes Mal muss ich mich wohl mehr anstrengen.“
    „Was heißt denn hier nächstes Mal?“ wollte Milten wissen.
    „Wieso? Es hat doch Spaß gemacht“, sagte der Held leichthin.
    „Da kannst du wohl nur für dich sprechen,“ sagte Gorn, steckte seine Waffe weg und hielt sich den schmerzenden Kopf.
    „Aber mal wirklich“, sagte Milten tadelnd. „Wie kannst du das als Spaß bezeichnen?“
    Der Held grinste breit.
    „Du hättest dein Gesicht sehen sollen, als ich dich eiskalt überrascht habe. Herrlich, einfach unbezahlbar.“
    „Du hast mir in den Arm gebissen“, sagte Milten vorwurfsvoll.
    „Ich hätte dich auch in den Hals beißen können, oder? Aber das habe ich natürlich nicht gemacht, ich wollte dich nur etwas triezen und naja, du hast mich ja auch mächtig verkohlt.“
    Der Held grinste immer noch, so als wäre das alles ein großer Spaß gewesen.
    „Zum Glück für dich, dass wir uns einfach so mit Heilzaubern heilen können“, redete ihm Milten weiter ins Gewissen.
    „Ja, ja“, kam es vom Helden, der scheinbar gar nicht richtig zuhörte, sich aber gerade selbst mit einem Heilzauber in Ordnung brachte.
    „Ich hab da vorne einen See gesehen, lasst uns den doch mal genauer erforschen“, schlug der Held vor.
    „Was denn? Nicht zurück?“ fragte Gorn, dem klar anzusehen war, dass er eigentlich nur zurück ins Bett wollte.
    „Ach ist doch langweilig immer in der Stadt zu hocken. Es tut doch so richtig gut mal wieder durchs Grüne zu laufen."
    Der Held atmete tief durch. Da musste Milten ihm tatsächlich mal recht geben. Es war wirklich gut die Stadt hinter sich zu lassen, auch wenn es nur für ein paar Stunden war. Das warme Licht der Sonne blinzelte zwischen das mittlerweile dichter werdende frische, grüne Blattwerk. Die Luft war hier klar und frisch und es fiel gleich viel leichter zu atmen.
    „Na schön, dann zeig mal wo du den See gesehen hast.“
    Tatsächlich wollte auch er noch nicht zurück in die Stadt. Diego und Lester hatten wohl auch nichts dagegen. Gorn grummelte, wollte aber auch nicht allein umkehren und so vielleicht etwas verpassen. Der See war gar nicht weit entfernt. Still lag er zwischen den Bäumen des Waldes da. Der leichte Wind kräuselte sacht die Wasseroberfläche, auf der die Sonnenstrahlen glitzerten.
    „Schön hier“, sagte Lester, setzte sich kurzerhand ins Gras und entspannte sich.
    Nach kurzem Zögern, taten es ihm seine Freunde nach. Gerade Gorn sah sehr erleichtert aus, weil er jetzt seine Ruhe bekam. So saßen sie eine Weile, aber dem Helden lag das lange untätige Herumsitzen wohl nicht, denn schließlich stand er auf, sagte er werde sich im See mal etwas umsehen und lief ungebremst ins Wasser hinein, bis er bis zu den Knien nass war, watete weiter hinaus, bis er bis zur Hüfte im See stand und schließlich losschwamm.
    „Wenn er nichts zu tun hat, ist er nicht glücklich“, bemerkte Diego.
    Von den anderen kam zustimmendes Brummen. Die Unruhe des Helden hatte ihre Spuren hinterlassen, einfach nur da sitzen war den anderen jetzt auch zu wenig und es entspann sich ein Gespräch.
    „Als ich vorhin den Snapper sah, dachte ich für einen Moment wirklich, dass wir wieder nach Hause kommen“, sagte Milten niedergeschlagen.
    „Schön wär’s“, kam es knapp von Gorn, der sich der Länge nach in den Schatten gelegt hatte.
    „Und ich dachte du würdest vielleicht was herausfinden“, kam es in leicht vorwurfsvollen Ton von Diego und er sah den Feurmagier von der Seite her an.
    „Ich?“ fragte Milten verwundert, unschlüssig, wo er auf einmal die Lösung hätte herzaubern sollen.
    „Ja na klar, du. Wer auch sonst? Von uns anderen weiß doch niemand so genau etwas über Teleportation und solche Magiesachen.“
    „Ich bin jetzt auch im dritten Kreis,“ mischte sich Lester von der Seite her ein und er klang tatsächlich etwas stolz.
    „Und kannst du uns deswegen sagen wie wir zurück kommen?“ fragte Diego scharf.
    Lester zuckte zusammen.
    „Nein. Ich hab zwar ab und zu herumgefragt, aber keine Antworten bekommen. Die Leute sahen immer so aus, als hielten sie mich für verrückt.“
    „Ist ja’n Ding“, brummte Gorn.
    Milten seufzte. Er machte sich Vorwürfe, weil er ihr Vorhaben nach Hause zurückzukommen ungewollter Weise vernachlässigt hatte. Er war so eingebunden in seine Pflichten im Krankenhaus gewesen, dass er kaum Zeit hatte sich damit zu befassen wie sie denn nun zurückkommen sollten. Der diffuse Verdacht, es könnte etwas mit Beliarmagie zu tun haben war nicht greifbar genug, um daran anzuknüpfen. Es war als würde er im Dunkeln stochern und der Vergleich kam ihm wirklich passend vor.
    „Ich hatte sehr viel zu tun“, sagte der Feuermagier zerknirscht. „Ich weiß natürlich, dass wir so schnell wie möglich zurückkommen müssen, aber ich weiß wirklich nicht wie.“
    Diego seufzte.
    „Ich mag es nicht das auszusprechen, aber vielleicht müssen wir uns wirklich damit abfinden hier nie mehr weg zu kommen.“
    Die Stimmung wurde gedrückt. Gorn dachte an seine Männer in Gotha und wie sie jetzt mit all den Aufgaben alleine klarkommen mussten. Diego ging ständig durch den Kopf, dass er in so entscheidenden Momenten nicht in Myrtana war und Milten konnte immer nur daran denken, dass er seine Freunde und sich selbst enttäuscht hatte. Die offensichtlichen und präsenten Leiden der Bevölkerung hier, die ihm im Krankenhaus begegneten waren viel greifbarer, als die unsichtbare und weit entfernte Not ihres Volkes und doch wusste er natürlich, dass sie litten. Er empfand es als sehr grausam zwischen dem Leiden hier und dem Leiden dort wählen zu müssen, aber musste er das nicht letztendlich tun? Er würde abwägen müssen, um Prioritäten zu setzen, selbst, wenn das bedeutete, dass er hilfesuchende Menschen vernachlässigen musste. Die Leute hier kannten die Magie bisher nicht, sie waren auch vorher zurechtgekommen, auch wenn es Verluste gab und auch weiterhin geben würde, aber dieses Volk war nicht in Gefahr. Die Menschen in Myrtana hatten es dagegen im Moment viel schwerer. Allerdings hatte er hier bisher viel mehr Menschen helfen können, als überhaupt in Myrtana lebten. Rechtfertigte die Tatsache, dass es sich dabei um sein Volk handelte, dass er hier noch viel mehr Menschen sterben ließ, anstatt ihnen zu helfen?
    „Ach naja, also so schlimm ist es hier doch nun wirklich nicht“, durchbrach Lester die trübe Stimmung und die Gedankengänge seiner Freunde. "Hier gibt es so viele wundersame Dinge zu sehen."
    Die anderen sagten kein Wort.
    „Ich wundere mich nur was er so lange da im See macht. Kann einer von euch ihn sehen? Wo steckt er denn eigentlich?“
    „Was? Keine Ahnung, ich dachte du behältst ihn im Auge“, knurrte Gorn nur und drehte sich auf die andere Seite.
    Lester zuckte mit den Schultern, stand auf und wagte sich nun ebenfalls in den See hinein. Er watete ein Stück, hielt eine Hand an die Stirn, um eine bessere Sicht zu haben und spähte über den See.
    „Ich kann nichts erkennen.“
    Gerade als er das sagte, plätscherte etwas leicht. War da ein Fisch gesprungen? Neugierig watete Lester weiter hinein und begann zu schwimmen. Als er die Stelle erreicht hatte, wo er glaubte etwas gesehen zu haben, tauchte er unter, kam aber schnell wieder hoch.
    „Keine Ahnung was das war.“
    Er sah sich weiter um.
    „Weit und breit nichts zu sehen“, rief er laut zum Ufer zurück.
    Urplötzlich ruckte etwas heftig an seinem Bein. Er wurde nach unten gezogen und er schluckte einen Schwall Wasser. Erschrocken schlug Lester um sich und zappelte um sich dem Griff zu entwinden, doch was auch immer ihn da gefasst hatte, ließ nicht los, nein, es zog ihn nur noch weiter nach unten. Schnell wurde es kälter und dunkler. Er trat noch mal aus und spürte wie er mit dem Fuß etwas Hartes traf. Der Griff ließ nach und eilig schwamm Lester zum Licht zurück. Japsend durchbrach er die Wasseroberfläche und hustete. Neben ihm kräuselte sich das Wasser und der Kopf eines Lurkers erschien. Lester stieß einen erstickten Schrei aus und der Lurker grinste. Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und er bespritzte seinen Planschpartner mit Wasser.
    „Du Arsch“ sagte Lester, musste aber jetzt wo er wusste, dass keine Gefahr bestand, lachen.
    Zusammen schwammen sie zum Ufer zurück, wo sich der Lurker in einen Menschen zurück verwandelte.
    „Das war lustig, solltest du auch mal versuchen“, sagte der Held, der immer noch breit grinste.
    „Warst du etwa die ganze Zeit ein Lurker?“ fragte Lester und ließ Wasser aus seinem linken Ohr laufen.
    „Klar, es ist einfach viel angenehmer so. Lurker können sich schnell im Wasser fortbewegen und müssen nicht auftauchen um Luft zu holen. Leider hab ich nichts Interessantes entdecken können.“
    „Hä?“ fragte Lester, dem das komisch vorkam. „Die brauchen keine Luft?“
    „Wirklich nicht?“ fragte jetzt auch Milten. „Aber Lurker sind doch keine Fische, oder? Die haben doch keine Kiemen, folglich müssen die doch irgendwann mal auftauchen.“
    „Nein, müssen sie nicht. Die können so lange unter Wasser bleiben wie sie wollen“, beharrte der Held auf seinen Standpunkt.
    „Nein.“
    „Doch!“
    „Aber wie soll das gehen?“ fragte Milten verwirrt.
    „Das … ist ein Lurkergeheimnis“, sagte der Held, der jetzt auf den Boden schaute.
    „Oh, ein Geheimnis? Was denn für eins?“ wollte Lester aufgeregt wissen.
    „Wenn ich es herumposaunen würde, wäre es doch kein Geheimnis mehr“, stellte der Held klar.
    „Aber wir sind doch Freunde und Freunden kann man doch ruhig Geheimnisse erzählen“, sagte Lester und grinste ihn breit an.
    Der Held seufzte.
    „Komm schon, verrate es uns“, bohrte Lester weiter. „Komm schon sag, sag, sag, sag.“
    Der Held seufzte und setzte sich.
    „Na schön … also es ist so“, fing der Held peinlich berührt an. „Lurker atmen mit ihrem Arsch.*
    Die Kinnladen der anderen fielen herunter, selbst Gorn, der bisher vorgab geschlafen zu haben, sah ungläubig zu ihnen herüber.
    „Was zum Henker …?“ kam es erstaunt von Diego.
    „He, ich hab mir das nicht ausgedacht. Lurker ziehen mit ihrem Po Wasser rein und holen dann irgendwie die Luft da raus und wenn die verbraucht ist, pupsen sie das Wasser wieder aus.“
    Lester bekam einen Lachanfall.
    „Also, das ist das Bekloppteste was ich je gehört habe“, sagte er gepresst und lachte dann schallend weiter.
    Milten machte ein komisches Gesicht, ganz so als würde er sich vorstellen wie es wohl wäre im Wasser zu sein und mit seinem Allerwertesten zu atmen, was Lester noch mehr zum Lachen brachte und auch der Held musste jetzt mit einstimmen. Spätestens jetzt war die niedergeschlagene Stimmung wie weggeblasen.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 20:55 Uhr)

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    Überfall

    Es war wieder ein langer Tag im Krankenhaus gewesen und Milten hatte nicht so konzentriert wie sonst gearbeitet, weil er in Gedanken immer wieder durchging was er tun könnte, um seine Freunde und sich wieder nach Hause zu bringen. Doch wie schon in den vorherigen Wochen drehten sich seine Gedanken im Kreis. Er war alles was er über Teleportation wusste schon mehrfach durchgegangen, hatte versucht neue Lösungsmöglichkeiten zu finden. Die Teleportersteine aus ihrer Heimat waren nicht die Lösung, das war schnell klargeworden. Astrid riss ihn aus seinen Gedanken, als sie zu ihm ins Behandlungszimmer kam, wo er gerade einen Mann wegen einem offenen Schienbeinbruch kurierte.
    „Es ist schon nach zwanzig Uhr. Was hältst du davon gleich mit mir was essen zu gehen? Nur zwei Straßen weiter hat ein indisches Restaurant aufgemacht, das würde ich gerne probieren..“
    Der Patient starrte ungläubig auf sein jetzt wieder heiles Bein, stand vorsichtig auf und konnte noch gar nicht fassen, dass er es einfach so belasten konnte. Er gab seinem Gönner die Hand, bedankte und verabschiedete sich.
    „Ja, ich komme mit“, sagte Milten, geistig halb abwesend.
    Er wusste zwar nicht was „indisch“ bedeutete, aber es war ihm im Moment ganz Recht hier zu verschwinden. Normalerweise würde er sich nicht so schnell von der Arbeit verabschieden, aber im Moment fand er, dass er unbedingt mit ihrem Projekt weiterkommen musste. Er hatte sich vorgenommen am nächsten Morgen noch mal zum ehemaligen Mittelalterplatz zu laufen und dort alles Stückchen für Stückchen abzusuchen. Er wusste, dass er nach Strohhalmen griff, aber gar nichts zu tun, kam ihm mittlerweile einfach unerträglich vor. Sonst hätte er sich einfach zu ihrem Unterschlupf teleportiert, aber da er jetzt Astrid an seiner Seite hatte und sie essen gehen wollten, durchquerten sie die Eingangshalle und traten hinaus in die klare, frische Frühlingsnacht.
    „Du bist so still in letzter Zeit“, bemerkte die Krankenschwester, als sie längsseits an der Außenwand des Krankenhauses entlangliefen.
    „Ich denke viel nach.“
    „Hm… und worüber?“
    „Wie ich einen Weg nach Hause finde.“
    „Verstehe.“
    Sie wurde still. Vielleicht wusste sie nicht was sie sagen sollte, oder das Thema war ihr unangenehm. Schweigend liefen sie ein Stück. Als sie gerade wieder etwas sagen wollte, sprangen zwei Männer hinter einer im Schatten liegenden Hausecke hervor.
    „Endlich habe ich dich erwischt“, sagte einer der Männer.
    Er hielt ein Messer in der Hand, dessen Klinge etwa Handlang war. Er trug die Kleidung, welche hier offenbar üblich war. Lockere Baumwollhosen und ein sogenanntes T-Shirt. Haar und Bart wirkten gepflegt, auch sein Komplize war ähnlich gekleidet, hielt aber ein langes Metallrohr in der Hand, das er erwartungsvoll tätschelte.
    „Oh, mein Gott, ein Überfall“, kreischte Astrid nach Luft schnappend.
    Milten blieb erst einmal ruhig. So lange noch Platz zwischen ihnen war, versuchte er die Lage zu entschärfen.
    „Wer seid ihr? Was wollt ihr?“ fragte er und versuchte möglichst unaufgeregt zu klingen.
    „Wer ich bin?“
    Der Mann vor ihm spie die Worte geradezu aus.
    „Ich war in einen Unfall auf der Straße verwickelt. Ich war in meinem Auto eingequetscht, da kam irgendwann der Krankenwagen und die Feuerwehr und die haben mich da rausgeholt. Ich war aber schwer verletzt und da kamst du und hast mich verhext.“
    Milten erinnerte sich. Es war der Tag, an dem der Held das erste Mal mit dem Auto auf öffentlichen Straßen unterwegs war. Ständig war er mit den anderen vom Notarztteam unterwegs und hatte geholfen wo er konnte.
    „Ich habe dich geheilt. Was ist dein Problem? Bist du nicht froh, dass ich dich gerettet habe?“ fragte der Feuermagier verwundert.
    „Gerettet?!“ kreischte der Mann laut, fast schon hysterisch. „Verflucht hast du mich. Meine Religion verbietet es, dass jemand an mir herumhext. Seit dem Tag habe ich nur noch Pech. Mein Chef hat mich entlassen, meine Wohnung konnte ich nicht mehr halten, meine Freundin hat mich verlassen. Das ist alles deine Schuld und jetzt werde ich mich dafür rächen.“
    Der Griff um sein Messer wurde fester. Milten dachte schnell nach. War der Mann verrückt? Wie konnte er die Lage retten? Astrid, die sich ängstlich an ihn klammerte, ließ ihn bewusstwerden, dass er keine Risiken eingehen durfte, denn sonst könnte auch sie unnötig verletzt werden.
    „Wir können das doch bestimmt in Ruhe klären“, schlug Milten vor und versuchte zu verstehen, was das Problem des Mannes war.
    Wie hätte er sich gefühlt, wenn er von einem Diener Beliars gerettet worden wäre? Das war zwar unwahrscheinlich, aber was wäre wenn? Wäre er ihm dankbar? Musste er ihm nicht sogar dankbar sein? Aber immerhin würde es sich um einen Gegensatz seiner Weltanschauung handeln. Vielleicht hatte er diesen Mann unwissentlich in eine ähnliche Position gebracht.
    „Ach, und was hättest du mir schon zu sagen?“ fragte der Mann.
    Milten schöpfte Hoffnung, denn wenn sich erst ein Gespräch entspann, dann würde es vielleicht zu keiner gewalttätigen Auseinandersetzung kommen, doch der zweite Mann flüsterte seinem Freund jetzt eindringlich ins Ohr. Bösartig funkelte er zum Feuermagier herüber. Es war klar, dass er es auf die Auseinandersetzung abgesehen hatte.
    „Ich konnte doch nicht wissen, dass Magie gegen deine Religion ist. Ich wollte dir helfen. Glaub mir.“
    „Verfluchter Ungläubiger, wie kannst du es wagen meinen Bruder zu verhexen?“ schrie ihn der zweite Mann an.
    Milten versuchte unauffällig seine rechte Hand in seine Tasche zu stecken, wo sich seine Runen befanden. Er hatte jede markiert, so dass er sie blind auseinanderhalten konnte, um sie schneller einsetzen zu können. Er überlegte, ob er einen Feuerball einsetzten sollte, immerhin hatten diese Männer Waffen, aber er wollte die Männer auch nicht töten, sondern nur vertreiben.
    „Was machst du da?“ fragte der Mann mit dem Messer scharf. „Was kramst du da in deiner Tasche herum? Du willst uns verhexen!“
    Die Männer machten einige Schritte auf sie zu. Milten sah es als Angriff und reagierte. Zwei Feuerpfeile flogen den beiden Unruhestiftern entgegen, die mit schreckgeweiteten Augen sahen was da auf sie zukam. Als sie getroffen wurden loderte das Feuer kurz auf und fraß sich durch ihre Kleidung und dann in ihre Haut. Sie heulten vor Schmerz, ließen ihre Waffen fallen und suchten panisch das Weite. Der Feuermagier sah ihnen erleichtert hinterher. Er spürte, dass sich Astrid noch weiter in seine Seite verkrallt hatte.
    „Alles in Ordnung bei dir?“ fragte Milten ruhig, während er die Rune zurück in seine Tasche steckte.
    „Ob alles in Ordnung ist?“ fragte Astrid erst leise, aber dann sehr aufgebracht. „Ich begreife nicht mal was genau da eigentlich gerade passiert ist. Hast du die gerade wirklich abgefackelt?“
    Milten runzelte die Stirn.
    „Das waren nur Feuerpfeile. Die können zwar sehr schmerzhaft sein, aber wirklich gefährlich sind sie nicht.“
    „Aha“, sagte die Krankenschwester in hohem, spitzem Tonfall. „Dann ist es also normal, wenn man mit Feuer nach anderen Leuten schmeißt?“
    Milten dämmerte was ihr Problem war.
    „Aber das waren doch Banditen“, versuchte er sich zu rechtfertigen. „Sie haben uns angegriffen. Hätte ich etwa nichts machen sollen?“
    Astrid wurde still. Sie wusste vielleicht selbst nicht, was sie davon halten sollte. Sie holte tief Luft, versenkte ihren Kopf in den Händen und strich sich durchs Haar. „Das ist einfach zu viel für mich. Ich bin noch nie überfallen worden.“
    Sie wirkte so schwach und verletzlich, sie tat Milten Leid. Er wollte sie beruhigen und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
    „Es ist alles in Ordnung. Sie sind ja jetzt weg.“
    Unerwarteter weise hatte sein Beruhigungsversuch einen gegenteiligen Effekt. Astrid schüttelte ihn ab und sagte laut: „Ach, es ist also in Ordnung, wenn man andere Menschen anzündet? Solltest du nicht lieber versuchen den Leuten zu helfen, anstatt mit Feuer um dich zu werfen?“
    „Naja, immerhin bin ich ein Feuermagier“, rutschte es ihm heraus.
    Er bereute es sofort. So hatte er das keinesfalls sagen wollen.
    „Ich meine …“
    Doch es war zu spät, was gesagt war, war gesagt.
    „Oh, der Herr spielt also gerne mit dem Feuer und meint deswegen selbst darüber richten zu können, dass diese Leute es einfach verdient haben? Selbst Schuld? Einfach Pech gehabt? Der Stärkere gewinnt, so lebst du, ja? Hätten sie uns eben nicht angreifen sollen, oder was?“
    Milten verstand sie einfach nicht. Warum war sie so aufgebracht?
    „Was hätte ich denn sonst tun sollen?“ sprach er seine Gedanken laut aus.
    „Vielleicht hätte es eine andere Lösung gegeben. Vielleicht wollten sie uns nur drohen und hätten gar nichts gemacht.“
    „Glaub ich nicht“, sagte Milten, dem das unverständlich war.
    In seiner Heimat ließen die Menschen ihren Drohungen fast immer Tagen folgen. Es war nur konsequent. Er wollte ihr wieder eine Hand auflegen, aber sie blockte ihn ab.
    „Lass mich! Ich gehe nach Hause. Mir reicht’s.“
    Sie war völlig durch den Wind und Milten war sich unsicher, ob er sie so gehen lassen konnte. Andererseits konnte er sich auch denken, dass sie nicht wollte, dass er mit ihr ging. Er sah ihr hinterher. Sie sah nicht mehr zurück, hatte ihn einfach stehen gelassen. Er lehnte sich an die Hausmauer und atmete tief durch. Was genau war jetzt ihr Problem gewesen? Sie wurden von Banditen angegriffen und er hatte sie abgewehrt. War das hier nicht so üblich? War vielleicht gerade die Tatsache, dass er nicht wusste was er verkehrt gemacht hatte das Problem? Das hier war ein relativ sicheres Land. Auch wenn es Menschen gab, die manchmal mit Gewalt konfrontiert wurden, so lebte der Großteil der Bevölkerung doch in einer gewissen Sicherheit. In Myrtana war das nicht der Fall. Beinahe jeder konnte Opfer von Gewalttaten werden und unterbewusst war man immer darauf vorbereitet. Man wurde überfallen, wehrte die Angreifer entweder ab, oder tötete sie, andernfalls würde man selbst dran glauben müssen. Anschließend dachte man nicht weiter darüber nach. Hatten sie sich zu sehr daran gewöhnt? Für sie war es normal sich ihrer Haut stets und ständig zu erwehren. Als Magier hatte man zwar das Privileg nicht ständig mit dem streitenden Pöbel zusammenzuleben, aber auch sie hatten sich an das raue Klima ihrer Heimat gewöhnt. Das Töten von mehr oder minder gefährlichen Tieren war für einige Menschen schon zu einer Art Spaß geworden. Die wöchentliche Schlägerei fast schon obsolet. War ihr Volk nach der generationenlangen Gewalt einfach verroht? War diese Normalität gar keine Normalität? Er selbst hatte es sich damals im alten Lager angewöhnt auf solcherlei Überfälle gefasst zu sein, schließlich war er nicht immer ein Feuermagier gewesen und die erste Zeit im Lager war wirklich hart. Er hatte damit zurechtkommen müssen, doch wie hatten die letzten Minuten wohl auf Astrid gewirkt? Sie sagte sie wäre noch nie in einen Überfall geraten. Kaum zu glauben, aber wenn das wirklich so war, dann war ihr Verhalten doch auch nachvollziehbar. Sie war mit der Situation wohl schlicht und ergreifend überfordert gewesen. Milten hätte sich selbst nie als abgebrüht oder herzlos bezeichnet, aber vielleicht war er ihr in diesem Moment einfach so erschienen. Vielleicht war gerade diese Normalität mit der er der Situation begegnete so erschreckend für sie gewesen. Für Milten stellte sich die Frage: Was ist eigentlich Normalität?

    Währenddessen sorgte ein Nachrichtenartikel im Versteck für Aufregung. Annette hatte ihr Smartphone in der Hand und las Elyas, Diego und dem Helden vor, die gespannt lauschten.
    „Die Polizei hat zwei Plastikfässer gefunden, in dem sich Säure und teilweise darin aufgelöste Körper befanden. Es ist davon auszugehen, dass es sich dabei um die Überreste von zwei Menschen handelt. Die Polizei geht von Mord aus und versucht jetzt anhand der Überreste die beiden getöteten Menschen zu identifizieren.“
    „Du hattest doch aber gesagt diese Säure löst die Körper auf!“ sagte Diego drohend an Elyas gewandt.
    Der sah gar nicht glücklich aus und wäre offensichtlich am liebsten jemand anders.
    „Das … das sollte auch so sein. Im Film war das so, ich schwöre. Die hätten sich eigentlich auflösen sollen.“
    Annette, der es nicht gefiel unterbrochen zu werden, hob einen Finger und las weiter vor: „Die Polizei geht davon aus, dass die Täter die Leichen in die Fässer verbracht und anschließend mit Säure übergossen haben. Da sie die Flüssigkeit später aber nicht mehr umrührten, lösten sich die menschlichen Überreste nicht vollständig auf.“
    Elyas hieb sich die rechte Hand an die Stirn.
    „Umrühren?! Wer soll denn darauf kommen?“
    Annette warf ihm einen aggressiven Blick zu und las weiter vor: „Nun ermittelt die Polizei gegen die Täter. Sie hat schon Fingerabdrücke auf den Behältern gefunden.“
    Elyas traute sich gar nicht zu seinen Geschäftspartnern zu sehen und linste nur aus den Augenwinkeln zu ihnen herüber.
    „Was genau heißt das? Was meinen sie mit Fingerabdrücken?“ wollte Diego wissen, der sich dem unangenehmen Gefühl nicht erwehren konnte, dass sie sehr bald hinter stählernen Gardinen sitzen würden.
    Er funkelte Elyas wütend an, aber der brachte keinen Ton hervor.
    „Nun, jeder Mensch hat eigene Fingerabdrücke. Die sehen bei jedem anders aus und so lässt sich ermitteln wer was angefasst hat. Daraus leiten die Polizisten dann ab mit welcher Tatwaffe jemand getötet wurde, oder eben wer jemanden in ein Plastikfass gestopft hat.“
    „Großartig“, kam es sarkastisch von Diego.
    „He komm“, versuchte der Held die negative Stimmung zu durchbrechen. „Die wissen doch trotzdem nicht, dass wir es waren. Selbst wenn sie unsere Fingerabdrücke gefunden haben, so können sie es doch nicht zuordnen. Hier leben so viele Menschen in der Stadt, da können sie ewig suchen.“
    Der Held lachte.
    „Ja, genau“, kam es zustimmend von Elyas, der unbedingt für eine Stimmung war, die vom Lynchen seinerseits absah.
    „Ich an deiner Stelle würde mich jetzt sehr zurückhalten“, knurrte Diego den jungen Mann an.
    Der zog eingeschüchtert den Kopf ein und versuchte sich zu erklären: „He, ich … ich habe das Abwischen der Fingerabdrücke halt vergessen. So was kann doch mal passieren.“
    „Und wer badet das jetzt aus?“ fragte Diego ungehalten. „Dieser Miftah weiß bestimmt längst welche Überreste da in den Fässern lagern und er wird bestimmt nicht glücklich darüber sein. Er wird sich sicher rächen.“
    Just in diesem Moment klingelte Elyas Handy. Er guckte mit den Augen nach links und rechts, fast schon als würde er hoffen, dass die anderen es nicht gehört hätten.
    „Was denn jetzt schon wieder?“ knurrte Diego. „Na los, sieh nach!“
    Mit zittrigen Fingern holte Elyas sein Smartphone heraus.
    „Von wem ist die Nachricht?“ fragte der Held und lugte über seine Schulter.
    „Ich … ich weiß nicht, es ist eine fremde Nummer“, sagte Elyas, der jetzt leichenblass war und dessen Stimme zitterte.
    „Jemand möchte unseren Koch und dich in einer Stunde in einem alten Lagerhaus treffen. Wenn ihr nicht erscheint, wird die Polizei ein paar Infos bekommen von wem diese Fingerabdrücke auf den Fässern sind. Hier ist die Adresse.“
    Er zeigte dem Helden den Bildschirm.
    „Was denn für ein Koch?“ fragte der Held verwundert.
    „Na Lester“, knurrte Diego, immer noch mies gelaunt. „Er hatte doch mal erzählt, dass er jetzt als Koch bezeichnet wird. Ich finde das stinkt zum Himmel. Ist doch ganz klar, dass das eine Falle ist. Was wollen wir jetzt tun?“
    Der Held kratzte sich am Kopf und sagte dann lächelnd: „Die Falle zuschnappen lassen. Da Lester mit Gorn unterwegs ist, werde ich allein hingehen.“
    Elyas und Annette sahen ihn mit aufgerissenen Mündern an, als hätte er den Verstand verloren.
    „Das ist sehr leichtsinnig. Wir sollten besser erst einmal von außen alles überwachen. Wir können alle zusammen dorthin gehen, aber draußen erst mal alles absuchen und sie dann von hinten überrumpeln.“
    „Ach Diego, nun lass mir doch mal meinen Spaß. Immerhin ist endlich mal was los. Ich will endlich mal wieder eine Herausforderung.“
    Diego sah ihn lange prüfend an, dann sagte er langsam: „Na schön, wenn du meinst.“
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 20:59 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Hilfe vom Dealer

    Lester und Gorn ahnten von alledem gar nichts. Lester hielt es für keine gute Idee direkt zum Bordell zu gehen. Dafür hatten er und Gorn dort zuletzt für zuviel Unruhe gesorgt. Aber in einer Seitenstraße des Bordells hatte er Natascha getroffen, die ihm wieder gerne einige Sumpfkrautpakete abgekauft hatte. Sie erklärte, dass sie jetzt zwar etwas besser behandelt, aber dafür ständig überwacht wurden. Gino hatte sich offenbar einige Schläger ran geholt, die jetzt auf ihn und seine Mädels aufpassten. Sie erklärte Lester, dass auch Olga Sumpfkraut gebrauchen könnte. Sie nannte die Adresse wo sie zusammen wohnten. Es war gar nicht weit entfernt. Lester und Gorn fiel kaum auf, dass dieses Haus überaus schäbig und heruntergekommen war, immerhin waren sie nichts anderes gewohnt. Sie gelangten ins Treppenhaus, weil die Haustür nicht richtig schloss und waren rasch im genannten Stockwerk angekommen. Lester klopfte laut an die Tür. Es dauerte einen Moment, dann öffnete Olga die Tür einen Spalt breit.
    „Ach du bist es“, sagte sie mit ihrem starken Akzent, als sie Lester erkannte.
    Sie klang erleichtert.
    „Hattest du jemand anderen erwartet?“
    „Meinen Vermieter. Ich bin ihm noch Geld schuldig und er klingelt zu den schlechtesten Zeiten.“
    Sie entdeckte Gorn, der hinter Lester stand. Sie kannte ihn nur flüchtig aus der Nacht, als er zusammen mit Stanislaus das Bordell zerlegt hatte.
    „Du bist auch dabei?“
    „Das ist mein Kumpel Gorn. Wir ziehen heute gemeinsam los“, erklärte Lester.
    „Etwas Sumpfkraut könnte ich schon gebrauchen. Viel Stress. Habt ihr es eilig?“
    „Ich und eilig? Nein, wirklich nicht.“
    „Kommt doch herein.“
    Olga öffnete die Tür jetzt ganz, um sie einzulassen. Ihre kleine Wohnung sah sehr schäbig aus. Die Tapete war aus, zuerst unerfindlichen Gründen, unten abgerissen. Es gab Flecken auf dem abgewirtschafteten Teppich und neben dem alten Sessel lagen überall verstreut kleine, bunte Dinger und in all dem saß ein kleines dreijähriges Mädchen. Das erklärte die Tapete und noch so einiges andere.
    „Meine kleine Tochter, Katharina“, erklärte Olga und sah etwas nervös zu den beiden Männern.
    Sie wusste offenbar nicht, wie sie reagieren würden. Lester war gleich fasziniert und setzte sich neben sie.
    „Was sind das denn für kleine bunte Dinger?“ fragte er lustig.
    „Duplo“ sagte die Kleine in einem Tonfall, dass man sowas doch aber eigentlich wissen müsste.
    Olga setzte sich neben sie und hielt ein kleines braunes Kaninchen hoch.
    „Hast du das Kaninchen schon gefüttert?“
    „Ja, und jetzt bau ich einen Stall.“
    Dazu zimmerte sie die Duplosteine brachial zusammen und setzte eine Art Käfig oben drauf. Sie öffnete die Tür und nahm ihrer Mutter das Kaninchen aus der Hand und warf es in den Käfig. Gorn stand eine Zeit lang unschlüssig herum und setzte sich dann dazu.
    „Gorn, richtig? Seid ihr schon lange befreundet?“
    „Äh…“
    Gorn wechselte einen Blick mit Lester.
    „Bestimmt schon …“
    „Fast vier Jahre und wir haben schon einiges durchgestanden. Auf Gorn kann man sich wirklich verlassen“, sagte Lester offen.
    Das beruhigte Olga sehr. Offenbar hatte sie das Gefühl, Lester jetzt gut genug zu kennen, um seinem Urteil zu vertrauen. Sie redeten noch eine Weile, während Katharina mit dem Duplo spielte. Hauptsächlich ging es darum, was Olga im Moment alles um die Ohren hatte. Lester fand, dass sich das alles nach schrecklich viel Stress anhörte und er war froh, dass er ein einfaches Leben hatte, wo er sich um sowas nicht zu kümmern brauchte.
    „Es brennt!“ krähte Katharina.
    Gorn zuckte zusammen und sah sich um. Kein Rauch zu sehen.
    Katharina setzte eine Plastik Flamme auf den Kaninchenstall.
    „Na, dann muss jetzt die Feuerwehr kommen und das Kaninchen retten!“ sagte Olga in einem dramatischen Tonfall.
    Katharina stürzte zum Duplo Kasten und kramte laut und polternd darin herum.
    Es klingelte an der Tür.
    „Mist!“ stieß Olga aus.
    Sie warf Lester einen unsicheren Blick zu und kaute auf ihrer Unterlippe.
    „Könnt ihr mal kurz auf sie achten?“
    „Klar, kann ja nicht schwer sein“, sagte Lester naiv.
    Olga sah nicht glücklich damit aus ihr Kind zu verlassen, aber sie vertraute Lester so weit, dass sie ihnen den Rücken zudrehen konnte. Sie ging zur Tür und sah nach wer es war. Sie hörten, wie sie sich gedämpft mit jemandem unterhielt, dann warf sie noch einen Blick zurück und verließ ihre Wohnung, ließ aber die Tür offen.
    „Hab ihn gefunden“ krähte Katharina und hielt eine schokoladenbraune Duplofigur hoch.
    Es war ein Feuerwehrmann, sogar mit Feuerwehraxt.
    „He, der Typ sieht genauso aus wie du“, sagte Lester und grinste Gorn an.
    Gorn verdrehte die Augen und wirkte genervt.
    „Los, jetzt muss aber auch das kleine Tier gerettet werden, oder soll es verbrennen?“
    „Dann gibt es schönen Braten“, kam es von Gorn.
    Katharina sah ihn schockiert an.
    „Nein! Das wird gerettet.“
    Sie ließ den Feuerwehrmann zum Kaninchenstall rennen, rupfte das Feuer vom Stall und holte das Kaninchen aus seiner Box.
    „Gerettet.“
    Dann warf sie den Feuerwehrmann in den Käfig. Lester lachte.
    „Sie weiß gleich, dass du ständig hinter Gittern sitzt. Ein schlaues Kind.“
    „Haha“, kam es tonlos von Gorn.
    Von draußen wurden die Stimmen jetzt immer lauter. Es wurde ein ausgewachsener Streit.
    „Wollen wir mal nachsehen, was deine Kundin da draußen für Probleme hat?“ fragte Gorn, dem so etwas interessanter vorkam, als zu sehen wie sein alter Ego im Kaninchenstall ein langweiliges Dasein fristete.
    Lester und er standen auf und gingen zur Tür.
    „Eintausend Euro, sofort! Oder ich setz euch auf die Straße!“ herrschte ein dicker, schmieriger Kerl sie an.
    „Du weißt genau, dass wir das Geld nicht haben“, sagte Olga laut, aber verzweifelt.
    „Dann packt eure Sachen!“
    „He, immer langsam“, sagte Gorn und betrat mit seiner eindrucksvollen Erscheinung den Flur.
    Der Typ, der wohl Olgas Vermieter war, wurde sofort aschfahl im Gesicht und schrumpfte in sich zusammen.
    „Gib ihr doch noch etwas Zeit, immerhin muss sie sich auch um ihr Kind kümmern.“
    „Das ist doch nicht mein Problem“, wagte sein Gegenüber zu sagen, aber es klang nicht so selbstbewusst wie es sein sollte.
    Lester verzog sein Gesicht in einem Anfall von Hilfsbereitschaft von der er dachte, dass er sie später noch mal bereuen würde. Doch was er vorhatte wäre das einfachste, um diese stressige Situation zu beenden.
    „Hier, nimm das und verschwinde!“
    Er drückte dem Vermieter eine Rolle Geld in die Hand. Der blickte ungläubig darauf, sah es kurz durch und glotzte Lester verwundert an, dann ging er wortlos die Treppe hinunter und verschwand.
    „Lester, was hast du da gemacht?“ fragte Olga, nicht weniger überrumpelt, als ihr Vermieter.
    „Dir aus der Patsche geholfen, oder wo nach sah das aus? Ich kann doch meine beste Stammkundin nicht verlieren.“
    Gorn sah ihn verwundert an. Sicher, Lester hatte nie so einen großen Bezug zu Geld wie Diego und war auch kein Geschäftsmann wie er, aber dass er so viel Geld einfach mal hergab hätte er auch nicht erwartet. Lester ahnte wohl was seinem Freund durch den Kopf ging.
    „He, sieh mich nicht so an. Ich konnte nicht mit ansehen wie er die beiden rauswirft.“
    „Eher hätte ich ihm einen Satz warmer Ohren verpasst“, kam es von Gorn, der jetzt die Arme vor der Brust verschränkte.
    „Das hätte das Problem aber auch nicht gelöst. Vermutlich wäre dann nur wieder die Mil…. Äh… die Polizei gekommen und hätte dich eingesperrt und ich will nicht, dass du schon wieder im Knast landest.“
    „Hmm…“ grummelte Gorn und sah auf den Boden.
    Es störte ihn selbst, das er immer wieder hinter Gittern landete. Olga ging wieder in die Wohnung, um nach ihrer Tochter zu sehen. Die hatte den unbeobachteten Moment genutzt um eine Schublade aus einem Schrank zu reißen und allen Inhalt um sich herum zu verstreuen.
    „Schätzchen, was machst du denn da?“ fragte Olga leise.
    Sie wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. Sie war eine Frau, die einfache Verhältnisse gewohnt war und in ihrem Leben hatte sie schon viele Enttäuschungen und Rückschläge verkraften müssen. Sie war es gewohnt mit ihren Problemen allein dazustehen. Höchstens auf die Hilfe ihrer Mitbewohnerin Natascha konnte sie bauen. Doch es war ganz und gar merkwürdig, dass ihr jemand aus so einer großen Notlage heraushalf und am allerwenigsten hätte sie erwartet, dass ihr Dealer ihr Retter sein würde. Sie griff sich ihre Tochter und setzte sie vor den heruntergekommenen Röhrenfernseher, den sie jetzt anschaltete und auf ein Kinderprogramm wechselte. Dann ging sie wieder zu Gorn und Lester, die jetzt vorne im Flur standen.
    „Ich … ich geb dir das Geld natürlich zurück, sobald ich kann.“
    „He, es ist alles gut, mach langsam und wenn du wieder Land siehst, dann kannst du mir das Geld immer noch geben.“
    „Ich … Ich … ich kann das gar nicht fassen, dass du mir einfach so viel Geld geliehen hast, mir aus dieser schlimmen Lage geholfen hast“, sagte Olga immer noch ganz aufgewühlt.
    „Ach was… ich hab hier noch viel mehr Geld, da fällt das bisschen gar nicht weiter auf“, sagte Lester, um sie zu beruhigen und zog noch einige Tausender Bündel aus der Tasche.
    Olga sah ihn ungläubig an. Gorn patschte seinem Kumpel eine seiner riesigen Pranken auf die rechte Schulter.
    „Ich glaub, du hast noch nicht ganz begriffen wie viel das eigentlich war, was du da gerade weggegeben hast. Komm jetzt, oder wollen wir noch Wurzeln schlagen?“
    „Aber das Sumpfkraut!“ sagte Lester empört, wie sein Freund das denn vergessen konnte.
    Er zückte ein Päckchen aus der anderen Tasche und warf es der völlig verblüfften Olga zu.
    „Aber nicht alles auf einmal rauchen.“
    Sie streckte ihm einen Zwanziger entgegen und ihre beiden seltsamen Gäste verließen daraufhin das Treppenhaus.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 21:00 Uhr)

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    Das Lagerhaus

    Der Held stand jetzt vor dem genannten Lagerhaus. Er hatte sich seine beste Rüstung angezogen. Es war die schwere Drachenjägerrüstung. Sie war unbequemer, schwerer und nicht so beweglich wie die leichte Drachenjägerrüstung, die er bevorzugte, doch war diese noch beschädigt und er hatte sie noch nicht reparieren lassen können. Die schwere Drachenjägerrüstung hatte außerdem den Vorteil, dass sie einen Helm hatte. Lester hatte ihn natürlich von seiner Auseinandersetzung mit Miftahs Leuten berichtet. Schusswaffen nannten sich diese Dinger, wie Elyas ihnen erklärt hatte. Lang und breit hatte er sich über Funktion und Wirkung dieser Waffen ausgelassen. Der Held wusste nicht, ob seine Rüstung den Kugeln standhalten würde, doch das würde er schon noch herausfinden. Er sah sich noch einmal um, dort hinter einem der zugestaubten Fenster meinte er eine Bewegung ausgemacht zu haben. Er lächelte. Sie waren also da und warteten nur noch auf ihn. Er freute sich. Endlich war mal wieder so richtig was los. Er hatte sich schon wirklich angefangen zu langweilen. Er öffnete die schwere Tür und trat ein. Drinnen regte sich nichts. Scheinbar war niemand da. Es war größtenteils dunkel, nur hin und wieder waren helle Flecken auf dem Boden verteilt, wo das Licht durch die staubigen Fenster drang. Die Halle reichte zum Teil bis zu den Dachfenstern, doch links gab es eine weitere Etage, wo sich wohl einige ehemaligen Verwaltungsräume befanden, die in der Finsternis lagen. Er hörte auch etwas quietschen, dass sich nach Metall anhörte. Im gewohnten Dauerlauf lief er immer weiter, bis er im Dunkeln den Umriss einer Person erkannte.
    „Also, du wolltest ein Treffen? Hier bin ich. Worum geht’s?“ kam der Held wie immer schnell auf den Punkt.
    Den Mann vor sich konnte er, aufgrund der Dunkelheit, nur undeutlich erkennen. Er war etwas kleiner als er selbst, aber in guter Form, hatte offenbar kurze Haare und einen Bart. Er konnte keine Waffen erkennen. Er selbst hatte auch noch nichts angelegt, weil er meinte, seinen Gesprächspartner so zu verschrecken und das wollte er ja nicht. Womöglich würde er sonst noch abhauen bevor es überhaupt zum Kampf kommen konnte. Der Mann in der Dunkelheit wiegte leicht den Kopf hin und her.
    „Ich hatte gesagt, du sollst den Koch mitbringen!“
    „Er ist im Moment unterwegs, aber du kannst auch mit mir über alles sprechen“, sagte der Held leichthin, so als würden sie ganz unbeschwert miteinander plauschen.
    Er spürte den musternden Blick seines Gegenübers auf sich. Ein Geräusch von weiter oben sagte ihm, dass sich in den oberen Etagen seine Männer versteckt hielten. Das würde noch interessant werden.
    „Was hast du da an?“ fragte sein Gegenüber skeptisch, mit einer Spur Häme in der Stimme.
    „Was wohl? Eine Rüstung natürlich. Ich bin verwundert, dass du keine trägst, soll das jetzt deine guten Absichten vortäuschen? Dann wärst du aber schön blöd.“
    Der Mann schnaubte.
    „Du bist hier blöd. Dein freches Mundwerk bringt dich in dein Grab.“ Laut rief er: „Los Männer! Knallt ihn ab!“
    Aus der oberen Etage ertönte Knallen und Kugeln flitzten um den Helden. Er stand ebenfalls im Dunkeln, so dass seine Gegner nur erahnen konnten wo er sich befand, doch dieser Schutz währte nicht lange. Ein Flutlicht flackerte auf und tauchte die Lagerhalle in jähe Helligkeit. Da der Held mit einem Hinterhalt gerechnet hatte, schaltete er schnell und ging zum Angriff über. Er verpasste dem Kerl, der jetzt ebenfalls eine Pistole zog, im Vorbeilaufen einen harten Schlag auf den Kopf. Seine gepanzerten Handschuhe hinterließen ordentlich Eindruck. Der Kerl brach zusammen, bevor er auch nur einen Schuss hatte abgeben können. Kugeln prasselten jetzt auf den Helden nieder. Die starke Panzerung an seinen Schultern, und dem Oberkörper bewahrte ihn vor Schaden, doch ein scharfer Schmerz durchzuckte ihn und er musste feststellen, dass die Teile seiner Rüstung, die beweglich sein mussten, nicht stark genug gepanzert waren, um ihn zu schützen. Schon hatte ihn eine Kugel am linken Ellenbogen und im linken Unterschenkel durchschlagen. Sicher wäre es jetzt normal gewesen einfach zusammenzuklappen und liegen zu bleiben, der Held sah darin aber keinen Nutzen und lief einfach weiter. Eine Blutspur hinter sich herziehend hielt er auf einen Kistenstapel zu, hinter dem er Deckung suchte. Hatte er die Schusswaffen unterschätzt? Es war ein scheinbar ungünstiger Platz, da er sich zentral im Raum befand und er trotzdem noch von oben getroffen werden konnte, wenn seine Gegner nur über die Kisten hinwegzielten. Doch der Held hatte schon etwas geplant. Er zog eine Feuerregen Rune hervor und begann die Magie zu wirken. Seine Gegner sahen nicht, dass er eine Gefahr für sie war und feuerten munter weiter von ihren Positionen oben aus den Geschäftsräumen und einem metallenen Wegesystem, von wo sie einen hervorragenden Blick auf ihr Opfer hatten. Das Lachen verging ihnen jäh, als ein Regen aus Feuer auf das Lagerhaus niederging, die Fenster zersplitterten und schließlich auf sie einprasselte. Unter lautem Schreien und Fluchen versuchten sich die Männer in Sicherheit zu bringen. Der Held nutzte die Verwunderung und die somit eingetretene Feuerpause, um eine Beschwörung zu beginnen. Unter eindrucksvollem Getöse erschien ein steinerner Golem, der jetzt vor den Kisten stand und ihm als Schutzschild diente. Zuerst tat er überhaupt nichts, stand einfach nur stumm und starr herum, wie eine Statue. Der Feuerregen hatte nur zwei Schützen niedergestreckt, die das Pech hatten unter Fenstern zu stehen, die Anderen sammelten sich jetzt wieder, blieben von den Fenstern weg, obgleich der Regen jetzt nur noch tröpfelte, und versuchten um diese ominöse Statue herumzuschießen. Das gelang nicht so wie geplant und der Golem wurde getroffen. Tatsächlich richtete das aber keinen nennenswerten Schaden an. Die Kugeln prallten einfach ab und hinterließen nur winzig kleine Kerben. Damit hatte der Held gerechnet. Bei einem Golem musste man schon mit stumpfen Waffen heran, um ihn zu besiegen. Doch nun war der Golem alarmiert. Jemand war eine Gefahr und musste folglich beseitigt werden. Unter lautem Stampfen drehte er sich um und lief auf die Schützen zu. Zuerst brachte das nicht sehr viel, weil er ständig nur unter dem Metallgitter herumlief, auf dem die Männer standen. Wegfindung war noch nie sein Ding gewesen. Die Treppe hinauf ignorierte er gekonnt. Doch immerhin waren die Schützen beschäftigt, denn so ein Steinhaufen, der eigentlich gar nicht da sein sollte, war ein viel auffälligeres Ziel, als ein scheinbar unbewaffneter Spinner in einer Rüstung. Ohne Unterlass verpulverten sie eine Salve nach der anderen an dem Golem und die Querschläger stoben nach allen Richtungen, so dass einer der Schützen am rechten Fuß getroffen wurde. Er heulte auf und knickte ein. Währenddessen hatte der Held die Zeit genutzt, um eine weitere Beschwörung durchzuführen. Diesmal war es ein Feuerdämon. Der hatte zwar keine Beine, aber Flügel und kaum war er eindrucksvoll unter rotem Glühen aus dem Boden aufgestiegen, flog er auch schon los und schnappte sich den nächstbesten Typen auf dem Metallsteg. Der war völlig überrascht, denn da er auf den Golem gezielt hatte, stand er mit dem Rücken zum Dämon. Er schrie erschrocken auf, doch viel Zeit hatte er nicht herauszufinden was ihn da gepackt hatte. Der Dämon griff ihn an der Gurgel drückte zu und zermatschte ihm den Hals. Dann ließ er ihn einfach fallen wie ein Stück Müll. Dumpf schlug der Körper in der unteren Etage auf. Die anderen hielten kurz in ihrem Metallgewitter inne und blickten zu ihrem neuen Gegner. Der Dämon hielt sich nicht mit einer Vorstellung seinerseits auf, sondern flog schnurstracks zum nächsten Typen und fegte ihn mit einem Schwinger nach unten in den Dreck, wo er seiner Meinung nach wohl hingehörte. Der Mann kreischte und jaulte vor Schmerz, als er unten aufschlug. Es fügte sich, dass er daran noch nicht starb, doch der Golem kam herbei und änderte diesen Zustand, in dem er sich den Typen mit seiner steinernen Pranke griff und mit dem Gesicht voran gegen die nahe Wand schmetterte. Der lähmende Schockmoment war überwunden, jetzt brach die nackte Panik aus. Alle ballerten wie von Sinnen auf den Dämon, der fauchte und brüllte und jetzt rasend vor Wut war. Er stieß einen Schwall Flammen aus und verwandelte den nächststehenden Schützen so in eine Fackel. Der Held hatte währenddessen einen mittleren Heilzauber auf sich gewirkt und die Klaue Beliars hervorgkramt. Es hatte überraschend lange gedauert und er nahm sich vor seine Freunde noch mal daran zu erinnern, dass sie ihm ihren Kram bald mal wieder abnehmen konnten. Er lief auf den Anführer zu, den er zuvor bewusstlos geschlagen hatte und der sich jetzt anschickte sich unter Stöhnen wiederaufzurichten. Der Mann fluchte und griff nach seiner Pistole, die noch neben ihm lag und wollte auf ihn schießen, doch der Held war abermals schneller. Er machte sich nicht die Mühe groß auszuholen, sondern stach einfach zu. Kaum durchfuhr die Klinge das Fleisch seines Feindes, entlud sie einen tödlichen Blitz, fast so, als hätte sie nur darauf gewartet endlich wieder Blut zu kosten. Der Held setzte seinen desaströsen Weg ungebremst fort und verwandelte die Lagerhalle in ein Schlachthaus. Der Kampf war zwar sehr kurz, aber überaus brutal und am Ende waren nur noch er, sowie der Golem und der Dämon übrig. Die beiden Wesen mochten mit diesem Zustand wohl nicht leben, denn kaum fehlte es an Gegnern, gingen sie gegenseitig auf einander los. Der Golem stürmte auf den Dämon zu, der von oben heruntergekommen war, und versuchte ihn wegzuschlagen, doch unerwarteter Weise steckte der den Schlag einfach weg und hieb jetzt ebenfalls aus. Der Held stand oben auf dem Metallgitter, stütze sich auf sein Schwert, dass noch im Leichnam eines Gegners steckte und sah dem Kampf interessiert zu. Dabei dachte er sich, dass das doch sicher eine neue viel spannendere Art des Zweikampfs war. Kämpfende Kerle hatte ja schon wirklich jeder gesehen, aber zwei Monster die sich kloppten, das war doch mal was Besonderes. Sicher, er hatte das zwar schon mehrfach erlebt, denn immer, wenn er mehrere Beschwörungen unterschiedlicher Art herbeirief, führte das letztendlich zu einem finalen Zweikampf, aber er dachte sich, dass es für die normale Bevölkerung sicher ein Nervenkitzel wäre. Er beschloss es Tyson vorzuschlagen und gerade als er diesen Gedanken fasste zerschlug der Dämon den Golem und der Geröllhaufen fiel in sich zusammen. Mit seinen üblichen dämonischen Atemgeräuschen schwebte das Ungeheuer jetzt auf der Stelle herum, ganz so, als wenn nichts weiter gewesen wäre. Der Held sah ein, dass jetzt nichts mehr weiter passieren würde, zog Beliars Klaue mit einem Knirschen aus dem Brustkorb seines Opfers und steckte es wieder in seine Hosentasche zurück. Er lief die Metalltreppe hinunter zum Dämon und befahl ihm hier zu warten, damit er ihm nicht hinaus auf die Straße folgte. Der Dämon ließ nicht erkennen, ob er ihn verstanden hatte oder nicht. Er schwebte einfach weiter unbeteiligt herum. Dem Helden war das wohl egal, er verließ das Lagerhaus und trat in die kühle Nacht hinaus. Er war gerade erst über die Straße gegangen, da hörte er von oben aus dem zweiten Stock des nahen Eckhauses einen Pfiff. Es war Diego. Er stand auf einem leeren Balkon, hatte wohl die Lage beobachtet und auf der Lauer gelegen, falls sein Freund seine Hilfe benötigen würde.
    „Sieht so aus, als wärst du wie immer ganz alleine mit dem Problem fertig geworden“, sagte der ehemalige Schatten mit Respekt in der Stimme.
    „Hm… ja, einen Moment habe ich geglaubt, ich hätte diese Schusswaffen unterschätzt, aber als dann der Golem da war und für Verwirrung gesorgt hat, war es eigentlich kein Problem mehr.“
    „Soll der jetzt im Lagerhaus bleiben?“ fragte Diego skeptisch.
    „Nein, mein Dämon hat ihn zerbröselt.“
    „Und den lässt du jetzt dort zurück?“ fragte sein Freund weiter.
    „Hm… jetzt wo du es ansprichst, vielleicht keine gute Idee. Ich rufe ihn später ins Versteck, dort kann er sich als Wächter nützlich machen.“
    „Na, da werden sich aber welche freuen“, sagte Diego sarkastisch.
    Es war nicht schwer Tyson zu finden. Für Gorn stand heute wieder ein Kampf an und er war als Kassenleiter natürlich mit dabei. Die Halle hatte sich bereits bestens gefüllt. Gorns letzter Kampf hatte sich weit herumgesprochen. Gorn stand in einer Ecke. Vor ihm lag ein zerhackter Tisch. Offenbar gehörte es wieder mal zur Show seine Axt zu schwingen und zu demonstrieren was er damit alles anstellen konnte. Sein Gegner, ein Typ wie ein Schrank, wirkte durchaus eingeschüchtert, versuchte aber seinerseits den starken Max zu markieren. Sie umkreisten sich, dann schlug Gorn los. Es wurde eine wilde Keilerei und die Menge jubelte ihnen begeistert zu. Diego und der Held fanden auch Lester, der am Geländer, in der oberen Etage stand und Sumpfkraut paffte. Das hier war der perfekte Ort um sein Kraut zu verkaufen. Er hatte bereits alles was er dabei hatte an den Mann gebracht, so dass er jetzt entspannen konnte.
    „He Lester, alles klar?“ fragte der Held im Plauderton.
    „Sicher, warum auch nicht?“ fragte Lester unbekümmert.
    „Gab eine Auseinandersetzung mit diesem Clan“, erklärte Diego und Lester sah jetzt tatsächlich beunruhigt aus.
    Er hatte sein letztes Aufeinandertreffen mit diesen Leuten nicht vergessen.
    „Mach dir keine Sorgen, ich habe die Angelegenheit geklärt“, sagte der Held. „Die anderen sind jetzt bestimmt so eingeschüchtert, dass sie erstmal unter sich bleiben.“
    „Bist du dir da so sicher?“ fragte Diego, weil er diese Aussage naiv fand. „Wenn das wirklich so ein großer und mächtiger Clan ist, wie Elyas meint, dann kann ich mir denken, dass sie viel mehr auf Rache aus sind. Wir sind es, die zukünftig ordentlich aufpassen müssen.“
    „Sollen sie nur kommen“, sagte der Held kampflustig.
    Lester sah so aus, hätte ihm jemand Mist in sein Sumpfkraut getan. Zu allem Überfluss musste Diego auch noch anmerken: „Sie haben nach dir gefragt. Ich schätze, du als Koch stellst für sie eine Schlüsselfigur dar. Wenn sie dich kriegen, dann ist es aus mit dem Sumpfkraut und das wollen sie doch vermutlich. Naja, und Rache natürlich.“
    Lester lief leicht grün an.
    „Dabei hatte der Tag so gut angefangen“, murmelte er niedergeschlagen vor sich hin.
    Gorns Kampf unten geriet zur Nebensache. Lester und Diego sahen zwar zu, hingen aber ihren eigenen Gedanken nach und der Held bahnte sich einen Weg zu Tyson, um ihn von seiner Idee mit den Monsterkämpfen zu überzeugen.
    „Monsterkämpfe?“ fragte der verwundert, weil er sich davon wohl keine Vorstellung machen konnte.
    „Zwei Monster kämpfen gegeneinander, was ist daran nicht zu verstehen?“ fragte der Held ungeduldig.
    Tysons Augenbrauen berührten sich fast, so verwundert schaute er drein.
    „Ok, Gorns Kampf ist sowieso der Höhepunkt des Abends, wenn das danach Mist sein sollte, ist es eh egal. Wenn du willst können wir diese Monsterkämpfe gleich ausprobieren. Ich weiß zwar nicht, wo du diese Viecher herbekommen willst, aber das ist ja dein Problem.“
    Tyson zählte weiter Geld, was ihn wohl an etwas erinnerte.
    „Ich werde jedenfalls Wetten drauf abschließen. Ich muss die Monster ja irgendwie nennen, was sind denn das für Viecher?“
    „Hm…“
    Der Held dachte nach.
    „Ich denke, es sollte zuerst was Einfaches sein, damit wir sehen können, ob es so funktioniert wie gedacht. Wolf gegen Goblin wäre doch ein guter Einstiegskampf.“
    „Goblin?“ fragte Tyson nach. „Was soll der Mist?“
    „Mist? So ein Goblin ist sehr agil und wird den Kampf interessant machen.“
    Tyson hatte wohl keine Lust mit ihm zu diskutieren, denn er seufzte genervt und sagte dann: „Ok, und wie nenne ich die? Wenn ich die Ansage hört es sich doch bescheuert an, wenn ich einfach nur sage: „Und jetzt Wolf gegen Goblin.“ Haben die irgendwelche Namen?“
    Der Held zog die Stirn kraus. Immer das mit den Namen.
    „Also der Wolf heißt Waldi und … wie könnte man einen Goblin nennen?“
    Tyson stieß genervt die Luft aus.
    „Was weiß ich, Gobbo halt, mir egal, Hauptsache das Vieh kriegt einen Namen. Den ersten Kampf müssen wir aber wohl eh erstmal austesten. Die Leute wetten auf nichts Unbekanntes.“
    Seine Worte gingen im Jubel der Menge unter, als Gorn seinen Kontrahenten nach Strich und Faden verdrosch und schließlich besiegte.
    „So, dann mal rein mit dir in die Arena und bring deine Monster.“
    Während zwei große wuchtige Kerle Gorns Gegner vom Boden hochzerrten, lief der Held in den Kampfbereich, klopfte Gorn auf die Schulter und sagte ihm so, dass er jetzt übernahm.
    „Unser Freund, …“ Tyson überlegte kurz, entschied dann, dass er seinen Namen vergessen hatte, räusperte sich und sprach weiter: „hat uns etwas mitgebracht, dass noch nie hier gezeigt wurde.“
    Der Held zog die Rune und beschwor Waldi. Von jetzt auf gleich stand er vor seinem Herrn und schaute ihn folgsam an. Staunen breitete sich in der Menge aus, wie eine Laola-Welle. Leute von weiter hinten drängelten sich nach vorn, oder stiegen die Treppe hinauf, um von oben eine bessere Sicht zu haben. Hatte man vorher schon den Eindruck, es wäre voll, so wimmelte es jetzt wie in einem vollbesetzten Ameisenhaufen. Der Held lief ein paar Schritte und beschwor jetzt ein Goblinskelett. Obwohl es seiner Stimmbänder beraubt war, quiekte es wie ein waschechter lebendiger Goblin. Die leeren Augenhöhlen richteten sich sofort auf Waldi. Auch der Wolf wandte sich ihm sofort zu, knurrte drohend und bleckte die Zähne. Es war wie der Held erwartet hatte. Sie gingen sofort aufeinander los. Er verließ den Kampfplatz und stellte sich an die Seite, um zu beobachten wie es enden würde. Tyson hatte es die Sprache verschlagen. Das war ungewohnt für ihn, doch er fasste sich wieder und sagte dann doch noch an: „Es kämpfen jetzt Waldi der Wolf gegen Gobbo den Goblin.“
    Die beiden genannten hatten längst angefangen. Gobbo hatte seinen vergammelten Ast erhoben und stürmte auf Waldi zu, der aber auswich und dann von der Seite angriff. Er bekam das Schulterblatt des Goblins zu fassen und zerrte daran. Gobbo quiekte und grollte und versuchte sich aus dem Kiefer zu befreien. Er wand sich, so dass Waldis Zähne abrutschten und nur mehr seinen rechten Arm festhielten. Mit links zog er dem Wolf mit seinem Ast eins über den Schädel. Waldi ließ los und schreckte winselnd zurück. Die Zuschauer gafften staunend und brachen jetzt in laute Anfeuerungsrufe aus. Eilig wurden wieder allerorts Smartphones gezückt, um den Kampf aufzunehmen. Jeder hatte bereits für sich entschieden, wem er die Daumen drückte und wildes, Ohrenschmerzen verursachendes Geschrei hallte durch den hohen Raum. Währenddessen griff Gobbo, den Ast hoch erhoben, an und hieb dem Wolf weitere Schläge auf den Pelz. Das Tier wurde rasend, knurrte bedrohlich wie noch nie, fletschte die Zähne und schnappte geifernd zu. Es bekam den Ast zu packen. Das Holz knackte unter der Kraft von Waldis Kiefern. Der Wolf wollte dem Goblin die Waffe wegnehmen, doch der ließ nicht los. Die beiden Beschwörungen rangen unter drohenden Lauten um den Ast, wie zwei Parteien beim Tauziehen. Ständig wechselten sie ihren Standort, um den Gegner auf dem falschen Fuß zu erwischen, tänzelten über den Boden und versuchten den anderen zu übertölpeln. Waldi hatte den Vorteil, dass er auf vier Beinen stand und mehr Kraft besaß. Mit einem heftigen Ruck riss er seinen Kopf nach oben, stellte sich dazu auf die Hinterbeine und riss Gobbo damit den Ast aus den Händen. Waldi taumelte, fiel um und spuckte den Ast aus. Gobbo sah ihn einen Moment unsicher an und rannte dann vor ihm weg. Waldi richtete sich bedrohlich knurrend auf und rannte ihm nach. Einmal im Kreise herum, ging die wilde Jagd, denn die Menschen standen so dicht, dass selbst für das kleine Goblinskelett kein Durchkommen war. Waldi holte Gobbo ein, sprang und streckte ihn nieder. Gobbo versuchte kriechend fortzukommen, doch Waldi packte ihn am Fußgelenk und riss es ab. Die Knochen flogen in alle Richtungen und sprangen selbst noch in das wilde Gedränge der Leute, die staunend Augen und Münder aufrissen und jubelten, angesichts der gezeigten Brutalität. Sowas hatten sie wirklich noch nicht gesehen. Gobbo jammerte und versuchte mit den Händen fortzukriechen, doch Waldi war es wohl egal, denn er schnappte jetzt seinen Brustkorb und zerlegte ihn knirschend mit wilden Bissen. Gobbo starb mit einem quälenden Laut und alles was blieb waren ein Häufchen Knochen auf dem Boden, über die sich Waldi jetzt hermachte. Als wäre das alles ganz normal hockte er da und nagte an den Knochen seines früheren Kontrahenten. Die Zuschauer konnten es wohl noch gar nicht richtig fassen, denn zuerst hielten sie alle zusammen die Luft an. Nur Waldis nagen war zu hören. Dann brach lautes Geplapper los. Die Leute waren begeistert. So etwas hatte es noch nicht gegeben. Das war vollkommen neu, richtig brutal und damit sehr unterhaltsam. Schon bestürmten einige Leute Tyson und bewarfen ihn fast schon mit Geld, damit es einen weiteren Monsterkampf gab. Lester drängte sich zum Helden durch.
    „Waldi setzt du jetzt aber nicht wieder ein, oder?“ fragte er.
    Seine Stimme schwankte zwischen Furcht und Strenge.
    „Wieso, warum auch nicht?“ fragte der Held, der sehr zufrieden mit seiner Idee war.
    „Naja, es ist doch Waldi. Ich mag ihn und ich fände es schade, wenn er stirbt.“
    Der Held sah Lester verwundert an. Er hatte sich zwar auch an die Anwesenheit des Wolfes gewöhnt, doch Lester mochte den Wolf wohl wirklich.
    „Wenn er stirbt, ist es doch nicht schlimm, ich kann ihn doch jederzeit erneut herbeirufen.“
    „Trotzdem“, beharrte Lester auf seinen Standpunkt. „Vielleicht könnte er es uns übelnehmen. Er hat doch schon einen Kampf gewonnen.“
    „Na schön, dann nimm ihn mit“, sagte der Held, dem es jetzt auch egal war.
    Lester lief sofort auf Waldi zu, der selig an seinem Futter knusperte und sagte: „Na komm mit Waldi. Du hast es für heute geschafft.“
    Waldi schaute Lester aus seinen braunen treuherzigen Wolfsaugen an, schluckte den Bissen herunter, der ihm noch im Hals steckte und schaute zu seinem Herrn hinüber. Der ruckte mit dem Kopf. Offenbar sollte er mitgehen. Waldi schnappte sich den Brustkorb des ehemaligen Goblinskeletts, richtete sich auf und lief Lester hinterher, der sich durch die Menge drängte, die jetzt eilig Platz machte und hinter dem Wolf hersah. Sie liefen die Treppe hinauf und aufs Geländer, wo sich Waldi wieder niederließ und erneut an den Knochen herumkaute. Der Held trat wieder in die Mitte des Kampfplatzes und beschwor abermals Gobbo. Der sah seinen Herrn kurz aus dunklen, leeren Augenhöhlen an und wandte sich dann um. Er rannte mit hoch erhobenem Ast zum Rand der Arena, blieb abrupt stehen und schaute ärgerlich kreischend zu Waldi hinauf, der an seinem vorherigen Körper herumknabberte. Der Goblin kam nicht heran, er konnte nur empört von einem knochigen Fuß auf den anderen hopsen und seinen Ast drohend schwingen. Waldi ließ das kalt. Er tat so, als ob er den Goblin da unten gar nicht kennen würde und ihn das alles gar nichts anging. Währenddessen war der Held bereits dabei eine weitere Beschwörung durchzuführen. Tyson brüllte: „Und jetzt ein Kampf zwischen Gobbo dem Goblin und dem Golem … ähm… Bob.“
    Leute reichte bereits Geld zu ihm, die Wetten waren voll am Laufen und der Geschäftsmann hatte alle Hände voll zu tun. Bob, der Golem, erschien wie bestellt und schaute sich nach seinem Gegner um, indem er die rechte Hand an seine Stirn hob und aus reglosen Augenlöchern umherstarrte. Gobbo hatte seinen Gegner natürlich schon entdeckt und rannte mit wild schwingendem Ast auf den Steinklotz zu, offenbar froh jemanden zu haben, an dem er all seinen Ärger auslassen konnte. Wild hämmerte er auf den Golem ein, der zuerst nicht ganz begriff was da passierte. Er sah auf das kleine Skelett hinunter, dass seine Knie kitzelte und stieß mit dem Fuß nach ihm, doch Gobbo war flink und wich rechtszeitig zurück. Er tänzelte um seinen großen Gegner herum und versetzte ihm saftige Schläge, die freilich nicht viel ausrichteten, außer dass sein Holz platt gehauen wurde. Dieser Kampf war tatsächlich nicht so aufregend wie der letzte, da es hauptsächlich darum ging, dass Gobbo um Bob herumhopste und seinen Frust ausließ und Bob hin und wieder mal nach dem kleinen Kerlchen schlug, ihn aber nicht traf. Dem Jubel der Menge tat dies keinen Abbruch. Es war allein schon die Tatsache ein Goblinskelett gegen einen Golem kämpfen zu sehen. Das reichte schon an Außergewöhnlichkeit. Schließlich landete Bob doch noch einen Treffer und Gobbo zerfiel in seine Einzelteile. Da die meisten Spieler auf Bob gewettet hatten, fiel der Gewinn nicht sehr hoch aus. Tyson hatte das schnell erledigt und flitzte dann eifrig zum Helden, der bereits in die Mitte ging, um den nächsten Kampf zu starten. Sie berieten sich kurz und der Held wartete, damit Tyson den nächsten Kampf ansagen konnte und die Wetten diesmal ordentlich platziert werden konnten.
    „Als nächstes kämpft Bob, der Golem gegen Elmo das Ninja Skelett.“
    Der Held wartete und beschwor das Geschöpf erst, als Tyson mit einem Nicken seine Zustimmung gab. Elmo erschien und mit einem ratschenden Geräusch zog er seinen rostigen Zweihänder, den er sich selbst zwischen die Knochen gesteckt hatte, um eine Halterung für das Schwert zu haben. Der Held verdrückte sich an den Rand und wartete gespannt ab. Seiner Meinung nach war der Golem in klarem Vorteil. Elmo war aber beinahe ebenso wendig wie Gobbo. Geschickt wich der den Backpfeifen von Bob immer wieder aus, so dass er überhaupt keinen Schaden einstecken musste. Dagegen säbelte Elmo immer wieder auf Bob ein. Die Angriffe waren im Gegensatz zu denen von Gobbo wirklich ernst zu nehmen. Das rostige Metall zog lange Kerben ins Gestein. Immer weiter wich Bob zurück, weil Elmo ohne Unterlass auf ihn einhackte. Der Held dachte fast, das rostige Schwert würde am Gestein zerbrechen, doch unfassbarer Weise hielt es durch und Bob geriet in die Zwickmühle. Er musste immer weiter zurückweichen und drängte jetzt die Menschen hinter sich weg, die eilig zur Seite sprangen, um dem wandelnden Steinhaufen Platz zu verschaffen. Die Stimmung war zum Zerreißen gespannt. Auch diesmal war es ein ohrenbetäubender Lärm, doch manche der Zuschauer waren schlicht zu gespannt, um irgendwelche Töne von sich zu geben. Staunend sahen sie einfach dem Kampf zu und konnten immer noch gar nicht fassen was sie da eigentlich sahen. Die Smartphones liefen heiß, während sie den Kampf filmten. Bob kam gar nicht mehr aus der Defensive heraus. Erbarmungslos attackierte Elmo ihn bis zum letzten. Sie hatten den halben Weg durch das Gebäude genommen, als Bob sich schließlich in sein Schicksal fügte und auseinanderfiel. Elmo steckte sofort sein Schwert weg und stand wie zur Salzsäule erstarrt einfach nur da und wartete auf neue Befehle. Der Held beobachtete ihn misstrauisch. Ein Gedanke war gewesen, dass die Beschwörungen die Menschen angreifen könnten, doch waren es offenbar so viele, dass sie gar nicht mehr als einzelner Feind wahrgenommen wurden. Vielleicht würde sich dies ändern, wenn sie dem beschworenen Wesen zu nahe kamen. So dumm war aber offenbar keiner. Die Zuschauer hatten jetzt zwar einen Kreis um das Skelett gebildet, das sie aus leeren, finsteren Augenhöhlen anstarrte, aber sie wagten nicht näher zu kommen, oder es gar zu berühren. Tyson jubelte, denn dieser Abend war ein voller Erfolg gewesen.
    „Super Idee, diese Monsterkämpfe. Hier nimm!“
    Er häufte dem Helden einen Stapel Geld auf, der gar nicht wusste, was er damit anfangen sollte. Er steckte es erstmal in seine Hosentasche.
    „Aber das Skelett nimmst du doch auch wieder mit, oder?“
    „Sicher, ich beam mich gleich nach Hause und hol es dann nach.“
    „Was machst du?“ fragte Tyson verwundert.
    „Beamen, das sagt man hier doch so.“
    Der Held zwinkerte ihm bedeutungsvoll zu. Tyson sah ihm ratlos dabei zu, wie er eine weitere Rune griff und von jetzt auf gleich einfach verschwand. Kurz darauf zerfiel Elmo in seine Einzelteile. Die Zuschauer schauten erst verdutzt, dann stürzten sich alle auf die Knochen, als wäre es pures Gold. Wildes Gedränge setzte ein und brachiale Keilereien starteten, aufgeheizt von der Stimmung, um ein Stück der Kämpfer mit nach Hause zu nehmen, oder vielleicht zu Geld zu verwerten.

    Milten hatte es in letzter Zeit wirklich nicht leicht. Eigentlich reichte es ihm schon, dass er, obwohl das eigentlich zu erwarten war, auf dem Platz, wo vor einiger Zeit der Mittelaltermarkt stattfand, nicht das geringste bisschen Magie hatte aufspüren können. Doch als er dann zum Krankenhaus zurückkehrte, hatte er feststellen müssen, dass er von überallher nicht nur mit den üblichen neugieren Blicken, sondern auch mit nervösen und ängstlichen bedacht wurde. Milten war nicht auf den Kopf gefallen, er konnte sich denken, dass es mit dem nächtlichen Überfall zusammenhing. Hatte Astrid es frei heraus überall herumerzählt? Vielleicht war sie immer noch so durcheinander und mitgenommen, dass sie sich einfach mitteilen musste? Eine ältere Krankenschwester sprach ihn an und sagte ihm in distanziertem Ton, dass die Leiterin des Krankenhauses ihn zu sprechen wünschte. Das konnte nichts Gutes verheißen. Unruhig machte sich Milten auf den Weg. Es stellte sich heraus, dass die Ursache all dieses Aufhebens wirklich der nächtliche Zwischenfall war. Die Leiterin fragte zwar nach, ob Astrid oder er verletzt wurden wären, aber wichtiger schien es ihr dann doch zu sein herauszufinden unter welcher Motivation der Feuermagier seine beiden Widersacher zurückgeschlagen hatte. Vielleicht zweifelte sie an Miltens guten Absichten, obwohl er der Meinung war, er hätte sie schon zur Genüge bewiesen, da er so vielen Menschen hier geholfen hatte. Im Laufe des Gesprächs wurde klar, dass sie fürchtete, er könnte durch all den Stress psychisch instabil geworden sein. Milten wollte dem sofort wiedersprechen, aber dann fiel ihm ein, dass es zumindest teilweise stimmte. Ja, er war gereizter als sonst, ja, vielleicht wäre ihm ein besserer Ausweg eingefallen, wenn er nicht so viele Manatränke zu sich nehmen würde und stattdessen mehr Schlaf bekam und ja, vielleicht war er im Vergleich zu den anderen Leuten hier tatsächlich etwas anders zu Gewalt eingestellt, auch wenn er das noch in Myrtana nie für möglich gehalten hätte. Das alles ging er in kurzer Zeit im Kopf durch, doch sprach er nichts davon laut aus. Er dachte, dass das seine Lage nur noch verschlimmern würde. Stattdessen versicherte er, dass es reine Notwehr war und nicht wollte, dass Astrid verletzt wurde. Zudem beteuerte er, die schwächsten Feuerzauber benutzt zu haben, um die Banditen zu vertreiben. Daraufhin hob die Leiterin eine Augenbraue, sagte aber dazu nichts weiter. Sie entließ ihn, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass er sich hier in einer Gesellschaft befand, in der Gewalt nicht toleriert wurde. Milten ging mit dem Gedanken hinaus, dass ihm seine bisherigen Erlebnisse in dieser Welt aber ein etwas anderes Bild zeichneten. Sicher, mit den Zuständen in Myrtana war es ganz gewiss nicht zu vergleichen, aber immerhin wurden all die Machenschaften seiner Freunde noch nicht mit irgendwelchen Strafen bedacht. Und das war schon ein starkes Stück, wenn er bedachte was schon so alles geschehen war. Erstaunt stellte er fest, dass er tatsächlich froh war, dass es so war. Er wollte Gorn oder einen der anderen nicht aus dem Gefängnis befreien oder herausreden müssen. Als er weiter darüber nachdachte war er bestürzt über seine eigenen Gedanken. Offenbar war er nicht so moralisch integer, wie er gedacht hatte. Sicher, ein allzu strenger Verfechter der Gesetze war er nie gewesen, denn irgendwie musste man schließlich durchkommen, doch gab es immer moralische Grenzen, die er nicht überschreiten wollte und er konnte es gar nicht leiden konnte, wenn seine Freunde sie sorglos und scheinbar ohne nachzudenken übertraten. Gedankenverloren trat er ohne zu klopfen ins Bereitschaftszimmer und stieß dort überraschend auf Astrid und ihren Vater, die offensichtlich in ein Streitgespräch verwickelt waren. Als sie sahen, wie sich die Tür öffnete, verstummten sie jäh.
    „Oh, Entschuldigung, ich wollte nicht stören“, sagte Milten verlegen und wollte schon wieder verschwinden, doch Günther sagte rasch: „Nein, du kannst ruhig reinkommen. Du kommst gerade zur rechten Zeit. Hab ich nicht Recht?“
    Sein letzter Satz galt seiner Tochter, die er jetzt mit einem Blick bedachte, den Milten nicht ganz deuten konnte. War es Verärgerung, oder Strenge? Eigentlich rechnete der Feuermagier selbst mit einer Strafpredigt, immerhin war er ihr Vater und stand somit bestimmt auf ihrer Seite, weswegen er sehr verwundert war, dass er sie mit so einem Blick bedachte.
    „Ich habe gehört, was passiert ist,“ begann Günther. „Astrid rief noch in derselben Nacht zuhause bei meiner Frau und mir an und erzählte es ganz aufgeregt.“
    „Und ich habe meine Meinung nicht geändert,“ wollte Astrid offenbar das Gespräch wiederaufnehmen, dass der Feuermagier unwissentlich unterbrochen hatte.
    „Ich finde du tust ihm Unrecht“, erwiderte Günther.
    „Milten hat einfach so ein paar Feuerbälle beschworen und die Männer damit beworfen“, sagte Astrid fast schon hysterisch.
    Es war ganz klar, sie hatte die gestrige Situation noch nicht verdaut.
    „Ich wollte dich nur beschützen“, erklärte Milten.
    „Da hast du es“, sprang ihm unvermutet Günther bei. „Und ich bin froh, dass du meine Tochter vor Schaden bewahrt hast“, wandte er sich jetzt direkt an den Feuermagier.
    „Ich verstehe nicht wie du auf seiner Seite sein kannst“, reagierte die Krankenschwester pikiert.
    „Was genau ist eigentlich dein Problem?“ fragte Milten.
    Diese Direktheit war eigentlich nicht seine Art, aber er wollte jetzt endlich wissen, warum dieses Thema so lang und breit ausgewalzt wurde. Er wollte es einfach nur noch hinter sich lassen.
    Astrid druckste einen Moment herum und es sah schon fast so aus, als würde sie gar nichts mehr sagen.
    „Na…“ kam es von ihrem Vater, der offenbar auch wollte, dass sie jetzt endlich den Mund aufmachte.
    Sie holte tief Luft und dann sprudelte es nur so aus ihr heraus: „Ich hab einfach die ganze Zeit geglaubt, dass du ein netter Kerl bist, der anderen gerne hilft und sich für andere einsetzt und dann muss ich herausfinden, dass du ein abgestumpfter Gewalttäter bist.“
    Die Worte trafen Milten hart. So würde er sich ganz sicher nicht selbst einschätzen und es erschreckte ihn, dass Astrid ihn jetzt so sah.
    „Wie kommst du denn darauf?“ fragte er fassungslos.
    „Wie ich darauf komme?“
    Astrids Stimme wurde wieder höher.
    „Du hast nicht einmal gezögert, bevor du sie mit deinen Feuerbällen beworfen hast.“
    „Genau genommen waren es Feuerpfeile und in meiner Heimat ist es so, dass wer sich nicht wehren kann und zögert nicht lange zu leben hat.“
    „Da hast du es“, sagte Günther, als wenn Milten ausgesprochen hätte, was er schon immer gesagt hatte. „Ich muss sagen, mir gefallen diese Umstände auch nicht, aber Milten hat versucht dich vor diesen Typen zu beschützen. Das ist mir lieber als ein feiger Hund, der dich einfach stehen lassen würde und selbst abhaut.“
    „Ach, du hättest die beiden Typen also auch angegriffen?“ giftete seine Tochter ihn an. „Da hab ich meinen Vater wohl all die Jahre falsch eingeschätzt und diese pazifistischen Reden, die du in meiner Kindheit immer geschwungen hast? Alles nur leeres Gerede, oder was?“
    „Liebes, du kannst doch hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichen“, sagte Günther und seine Stimme wurde weicher. „Wenn ich überfallen werden würde, dann würde ich bestimmt nicht angreifen, schon gar nicht wenn ich von mehreren Leuten bedroht werde. Ich würde meine Brieftasche und mein Smartphone zu ihnen werfen, vielleicht noch meine Armbanduhr und darauf hoffen, dass sie mich dann in Ruhe lassen. Wenn die mies drauf sind oder ihnen meine Visage nicht passt, schlagen sie mich dann vielleicht noch zusammen. Nein, ich wäre vermutlich nicht mutig genug, um mich solchen Leuten entgegenzustellen.“
    Er warf Milten einen bewundernden Blick zu. Der Feuermagier war immer noch erstaunt. Er hatte wirklich damit gerechnet, dass Günther ein paar strenge Worte mit ihm wechseln würde.
    „Nach allem was Milten über seine Heimat erzählt hat, geht es da wohl sehr raubeinig zu. Wie kannst du da erwarten, dass er von heute auf morgen sein Verhalten ändert, wenn es ihm bisher immer genutzt hat?“
    „Trotzdem“, kam es ein bisschen bockig von Astrid, ohne dass sie weitere Gegenargumente vorbringen konnte.
    „Wenn Milten sich erstmal richtig eingewöhnt hat, dann wird er sich an unsere Lebensweise schon anpassen, aber wir müssen ihm dabei helfen, damit er merkt, dass man hier normalerweise nicht hinter jeder Ecke etwas Schlimmes befürchten muss.“
    Milten hob verwundert eine Augenbraue. Nicht nur, dass er gar nicht vorhatte den Rest seiner Tage hier zu verbringen, auch wenn er zugeben musste, dass es vielleicht so kommen könnte, die zerhackten Leichen in den Plastikbehältern sagten ihm, dass auch hier nicht alles Friede Freude Eierkuchen war und es bestimmt nicht schaden konnte wachsam zu sein. Doch Günthers Worte lösten abermals ein flaues Gefühl in ihm aus. Nie mehr nach Hause zu kommen, dieser Gedanke wurde ihm fast unerträglich. Er fühlte sich immer noch schuldig, weil er es vielleicht gewesen war, der ihren Teleport vermasselt hatte. Außerdem wurde er das Gefühl nicht los, dass inzwischen vielleicht sogar von ihm erwartet wurde, dass er hierblieb. Unvermittelt klopfte es an der Tür und ohne, dass sie jemand hereingebeten hätte, traten die Polizisten Nagel und Klein ein.
    „Feuermagier Milten?“
    Herr Nagel betonte das „Feuer“ extra, was Milten nichts Gutes ahnen ließ. Hatte seine Notwehr doch noch weiter nach sich ziehende Folgen? Hatte die Krankenhausleitung sie vielleicht gerufen?
    „Was gibt es?“ fragte er einfach nur, und versuchte möglichst gefasst auszusehen.
    „Heute Morgen haben wir einen Tatort entdeckt. Zuerst sah es nach einem Bandenkrieg unter Verbrechern aus, aber der Umstand, dass über dem betreffenden Lagerhaus wohl Feuer geregnet hat, lässt darauf schließen, dass da Magie im Spiel war und da hab ich mich sofort an Sie erinnert.“
    Für eine Schrecksekunde schien Miltens Herz abzustürzen. Was hatte der Held jetzt wieder gemacht? Denn wer sonst könnte dahinterstecken? Ein Feuerregen mitten in der Stadt, was war denn da nun schon wieder passiert? Und da machte er sich Sorgen, er würde unmoralisch handeln.
    „Ich war’s nicht“, war das Einzige, was er im Moment hervorbrachte.
    Er hob abwehrend die Hände, aber fühlte sich trotzdem ertappt. Warum mussten die Aktionen seiner Freunde so oft auf ihn zurückfallen?
    „Das hat auch niemand behauptet“, schnarrte Herr Klein, bedachte Milten aber mit einem aufmerksamen Blick.
    Die rasche Antwort und das Verhalten des jungen Mannes ließen ihn stutzen. Seine Menschenkenntnis sagte ihm, dass dieser Mann indirekt sehr wohl etwas mit dem Fall zu tun haben könnte.
    „Wir brauchen ihre … Expertise, um diese Sache weiter bearbeiten zu können, denn immerhin ist Feuermagie doch ihr Fachgebiet, oder?“
    „Sicher.“
    „Dann kommen Sie bitte mit. Ich habe das schon mit der Leiterin abgesprochen, sie werden so lange von ihrer Arbeit freigestellt.“
    Herr Klein bedachte die anderen beiden, die sprachlos da standen, nnoch mit einem Blick und damit war es der erste, den er ihnen zuwarf, dann ging er nach Milten aus dem Raum.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 21:00 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Spurensuche

    Vor dem Lagerhaus standen mehrere Polizeiwagen und geschäftig wuselten Polizisten und andere Leute, offenbar Angestellte, hin und her, ohne das Milten erkennen konnte, was ihre Aufgaben waren. Herr Klein und Herr Nagel hielten zielstrebig auf die Tür des Lagerhauses zu. Innen schlug Ihnen ein unangenehmer Geruch entgegen. Hier waren noch mehr Menschen beschäftigt. Ein älterer, grauhaariger, hagerer Herr hielt ein Gerät in der Hand, dass hin und wieder Blitze verschoss und auf besonders grausige Hinterlassenschaften gerichtet war. Milten sah sich mit einem flauen Gefühl im Magen um. Für ihn stand außer Frage, dass niemand anders als sein Freund das hier verbrochen haben konnte.
    „Ganz offensichtlich hat jemand dieses Lagerhaus in ein Schlachthaus verwandelt. Wir haben zwar unsere eigenen Vermutungen, aber wir sind sehr gespannt auf ihre fachkundige Meinung Herr Feuermagier“, sagte Herr Klein, eine unüberhörbare Spur Hohn in der Stimme, den Milten aber an sich abprallen ließ.
    Er hatte im Moment ganz anderes worüber er sich Sorgen musste. Wie viel sollte er ihnen sagen? Sie würden bestimmt nicht eher Ruhe geben, bis sie Antworten auf ihre Fragen hatten, dennoch wollte er seinen Freund auch nicht verraten. Aufmerksam stand er vor einer großen Blutlache. Die Spritzer deuteten darauf hin, dass das Blut von oben herabgetropft war. Dort lag die Leiche eines Mannes, den Milten von hier unten durch die Metallgitter nur undeutlich erkennen konnte. Der Feuermagier vermutete, dass sein Freund ihn mit Beliars Klaue niedergestreckt hatte. Sein Blick verweilte einen Moment auf dem Leichnam, dann wechselte er seinen Standort, um sich weiter umzusehen. Er kniete sich hin und fuhr mit den Fingern über die Brandspuren auf dem mit Glassplittern und Patronenhülsen übersäten Boden. Herr Klein und Herr Nagel tauschten einen gespannten Blick.
    „Ja, ohne jeden Zweifel ein Feuerregen.“
    Milten erhob sich wieder und sah nach oben zu den zerborstenen Fenstern. Dann ging er zielgerichtet auf den Steinhaufen zu, der mal ein Golem gewesen war. Die beiden Polizisten folgten ihm. Auch dort blitzte das Licht des Fotoapparats des Angestellten auf. Dann schulterte der Mann sein Gerät und ging von dannen, offenbar war seine Arbeit hier erledigt. Der Steinhaufen war seiner Meinung nach offenbar das am wenigsten interessante Objekt gewesen, was Milten klarwerden ließ, dass die Leute hier ganz offensichtlich nicht wussten womit sie es hier zu tun hatten.
    „Wissen Sie was das hier ist?“ fragte Milten deswegen an die Polizisten gerichtet.
    Der Feuermagier wartete sehr gespannt auf eine Antwort. Herr Nagel und Herr Klein warfen sich einen verwunderten Blick zu und Herr Nagel sagte dann etwas steif: „Ein Steinhaufen. Etwas merkwürdig, dass er hier so mitten im Raum liegt. Wir suchen noch eine logische Erklärung.“
    Es war ihm deutlich anzuhören, dass er es nicht mochte sich als Unwissender zu offenbaren, deswegen schob er wohl diese dürftige Erklärung vor.
    „Das ist ein Golem“, erklärte Milten ruhig, ohne den Blick davon zu lösen und deswegen sah er die skeptischen Blicke seiner Begleiter nicht.
    „Ein … was?“ fragte Herr Nagel.
    Doch sein Kollege hatte wohl schon davon gehört.
    „Sie meinen, so eine Art bewegliche Steinstatue?“
    „So in der Art, ja“, Milten legte einige der Steine beiseite, woraufhin Herr Nagel schon protestieren wollte, doch sein Kollege hielt ihn zurück.
    Offenbar war er neugierig was der Magier tun würde. Der zog einen großen steinernen Kopf hervor und zeigte ihn den Beamten. Die wirkten immer noch nicht ganz überzeugt. Mit den Fingern fuhr Milten einige Risse und Kerben nach. Hier und da war im Stein auch eine Kugel stecken geblieben.
    „So wie es aussieht diente er als eine Art Schutz vor diesen Kugeln.“
    „Und die haben ihm dann den Garaus gemacht?“ fragte Herr Klein halb belustigt.
    „Nein, das war ein Dämon, ist hier an diesen brachialen Kratzspuren sehr gut zu erkennen.“
    Herr Kleins Lachen blieb ihm im Halse stecken.
    „Ein Dämon? Sie meinen, so wie einer aus der Hölle?“
    Jetzt war es an Milten verwundert auszusehen. Aber wenn die Hölle wirklich das Äquivalent zu Beliars Reich war, dann war es verständlich warum dieser Mann das dachte.
    „So in der Art.“
    Er ließ die beiden einfach stehen und sah sich weiter um. Die Polizisten standen einen Moment unschlüssig herum und folgten ihm dann mit einer Mischung aus Unbehagen und Neugier. Milten blieb an einer Wand stehen, wo sich ein bizarrer Anblick bot. Ein Mann war regelrecht in die Wand hineingestanzt wurden. Zersplitterte Knochen stachen aus seinem zermalmten Körper heraus. Es war ein Anblick, der nicht leicht zu ertragen war.
    „Und was ist Ihrer Meinung nach hier passiert?“ fragte Herr Nagel mit schnarrender Stimme.
    „Der Golem hat einen … Herrn … in diese Wand gedrückt“, sagte der Feuermagier trocken.
    „Sie nehmen das alles viel zu gefasst auf, finde ich“, sagte Herr Nagel misstrauisch. „Ganz so, als wäre es vollkommen normal, wenn Steindinger Leute in Wände hauen und Feuer vom Himmel fällt.“
    „Und Menschen aufgeschlitzt werden“, fügte sein Kollege hinzu.
    Milten sah sie mit zusammengekniffenen Augen an.
    „Ich versuche es aus einer objektiven Perspektive zu betrachten, um eine möglichst unverfälschte Sicht auf die Dinge zu bekommen. Ich vermute sie arbeiten ähnlich?“
    Seine Frage bewirkte peinlich berührtes Schweigen, bis Herr Nagel endlich sagte: „Naja, aber wir sind ja auch vom Fach und Sie sind …“
    „Ein Feuermagier“, sagte Milten, so als würde das alles erklären.
    Er wandte sich zur Seite und ging die Metalltreppe hinauf, wo weitere Leichen lagen. Am schauderhaftesten waren die völlig verkohlten Überreste von drei Männern. Der Übelkeit erregende Gestank, der in der Luft hin, intensivierte sich hier oben. Milten blieb vor einem Körper stehen, der so schwarz war wie Holzkohle.
    „Und war …?“ fragte Herr Klein.
    „Der Dämon, genau wie das da hinten und das da unten“, Milten zeigte auf einen zerfetzten Leichnam und einen der unten auf dem Boden lag, dessen Hals zerquetscht war.
    „Bei einigen anderen hier gehen wir aber vom Tod durch einen spitzen Gegenstand aus“, sagte Herr Nagel, weil er es nicht so aussehen lassen wollte, als wenn sie gar nichts herausgefunden hätten.
    Er führte Milten zu einer Leiche, die fürchterlich zugerichtet war. Offenbar hatte jemand seinem Opfer erst die rechte Hand abgeschlagen und dann dem Oberschenkel eine tiefe Wunde beigebracht, woraufhin der Mann hintenüberfiel. Der Killer hatte dann seine Waffe im Brustkorb seines Feindes versenkt und herumgerissen, wodurch Knochen brachen und zersplitterten und Herz, Magen und Lunge vollständig zerrissen wurden. Milten sah so eine Leiche nicht zum ersten Mal. In Myrtana war es üblich Feinde derart zur Strecke zu bringen, um sicher zu gehen, dass sie auch auf jeden Fall tot waren.
    „Wir vermuten als Tatwaffe ein Schwert“, sagte Herr Nagel, der jetzt neben Milten stand.
    Es war nicht zu überhören, dass er etwas überrascht über diese Tatwaffe war. Doch Milten sagte nur: „Ja, sieht ganz so aus.“
    Herr Nagel taxierte den Feuermagier.
    „Ich kann mich dem Eindruck nicht erwehren, dass Sie mehr wissen, als sie uns sagen wollen.“
    „Wirklich?“ fragte Milten ruhig.
    „Ja,“ kam es zurück.
    Herr Nagel wirkte sehr angespannt und der Feuermagier konnte sich denken, dass nicht viel fehlte und der Polizist würde andere Saiten aufziehen, um an die Wahrheit zu kommen.
    „Sie sagten, es handele sich um einen Kampf zwischen Verbrechern?“ fragte Milten, um einen Ausgangspunkt für eine Erklärung zu haben, die sowohl die Polizisten zufrieden stellen würde, als auch seinen Freund nicht verraten würde.
    „Wir vermuten es. Diese Typen hier gehören zu einem Familienclan, der fest in der kriminellen Welt dieser Stadt verankert ist.“
    „Dann sieht es doch so aus, als hätte ihnen jemand einen Gefallen getan“, versuchte Milten dem Ganzen etwas Positives abzugewinnen, obwohl er innerlich am liebsten laut geschrien hätte.
    Ein Teil von ihm wollte seinen Freund nicht länger decken. Gerechtigkeit und Ordnung mussten doch noch irgendeinen Wert haben. Doch die Treue zu seinem Freund war viel stärker als seine moralischen Bedenken und er wusste nicht, ob das gut war.
    „Nun hören Sie mal gut zu. Wir sind hier nicht bei einem Superheldencomic. Irgendwelche einsamen Rächer in der Nacht können wir hier nicht brauchen. Mord ist Mord. Klar sind es jetzt ein paar Verbrecher weniger, aber so läuft das hier nicht. Wer eine Strafe begeht, muss in Gewahrsam genommen und einem Gericht vorgeführt werden, damit er sich dort für seine Taten verantwortet. Wir verurteilen Selbstjustiz. Außerdem sieht es meiner Meinung nach ganz so aus, als wäre das hier bloß der Anfang eines Konflikts, der sich anbahnt und das beunruhigt mich. Sehen wir uns doch nur mal um.“
    Mit weit ausholender Geste wies er auf seine mit Blut und Leichen bestückte Umgebung.
    „So etwas geschieht, wenn es denn überhaupt passiert, eigentlich erst dann, wenn eine Lage endgültig eskaliert, also ein Bandenkrieg schon länger in Gange ist, oder vor sich hin schwelt. In diesem Fall ist das anders. So ein Ausbruch von Brutalität, schier aus dem Nichts, das ist ungewöhnlich. Bis vor wenigen Wochen war hier noch alles ruhig. Wir können immer noch nicht sagen, wer diese zweite Partei ist. Offenbar hat es da überhaupt keine Opfer gegeben.“
    Milten wollte gerade sagen, dass es immerhin den Golem da unten gab, aber er konnte noch den Mund halten, bevor ihm die Worte entwischten.
    „Vielleicht haben Sie ja eine Idee?“ fragte Herr Nagel und seinem Ton war anzumerken, dass er glaubte der Feuermagier wisse ganz genau wer dahintersteckte.
    Milten wich der Frage aus, indem er sagte: „Nach dem was ich mir zusammengereimt habe, könnte ich mir folgendes Szenario vorstellen: Die beiden Parteien haben sich hier zu einem Treffen verabredet, doch es lief nicht wie gedacht, oder eine Seite hatte es von vornherein als Hinterhalt geplant. Die Männer von diesem Clan fingen an zu schießen, woraufhin der andere den Golem beschwor, um sich einen Schutzschild zu schaffen. Hm… aber das war wohl erst später, denn der Feuerregen hätte den Golem vernichtet. Also muss der vorher eingesetzt wurden sein. Später wurde dann noch der Dämon beschworen, außerdem war wohl ein Schwert die Tatwaffe.“
    „Der Andere?“ fragte Herr Nagel mit einem wölfischen Grinsen.
    Milten, der sich plötzlich bewusst wurde, sich verplappert zu haben, schaute für einen Moment tatsächlich verdutzt drein und sagte dann schnell: „Sie sagten doch selbst, es sind sonst keine Opfer von der Gegenseite vorhanden.“
    „Ja, ja, ich weiß, was ich sagte“, schnarrte der Polizist.
    Er warf seinem Kollegen einen triumphierenden Blick zu. Der feixte.
    „Nun“, sagte Herr Nagel, im Plauderton. „… wäre das für einen einzelnen eine schon fast unmögliche Aufgabe all diese Leute umzubringen, finden Sie nicht?“
    Milten errötete ungewollt. Der Wind hatte sich gedreht. Er ärgerte sich, in die Falle des Polizisten getappt zu sein. Sonst war er doch nicht so unaufmerksam. Der Feuermagier brauchte wirklich mal etwas Ruhe, um sich wieder besser konzentrieren zu können.
    „Immerhin reden wir hier von jemandem der Golems und Dämonen beschwören kann. Mehr Hilfe braucht es da doch gar nicht mehr.“
    „Hm… so, so…“ sagte Herr Nagel grinsend.
    Es machte ihm ganz offensichtlich Spaß mit Milten zu spielen.
    „Und Sie wissen nicht zufällig wo man so einen Herrn finden kann?“
    Für Milten wurde es jetzt sehr unangenehm. Wie kam er hier nur wieder raus?
    „Gut, nehmen wir mal an, sie würden den Schuldigen finden. Würden Sie wirklich riskieren wollen, dass ihre Männer im Feuerregen sterben, oder von beschworenen Viechern getötet werden?“
    „Soll das eine Drohung sein?“ fragte Herr Nagel leise, aber umso gefährlicher.
    „Es ist ein gut gemeinter Rat“, sagte Milten, der sich aber der Ahnung nicht erwehren konnte, sich nur immer weiter ins Schlamassel zu reden.
    „Hm…“
    Herr Nagel taxierte Milten eindringlich, so als könnte er etwas aus ihm herauslesen, wenn er ihn nur besonders intensiv und lange anstarrte. Der Feuermagier hielt seinem Blick stand.
    „Schön“, sagte der Polizist dann in einem Ton, als ob gar nichts schön wäre. „Ich denke mehr können wir im Moment nicht sagen, aber wir werden uns natürlich auf Spurensuche begeben und den finden, der für all das verantwortlich ist. Sie dürfen jetzt gehen.“
    Milten warf den beiden Polizisten noch einen aufmerksamen Blick zu, dann stieg er die Treppe wieder hinab und verließ gemächlichen Schrittes das Lagerhaus. Draußen bog er um eine Ecke und sah nach, ob ihm jemand gefolgt war. Niemand da. Zeit sich ins Versteck zu teleportieren und seinen Freund zur Rede zu stellen.

    Kaum materialisierte er sich wieder da befand er sich auch schon Auge in Auge mit einem Dämon. Milten wich erschrocken zurück. Der Dämon reagierte sofort auf die neue Situation und hob eine Klaue, um zuzuschlagen.
    „Halt!“ drang eine kraftvolle Stimme durch den Raum. „Das ist Milten. Er gehört zu uns, also greif ihn nicht an!“
    Der Dämon ließ nicht erkennen, ob und wenn ja welche Emotionen in diesem Moment durch seinen Kopf gingen. Er ließ den Arm einfach sinken und schwebte weiter schwer atmend vor sich hin. Milten stieß geschafft die Luft aus und kam endlich dazu sich umzusehen. Er war im Versteck. Ganz wie er es beabsichtigt hatte, stand er im Flur, wo jetzt aber auch der Dämon schwebte. Der Held war gerade aus der Tür zu einem der Zimmer gekommen, wo Lester Sumpfkraut anbaute.
    „Was macht dieses Vieh hier?“ fragte Milten mit ungewohnt schneidender Stimme und zeigte auf den Dämon.
    „Es gab ein kleines Problem mit Miftahs Jungs in einem Lagerhaus, da hab ich mir seine Hilfe geholt.“
    Der Held wies mit einer lapidaren Handbewegung auf den Dämon.
    „Aber den konnte ich ja schlecht dort lassen.“
    „Du hättest ihn töten können“, sagte Milten nachdrücklich.
    Der Dämon hinter ihm ließ nicht erkennen was er vom Vorschlag des Feuermagiers hielt.
    „Sicher, aber dann dachte ich mir, dass wir noch einen zusätzlichen Wächter gebrauchen könnten. Ich habe herausgefunden, dass Miftahs Leute sehr an Lester interessiert sind. Diego meint, sie wollen ihn töten, damit wir kein Sumpfkraut mehr herstellen können. Da habe ich natürlich an Lesters Sicherheit gedacht. Wenn der Dämon hier wacht, wird sich hier so schnell keiner von Miftahs Jungs an ihm vergreifen.“
    „Redet ihr über mich?“ kam es von links die Treppe herunter.
    „Da kommt ja unser Krautexperte.“
    Der Held schmunzelte und zwinkerte ihm zu.
    „Ich habe Milten und den Dämon gerade miteinander bekannt gemacht, damit sie sich nicht gegenseitig abmurksen.“
    Die Worte des Helden hörten sich so beiläufig an, als hätte er einem Gast seine Katze vorgestellt. Bei Lesters Gesichtsausdruck wurde klar, dass auch er nicht gerne in Gesellschaft des Dämons war.
    „Naja, wenn du sagst, dass der Dämon hier sein muss.“
    „Ich denke nur an deinen Schutz“, erklärte der Held.
    Lesters Stirn furchte sich, angesichts dieser plötzlichen Führsorge.
    „Wenn es so weit ist, dann muss die Kacke wirklich am Dampfen sein.“
    „Das kann man wohl laut sagen. Ich hab dein … kleines Problem mit Miftahs Leuten gerade gesehen“, knurrte Milten. „Darüber müssen wir reden.“
    Der Feuermagier warf einen finsteren Blick zum Dämon, der ausdrucklos zurückstarrte, dann winkte er seine Freunde, damit sie ihm in den Nebenraum folgten. Hier standen immer noch die Tische, die Tabo aufgebaut hatte, als sie ankamen. Das Sumpfkraut war seitdem zweimal herangezüchtet und geerntet wurden. Gerade reckten sich wieder ein paar junge Pflanzen in die muffige Luft.
    „Wieso hast du Miftahs Leute gesehen?“ fragte der Held interessiert.
    „Weil die Polizei bei mir war.“
    Lester und der Held sahen sich verwundert an.
    „Warum das?“
    Milten stieg die Zornesröte ins Gesicht.
    „Ja, warum wohl? Vielleicht weil es in der Stadt ein Lagerhaus voll mit Leichen gibt?“
    Der Held ließ sich nicht anmerken, wie er zu seinen Taten stand. Er fragte einfach nur: „Aber wie kommen sie da auf dich?“
    „Der Feuerregen, den du verursacht hast. Da haben Sie sich sofort wieder an mich erinnert.“
    Lester und selbst der Held wirkten jetzt besorgt.
    „Glauben Sie, du hättest es getan?“ fragte Lester beunruhigt.
    „Ich weiß nicht, ich denke nicht, aber vielleicht glauben Sie, ich hätte teilweise etwas damit zu tun. Ich hatte das Gefühl, dass sie denken, ich würde den Täter kennen.“
    „Na, so falsch liegen sie da ja nicht“, kam es vom Helden.
    „Hör bloß auf! Das ist nicht lustig“, sagte Milten streng. „Die beiden Polizisten haben mich zum Lagerhaus gebracht und wollten, dass ich ihnen sage, was dort passiert sei.“
    „Und? Was hast du ihnen gesagt?“ fragte der Held gespannt. „Hast du ihnen gesagt, dass ich es war?“
    „Nein, natürlich nicht, aber es war wirklich schwer sowohl ihre neugierigen Fragen zu beantworten, als auch dich zu schützen. Warum müssen eure Taten immer wieder auf mich zurückfallen?“ fragte Milten genervt.
    „Weil wir Kumpel sind“, erklärte Lester leichthin.
    Milten seufzte. Es war offensichtlich, dass er sehr gestresst war.
    „Die Polizei hat mich jetzt auf dem Kieker und es wird wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis sie dann auf euch kommen.“
    „Meinst du?“ fragte Lester zweifelnd.
    Der Feuermagier rollte mit den Augen.
    „Natürlich, ich wundere mich sowieso warum sie euch noch nicht auf die Schliche gekommen sind. Ihr macht euch ja nicht mal Mühe das Sumpfkraut irgendwie heimlich zu verkaufen. Ganz offen quatscht ihr auf der Straße Leute an, damit sie das Sumpfkraut kaufen. Hauptsache Geld, Geld, Geld, haben, haben, haben, umso mehr, umso vieler.“
    Lester und der Held sahen sich an, unsicher, ob sie Milten über etwas in Kenntnis setzen sollten, oder nicht. Dem Feuermagier kam ein furchtbarer Verdacht.
    „Soll das etwa heißen, …“ begann er wütend und seine Stimme wurde mit jedem Wort schneidender „dass ihr längst genug Geld beisammenhabt, um es euch gut gehen zu lassen und trotzdem noch weiter Sumpfkraut verkauft, weil euch sonst langweilig wird?“
    „Kannst du Gedanken lesen, oder was?“ fragte Lester mit weit aufgerissenen Augen.
    Dieser Tropfen brachte das Fass zum überlaufen. Das war einfach zu viel für Milten. Tag für Tag rackerte er sich ab, bei dem Versuch den Menschen hier zu helfen, aber seine Freunde dachte nur an sich und langweilten sich sogar.
    „Das kann doch nicht euer ernst sein“, fuhr der Feuermagier seine Freunde an. „Ich … ich glaub’s einfach nicht.“
    Seine Freunde, die ihn noch nie so aufbrausend erlebt hatten, befürchteten schon er würde einen Herzkasper bekommen.
    „Milten, beruhige dich doch“, versuchte Lester ihn zu beschwichtigen.
    „Ich soll mich beruhigen?“
    „Ja, es ist nicht gut für dich, wenn du dich so aufregst. Hier, wir rauchen erstmal ein bisschen und kommen wieder runter und dann können wir ganz in Ruhe darüber reden.“
    Lester hielt ihm einen Stengel Sumpfkraut hin, doch Milten sah gar nicht so aus, als würde er sein Angebot annehmen wollen.
    „Wie oft soll ich es dir denn noch sagen? Ich rauche kein Sumpfkraut. Ich bin ein Feuermagier, verdammt!“
    Lester und der Held warfen sich einen Blick zu, der all ihre Besorgnis zum Ausdruck brachte. Wenn Milten so neben der Spur war, dann stimmte etwas ganz und gar nicht.
    „Weißt du,“ begann der Held und diesmal fehlte der normale Plauderton völlig, stattdessen sprach er ruhig und geduldig. „Der Feuermagier Isgaroth raucht auch ab und zu mal einen Stengel Sumpfkraut.“
    Milten war so verblüfft, dass er ganz vergaß sauer zu sein.
    „Wirklich?“
    „Ja, ich hab ihn öfter gesehen, wie er sich nachts im Mondschein einen Stengel ansteckte und dann genüsslich schmauchte. Seine Arbeit kann eben auch anstrengend sein, man denke nur an all die komischen Leute, die des Weges kommen und ihn vollquatschen und irgendwas von ihm wollen. Er braucht eben auch mal eine Auszeit. Und bei den Wassermagiern gibt es auch den einen oder anderen, der gegen etwas Sumpfkraut nicht abgeneigt ist. Wer war das noch gleich?“
    Der Held dachte angestrengt nach.
    „Ich glaube es war Riordian. Ja genau, Nefarius hatte sich mal wieder in Brand gesetzt und gerade als ich bei Riordian ein paar Tränke abholen wollte, da hatte er was geraucht. Ist also überhaupt nichts ungewöhnliches dran als Magier auch hin und wieder mal einen durchzuziehen.“
    Milten sah nachdenklich aus. Lester fand, er müsste seinen Kumpel zu seinem Glück zwingen und drückte ihm den Stengel einfach in die Hand. Dann zündeten er und auch der Held sich ihr Sumpfkraut an und sogen den Rauch tief in ihre Lungen. Milten merkte wohl, dass es jetzt nichts mehr brachte weiter diskutieren zu wollen. Er war schrecklich gestresst und genervt und hatte das Gefühl, dass es letztendlich immer er war, der sich um alles Gedanken machen musste. Wenn er ehrlich zu sich war, dann wollte er gar nicht mehr mit seinen Freunden streiten, er wollte sich nicht immer über alles Sorgen machen müssen. Hatte er es nicht auch mal verdient, sich einfach nur auszuruhen und nur mal dazustehen und gar nichts zu machen? Milten gab sich einen Ruck und zündete sich ebenfalls seinen Sumpfkrautstengel an. Sein erster Zug endete in Husten, doch wirklich abhalten tat es ihn auch nicht. Er nahm noch einen Zug und das Kraut entfaltete langsam seine Wirkung. All die Sorgen, die ihn plagten rückten in weite Ferne. Es war wie ein Wind, der all seine Gedanken aus seinem Kopf fegte. Für Milten war es eine völlig neue Erfahrung. Kein ewiges Nachdenken, keine Grübelei, keine Sorgen die ihn plagten. Ihm war, als hätte ihm jemand schwere Gewichte von den Schultern genommen. Ihm wurde ganz leicht ums Herz. Er atmete tief ein und aus und entspannte sich.
    „So fühlst du dich die ganze Zeit?“ fragte er an Lester gewandt.
    „Ist klasse, oder?“ grinste der.
    „Ja, so lässt es sich wirklich aushalten“, kam es zurück.
    Plötzlich verstand Milten warum sein Freund so scharf auf das Kraut war. Man musste sich nicht mit den harten Realitäten des Lebens herumplagen, es reichte einfach nur zu sein und allem seinen Lauf zu lassen. Sich einfach mal fallen lassen.
    „Mach dir keine Sorgen Milten, alles wird gut“, versicherte ihm der Held und klopfte ihm auf die Schulter, dann warf er Lester einen Blick zu, der wohl so etwas aussagen sollte wie: Du kümmerst dich um ihn, oder? Lester nickte und der Held warf seinen Sumpfkrautstengel auf den Boden und verließ den Raum. Milten war es tatsächlich egal. Er und Lester setzten sich auf den Fußboden, mit dem Rücken zur Wand, rauchten und kümmerten sich im Moment nicht um die Dinge der Welt.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 21:02 Uhr)

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    Die Museumsattraktion

    Der Held war wieder einmal in der Stadt unterwegs. Er hatte von Diego die Beschreibung eines Handlangers Miftahs bekommen. Das war bisher das einzige, was Diego weiter in Erfahrung bringen konnte. Natürlich wollte der Held sein Wissen sofort nutzen, um Miftah einen Schritt voraus zu sein. Er würde diesen Schergen von ihm umbringen. Doch ließ er Miltens Warnung nicht unbeachtet. Er würde sich etwas überlegen müssen, wie er ihn töten konnte, ohne, dass es auf ihn zurückfiel. Er überlegte sich in einen Wolf oder einen Warg zu verwandeln, doch auch da hatte der Feuermagier seine Bedenken geäußert. Etwas Wolfähnliches fiel also flach. Bei den vielen anderen Tieren, in die er sich verwandeln konnte wusste er nicht, ob es normal wäre, wenn sie durch die Stadt laufen würden. Er hatte bisher nur Hunde gesehen, die in seinen Augen vom Prinzip her ja auch nichts Anderes als Wölfe waren. Er grübelte so vor sich hin, als linker Hand ein großes Gebäude in sein Sichtfeld rückte. Eine kleine Straße führte direkt zu den Treppen des Gebäudes. Ein gut gekleideter Mann mittleren Alters saß dort auf den Stufen und starrte auf seine feinen Lederschuhe. Der Held fand, dass er bedrückt wirkte. Möglicherweise bot sich hier die Gelegenheit endlich mal wieder eine Aufgabe anzunehmen. Vielleicht fiel ihm dabei auch eine Lösung für sein anderes Vorhaben ein.
    „He du. Was ist dein Problem?“
    Der Mann sah zu ihm hinunter, was möglich war, weil er sich oben auf der Treppe befand und der Held unten.
    „Was?“
    „Wenn du ein Problem hast … bestimmt kann ich dir helfen“, offerierte der Held seine Hilfe.
    „Das glaube ich nicht. Es wurden schon zahlreiche Anstrengungen unternommen um dieses Problem zu lösen, aber auf lange Sicht nützt gar nichts.“
    „Worum geht es denn?“ ließ der Held nicht locker.
    „Es kommen kaum noch Besucher ins Museum“, erklärte der Mann und zeigte nach oben auf die mächtigen Eingangstüren des Gebäudes.
    Der Held wusste mit dem Begriff „Museum“ nichts anzufangen, doch er dachte sich, dass dieser Mann seine Hilfe nicht mehr annehmen wollte, wenn er sagte, dass er keine Ahnung hätte, wovon er redete.
    „Nun… ich bin ja hier“, sagte der Held Schulterzuckend. „Das ist doch immerhin ein Anfang.“
    Ein schmales Lächeln erschien auf dem Mund des Mannes.
    „Ja, schon … aber es bräuchte viel mehr Menschen. Es geht doch um Besucherzahlen…“
    „Könntest du mir das Museum mal zeigen?“ fragte der Held.
    Der Mann seufzte, sah sich um und sagte dann: „Warum auch nicht, ich hab im Moment ja eh nichts zu tun. Wochentags bei so schönem Wetter, da haben die Leute einfach anderes im Sinn, als ins Museum zu gehen.“
    Er richtete sich auf, klopfte sich ein bisschen Dreck ab und ging in das Gebäude hinein, nachdem er dem Helden ein bisschen Geld als Wegzoll abgenommen hatte. Es stellte sich heraus, dass er zum Museumspersonal gehörte und darauf achtete, dass niemand den Exponaten zu nahe kam. Der Held verstand ihn als Museumswächter. Es war tatsächlich sehr leer im Museum. Nur ein paar einzeln auftretende Leute, schlenderten durch die Hallen und sahen sich flüchtig mal dieses oder jenes Ausstellungsstück an. Das konnte der Held gar nicht verstehen, denn jetzt wo er hier drin war, hatte ihn die Neugier gepackt. Für ihn sah es so aus, als hätte man allerhand tote Viecher aufgestellt. Vielleicht war es die Trophäensammlung eines großen Jägers oder Helden. Die meisten dieser Biester waren höher als die Häuser in Myrtana und ein ganz besonders großes Exemplar mit langem Hals und Säulenbeinen konnte sich selbst mit manchen Häusern in dieser Stadt messen. Der Held überlegte, wie er so ein Tier wohl zur Strecke bringen könnte. Vielleicht ein Feuerregen, ja das wäre gut. Dieses Tier sah ihm nicht so aus, als würde es besonders schnell oder wendig sein. Doch hieß das nicht, dass es nicht gefährlich sein könnte, mit einem Tritt würde es das wohl für ihn gewesen sein. Der kleine Kopf ganz weit oben, sah aber nicht so aus, als würde er eine Gefahr sein.
    „Das frisst kein Fleisch, oder?“ fragte der Held und zeigte auf den winzigen Kopf.
    „Nein, nein, das war ein Pflanzenfresser. Giraffatitan heißt die Art. Wurde in Afrika entdeckt, lange Zeit haben wir ihn Brachiosaurus genannt, bis festgestellt wurde, dass es sich um unterschiedliche Spezies handelt. Das hier ist das größte montierte Dinosaurierskelett der Welt“, referierte der Mann in gewohntem Erklärungston.
    „Sehr beeindruckend“, erklärte der Held und verrenkte sich den Hals bei dem Versuch hinaufzuschauen.
    „Ja, nicht wahr? Man sollte doch annehmen, dass das ausreicht, um Besucher anzuziehen. Da haben wir jetzt auch noch all diesen Technikschnickschnack ins Museum eingebaut, Virtual Reality und so ein Zeug und trotzdem ist die Neugier der Leute verhalten.“
    Der Held verstand nicht ganz was er meinte, aber kümmerte sich im Moment auch nicht weiter darum. Er war damit beschäftigt sich umzusehen. Auch die kleineren, aber immer noch mächtig imposanten Exemplare um diesen Titanen herum, waren bestaunenswert. Der Held hatte sofort gesehen, dass die Schwänze der Tiere todbringende Waffen sein konnten. Davor müsste sich ein Jäger in Acht nehmen. Vielleicht würde er gar nicht zum Feuerregen kommen, wenn diese Riesen auf ihn eindreschen würden. Er zog den Hut vor demjenigen der diese Viecher, Dinosaurier, wie der Museumswächter sie nannte, zu Fall gebracht hatte. Er ging weiter herum, sah exotische Tiere mit Platten oder Stacheln auf dem Rücken und am Schwanz und als er sich umdrehte fiel ihm ein Tier ins Auge, dass er schon einmal gesehen hatte, jedenfalls so in der Art. Entschlossen lief er auf ein zweibeiniges Tier zu, dass er als Urvieh kannte.
    „So welche hab ich schon gesehen“, erklärte der Held rundheraus.
    Der Museumswächter stellte sich neben ihn und schien nicht überrascht.
    „Ja, das ist ein Allosaurus, von denen gibt es ganz viele. Auch hier in Deutschland gibt es einige Museen, die welche vorzuweisen haben. Klar für die Kinder ist das was tolles, aber die Erwachsenen sehen mal kurz hin, sagen, kenn ich schon und gehen weiter. Wollen sie mal unseren Star sehen?“
    Der Held war gespannt und ließ sich vom Wächter weiter ins Innere des Museums führen, vorbei an vielen weiteren Skeletten, Steinen und sogar einem Modell von Planeten und der Sonne, bei dem der Held kurz stehen geblieben war, um es zu betrachten. Dann merkte er, dass er den Anschluss verloren hatte und lief dem Wächter nach, in einen Raum wo ein einzelnes großes Skelett aufgestellt war. Es war nicht so riesig wie der Giraffatitan, dafür unverwechselbar ein Fleischfresser. Der Held überlegte sofort wie so ein Biest zu erlegen war. Einfach mit dem Schwert draufhauen? Bei den Urviechern ging das, vielleicht wäre es aber doch sinnvoll etwas taktischer vorzugehen, so wie bei den Drachen. Die größten Zähne waren so groß wie einfache Kurzschwerter, Lurkerbiss oder Wolfszahn. Die Kiefer sahen auch sehr kräftig aus. Wäre nicht auszuschließen, dass ein Biss genügen würde, um ihn zu zermalmen. Er müsste also dafür sorgen, dass dieses Vieh gar nicht erst zum zuschnappen kam.
    „Sehen sie nur wie schön er ist“, riss ihn der Museumswächter aus seinen Gedanken.
    Tatsächlich, jetzt wo der Held mal nicht daran dachte dieses Tier nach Stärken und Schwächen abzusuchen und es einfach nur betrachetet, fiel sofort die ungewöhnliche Färbung auf. Von der Grundfärbung her wirkte es fast schwarz, aber im Licht schimmerte es wie Silber. Dieser Kontrast verhalf dem Skelett zu einer rohen, unbändigen Schönheit.
    „Habt ihr es mit Metall veredelt?“ fragte der Held verwundert.
    Sein Begleiter lachte.
    „So was in der Art bekommen wir andauernd zu hören, die Leute fragen immer: Habt ihr den angemalt? Nein, der ist so. Das kommt durch das Gestein, in dem er lag.“
    Der Held ging näher heran und las von einem Schild laut vor: „Tristan Otto. Ist das der Typ, der dieses Kerlchen erbeutet hat?“
    Wieder lachte der Museumswächter, wobei er erbeutet wohl mit ausgebuddelt gleichsetzte.
    „Oh nein, so heißt das Tier. Tristan Otto der Tyrannosaurus Rex. Er ist einzigartig.“
    Der Held fragte sich, ob die Leute hier nicht schon zu lange im Museum gehockt hatten. Jetzt gaben sie schon toten Tieren Namen. Immer das mit den Namen, musste so eine Art Manie sein.
    „Und was ist damit?“ fragte der Held und deutete auf einen Glaskasten, wo ein riesiger fast identischer Schädel aufbewahrt wurde.
    „Das ist der Originalschädel, durch die Versteinerung war er zu schwer, um ihn auf das Skelett zu montieren, deswegen ist der Schädel auf dem Skelett ein Nachbau.“
    Der Held hob eine Augenbraue. So richtig hatte er nicht verstanden was das sollte, aber das war ihm im Moment auch egal. Hauptsache er konnte sehr nah an diese Zähne heran und überlegen, ob seine Drachenjägerrüstung dem nun standhalten würde oder nicht. Sein Führer hatte wohl so eine Ahnung was ihm durch den Kopf ging.
    „Es heißt dieses Tier hätte eine Beißkraft von dreitausend Kilogramm gehabt. Damit hätte es selbst Autos zerbeißen können.“
    Der Held strich seine Überlegungen. Seine Rüstung hätte das ganz sicher nicht ausgehalten. Das hieß, würde er so einem Burschen gegenüberstehen, müsste er entweder unglaublich schnell sein, oder ihn aus der Distanz fertigmachen. Die Überlegungen machten ihm Spaß. Der Held hatte Lust mal wieder auf die Jagd zu gehen. Wenn es so ein Museum in Myrtana gäbe, dann könnten sich die Jäger und Krieger ganz in Ruhe die Tiere ansehen, Strategien entwickeln und Schwachpunkte aufdecken. Es wäre ideal, um neue Rekruten auszubilden.
    „Eigenartig, warum kaum jemand hier ist. Das ist doch interessant und sehenswert“, sagte der Held nachdenklich.
    „Ja, das finde ich auch, aber leider haben viele Bürger einfach keine Augen dafür. Sie gehen einfach am Museum vorbei, als wenn es gar nicht da wäre, dabei machen wir schon so viele Sonderveranstaltungen und Führungen und weisen wieder und wieder auf das Museum hin.“
    Der Mann sah wirklich frustriert aus und der Held überlegte wie ihm zu helfen war.
    „Was wäre, wenn man die Leute extra darauf aufmerksam machen würde? Mit so einem … Dinosaurier?“
    Sein Gegenüber runzelte die Stirn.
    „Wie soll das gehen? So ein Skelett draußen auf die Straße rollen? Das sind ja Ideen.“
    Der Angestellte schüttelte den Kopf.
    „Nein, nein, gedacht hatte ich da mehr an … Special effects.“
    Der Held zwinkerte ihm zu.
    „W… wie?“
    Doch der Held achtete gar nicht weiter auf ihn. Zielstrebig lief er los und suchte nach etwas ganz Bestimmten. Sein Führer blieb einen Moment sprachlos zurück, dann folgte er ihm und stolperte ihm fast hinterher. Der Held hatte währenddessen gefunden was er suchte. Es war ein Schild, mit der Aufschrift „Eigentum des Naturkundemuseums“, das an einer Metallkette hing.
    „Warten Sie, das können Sie doch nicht so einfach wegnehmen“, sagte der Museumsführer entsetzt.
    Doch der Held achtete gar nicht auf seine Einwände, sondern drückte ihm das Schild in die Hände und erklärte: „Ich verschwinde jetzt, aber ich schicke bald so einen Dinosaurier vorbei und dem hängst du dann dieses Schild um den Hals. Dann wissen die Leute, dass keine Gefahr von ihm ausgeht.“
    Der Held strich sich durch den Bart.
    „Vielleicht wäre es gut, wenn noch ein paar Angestellte da wären, um ängstlichen Leuten zu erklären, dass keine Gefahr besteht.“
    „Wie bitte?“
    Doch der Held hörte nicht zu, schnurstracks verließ er das Museum und wollte zur Tat überschreiten. Er war ganz stolz auf sich. Nicht nur, dass er eine Lösung für das Problem des Mannes hatte, nein, er hatte auch Miltens Worte beachtet, damit niemand verängstigt wurde. Er joggte einige Meter, bis er zum nahen Invalidenpark kam, dort lief er zwischen schattige und inzwischen gut belaubte Bäume und verwandelte sich mittels Druidenstein in einen grünen myrtanischen Snapper. Anders als ihre Verwandten auf Khorinis hatten die Snapper vom Festland Arme, waren kleiner und schlanker und hatten im allgemeinen mehr Ähnlichkeit mit diesen zweibeinigen Dinosauriern aus dem Museum. So verwandelt lief er zum Museum zurück, doch jetzt waren ihm die Blicke aller Bürger sicher. Sie zeigten mit dem Finger auf ihn, riefen laut, manche erstaunt, andere ängstlich. So hatte sich der Held das vorgestellt. Er ging sicher, dass sie ihm in ihrer Neugier nachliefen und führte sie so zum Museum. Es waren zwar nur ein paar Meter, aber es reichte, um eine große Menschenmasse anzulocken, die jetzt alle vor dem Museum standen und erstaunt zusahen, wie das grüne Reptil ohne Zögern in das Museum hinein ging. Die Leute ließen sich nicht lange bitten und wollten nachströmen. Nur mit Mühe konnte eine Angestellte, die selbst völlig überrumpelt war, die Menge zurückhalten und darum bitten Eintrittskarten zu kaufen. Zielsicher lief der Held währenddessen auf seinen neuen Bekannten zu. Der erstarrte als er ihn sah, ihm klappte das Kinn herrunter und dann schnappte er nach Luft wie ein Fisch, der auf dem Trockenen lag. Der Held wusste nicht was das sollte, er hatte ihm doch gesagt, dass er einen Dinosaurier schicken würde. Als er vor ihm stand und zu ihm hochblickte, stand er immer noch wie zur Eissäule erstarrt da und tat rein gar nichts. Der Held als Snapper schnaufte genervt, nahm ihm dann das Museumsschild aus der Hand und hängte es sich kurzerhand selbst um den Hals. So, das wäre geschafft. Wo blieben jetzt die Leute, oder musste er doch noch mal rausgehen und sie reinlocken? Nein, da kamen sie schon angestürmt, filmten und fotografierten mit ihren Smartphones, als gäbe es kein Morgen mehr. Der Museumswächter wurde mit Fragen überrannt, auf die er einfach keine Antworten wusste. Der Held mochte es zwar nicht, derart im Mittelpunkt zu stehen, aber es gehörte eben zur Aufgabe. Er überlegte, was er jetzt tun sollte. So ein Snapper, oder eben auch Dinosaurier musste doch irgendwas tun. Daran hatte er leider keinen Gedanken verschwendet. Bisher hatte er einfach nur herumgestanden und die Leute angestarrt. Was hatten die Snapper denn zuhause immer so getan? Er erinnerte sich, hob ein Bein und knabberte an seinen Fußkrallen herum.
    „Ist das putzig“, „Niedlich“, „Ganz schön gelenkig, ist das wirklich ein Roboter?“, „Vielleicht ist es ja auch ein Hologramm“.
    Das Stimmengewirr schwoll immer weiter an und plötzlich näherten sich dem Snapper Hände, die ihn anfassen wollten. Das passte dem Helden ja nun gar nicht. Ein bisschen Respekt vor einem wilden Raubtier hätte er schon erwartet. Drohend brüllte er und trat einen Schritt nach vorn. Sofort zuckten die Hände zurück.
    „Bitte Abstand halten, berühren sie nicht das Museumsexemplar“, drang jetzt die Stimme des Museumswächters laut durch die Halle.
    An seiner Seite war jetzt eine Frau, die er eilig herbeigestikuliert hatte.
    „Willkommen bei unserem heutigen Spezialüberraschungsevent: Der Führung durch unser Museum mit unserem Ultrarealitätsnahenhightech Dinosaurierexponat. Michaela wärest du so freundlich?“
    Die letzten Worte waren an die Frau neben ihm gerichtet. Sie trug die gleiche Kleidung wie ihr Kollege und rückte nun geschäftig ihre große Brille zurecht.“
    „Danke, Oskar. Wenn sie mir bitte folgen wollen.“
    Sie wären wohl nicht gefolgt, wenn der Snapper nicht hinter Michaela hergedackelt wäre. Es war nicht sicher, ob die Leute verstanden hatten, dass sie eine extra Führung bekamen, aber dort wo der Dinosaurier hinging, dorthin gingen sie auch. Die Führung lief so ab, dass Michaela vor den einzelnen Exponaten stehen blieb und etwas dazu erklärte, während der Held, als Snapper, sich die Freiheit herausnahm hin und wieder über die Absperrung zu treten und sich die Tiere genauer anzusehen. Immerhin war er ja selbst so eine Art Exponat, hatte Oskar erklärt. Die Leute hatten eigentlich nur Augen für ihn und da war es wirklich am sinnvollsten, wenn er sich neben oder im Falle der großen Dinosaurier, unter die Ausstellungsstücke stellte, oder herumschlich, denn ansonsten wären sie vermutlich geradeheraus weg ignoriert wurden, egal wie interessant das eigentliche Exponat war. Michaela improvisierte gekonnt und bezog ihn öfter in ihre Erklärungen mit ein, etwa wenn es darum ging eine Relation zur Größe, Gewicht, oder sonstigen Körperattributen herzustellen. Der Held hätte nie für möglich gehalten, dass seine Idee eine derartige Resonanz hatte. Einmal stieß er beinahe einen großen Steinbrocken um, der auf einem Sockel lag, was Michaela mit einem angespannten Zischen quittierte. Er schob den Brocken mit seinem Kopf wieder in Position und gab einen Laut von sich, von dem er hoffte, dass er sich entschuldigend anhören würde. Die Gäste kicherten und lachten, offenbar hielten sie es für Teil der Show. Der Held fand die Führung interessant und je länger sie dauerte, umso mehr hing er seinen eigenen Gedanken nach und kümmerte sich nicht mehr groß um die Menschenmasse, die sich um ihn herumwälzte. Viele der ausgestellten Tiere hier wirkten auf ihn sehr exotisch und er überlegte, wie er sie jagen würde. Manche Tiere waren ihm auch bekannt. Erfreut stellte er fest, dass es hier Löwen gab, immerhin stand da ein ausgestopftes Exemplar. Vielleicht war das die Lösung für sein anderes Problem.
    In einer anderen großen Halle waren Fische und allerhand Gekröse in Gläsern abgefüllt. Einzelne derart gelagerte Tiere hatte er bereits bei Alchemisten im Labor gesehen, aber in dieser Dimension war es wirklich ein unglaublicher Anblick. Er fragte sich, wie lange es wohl gedauert haben mochte, all diese Tiere zusammenzusuchen und in die Gläser zu stopfen. Das war bestimmt ein wirklich umfangreicher Auftrag. Als die Führung vorbei war und sie bei einem Händler ankamen, der Waren mit Bezug rund um die Exponate verkaufte, erklärte Michaela, dass die Führung hiermit vorbei sei. Die Leute protestierten. Obwohl die Führung bestimmt über eine Stunde gedauert hatte, konnten sie einfach nicht genug bekommen. Nun erklärte Michaela streng, dass auch noch andere Besucher eine Sonderführung erleben wollten. Tatsächlich, die nächste Meute wartete bereits. Oskar hatte sie mit einem Video vom ominösen kleinen grünen Dino herbeigeködert. Es waren noch mal doppelt so viele wie zuvor. Die Eingangshalle war brechend voll. Viele Leute aus der ersten Gruppe hatten deswegen ein Einsehen und zogen ab, doch manche blieben tatsächlich und stellten sich hinten an, um mit der Masse mitzuschwimmen, selbst wenn dort hinten die Chancen auf eine gute Sicht ziemlich eingeschränkt waren. Nach dieser Führung kam noch eine und dann noch eine. Der Held hätte nicht gedacht, dass dieser Auftrag so lange dauern würde. Mittlerweile führte Oskar die Leute durch das Museum, damit Michaela ihre Stimme nicht verlor. Er sagte ein bisschen was anders zu den Exponaten, was bei seinem ersten Durchgang noch interessant war, aber bei der nächsten Führung war dann auch das ein alter Hut. Dem Helden wurde langweilig. Als sie im Saal mit den großen Dinosauriern waren, legte er sich einfach unter das Giraffatitan Skelett, rollte sich ein und döste vor sich hin. Es war ihm unerklärlich, aber selbst das fanden die Leute hochspannend. Oskar musste ihn mit einem durchdringenden Pfeifen wecken und sie liefen weiter in den Nebenraum, wo eine Sonderausstellung über Vögel stattfand. Auch hier wurde er immer wieder in die Erklärungen eingebunden. Laut Oskar stammten Vögel von Snappern ab. Der Held fand das merkwürdig, aber dachte sich nichts weiter dabei. Auch das waren die Führer heute schon mehrfach durchgegangen und er hatte es einfach akzeptiert. Gelangweilt gähnte er und offenbarte dabei seine kleinen nadelspitzen Zähne was erneutes Blitzlichtgewitter hervorrief. Es war Nacht geworden, als die letzte Führung endete und die Besucher hinausgetrieben werden mussten.
    „So und was machen wir jetzt mit unserem kleinen Freund?“ fragte Michaela, als sie mit Oskar und ein paar weiteren Leuten vom Museumspersonal alleine war.
    „Ich, ich weiß nicht“, kam es ratlos von Oskar.
    Die Angestellten waren allesamt geschafft aber glücklich und sahen gar nicht so aus, als würden sie sofort nach Hause wollen. Der Held hatte sich schon überlegt, wie er sich absetzen sollte, aber seine Überlegungen ließen sich nur schwer in die Tat umsetzen. Draußen würde er sofort auffallen. Die Blicke der Menschen würden ihm überallhin folgen. Er freute sich endlich mal wieder einen richtigen Auftrag abgeschlossen zu haben, aber langsam reichte es ihm auch und er wollte seine menschliche Gestalt zurück. Er zog das Schild ab und gab es dem verblüfften Oskar zurück.
    „Wir sollten ihn in den Forschungsbereich hinten schaffen, damit der mal untersucht werden kann, für mich sieht das nicht nach einem Roboter oder Hologramm aus“, kommentierte ein junger Kerl, der ebenfalls ein Angestellter des Museums war.
    Der Held überlegte, ob er mitgehen sollte, oder nicht. Er spähte zur Vordertür hinüber, die jetzt aber geschlossen war. Selbst wenn er sie öffnete, befanden sich dort bestimmt viele neugierige Augenpaare. Vielleicht gab es ja „hinten“ einen zweiten Ausgang. Die anderen warteten schon auf ihn, pfiffen nach ihm, wie er das schon bei Menschen beobachtet hatte, die ihren Hund herbeiholen wollten, oder riefen ihn: „Dino“ oder „Komm, komm, komm“ und einer sagte sogar „Putt, putt, putt“, als wäre er ein Huhn.
    Über den Tag hinweg hatte der Held für sich entschieden, dass die Leute hier wirklich nicht mehr alle Nadeln an der Tanne hatten, aber Auftrag war Auftrag. Der Forschungsbereich entpuppte sich als ein halb einsehbarer Raum, mit Stühlen, Tischen, Lampen, Computern, Vergrößerungsgläsern, vielen Büchern und allerhand toten Tieren.
    „He Jörg, du hast doch bestimmt schon von unserem kleinen Freund gehört, oder? Sieh ihn dir doch mal genauer an“, sagte der junge Museumswächter und wollte den Helden mit sanfter Gewalt zu dem Mann namens Jörg schieben.
    Der Held fauchte warnend. So herumschubsen ließ er sich nicht.
    „Na komm mal her Kleiner, brauchst keine Angst haben“, kam es von Jörg, auf den er einen Moment lang nicht geachtet hatte und der ihn jetzt einfach hochhob.
    Der Held war so verdutzt, dass er völlig vergaß sich zu wehren. Da hatte Jörg ihn auch schon auf einen Tisch gestellt und betrachtete ihn jetzt eingehend. Er starrte ihn einfach nur an und der Held starrte zurück. Er dachte sich, dass dieser Typ sich doch reichlich dämlich vorkommen musste, wie er einfach nur herumstarrte, aber dem war offenbar nicht so. Tatsächlich lächelte er, als hätte er gerade den Berg mit magischem Erz vom neuen Lager vor sich. Der Held entschied, dass hier irgendwas nicht stimmte. Diese Art von Neugier war zu viel, als dass sie normal wäre. Jörg griff jetzt zu einem Gegenstand mit langer Spitze, in welcher der Held eine Waffe sah und wollte ihn damit stechen. Blitzschnell hatte er Jörg einen warnenden Biss versetzt, hopste vom Tisch und flüchtete durch die Arme der Museumsangestellten hinweg, die ihn jetzt einfangen wollten. So hatte er sich die Dankbarkeit aber nicht vorgestellt. Er sprintete los und seine Häscher kamen gar nicht so schnell hinterher. Da er sich durch all die Führungen heute bestens im Museum auskannte, war es ein Leichtes den Weg zum Eingang zu finden. Er sprang an der Tür hoch, aber bekam sie nicht auf. Er fauchte genervt und rief damit ungewollt den Händler des Museums auf den Plan.
    „Keine Angst, ich tu dir nichts“, sagte der, doch seine schleichenden Schritte straften seine Worte Lügen.
    Der Held drehte, wild mit dem Schwanz schlackernd, herum, rutschte kurz auf dem glatten Untergrund aus und hechtete dann den Gang entlang, weg von diesem Mann. Er sprang einige Stufen hinunter. Geradeaus war eine Tür, die aber abgeschlossen war, nach rechts unten führten weitere Stufen und wie ihm seine Nase sagte, ging es dort zu den Toiletten. Er sah nach oben, wo rechts neben der Tür ein kleines offenes Fenster war, sprang hoch, krallte sich am Fensterrahmen fest und strebte nach draußen. Es war eng, doch letztendlich schaffte er es, bevor ihn jemand aufhalten konnte. Mit einem Ruck purzelte er auf die andere Seite, kam hart auf dem Boden auf, rappelte sich aber schnell wieder hoch. Er flüchtete nach links, weg von der Hauptstraße und verwandelte sich eilig zurück. Schwer atmend wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Immer noch wunderte er sich über das Verhalten der Menschen. Er hatte doch nur helfen wollen. Immerhin war es lehrreich und zu guter Letzt noch ein kleines Abenteuer gewesen. Jetzt wollte er sich aber so schnell wie möglich von hier entfernen.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 21:02 Uhr)

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