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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Post [Story]Die völlig bekloppte Reise in die Moderne

    So ... willkommen bei einer total bekloppten Geschichte. Sicher, dass du das lesen willst?
    Wie kam ich drauf? Alles fing mit einem Traum an, in dem Lester, Diego, Gorn, Milten und der Held zurück im Schläfer Tempel waren, um sein altes Zeug inklusive Uriziel zu holen und dann ... waren sie auf einmal auf einem Mittelaltermarkt teleportiert. Tja ... Äh... keine Ahnung wie ich im Traum zu diesem Gedankensprung kam. Ich vermute es hing damit zusammen, dass ich am Vortag Gothic gespielt habe und im Fernsehen "Die Besucher" und "Die Zeitritter" lief (Wer das nicht kennt: Es geht um einen Ritter und seinen Knappen, die mittels magischem Trank ausversehen in die Moderne geraten und es kommt zu allerhand lustigen und blödsinnigen Szenen). Und ähnlich wie dort im Film passierten auch den Jungs aus Gothic allerhand ... Merkwürdigkeiten. Es lässt sich sagen, es war total bekloppt aber lustig. Eigentlich hätte ich nicht gedacht, das mal aufzuschreiben ... und doch ist es jetzt da. Ich hab mich bemüht es auch für alle anderen außer mich verständlich aufzuschreiben, was nicht einfach ist, weil gerade wenn ich träume, dann ist das alles vollkommen logisch, Außenstehend betrachtet, aber totaler Blödsinn und es erfordert doch etwas Kraft damit daraus dann etwas halbwegs nachvollziehbares wird.
    Ein paar zu erwähnende Dinge: Die Vorgeschichte hierzu ist "Eine Sommergeschichte".
    https://forum.worldofplayers.de/foru...mmergeschichte
    Es ist nicht unbedingt erforderlich sie zu lesen, aber es wäre schon hilfreich.


    1. Der Held hat eine magische Hosentasche, die es ihm erlaubt, allerhand Zeug mit sich herumzuschleppen (also ganz so wie im Spiel).
    2. Folgende Stationen hat der Held in diesem Szenario früher durchlaufen: "Buddler, Schatten, Gardist, Söldner, Wassermagier, dann später wieder Söldner, Mitglied im Kreis des Wassers, Mitglied in der Diebesgilde, Pirat, vorgeblicher Bandit, Drachenjäger ... (ich hoffe, ich habe nichts vergessen).
    3. Er entschied sich die Klaue Beliars zu behalten, um sie im Kampf gegen die Drachen zu verwenden.
    4. Später verließ er mit Xardas Myrtana, nachdem Zuben und König Rhobar der II. getötet wurden.
    5. Es gibt wieder Runen, weil ich im Traum offenbar verdrängt hatte, dass es sie nicht mehr gab



    Ich denke das wars so weit ... viel Spaß.
    Geändert von Eispfötchen (19.01.2018 um 15:20 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Der Verunglückte Teleport

    Sie rematerialisierten sich und um sie herum erschien das übliche gleißend hellblaue Licht. Total orientierungslos blinzelten sie ins Tageslicht. An ihre Ohren drang tosender Applaus. Verwirrt sahen sie sich um. Sie standen auf einer stabil aussehenden Holzbühne. Vor Ihnen einige sehr merkwürdig gekleidete Leute und rechts neben ihnen sahen sie einen hochgeschossenen Mann, der sie mindestens ebenso verwirrt ansah wie sie ihn.
    Der Held fing sich als erster.
    „Da lang!“ sagte er entschlossen und marschierte geradewegs von der Bühne. Die anderen folgten ihm, froh jemanden zu haben, der zu wissen glaubte was jetzt zu tun sei. Sie gingen zwischen die Reihen der ihnen zujubelnden Menge und passierten ein Schild auf dem zu lesen war:
    „Der große Beschwörungszauberer Zabini. Lässt sie garantiert sprachlos zurück.“
    Der Held ging noch einige Meter und blieb dann auf einem Fleckchen Erde stehen, von dem aus er einen guten Überblick über die Umgebung hatte. Das erste was auffiel, war die unglaubliche Menge an Menschen. Es waren sicher mehr, als sich damals im gesamten Mienental befunden hatten.
    Offenbar befanden sie sich auf einer großen Wiese mit vereinzelten kahlen Bäumen, auf der allerhand Verkäufer und Gaukler ihre Stände aufgebaut hatten. Die sahen immerhin halbwegs normal aus. Vielleicht war hier ja Markttag, wo immer „hier“ auch war. An der Ecke verkaufte ein Mann herrlich duftende Maronen. Gegenüber stattete ein Händler seine Kunden mit feinsten Schreibutensilien aus. Prächtige Vogelfedern lockten eine große Traube von Kunden an. Ganz weit hinten konnten sie eine Art Kulisse sehen, wo offenbar ein Bühnenstück vorgeführt wurde.
    „Irgendwas muss schief gelaufen sein…“ überlegte Diego.
    „He, sieh mich nicht so an!“ sagte Milten empört über Lesters Blick. „Es ist schwer genug eine ganze Gruppe zu teleportieren, wenn man dann auch noch direkt neben dem Dimensionsloch vom Schläfer steht wird das auch nicht besser.“
    „Das muss es sein! Das Dimensionstor vom Schläfer! Vermutlich hat es uns irgendwie eingesaugt und dann hierhergebracht, als wir teleportierten“, überlegte der Held und fuhr sich mit der rechten Hand nachdenklich über seinen Bart.
    „Heißt das … heißt das, der Schläfer ist hier auch irgendwo?“ fragte Lester und versuchte seine aufkeimende Angst möglichst nicht zu zeigen.
    „Hm… möglich“, murmelte der Held nichtsahnend von der Wirkung, die diese Worte auf seine Freunde hatten.
    „Also ich finde wir sollten erst einmal herausfinden wo wir hier überhaupt sind“, schlug Diego praktisch orientiert vor.
    „Gute Idee. Da vorne scheint ein Ausgang zu sein“, sagte Gorn und zeigte nach links, mitten durch das Gedränge der Menschen.
    Er ging voran und somit hatten die anderen überhaupt keine Schwierigkeiten nachzukommen. Gorn mit seiner muskelbepackten Erscheinung und noch dazu in martialische Rüstung gehüllt, flößte jedem in ihrer Nähe Respekt ein. Viele Leute sahen sich zu ihnen um, die ihnen begeisternd zuriefen.
    „He, echt tolle Kostüme.“ „Sieht wirklich aus wie im Mittelalter.“
    „Voll krass“, kam es von einigen Jungen, an denen sie vorbeigingen und die ihnen staunend hinterhersahen.
    „Weißt du was das ist, Mittelalter?“ fragte Lester Milten, der vor ihm ging.
    Milten zuckte mit den Achseln.
    „Keine Ahnung.“
    Es gab noch einmal ganz viel Gedränge, dann kamen sie endlich durch. Offenbar war hier der Eingang und wie die Menschen vorhin schon sagten, da stand auch tatsächlich ein Schild mit der Aufschrift „Mittelaltermarkt“. Was immer das auch war, eben ein Markt.
    Kaum waren sie raus, erschlug sie der nächste Anblick fast. Eine erneute Welle von völliger Desorientierung erfasste sie. Vor Ihnen ragten, nach ihrem ermessen, unglaublich hohe Häuser empor, die mindestens vier Stockwerke hatten und aus denen hin und wieder seltsames Licht drang. Sie standen vor einer Straße, die schwarz und fest schien und aus irgendeiner Art von Stein bestehen musste. Darauf fuhren schnelle Karren, ohne dass irgendjemand oder etwas sie ziehen würde. Einige dieser Karren standen auch direkt vor Ihnen am Straßenrand. Sie schienen leblos. Der Held zog die Klaue Beliars und stupste einen damit an. Prompt sonderte das Schwert eine Blitzladung ab und ein schrecklicher Lärm erklang in ihren Ohren.
    „He ihr, was macht ihr da mit meinem Auto?“ fragte ein dicklicher kleiner Mann in komischen Klamotten, der eilig herbeigerannt kam.
    „Was? Ich kann dich nicht hören bei all dem Lärm“, schrie der Held durch den Krach hindurch.
    „Das ist ein ganz normaler Autoalarm, der angeht, wenn jemand mit seinem Cosplay Schwert dagegenhaut.“
    „He, ich war ganz vorsichtig“, wehrte sich der Held, auch wenn er keine Ahnung hatte was dieses Cosplay war.
    Der Mann schien nun doch nicht allzu sauer. Irgendwie schien er ihren Anblick erheiternd zu finden. Vielleicht dachte er auch, es handle sich hier um irgendeinen Ulk.
    „Also was ist das hier? Ein Auto sagst du?“ fragte der Held weiter.
    Der Mann entschloss sich mitzuspielen. Er setzte eine verschwörerische Miene auf.
    „Das sind Zauberkarossen, die mit schneller Geschwindigkeit herumfahren und die einen dahin bringen, wo immer man hin will.“
    „Du meinst, so in der Art wie Teleportation?“ fragte der Held interessiert weiter.
    Der Mann lachte schallend.
    „Teleportation? Oh Mann Junge, wir sind doch nicht bei Käpt’n Kirk.“
    Damit ließ er sie stehen und ging zum Mittelaltermarkt zurück, wo er sich gerade Karten kaufen wollte.
    „He Leute, ein tolles Programm habt ihr hier“, hörten sie ihn noch zur Kassiererin sagen.
    „Gut, ich denke damit ist unser neues Ziel klar“, sagte Gorn.
    „Ja“, kam es entschlossen vom Helden. „Wir müssen diesen Käpt’n Kirk finden. Vielleicht weiß er wie er uns zurück in unsere Welt teleportieren kann.“
    „Und wo sollen wir anfangen zu suchen?“ fragte Lester.
    „Wenn er ein Käpt’n ist, dann ist er bestimmt am Hafen zu finden“, sagte Diego sofort.
    „Na gut, dann auf zum Hafen“, sagte Gorn voller Tatendrang.
    „Wenn einer weiß wo hier der Hafen ist“, gab Milten zu bedenken.
    Für den Helden war das überhaupt kein Problem. Er quatschte einfach den nächstbesten vorbeilaufenden Typen an.
    „He du, kannst du mir sagen wo ich hier den Hafen finde?“
    Der Mann sah ihn amüsiert an.
    „Den Hafen? Junge, wir sind hier in Berlin, da gibt es doch keinen Hafen.“
    Er lachte und ging davon.
    „Hm… kein Hafen.“
    „Vielleicht ist der in einer anderen Stadt?“ überlegte Lester.
    „Immerhin wissen wir jetzt, dass diese Stadt Berlin heißt. Hat von euch schon mal jemand davon gehört?“ fragte der Held.
    Die anderen schüttelten die Köpfe. Aus dem Bauch heraus entschied der Held in welche Richtung sie gehen sollten und marschierten los.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 19:25 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Eispfötchen ist offline

    Orientierungsprobleme

    Diese Stadt war einfach unglaublich, selbst nach einer halben Stunde sah es noch nicht so aus, als würden sie sie verlassen und bisher hatten sie schon mehr Menschen gesehen, als in ganz Myrtana lebten. Sie hatten zwar keine Ahnung von Verkehrsregeln, aber es erschien ihnen ratsam die schwarzen Steinstraßen nur dann zu überqueren, wenn gerade keins dieser Autos fuhr. Manche von diesen Dingern waren schier riesig. Einige davon waren Blickdicht und verursachten selbst im Stehen großen Lärm und in anderen wiederum konnten sie durch Gucklöcher Menschen sehen, die sich in diesen Gefährten befanden. Dicht gedrängt wie Sardinen im Netz standen sie zusammengepfercht und sie konnten beobachten wie diese großen Fahrzeuge hin und wieder anhielten und die Leute ausspien.
    „Scheint wirklich eine Art von Transportmittel zu sein. Ich frage mich, ob jeder sie benutzen darf oder ob es irgendwelche Einschränkungen gibt“ sagte Milten nachdenklich und war stehen geblieben um einen Plan zu studieren.
    Er zeigte die Haltepunkte und die Uhrzeiten an, doch der Feuermagier wurde nicht daraus schlau, da ihm all diese Orte nichts sagten.
    „Hier ist eine Karte“ sagte der Held, glücklich eine gefunden zu haben.
    „Sieht aber komisch aus“, meinte Lester und beugte sich neben ihm zur Karte hin.
    Bunte Linien waren darauf eingezeichnet und Zahlenbuchstabenkombinationen, aber nichts was ihnen weiterhelfen würde, keine eingezeichnete Umgebung.
    „Das hilft uns nicht weiter. Vielleicht ist sie irgendwie verschlüsselt und wir müssen erst diese Kodierungssprache lernen.“
    Diego sah ihn stirnrunzelnd an.
    „So war es auch in Jharkendar“, erklärte der Held und führte sie weiter, bis sie zu einem riesigen Gebäude kamen wo Horden von Menschen ein und aus gingen.
    „Wenn hier so viele Leute sind, muss hier was zu holen sein“, überlegte Diego.
    Sie näherten sich den Türen, die ganz von allein aufgingen. Kurz blieben sie verdutzt stehen, wurden dann aber gleich von den Menschen hinter ihnen weitergeschoben, die sie ungeduldig und verwundert ansahen. Innen war das Gebäude größer, als irgendein Haus, das sie in Myrtana gesehen hatten. Sie gingen zu einem Geländer und konnten sehen, dass unter Ihnen noch ein Stockwerk lag und über ihnen gleich zwei und überall wuselten Menschen. Erschlagen blieben sie stehen und beobachteten ihre Umgebung. Rechts von Ihnen stand eine Bank auf der eine Frau mit blauen Hosen und rotem Oberteil saß und auf einem rechteckigen Ding herumdrückte. Ihr Kind, vielleicht um die sieben Jahre alt, das neben ihr auf der Bank lag und sich langweilte sprang auf, als sie die fünf Männer sah und kam zu ihnen gerannt.
    „Boahr, seid ihr Ritter?“
    Der Held lachte. Es war das erste Mal, dass ihn jemand für einen Ritter hielt. Es war der beste Scherz, den er seit langem gehört hatte. Er ein Ritter, sicher … aber der Junge war ja auch noch so klein, woher sollte er also wissen, dass Ritter nicht wie ein Haufen Landstreicher aussahen?
    „Wir sind Abenteurer, Kleiner.“
    Der Junge kam staunend noch näher.
    „Das ist aber ein cooles Schwert, darf ich das mal anfassen?“
    „Äh … das ist vielleicht keine gute Idee“, sagte der Held, weil er befürchtete Beliars Klaue könne sich entladen und den Jungen in den Tod schicken.
    „Hier, du darfst mal meine Kriegsaxt anfassen“, sagte Gorn und holte die Waffe von seinem Rücken.
    Er drehte sie so herum, dass die Klingen nach unten zeigten, ließ sie fallen und hielt sie erst am Stiel fest, als der schwere Axtdoppelkopf den Fliesenboden erreichte und zertrümmerte.
    „Voll krass“ rief der Junge aufgeregt und berührte ehrfürchtig die glatte Seite einer Klinge.
    „Timmi, komm sofort hierher!“ rief die Mutter, die sich nun doch wieder für ihr Kind interessierte.
    Sie kam herbei und sah die Männer furchtsam an, aber Timmi kam schon von sich aus zu ihr gesprungen und berichtete aufgeregt was er erfahren hatte: „Mama, das sind Abenteurer.“
    Die Frau sah immer noch verwirrt aus.
    „Wir kommen vom Mittelaltermarkt“, sagte der Held und hoffte, dass ihr das weiterhelfen würde.
    In der Tat glätteten sich die Furchen auf ihrer Stirn und sie nickte verstehend.
    „Gute Frau, kannst du uns vielleicht sagen wo wir andere Klamotten herkriegen?“ fragte der Held.
    „Sie sind hier in einem Einkaufszentrum, hier gibt es überall Klamottenläden. Da vorne ist schon einer.“
    Sie zeigte in eine Richtung, nahm ihr Kind eilig bei der Hand und führte es weg.
    „Komm Timmi, wir müssen gehen.“
    „Mama, gehen wir auch mal zum Mittelaltermarkt? Mittelaltermarkt! Mittelaltermarkt!“ rief der kleine ganz aus dem Häuschen.
    „Wer ist denn „Sie“?“ fragte der Held und wandte sich zu den anderen um.
    „Das ist eine Anredeform“, erklärte Milten.
    Der Held zuckte mit den Schultern und ging in die gewiesene Richtung. Tatsächlich konnten sie schon von weitem sehen, dass die Frau Recht hatte.
    Glas war in Myrtana noch nicht sehr üblich und eher was für reiche Adlige, deswegen waren sie erstaunt, dass das Geschäft große Scheiben hatte, die von oben bis unten reichten.
    „Macht aber Sinn, so können die Kunden von draußen die Ware sehen und werden angelockt“, sagte Diego und überlegte wie sich daraus Kapital schlagen ließ.
    Sie gingen hinein und wurden gleich von einer jungen Frau begrüßt: „Hallo was kann ich für Sie …. tun?“
    Sie war kurz verwirrt, überraschend schnell fasste sie sich aber wieder. Vielleicht liefen in Berlin so viele komische Vögel rum, dass sich die Leute gar nicht mehr so groß darüber wunderten.
    „Wir kommen vom Mittelaltermarkt“ erklärte Lester trotzdem und die Verkäuferin lächelte verstehend.
    „Ah ja und jetzt braucht ihr andere Sachen.“
    „Genau“
    Sie sahen sich im Geschäft um. Eine Fülle von Klamotten schlug ihnen entgegen.
    „Wow, hier gibt es aber viel Auswahl“, staunte Lester.
    Die junge Verkäuferin lächelte verlegen, denn eigentlich war es ein recht kleines Geschäft.
    „Wenn Sie meinen. Kann ich Ihnen helfen?“
    Die Männer guckten skeptisch. Sich helfen lassen? Bei sowas banalem wie Klamotten kaufen? Und dann auch noch von einer Frau? In Myrtana war das eher unüblich.
    „Welche Größe haben Sie denn?“ fragte die Verkäuferin, die zu dem Schluss kam, dass das nicht leicht werden würde.
    „Was meinst du mit Größe?“ fragte der Held.
    Die Frau sah ihn verwundert an, wechselte dann aber auch zum Du.
    „Welche Größe die Sachen haben sollen.“
    Gorn zuckte jetzt mit den Schultern.
    „Entweder es passt, oder es passt nicht.“
    „Aha…“ kam es gedehnt von der Frau.
    Sie nahm mit den Augen maß und sah sich nach etwas passendem um.
    „Hier versuch mal das.“
    Sie hielt Gorn ein marineblaues XL T-Shirt hin und suchte dann nach etwas für den Helden. Sie reichte ihm ein legeres schwarzes Poloshirt mit roter Bestickung.
    „Was bedeutet das?“ fragte der Held auch gleich.
    „Das ist der Name des Herstellers“ erklärte die Verkäuferin, sah dann mit großen Augen zu Gorn, der jetzt seine Rüstung abgenommen hatte und mit freiem Oberkörper da stand und sich das T-Shirt überzog.
    „Ähh… wir haben auch Umkleidekabinen“, sagte sie mit roten Wangen.
    Auf die fragenden Blicke der Männer hin, zeigte sie zu einer Wand wo kleine Verschläge zu sehen waren.
    „Das ist so üblich“ sagte sie, um ihre verwunderte Kundschaft zu überzeugen.
    Diego und Lester sahen sich selbstständig um, während die Verkäuferin nach passenden Hosen für Gorn und den Helden suchte, die sich auf den Weg in die Umkleidekabinen machten.
    Milten wusste nicht so recht was er sich aussuchen sollte. Er war doch ein Feuermagier, da konnte er doch nicht in irgendeiner Kleidung so ganz ohne Bezug zu Innos herumlaufen.
    „Hast du auch irgendwas mit Feuer?“ fragte er die Verkäuferin.
    Die beschloss, sich über gar nichts mehr zu wundern und nachdem sie die beiden Jeans bei seinen Freunden abgeliefert hatte, suchte sie nach etwas für den Magier.
    „Was machen wir mit unseren Rüstungen?“ fragte Gorn den Helden leise durch die dünne Kabinenwand.
    „Die kann ich nehmen. Wer weiß wann wir sie wieder brauchen.“
    „Dachte auch nicht daran sie einfach wegzuschmeißen. Sie sind nur etwas unhandlich.“
    „Ich denke ein paar Rüstungen und Waffen mehr werden kein Problem sein.“
    „Die Waffen auch?“ fragte Gorn bestürzt.
    „Na hast du hier Leute mit Waffen rumlaufen sehen? Wir müssen uns unauffällig verhalten. Deswegen müssen die Waffen weg.“
    Gorn grummelte. Es passte ihm nicht seine Axt hergeben zu müssen.
    „He, du schlägst vermutlich auch mit bloßen Händen jedem der dir dumm kommt den Schädel ein, mach dir also keine Gedanken“, sagte der Held und lachte leise.
    „Hier, wäre das was für dich?“ fragte die Verkäuferin und hielt dem Feuermagier eine schwarze Jeans, ein rotes T-Shirt und eine orangerote Jacke mit einem Feueremblem auf dem Rücken hin.
    „Ja, ist in Ordnung“, sagte Milten.
    Als die Frau sich abwandte verdrehte sie die Augen. Da gab sie sich solche Mühe und dann war es nur in Ordnung?
    „He, was steht hier drauf?“ fragte Lester und hielt ein grünes T-Shirt hoch auf dem das Blatt einer Pflanze abgebildet war.
    „Da steht: Ich mag Kraut“ erklärte die Verkäuferin.
    Lesters Augen leuchteten auf.
    „Toll, das nehme ich.“
    Dazu suchte er sich eine hellbraune Stoffhose mit vielen Taschen aus, die recht robust aussah. Diego hatte sich bereits fertig eingekleidet. Er trug eine elegante schwarze Stoffhose und dazu ein hochwertiges schwarzes Poloshirt.
    „Siehst aus, als wärst du in einen Haufen Gold gefallen“ witzelte Gorn, der gerade die Kabine verließ.
    „Und du siehst aus, als würdest du gleich dein Hemd sprengen“, gab Diego zurück, was durchaus der Wahrheit entsprach.
    Gorns Muskeln beanspruchten das T-Shirt schon sehr, aber es passte ja, also war es für Gorn in Ordnung. Als alles erledigt war, wollten sie den Preis erfahren.
    „437,87 €“ erklärte die Verkäuferin, die der Meinung war, dass dieses Geld ihre Mühen auf Wert war.
    Die Freunde sahen sich an. Der Held schaltete am schnellsten. Er konnte sich denken, dass es sich um die hiesige Währung handelte und versuchte zu verhandeln. Eilig kramte er in seiner Hosentasche und ein wahrer Goldregen ergoss sich über die Ladentheke.
    „Das ist pures Gold, kommen wir ins Geschäft?“
    Die Verkäuferin stand einem Moment einfach nur mit aufgerissenem Mund da und fragte dann: „Ist das echt?“
    „Natürlich ist das echt“, sagte der Held entrüstet.
    Dass er es damals aus Raven’s Miene geholt hatte und deswegen kein echtes königliches Siegel aufwies musste die Frau ja nicht wissen. Außerdem war er hier im Ausland, da war das vermutlich sowieso egal.
    Die Verkäuferin nahm eine der Münzen hoch und nahm sie ganz genau in Augenschein. Dabei verglich sie ihren Goldring mit der Münze. Sie sah sich von plötzliche Reichtum überhäuft und sagte eilig, bevor ihre Kundschaft es sich anders überlegte: „Ja, ist in Ordnung. Habt ihr auch alles?“
    Sie fragte sich, wo sie ihre alten Klamotten gelassen hatten.
    „Ich denke schon“, sagte der Held.
    Sie verabschiedeten sich und verließen den Laden. Draußen sagte Diego: „Weißt du … ich denke du hast zu viel bezahlt.“
    „Wieso?“ fragte der Held. „Weißt du denn was ein Euro ist?“
    „Nein, aber ihrem Gesichtsausdruck nach ist Gold viel mehr wert als ein Euro. Besser wir versuchen weitere Geschäfte zu vermeiden, bis wir wissen was Gold hier wert ist.“
    „Wir sollten uns aufteilen und versuchen etwas über diesen Käpt‘n Kirk herauszufinden“ schlug Gorn vor, dem Gold im Moment recht egal war.
    Hauptsache es ging voran. Sie verließen das Gebäude und sahen sich um. Der Held entdeckte weit entfernt einen großen Turm, der über die anderen Häuser aufragte.
    „Dort treffen wir uns morgen beim ersten Sonnenlicht wieder.“
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 19:25 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Wiedereinstieg in den Sumpfkrauthandel

    Diego, Gorn und Milten versuchten herauszufinden wo sich in dieser Stadt ein Kapitän befinden könnte. Tatsächlich fanden sie nach langem herumfragen heraus, dass es hier einen Fluss gab, die Spree und darauf kleine Schiffe fuhren. Die mussten ja von Kapitänen gesteuert werden und da gab es doch bestimmt auch einen Kirk. Sie fragten sich zu den Anlegestellen durch, doch als sie dort ankamen und nach einem Käpt’n Kirk fragten, meinten dessen vermeintliche Kollegen, jemand hätte sie gründlich verschaukelt. Es gäbe hier keinen Käpt’n Kirk. Die drei dachten nun nicht, dass es diesen Mann grundsätzlich nicht geben würde, sondern, dass er nur nicht hier war, was nicht gerade verwunderlich war, denn Kapitäne pflegten weit herumzukommen mit ihren Schiffen. Es wurde eine sehr lange Nacht, in der sie zahlreichen merkwürdigen Gestalten begegneten. Lester und der Held waren zweifellos selbst seltsame Gestalten. Sie waren an einem Ort angelangt, der „Alexanderplatz“ hieß. Hier gab es überall Menschen, aber keiner schien große Lust auf ein Gespräch zu haben. Verwundert musste der Held feststellen, dass seine übliche Anrede „He, du“ nicht den gewünschten Erfolg brachte. Die Leute hatten entweder einfach keine Lust zu reden, oder sie waren in Eile oder sie dachten, die Beiden wären verrückt. Es war jetzt bereits spät in der Nacht, oder auch früh am Morgen, je nachdem wie man das gerne sehen wollte und sie hatten immer noch keinen Erfolg gehabt. Der letzte den sie nach Käpt’n Kirk gefragt hatten, lachte sie einfach nur aus.
    „Ich glaube irgendetwas stimmt mit diesem Kirk nicht“ sagte Lester und zog einen Stengel Sumpfkraut aus der Tasche und fing an zu rauchen.
    Der Held setzte sich auf eine steinerne langgestreckte Bank und sah zu einem eisernen Gebilde, das offenbar die Uhrzeit anzeigen sollte, aber die Zeiger bewegten sich überhaupt nicht.
    „He ihr“ kam es von hinten mit starkem Akzent.
    Sie drehten sich um.
    Ein junger Typ, vielleicht Anfang zwanzig von schmaler Statur und mit schwarzen gegelten Haaren stand da und legte den Kopf schräg.
    „Was rauchst ‘n da?“
    Lester sah kurz zum Helden. Ihm ging kurz durch den Kopf, dass er gar nicht wusste, ob Sumpfkraut hier als illegal galt, oder nicht. Der ehemalige Novize sah den jungen Kerl kritisch an und entschied dann, dass er nicht so aussah, als wäre er ein strenger Verfechter des hiesigen Regelwerks.
    „Sumpfkraut“
    „Noch nie von gehört. Darf ich auch mal ziehen?“
    Lester gab ihm gleich einen ganzen Stengel. Ein Feuerzeug klickte und frische Glut glomm auf. Der Fremde nahm einen tiefen Zug.
    „Wow, das ist echt guter Stoff. Ist der rein?“
    Lesters Stirn furchte sich.
    „Was meinst du?“
    „Hast du das Zeug mit irgendetwas gestreckt?“
    „Nein, natürlich nicht, schmeckt doch sonst nicht so gut“, sagte Lester, empört wie man so etwas auch nur in Erwägung ziehen konnte.
    „Das, das ist echt gut“, sagte der Typ und nickte immer wieder mit dem Kopf. „Guter Stoff.“
    Er nahm noch einen tiefen Zug, dann sagte er: „Ich bin Elyas.“
    „Mein Name ist Lester“ stellte sich der ehemalige Novize vor.
    „Und du?“ fragte Elyas und meinte den Helden.
    „Ich hab keinen Namen“
    „Wa? Wie kann man denn keinen Namen haben? Wie quatschen dich denn andere an?“
    „Na, wie alle anderen auch, mit „He, du“.“
    Elyas lachte leise.
    „Ein Komiker was?“
    Er drehte sich um und winkte einem Kerl, der etwas weiter weg auf einer anderen Bank saß. Der Typ sah recht abgerissen aus. Von der Hautfarbe ähnelte er Gorn, aber sonst hatten sie nichts gemeinsam. Er war hochgeschossen, aber sah nicht sehr kräftig aus. Seine Haare waren halblang und er hatte einen sehr müden Ausdruck in den Augen. Elyas redete schnell auf ihn ein, aber weder Lester noch der Held konnten verstehen was sie sagten. Es musste eine andere Sprache sein. Ein Wort gab das Andere und der Neuankömmling schien nicht so ganz überzeugt von dem was sein Freund ihm sagte.
    „Das ist Tabo“ erklärte Elyas. „Er ist noch nicht lange in Berlin und kann kein Deutsch, aber sonst ist er gut zu gebrauchen. Hört mal, Interesse an einem Geschäft?“
    Er senkte seine Stimme zu einem Flüstern herab.
    „Kommt ganz drauf an was für eine Art Geschäft“ gab der Held zurück.
    „Könnte ein echt großes Ding werden. Von diesem Sumpfkraut hab ich noch nie was gehört hier in Berlin und in der Szene kenn ich mich gut aus.“
    „Was für eine Szene?“ fragte der Held verwundert.
    „Stoff“ antwortete Elyas, als die anderen weiter fragend guckten, zischte er: „Drogen, was sonst?“
    „Sumpfkraut ist doch keine Droge … man raucht es doch bloß“ wehrte Lester ab.
    Elyas zeigte mit dem Finger auf ihn.
    „Das ist die richtige Einstellung. Hört mal, ihr seid genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen. Die Leute wollen gutes bio Zeug, das ist jetzt echt In. Mit so’nem Kunstscheiß kann man keine neuen Leute mehr anfixen. Wir teilen den Gewinn und werden reich.“
    Lester und der Held verstanden nicht alles, aber genug um herauszuhören, dass Elyas Sumpfkraut verkaufen wollte. Lester und der Held sahen sich an. Der ehemalige Novize sah nicht glücklich darüber aus seinen Reichtum an Sumpfkraut herzugeben, aber der Held sah darin eine willkommene Einnahmequelle, gerade wo sie überhaupt keine Ahnung hatten wo sie sonst hiesige Währung herbekommen sollten.
    „Nun mal langsam Junge“, sagte der Held aber trotzdem, weil er nicht in windige Geschäfte hereinfallen wollte. „Du weißt doch gar nichts über Sumpfkraut, wieso sollten wir dir da vertrauen?“
    Elyas sah sich um und bedeutete den anderen ihm zu folgen. Er steuerte erst auf ein großes Gebäude zu, in dem lange Verkehrsmittel einfuhren und dann scharf nach links weg.
    „Ich seh das so: Ihr habt das Know How und ich die Location.“
    Lester und der Held verstanden nicht was er meinte.
    „Eh, ich kenn mich hier aus, versteht ihr? Wieviel habt ihr von dem Zeug?“
    „Wir haben mehr als genug, glaub mir“ sagte der Held.
    „Naja, so viel haben wir nun auch wieder nicht“ versuchte Lester seinen Schatz zu bewahren.
    „Lester, wenn wir eine Möglichkeit finden das Sumpfkraut anzubauen wird es ja nicht weniger“ versuchte der Held seinen Freund zu überzeugen.
    Lester schien mit sich zu ringen. All sein mühsam zusammengerafftes Sumpfkraut … aber er wusste, dass sie etwas brauchten um Gold zu verdienen oder Euro, wie es hier hieß.
    „Und ich hab genau den richtigen Standort für euch“, erklärte Elyas begeistert.
    Er führte sie immer weiter in die Eingeweide der Stadt, immer weiter von den Hauptstraßen weg. Sah es schon auf dem Alexanderplatz recht schmuddelig aus, so wurde es in den Nebenstraßen nicht besser. Überall waren die Häuserfassaden beschmiert und die Straße sah alt und verbraucht aus. Elyas führte sie zu einem besonders heruntergekommenen Haus und erklärte: „Unser neuer Projektort“
    Er schloss die Tür auf, sah sich noch einmal um und gab Zeichen ihm zu folgen.
    Lester und der Held hatten keine Angst einem völlig Fremden in ein unbekanntes Haus zu folgen. Sollten sich Probleme ergeben, ließen sich die bestimmt mit einer harten Faust und im Zweifelsfall mit etwas Magie lösen. Tabo schloss die Tür hinter ihnen und eine nackte Glühbirne an der Decke spendete Licht. „Das ganze Haus gehört quasi mir“ sagte Elyas.
    Der Held hörte heraus, dass es eben eigentlich nicht so war. Er gebot sich wachsam zu sein. Vermutlich hatte dieser Typ Probleme und er wollte lieber erst wissen was das für Probleme waren, bevor er selbst mit hineingezogen wurde. Sie gingen in den ersten Stock und ihr neuer Geschäftspartner schloss eine Tür zu einem weiten Raum auf. Es roch muffig und Schimmel bedeckte die Wände.
    „Ideale Bedingungen um Pflanzen zu züchten. Im Keller ist noch mehr Platz. Ich denke, ihr wisst besser was dieses Sumpfkraut braucht und was nicht. Tobt euch aus.“
    Elyas zeigte ihnen auch noch den Rest des Hauses. In der zweiten Etage hatten sich offenbar Elyas und Tabo eingerichtet. Darunter war neben den üblichen Dingen wie Betten und Tischen auch ein Haufen Zeug, das Lester und der Held nicht identifizieren konnten. Das zweite und dritte Stockwerk stand größtenteils leer, nur noch ganz oben standen ein altes Bett und ein hässliches grünes Sofa. Als Elyas ihnen ein Bad samt Toilette und Badewanne zeigte, wirkten Lester und der Held so verwundert, dass nicht schwer zu erraten war, dass sie so etwas nicht kannten.
    „Klo und Badewanne“
    Als das offenbar keine Erleuchtung brachte sagte Elyas: „Pissen und waschen“
    „Was denn waschen?“ fragte der Held verwundert.
    Elyas sah aus, als hätten die beiden ihm gerade gesagt, sie kämen vom Mars.
    „Na was wohl, euch, so mit Wasser. Naja, nehmts mir nicht krumm, aber ihr riecht auch, als hättet ihr schon länger keine Dusche mehr gesehen.“
    Der Held wusste zwar nicht, was eine Dusche war, aber Wasser, das kannte er natürlich.
    „Wir sind doch vor ein paar Tagen mal durch einen Fluss geschwommen, oder?“
    Lester dachte scharf nach.
    „Als wir auf dem Weg nach Gotha waren, oder? Das ist aber schon länger als ein paar Tage her …“
    „Was ist denn mit euch los? Habt ihr die letzten hundert Jahre unter ‘nem Stein verbracht?“ fragte Elyas verwundert.
    Der Held hob eine Augenbraue.
    „Ich hab mal zwei Wochen unter Steinen gelegen, wenn du das meinst …“
    Elyas guckte perplex. Er wollte seinen neuen Geschäftspartner ja nicht beleidigen.
    „Was ist denn passiert?“
    „Höhle eingestürzt“ sagte der Held knapp.
    „He Mann, konnte ich ja nicht wissen, war nur ein dummer Spruch, ja?“
    Der Held fand es lustig wie nervös Elyas war. Obwohl er ja derjenige war, der sie in das Projekt geholt hatte, schien er sich schon jetzt selbst klein zu halten.
    „Wirklich ein riesen Haus, wie bist du da nur ran gekommen?“ fragte der Held verwundert, als sie wieder die Treppe heruntergingen.
    So viel Platz war ungewöhnlich wenn man myrtanische Verhältnisse gewohnt war. Elyas wirkte verlegen.
    „Tja weißt du ….“
    Sie hörten wie jemand unten an die Tür hämmerte.
    „Ich weiß, dass du da drin bist“ hörten sie eine ärgerliche Stimme.
    „Fuck!“ fluchte Elyas.
    Er schien zu überlegen sich einfach zu verziehen, doch dann entschied er sich doch dagegen. Vielleicht ahnte er, dass es alles nur noch schlimmer machen würde. Er öffnete die Tür und sagte: „Cem, gut dich zu sehen.“
    „Komm mir nicht mit dem Scheiß. Was ist mit meinem Geld?“ fragte ein kräftiger Mann mit starkem Kinn und schwarzen kurzen Haaren und einem harten Ausdruck in den Augen, der klar sagte was passieren würde, wenn er sein Geld nicht bekäme.
    „Ich …. Äh…. Es hat sich gerade eine Möglichkeit für mich aufgetan. Ich bring es dir gleich morgen, ja?“
    „Du wolltest es mir schon vor zwei Tagen geben, meine Geduld ist am Ende. Außerdem schuldest du mir noch einen Gefallen.“
    Elyas entschied erstmal nach dem Gefallen zu fragen.
    „Worum geht es denn?“
    „Ich brauch einen neuen Türsteher für meinen Club. Der alte ist mir von ein paar Säufern zusammengeschlagen wurden.“
    „Ich … äh…“
    Elyas hatte da wohl an etwas weniger gefährliches gedacht, gerade für eine halbe Portion wie ihn.
    Cem sah den jungen Mann an, als würde er ihm gleich eine verpassen und da der Held nicht wollte, dass ihr Projekt vorschnell beendet war, sprang er seinem neuen Geschäftspartner zur Seite.
    „He, vielleicht kann ich helfen.“
    „Du?“
    Der ältere Mann sah den Helden prüfend an.
    „Hm… na von mir aus. Komm heute Abend vorbei, ich zeig dir dann alles.“
    Cem gab dem Helden eine Karte, auf der die Adresse seines Clubs stand, dann wandte er sich wieder Elyas zu: „Ich hoffe, du schleppst die Kohle bald an.“
    Er wandte sich um und ging zu seinem Auto, schloss auf, startete den Motor und fuhr rasant davon.
    „Puh“, kam es von Elyas.
    „Was hast du für Probleme mit diesem Kerl?“ fragte der Held.
    Elyas sah so aus, als würde er lieber nicht antworten.
    „Ich schulde ihm Geld, eine Menge Geld, außerdem ist das eigentlich sein Haus. Er ließ es mich benutzen, damit ich selbst was ranzüchten könnte, aber ich habs verbockt, jetzt kann ich ihm nichts zurückzahlen.“
    „Hm… das heißt, wenn wir mit dir Geschäfte machen, dann machen wir sie eigentlich mit ihm, nur das wir weniger vom Kuchen abbekommen“ sagte der Held.
    Elyas sah nicht glücklich aus.
    „He, das mag vielleicht so aussehen, aber … ich hab hier alles was ihr braucht, um dieses Sumpfkraut zu züchten und ich kenn verdammt viele Leute in der Stadt.“
    „Kennst du einen Käpt’n Kirk?“ fragte Lester hoffnungsvoll.
    „Hm… nein, aber ich kann mich ja mal umhören“, antwortete Elyas, der vermutete, dass es ein Spitzname für jemanden Bestimmtes war.
    Der Held überlegte schnell. Sie brauchten jemanden, der sich hier auskannte und wenn es schlecht lief, sprach nichts dagegen einfach abzuhauen, oder das Problem mit Gewalt aus dem Weg zu räumen. Er warf noch einen Blick zu Lester, der nur mit den Schultern zuckte, was wohl hieß, dass es bei ihm lag.
    „Gut, wir sind im Geschäft“, sagte der Held und Elyas sah etwas überrascht aus.
    Sie gaben sich die Hände und der junge Mann versprach bis zum Nachmittag alles was sie vielleicht noch gebrauchen könnten, ran geschafft zu haben. Elyas gab ihnen einen Ersatzschlüssel, damit sie ins Haus konnten, wenn es nötig sein sollte. Sie verabschiedeten sich und Lester und der Held gingen zurück zum Alexanderplatz. Der Morgen graute, vielleicht warteten die anderen schon auf sie.
    Tatsächlich standen ihre Freunde am Fuß des langen, dünnen Turms und sahen sich müde nach ihnen um. Schnell stellte sich heraus, dass Milten, Gorn und Diego keinen Erfolg gehabt hatten. Niemand schien ihnen so wirklich etwas über diesen Käpt’n Kirk sagen zu wollen. Offenbar hielten viele ihre Fragen für einen Ulk und nahmen sie überhaupt nicht ernst.
    „Vielleicht hat uns der Typ vom Mittelaltermarkt wirklich verschaukelt“ überlegte Gorn.
    „Möglich …“ kam es von Lester.
    „Und was habt ihr so getrieben?“ wollte Diego wissen.
    Lester und der Held erzählten ihnen von ihrer neuen Geschäftsidee.
    Diego, Gorn und vor allem Milten schauten verwundert aus der Wäsche.
    „Handel?“
    „Mit Sumpfkraut?“
    „Ja, warum denn nicht?“ fragte der Held.
    Diego und Gorn sahen sich an.
    „Naja … ich könnte mir vorstellen, dass es Ärger bringt.“
    „Vor allem, wenn es, so wie bei uns, Illegal ist“ setzte Milten hinzu. „Muss es denn ausgerechnet was illegales sein?“
    „Hast du andere Vorschläge? Schließlich müssen wir ja irgendwie zu diesen Euros kommen“, verteidigte der Held seine Entscheidung. „Ich hab auch gleich einen Auftrag für heute Abend. Es geht darum eine Tür vor einem Club zu bewachen.“
    „Was ist denn ein Club?“ fragte Diego.
    „Ich vermute so etwas wie eine Taverne“ antwortete der Held. „Das wär doch was für dich, oder Gorn?“
    „Ach ich weiß nicht … wir wollten doch eigentlich diesen Kirk finden …“ sagte Gorn, der so gar keine Lust hatte die Wache zu spielen.
    „Hör mal, wir müssen uns erstmal hier zurecht finden und da muss man manchmal auch miese Jobs annehmen.“
    „Du sprichst da wohl aus Erfahrung?“ fragte Lester amüsiert.
    „Ja“, sagte der Held todernst.
    „Und warum machst du das nicht?“ fragte Gorn genervt.
    „Lester und ich werden das erste Sumpfkraut verkaufen, oder willst du das machen?“
    „Bloß nicht, dann bin ich lieber Türsteher.“
    „Schön, Milten und ich erkunden währenddessen weiter die Umgebung“ sagte Diego schnell, bevor der Held auch noch eine unangenehme Aufgabe für sie fand.
    „Ehrlich gesagt schlaf ich gleich im Stehen ein. Können wir uns irgendwo ausruhen?“ fragte Milten.
    „In diesem Haus, das Elyas uns gezeigt hat“, sagte Lester und er und der Held führten ihre Freunde dort hin.
    Elyas und Tabo waren überrascht gleich drei Leute mehr in ihrem Projekt zu haben, aber sie wagten es nicht dagegen aufzubegehren und vermutlich dachten sie, dass diese neuen Typen noch irgendeinen Nutzen haben könnten.
    „Ich geh mal eben zum Waschsalon“, erklärte Elyas und packte einen großen blauen Sack und warf ihn sich über die Schulter.
    „Wohin?“ fragte der Held.
    „Klamotten waschen, das kennst du wohl auch nicht, was? Ach, komm einfach mit!“ sagte Elyas und der Held, der sowieso keine Lust hatte sich schlafen zu legen, wo es doch gerade so viel zu entdecken gab, folgte ihm.
    Auch Elyas hatte ein Auto. Der Held wollte nicht wie der letzte Idiot dastehen und machte seinem neuen Geschäftspartner alles nach. Tür öffnen, einsteigen, hinsetzen, anschnallen, doch dann gab es offenbar nichts weiter zu tun, denn offenkundig war Elyas der Lenker dieses Karrens und es gab offenbar nur einen, was ja auch Sinn ergab. Der Held beobachtete jeden weiteren Vorgang ganz genau, wurde aber einfach nicht schlau aus dem was sein neuer Kamerad da trieb. Elyas scherte sich nicht weiter um seine Begleitung und parkte vor einem abgeranzten Waschsalon. Elyas ging voran und als sie drin waren, schaute sich der Held interessiert um. Überall standen weiße komische Dinger.
    „Also, das sind Waschmaschinen, ja?“ erklärte Elyas und tat als ob er zu einem Kleinkind spräche.
    Er wusste nicht, ob er damit über die Stränge schlug, aber er fand es einfach lustig, wie ahnungslos sein Begleiter war. Er zeigte ihm wie man bezahlte und trat dann an eine der Maschinen heran.
    „Hier macht man die Tür auf, schmeißt sein Zeug rein, dann öffnet man hier die Klappe, kippt weißes Pulver rein, zu und dann mit diesem Knopf auf 30 ° stellen, dann kann nichts passieren und auf „Start“ drücken. Fertig. In ner Stunde komm ich dann wieder und hols ab. Wir treffen uns später.“
    Nachdem Elyas seine Dreckwäsche in eine der Maschinen gekippt und diese gestartet hatte verabschiedete er sich und marschierte zur Tür hinaus. Der Held setzte sich auf eine Bank vor der Maschine und sah gespannt durch das Glas ins Innere, wo jetzt Wasser einlief und anfing zu schäumen. Dann drehte sich alles und die Klamotten wirbelten umher. Der Held dachte nach. Das könnte er doch auch mit den Klamotten machen, die er dabei hatte. Schadete doch nichts … er tat es Elyas ganz genau nach. Er hatte so viel dabei, dass er zwei Maschinen benötigen würde und ohne sich große Umstände zu machen feuerte er die Rüstungen von sich und seinen Freunden in die Maschinen, kippte Waschpulver in die kleine Klappe, knallte den Deckel zu und stellte wie Elyas sagte auf 30 °. Dann drückte er auf „Start“ und hörte zufrieden wie diese Geräte, die offenbar für die Menschen arbeiten mussten, ihre Tätigkeit aufnahm.
    ‚Sehr gut, dann kann ich mich ja jetzt auf die Socken machen und mir weiter die Stadt angucken und vielleicht schon etwas Sumpfkraut verticken‘ dachte der Held und verließ das Gebäude.
    Rasch stellte er fest, dass es gar nicht so einfach war das Sumpfkraut an den Mann zu bringen. Im neuen Lager war es damals doch recht leicht gewesen. Fast jeder den er ansprach war nicht abgeneigt etwas Kraut zu erstehen, doch hier sahen ihn die Menschen nur verstört an, wenn er sie ansprach mit: „He, du. Willst du etwas Sumpfkraut?“
    Doch er wäre nicht er, wenn er sich nicht schnell anpassen könnte. Er fing an die Leute ganz genau zu beobachten. So zog der Held durch die Straßen und irgendwann zu einem Ort, an dem ein Schild „Bahnhof Zoo“ verkündete. Er lernte, dass ein Bahnhof ein Verkehrsknotenpunkt war, wo große Dinger, die Züge hießen einfuhren und von wo aus die Menschen überall durch die Stadt kamen. Hier wimmelte es von Menschen und er lernte schnell, dass er gerade bei denen Aussicht auf Erfolg hatte, die herumgammelten und den Tag vertrödelten. Die Leute, die es eilig hatten, sprach er sehr schnell gar nicht mehr an und hielt sich lieber an die vagabundierenden Typen, die vor Dreck starrten und meistens ganz übel rochen. Die konnte er anquatschen, ohne, dass sie ihn merkwürdig ansahen und viele waren auch offen für ein Gespräch. Dann erzählte er ihnen vom Sumpfkraut und das es ein pflanzliches Rauchkraut war. Er verteilte Gratisproben, damit seine potenzielle Kundschaft auf den Geschmack kam und tatsächlich trug dieses Vorgehen Früchte. Die Taugenichtse kommentierten die Erfahrungen ihres Rauschs mit: „Boahr, krass Alter“, „Super Zeug“, „He, toller Stoff, was kostet denn sowas?“
    Der Held beschloss erstmal klein anzufangen und pro Stengel einen Euro zu verlangen. Er wollte erstmal rausfinden was ein Euro überhaupt Wert war. Nachdem er etwa dreißig Euro verdient hatte, ging er zu den Geschäften, die in der Nähe des Bahnhofs leicht zu finden waren und sah sich an, was man so für diese dreißig Euro bekam. Schnell stellte er fest, dass sich die Preise stark unterschieden und selbst bei gleichartigen Produkten schwankten, was es für ihn schwer machte einen Vergleichswert zum Gold herzustellen. Er nahm sich vor es auszutesten, ging zu einem Gebäckhändler und kaufte dort für zwei Euro ein Brot. Dann ging er zu einem anderen Bäcker, legte eine Goldmünze auf den Tisch und fragte den alten Verkäufer wie viel Brot er dafür bekommen könne. Der stutzte und hielt es im ersten Moment für einen Ulk.
    „Du bist nicht von hier, oder?“ fragte der Mann.
    Der Held schüttelte den Kopf.
    „Mann, schnell, pack das wieder ein, bevor es jemand sieht! Dafür könntest du den halben Laden leer kaufen, wenn das wirklich echtes Gold ist.“
    Der Held sah ihn verwundert an und lernte so, dass Gold viel mehr wert war als diese Euros.
    „Behalt das Gold“ sagte der Held, weil er zufrieden war, diese wichtige Information erhalten zu haben.
    Außerdem hatte er noch jede Menge Gold in seiner Tasche, das von Diego nicht mal mitgezählt.
    Der alte Verkäufer sah ihn mit großen Augen an und packte ihm eilig von allem etwas ein, reichte ihm dann sechs vollgepackte Tüten und sagte: „Hier, mein Junge und pass auf deinen Rücken auf, hier muss wirklich jeder sehen wo er bleibt.“
    „Ach das bin ich gewohnt“ sagte der Held lächelnd, nahm aber die Backwaren dankend an.
    Er verließ den Laden und packte draußen das Essen in seine Hosentasche. Ihm fiel ein, dass er ja noch Wäsche abzuholen hatte und kehrte zum Waschsalon zurück. Dort liefen seine zwei beladenen Waschmaschinen Amok. Eigentlich war es vollkommen unmöglich, dass die Maschinen zu sehr ruckeln konnten, da sie fest verankert waren, aber beim Helden, da war fast nichts unmöglich. Die schweren, harten Rüstungen setzten den Maschinen ordentlich zu und im Schleudergang entstand ein derart lautes Rumpeln, das die Leute fluchtartig das Gebäude verließen. Nur ein kleiner, vielleicht neunjähriger Junge wurde von den Geräuschen angelockt, lachte und freute sich und kletterte vergnügt auf eine der wild gewordenen Maschinen.
    „Hui, Rodeo!“ krähte er und hielt sich aufgeregt an der rumpelnden Maschine fest.
    „Tobi, komm sofort runter!“ befahl seine Mutter, die angelaufen kam und als er nicht hörte, zerrte sie ihn von der Waschmaschine weg.
    Der Held näherte sich vorsichtig den Geräten und wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Doch seine Frage wurde bald beantwortet. Eine der Maschinen hörte auf zu zockeln und gab ein klägliches Piepsen von sich. Der Held näherte sich vorsichtig und drückte auf den Knopf über dem ein Lämpchen leuchtete. Das Piepen erstarb und er öffnete die Klappe. Die Trommel innen war völlig zerbeult und an manchen Stellen sogar zerfetzt. Dem Helden ging auf, dass das vermutlich nicht so sein sollte und er klaubte eilig die Klamotten aus der Maschine heraus. Sie stanken nicht mehr und waren unerklärlicherweise trocken, obwohl sie doch mit Wasser gewaschen waren. Wenig später piepte auch die zweite Maschine und er leerte auch diese.
    Es war nicht einfach für ihn zurück zum Versteck zu finden. Die Stadt war einfach gewaltig groß und die Karten, die hin und wieder aushangen halfen ihm nicht wirklich weiter. Doch indem der die Leute nach dem Alexanderplatz fragte bekam er immerhin eine grobe Richtung mit. Er nahm sich vor bald mal herauszufinden wie das mit den öffentlichen Verkehrsmitten funktionierte. Er sah ständig wie andere Menschen sie benutzten, so schwer konnte es also nicht sein. Endlich fand er zurück zum Turm, der wie er herausfand „Fernsehturm“ hieß. Der Held hielt das zunächst für einen Eigennamen. Von dort aus wusste er aber den Weg zu ihrer neuen Bleibe. Er weckte seine Freunde mit den Worten: „Essen fassen“
    Während sie das Gebäck verspeisten berichtete der Held seinen Freunden was er herausgefunden hatte. Wenig später kam auch Elyas zurück. Er hatte Utensilien dabei, die sie an Alchemiegegenstände erinnerten und vermutlich für das Herstellen der Sumpfkrautstengel genutzt werden sollten. Außerdem sagte er, er habe allerhand Kästen und Erde, um neue Pflanzen zu ziehen. Lester fand es selbstverständlich, dass das seine Aufgabe war und er folgte Elyas hinunter in den Keller wo sie ihr Projekt starteten. Milten wollte weiter die Stadt erkunden und Diego wollte mit dem Helden und Gorn diesen Club ansehen, von dem die Rede war. Als Elyas wieder den Keller heraufkam, stiegen sie alle in sein Auto und fuhren los. Dem Helden kam es schon gar nicht mehr so komisch vor, aber Gorn und Diego waren froh, als sie dieses Gefährt endlich wieder verlassen konnten. Ihnen war schlecht.
    Es war mittlerweile Nacht geworden. Ein Schild über dem Club verkündete in leuchtenden Buchstaben vollmundig das „Paradise“. Vor der Tür hatte sich eine lange Schlange von Menschen versammelt, die alle hineinwollten. Ein schmächtiger Typ versuchte für Ordnung zu sorgen was ihm überdeutlich misslang. Elyas kannte ihn aber wohl und er wurde mit seinen Begleiter hineingelassen. Innen wummerte laute sehr ungewohnte Musik. Menschen tranken an einem Tresen und Leute zappelten auf einer großen Fläche herum. In einem Bereich weiter hinten gab es Wasserpfeifen, an denen Menschen gierig den Dampf einsaugten und dann genüsslich wieder ausstießen. Durch eine Tür kamen sie in ein Hinterzimmer, wo sich Cem mit einem anderen Typen beriet.
    „Da seid ihr ja endlich“, sagte Cem ungeduldig und er sah die Neuankömmlinge gespannt an.
    „Ich hab hier deinen neuen Türsteher mitgebracht“ sagte der Held und zeigte auf Gorn.
    „Du? Du bist ja noch besser. Komm mit! Ich zeig dir was du zu tun hast, es ist ganz leicht.“
    Sie gingen wieder hinaus wo Cem den lausigen Ersatztürsteher vertrieb und erklärte: „Es ist ganz einfach, du siehst dir die Leute an und schickst die weg, die aussehen, als würden sie ärger machen.“
    Cem zählte auf: „Betrunkene, zugedröhnte Junkies, Schläger und so. Außerdem kommt es immer gut, wenn du den Leuten klar machst, dass sie sich zu benehmen haben. Hier …“
    Der Besitzer des Clubs händigte Gorn einen Ohrstöpsel und ein kleines Gerät aus.
    „Das hängst du dir ins Ohr und wenn ich dich anfunke und dir mitteile, dass es drinnen Stunk gibt, dann kommst du rein und schmeißt die Störer raus. Klar soweit?“
    Gorn nickte. Er rechnete nicht mit Schwierigkeiten. Die Leute in der Schlange sahen ihn eingeschüchtert an. Offenbar wünschten sie sich den vorherigen Türsteher zurück. Cem kehrte ins „Paradise“ zurück und kam mit Elyas und dem Helden ins Gespräch. Diego hatte sich bereits verdrückt und bei einem Kartenspiel beteiligt, wo es um hohe Summen ging. Die anderen hatten ihn erst nicht mitspielen lassen wollen, aber als sie die Goldmünze sahen, die er als Einsatz auf den Tisch warf, bekamen sie große Augen und rückten eilig zusammen um ihm noch einen Platz zu verschaffen.
    Elyas und Cem kamen überein das Sumpfkraut zukünftig auch hier im Laden unter der Hand zu verkaufen. Bald konnte es auch für die Wasserpfeifen verwendet werden, versprach der Held. Sie kamen ins Geschäft. Mehr gab es nicht zu bereden.
    Der Held verzog sich und beschloss sich die Sache mit den öffentlichen Verkehrsmitteln mal genauer anzusehen. Den größten Teil der Nacht verbrachte er damit, einen Bahnhof nach dem anderen anzufahren und dort Sumpfkraut zu verkaufen. Er tat das recht offen. Das hatte den Vorteil, dass er viele potenzielle Kunden erreichte, aber den Nachteil, dass andere Dealer es schnell mitbekamen und ihren Markt in Gefahr sahen. Gerade war er auf einem Bahnhofsvorplatz und steckte einer Bettlerin etwas Sumpfkraut zu. Sie konnte ihn zwar nicht bezahlen, aber er versprach sich in Zukunft Informationen von ihr. Bettler hatten ihre Augen überall. Es konnte nicht schaden den einen oder anderen Informanten zu haben.
    „He, hör auf hier dieses Dreckzeug zu verticken!“ schrie ihn auf einmal ein schlaksiger Typ an, der eine dicke glänzende Jacke trug, um sich vor der Kälte der Nacht zu schützen.
    Der Held diskutierte nicht lange und schlug zu. Der Dealer war so überrumpelt, dass er strauchelte und nach hinten umfiel. Eilig stütze er sich mit einem Arm nach hinten ab, um nicht mit dem Kopf auf dem harten Pflaster aufzuschlagen.
    „He!“ kam ein Brüllen von der anderen Seite des Platzes.
    Dort standen drei weitere Kerle, die vielleicht auch dealten, oder den Kerl zumindest kannten. Der Held wusste, dass sah nach Ärger aus. Vermutlich könnte er sie auch so erledigen, aber er wollte kein Risiko eingehen, immerhin war er ohne Rüstung. Er entschied, zu zaubern und rief einen Wolf herbei. Die Männer die angerannt kamen blieben irritiert stehen, als sie das knurrende Tier erblickten und als sie dann doch eine unsichtbare Linie überschritten, die sie von seinem Herren trennte, griff der Wolf an. Unter lautem Knurren verbiss er sich in den rechten Arm eines der Männer. Stoff und Füllmaterial flogen durch die Luft und klares, helles Blut spritzte aus der aufgerissenen Jacke.
    „Ruf das Vieh zurück!“ schrie einer der Kerle.
    „Ich denk ja gar nicht dran“, sagte der Held, der es unverschämt fand, dass ihm diese Kerle auch noch befehlen wollten, was er zu tun hätte.
    Er wartete angespannt ab, ob er noch in den Kampf eingreifen sollte oder nicht. Sein Wolf hatte gerade losgelassen, um einen neuen Angriff zu starten, aber die Kerle entschieden die Beine in die Hand zu nehmen und vor dem Tier zu fliehen. Der Wolf verfolgte sie einige Meter, blieb dann stehen, knurrte ihnen noch einmal hinterher und kam dann zum Helden zurück. Einige Leute waren auf das Geschehen aufmerksam geworden und so entschied sich der Held diesen Ort zu verlassen. Am Horizont kündete das erste helle Licht vom neuen Tag. Im Dauerlauf lief er die Straßen Berlins entlang und orientierte sich an einigen markanten Punkten, die er in der Nacht erkundet hatte. Er bog in die Straße ein, wo ihr Unterschlupf lag. Verwundert sah er, dass sich viele Kinder hier versammelt hatten. Sie gingen zur Schule. Ein Vater brachte seinen Sohn gerade zur Schule und verärgert musste er feststellen, dass er trödelte. Der Junge hatte nur Augen für etwas, das hinter dem Helden herlief: „Guck mal, der Waldi!“
    Der Held hörte es nur am Rande, wusste aber nicht was der Kleine meinte. Er sah sich um und erblickte den Wolf, der immer noch hinter ihm herlief. Er blieb stehen und sah das Tier verwirrt an. Der Wolf blieb ebenfalls stehen und wartete auf Befehle. Warum verschwand der Wolf nicht? In Myrtana hielten seine Beschwörungen nie besonders lange. Der Wolf hätte längst verschwinden müssen. Aufgrund dessen hatte es sich der Held angewöhnt gar nicht mehr so sehr zu schauen, was seine Beschwörungen so trieben und war jetzt umso erstaunter den Wolf immer noch voller Energie vor sich zu sehen. Er beschloss Milten danach zu fragen.
    ‚Vielleicht hätte ich mich doch mehr mit dem magischen bla bla beschäftigten sollen…‘ dachte der Held und betrat das Versteck.
    Der Wolf zögerte kurz als er bei den Treppenstufen anlangte, folgte dann aber gehorsam seinem Herren. Der Held fand den Feuermagier in eine Karte der Stadt vertieft, die er auf einem Tisch ausgebreitet hatte.
    „Es ist unglaublich wie groß diese Stadt ist und wie viele Leute hier leben“, sagte Milten, als er den Helden sah, der sich jetzt zu ihm stellte und die Karte betrachtete. Der Wolf kam langsam näher. Der Feuermagier warf einen Blick auf das Tier und wartete auf eine Erklärung des Helden.
    „Irgendwas stimmt nicht mit meiner Beschwörung. Sonst hielten sie sich nie so lange. Weißt du was da los ist?“
    Milten hob eine Augenbraue.
    „Ich? Du weißt doch, dass ich ein Feuermagier bin. Wir beschwören für gewöhnlich keine Kreaturen. Du warst doch mal ein Wassermagier, da ist es zumindest üblich hin und wieder einen Golem herbeizuholen und Xardas müsste doch über jede Menge Wissen über beschworene Wesen verfügen. Hast du ihn nie gefragt?“
    „Nun …“
    Der Held sah verlegen zu Boden.
    „Wie ich mal sagte, mich hat immer besonders interessiert, wie ich einen Zauber ausführen kann, das ganze drum herum war mir bisher nicht so wichtig.“
    Milten seufzte.
    „Lass mich mal sehen.“
    Er wollte sich dem Wolf nähern, doch der knurrte. Lester kam gerade zur Tür herein und tat überrascht einen Satz zurück.
    „Whoar, was macht der Wolf hier?“
    „Ich hab ihn beschworen, als so ein paar Typen ärger wollten, aber jetzt verschwindet er nicht mehr. Waldi, hör auf zu knurren!“ befahl der Held.
    „Was? Wie heißt der?“ fragte Lester belustigt und näherte sich jetzt auch dem Wolf.
    „So hat ihn ein Knirps draußen vor dem Haus genannt“, sagte der Held schulterzuckend.
    Der Wolf gehorchte jedenfalls und ließ sich nicht dazu hinreißen nach Milten zu schnappen, der ihm jetzt ganz nah kam um ihn zu untersuchen. Lester kam dazu und streckte die Hand aus. Waldi schien das nicht zu gefallen und warf einen ängstlichen Blick zum Helden, der ihm jedoch bedeutete, nicht anzugreifen.
    „So nah bin ich einem Wolf noch nie gewesen. Jedenfalls keinem Lebenden, ohne dass er mich angegriffen hätte“, sagte Lester erfreut und streichelte dem Wolf durch das Fell.
    Der ließ es geschehen, sah ihn aber skeptisch an.
    „Hm…“ kam es von Milten. „Ich vermute, dass es mit der magischen Struktur dieser Welt zusammenhängt. Hier gibt es kaum Magie und deswegen kann sie wohl nicht so schnell wieder verdrängt werden. Jedenfalls ist das meine Theorie.“
    Der Feuermagier sah so aus, als würde er sich gerne weiter damit befassen.
    „Wie läuft es mit dem Sumpfkraut?“ fragte der Held Lester.
    Der zuckte mit den Schultern.
    „Ach ganz gut, denke ich. Dieser Tabo und ich haben den Keller und ein Obergeschoss mit Kästen voller Erde zugestellt. Da könnten wir jetzt Sumpfkraut einpflanzen.“
    „Oh, richtig.“
    Der Held hatte ganz vergessen, dass er sämtliches Sumpfkraut bei sich trug und Lester gar nichts tun konnte, so lange er es nicht abgeliefert hatte. Er ließ sich von Lester zu den Kästen im Obergeschoss führen und holte das Sumpfkraut aus der Tasche. Die Pflanzen die noch intakt waren pflanzte er zusammen mit Lester ein, die mit abgeknickten Halmen legte er in einen Korb. Sein Freund würde sie zu Sumpfkrautstengel verarbeiten. Es dauerte Stunden und war aus Sicht des Helden langweilige Arbeit, aber er wusste, dass es getan werden musste, damit sie vorankamen.
    „Wie willst du die Pflanzen wässern?“ fragte der Held.
    „Es gibt hier so etwas, das nennt sich Regenrinnen. Fällt der Regen hinein, dann läuft es dort entlang und fließt eigentlich in den Boden, aber Tabo hat es so verändert, das es in diesem Geschoss und unten im Keller in Behältnisse läuft, aus denen wir dann das Wasser schöpfen können. Ich hab aber auch gesehen, wie Wasser aus der Wand kommt“, sagte Lester aufgeregt.
    „Wie meinst du das?“ fragte der Held verwundert.
    „Es heißt Wasserhahn, aber offenbar kostet es viel Geld und deswegen ist es besser das Regenwasser zu benutzen so lange welches da ist und hier regnet es angeblich oft.“
    Sie waren gerade damit fertig die letzte Pflanze in die Erde zu stecken und beschlossen, jetzt im Keller weiterzumachen. Als sie vorne zur Tür gingen kamen sie am Korb mit den aussortierten Sumpfkrautpflanzen vorbei. Waldi hatte sich dort eingekringelt und war eingeschlafen.
    Lester gluckste.
    „Noah sieh nur wie er da so schläft, man könnte fast vergessen was ein Wolf für ein bissiges Biest ist.“
    Der Held wollte ihn schon aus dem Korb heben, aber sein Freund hielt ihn zurück.
    „Lass nur, ich hab eine Idee. Was hältst du davon dich auszuruhen? Du hast bisher noch kein Auge zugemacht und ich kann das im Keller auch allein, immerhin konnte ich die Nacht schlafen. Gib mir einfach ein paar der Sumpfkrautpflanzen.“
    Der Held kramte die Pflanzen hervor und ließ eine nach der anderen in einen Sack aus glattem Material fallen. Als er voll war nickte Lester zufrieden.
    „Das reicht.“
    „Wo kann ich mich hinhauen?“ fragte der Held und merkte erst jetzt wie müde er war.
    „Warte ich zeig’s dir.“
    Zu seiner Überraschung griff Lester den Korb mit dem Wolf an den beiden Henkeln und trug ihn weiter die Treppe hinauf. Der Held folgte ihm in den Raum mit dem hässlichen grünen Sofa, wo auch das Bett stand. Dort daneben stellte Lester den Korb mit dem Wolf. Er sah ihn noch einen Moment an und wuschelte ihm dann noch mal durchs Fell. Der Wolf gab ein wohliges Brummen von sich, wachte aber nicht auf.
    „Na, dann bis später“ sagte der Herr der Sumpfkrautpflanzen und verließ den Raum.
    Der Held ließ sich ohne große Umstände aufs Bett fallen und schlief ein.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 19:26 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Gorn der Türsteher

    Als er aufwachte, war es schon wieder dunkel. Der Wolf war bereits wach und beobachtete ihn, als er aufstand. Der Held fand das etwas unheimlich. Er lief die Treppe hinunter wo er Lester fand und fragte, ob er zu lange geschlafen hatte, aber sein Freund erklärte ihm, dass die Tage hier zu dieser Jahreszeit recht kurz waren, das hatte ihm Elyas mitgeteilt.
    „Milten ist nicht da. Er sagte, er wolle eine Bibliothek suchen. Er hat aber drei Teleporterrunen angefertigt. Für dich, mich und sich selbst.“
    Lester gab ihm eine der Runen. Der Held musterte sie verblüfft. Sie sah recht zweckmäßig aus. Ein skizziertes Haus half den Zielort von anderen Teleporterrunen zu unterscheiden.
    „Diego und Gorn sind nur kurz vorbeigekommen, um ein Nickerchen einzulegen und sich dann Diegos neuen Besitz anzusehen. Offenbar hat er ein Geschäft beim Kartenspiel gewonnen.“
    Der Held sah Lester ungläubig an, als er ihm davon berichtete. Der zuckte nur mit den Schultern.
    „Du weiß doch wie Diego ist. Immer da, wo was zu holen ist. Keine Ahnung wie er das immer macht. Angeblich handelt es sich um ein Geschäft, das Schlüssel anfertigt, oder so … keine Ahnung, frag ihn doch mal, wenn du ihn siehst. Und was hast du heute vor?“
    „Ich denke, ich zieh wieder los um Sumpfkraut zu verkaufen. Kommst du mit?“
    Lester schüttelte den Kopf.
    „Ich muss erstmal für Nachschub sorgen. Da liegen Haufenweise Pflanzen im Keller, die alle darauf warten zu Stengeln verarbeitet zu werden. Ich war schon den ganzen Tag beschäftigt. Dieser Tabo war mir eine große Hilfe. Ich versteh zwar kein Wort von dem was er sagt, aber er weiß trotzdem was zu tun ist. Hier, nimm erstmal die!“
    Er reichte dem Helden einen Karton, wo in lauter kleinen, glatten, durchsichtigen Tüten Sumpfkrautstengel lagen. Das war recht praktisch, weil man den Kunden so die Stengel nicht einzeln reichen musste und genau portionieren konnte.
    Waldi winselte auf einmal. Der Held sah ihn skeptisch an.
    „Was hat er denn?“
    Lester legte den Kopf schräg.
    „Vielleicht hat er Hunger?“
    „Er ist ein beschworener Wolf“ dementierte der Held.
    „Naja, trotzdem ist er aus Fleisch und Blut oder? Warum sollte er dann nicht essen müssen?“
    „Hm…“
    Sowas war dem Helden noch nicht passiert. Er kramte in seiner Hosentasche und holte ein Stück gebratenes Fleisch hervor. Waldi horchte auf und folgte dem Fleischstück mit den Augen.
    „Hier, fang!“
    Der Held warf das Fleischstück in die Höhe und Waldi hechtete hoch und schnappte es mit dem Maul. Der Held sah zu Lester der zufrieden grinste.
    „Siehst du.“
    „Hm…ich denke ich muss noch mehr über Beschwörungen lernen. Ich weiß kaum wie man ihnen Befehle gibt. Xardas schafft es sogar seinem Skelett zu befehlen seinen Turm zu kehren.“
    „Echt?“
    Lester lachte.
    „Das stelle ich mir lustig vor. Aber, versuch doch einfach Waldi etwas zu befehlen. Wir werden ja dann sehen, ob er gehorcht.“
    „Waldi, bleib hier und bewache diesen Ort, bis ich wieder zurück bin! Lester ist in Ordnung, ok?“
    Waldi sah ihn kurz an, schleckte sich mit der Zunge über die Schnauze und machte sich dann weiter über sein fressen her.
    „Keine Ahnung ob’s was gebracht hat“, sagte der Held.
    „Naja, wenn er dir nicht folgt, dann vermutlich schon“, überlegte Lester.
    Der Held entfernte sich, aber der Wolf blieb wo er war. Es schien zu funktionieren.
    Der Held beschloss zuerst beim „Paradise“ vorbeizuschauen und einen Großteil des Sumpfkrauts dort abzuliefern. Er war ganz stolz auf sich, weil er den Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln dorthin fand. Vor dem Club sah er wie Gorn die Leute in der Schlange kritisch betrachtete und nach Unruhestiftern suchte.
    „Na, alles klar?“ fragte der Held im Vorbeigehen.
    „Ja, geh nur rein“, kam es zur Antwort von Gorn.
    Als hätte er nie was anderes gemacht schlängelte sich der Held im Inneren durch die Menschenmassen zum Hinterzimmer, wo er Cem traf und ihm den Sack mit den Sumpfkrautstengeln überreichte.
    „Hier, die erste Lieferung. Sieh es als Anzahlung für Elyas Schulden, ok?“
    Cem sah ihn skeptisch an.
    „Warum setzt du dich für ihn ein?“
    „Ich sehe es als Vertrauensbasis“, erklärte der Held.
    „Dein Kumpel da draußen macht seine Sache gut. Allerding vielleicht zu gut. Gestern hat er zwei Streithähne rausschmeißen wollen und weil sie sich weigerten, hat er ihnen links und rechts eine verpasst, dass sie nicht mehr wussten wo oben und unten war und sie dann vor die Tür geschmissen.“
    „Und?“ fragte der Held ungerührt.
    Cem sah ihn mit einem merkwürdigen Ausdruck an.
    „Wenn die Anzeige erstatten, dann holen sie vielleicht die Polizei auf den Plan.“
    Der Held verstand ihn nicht.
    „Du meinst Ordnungshüter, so eine Art Miliz?“ fragte der Held.
    „Mann, wo kommst du denn her? Hier heißt das Polizei.“
    Cem schüttelte den Kopf.
    „Geh am besten raus und sag deinem Kumpel, dass er nicht ganz so hardcore sein soll.“
    Der Held konnte sich denken was Cem meinte, drehte um und lief zurück nach draußen.
    Dort machte Gorn gerade einen Kerl zur Schnecke, der sternhagelvoll in den Club wollte.
    „Verschwinde und nüchtere dich erstmal aus!“
    Der Kerl lallte etwas Unverständliches.
    „Muss ich erst ungemütlich werden?“ fragte Gorn hart.
    Es sprach für Gorns Einschüchterungsvermögen, dass es selbst dem sturzbesoffenen Kerl klar wurde, dass er sich hier besser nicht weiter unbeliebt machen sollte. Er wankte von dannen und erbrach sich an der nächsten Hauswand. Gorn winkte die nächsten Gäste hinein, ein paar junge Damen, die Gorn bewundernde Blicke zuwarfen. Danach folgten mehrere Herren, die den Damen vielleicht einfach nur gefolgt waren und dann kam ein offenbar frisch verliebtes Pärchen.
    Der Held stellte sich neben Gorn und sah ihm einen Moment zu. Er fand eigentlich nicht, dass Gorn zu hart vorging. Doch er hatte einen Auftrag bekommen.
    „Cem sagt, es würden Milizen kommen, wenn du Leute verprügelst“, sagte er leise zu seinem Freund.
    Gorn gab ein Glucksen von sich.
    „Ach, sagt er das ja? Ist das jetzt hier ein Türsteher Job, oder nicht?“
    „Hm…“ kam es vom Helden. „Vielleicht ist es besser mögliche Störenfriede schon gleich vorab einzuschüchtern, damit sie dann drinnen nicht alles auseinandernehmen.“
    „Was denkst du, was ich hier mache?“
    „Naja, ich meinte, noch mehr.“
    Der Held baute sich neben Gorn auf und trat dann zu einem Kerl, der so aussah, als suche er Streit.
    „He, du. Wenn du Streit suchst, sollte dir bewusst sein, dass jeder der hier Ärger macht volles Pfund aufs Maul kriegt.“
    Der Held schlug mit seiner rechten Faust in seine offene linke Hand. Der Typ sah ihn erschrocken an und drehte sich dann eilig weg, um hier zu verschwinden. Der Held sah Gorn triumphierend an.
    „Siehst du, es funktioniert.“
    Gorn wusste ja nicht, ob das der Sinn der Sache war. Er erklärte dem Helden, dass er hier ganz gut allein zurechtkam und er sich wieder um den Verkauf des Sumpfkrauts kümmern solle. Der weitere Abend verlief ohne Zwischenfälle, bis …
    „He, dürfen wir mal durch, ist dienstlich“, hörten sie von weitem eine Stimme zu ihnen herüberwehen.
    Zwei Herren in blauer Uniform drängelten sich zu ihm durch. Der eine war mittelgroß und recht dick, der andere jünger und eigentlich ganz gut in Form, aber recht klein.
    „Guten Tag, wir sind von der Polizei und haben eine Anzeige wegen Körperverletzung erhalten. Sie sind hier der Türsteher?“ fragte der Dicke.
    Er hatte eine tönende Baritonstimme, vermutlich konnte er mühelos über einen ganzen Platz hinwegrufen und sich so Gehör verschaffen.
    „Der bin ich“, erklärte Gorn und ahnte, dass das auf Ärger hinauslaufen würde. „Ich mach hier meine Arbeit und wenn hier Streithähne meinen alles auseinandernehmen zu müssen, dann werfe ich sie achtkantig raus.“
    Der Kleinere sah Gorn skeptisch an, der Dicke versuchte es erstmal auf die nette Tour.
    „Das können wir ja verstehen, trotzdem sollten Sie davon absehen Hand an andere Personen zu legen.“
    „Sag mir nicht, was ich zu tun und zu lassen habe!“ sagte Gorn aufbrausend.
    „He, werd nicht frech!“ sagte der kleinere Polizist, was ihm einen finsteren Blick von Gorn einbrachte, der klar sagte, dass er dabei war des Krieges Hund zu entfesseln.
    „Vielleicht können wir alles in einem klärenden Gespräch auswerten. Bitte folgen Sie uns doch einfach zu unserem Wagen, wo wir ein Protokoll aufnehmen werden“, versuchte der ältere Polizist weiterem Ärger aus dem Weg zu gehen.
    „Nen Scheiß werd ich tun!“ kam es harsch von Gorn.
    Tatsächlich schaukelte sich die Situation immer weiter hoch, bis der kleinere Polizist Gorn festnehmen wollte, was der natürlich nicht einfach so geschehen ließ und ihm einen üblen Schwinger versetzte, auf den der Polizist nicht gefasst war. Mit großer Wucht krachte er mit dem Genick voran gegen die Hauswand und regte sich nicht mehr. Sein Kollege wurde bleich.
    „Was hast du nur getan?“ fauchte er Gorn an und funkte schnell Verstärkung und einen Krankenwagen herbei.
    Gorn war selbst etwas überrascht vom Ausgang des Kampfes. In Myrtana hätten sich die Menschen nicht so einfach überrumpeln lassen. Sie wären auf so einen Angriff gefasst gewesen.
    Es endete damit, dass weitere Polizeiwagen anrückten und Gorn festgenommen wurde. Ein Krankenwagen brachte den verletzten, aber zum Glück noch lebenden Polizisten ins nächste Krankenhaus wo er versorgt wurde. Als der Held erfuhr was geschehen war, stürmte er aus dem Club, und fand sich zwischen einigen Müllcontainern wieder. Er kramte nach der neuen Teleporterrune und war im nächsten Augenblick im Flur ihres Verstecks.
    „Gorn wurde von der Miliz festgenommen“ rief er sofort.
    Lester, der gerade aus dem Keller kam, sah ihn verblüfft an.
    „Miliz, was für eine Miliz?“ fragte Elyas.
    „Die … Polizei“, fiel dem Helden das Wort wieder ein. „Offenbar regten sie sich auf, nur weil er ein paar Ohrfeigen verteilt hat.“
    Er rannte zu den anderen hoch, um zu bereden wie sie jetzt vorgehen sollten. Diego und Milten waren auch da, was hieß, dass sie zu fünft waren.
    „Kaum, seid ihr da, macht ihr Ärger. Zieht mich da bloß nicht mit rein“, kam es von Elyas.
    Er packte seine schwarze glänzende Jacke und lief die Treppe hinunter. Unten knallte die Haustür.
    Sie waren zu viert.
    „Wo ist denn dieser Tabo?“ fragte der Held und sah sich nach ihm um.
    Lester sah betreten zu Boden.
    „Naja, weißt du … Waldi hat ihn offenbar als Gefahr gesehen und ihn angesprungen. Ich konnte ihn zwar davon abhalten ihm die Kehle rauszureißen, aber Tabo war dann so geschockt, dass er das Weite gesucht hat. Keine Ahnung, ob er noch mal wiederkommt.“
    „Wer kanns ihm verübeln“, sagte Milten.
    Der Held schüttelte irritiert den Kopf, damit konnte er sich jetzt aber nicht befassen.
    „Wie holen wir Gorn da raus? Die haben ihn bestimmt schon eingebuchtet.“
    „Vielleicht können wir die Wachen bestechen“, schlug Diego vor.
    „Hm… wäre einen Versuch wert“, überlegte der Held.
    „Oder es verschlimmert die Lage nur noch“, warf Milten ein.
    „Oder wir schmuggeln einen Dietrich rein, damit sich Gorn selbst befreien kann“, schlug der Held vor.
    Diego schüttelte den Kopf.
    „Gorn kann keine Schlösser knacken.“
    „Und wenn wir das machen?“ fragte der Held.
    „Hm…“
    Diego zupfte sich nachdenklich am Bart.
    „Wir sollten uns ein Bild vor Ort machen.“
    Draußen vor der Haustür fanden sie Elyas, der Sumpfkraut rauchte. Offenbar war auch er auf den Geschmack gekommen. Sie fragten ihn, wo sich Gorn jetzt befinden könnte und er erklärte ihnen den Weg zu dem Polizeirevier, das dem „Paradise“ am nächsten lag.
    „Also, wie gehen wir vor?“ fragte Milten, als sie vor dem Gebäude standen.
    „Ich geh mal rein und überprüfe die Lage“, erklärte der Held. „Wenn was schief läuft, werdet ihr so nicht mit reingezogen.“
    Milten sah ihn beinahe flehentlich an.
    „Bitte nimm nicht gleich alles auseinander. So würdest du nur alles verschlimmern. Es gibt bestimmt auch eine bessere Lösung.“
    Der Held seufzte.
    „Ich hoffe es.“
    Er ließ Diego, Lester und Milten stehen und betrat das Gebäude. Er sprach den erstbesten Polizisten an und fragte, ob er mit jemanden über den Türsteher Gorn sprechen könne.
    „Haben Sie eine Aussage zu machen?“ fragte der Polizist.
    „Ja, sicher“, sagte der Held, weil er hoffte, dass ihn das weiterbrachte.
    „Sie haben Glück, die Kollegen befassen sich gerade mit ihm.“
    Der Polizist führte ihn einen Gang entlang und zu einem sterilen Raum wo zwei Kollegen mit Gorn sprachen.
    „He, wir sind hier drin beschäftigt“, sagte der Polizist, der in diesem Fall das Sagen hatte.
    Der Held sah, dass auf seinem Namensschild „Nagel“ stand. Bei dem anderen Mann, ein großer bulliger Typ war „Klein“ zu lesen.
    „Er sagt, er hat in diesem Fall eine Aussage zu machen“, sagte der erste Polizist und schob den Helden zu seinen Kollegen in den Raum.
    Herr Nagel war offenbar nicht froh über die Unterbrechung.
    „Name?“ fragte er harsch.
    „Wer? Ich?“ fragte der Held verwundert.
    „Ja, na wer denn sonst?“ kam es genervt vom dem ranghöheren Polizisten.
    „Ich hab keinen Namen“, sagte der Held aufrichtig.
    „Sie wollen mich wohl verscheißern, was? Der da sagt, er hätte keinen Nachnamen und sie wollen mir sagen sie haben überhaupt keinen?“
    Der Held überlegte kurz und sagte dann, als wäre es das normalste überhaupt: „Ja“
    „Ach ja, und sie wollen mir bestimmt sagen, Herr …. Herr Gorn hätte vollkommen korrekt gehandelt, als er die beiden Gäste des „Paradise“ verprügelte?“ sagte Herr Nagel.
    Der Held zuckte mit den Schultern.
    „Na, er ist doch der Türsteher. Hör mal, ich lasse auch reichlich Gold springen, wenn du ihn laufen lässt, ok?“
    Herr Klein’s Augen wurden ganz groß und Herr Nagel lief tiefrot an.
    „Bin ich hier im Irrenhaus, oder was? Scheren Sie sich raus, bevor ich sie wegen Bestechungsversuchen auch noch einbuchte!“
    ‚Das lief ja nicht besonders‘ dachte sich der Held, als er das Gebäude verließ und den anderen von seinem fruchtlosen Versuch berichtete.
    „Immer landet Gorn im Knast“, ließ der Held seinen Frust aus.
    „Was heißt denn hier immer?“ fragte Diego verwundert.
    „Naja, damals als Garond die Burg besetzte, da hatten sie ihn auch eingebuchtet und später auf dem Festland die Orks und so gesehen, die Barriere war ja auch ein Gefängnis.“
    „Naja, so gesehen, hast du uns alle schon aus dem Knast geholt“, sagte Lester und lachte.
    Der Held achtete gar nicht auf ihn und überlegte was er jetzt tun könnte, um Gorn zu helfen.
    „Ich hab aber eine Idee, wie wir mehr herausfinden können. Ich hab da einen Zauber, der heißt Seelenwanderung, damit kann ich ungesehen herumschnüffeln. Vielleicht krieg ich so etwas raus“, schlug der Held vor.
    Milten sog zischend die Luft ein.
    „Das ist Beliars Magie, muss das sein?“
    „He, wenn die Feuermagier auch so einen Zauber haben, nehm ich auch den. Nein? Na dann muss es eben Seelenwanderung herhalten. Ich muss dazu möglichst ungestört sein, weil ich mich in dem Zustand nicht bewegen kann. Wäre also ganz nett, wenn ihr mich vor unliebsamen Feinden abschirmen könntet.“
    „Was denn für Feinde?“ fragte Milten verwundert.
    Der Held wusste auch nicht so recht, aber er war es gewohnt, dass immer irgendwo Feinde waren. Er dirigierte seine Freunde zu einem abgelegenen Platz, an der Seite des nächsten Gebäudes und wandte den Zauber an. Er bekam einen leeren Blick und regte sich nicht mehr. Vorübergehende Passanten dachten vermutlich er wäre total bekifft, doch der Geist des Helden machte sich auf den Weg zurück zum Polizeirevier. Gezielt schwebte er durch die Gänge und zurück zu Gorn und den Herren Nagel und Klein. Es war sehr mühsam den Beiden zuzuhören. Sie stellten Gorn allerhand Fragen, auf die er unmöglich eine Antwort haben konnte. Sie wollten Ausweißpapiere sehen, einen Personalausweis, Reisepass, Führerschein, irgendwas. Sie dachte er würde absichtlich nicht kooperieren. Sie wollten wissen, wo er gemeldet war. Auch damit konnte Gorn nichts anfangen. Der Held entschied, dass er hier nicht weiterkam und suchte im übrigen Gebäude nach weiteren Informationen. Die Gespräche der anderen Polizisten waren für ihn oft schlicht unverständlich. Es dauerte lange, bis er etwas Nützliches herausfand. Er hörte, dass der Polizist, den Gorn verletzt hatte, noch am Leben war und auch den Namen des Krankenhauses, in dem er sich jetzt befand. Mit dieser Information kehrte er zu Diego, Lester und Milten zurück.
    „Und was fangen wir jetzt damit an?“ wollte Lester wissen.
    „Hast du gesehen, ob es einen Fluchtweg für Gorn gibt?“ fragte Diego.
    „Nein, alles voller Wachleuten, da kommt er nicht so einfach weg. Vielleicht wenn ich Schlafzauber wirke … aber dafür sind es auch einfach zu viele, “ überlegte der Held.
    „Vielleicht könntest du irgendwie für Ablenkung sorgen?“ fragte Lester.
    „Ich könnte einen Dämon beschwören, dann würde bestimmt Panik ausbrechen“, überlegte der Held.
    „Das kann ich mir vorstellen“ kam es von Diego, der verstimmt an seine letzte Dämonenbegegnung zurückdachte.
    „Vielleicht sperren sie Gorn dann aber erst recht ein, weil sie den Dämon bekämpfen müssen“, kam es von Lester.
    „Wir könnten vielleicht einen Handel mit der Miliz durchführen“, überlegte Diego.
    „Was meinst du, sollen wir den Typen entführen und ihn dann gegen Gorn eintauschen?“ fragte der Held geschäftsmäßig.
    „Leute“, kam es von Milten. „Jetzt macht doch mal langsam. Eure Lösungsvorschläge machen es doch nur noch schlimmer.“
    Doch seine Freunde hörten ihm nicht zu. Sie waren so sehr in ihre Pläne vertieft, dass sie gar nicht daran dachten, es vielleicht auch mit einer Lösung zu versuchen, in der keine weiteren Strafdelikte notwendig waren. Milten seufzte. Diesmal lag es wohl an ihm, wenn er nicht wollte, dass seine Freunde die Lage noch verschärften. Er ließ sie stehen und Pläne schmieden, einer gefährlicher als der andere und fragte einige Passanten nach dem Krankenhaus, in dem sich der Polizist befand. Den Namen des Krankenhauses wusste er ja nun vom Helden. Es dauerte lange bis er sich dorthin durchgefragt hatte. Als er vor dem Gebäude stand war er doch überrascht zu sehen wie groß es war. Damit hatte er nicht gerechnet. Wie sollte er den Polizisten da drin nur finden? Es half nur sich durchzufragen, dazu musste er seine ganze Überredungskunst aufbringen, denn einige Mitglieder des Personals dachten offenbar, er wolle ihm wohlmöglich etwas antun. Doch Milten wirkte auf sie so harmlos und er beteuerte ein ums andere Mal, dass er den Verletzten nur besuchen wolle, um ihm für seinen vorbildlichen Dienst zu danken, dass sie ihm den Weg dann doch sagten. Endlich hatte er den Polizisten gefunden. Er lag in einem steril anmutenden Raum, einem zwei Bett Zimmer, doch außer ihm war kein anderer Patient da. Dafür der dicke Kollege des Verletzten. Er saß am Bett und versuchte ihm aufmunternd zuzureden. Das war nicht einfach, denn der Patient war jetzt Halsabwärts gelähmt. Bekümmert starrte er einfach nur an die Decke, viel mehr konnte er nicht mehr tun. Sein Kollege war kurz irritiert von Miltens Anwesenheit. Er hatte nicht mit Besuch gerechnet.
    „Wer bist du? Was willst du hier?“ fragte der ältere Polizist verärgert.
    Er konnte jetzt keine Störenfriede gebrauchen.
    „Ich bin hier, um zu helfen“, sagte Milten und hielt sich nicht mit weiteren Erklärungen auf.
    Stattdessen trat er ans Krankenbett, zog die Heilrune hervor, die er sich bereitgelegt hatte und wirkte den Zauber. Helles gleißendes Licht glomm auf und die beiden anderen Männer machten erschrockene Geräusche. Doch es geschah nichts Schlimmes und erstaunt sahen sie dabei zu wie das Licht wieder verschwand.
    „Und, wie geht es dir jetzt?“ fragte Milten ruhig und hoffte inständig, dass der Mann wieder vollständig geheilt war.
    „Ich …“
    Der Patient blickte ihn perplex an und zuckte dann unvermittelt zusammen.
    „Ich hab mit dem Fuß gezuckt!“
    Es hörte sich an, als wäre es eine Heldentat, aber wenn man bedachte, dass er Mann bis eben noch gelähmt war, gab es wohl kaum etwas Ungewöhnlicheres.
    „Was? Beweg mal die Finger!“ forderte sein Kollege ihn auf.
    Die Finger bewegten sich ganz natürlich und probeweise streckte der Mann im Krankenbett alle seine Glieder und konnte es noch gar nicht fassen, was hier geschah. Er fing an zu lachen und Tränen der Freude kullerten über seine Wangen.
    „Wie? Wie hast du das gemacht?“
    Milten legte den Kopf schräg.
    „Ein Heilzauber. Ich bin ein Feuermagier“, erklärte Milten.
    Die beiden Männer sahen erst ihn, dann sich gegenseitig völlig perplex an, unschlüssig, ob das gerade ein Traum war, oder sie gerade völlig durchdrehten.
    „Hör mal, jetzt wo es dir wieder gut geht, könntest du dem Typen, der dich aus Versehen verletzt hat aus seiner misslichen Lage befreien?“
    „Der Türsteher?“ fragte der ehemals verletzte Polizist verwundert.
    Milten nickte.
    „Warum sollte ich? Er hat mich zum Krüppel gemacht“, rief der Mann aufgebracht.
    „Aber jetzt bist du kein Krüppel mehr“, erinnerte ihn der Feuermagier ruhig.
    „Aber warum interessiert es dich was aus ihm wird?“
    „Wir sind Freunde. Du würdest dich für deinen Freund doch auch einsetzen, oder?“
    Der Mann im Bett sah seinen Kollegen an. Der seufzte.
    „Na schön, ich red mal mit dem Chef. Vielleicht können wir da irgendwas Strafmilderndes durchführen. Nur keine Ahnung wie man das Begründen soll. Wunderheilung, oder was?“
    Milten lächelte verschmitzt.
    „Ganz genau.“
    „Kannst du das wiederholen?“ fragte der ältere Polizist.
    „Ja, nicht unendlich oft, aber ein paar Mal schon“, sagte Milten, der nicht genau wusste worauf der Mann hinaus wollte.
    „Warte hier, ich bin bald zurück.“
    Der ältere Mann sprang auf und lief aus dem Raum.
    Es dauerte lange, bis er zurück war. In der Zwischenzeit machte sich der andere Polizist wieder mit seinem Körper vertraut. Mit einem Ausdruck der größten Glückseligkeit, sah er dabei zu, wie seine Finger selbst die kleinsten Bewegungen perfekt ausführten. Er freute sich über jedes Zehenwackeln und Zucken. Schließlich richtete er sich auf. Es ging einfacher als gedacht. Immerhin hatten seine Muskeln noch nicht begonnen zu degenerieren. Er stand auf und lief im Raum herum, fast so, als wäre nichts geschehen, mit der Ausnahme, dass er übers ganze Gesicht strahlte. Milten war glücklich, weil er diesem Mann helfen konnte. Diese Freude in seinen Augen zu sehen war einfach unbezahlbar. Doch trotzdem hoffte er natürlich, dass Gorn frei kam. Während sie auf die Rückkehr des anderen Polizisten warteten, fingen sie an zu reden. Milten erfuhrt, dass der Mann Simon hieß und sein Kumpel Henrick. Simon bestürmte ihn mit Fragen. Er wollte wissen was es hieß Feuermagier zu sein und warum er diese Fähigkeiten hatte. Normalerweise hätte Simon Milten wohl nie geglaubt, aber angesichts seiner Heilung konnte er gar nicht anders, als seinen Worten zu vertrauen. Interessiert fragte er immer weiter nach und so erzählte Milten ihm von Innos und der Magie. Er wusste nicht, ob es richtig war, das alles zu erzählen, denn immerhin wusste dieser Mann vermutlich nichts von seiner Welt, doch es tat gut zu reden. Hier in diesem Universum kam ihm Innos so weit weg vor. Es war tröstlich über ihn zu sprechen.
    Endlich war Henrick wieder da und er brachte Herrn Klein und Herrn Nagel mit. Die blickten erstaunt zu ihrem vormals schwerbehinderten Kollegen, der jetzt munter im Raum herumlief. Perplex starrten sie den Feuermagier an, der sich genötigt fühlte, abermals eine Erklärung abzugeben.
    „Du hast ihn geheilt? Mit Magie?“ fragte Herr Nagel und ihm war klar anzusehen, dass er dachte: ‚Das wars, jetzt komm ich endgültig in die Klapse.‘
    „Ja genau“ bestätigte Milten noch einmal.
    Herr Nagel dachte angestrengt nach und sah Simon dabei zu, wie er im Zimmer aufgeregt auf und ab lief und dann anfing einen Apfel hochzuwerfen und wieder aufzufangen. Selbst er konnte nicht abstreiten, dass sein Untergebener wieder völlig gesund war.
    „Beweise mir, dass du diese Heilungen durchführen kannst!“ forderte Herr Nagel.
    Milten hob eine Augenbraue.
    „Ist das nicht Beweis genug?“ fragte er und zeigte auf Simon.
    „Wiederhol es!“ forderte der Polizist.
    Milten seufzte. Herr Nagel ließ eine Schwester herbeirufen, die wiederum einen Arzt herbeirief und dem völlig verblüfften Mann den herumspringenden Gelähmten präsentierte. Der dachte zuerst auch, er hatte sie nicht mehr alle und als ihm der Polizist dann auch noch sagte, da sei dieser Magier, der Leute heilte und er bräuchte noch ein paar Verletzte, um sich einen Beweis erbringen zu lassen, brauchte er einen Moment, um sich zu sammeln. Dann wollte er diesen Beweis aber auch sehen, denn solch eine Heilung konnte rational nicht erklärt werden. Da musste doch ein Trick dahinterstecken. Er schlug vor in die Notaufnahme zu gehen wo am besten beurteilt werden konnte, ob eine schreckliche Wunde urplötzlich verschwand oder nicht. Die ganze Geschichte hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen und so kamen immer mehr Menschen, die diesen Wunderheiler sehen wollte. Milten sah sich verdutzt um. Sicher, auch in Myrtana freuten sich die Menschen, wenn ein Magier sie von ihrem Leid erlöste und waren natürlich dankbar, aber hier schlug ihm totale Verblüffung entgegen. Milten kam zu dem Schluss, dass es hier vermutlich überhaupt keine magischen Heilungen gab. Vielleicht nicht mal Heiltränke. Was für eine schreckliche Vorstellung. Was machten die Leute nur, wenn eine Horde Orks ankam? Eine skeptische Arzthelferin führte ihn zu einer Frau, die offenbar einen schweren Unfall erlitten hatte. Sie wand sich vor Schmerzen, eine große, offene Wunde am Kopf blutete sehr stark und sie hatte Prellungen am ganzen Körper erlitten. Milten entschied, dass ein mittlerer Heilzauber ausreichen sollte, um die Wunden zu schließen. Er wirkte den Zauber, Licht umhüllte die Frau und ihre Wunden begannen zu verheilen. Die Frau hörte auf zu schreien und sah, noch überraschter als alle anderen auf ihren genesenden Körper. Als das Licht verlosch, waren auch keine Wunden mehr zu sehen. Leises Murmeln schwoll schließlich zu einem Raunen an und wurde immer lauter. Die Leute wollten mehr sehen und so heilte Milten noch den Schienbeinbruch eines kleinen Jungen und die verbrannte Haut eines alten Mannes. Die Leute waren ganz aus dem Häuschen. Milten war das fast unheimlich. Herr Nagel trat zu ihm und sagte ganz offen: „Gut, ich glaube dir Junge, ich hab da was mit den Ärzten hier besprochen. Wenn du damit einverstanden bist, hier einen Monat Sozialdienst zu verrichten, dann wird dein Kumpel Gorn sofort auf freien Fuß gesetzt und die Angelegenheit wird fallen gelassen.“
    Milten wusste nicht genau, was er sich unter diesem Monat Sozialdienst vorstellen sollte, aber er sagte sich, dass er jetzt, wo er die Möglichkeit hatte Gorn zu befreien, seinen Freund unmöglich hängen lassen konnte. Also sagte er zu.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 19:28 Uhr)

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    Ein Hafen in Berlin

    Inzwischen hatte der Held herausgefunden, dass es sehr wohl einen Hafen in Berlin gab. Den Westhafen. Was für ihn die Frage aufwarf, warum der Mann vor dem Mittelaltermarkt die Unwahrheit gesprochen hatte. Doch war ihm Ähnliches bereits mehrfach passiert. Öfters hatte er die Bewohner der Stadt nach dem Weg gefragt und war dann nicht dort angekommen wo er hin wollte. Schickten sie ihn bewusst in die Wüste, oder wussten sie es nur nicht besser? Immerhin, es war eine riesige Stadt, mit denen von Myrtana gar nicht zu vergleichen. Dort wusste jeder Bewohner von Khorinis ganz selbstverständlich, dass die Stadt einen Hafen hatte. War ja auch nicht zu übersehen, schon gar nicht, weil man die Stadt in gut einer Stunde vollständig besichtigen konnte, wenn man die Befugnis hatte auch alles anschauen zu dürfen. Es gab ja immer noch diese Sache mit dem oberen Viertel …
    So langsam dämmerte dem Helden, dass es bei so einer großen Stadt wie Berlin fast unmöglich war von allem zu wissen wo es war und ob es überhaupt existierte. So folgte auf seine Fragen nach dem Weg zum „Paradise“ oft nur Kopfschütteln. Der Club war also entweder nicht sehr bekannt, oder es gab hier so viele, dass es schier unmöglich war alle zu kennen, geschweige denn zu wissen wo sie alle waren. Für den Helden war das ein völlig neues Phänomen. Doch er wäre nicht er, wenn er sich nicht schnell anzupassen wüsste. Er gewöhnte es sich an, immer mehrere Personen nach dem Weg zu fragen. Führten die Aussagen dann in vollkommen verschiedene Richtungen, dann stimmte da irgendwas nicht. Es war auch sehr wichtig die angesprochenen Personen genau zu beobachten. Reagierten sie prompt und souverän konnte er meist davon ausgehen, dass sie auch wirklich wussten wo es lang ging. Aussagen wie: „Ja, da so, in diese Richtung…“ oder „Einfach da lang“ verhießen hier meist nichts Gutes. Waren in Myrtana solche Aussagen eher Ausdruck des Angesprochenen der Lustlosigkeit zum Reden, so verhieß es hier totale Desorientierung des Befragten, der seine Ahnungslosigkeit ganz einfach vertuschen wollte. Dann hieß es … weiter fragen, bis die Mehrheit eine eindeutige Richtung vorgab. Das war sehr lästig und er war froh, als er eine Karte der Stadt erstand. Auf den ersten Blick war sie unübersichtlich, aber als er seinen Blick für Einzelheiten schärfte und sie mit den Punkten verglich, die er bereits kannte, wurde sie zu einer großen Hilfe und seinem ständigen Begleiter. Und mit ihr fand er dann auch zum Westhafen, um dann dort nach jemandem zu suchen, der seine drängendste Frage beantworten könnte: Wo war Käpt’n Kirk?
    Die angesprochenen Personen reagierten aber nicht aufgeschlossen. Manche blafften ihn einfach nur an, er solle verschwinden und sie in Ruhe lassen, andere reagierten gar nicht auf seine Fragen, blieben nicht mal stehen. Endlich hielt ein älterer Herr, mit weißem Haar und dickem Bauch an und hörte ihm zu.
    „Kennst du einen Käpt’n Kirk?“
    „Du willst mich wohl verschaukeln? Deine Späße kannst du mit jemand anderem machen“, wurde der Mann schnell grantig.
    „Aber ich dachte, das hier ist der Hafen?“ fragte der Held.
    „Eben“ sagte der Mann und ließ den Helden ratlos zurück.
    Ihm ging auf, dass wohl wirklich etwas nicht mit diesem Käpt’n Kirk stimmen konnte. Vielleicht war es wie mit dem Hafen, nur andersrum. Den Hafen gab es, aber manche Menschen wussten das nicht. Vielleicht gab es dann keinen Käpt’n Kirk und der Typ hatte sich das nur ausgedacht, um so zu tun als ob er wüsste wovon er sprach. In diesem Moment war der Held tatsächlich verwirrt und er mochte dieses Gefühl nicht. Er sah wie eine schlanke junge Frau mit roten Haaren aus einem großen Gebäude trat und einige Schritte zu einem Vehikel ging, von dem sie jetzt eine Schlinge löste, mit der es an einem Eisengestell befestigt war. Der Held hatte gelernt, dass diese Dinger Fahrräder hießen und die Bürger sie nutzten um schneller voran zu kommen. Einen Versuch wollte er noch wagen. Etwas zaghafter als sonst und immer noch befangen trat er an die junge Frau heran und fragte: „He, du. Kannst du mir sagen wo ich einen Käpt’n Kirk finde?“
    „Was?“
    Die Frau drehte sich mit einem verschmitzten Lachen zu ihm um und sah ihn an.
    „Ist das ein Scherz?“
    „Nein.“
    Er wirkte wohl immer noch unsicher, denn die Frau legte den Kopf schräg und musterte ihn eingehend.
    „Weißt du denn nicht wer Käpt’n Kirk ist?“ fragte die Frau, immer noch lächelnd, aber eine Spur Spott lag in ihrem Tonfall.
    Der Held mochte das nicht. Warum mussten die Leute, dann immer noch darauf herumreiten, wenn er etwas nicht wusste? Reichte es nicht aus, einfach die Antwort zu sagen?
    „Nein, keine Ahnung. Ein Kapitän eben, vermute ich.“
    Die Frau lachte.
    „Ach und deswegen kommst du zum Hafen?“
    „Genau“
    „Wo kommst du her?“
    „Vom Alexanderplatz“ sagte der Held, weil er dachte, die Frau wollte wissen von wo er heute Morgen gestartet war.
    „Aha“ sagte die Frau und ihr schien dieses Gespräch Spaß zu machen. „Pass auf! Da gibt es einen Saturn, den siehst du, wenn du bei der Weltzeituhr bist. Geh da rein und frag nach einem Film mit Käpt’n Kirk. Da wirst du auf jeden Fall fündig.“
    Sie zwinkerte ihm zu und wollte sich auf ihr Fahrrad schwingen.
    „Ein Saturn?“ fragte der Held verwundert nach.
    „So heißt der Laden“, sagte die Frau, die sich jetzt wirklich fragte was sie da für einen Typen vor sich hatte, der nicht einmal einen der größten Elektronikmärkte kannte.
    Sie setzte sich auf ihr Fahrrad und fuhr von dannen. Der Held war sich kurz unsicher, ob sie ihn in die Irre geführt hatte. Was sollte ein Kapitän in einem Laden? Führte er den vielleicht? Und was war ein Film? Jedoch war es die ausführlichste Antwort, die er bisher erhalten hatte und er wollte es versuchen, auch, weil sich dieser Laden offenbar in der Nähe ihres Unterschlupfes befand und er sowieso daran vorbeikommen würde.
    Auf dem Alexanderplatz kannte er sich mittlerweile gut aus, weswegen er die Weltzeituhr schnell fand. Er hatte herausgefunden, dass dieses Metallgestell so hieß, auf das Lester und er in ihrer ersten Nacht hier gestarrt hatten. Er stellte sich genau darunter und drehte sich einmal um sich selbst um nach diesem Laden Ausschau zu halten. Mittlerweile war es dunkel geworden und in heller orangener Schrift blinkte ihm entgegen: Saturn, links daneben ein Bild von einem Halbmond mit einem Kreis drum herum. Jedenfalls sah es für ihn danach aus. Sofort lief er los, froh endlich auf eine Spur gestoßen zu sein. Innen fragte er bei einer dicken Frau, die auf einem Stuhl saß, wo ein sonderbares, vermutlich magisches Band, Waren zu ihr zog, nach einem Film mit Käpt’n Kirk. Sie sah überhaupt nicht verwundert aus und wurde auch nicht sauer. Das wertete er als gutes Zeichen. Doch sie sagte nur: „Sieh mal in der Filmabteilung nach.“
    Noch mehr Rätsel. Wohin? Egal, er ging erstmal weiter in den Laden hinein und wurde von der schieren Größe fast erschlagen. Wer konnte nur all dieses Zeug gebrauchen? Das meiste sagte ihm nichts. Weder was es war, noch wofür es gut war. Er spähte über die Regalreihen und sah die Schrift „Filme“ auf einer Wand. Da musste er hin! Er sprach einen jungen Mann an, der die gleiche Kleidung wie die Frau am Eingang trug.
    „He du, weißt du wo ich Käpt’n Kirk finde?“
    „Der Neue oder der Alte?“ fragte der Mann zurück.
    Der Held war irritiert.
    „Was meinst du?“
    Der junge Mann verengte kurz die Augen und wusste nicht, ob er weiter nachbohren sollte. Er entschied sich dagegen und sagte stattdessen nur: „Komm mit!“
    Er führte ihn zu einem bestimmten Regal, griff dort ein rechteckiges Ding und hielt es ihm hin.
    „Hier, das ist der neueste Film mit dem neuen Käpt’n Kirk. Wolltest du den?“
    „Ähm…“
    Der Held starrte verwirrt auf das Bild auf dem rechteckigen Ding. Tatsächlich hatte er keine Ahnung, ob ihn das jetzt weiterbrachte oder nicht. Was war denn das was er ihm da hin hielt? Vielleicht so eine Art Teleporterrune, die ihn zu diesem Käpt’n Kirk brachte? Er entschied, dass er damit erstmal ins Versteck zurückkehren wollte. Vielleicht wusste Elyas ja mehr. Er nahm den Film, bedankte sich und ging damit zu der Frau am Eingang zurück, die für dieses Ding fast 13 Euro haben wollte. Er war froh so viele Euros dabei zu haben und gab sie ihr im Austausch für dieses Ominöse Ding.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 19:28 Uhr)

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    Milten der Heiler

    Milten wurde von einer jungen Krankenschwester durch das Krankenhaus geführt, um ihm alle wichtigen Bereiche zu zeigen, damit er wusste wo er hingehen sollte, wenn sie ihn riefen. Auf ihrem Weg wurde er allerorts skeptisch beäugt. Es war nicht zu leugnen, dass es den geheilten Personen wieder gut ging, aber schulmedizinisch ließ sich das einfach nicht erklären. Sie waren sich nicht sicher, was er für ein Mensch war. War er ein Scharlatan? Führte er etwas im Schilde? Sollten sie ihm wirklich ihre Patienten anvertrauen, obwohl er Dinge praktizierte, die nicht erklärbar waren und überhaupt, wie sollte man das die Krankenkassen abrechnen lassen?
    „Und hier haben wir die Kardiologie“ erklärte Saskia, die Krankenschwester.
    Sie war nur 1,60 m groß, hatte schulterlange seidig blond-gefärbte Haare und machte auf Milten einen zierlichen, ja geradezu zerbrechlichen Eindruck. Ihre freundliche, aber piepsige Stimme tat ihr Übriges. Sie zeigte jetzt in einen weiteren Bereich, der sich optisch auf den ersten Blick nicht weiter von den anderen Stationen des Krankenhauses unterschied. Milten hatte längst die Orientierung verloren und war ganz auf Saskia angewiesen. Er war es einfach nicht gewohnt in so riesigen Gebäuden in immer gleich aussehenden Gängen und Räumen unterwegs zu sein. Es würde einige Zeit dauern, bis er sich zu recht fand. Plötzlich rannte eine Schwester in ein Zimmer, steckte aber schnell wieder ihren Kopf heraus und brüllte laut: „AMI! AMI!“
    Eine zweite Schwester kam gerannt und stürzte mit in das Zimmer hinein.
    „Was ist los?“ fragte der Feuermagier verwirrt.
    „Ein Fall von Akutem Myokardinfarkt“, erklärte Saskia, offenbar völlig überzeugt, er wüsste was das heißt.
    Milten war sich nicht sicher, ob er es überhaupt wagen sollte zu fragen, doch er tat es trotzdem.
    „Und was heißt das?“
    Saskia sah ihn schief an.
    „Er droht zu sterben. Sein Herz wird nicht mehr richtig durchblutet.“
    „Hm… schadet ja nichts es mit einem Heilzauber zu versuchen, oder?“
    Saskia sah ihn gleichzeitig gespannt, aber auch skeptisch an.
    „Ähm… du kannst es ja versuchen“, sagte sie, unschlüssig, was sie dazu sagen sollte.
    Milten öffnete die Tür des Raumes, in dem die beiden Schwestern soeben verschwunden waren. Ein dicker Mann lag verkrampft in seinem eigenen Erbrochenem in einem Bett. Die Schwestern riefen sich, für ihn unverständliche, Dinge zu, blickten auf Monitore und gaben ihm Medikamente über einen Schlauch. Sie beachteten die beiden Neuankömmlinge gar nicht, dafür war jetzt keine Zeit. Milten wählte einen mittleren Heilzauber aus und wirkte ihn auf den sterbenden Mann. Blaues Licht umhüllte ihn und dann dauerte es auch gar nicht lang, bis sich die Situation von jetzt auf gleich normalisierte. Auf den Bildschirmen wurden jetzt regelmäßige Werte angezeigt. Der Mann atmete noch etwas schwer und schien noch gar nicht so richtig begriffen zu haben, dass er außer Lebensgefahr war. Erstaunt blickte er fahrig mit seinen Schweinsäuglein im Raum umher. Die Schwestern sahen sich verwundert an und schauten dann zur Tür, wo ein Arzt ins Zimmer gestürzt kam, ganz offensichtlich, um zu helfen. Abrupt kam er zum Stehen, als er sah, dass alles in Ordnung war.
    „Warum haben Sie mich denn wegen nichts angepiept?“ fragte er wütend.
    „Wegen nichts? Der Mann wäre gerade fast Ex gegangen“, rutschte es einer der Krankenschwestern heraus, obwohl solche Dinge besser nicht im Beisein des Patienten besprochen werden sollten.
    Die andere Krankenschwester warf ihr einen tadelnden Blick zu, doch sie war selbst so verwirrt, dass sie gar nicht anders konnte, als dem Arzt hier und jetzt die Situation zu erklären.
    „Es gab gerade einen Myokardinfarkt, aber plötzlich war blaues Licht und alles war wieder normal.“
    „Das war mein Heilzauber“, erklärte Milten ruhig, als wäre es das normalste der Welt.
    Die anderen im Raum nahmen ihn erst jetzt so richtig war und sahen ihn an, als wäre er ein Marsmensch.
    „Ja, sicher und ich bin der Weihnachtsmann“, platzte es aus dem Arzt heraus, der müde und überarbeitet wirkte und im Moment keinen Sinn für Späße hatte.
    „Oh, nett Sie kennen zu lernen“, sagte der Feuermagier und schüttelte ihm die Hand, was den Arzt dazu brachte nun wirklich zu glauben, er gehöre in psychologische Behandlung.
    „Ähm… Milten, komm, gehen wir weiter. Ich muss dir doch noch das übrige Krankenhaus zeigen", sagte Saskia peinlich berührt und zog ihn am Arm nach draußen.
    Wieder im Gang war sie kurz still und fragte dann mit leiser Stimme, ohne ihn anzusehen: „Wie hast du das gemacht?“
    „Magie“, sagte Milten bloß und zuckte mit den Schultern. „Ich hab doch gesagt, dass ich ein Magier bin.“
    „Ja, aber … ich dachte nicht, dass es so … ich hätte nicht erwartet … das war einfach … wow.“
    Der Krankenschwester fehlten die Worte. Milten musterte sie aufmerksam. Tatsächlich schienen die Leute hier sehr überrascht von Magie zu sein. Offenbar gab es das hier wirklich nicht. Kaum zu glauben. Die armen Menschen.
    „Gibt es denn hier keine Magier, die so etwas können?“ fragte er sicherheitshalber.
    „Nein, bestimmt nicht“, sagte Saskia und kaute gedankenverloren an einer Haarsträhne, doch dann merkte sie es und strich sich das Haar wieder glatt.
    „Was ist mit Heiltränken?“
    Sie sah ihn nur verwundert an.
    „Die werden aus Kräutern gewonnen und haben einen ähnlichen Effekt.“
    „Nein, jedenfalls nicht in dem Maß. Es gibt Salben, die Schmerzen lindern können, oder gegen Ausschlag helfen, bei Verbrennungen und vielen anderen Problemen nützlich sind, aber nicht, dass jemand von jetzt auf gleich von einem tödlichen Leiden geheilt wird.“
    Der Feuermagier war verunsichert. Er konnte sich eine Welt ohne Heiltränke und Magie gar nicht so richtig vorstellen.
    „Aber was machen die Leute, wenn sie verletzt sind?“ fragte er, fast schon verzweifelt.
    „Sie kommen hierher“, sagte Saskia, mindestens ebenso irritiert wie er und bog nach links ab.
    Er folgte ihr und dachte nach. Deshalb war das Krankenhaus also so groß. Das ergab Sinn. Aber trotzdem …
    „Aber was macht ihr dann mit den Leuten, wenn ihr keine Heilkräuter habt und auch nicht mit Magie helfen könnt?“
    „Naja, zuerst einmal müssen wir herausfinden was der Patient hat. Dafür sind die Ärzte zuständig. Manchmal muss der Patient dann operiert werden, das machen Chirurgen in einem Operationssaal.“
    Milten konnte sich das nicht so richtig vorstellen. Natürlich gab es auch in Myrtana Leute, die ohne Magie auskommen mussten und sich keine Tränke leisten konnten. Hatte man dann auch noch von Kräutern keine Ahnung, sah es ganz schlecht aus. Einen Bruch konnte man mit zwei Ästen schienen. Wunden konnten zur Not zusammengenäht werden. Es gab einige Hausmittel, die hilfreich waren. Fiel man aber einem Orkangriff oder den Bissen von wilden Tieren zum Opfer, reichte das in der Regel nicht, um eine Überlebenschance zu haben.
    Saskia führte ihn zu einem der besagten Räume, den OP Sälen. Sie erklärte, dass man dort niemals ohne Desinfizierung hineindürfe. Auf seine Frage was das sei, erklärte sie ihm geduldig, dass man sich gründlich waschen müsse. Sie legte ihm nahe das Betreten zu unterlassen, es sei denn ein Chirurg oder Arzt gestatte es ihm ausdrücklich. Stattdessen führte sie ihn in einen anderen Raum, von dem aus man den Chirurgen und Helfern innen aber zusehen konnte. Erschrocken sah Milten, dass der Brustkorb des Mannes, der dort auf dem Tisch lag, aufgeschnitten war. Es war das erste Mal, dass er ein schlagendes Herz sah und ihm wurde komisch. Nicht direkt körperlich übel, es war psychologisch bestimmt. Es kam ihm falsch vor, was er da sah. In seinem Weltbild hatten die inneren Organe am besten innen zu bleiben und sollten besser nie das Tageslicht sehen, andernfalls hatte einem vermutlich gerade jemand mit dem Schwert aufgeschlitzt. Es war aber auch die ganze Situation. In einem Kampf wäre es etwas anderes. Dort ist es ja beabsichtigt, dass man den Gegner tötet. Hier wurde der Patient aber verletzt, um ihm zu helfen. Das empfand er als einen großen Widerspruch. Es kam ihm ganz und gar unnatürlich vor und er musste sich zusammenreißen nicht einfach sofort einen Heilzauber zu sprechen um dem Mann auf myrtanische Weise zu heilen. Er sagte sich, dass das hier eben eine andere Welt sei und er nicht so schnell urteilen sollte. Diese Menschen hier hatten es vermutlich schon lange so gemacht und wenn es hier keine Heilkräuter und Magie gab, blieb ihnen wohl gar nichts anderes übrig als eine andere Möglichkeit zu finden ihren Kranken und Verletzten zu helfen. Der Feuermagier fragte sich, wie es um die Menschen in Myrtana bei ähnlichen Gegebenheiten stehen würde. Vermutlich wäre ihr Volk längst ausgelöscht. Die Menschen hier hatten aber augenscheinlich etwas aus ihren Defiziten gemacht. Jedenfalls sah es für Milten so aus, als würden die Leute dort drin ganz genau wissen was sie da taten. Seine eigenen Kenntnisse über die Anatomie des Menschen waren im Vergleich vermutlich unbedeutend. Es hatte bisher gereicht zu wissen wo alle Organe lagen und wo wichtige Arterien waren um in der Not eine Blutung abbinden zu können. Er beschloss sein Wissen zu erweitern. Bei Gelegenheit würde er die Krankenschwester nach entsprechenden Büchern fragen. Es gab so vieles worüber er nachdenken konnte, dass er zuerst gar nicht merkte wie Saskia ihn woanders hinführen wollte. Sie zupfte ihn schließlich am Ärmel und er riss sich aus seinen Gedanken, um auch noch die anderen Stationen zu sehen.
    Auf ihrem Weg begegneten sie natürlich vielen kranken Menschen und Milten sah nicht, warum er Ihnen nicht helfen sollte. Saskia versuchte ihm so gut es ging verständlich zu erklären was diese Personen für Beschwerden hatten und der Feuermagier versuchte daraufhin einen passenden Heilzauber auszuwählen. Er war erstaunt wie viele Zauber er sprechen konnte. Früher war er viel schneller ausgelaugt. Erst nachdem er etwa ein Dutzend Menschen behandelt hatte, fühlte er die allmähliche mentale Erschöpfung. Der Feuermagier führte seine gesteigerte geistige Ausdauer auf den Trank zurück, den sein Freund ihm im Schläfertempel gegeben hatte, die Tränen Innos. Er überlegte wie sich die Effizienz weiter steigern ließe. Wenn er genau wüsste was die Patienten hatten könnte er viel besser auswählen welchen Heilzauber er anwenden sollte, um sein Mana zu schonen und so noch mehr Leuten helfen zu können. Manchmal war das eigentliche Problem ganz klein. Ein Gallenstein, eine Entzündung, ein Gerinnsel. Dafür reichte auch ein leichter Heilzauber, denn bei der Heilmagie kam es darauf an wie stark der Schaden war, der zu beheben war. Nur wenn der Patient bereits stark geschwächt war, erforderte das einen stärkeren Heilzauber. In Myrtana waren vor allem große Wunden zu behandeln. Bisswunden, zahlreiche Knochenbrüche, lange und tiefe Schnittwunden oder Schäden hervorgerufen durch Zauber. Hier war es ganz anders. Oft war gar nicht offensichtlich was dem Patienten fehlte. Nur einmal sah Milten einen Mann, der sich in die Hand gefräst hatte. Die meisten anderen litten an Krankheiten, die für ihn unbekannt waren, was ihn wieder in seinem Entschluss bestärkte, mehr über die verschiedenen Krankheitsbilder zu lernen.
    Die Führung endete in der Eingangshalle. Milten war geradezu erschlagen von den vielen Informationen und Eindrücken, die heute auf ihn eingeströmt waren. Er zog noch immer zahlreiche Blicke auf sich, doch diesmal waren auch einige ehrfürchtige darunter. Sie hatten offenbar von den Wunderheilungen gehört. An der Information stand eine schlanke Frau etwa um die dreißig, mit braunen eher kurzen Haaren und einem merkwürdigen Gestell mit Gläsern auf der Nase. Sie stellte sich als Astrid vor und war die leitende Krankenschwester.
    „Du hast heute bereits so vielen Menschen geholfen. Ich habe von vielen verschiedenen Stationen Meldungen erhalten. Vielen Dank.“
    Sie lächelte ihn an und reichte Milten ein kleines Gerät. Auch sie sah erschöpft und müde aus, aber in ihren Worten lag tiefempfundene Aufrichtigkeit.
    „Dieses Gerät schickt dir eine Nachricht, wenn wir dich dringend brauchen. Komm dann bitte so schnell wie möglich hierher.“
    Milten musste nicht lange überlegen welcher Weg am besten war, um so schnell wie möglich zum Krankenhaus zu kommen. Es war doch ganz klar, eine Teleportationsrune musste her. Zunächst einmal würde er eine Spruchrolle herstellen. Hier in der Eingangshalle wäre doch ein ganz passabler Ort um anzukommen. Er lag zentral und es gab viel Platz, so dass er dann von hier aus in die jeweilige Station gehen könnte, in der er gebraucht würde.
    „Hätten Sie ein Blatt Pergament?“ fragte er Astrid.
    Sie sah ihn zwar verwundert an, reichte ihm aber ein weißes Blatt.
    Der Feuermagier sah es kurz an und entschied dann, dass das ausreichen sollte. Er zeichnete ein dickes Kreutz in die Mitte, dann einen Kreis drumherum und öffnete seinen Geist für die Magie. Er achtete gar nicht darauf, dass es für die anderen vielleicht merkwürdig aussah, wie er einfach nur dastand und scheinbar gar nichts tat. Als es vollbracht war, spürte er die magische Aura um das Pergament. Zufrieden steckte er es ein.
    Er beschloss Saskia morgen nach den Büchern zu fragen und erkundigte sich, ob er für heute gehen könne. Saskia sah zu Astrid, die nickte und sie verabschiedeten sich dann mit einem Händedruck von ihm. Milten kramte die neue Rune von ihrem Versteck hervor und teleportierte sich einfach nach Hause. Als er von jetzt auf gleich verschwand blickten die Umstehenden Menschen mit offenen Mündern zu dem Platz, an dem er eben noch gestanden hatte.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 19:29 Uhr)

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    Diego der Schlüsselmeister

    Diego sah sich in seinem neuen Laden zufrieden um. So schnell konnte man es mit Nichts zu etwas bringen. Er hatte erwartet, es wäre ein total heruntergekommenes Loch, aber tatsächlich war es doch recht ordentlich. Er stand hinter einer Arbeitsfläche, die gleichzeitig als Tresen diente. Hinter ihm befanden sich eine Lochwand mit Schlüsselrohlingen und darunter eine Maschine, mit der Schlüsselkopien hergestellt werden konnten. Diego konnte gar nicht fassen, dass das hier wirklich legal war. Voller staunen hatte er Elyas zugehört, als der ihm erzählte, es handle sich hierbei um einen Schlüsseldienst. Wenn Leute ihre Schlüssel verloren, so konnten sie hierherkommen oder eine Nachricht senden und er würde ihre Tür öffnen und massig Geld dafür einsacken. Oder Leute verlangten, er solle einen Ersatzschlüssel anfertigen. Zuerst war Diego sehr skeptisch. Konnte es wirklich sein, dass Leute zu ihm kamen und ihn quasi dazu überreden wollten, er solle, auf ihren Auftrag hin, bei ihnen einbrechen? So beknackt es sich auch anhörte, es war tatsächlich so. Mit der Ausnahme, dass er gar nichts aus den Wohnungen stehlen brauchte, laut Elyas brachte allein das Öffnen der Tür reichlich Geld ein. Elyas erzählte ihm, dass es einen großen Unterschied machte, um welche Uhrzeit und an welchem Tag die Leute in ihre verschlossene Wohnung wollten. Nachts und an den Wochenenden könnte er ruhig doppelt oder dreimal so viel vom üblichen Preis verlangen. Diego hatte das Prinzip schnell verstanden: Die Not der Leute ausnutzen und ordentlich Kohle einstreichen, kein Problem. Das Handwerkszeug beherrschte er, anfangs übte er mit verschiedenen Schlössern, die in seinem Laden zum Verkauf angeboten wurden. Es gab einfache Vorhängeschlösser, Schlösser um so genannte Fahrräder abzuschließen und natürlich Türschlösser. Diego war angenehm überrascht, dass sich die Funktionsweise der Schlösser nicht sehr von dem unterschied wie es in Myrtana üblich war, es war nur manchmal etwas komplexer. In der Regel gab es einen oder mehrere Stifte, die hinuntergedrückt werden mussten und dann wurde der Kern des Schlosszylinders gedreht und das Schloss sprang auf. In einem Fachbuch las er, welche verschiedenen Schlosstypen in diesem Land besonders häufig anzutreffen waren und wie man mit ihnen umging. Einfacher waren Türen mit Rundkopfmechanismus zu öffnen, wie sie bei Terrassentüren üblicherweise benutzt wurden. Es reichte, sie mit leichter Gewalt aufzustemmen. Dabei musste nicht mal ein sichtbarer Schaden entstehen und es dauerte weniger als eine Minute. Die Türen zu öffnen, die mit einer Pilzkopfzapfenverriegelung bestückt waren, erforderte mehr Geschick. Das war gut zu wissen. Nachdem er sich über die hiesigen Schlösser und das neue Handwerkzeug informiert hatte, war Diego bereit seinen ersten Auftrag anzunehmen. Elyas ging ihm zur Hand. Er verstand zwar nichts vom Schlösserknacken, aber er wusste wie das Geschäftliche funktionierte.
    „Du brauchst eine Internetseite, damit die Leute deine Telefonnummer finden.“
    Diego verstand nicht, was er meinte. Das war ihm offenbar anzusehen.
    „Stimmt was nicht?“
    „Ist es nicht so, dass die Leute einfach durch die Tür kommen und mir sagen was sie wollen?“
    Elyas verdrehte die Augen.
    „Wir sind hier doch nicht mehr in der Steinzeit. Heute rufen die Leute an. Ich könnte da vielleicht was organisieren … ich nehme nicht an, dass du ein Handy hast?“ fragte er, weil er Diego nach seinen bisherigen Äußerungen nicht so einschätzte.
    „Keine Ahnung was das sein soll“, kam es von ihm und Elyas seufzte.
    „Dacht ich‘s mir. Naja, so wirst du wohl niemals …“
    Die Tür ging auf und eine alte Frau trat ein. Elyas sah sie an wie einen Geist.
    Die alte Dame watschelte auf sie zu und krächzte: „Entschuldigung aber ich hab vergessen wo ich meinen Schlüssel hingetan habe und jetzt komm ich nicht mehr in meine Wohnung. Bin ich hier richtig?“
    Diego sah Elyas an und sagte: „Siehst du, so hab ich mir das vorgestellt.“
    An die Frau gewandt sagte er: „Aber natürlich, das hier ist ein Schlüsseldienst. Zeigen Sie mir doch einfach, wo wir hin müssen.“
    Die alte Frau drehte sich um und verließ im Schneckentempo den Laden. Derart ausgebremst dauerte es eine halbe Stunde, bis sie bei ihrer Wohnung ankamen, die eigentlich nur zwei Querstraßen weiter lag. Diego war es ein Rätsel wie es die Frau tagtäglich schaffte bei ihren schwachen Laufkünsten noch in den dritten Stock zu kommen. Die alte Frau zeigte mit zitternden Fingern auf das Schloss.
    „Hier wohne ich.“
    Diego überlegte, dass das ja im Prinzip jeder sagen könnte und im Falle des Falles ließe sich daraus sicher was drehen, falls einem mal die Miliz beim Schlösserknacken über den Weg laufen sollte.
    „Nein, nein, ich öffne hier nur die Tür, für einen Kunden, der sich ausgesperrt hat…“
    Diegos Augen leuchteten bei dem Gedanken daran. Das hier war der richtige Job für ihn. Was sollte er mit dem Verkauf von Sumpfkraut, wenn ihm das hier viel mehr lag? Er riss sich aus seinen Gedanken, untersuchte das Schloss und erkannte wie er vorgehen musste. Er griff sein Werkzeug, es sah aus wie ein langer Metallstift mit gebogenem feinem, abgeknicktem Ende und stocherte fachmännisch im Schloss herum. Kaum zwei Minuten später hatte er aufgesperrt.
    „Oh, wunderbar, vielen Dank“, sagte die alte Frau, die überrascht war, wie schnell die Sache ging.
    „Macht 100 Euro“ sagte Elyas sofort.
    „So viel?“ fragte die Frau bestürzt.
    „Ein neues Schloss hätte sicher 500 Euro gekostet und all der Ärger mit dem Vermieter. Das könnte sich monatelang hinziehen“, redete er auf die Frau ein.
    Er reichte ihr aus einer Klemmappe einen Vordruck, wo er den Preis eintrug, völlig unleserlich unterschrieb und dann eine Unterschrift von der Frau verlangte. Sie sah etwas verwirrt drein, blickte zur Tür, als fürchtete sie, sie würden sie wieder schließen, wenn sie es nicht täte und unterschrieb.
    „Ich weiß aber nicht, ob ich so viel Geld im Haus habe.“
    Sie öffnete die Tür und suchte in ihrer Wohnung vermutlich nach ihrem Geldbeutel. Es gab einiges an Geraschel und Gerumpel. Schließlich kam sie zurück und hielt einen orangenen Schein in den Händen.
    „Ich hab nur 50 Euro da, was machen wir denn da jetzt?“ fragte sie hilflos.
    Elyas holte schon Luft, um zu einer neuen Schandtat anzusetzen, doch Diego sagte, bevor es dazu kam: „Dann reicht das für dieses Mal aus, nennen wir es einen Begrüßungsrabatt, weil sie Neukundin sind, ja?“
    Die alte Frau strahlte.
    „Aber das geht doch nicht…“ rief Elyas dazwischen.
    Diego hob die Hand zum Zeichen, dass er schweigen solle.
    „Kundenfreundlichkeit wird bei mir großgeschrieben.“
    An die alte Dame gewandt sagte er: „Wenn Sie mich bei ihren Bekannten weiterempfehlen, dann sind wir quitt, denke ich.“
    „Das werde ich ganz sicher. Sie sind zu freundlich, die Not einer alten Frau nicht auszunutzen. Vielen, vielen Dank.“
    Diego lächelte sympathisch. Natürlich würde er gewisse Notlagen ausnutzen, aber die kamen noch früh genug.
    Auf dem Weg zurück zum Geschäft machte sein junger Begleiter seinem Ärger Luft.
    „Du hättest das Doppelte herausholen können.“
    „Du hast doch gesehen, dass die Frau senil ist. Glaub mir, die kommt wieder und bevor sie zu jemand anderem geht, kann sie die nächsten Male lieber bei mir ihr Geld lassen und ich werde sie garantiert daran erinnern, dass ich jetzt so großherzig war.“
    Elyas dachte nach, dann leuchtete sein Gesicht auf.
    „Ah, du meinst, daraus könntest du langfristig Vorteile ziehen und wenn sie beim nächsten Kaffeekränzchen all ihren anderen senilen Freundinnen davon erzählt und die dann auch alle zu dir schickt, dann räumst du richtig ab.“
    „So in etwa.“
    „Naja … trotzdem. Wer nicht noch Fred Feuerstein persönlich kennt, kommt bestimmt nicht mehr persönlich vorbei. Das geht heute wirklich fast alles über Telefon und Internet. Mal sehen was sich da machen lässt.“
    „Was soll das eigentlich mit diesen Unterschriften?“
    „Das ist, damit es offiziell und ordnungsgemäß wirkt. Außerdem lässt sich damit hinterher allerhand Schindluder treiben.“
    Diego hob eine Augenbraue. Elyas schien sich mit alternativen Verdienstmöglichkeiten bestens auszukennen.
    „Zukünftig brauchen wir aber eine Bankverbindung, die wir angeben können, denn wer nicht ganz blöde ist, könnte unseren Schwindel durchschauen.“
    „Wieso denn Schwindel?“ fragte Diego.
    „Ist dein Geschäft etwa offiziell eingetragen? Kannst du nachweisen, dass du eine abgeschlossene Berufsausbildung in dem Gewerbe hast? Ganz zu schweigen von Personalausweis und weiß der Kuckuck was noch für Schriebs, den man eigentlich ausfüllen muss?“
    „Äh … nein.“
    „Siehst du … Wir müssen so tun, als ob alles ganz offiziell wäre, auch wenn es das nicht ist. Damit keiner auf die Idee kommt da tiefer nachzubohren. Zugegeben, ewig geht das nicht.“
    „Ich hoffe ja, dass wir nicht ewig hier festhängen“, sagte Diego leicht genervt.
    „Vielleicht sollten wir es heute dabei belassen und mal sehen wie das Sumpfkrautgeschäft läuft. Vielleicht könntest du unter der Hand im Laden auch welches verkaufen. Nur für eingeweihte, versteht sich.“
    Diego war nicht begeistert. Geld war Geld, aber er bevorzugte es, wenn das Risiko erwischt zu werden so gering wie möglich war.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 19:30 Uhr)

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    Die nichtmagische DVD

    Im Versteck angekommen sahen Diego und Elyas wie der Held auf Milten einredete und mit der rechten Hand an ein rechteckiges Ding in seiner linken tippte. Elyas erkannte natürlich schnell, dass es eine DVD-Box war und wunderte sich sehr, was für Gespräche sie entfachte.
    „Dieses Ding ist auf jeden Fall nicht magisch“, erklärte Milten.
    Offenbar hatte er die DVD dahingehend untersucht. Lester nahm dem Helden die Hülle aus der Hand und öffnete sie.
    „He, das kann man drehen“, sagte er und drehte die Scheibe in der Mitte wild herum.
    „Und macht das was?“ fragte Gorn und sah ihm über die Schulter.
    „Ne, sieht nicht so aus.“
    Er fummelte weiter dran herum und hatte sie schließlich aus der Fassung gelöst.
    „Boar, ist das echt so bunt, oder sieht das nur für mich so aus?“ fragte er erstaunt, als er die Scheibe umdrehte und bunte Strahlen über die Oberfläche tanzten.
    „Warum sollte es denn nur für dich so aussehen?“ fragte Milten stirnrunzelnd.
    „Naja …“ sagte Lester und sah sich nach hinten zu dem Feuermagier um. „Bei all den Dämpfen, die ich zurzeit bei der Herstellung der Sumpfkrautstengel einatme könnte alles möglich sein …“
    „Was macht ihr denn da?“ fragte Elyas, der immer mehr den Eindruck hatte, diese Typen wären total übergeschnappt.
    „Wir versuchen herauszufinden was das ist.“
    Elyas seufzte. Ja, ganz klar, die waren komplett irre, oder hatten ihr Gedächtnis verloren. Anders war das nicht zu erklären.
    „Das ist eine ganz normale DVD. Ein Film halt“, fügte er hinzu, als sich ihre Mienen nicht weiter aufhellten.
    „Und … und was macht man damit?“ wollte Lester wissen und drehte die DVD nach allen Seiten.
    „Man legt sie in einen DVD Player und sieht sich den Film an.“
    Immer noch verwirrte Gesichter.
    Erneutes genervtes Seufzen von Elyas, der sich mit einem „Gib mal her!“ die DVD krallte und die Treppe hoch ging, wo er mit dem inzwischen beim Paradise beschäftigten Tabo ein Zimmer geteilt hatte und dieses jetzt für sich allein hatte. Die anderen folgten ihm skeptisch. Elyas steckte die DVD in seine Playstation 3 und startete den Film.
    „Seht ihr, ein ganz normaler Film.“
    Der Held ging auf den Fernseher zu und sah dann prüfend hinter den Bildschirm. Nein, da war nichts. Es musste also so eine Art bewegtes Bild sein.
    „Und wozu ist das gut?“ wollte Gorn wissen.
    „Einfach nur zur Unterhaltung und jetzt hockt euch hin und seht‘s euch an, ich kann mir das nicht weiter antun. Ich mach jetzt die Fliege und seh mal wies im Paradise läuft. Kann ich gleich eine weitere Lieferung hinbringen. Wo steht der Sack mit den fertigen Stengeln?“ fragte er genervt.
    „Im Keller, gleich neben der Tür“, sagte Lester und legte sich längs aufs Sofa um es möglichst bequem zu haben.
    „He, mach mal Platz! Ich will auch wissen was das ist“, knurrte Gorn und eilig positionierte sich Lester wieder aufrecht, weil er vielleicht ahnte, dass sich sein Kumpel sonst einfach auf seine Weise Platz verschaffte.
    Alle fünf hockten da und sahen sich diesen Film an. Mal ganz davon abgesehen, dass es sehr merkwürdig war, verstanden sie bald, dass es sich um eine Art Geschichte handelte. Irgendwas mit einem fliegenden Schiff, das durch die Sternenwelt flog und auf fremden Welten landete. Der Kapitän dieses Schiffes war James Tiberius Kirk. Sein Schiff stürzte auf einer fremden Welt ab und er musste seine Crew aus den Klauen von fremdartigen Feinden befreien. Es war eine sehr rasante und für sie vor allem verwirrende Geschichte von der sie vieles nicht verstanden. Immerhin wurde ihnen klar, warum Käpt’n Kirk mit Teleportation in Verbindung gebracht wurde. Im Laufe des Films wurden mehrere Menschen „gebeamt“ wie es im Film hieß. Leute verschwanden von einem Ort und tauchten woanders wieder auf. Das konnte nichts anderes als Teleportation sein. Als der Film endete sahen sie sich stumm an.
    „Und wie soll uns das jetzt helfen?“ fragte Gorn verdrießlich.
    „Gar nicht“, kam es von Diego.
    „Fürchte ich auch. Das ist nur eine Geschichte. Das hilft uns kein Stück wieder nach Hause zu kommen“, sagte Milten resigniert.
    „All die Mühen beim Suchen und dann gibt es diesen Käpt’n Kirk gar nicht“, sagte Lester enttäuscht.
    „Alles umsonst“, kam es von Diego.
    „Verdammte Scheiße“, ließ Gorn seinen Frust raus.
    „Nicht aufgeben Leute, wir werden schon eine Möglichkeit finden“, versuchte der Held die Moral aufrecht zu erhalten.
    „Es wäre doch nur logisch, wenn sich das Portal dort befindet wo wir auch angekommen sind“, überlegte Milten.
    „Du meinst auf diesem Mittelaltermarkt?“ fragte Lester.
    „Richtig. Wir suchen da nach dem Portal und wenn wir es finden, können wir zurück.“
    „Na gut, dann mal los!“ sagte der Held voller Tatendrang.
    Ein Piepsen zerstörte den Moment. Es war dieses Gerät, welches Milten vom Krankenhaus bekommen hatte. Offenbar schickte es dem Feuermagier Nachrichten, wenn eine Lage besonders kritisch war.
    Milten seufzte.
    „Geht schon mal vor. Ich komm dann nach.“
    Er zog die Rune mit einem roten Kreutz heraus, die das Krankenhaus symbolisierte und teleportierte sich flugs dorthin.
    Die anderen machten sich auf den Weg. Immerhin wussten sie jetzt wie sie schnell durch die riesige Stadt kamen. Das Nahverkehrsnetz war zwar immer noch etwas fremdartig, aber besonders der Held fand langsam den Durchblick.
    Der Mittelaltermarkt war belebt wie eh und je, nur kam ihnen das jetzt nicht mehr so schlimm vor, wie beim ersten Mal. Sie hatten sich an das Gedränge einigermaßen gewöhnt. Bald fanden sie den „Beschwörungszauberer Zabini“, der trübselig auf seiner Bühne saß und ein langes Gesicht zog.
    „He du, was ist los?“ fragte der Held ohne sich mit Vorgeplänkel aufzuhalten.
    „Ach, ihr seid’s“, sagte der hochgewachsene Mann nicht gerade mit viel Elan in der Stimme.
    „Du weißt nicht zufällig wie wir hierhergekommen sind, oder?“ frage Diego ohne viel Hoffnung in der Stimme.
    „Nein, keine Ahnung, aber das frage ich mich auch schon seit Tagen“, sagte der Mann zerknirscht.
    „Da auf deinem Schild steht, du wärst ein Beschwörer“, meldete sich Lester keck zu Wort.
    „Das ist natürlich Blödsinn“, sagte Zabini und ließ all seinen Frust raus.
    „Du bist also ein Scharlatan…“ stellte Diego trocken fest.
    Der Mann sah ihn schief an.
    „Natürlich bin ich kein Zauberer. Wer kann das schon von sich sagen.“
    „Milten kann zaubern“, sagte Gorn.
    „Und ich auch“, gab der Held seinen Senf dazu.
    „Ich ein bisschen…“ murmelte Lester.
    „Ja, klar, was auch immer“, sagte der Scharlatan und vergrub sein Gesicht in den Händen.
    „Also was ist jetzt mit dir? Was ist dein Problem?“ fragte der Problemlöser Nummer 1.
    „Seitdem ihr aufgetaucht seid, erwarten die Leute großes von mir, aber das kann ich natürlich nicht bieten. Dann ziehen sie enttäuscht schnell wieder ab und mittlerweile will gar keiner mehr meine Tricks sehen. Unser Bühnenstück geht auch überhaupt nicht mehr und heute ist auch noch das große Finale. Da erwarten die Leute richtige Special Effekts und nicht wie jemand eine Frau zersägt.“
    Die anderen sahen ihn schief an. Waren sie an einen Psychopathen geraten? Aber naja gut … vielleicht hatte es diese Frau ja verdient und es war eine Art öffentlicher Hinrichtung. In Myrtana kamen da auch immer viele Menschen zum Zusehen.
    „Vielleicht können wir dir helfen“, bot der Held hilfsbereit an.
    „Hm…“ dachte der Mann angestrengt nach. „Zeigt mal ein paar Tricks“, forderte er die Männer vor sich auf.
    Lester sah sich um und erblickte einen mit Schokolade überzogenen Apfel an einem Verkaufsstand. Mithilfe von Telekinese erhob sich der Apfel wie durch Geisterhand und schwebte klammheimlich durch die Menge auf ihn zu.
    „Praktisch, oder?“ sagte Lester und zwinkerte dem Mann zu.
    Der Held beschwor kurzerhand Waldi hierher, der eben vermutlich noch in seinem Korb gelegen hatte und deswegen noch etwas desorientiert war. Jetzt blickte er hechelnd zu seinem Herrn auf und wartete auf Befehle.
    „Beeindruckend“, der Mann war völlig aus dem Häuschen.
    „Also wir können nicht zaubern, aber ich bin ein guter Bogenschütze und Gorn ist sehr gut im Umgang mit der Axt“, erklärte Diego, wenn er auch nicht wusste, ob dem Mann das weiterhalf.
    „Das ist perfekt.“ Zabini strahlte. „Kommt mit!“
    Er ging durch die Menge voran. Die anderen und Waldi folgten ihm. Einmal knurrte der Wolf, als ihm jemand auf eine Pfote getreten war und der angeknurrte Mann erschreckte sich und machte eilig Platz. Lester ging zuletzt und ließ sich seinen herbeigeschwebten Apfel schmecken.
    Der Scharlatan führte sie zu der großen Bühne, die ganz am Rand des Geländes lag. Offenbar handelte es sich um ein provisorisches Theater. Hinten war die Kulisse eines großen Turms aufgebaut, den man mithilfe von Leitern im Hintergrund auch hinaufsteigen konnte. In die Kulisse eingelassen war ein Raum mit Schätzen und Fallen. Vorne gab es mehrere Bühnenelemente, die mit Treppen verbunden waren. Rechts war eine Attrappe eines angesehenes Bürgerhaus zu sehen. Ganz unten auf ebener Erde war die Kulisse einer Taverne aufgebaut. Ein Tisch mit Gedeck sollte das wohl verdeutlichen. Links war eine Art Kapelle, in der sich ein glänzender mit Goldfarbe besprühter Gummispeer befand. Dafür, dass es ein Wandertheater war, war es sehr schön gestaltet.
    „He Leute, ich glaube wir könnten das Ruder noch mal rumreißen“, rief der sogenannte Zauberer in die Kulisse hinein.
    Eine als Wirtin verkleidete Frau, ein verhinderter Ritter und ein verkappter Geistlicher kamen hervor und sahen ihn überrascht an.
    „Was meinst du?“
    „Diese Herren werden uns helfen den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Ich hab keine Ahnung wie, aber die haben richtige Special Effekts.“
    Die anderen sahen zweifelnd zu ihnen, doch nach einigen weiteren Kostproben waren sie schnell überzeugt.
    „Es wäre der Wahnsinn, wenn ihr mitspielen könntet“, sagte Zabini hoffnungsvoll.
    „Das ist so eine Art Theater richtig?“ fragte Lester.
    „Genau“,
    „Oh, das hab ich noch nie gemacht, keine Ahnung ob ich das kann“, kam es verunsichert von Lester.
    „Und wenn es schon heute sein soll, wird es schwierig“, meinte Diego.
    „Wir improvisieren“, erklärte der Scharlatan.
    Er setzte alles daran, dass sie jetzt keinen Rückzieher machten.
    „Und wann soll es losgehen?“ fragte der Held aufgeregt.
    Er fand das alles wahnsinnig interessant. Es hörte sich nach jeder Menge Spaß an.
    „In einer Stunde“, druckste der fehlgeschlagene Zauberer herum.
    „Ohje, dann … worum geht es denn überhaupt?“ wollte Lester wissen.
    „Unser Glück ist, dass es eher eine lose Handlung hat. Ihr müsst also kaum Text wissen und wir können sehr viel improvisieren“, sagte der Mann schnell.
    „Naja, man sollte den Text schon wissen“, wagte der Kirchenmann sich einzumischen.
    Der Scharlatan sah ihn mit zusammengekniffenen Augen drohend an.
    „Wir machen das jetzt einfach so, das wird schon werden. Also, es geht um einen schwarzen Magier, der ein heiliges Artefakt aus dem Kloster klaut und dann müssen die Helden des Dorfes gegen den Zauberer kämpfen und das wertvolle Stück zurückbringen. Das war’s eigentlich schon.“
    „Hm… kommt mir bekannt vor“, murmelte der Held in seinen Bart hinein.
    Die anderen sahen ihn verwundert an, beschlossen aber ihn später irgendwann mal danach zu fragen.
    „Wer spielt denn was?“ fragte Lester, um zu wissen auf was er sich hier eingelassen hatte.
    „Normalerweise bin ich der schwarze Magier“, erklärte der Scharlatan. „Aber ich denke angesichts eurer Tricks sollte es einer von euch beiden sein.“
    Er zeigte auf Lester und den Helden.
    „Oahr darf ich?“ fragte der Held Lester begeistert.
    „Nur zu…“ sagte Lester schnell, auch wenn er nicht wusste, ob es eine tolle Idee war, wenn sein Freund den schwarzen Magier gab, aber immerhin musste er es dann nicht tun.
    „Herbert und Norman sind eigentlich die Helden …“
    Der ehemalige schwarze Magier zeigte auf den angeblichen Ritter und den Kirchenmann.
    „Normalerweise gibt es dann noch Tim, aber der ist heute Krank, was uns ohnehin in Bedrängnis brachte.“
    Die dicke Frau hinter ihm wartete ungeduldig, dass sie ihn erwähnte. Schnell setzte er ein Lächeln auf und beeilte sich zu sagen. „Und natürlich unsere wundervolle Martha als Wirtin im wütenden Eber.“
    „Ich würde sagen ihr drei seid unsere neuen Helden. Und unsere ehemaligen Helden leisten euch Unterstützung. Mönch Norman lässt sich beklauen, Ritter Herbert wird zuerst vergeblich versuchen das Artefakt zurückzuerobern und Martha überbringt die Kunde vom gestohlenen Artefakt, so dass ihr euch dann auf den Weg macht, um es zurückzuholen. Ich werde Statist sein.“
    So ganz überzeugt sahen Lester, Diego und Gorn nicht aus. Nur der Held war gar nicht mehr zu bremsen.
    „Toll, ich kann es gar nicht erwarten.“
    „So könnt ihr aber nicht rumlaufen“, sagte Zabini und begutachtete ihre neumodische Straßenkleidung. „Kommt mal mit hinter die Bühne.“
    Er führte sie durch eine dünne Holztür hinter die Kulisse, wo sie in einen Container traten.
    „Hier“, der Scharlatan hatte in einem Schrank herumgekramt und zog eine schwarze Robe heraus.
    Dafür, dass es nur ein Kostüm war, sah es ganz gut aus. Die Robe war mit zahlreichen düsteren Ornamenten bestickt. Allerdings wirkte sie dadurch auch etwas überladen, aber das musste vermutlich so sein im Theaterwesen. Glücklicherweise war Zabini sehr groß, weswegen die Robe von der Länge her passte, wenn man davon absah, dass der Saum auf dem Boden herumschleifte. Ein paar Zentimeter war er dann eben doch größer als der Held. Weil der aber wesentlich kräftiger war, war es ein Glück, dass die Ärmel weit geschnitten waren.
    „Sehr gut.“
    Zabini wirkte zufrieden, als er sah, dass dem Helden die Robe passte.
    „Und für euch suche ich noch was raus“, sagte er fröhlich und verließ den Container.
    „Ich will gar nicht wissen wie das aussieht“, sagte Gorn grimmig.
    „He, wenn ihr wollte, könnte ihr eure alten Klamotten haben“, schlug der Held ihnen vor, der nicht wollte, dass sie schlechte Laune bekamen.
    „Klar, her damit!“ rief Gorn, der es gar nicht erwarten konnte wieder seine alte Söldnerrüstung anzuziehen.
    Und schwuppdiwupp hatte der Held ihre Klamotten und Waffen aus seiner magischen Hosentasche hervorgeholt. Schnell zogen sie sich um. Lester war froh seine schwere Novizenrüstung wieder zu tragen und auch Diego blickte nicht mehr ganz so düster mit seiner Schattenkluft aus der Wäsche.
    Als Zabini zurückkehrte, war er sehr erstaunt sie voll ausgerüstet zu sehen.
    „Wow, sieht richtig toll aus. Sehr authentisch, wo habt ihr denn die jetzt her?“
    „Ach, die hatten wir dabei“, kam es nur vom Helden.
    Zabini wirkte irritiert, schüttelte dann aber den Kopf. Jetzt war nicht der Zeitpunkt um sich darüber zu wundern.
    „Gut wir sprechen noch über ein paar Sachen und dann geht es auch schon bald los. Die Zeit drängt.“
    Er klippste jedem ein kleines Mikrofon an und begann ihnen Instruktionen zu geben.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 19:32 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Special Effects

    Und dann war es so weit. Es war Abend geworden und vor dem Freiluft-Theater hatte sich bereits eine gewaltige Menge an Leuten versammelt. Es war so wie Zabini gesagt hatte. Dies war die Abschlussveranstaltung. Morgen würde der Mittelaltermarkt abgebaut werden.
    Die unverhofften Schauspieler standen hinter der Bühne und warteten nervös.
    „Seid einfach ihr selbst und es wird keine Probleme geben“, sprach der Held ihnen Mut zu.
    „Du tust aber nur so, als ob du ein schwarzer Magier bist, ja?“ fragte Lester verunsichert.
    „Aber natürlich“, sagte sein Freund und grinste, was Lester dann doch irgendwie Angst einjagte.
    Zabini, der die Kleidung eines normalen Bürgerlichen aus dem Mittelalter trug, trat auf die Bühne. Ein heller Lichtschein von einer Lampe strahlte auf ihn und er wartete, bis sich das Publikum beruhigt hatte. Es wirkte gespannt, aber diejenigen, die das Stück offenbar schon kannten und nur noch einmal ansahen, weil sie mit der Familie oder Freunden hier waren, wirkten nicht begeistert.
    „Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kinder, herzlich willkommen bei unserer Geschichte: „Der magische Speer von Achnaweck. Viel Vergnügen.“
    Abrupt trat er einen Schritt nach hinten und verließ so den Lichtkreis. Das Licht erlosch. Einen Moment passierte gar nichts, jedenfalls sah es so für die Zuschauer aus, in Wahrheit herrschte reges Treiben hinter den Kulissen, dann trat Norman, der Mönch aus einer Papptür von hinten in das Kloster hinein.
    „Oh, der heilige Speer von Achnaweck, heiligstes der heiligen Artefakte unseres Landes. König Johannes der Redegewandte stach damit dem mächtigen Eisdrachen mitten ins Herz.“
    Der Mönch sank auf die Knie und betete zu dem heiligen Artefakt.
    Einige aus dem Publikum wirkten jetzt noch nicht besonders angetan, aber vor allem die Kinder sahen aufgeregt zu. Dass es Kinder gab, daran hatten die vier neuen Schauspieler natürlich nicht gedacht. Wer dachte schon an sowas außergewöhnliches wie Kinder? Diego hatte den Helden gefragt, ob das irgendwas ändern würde. Der Held hatte gemeint: „Ach die kommen schon damit klar.“
    Zabini, der immer noch als einfacher Bürger verkleidet war, trat an die Klostertür heran und klopfte.
    „Mönch Norman, bist du da?“
    Der Mönch öffnete die Tür.
    „Begehrst du Einlass?“
    „Eigentlich wollte ich wissen, ob du mit mir zusammen zur Taverne zum wütenden Eber gehst um ein paar Bier zu trinken.“
    Einige aus dem Publikum lachten vereinzelt.
    „Da kann ich nicht nein sagen.“
    Der Mönch zog die Tür hinter sich zu und verschloss sie.
    Noch mehr Gelächter, was ein gutes Zeichen war. Wenn man eins nicht gebrauchen konnte, dann ein Publikum das einschlief.
    Zabini und Normann gingen in die Taverne wo sie von Martha mit einigen kühlen Bier bedient wurden. Das war jetzt allerdings nur noch am Rande wichtig, denn Raucheffekte stiegen aus dem Kloster auf. Der Held wusste, dass das jetzt sein Auftritt als Schwarzmagier war. Im Rauch konnte er ungesehen, die hintere Tür des Klosters öffnen und hineinschlüpfen. Ein lautes Getöse drang aus der Soundanlage um dem Publikum den Effekt einer Teleportation nahezubringen. Als sich der Rauch lichtete, erhob der Held verschwörerisch die Arme und sagte mit dunkler Stimme: „Ich bin der gefährliche Schwarzmagier.“
    Er ließ das einen Moment wirken, sah sich dann gespielt um und sagte dann wieder mit normaler Stimme: „Hm… gar keiner da. Mal wieder ein Auftritt umsonst.“
    Die Menge kicherte. Das Eis im Publikum fing an zu brechen.
    „Hier sollte doch eigentlich eine Wache sein, oder?“ fragte der Held ins Publikum.
    Einige Leute nickten und ein paar Kinder riefen: „Jaaahh“
    „Na, wenn keiner sonst da ist, kann ich diesen Speer ja einfach mitnehmen.“
    Und unter den staunenden Blicken der Menschen nahm er den Speer in die rechte Hand und ließ ihn einfach in seine Hosentasche gleiten wo er einfach so verschwand. „Ach, na jetzt ist er weg.“
    Wieder Gelächter.
    „Sonst noch was zu holen?“
    Wieder blickte er sich um, zuckte dann mit den Achseln und sagte: „Hm… nein, dann kann ich ja wieder verschwinden.“
    Erneut drang Rauch aus und er entkam durch die Hintertür.
    Der Fokus wechselte jetzt wieder auf Zabini und Norman, die sich nun verabschiedeten und den Bereich der Taverne verließen. Norman watschelte zu seinem Kloster zurück, schloss die Tür auf und mit gespieltem Entsetzen rief er aus: „Grundgütiger, der heilige Speer Achnaweck ist verschwunden. Wer kann das nur gewesen sein?“
    Er hielt sich den Kopf und tapste vor zum Publikum.
    „Kinder, wisst ihr, wer den Speer gestohlen hat?“
    Einige riefen laut: „Der schwarze Zauberer, der schwarze Zauberer war da.“
    Ein vielleicht achtjähriger Junge rief: „Quatsch, es ist ein schwarzer Magier, das weiß man doch.“
    „So ist das also?“ sagte der Mönch gespielt erschrocken. „Was soll ich nur tun, was soll ich nur tun? Oh, ich weiß. Ich gehe zum Ritter Herbert, der wird den Stab zurückholen.“
    Er marschierte die Bühne zu einem Element hoch, das über der Taverne lag und das wohl ein edles Haus im oberen Viertel der Stadt darstellen sollte. Währenddessen sah man Diego, Lester und Gorn, die sich vom Publikum aus gesehen von rechts der Taverne zum wilden Eber näherten. Diego trug ein Schattenläuferhorn und Gorn hatte sich ein Schattenläuferfell über die Schulter geworfen, damit es danach aussah, als würden sie gerade von einer großen Jagd zurückkehren. Diese „Requisiten“ hatte ihnen der Held gegeben und es schien beim Publikum gut anzukommen. Jetzt setzten sie sich an den Tisch, nur Lester lehnte an einer Wand und zündete sich einen Sumpfkrautstengel an.
    Währenddessen hatte Norman den Weg zu Herbert zurückgelegt und völlig außer Atem keuchte er: „Ritter Herbert, es ist etwas schreckliches geschehen.“
    Er holte angestrengt Luft.
    „Der heilige Speer Achnaweck wurde aus dem Kloster gestohlen. Der schwarze Magier war es.“
    Aus dem Publikum kam ein lautes: „Sag ich doch.“
    Ritter Herbert tat erschüttert.
    „Sofort werde ich aufbrechen, um den heiligen Speer zurückzuerobern. Kennst du den Weg?“
    Der Mönch erklärte es ihm leise flüsternd und dann rief der Ritter: „Gut, dann werde ich sofort aufbrechen.“
    Er nahm ein stumpfes Requisitenschwert zur Hand und ging los. Als er vor dem Turm ankam, der ja eigentlich nur ein paar Meter entfernt stand, hob er die Stimme und rief laut und heroisch: „Ich weiß, dass du da drin bist schwarzer Magier. Komm heraus aus deinem Turm und gib sofort den heiligen Speer zurück!“
    Der schwarze Magier öffnete die Tür oben im Turm, wo er auf eine Art Balkon hinaustrat.
    „Wer stört mich hier, ohne zuvor seine drei Rätsel gelöst zu haben?“ rief er verärgert.
    Herbert war kurz irritiert, dann rief er: „Ich Ritter Herbert, strahlender Streiter des Reiches.“
    „Soso und du willst diesen Speer?“
    Der neue Schwarzmagier zog den Speer aus seiner Hosentasche und zeigte ihn dem Publikum.
    „Du kommst einfach so hierher und störst mich. Warum sollte ich ihn dir geben? Mal ehrlich, so läuft das nicht. Zuvor musst du erstmal viele schwere und sehr gefährliche Aufgaben meistern und dann bekommst du vielleicht die Chance gegen mich zu kämpfen.“
    Der Ritter war ratlos. So stand das nicht im Skript.
    „Öhm… dafür habe ich jetzt keine Zeit. Lass uns das doch einfach überspringen.“
    „Gute Idee, verkürzen wir das Ganze, das hätte mir auch immer sehr viel erspart.“
    Das Publikum lachte.
    „Also gut, du hast es so gewollt, dann werde ich jetzt den schrecklichen Todesfluch über dich aussprechen.“
    Der Held, der nun ein Schwarzmagier war, zog eine Rune aus der Hosentasche. Das Publikum wartete gespannt, aber nicht so gespannt wie Diego, Lester und Gorn, welche die Luft angehalten hatten und sich fragten, ob ihr Freund ernst machen würde.
    Aber es war nur ein Schlafzauber, den er über den Schauspieler warf. Trotzdem war es sehr effektvoll, wie der Ritter einfach so zusammenbrach.
    „So, genug gearbeitet für heute.“
    Der Magier streckte sich und ging dann durch die Tür des Turms, eine verborgene Leiter hinunter und in den Raum mit einem Podest und den Fallenatrappen drumherum. Die Fallen deaktivierte er kurzerhand mit einem Hebel und ließ den Speer in ein Loch gleiten, dass sich im Podest befand. Prüfend bog er den Speer einige Zentimeter, der dann mit einem federnden Geräusch zurückschnellte.
    Einige Zuschauer kicherten.
    „Hm… vielleicht sollte ich öfter mal etwas mitgehen lassen, dann sähe es hier nicht so kahl aus.“
    In der Zwischenzeit war der Mönch in die Taverne gegangen und fragte die Wirtin, ob sie den Ritter gesehen hätte. Sie verneinte und gemeinsam gingen sie ihn suchen. Schnell fanden sie ihn am Fuß des Turms.
    „Da seid ihr ja, Herr Ritter“, sagte Martha dramatisch und lief zu ihm.
    Sie beugte sich über ihn und flüsterte: „Herbert, schläfst du?“
    Obwohl sie leise sprach konnte man hören was sie sagte und als dann auch noch ein Schnarcher Herberts Mund verließ, lachte das Publikum erneut.
    Norman und Martha schleiften ihn von der Bühne. Währenddessen wechselte der Fokus zu Diego, Gorn und Lester in der Taverne.
    „Die Jagd war sehr erfolgreich“, stellte Diego fest und musterte das Schattenläuferfell.
    „Ja, Grund genug so richtig zu feiern“, meinte Gorn und seine tiefe Stimme dröhnte durch die Lautsprecher.
    Er und Diego hoben eine Bierflasche und stießen an.
    „He, werft mir auch eins rüber“, kam es von Lester.
    „Na dann hol es dir doch.“
    Gorn zwinkerte ihm zu.
    Kurzerhand wirkte Lester Telekinese und eine Bierflasche, die bisher auf dem Tisch gestanden hatte, kam auf ihn zu geschwebt. Das Publikum applaudierte. Die Wirtin Martha kam schwer atmend herein.
    „Was ist denn hier los? Ihr trinkt Bier ohne zu bezahlen?“
    „Es ist einfach so herbeigeschwebt“, verteidigte sich Lester und tat unschuldig.
    Wieder Lachen aus dem Publikum.
    Die Wirtin seufzte.
    „Ihr sitzt hier herum und dabei hat der schwarze Magier den heiligen Speer von Achnaweck gestohlen und Ritter Herbert …“ Sie rang kurz nach Worten: „Schachmatt gesetzt.“
    Die Abenteurer sahen sich an. Für gewöhnlich folgte in diesem Fall die Phase des Verhandelns der Bezahlung, denn wer würde sich solch einer Gefahr schon freiwillig aussetzen? Aber sie ahnten, dass das nicht sehr heldenhaft rüberkommen würde und so sagte Diego: „Wenn du uns bei unserer Rückkehr einige Bier ausgibst, dann ziehen wir sofort los.“
    Schallendes Gelächter aus dem Publikum.
    Die Wirtin war einverstanden und so gingen die drei Freunde los und wagten sich in den Schatten des Turms. Genau passend zu dem Moment, öffnete ihr Freund oben auf dem Turm die Tür und trat hinaus.
    „Ah, noch mehr Abenteurer, die das Artefakt zurückerobern wollen, aber ich werde es euch ganz bestimmt nicht leicht machen. Ich bin ein mächtiger schwarzer Magier, im Dienst des Totengottes Beliars. Tod und Verderben erwarten euch.“
    Eindrucksvoll zog er Beliars Klaue und deutete damit zum dunkler werdenden Himmel. Die Klinge knisterte unheilvoll und einige Blitze zuckten über sie hinweg.
    Diego, Gorn und Lester standen erstarrt da. Sie fragten sich ob ihr Freund wirklich nur so tat, oder ob er wirklich vor hatte gegen sie mit der Klinge Beliars zu kämpfen.
    Lester gab Gorn einen Schubs.
    „Du gehst vor.“
    Er hatte die Situation aufgelockert und die Anspannung fiel bei den meisten ab. Für den Rest sorgte ein Winseln. Es drang hinten aus dem Turm und plötzlich stieß der beschworene Wolf die Tür auf. Er hatte sich wohl einsam gefühlt und selbst die Leiter überwunden, um zu seinem Herrn zu gelangen.
    „Waldi! Was machst du denn hier? Ich bin gerade dabei einige Abenteurer zur Schnecke zu machen und dann platzt du hier rein.“
    Waldi druckste herum.
    Kichern aus dem Publikum.
    Schlagartig veränderte sich die Situation wieder zum dramatischen, als der schwarze Magier eine Rune aus den tiefen seiner Robe zog und ein Skelett direkt vor die Füße der Abenteurer beschwor.
    Das Publikum hielt erstaunt, erschrocken und verwundert den Atem an und wäre fast erstickt. Ohne viel Federlesens zückte das Skelett seinen rostigen Zweihänder und ging auf die Freunde los. Den beschworenen Wesen war für gewöhnlich egal wer da stand, so lange sein Herr „Angriff“ befahl, taten sie was verlangt wurde.
    Gorn holte seine schwere Doppelaxt vom Rücken und schlug zwei Mal zu. Das Skelett zerfiel in seine Bestandteile.
    „Ha! Mehr hast du nicht zu bieten?“ rief Gorn herausfordernd.
    Diego und Lester warfen ihm einen Blick zu, der klar sagte: „Bist du wahnsinnig?“
    Der schwarze Magier kramte in seiner Robe und zog eine weitere Rune hervor.
    „Hier kriegst du die Armee der Finsternis!“
    Drei Skelette erschienen am Fuß des Turms und jetzt zückten auch Diego und Lester ihre Waffen. Lester schwang seine Keule Streitschlichter und Diego parierte einen Hieb des rostigen Zweihänders des Skeletts vor ihm mit seinem Schwert. Gorn schlug sich mit dem dritten Skelett herum.
    Die Zuschauer schauten mit weit aufgerissen Augen und offenen sprachlosen Mündern dem Schauspiel zu. Nur einige wenige konnten ihre Augen zum Schwarzmagier abwenden, der gefolgt von dem beschworenen Wolf zur Kammer mit dem Speer ging, aus seiner Hosentasche ein Säbelzahntigerfell hervorzauberte und es unter den Schalter legte.
    „So, Bleib!“ befahl der Magier und gehorsam legte sich Waldi auf das Fell unter den Schalter.
    Diego zerhackte gerade das letzte Skelett und rief: „So erledigt, jetzt gib uns den Speer!“
    Der schwarze Magier sah zu ihm.
    „Tse, denkst du wirklich das wäre es schon gewesen? Ein paar Skelette und zack kriegt ihr den Speer? So einfach bekommt man doch keine heiligen Artefakte. Da muss schon noch mehr kommen.“
    „Wehe, wenn da noch mehr kommt“, zischte Diego, doch es ging im Geräusch des beschworenen Golems unter.
    Der wandelnde Steinhaufen wischte den verdutzten Gorn einfach mal zur Seite. Hart schlug er auf dem Boden auf. Diego konnte ausweichen, aber sein Schwert prallte einfach am harten Fels des Ungetüms ab. Lester zog aufgeregt selbst eine Rune hervor und wirkte Telekinese. Der Golem stieg in die Luft und schwebte. Einen Moment wirkte er unschlüssig, dann versuchte er vorwärts zu laufen, was urkomisch aussah.
    „Gute Idee Lester, so kann er uns nichts mehr anhaben“, sagte Gorn, der sich wieder aufgerappelt hatte und nun auf den hilflosen Golem einschlug.
    Während seine Freunde dort unten noch fleißig am Werk waren, blieb der schwarze Magier nicht untätig und kletterte die Leiter zum Turm erneut hinauf. Dort sah er einen Moment zu und packte dann eine weitere Rune aus. Das Publikum hatte den Gipfel, der überhaupt erlebbaren Spannung erreicht und fragte sich welches Scheusal als nächstes erscheinen würde. Es schien was sehr mächtiges zu sein, denn die Beschwörung dauerte länger als bei den vorherigen Geschöpfen. Der Boden vibrierte immer stärker, rotes Licht leuchtete auf und schließlich entstieg ein Feuerdämon dem Boden. Die Menge wurde kreideweiß. Einige Kinder riefen nach ihren Eltern, um sich zu versichern, dass diese noch da wären, um sie vor diesem Monster, das offenbar unter dem Bett hervorgekrochen war, zu beschützen.
    „Is nich wahr“, kam es schwer atmend von Gorn, der gerade erst den Golem verhackstückte.
    Diego wich einem Schwinger des Dämons geschickt aus und versuchte ihn aus sicherer Distanz mit Pfeilen zu beschießen. Er musste ihn beschäftigt halten, denn Gorn und Lester mussten erst noch den Golem beseitigen. Der Dämon spie Feuer und Diego wurde leicht angesengt, weil er nicht damit gerechnet hatte und nicht rechtzeitig wegkam. Endlich zerfiel der Golem und Gorn stürzte seinem Freund zu Hilfe. Er schwang seine Axt wie wild und drosch auf den Dämon ein. Der grollte wütend und wischte ihn mit einem Prankenschlag einfach weg. Lester suchte hastig nach einer weiteren Rune. Er dankte den Göttern, dass er sie im Schläfertempel vom Helden erhalten hatte. Pyrokinese. Lester konzentrierte sich sehr stark und wirkte den Zauber. Der Dämon hielt zuerst inne und wand sich dann. Er brüllte und wütete, aber er kam nicht frei. Seine Zellen erhitzten sich unter dem Zauber immer mehr und irgendwann waren der Druck und die Hitze so groß, dass er explodierte. Diego und Gorn schauten verdattert, aus der mit Dämonenstückchen und Blut bedeckten Wäsche. Lester wischte sich über die schweißnasse Stirn.
    „Voll Krass“ riefen einige Kinder aus dem Publikum.
    „Na, sowas“, sagte der schwarze Magier, der belustigt das Schauspiel von oben betrachtet hatte.
    Es war doch mal so richtig interessant zu sehen, wie seine Freunde sich abmühten. Sonst war er immer derjenige, der gegen Golems, Skelette oder Dämonen antreten musste.
    „Alles muss man alleine machen. Na wartet, jetzt werde ich mich in eine gefährliche, monströse Kreatur der Dunkelheit verwandeln“, sagte er finster und fischte blindlings eine Rune aus seiner Hosentasche.
    Alle hielten den Atem an, auch seine Freunde, die nicht glauben konnten, dass nicht endlich mal Schluss war. Der schwarze Magier wurde in helles Licht getaucht, es gab ein lautes Geräusch und Wusch! war er verschwunden. Oder doch nicht?
    Ein leises zirpendes Geräusch erklang. Völlig perplex sahen alle hoch zum Turm. Dort krabbelte eine Fleischwanze zum Rand und gab Fleischwanzengeräusche von sich. Erneut helles Licht und der schwarze Magier stand wieder an Ort und Stelle.
    „Äh… das war die falsche Rune…“
    Vereinzeltes Lachen aus dem Zuschauerraum, der Rest war noch zu aufgewühlt. Wieder zog der Held eine Rune hervor, sah diese diesmal genau an und sprach wieder einen Zauber. Wieder gleißendes Licht und ein lauter Knall und ein furchteinflößender Schattenläufer stand oben auf dem Turm, der jetzt leicht schwankte. Er brüllte und fauchte und hieb drohend mit der rechten Tatze. Gorn und Diego sahen sich an und dann brüllte der Schatten: „Lester, schnell! Renn zum Speer und hol ihn dir, bevor ihm noch andere Sachen einfallen!“
    Ohne weitere Nachfragen wetzte Lester los, während der Schattenläufer oben vom Turm sprang und direkt hinter Diego und Gorn aufkam. Die beiden wirbelten herum. Zuerst wussten sie nicht genau, ob sie angreifen sollten, denn immerhin war er ja ihr Freund, aber angesichts der letzten halben Stunde waren sie der Meinung, dass er etwas Dresche durchaus verdient hatte. Gorn stürmte vor und schlug mit seiner Axt. Ihr Freund wich aus und rammte ihn mit seinem großen Horn weg. Diego schoss ihm in schneller Folge ein paar Pfeile in den Leib. Das Tier knurrte, wich aber nicht zurück.
    Währenddessen hatte Lester den Raum mit dem Requisitenspeer erreicht. Waldi machte ein Geräusch das sowohl knurren als auch jaulen war. Offenbar wusste er nicht, wie er sich verhalten sollte. Er kannte Lester inzwischen gut und wusste, dass er zu seinem Herrn gehörte. Sollte er ihn jetzt angreifen oder nicht?
    „Sitz!“ befahl Lester und Waldi entschied sich ihn nicht anzugreifen.
    Kurzerhand wirkte Lester Telekinese, um das Tier nicht doch noch umzustimmen und rannte mit dem Speer die Treppe herunter.
    In der Zwischenzeit, hatte Diego den Schattenläufer mit einem Schnitt in den Vorderlauf zu Fall gebracht und Gorn hatte ihm eilig noch eine gewischt. Der Held sah Lester mit dem Speer anflitzen und entschied, dass das jetzt genug Dramatik war und blieb wie tot liegen. Blut sickerte über den Boden.
    Lester, Diego und Gorn atmeten schwer.
    „Geschafft“, keuchte Diego und wischte sich Schweiß von der Stirn.
    „Was meinst du Diego, sollen wir ihm das Horn abschlagen, um eine Jagdtrophäe zu bekommen?“ fragte Gorn schelmisch.
    Diego grinste.
    „Gute Idee.“
    Der Schattenläufer knurrte drohend und sie lachten.
    Erst als Zabini, Martha und Norman auf sie zukamen und zum Sieg beglückwünschten, fiel den Abenteurern wieder so richtig ein, dass es ja ein Theaterstück war. Die echten Schauspieler waren von den ungewöhnlichen Special Effects total beeindruckt.
    „Und so wurde der heilige Speer Achnaweck zurückerobert und der schwarze Magier besiegt“, erklärte Zabini, der es selbst noch gar nicht fassen konnte.
    Das Licht ging aus und erst jetzt wurde so richtig deutlich wie dunkel es mittlerweile geworden war.
    Der schwarze Magier verwandelte sich in einen Menschen zurück und als das Licht noch mal anging, wirkte er auf sich und seine mitgenommenen Freunde einige Heilzauber. Die Menge hatte nun begriffen, dass das Stück zu Ende war und brach in tosenden Applaus aus. Pfiffe und Fußgetrampel zeigten unverkennbar, dass sie das Stück von den Socken gehauen hatte. Es dauerte noch lange, bis sich die Menge beruhigte und abzog. Zabini kam ihnen freudestrahlend entgegen.
    „Das war unglaublich, wie habt ihr das nur gemacht?“
    „Magie“, erklärte der Held nur und zwinkerte ihm zu.
    Zabini schlug ihm gönnerhaft auf die Schulter und zeigte einen dicken Batzen Geld vor.
    „Seht mal, das alles haben uns die Leute gespendet, weil sie von der Show begeistert waren. Hier nehmt!“
    Er teilte den Batzen und gab ihnen die eine Hälfte.
    „Weißt du zufällig, ob es hier irgendwo eine gute Taverne gibt?“
    „Eine Taverne? Haha, naja da hinten an der Ecke, da gibt’s eine Kneipe, da könnt ihr hingehen“, sagte Zabini heiter und ging von dannen.
    „Na das war doch lustig“, sagte der Held grinsend.
    „Pass bloß auf, du!“ grummelte Gorn.
    „Was?“ fragte der Held arglos. „Die paar Skelette …“
    „Und der Golem und der Dämon…“ kam es zähneknirschend von Diego.
    „Weißt du für einen Moment hab ich echt gedacht, du willst uns wirklich zur Schnecke machen“, sagte Lester nachdenklich.
    „Ach Quatsch, das war doch nur Spaß“, sagte der Held und lachte.
    Die anderen sahen ihn todernst an, um ihm zu zeigen, wie viel Spaß sie gehabt hatten.
    „Ach kommt … es tut mir ja Leid, aber es war schön auch mal zu sehen wie andere sich abmühen müssen, um ein Abenteuer zu bestehen. Sonst erwartet ihr das ja immer von mir, dass ich das einfach so schaffe.“
    Die anderen fühlten sich auf einmal schuldig und sagten einen Moment gar nichts mehr.
    „Naja, nur gut, dass Milten das nicht mitbekommen hat. Ich glaube er wäre hierrüber nicht gerade begeistert“, sagte Diego.
    „Ja, wenn er dich als schwarzer Magier gesehen hätte …“ sagte Lester und ließ den Satz unvollendet.
    „Aber ich will dich auch nie mehr als schwarzen Magier sehen“, stellte Gorn klar.
    Die Freunde machten sich eiligst auf den Weg, um hier heute noch wegzukommen, wurden unterwegs aber überall mit Jubel begrüßt, sobald sie erkannt wurden. Sie hatten noch überhaupt keine Zeit gehabt sich umzuziehen und so fielen sie noch mehr auf. So fiel es Milten aber auch nicht schwer sie zu finden.
    „Leute sagt mal, was sollte denn das?“ fragte er sie mit einer Mischung aus Verwunderung und Ärger.
    „Ihr könnt doch hier nicht einfach so alles auseinandernehmen.“
    „Haben wir doch gar nicht“, wehrte sich Lester.
    „Wir haben höchstens ordentlich auf den Putz gehauen“, sagte der Held und grinste.
    „Und was hast du da überhaupt an?“ wollte der Feuermagier wissen.
    „Öh…“
    „Er war der schwarze Magier“, sagte Gorn, dem es überhaupt nicht leidtat den Helden ein bisschen in die Bredouille zu bringen, nachdem was er ihnen angetan hatte.
    „Ja, das hab ich gesehen“, kam es verärgert von Milten.
    „Es war ein Theaterstück und irgendwer musste der Böse sein“, erklärte der Held.
    „Ja, das stimmt. Die Auswahl war zwischen mir und ihm“, versuchte Lester seinem Freund beizustehen.
    Er hatte nicht so viel abgekriegt und war überhaupt eher eine Frohnatur, so dass er ihm nicht lange böse sein konnte.
    „Ich kann mir denken, dass du den besseren schwarzen Magier abgegeben hast“, sagte der Feuermagier streng.
    „Stimmt. Lester hätte uns bestimmt nicht mit Skeletten und einem Dämon gequält“, sagte Gorn ungerührt.
    „WAS?“ kam es erschüttert von Milten.
    „Und den Golem“, fügte Lester hinzu.
    Milten sah erst ihn, dann den Helden fassungslos an.
    „He, es war alles nur show, so heißt das beim Theater. Also nicht ernst gemeint.“
    „Haaha, was du nicht sagst“, kam es humorlos von Gorn.
    „Seit wann hast du denn zugesehen?“ fragte Lester den Feuermagier.
    „Ab der Fleischwanzenverwandlung.“
    „Noah, da hast du ja das spannendste verpasst“, kam es vom Helden.
    „Sei froh!“ antwortete Milten streng. „Ich hätte echt nicht gedacht, dass du sowas machen würdest.“
    „Es war doch nur aus Spaß.“
    „Sowas ähnliches hast du auch gesagt, als du das Bataillon Orks niedergemetzelt hast.“
    „Aber das waren doch unsere Feinde.“
    „Und jetzt hetzt du beschworene Wesen, die man Beliar zuschreiben kann, auf deine Freunde.“
    „Und den Golem“, mischte sich Lester ein.
    „Ja, naja du hast ja Recht, aber Zabini wollte Special Effects“, wehrte sich der Held.
    „Was soll das denn sein?“ fragte Milten genervt.
    „Naja, anscheinend sowas wie Magie.“
    Milten, Diego und Gorn grollten noch den ganzen Weg zur Kneipe.
    „Ihr seid wohl vom Mittelaltermarkt?“ fragte der Wirt lachend, als sie an den Tresen kamen und drückte ihnen eine Getränkekarte hin.
    „Ja, hatten einen Mordsspaß“, verkündete der Held, wurde dann mit Blick auf seine Freunde aber doch etwas kleinlaut.
    Sie suchten sich einen Platz, doch lange blieben sie nicht sitzen, denn zuerst wollten sie ihre Klamotten tauschen, um nicht ständig diese Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Milten, der normale Straßenkleidung trug, hielt ihnen den Tisch in der Ecke frei, wo es noch am ehesten ungestört war. Er überlegte dort, wie er den Helden am besten zur Einsicht bringen konnte.
    Waldi gesellte sich zu ihm und legte sich unter den Tisch. Der Wolf war im Gedränge ungesehen hereingekommen. Die anderen brachten gleich fünf große Biergläser mit, von denen der Schaum tropfte. Sie saßen eine Zeit lang stumm da und tranken.
    „He, hört mal, es tut mir Leid. Ich wollte euch nicht schaden, es war nur ein kleiner Spaß“, entschuldigte sich der Held.
    Lester, Diego und Gorn sahen sich an und stimmten stumm ab.
    „Na schön, wir wollen mal nicht so sein, alter Junge.“
    Gorn klopfte ihm auf die Schulter.
    „Rückwirkend betrachtet hat es ja irgendwie doch ein bisschen Spaß gemacht und immerhin konnten wir uns endlich mal wieder so richtig austoben.“
    „Nehmt ihr ihn mit seinem Blödsinn jetzt auch noch in Schutz?“ fragte Milten schlecht gelaunt.
    „Naja, ändern können wir es jetzt eh nicht mehr“, sagte Gorn schlicht.
    „Darum geht es ja auch gar nicht.“
    Milten suchte nach den richtigen Worten.
    „Ich will euch nicht nerven, oder den Spaß verderben oder so etwas, aber ich halte es wirklich für keine gute Idee wenn er mit der schwarzen Magie Beliars so herumspielt. Gerade im Hinblick darauf, dass er vermutlich mal König wird.“
    Der Held stöhnte.
    „Jetzt fang nicht wieder damit an. Ich will kein König sein. Mal ehrlich, den ganzen Tag auf dem Thron hocken und nichts machen ist doch langweilig. Keine Abenteuer…“
    „Keine Dämonen…“ fügte Gorn hinzu und zwinkerte.
    Jetzt wo er sein Bier hatte, war er gleich wieder besser gelaunt.
    „Es geht als König nicht nur darum auf dem Thron zu sitzen“, fing Milten an. „Sondern darum das Land zu regieren und das heißt wichtige Entscheidungen treffen. Im Moment kommt es mir aber nicht so vor, als wenn du dich besonders verantwortungsvoll verhältst.“
    „Na davon rede ich doch die ganze Zeit“, bohrte der Held in dieser Kerbe weiter nach. „Ich mache gerne was mir gefällt, heute bin ich hier und morgen da, immer da wo was los ist, aber ich würde nicht sagen, dass ich besonders … na, dings…“
    „Verantwortungsbewusst“ half ihm Milten.
    „Ja, genau, DAS! Eher wirst du König als ich. Du bist Verantwortungsbewusst und vernünftig.“
    „Ach Blödsinn, ich bin ein Feuermagier“, wehrte Milten genervt ab.
    „Und wer sagt, dass man dann kein König sein kann?“ hakte der Held weiter nach.
    Er fand es angenehm den Spieß mal umzudrehen und Milten damit zu nerven.
    „Das ist nicht das Gleiche“, setzte sich Diego für den Feuermagier ein. „Du hast den Schläfer besiegt, die sechs großen Drachen getötet und die Herrschaft der Orks beendet.“
    Als ob er das nicht wüsste. Der Held lehnte sich mit verschränkten Armen in seinen Stuhl gelehnt zurück.
    „Ja, und das war ganz bestimmt nicht einfach. Wie ihr heute gesehen habt ist es ganz schön hart sich manchen Abenteuern zu stellen.“
    Lester, Diego und Gorn wechselten einen kurzen Blick und nickten stumm.
    „Aber trotzdem stürzt du dich gern in die Abenteuer. Manchmal zu gern, finde ich“, sagte Milten jetzt mit ruhiger Stimme.
    „Weil ich jetzt besser damit umgehen kann. Jetzt ist die Gefahr nicht mehr so groß einfach zu verrecken, aber manchmal war es früher ganz schön knapp und manchmal …“
    Der Held wusste nicht, ob er das nachfolgende wirklich sagen sollte, denn er wollte keinesfalls als Schwächling dastehen, doch er entschied sich doch dafür.
    „…manchmal hatte ich auch Angst zu sterben.“
    Die anderen sahen nicht überrascht aus.
    „Aber trotzdem hast du dich den Gefahren gestellt, nie aufgegeben und weitergemacht. Das ist auch der Grund warum du und eben nicht ich ein guter König wärst.“
    Der Held seufzte. Er rechnete es seinen Freunden hoch an, dass sie sich mal aussprechen konnten, doch er wollte sich einfach nicht in dieses unbequeme Amt hineinzwängen lassen.
    „Lust auf noch ein Bier?“ brach Lester das plötzliche Schweigen.
    Die anderen stimmten sofort zu und Lester ging los, um noch welches zu holen. Nach dieser Runde folgten noch einige weitere und so kamen sie bald auf lustigere Gespräche. Lester erzählte die kuriose Geschichte wie es einmal dazu kam, dass unversehens ein Sumpfhai ins Lager der Bruderschaft eindrang. Es endete damit, dass Viran den Strafauftrag erhielt, fortan auf der anderen Seite des Moors Sumpfkraut zu ernten. Und irgendwann fing Gorn von einer alten Geschichte an, als sie sich einen Treffpunkt suchten und Lester den Schlüssel zum Eingang verlor, weil ein Ork ihn überrascht und durchgeschüttelt hatte. Es war wohl ein aufregendes Abenteuer, bis sie all ihr Zeug, das verschlossen in einem Bereich im Orkgebiet bunkerte, zurück hatten. Der Held hörte gespannt zu und fand es schön von ihren Abenteuern zu hören.
    Sie hatten schon ganz schön einen im Tee als Lester fragte: „Erzähl mal, vorhin da sagtest du irgendwas von wegen, es käme dir bekannt vor, dass jemand was aus einem Kloster klaut. Was meintest du damit?“
    Die anderen sahen gespannt zum Helden, besonders Milten, der ja noch gar nichts davon gehört hatte.
    Der Held lief rot an und versuchte sich irgendwie rauszureden. Er hätte nicht gedacht, dass sich so eine Randbemerkung jemand merkt, aber da hatte er wohl nicht mit Lester gerechnet.
    „Na erinnert ihr euch nicht mehr daran, wie das Auge Innos aus dem Kloster der Feuermagier auf Khorinis gestohlen wurde?“ sagte er eilig, um das Thema schnell zu beenden.
    Hastig nahm er noch einen großen Schluck Bier, was vermutlich nicht die beste Entscheidung war, denn der Teil, der nicht wollte, dass er weiterredete war eben auch schon angetrunken und es wurde logischerweise schlimmer, wenn er mehr trank. Nur konnte er nicht mehr logisch denken.
    „Stimmt“, kam es von Diego.
    Milten schien das immer noch unangenehm zu sein. Immerhin stand er Wache vor dem Kloster und hätte eigentlich merken müssen, dass mit Pedro irgendwas nicht stimmte.
    „Das jemand was aus einem Kloster klaut ist ziemlich unmöglich. Pedro … gelang das auch nur, weil er ein Novize war und so nicht weiter auffiel.“
    Das war‘s, das Urteilsvermögen des Helden war zu betrunken, um dafür zu sorgen den Mund zu halten.
    „Ja, na klar. Sicher? Also das Kloster von Khorinis ist ganz bestimmt vieles, aber bestimmt nicht sicher.“
    Er lachte leise und nahm noch einen Schluck.
    Milten war plötzlich fast wieder klar.
    „Was meinst du?“ fragte er vollkommen ruhig und das sollte eigentlich jeden stutzig machen.
    Lester ahnte schon was da kommen würde und rückte etwas weiter vom Helden weg, damit er nicht unversehens in Miltens aufkeimende Wut geriet.
    „Weißt du, genau an dem Tag, als Pedro das Auge Innos stahl, da wurde auch der heilige Hammer geklaut.“
    Milten wurde aschfahl. Die anderen sahen ihn merkwürdig an.
    „Was? Woher weißt du das? Niemand außer den Feuermagiern weiß davon.“
    Der Held kicherte wieder, woran eindeutig der Alkohol schuld war.
    „Naja weißt du, es ist eigentlich eine total lustige Geschichte. Lee gab mir damals den Auftrag den Richter ausfindig zu machen, der dafür gesorgt hatte, dass er in das Mienental geworfen wurde. Er wollte sich an ihm rächen, aber um das zu erreichen, musste er erst einmal wissen wie er ihn am Schlafittchen packen konnte. Ich sollte mich als sein Söldner anwerben lassen.“
    Gorn horchte auf. Davon hatte auch er noch nichts gehört.
    „Natürlich musste ich mich erst als loyal erweisen, damit er mir vertraute und dazu gehörte unter anderem die Beschaffung des heiligen Hammers.“
    Milten wurde noch blasser. Es war als stürzte für ihn ein Weltbild zusammen.
    Diego beunruhigte das „unter anderem“. Lester hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst, weil er unbeabsichtigt dieses Gespräch losgetreten hatte.
    „Also stell dir vor: Ich wollte beides mit einer Klappe schlagen. Ich musste ja sowieso ins Kloster, um das Auge Innos zu holen, da könnte ich die Sache mit dem Hammer auch gleich erledigen. Ich komme also dort an und frage dich, ob alles in Ordnung sei.“
    Milten fiel ihm ins Wort.
    „Ah ja, du meinst damals, als ich dich so sehr gelobt und bewundert habe, weil du so viel für uns tust und wie heroisch du dich verhältst.“
    „Ja, genau“, sagte der Held und der Alkohol sorgte dafür, dass er diese donnerschlaglaute Alarmglocke überhörte. „Pedro konnte also das Auge Innos noch nicht geklaut haben, denn sonst hättest du mir über so etwas ungewöhnliches ganz sicher berichtet. Er war also noch drin. Ich wusste davon natürlich nichts, ging hinein und entschied mich erstmal dafür den Hammer zu holen, weil ich so ein Alibi hätte, wenn die ganze Geschichte zur Sprache käme. Ich wäre ja nur im Kloster gewesen, um das Auge Innos zu holen. Ich gehe also in den Keller wo Garwig steht und den Hammer bewacht. Stell dir vor, der muss zwar an sich nie schlafen, weil Innos das so verfügt hat, aber wenn man einen Schlafzauber auf ihn wirkt, dann pennt er trotzdem ein.“
    Miltens Hände ballten sich zu Fäusten. Seine Knöchel traten weiß hervor.
    „Ohne Probleme konnte ich den Hammer einfach so mitnehmen und keiner hat es mitgekrigt. Dann gehe ich zu Pyrokar, der mir erklärt, gerade eben sei das Auge Innos gestohlen wurden. Pedro muss also genau in dem Moment rausgerannt sein, als ich in den Keller ging. Was für ein Zufall, oder? Ich also hinterher, an dir vorbei, ohne dass du was geahnt hättest, zur Brücke und bin dann ins Wasser gesprungen um Pedro zu verfolgen. An einem Tag wurden zwei heilige Artefakte aus dem ach so sicheren Kloster geklaut und das genau vor deiner Nase. Das war bestimmt lustig, als alle herausfanden, dass der Hammer auch noch weg ist.“
    „Ja, das war total lustig“, grollte Milten sarkastisch.
    „Ich geh dann mal noch ein Bier holen“, brachte sich Lester schnell in Sicherheit, denn wenn er sich entscheiden müsste, ob Milten oder ein Dämon gefährlicher war, dann fiel seine Wahl ganz sicher in diesem Moment auf Milten.
    „Milten ganz ruhig, ich bin sicher das können wir in Ruhe besprechen“, versuchte Diego die Lage zu entschärfen.
    „Kannst du dir überhaupt vorstellen was los war, als wir auch noch merkten, dass der Hammer fehlte?“ schrie Milten den Helden wütend an.
    Er war laut, aber nicht so laut, dass es in dieser überfüllten und lärmenden Kneipe auffiel. Hier schrie jeder, der betrunken war, mal herum.
    „Das ist ein heiliges Artefakt, das kann man nicht einfach mal so klauen.“
    „Du siehst doch, dass man das kann“, setzte der Held noch einen drauf.
    „Halt doch mal die Klappe!“ knurrte ihn nun Gorn an. „Du machst es nur noch schlimmer, kapierst du das nicht?“
    Offenbar verstand der Held es nicht. Vielleicht wollte er es auch gar nicht verstehen. Vielleicht war sein Hang zur Klausucht auch nur ein weiterer Ausdruck der Rebellion. Der Rebellion gegen das Schicksal und wen auch immer, die ihn immer wieder dazu bringen wollten der strahlende Held zu sein, allen zu helfen, die Drachen zu erschlagen, Khorinis und Myrtana zu retten und überhaupt immer so heroisch sein zu müssen. Heilige Artefakte zu klauen, die man ganz sicher nicht klauen sollte, schon gar nicht als strahlender Held waren vermutlich das beste Mittel um zu zeigen, dass man ganz sicher KEIN strahlender Held war und noch weniger zum König taugte. So gesehen hatte diese Strategie, wenn man das so nennen wollte, funktioniert. Milten sah wütend und erschüttert aus. Kannte er seinen Freund denn wirklich? Er hatte immer geglaubt, er würde ein gutes Vorbild sein, mit all seinem Mut und seinem Durchsetzungswillen. Findig wusste er immer wie ein Problem zu lösen war, auch wenn es schwierig werden sollte. Wenn er da war, dann wurde alles gut. So musste es doch sein, oder? Und jetzt stellte Milten fest, dass es gar nicht so war. Sein Freund war einfach nur ein egoistischer Kleptomane.
    „Wie konntest du das nur tun?“ grollte Milten wütend und plötzlich loderten Flammen in seiner rechten Hand.
    „He Milten, mach mal langsam“, sagte Diego. „Komm! Wir gehen an die frische Luft.“
    Milten schien gar nicht daran zu denken, aber irgendwie schaffte es Diego ihn vom Tisch und nach draußen zu bugsieren. Lester, der gerade mit fünf weiteren Bier ankam, sah was geschah und wirkte kurz unschlüssig. Dann stellte er die Biergläser auf dem Tisch ab und entschied, dass Milten ihn jetzt dringender brauchte als der Held und verließ ebenfalls die Kneipe.
    Gorn seufzte.
    „Was hast du da nur angerichtet?“
    Der Held sagte nichts. Ganz langsam fiel der Groschen, dass er einen seiner besten Freunde so richtig verärgert hatte. Er hielt sich mit einer Hand an der Stirn und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Es gelang ihm einfach nicht. Er war schon zu betrunken.
    „Komm, lass uns auch gehen“, sagte Gorn, dem die Lust am Feiern vergangen war.
    „Und das Bier? Das können wir doch nicht einfach hier rumstehen lassen“, sagte der Held mit schwerer Zunge.
    Gorn seufzte erneut und zog sich ein Bier heran. Er stürzte es in einem Zug hinunter.
    „Boahr, nach all dem Bier hast du immer noch so einen Zug drauf, Wahnsinn!“ kam es vom benebelten Helden.
    Er zog seinerseits ein Bier heran und tat es ihm gleich. So vernichteten sie auch die nächste Ladung. Gorn entschied aber, dass es jetzt endgültig genug sei. Der Held sah ihn an und holte sich dann das letzte Bier. Diesmal brauchte er zwei Anläufe um das große Glas auszutrinken.
    „Jut, jetzt können wir los“, lallte er, stand auf, torkelte ein paar Schritte und fiel dann bewusstlos der Länge nach hin.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 19:32 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Ein klärendes Gespräch

    Der nächste Tag brach mit einem riesigen Kater an, besser gesagt mit einem Säbelzahntiger. Stöhnend richtete sich der Held auf. Es fiel ihm viel schwerer als sonst. Desorientiert sah er sich um. Er befand sich in ihrem Versteck. Offenbar hatte er in seinem Bett geschlafen. Waldi lag daneben in seinem Korb. Der Held sah sich nach Gorn um. Der schnarchte auf dem hässlichen grünen Sofa. Die Kopfschmerzen behinderten den Helden beim Denken und waren auch schonst reichlich unangenehm. Ein Heiltrank schuf Abhilfe. Erleichtert spürte er, wie sich die Wirkung entfaltete. Waldi winselte. Gedankenlos kraulte er ihn hinter den Ohren.
    Gorn grunzte und wachte dann auf. Grollend setzte er sich auf und hielt sich den Kopf.
    „Hier!“ sagte der Held mit rauer Stimme und reichte ihm einen Heiltrank.
    Gorn nahm ihn an und trank ihn in einem Zug leer. Der Held ließ sich, irgendwie immer noch erschöpft, neben ihm aufs Sofa plumpsen.
    Eine Zeit lang sagten sie gar nichts. Draußen hörten sie das geschäftige Treiben der Welt. Der Verkehr brauste, laute Musik drang von fern her und eine Bahn ratterte vorbei.
    „Keine Ahnung mehr was gestern Abend passiert ist“, kam es vom Helden.
    Gorn sah ihn einen Moment an und sagte dann: „Du warst sternhagelvoll. Ich hab dich hierhergebracht.“
    Der Held dachte angestrengt nach.
    „Weißt du wo die anderen sind?“
    „Kannst du dich denn überhaupt nicht mehr erinnern?“ fragte Gorn ungläubig. „Ich vermute, dass sie in Diegos Laden die Nacht verbracht haben.“
    „Hm…“
    „Du hast Milten ganz schön verärgert mit dieser Geschichte, wie du diesen heiligen Hammer aus dem Kloster der Feuermagier geklaut hast.“
    Der Held stöhnte.
    „Hab ich das wirklich erzählt?“
    Er hielt sich den Kopf.
    „Ja und das war total beknackt. Was hast du dir denn dabei gedacht?“
    „Das klauen, oder das erzählen?“ fragte der Held niedergeschlagen.
    Gorn wägte ab.
    „Beides … Irgendwie … aber hauptsächlich das erzählen. Sowas kannst du doch nicht rumposaunen, während ein Feuermagier anwesend ist, auch nicht, wenn‘s ein Freund ist. Mal ehrlich, selbst mir kommt es komisch vor so ein Artefakt zu stehlen. Hört sich wichtig an. Was ist das überhaupt für ein Hammer?“
    Der Held ließ sich noch etwas tiefer in die Lehne sinken.
    „Angeblich hat Rhobar der II. ihn in irgendeiner Schlacht gegen einen Golem verwendet. Anscheinend konnte dieser Golem von niemandem verletzt werden, aber mit diesem Hammer hat er es geschafft.“
    Er war einen Moment still, dann fügte er spöttisch hinzu: „Ich wette die haben ihn einfach nur mit Schwertern angegriffen, bis Rhobar dann gemerkt hat, dass es mit einem stumpfen Gegenstand besser funktioniert und husch, auf einmal ist’s der heilige Hammer. Das wäre so, als wenn ich einen Steinbrecher als heilige Wunderwaffe anpreisen würde, oder deine Axt. Immerhin hast du gestern ja auch einen Golem bezwungen. Ist also nichts weiter dabei.“
    Gorn wusste, dass der Held gerade in einer Trotzphase war und es deshalb nichts brachte mit ihm zu diskutieren, aber er versuchte es trotzdem.
    „Für dich vielleicht nicht, aber es laufen ja nicht alle Menschen im Land herum und zertrümmern Golems. Vielleicht ist da auch noch eine verborgene magische Eigenschaft oder so, die wir nur nicht kennen. Wenn dieser Hammer für die Feuermagier wichtig ist, dann gilt das eben auch für Milten.“
    Der Held drehte seinen Kopf und sah Gorn schelmisch an.
    „Meinst du er redet wieder mit mir, wenn ich ihm meinen Steinbrecher als heiligen Ersatz anbiete?“
    Gorn war nicht zu Scherzen aufgelegt.
    „Wenn du das machst, dann hast du es dir endgültig mit ihm verdorben.“
    „Du hast heute aber überhaupt keinen Humor“, grummelte der Held.
    Sie saßen noch eine ganze Weile so da und schwiegen sich an. Dieses Mal war es aber ein eher unangenehmes Schweigen. Der Held dachte angestrengt nach wie er die Sache wieder hinbiegen könnte.
    Irgendwann klappte die Tür und die anderen drei standen im Raum.
    „He“, sagte Diego zur Begrüßung.
    „He“, kam es tonlos vom Sofa zurück.
    Alle warteten darauf wer den ersten Schritt machen würde. Der Held stand auf und ging zu Milten.
    „Hör mal, es tut mir Leid. Ich war total betrunken und hab nicht mehr darüber nachgedacht was ich da erzähle.“
    Milten schien immer noch sauer, aber er wirkte beherrschter als gestern Abend.
    „Und mir tut es leid, dass ich die Beherrschung verloren habe, das hätte nicht passieren dürfen.“
    Dieser Umstand machte ihm offenbar ganz schön zu schaffen. Der Held versuchte Verständnis aufzubringen.
    „Naja, ist ja kein Wunder, dass du so reagiert hast.“
    „Aber die Geschichte ist wahr, oder?“ fragte der Feuermagier nach, ein kleiner Hoffnungsschimmer steckte in seinen Worten.
    Vielleicht hatte er sich das ja doch nur ausgedacht.
    „Ich hab nicht gelogen, das ist so passiert“, sagte der Held verlegen.
    Milten atmete einmal tief durch.
    „Weißt du wo der Hammer jetzt ist?“
    Der Held dachte nach.
    „Also nachdem ich den Hammer an den Richter übergeben habe, ließ Lee seine Falle zuschnappen und der alte Sack wurde eingebuchtet. Vermutlich wurde auch sein Haus durchsucht und ich könnte mir gut vorstellen, dass die Paladine den Hammer gefunden und dem Kloster zurückgegeben haben“, versuchte er ihn zu beruhigen.
    „Hoffen wir es.“
    Mehr schien Milten nicht sagen zu wollen. Wieder drückte das Schweigen auf die Situation. Diego, Lester und Gorn schienen die Lage genau zu beobachten für den Fall, dass sie doch noch eskalierte.
    „Gestern wolltest du wissen warum ich das gemacht habe. Es war einfach, … weil es nötig war.“
    „Naja, nur weil Lee das so wollte, heißt das doch nicht, dass es nötig war. Immerhin handelt es sich um ein heiliges Artefakt“, grummelte Milten.
    Der Held wollte nicht, dass sich die Situation wieder hochschaukelte und er versuchte seinem Freund die Lage zu erklären.
    „Sieh mal: Lee ist mein Freund und zu dem Zeitpunkt war er auch mein Vorgesetzter. Ich wollte ihm ganz einfach helfen. Wenn du, oder die anderen meine Hilfe gebraucht haben, dann hab ich euch doch auch geholfen, oder?“
    Milten seufzte. Natürlich hatte der Held da Recht. Immerhin hatte er Gorn aus dem Gefängnis befreit und Diego sicher aus dem Mienental geführt, was viel wert war, weil alle Wege damals voller Orks waren. Er konnte seinen Freund verstehen, aber ihn bedrückte noch etwas.
    „Weißt du, mich nervt auch, dass ich das alles einfach nicht kommen sah. Was bin ich denn für ein Torwächter, wenn ich das alles nicht mitbekommen habe?“ sagte Milten verbittert.
    „Hm… wenn‘s dich beruhigt, selbst wenn es jemand anders gewesen wäre, oder wenn du mich aus irgendwelchen Gründen verdächtigt hättest, wäre ich trotzdem ins Kloster reingekommen. Rechts neben dem Eingang kann man die Felsen runterklettern und dann wieder rauf und von da aus auf einen Absatz und dann weiter über die Mauer aufs Dach. Von dort aus ist es dann einfach in den Hof zu springen.“
    Milten sah ihn erstaunt an.
    „Ach und du meinst das beruhigt mich jetzt, ja?“ sagte Milten, aber ein ganz leichtes Lächeln verriet, dass er nicht mehr ganz so wütend auf seinen Freund war.
    „Hör mal, du hättest doch niemals ahnen können, was ich vorhabe. Ich denke nicht, dass du ein schlechter Wächter bist. Und um dir das zu zeigen …“
    Er zog etwas aus seiner Hosentasche.
    „… möchte ich dir das geben, damit du es sicher aufbewahrst, bis es vielleicht doch mal wieder gebraucht wird.“
    „Das Auge Innos“, sagte Milten atemlos.
    Der Held hielt es ihm hin.
    „Das kann ich doch nicht nehmen. Es ist dir bestimmt.“
    „Wer sagt das? Außerdem ist es nutzlos. Ich konnte es nicht wieder aufladen. Es braucht ein ausgewachsenes Drachenherz, um es wieder in Gang zu bekommen. Ich sehe nicht warum du es nicht nehmen solltest, immerhin bist du ein Feuermagier und damit doch genau der Richtige, um das Auge Innos zu beschützen.“
    Milten sah seinem Freund in die Augen, um sich zu versichern, dass es auch wirklich in Ordnung war, wenn er das Auge bekam und nahm es dann an.
    „Ich verspreche, dass ich es sicher verwahren werde, bis zu dem Zeitpunkt, an dem du es wieder brauchst.“
    „Gut“, der Held klopfte ihm auf die Schulter.
    Er war froh, dass Milten nicht mehr auf ihn sauer war. Ganz merklich fiel die Spannung aus dem Raum. Die anderen drei atmeten auf.
    „Eigentlich wollten wir gestern ja wegen diesem Dimensionstor zum Markt“, fing Lester das nächste Thema an. „Aber wir sind nicht großartig vorangekommen.“
    „Ich hab zwar gemerkt, dass Magie in der Luft liegt, aber vermutlich lag das auch einfach nur an euren …“, er sah Lester und den Helden an und lächelte schief. „Special Effects.“
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 19:34 Uhr)

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    Drachentöter

    Es klopfte laut unten an der Tür. Es waren Cem und Elyas. Cem sah sehr geschäftig aus und nachdem sie ihn hereingelassen hatten kam er gleich zur Sache.
    „Mit diesem Sumpfkraut läuft es richtig gut. Wenn wir es im Darknet verkaufen machen wir noch ein Vielfaches an Umsatz. Es gibt da so einen Typen, so ein Nerd, der wird sich darum kümmern.“
    Es schien ihm offenbar vollkommen egal, dass seine Zuhörer ihn gar nicht so recht verstanden. Ihm genügte es Befehle zu erteilen und wenn diese nicht ausgeführt wurden, dann würde er sich schon etwas zur Bestrafung einfallen lassen. Dieses Verhalten war er gewohnt. Er ging hoch zu den Sumpfkrautpflanzen und besah sich den Raum.
    „Ein … Geschäftspartner stellt mir eine Lagerhalle an den Bahngleisen ein Stück von hier zur Verfügung. Sie steht im Moment leer und ich bin mir sicher, dass sich dort noch viel mehr Sumpfkraut anpflanzen lässt.“
    Er drehte sich um und zeigte auf Lester und den Helden.
    „Ihr beide kommt mit und seht euch an, ob die Räume was taugen und dann gehst du“, er zeigte jetzt auf den Helden. „Zu Marius, dem Nerd und gibst ihm diesen Umschlag.“
    Danach wandte sich Cem um und beachtete sie nicht weiter. Er ging im Raum auf und ab und inspizierte alles ganz genau.
    „Stimmt was nicht?“ fragte der Held.
    Cem blickte auf, schien dann abzuwägen, ob er etwas sagen sollte, oder es doch besser geheim blieb. Der Clubbesitzer neigte offenbar zum Plaudern, was in dieser Branche sehr ungesund sein konnte.
    „Es wird nachgedacht dieses Haus zu verkaufen, nein, das ist nicht richtig, jemandem gegen Geld zu überlassen. In einem Jahr sind zehn Jahre um, dann kann dieses Ghost House einen neuen Besitzer finden, per Share Deal.“
    Die Freunde sahen sich verwundert an.
    „Was heißt das? Ich dachte das Haus gehört dir“, fragte der Held.
    Cem schien nur darauf gewartet zu haben, dass er fragte, so dass er mit seinem Finanzwissen protzen konnte.
    „Das gehört doch nicht mir. Es ist … sozusagen Firmeneigentum. Nächstes Jahr werden wir dann Anteile des Hauses verkaufen, so muss keine Grunderwerbsteuer bezahlt werden.“
    „Und was ist ein … Ghost House?“
    Cem wedelte ungeduldig mit der Hand.
    „Na ein Geisterhaus.“
    Damit schien die Unterhaltung aus seiner Sicht beendet zu sein und er wandte sich wieder ab.
    „Geister?“
    Der Held sah die anderen an, um zu sehen, was sie davon hielten. Die sahen unschlüssig drein.
    Lester fragte leise: „Meinst du wirklich, dass es hier Geister gibt?“
    „Finden wir es heraus", sagte der Held voller Tatendrang.
    „Was meinst du?“ fragte Milten skeptisch.
    „Ich hab noch diese Anrufungsformel, die mir Myxir gegeben hat. Damit konnte ich auch Quahodron zu einem Plausch überreden. Ich sehe nicht, warum das hier nicht funktionieren sollte, wenn das hier ein Geisterhaus ist.“
    „Am besten fangen wir gleich oben an“, sagte Gorn und zeigte auf das Zimmer, in dem sie schliefen.
    Ihm schien es gar nicht zu gefallen, dass nachts wohlmöglich irgendwelche Geister um ihn herumschwebten. Sie gingen die Treppe hoch und der Held kramte in seiner Hosentasche nach der Steintafel. Dann sprach er die Worte in der uralten Sprache. Es wirkte sehr beeindruckend auf die anderen, aber nichts passierte.
    „Vielleicht hat der Geist dich nur nicht richtig verstanden?“ mutmaßte Lester.
    Der Held räusperte sich und sprach die Zeilen dann noch einmal, diesmal so deutlich wie möglich. Doch wieder nichts. Der Raum blieb leer. Kein Geist zeigte sich.
    „Muss es vielleicht Nacht sein?“ fragte Gorn.
    „In Jharkendar spielte das keine Rolle“, erklärte der Held.
    Milten dachte nach.
    „Wenn es einen Geist gibt, dann versteht er dich vermutlich nicht. In Jharkendar sprechen sie die alte Sprache, hier aber nicht. Versuch mal die Anrufung zu übersetzen, vielleicht tut sich dann etwas.“
    Der Held tat wie ihm geheißen. Er übersetzte die Worte auf der Steintafel und trug sie feierlich vor, aber immer noch nichts.
    Diego seufzte, angesichts der Bemühungen seiner Freunde.
    „Ich denke, das mit dem Geisterhaus war nur eine Metapher.“
    Die anderen sahen ihn verwundert an.
    „Mit Geisterhaus wird hier wohl einfach nur ein leer stehendes Haus bezeichnet.“
    „Komische Leute“, kam es von Lester.
    „Ich sag doch auch nicht, Drachenhöhle, wenn‘s gar keine ist“, entrüstete sich der Held. „Stell dir doch mal vor, da kommen dann viele wagemutige Abenteurer voller Erwartungen in dieser Höhle an und dann gibt es dort gar keinen Drachen. Wie enttäuscht müssen die denn sein?“
    „Ja, die Armen“, sagte Milten schmunzelnd und mit nicht allzuviel Mitleid in der Stimme.
    „Was macht ihr denn hier oben?“ fragte Elyas, der gerade die Treppe hinaufkam. „Cem möchte aufbrechen. Ihr beiden kommt am besten mit.“
    Der Held und Lester wussten, dass sie gemeint waren.
    „Ach und … wenn du bei Marius bist, kannst du ihm gleich sagen, dass er eine Internetseite für Diego einrichten soll. Dann können die Nutzer ihn auch über Telefon und Internet erreichen.“
    "Wenn du es sagst", kam es nur vom Helden.
    Sie brachen auf und nahmen einen großen Sack mit Sumpfkraut mit. Das Lagerhaus lag in einer trostlosen Gegend. Sie parkten am verwahrlosten Straßenrand. Das Gebäude sah seit langem verlassen aus. Cem zog einen Schlüssel aus der Tasche und sperrte das rostige Schloss auf, dann traten sie ein. Wie zu erwarten, sahen sie einen großen, leeren, dunklen Raum. Es roch nach abgestandener Luft und Staub. Trübes, dämmriges Licht schien durch die dreckigen Fenster.
    „Und was sagt ihr?“ fragte Cem, als würde er ihnen gerade ein Traumhaus zeigen.
    Lester und der Held gingen herum und sahen sich aufmerksam um. Es gab nicht viel zu sehen, nur einige Kartons, Kisten und anderer Schrapel. Lester kam schließlich zurück und sagte: „Es ist sehr trocken. Wenns nasser wäre, können wir es versuchen.“
    „Ich denke, das lässt sich einrichten“, sagte Cem, mit einem breiten Grinsen im Gesicht. „Wo ist eigentlich dein Kumpel?“
    Ein lautes Poltern verriet seinen Standort. Der Held hatte etwas interessantes, unter einem Haufen Kisten gesehen und als er danach griff, purzelte alles durcheinander. Cem sah ihn verärgert an, sagte dann aber: „Na schön, ihr werdet das schon machen. Ich kann mich ja dann wieder den anderen Geschäften widmen.“
    Damit verließ er das Lagerhaus und fuhr mit seinem Wagen davon.
    „Ich hab schon alles vorbereitet“, erklärte Elyas stolz und zeigte auf Balkonblumenkästen, die er für die Sumpfkrautpflanzen vorgesehen hatte.
    Lester wirkte nicht so recht zufrieden.
    „Ich weiß nicht, ob sie hier wachsen. Sumpfkraut ist zwar recht anspruchslos, aber in diesem Loch wird es schwierig.“
    „Ich besorge Wassersprenger, dann ist es feucht genug“, erklärte Elyas, der sich seine Begeisterung nicht nehmen lassen wollte.
    Lester wirkte fast noch unzufriedener. Der Held, der das Gespräch mitbekommen hatte, kam angetrabt und gab ihm einen Stoß mit dem Ellenbogen in die Seite: „Du willst doch nur nicht, dass all deine Sumpfkrautvorräte vor die Hunde gehen.“
    Er zwinkerte ihm zu. Lester sah ihn ertappt an und versuchte sofort zu dementieren.
    „Nein, ich …“
    „Da wächst auch wieder neues. Es bleibt garantiert noch mehr übrig als du rauchen kannst.“
    Lester war immer noch nicht zufrieden, wusste aber, dass er sich damit abfinden musste.
    „He, wegen Marius. Hier ist seine Adresse.“
    Elyas reichte ihm einen Schnipsel mit einer Anschrift.
    „Kannst du es mir auf der Karte einzeichnen?“ fragte der Held und zückte sie aus der Hosentasche.
    Elyas sah sie überrascht an, nahm sie dann aber entgegen, entfaltete sie und kreuzte die Stelle mit einem X an. Daraufhin ließ der Held Lester und Elyas mit dem Sumpfkraut allein und joggte los. Auch wenn er sich mittlerweile mit den öffentlichen Verkehrsmitteln auskannte, mochte er es zu laufen. Er hatte sich überlegt, dass es trotzdem sinnvoll wäre, einige andere Teleporterrunen der Stadt zu haben, etwa wenn doch mal die Miliz hinter ihm her sein sollte. Er nahm sich fest vor, Milten zu fragen, ob er einige Runen herstellen könnte. Ihm selbst fehlte das nötige Wissen. Vielleicht könnte Milten es ihm ja beibringen?
    Er gelangte zum X auf der Karte, sah noch einmal genau hin, blickte sich um und faltete die Karte dann zufrieden zusammen. Hier war er richtig. Immerhin hatte Elyas ihm Marius zweiten Namen genannt. Zuerst hatte er es komisch gefunden, dass die Leute hier zwei Namen hatten, aber in anbetracht der Anzahl an Menschen war es vermutlich notwendig. Dieser zweite Name stand auf einem der Schilder an der Tür. Der Held klopfte. Doch es öffnete niemand. Er klopfte noch energischer. Immer noch nichts. Der Held ließ sich nicht entmutigen. Irgendwie musste man doch da reinkommen. Er könnte die Tür vielleicht mit einem Dietrich öffnen. Er sah sich um. Es gab einige Menschen, die diese Straße hoch und runter liefen. Es könnte zu sehr auffallen. Bevor er diese Möglichkeit ernsthaft erwog, untersuchte er die Schilder an der Wand genauer. Da war ein Knopf neben dem Namen. Der Held drückte drauf. Von drinnen kam ein leises, aber nerviges Geräusch. Das musste ja irgendwas bringen. Der Held hielt den Knopf gedrückt. Nach etwa zwei Minuten ging die Haustür auf und ein gehetzter, kleiner, junger Kerl mit schmierigen halblangen Haaren und einem Metallgestell mit Gläsern im Gesicht, stand vor ihm.
    „Ich bin doch nicht taub. Zweimal kurz, hätte auch gereicht.“
    Er musterte ihn und sein Blick zeigte, dass er plötzlich von der Erscheinung seines Gegenübers eingeschüchtert war.
    „Elyas schickt dich, oder?“
    „Ja, ich soll dir das hier geben.“
    Der Held zog den Umschlag aus der Tasche, den Cem ihm gegeben hatte.
    „Doch nicht hier“, zischte Marius nervös. „Komm mit rein.“
    Er verschwand wieder im Haus, wo er eine lange Treppe hochging. Der Held folgte ihm und donnerte die Tür hinter sich zu. Marius zuckte am ganzen Körper zusammen. Er schien sich eine fuchsige Bemerkung zu verkneifen. Mit seinem Gast wollte er ganz offensichtlich keinen Streit. Marius Wohnungstür stand halb offen. Es sah ganz nach einer übereilten Flucht aus. Innen war es aber sehr ordentlich. Der Held sah sich staunend um. Er hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt, wie viel Platz die Leute in dieser Stadt hatten. Was sofort ins Auge fiel waren zahlreiche elektronische Geräte. Er hatte mittlerweile gelernt, dass sie für Arbeiten und zur Unterhaltung gut waren, aber so viele auf einmal hatte er bisher noch nicht gesehen. Marius besaß einen großen Fernseher, fünf Konsolen, zwei Laptops und vier Computer. Einer davon lief gerade auf einem großen Bildschirm und da war etwas zu sehen.
    „Ist das ein Film?“ fragte der Held, weil er davon nun immerhin wusste.
    „Nein, ein Spiel“, erklärte Marius, der nicht wusste, ob ihm das angesichts seines merkwürdigen Gastes jetzt peinlich sein sollte, oder nicht.
    „Ein Spiel? Und was macht man da?“ fragte der Held interessiert.
    „Man spielt einen Helden, der durch Himmelsrand zieht und gegen Drachen kämpft.“
    „Oh“, sagte der Held anerkennend.
    Er verstand es so, dass dieser Marius offenbar so eine Art Technikmagier war und mittels eines Portals in eine fremde Welt sehen konnte und dort mittels seiner Technomagie Besitz von einer Person ergriff und diese dann lenkte. Dieser Kerl mochte klein und schmächtig wirken, aber offenbar hatte er einiges auf dem Kasten.
    „Was hast du für Runen?“ fragte der Held nach.
    „Ich hab hier Feuerrune, Blitzrune und Eisrune“, erklärte Marius, erstaunt, dass sein Gast sich dafür interessierte.
    „Und wie kommst du gegen die Drachen klar? Hast du schon welche getötet?“
    „Ja, drei Stück. Ich fand gerade die ersten beiden, die mir begegnet sind sehr schwer. Hast du denn auch Drachen getötet?“
    „Ja, sechs große und vier kleinere.“
    Marius machte große Augen.
    „Oh, dann bist du ja schon sehr fortgeschritten.“
    Der Held zuckte mit den Schultern. Wenn man das so sagen konnte.
    „Zeig mir doch mal, was du so machst.“
    Marius freute sich für sein Interesse und setzte sich an den Rechner. Sofort ging es auf dem Monitor weiter. Marius steuerte einen großen Ritter, mit Schild und einem mit Ornamenten verzierten Schwert durch eine dunkle Gruft. Auf einmal kam etwas aus der Dunkelheit gesprungen und griff ihn an. Der Held erkannte es als Zombie. Marius kloppte den Untoten einfach weg. Auf seinem Weg begegneten ihm noch mehrere dieser Unholde, aber sie waren offenbar kein Problem für ihn. Es ging weiter durch dunkle Gänge, bis er in einen großen unterirdischen Raum gelangte, wo ihn ein untoter Krieger zum Kampf forderte. Marius setzte einige Feuerbälle ein und ging dann in den Nahkampf. Wenn es ihm zu bunt wurde, entfernte er sich wieder und heilte sich mit Magie. Der Held fand, dass das ein ganz vernünftiges Vorgehen war und war deswegen nicht weiter verwundert, als sein Gastgeber den Kampf gewann. Er räumte seinen Feind noch nach nützlichen Gegenständen aus, so wie sich das gehörte und besah sich dann die Wand, wo fremdartige Schriften leuchteten. Es gab ein blendendes Licht und Marius erklärte, dass er jetzt den Zauber „Elementare Raserie“ gelernt hatte. Der Held sah gespannt zu. Offenbar erhielt man so in diesem „Himmelsrand“ neue Zauber. Marius verließ die Katakomben wieder und draußen sah es gleich viel netter aus. Überall saftiges grünes Gras, Bäume, die sich im leichten Wind sanft wiegten und ein braunes Tier, das mit "Pferd" beschriftet war und das geduldig auf Marius wartete. Er wollte sich gerade in den Sattel schwingen, als es ein lautes Brüllen gab und von oben ein grüner Drachen auf ihn hinunterrauschte. Marius erschreckte sich und auch der Held war etwas überrascht, aber er sagte gleich: „Los, schnell, greif ihn an, bevor er dich überrumpelt!“
    Marius tat wie ihm gesagt wurde und drosch auf den Drachen ein, der ihn aber mit Feuer eindeckte und er musste sich außerhalb der Gefahrenzone in Sicherheit bringen, um sich zu heilen. Überrascht sah der Held, wie sein Pferd aber offenbar gar nicht daran dachte. Mit überwältigendem Heldenmut stellte sich das Tier dem übermächtigen Gegner, bäumte sich auf und schlug mit seinen Hufen aus. Der Drache zuckte überrascht zusammen und wandte sich jetzt zu seinem neuen Gegner um. Er schnappte nach dem Pferd, aber es brach nicht zusammen, sondern kämpfte tapfer weiter.
    „Das nenne ich mal Kampfgeist. Dein Tier ist ja ein echter Teufelskerl“, sagte der Held beeindruck.
    „Kann man wohl sagen“, kommentierte Marius, der eilig nach einem Trank zur Stärkung suchte.
    Dann stürzte er sich wieder auf den Drachen. Links und rechts bekam der Drache ordentlich ein paar Schläge gewischt, aber ihm schien das nicht wirklich etwas auszumachen. Er zog sich nicht zurück, oder floh in den Himmel, er griff einfach immer weiter an, vor allem das Pferd, das ihm offenbar ein besonderer Dorn im Auge war. Schließlich brach das arme Tier dann doch noch tot zusammen und es stand nichts mehr zwischen Marius und dem grünen Drachen. Mit einem beherzten Biss wurde Marius Ritter stark verletzt. Der junge Mann drohte in Panik auszubrechen. Er versuchte mehrere verschiedene Zauber hintereinander, aber nichts brachte den entscheidenden Vorteil. Der Held merkte, dass die Lage ernst war und fragte aufgeregt: „Was ist mit einem Feuerregen? Hast du denn keinen Feuerregen?“
    „Was? Nein, hab ich nicht, nur einen Feuerball.“
    „Fast nutzlos, gegen einen Drachen. Nicht lockerlassen jetzt, da musst du jetzt durch.“
    Der Kampf ging noch einige Minuten, dann, irgendwie unvermittelt, brach der Drache vor Marius Ritter zusammen und war tot.
    „Vergiss bloß nicht den Drachen auszunehmen“ erinnerte der ehemalige Drachenjäger seinen Kollegen.
    „Nein, natürlich nicht, aus den Schuppen und Knochen lassen sich prima Rüstungen machen.“
    „Hm…“ kam es vom Helden.
    Warum hatte er nicht daran gedacht? So eine Rüstung aus Drachenknochen wäre bestimmt toll. Ob die Drachen im Mienental schon allzu verwest waren, um daraus noch etwas zu machen?
    „Machst du sowas oft?“ fragte der Held interessiert.
    „Manchmal. Meistens spiele ich mit anderen zusammen. Im Mehrspielermodus bin ich zurzeit ein Heiler. Es fand sich sonst niemand in unserer Gruppe, der das machen wollte.“
    „Was meinst du?“ fragte der Held verwundert.
    „Naja, es ist doch so: Die besten Chancen hat man, wenn die verschiedenen Klassen in einer Gruppe auch gut genutzt werden. Ein Heiler, der alles niedermähen muss, nutzt seine Fähigkeiten nicht so gut aus. Da muss man sich schon spezialisieren und gut im Team zusammenarbeiten, damit man gegen die harten Gegner ankommt. Bei uns im Team gibt es einen Krieger, einen Bogenschützen, einen Magier und mich als Heiler.“
    „Hm…“ kam es vom Helden, der nachdachte.
    Das ergab tatsächlich Sinn.
    „Und wie ist das bei dir?“
    „Ach, eigentlich bin ich oft alleine unterwegs, aber wenn ich zusammen mit anderen losziehe … also Milten ist der Magier, Gorn der Krieger, Diego ist ein guter Bogenschütze und hat viele Diebestalente und Lester …“
    Er überlegte schnell was er über seinen Freund sagen könnte. So richtig ließ er sich nicht in eine von den genannten Gruppen einsortieren. „… er kennt sich sehr gut mit Kräutern und Tränken aus.“
    „Du meinst, ein Alchemist? Hört sich sehr interessant an. Und was ist mit dir?“
    Der Held überlegte angestrengt in welche von diesen Kategorien er sich einsortieren sollte.
    „Irgendwie bin ich von allem etwas … nur mit dem Bogen oder der Armbrust klappt es nicht so richtig.“
    Marius machte große Augen.
    „Von allem etwas, sozusagen ein Rundumheld. Da hast du dir aber etwas vorgenommen. Es ist doch total schwer in allem gut zu sein.“
    „Ich tu mein Bestes.“
    Marius zwang sich dieses für ihn angenehme Gespräch in eine andere Richtung zu führen.
    „Naja, aber eigentlich bist du ja nicht deswegen hierhergekommen, oder?“
    „Cem hat mir gesagt, ich soll dir diesen Umschlag geben und es wäre toll, wenn du für Diego eine Internetseite einrichten könntest. Er hat einen Schlüsseldienstladen und sucht nach Kundschaft.“
    „Ah, dein Bogenschützenkumpel“, sagte Marius gut gelaunt.
    Der Held nickte. Der junge Kerl ihm gegenüber zuckte mit den Achseln.
    „Sollte kein großes Problem sein, aber es macht trotzdem viel Arbeit. Weißt du … ich kann dich gut leiden, deswegen … ich erwarte nicht wirklich eine richtige Bezahlung, aber irgendwas im Austausch dafür wäre echt nett.“
    Der Held sah sich noch weiter in Marius Zimmer um. Er bemerkte ein merkwürdiges Schwert an der Wand. Hinter dem Schwert war ein weißer Wolf auf blauem Grund abgebildet. Als er es näher betrachtete sah er, dass es völlig stumpf war. Damit könnte man nicht mal ein Molerat erstechen, bestenfalls zu Tode prügeln.
    „Sieht aus, als könntest du ein gutes Schwert gebrauchen. Das hier ist ja nicht mal scharf.“
    Marius grinste.
    „Die Gesundheitsvorschriften …“
    Der Held glaubte, er höre nicht richtig.
    „Ich besorg dir ein scharfes Schwert. Wenn du diese Internetseite fertig hast, bekommst du ein ordentliches Schwert von mir.“
    Marius Augen wurden groß. Er fragte sich was das für ein Schwert sein sollte. Aus welchem Film, oder Spiel, oder tatsächlich wirklich ein echtes? Er sah jetzt hochmotiviert aus.
    „Ich mach mich sofort an die Arbeit. Ich ruf dich dann an.“
    „Ähm… ich hab keins von diesen Telefondingern“, erklärte der Held.
    Marius sah ihn ungläubig an.
    „Und hat Diego eins?“
    „Nein, nicht das ich wüsste.“
    Marius schüttelte verwundert mit dem Kopf und kramte dann in einer Schublade herum. Er zog zwei uralte Nokia Handys und Aufladekabel hervor.
    „Hier, nimm die. Die hab ich schon ewig nicht mehr benutzt. Du musst aber neue Aufladekarten holen“
    „Was meinst du?“ fragte der Held verwirrt.
    Marius, wusste nicht so ganz wie er diesen Mangel an Wissen deuten sollte. Er entschied keinen Streit anzufangen, denn den würde er in jedem Fall verlieren und erklärte: „Du gehst bei einem Aldi-Supermarkt an die Kasse und fragst nach zwei Telefonaufladekarten.“
    „Warte, das schreib ich mir auf“, sagte der Held und zückte sein Tagebuch, um den neuen Auftrag zu notieren.
    „Gut, ich schreib dir und Diego dann eine Nachricht, wenn die Seite online ist.“
    Marius und der Held reichten sich die Hände und besiegelten so ihr Abkommen. Der Held drehte sich daraufhin um und verließ das Haus.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 19:35 Uhr)

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    Ein Gebet für Innos

    Währenddessen hatte Milten im Krankenhaus alle Hände voll zu tun. Er war gerade eben in die Notaufnahme gerufen wurden. Eine Familie hatte einen Autounfall und wurde gerade von einem Krankenwagen eingeliefert. Aus Sicht des Feuermagiers herrschte ein unüberschaubares Chaos. Krankenhauspersonal von dem er nicht genau sagen konnte, wer welche Funktion hatte, wuselte durcheinander und rief sich Dinge zu, die er nicht verstand. Die Eltern und das kleine Mädchen waren auf Tragen geschnallt und offenbar sollten sie eilig weggeschafft werden. Jedenfalls sah das wohl ein Notarzt so, der Astrid wütend anherrschte, weil im Moment offenbar kein OP-Saal verfügbar war. Er zeigte wild gestikulierend und mit lautem Ton, auf das kleine, vielleicht vierjährige Mädchen, das eine Sauerstoffmaske trug und ganz blass im Gesicht war. Ein Blutfleck begann den Verband, der ihren Bauch umgab, zu durchnässen. Astrid winkte den Feuermagier eilig herbei.
    „Schnell, kannst du etwas unternehmen? Sie stirbt uns weg.“
    „Bin ich hier in einem Irrenhaus?“ fragte der Notarzt verärgert.
    Milten beachtete ihn gar nicht weiter und ging zu dem bewusstlosen Mädchen, was ihm nur dadurch möglich war, weil Astrid die umstehenden anwies ihm Platz zu machen. Die Reaktionen des Personals waren unterschiedlich. Von völliger Verärgerung, weil er sie bei der Arbeit ihrer Meinung nach störte, über Verwunderung und Interesse bei denjenigen, die schon von seinen Wunderheilungen gehört hatten. Milten wählte eine mittlere Heilrune und legte los. Die Wirkung setzte unmittelbar ein. Das Mädchen öffnete die Augen und kurze Zeit später versuchte es sich verwirrt umzusehen, was schwierig war, weil sie festgegurtet war.
    „Mama? Papa?“ kam es gedämpft unter der Sauerstoffmaske hervor, die sie immer noch trug.
    Sie war verwirrt und versuchte ihre Eltern zu finden.
    „Es ist alles gut, Kleine. Deine Eltern sind hier und in guten Händen“, sagte Astrid und strich dem Mädchen beruhigend über den Arm.
    Sie wies ihre Kolleginnen an, sie auf ein Zimmer zu bringen. Der Notarzt stand mit offenem Mund da und fragte sich was zum Teufel da gerade passiert war.
    „Und was ist mit denen? Haben sie innere Verletzungen?“ fragte Milten und deutete auf die Eltern.
    Astrid sah zum Notarzt, der aber offenbar so verwundert war, dass er nicht in der Lage war zu sprechen. Ein anderer Mann, der offenbar zum Notarztteam gehörte, sagte: „Die Frau hat innere Blutungen, der Mann eine schwere Gehirnerschütterung und beide haben ein Schleudertrauma.“
    Für den Feuermagier hörten sich beide Fälle wieder nach einer mittleren Heilrune an. Das war meistens der Fall. Wenn nicht gerade einer mit aufgeschlitztem Körper oder abgetrennten Gliedmaßen daherkam war ein schwerer Heilzauber nicht unbedingt nötig. Er hatte es einmal gehabt, dass sein Patient nicht vollständig geheilt war, aber immerhin abzusehen war, dass er in zwei oder drei Tagen wieder von selbst vollständig wiederhergestellt wäre. Milten trat jetzt an die beiden Eltern heran und heilte auch sie. Genau wie ihre Tochter wachten sie auf und sahen sich verwirrt um. Es gab ein Piepsen und Milten sah auf das kleine Gerät, das an seinem Gürtel befestigt war. In der Inneren Medizin gab es einen Notfall. Er rannte los und hoffte nicht zu spät zu kommen. Den verdutzten Notarzt, Astrid und all die anderen ließ er einfach stehen. Als er endlich ankam, sah es nicht gut aus für seinen Patienten, der sichtlich an Atemnot litt. Es sah aus, als hätte er sich die halbe Lunge ausgehustet, vor ihm auf dem Laken und auf dem Boden war Blut und Schleim.
    „Lungenembolie“ sagte ihm eine Schwester, die bereits im Zimmer war.
    Sie wusste wer er war. Astrid hatte alle Schwestern im Haus über den Magier unterrichtet.
    Milten ärgerte sich, dass er noch keine Zeit hatte in medizinische Bücher zu schauen, weswegen er keine Ahnung hatte was eine Lungenembolie war. Egal, es sah schlimm aus, das war hier vermutlich wirklich ein Fall für einen schweren Heilzauber. Eilig setzte er Magie ein und war erst beruhigt, als der Mann vor ihm wieder gleichmäßig atmete und es keine Anzeichen für Probleme gab. Sein Patient sah ihn ganz erstaunt an. Die Schwester sah auch überrascht aus, obwohl sie schon davon gehört hatte. Sie verließ eilig den Raum, vielleicht um jemanden von ihren Kolleginnen von dieser Wunderheilung zu erzählen.
    „Wie haben Sie das gemacht?“ fragte der Patient und wischte sich mit einem Ärmel Blut vom Mund.
    Milten lächelte leicht.
    „Ein Heilzauber. Ich bin ein Feuermagier.“
    Der Mann sah nur noch verwirrter aus.
    „Aber … wie geht das?“
    Der Patient war überrascht wie leicht ihm das Atmen jetzt fiel, wo er eben noch um jeden Atemzug schmerzhaft gerungen hatte.
    Milten war sich unschlüssig. Es wäre nicht einfach diesem Typen kurz und bündig zu erklären was es mit der Magie auf sich hatte. Er entschied sich die Heilrune hochzuhalten, so dass er sie sehen konnte.
    „Das ist eine Rune. Es gibt verschiedene und jede davon enthält einen andere Art von Magie.“
    „Aber woher kommt diese Magie?“ wollte der Patient wissen, um einordnen zu können, was da gerade mit ihm passiert war.
    „Im Grunde kommt die Magie von den Göttern. Ich bin ein Feuermagier. Ich bete zu Innos, dem Gott der Ordnung, der Gerechtigkeit und des Feuers.“
    „Und …“ Der Mann war sich nicht ganz sicher, ob er den Verstand verloren hatte, weil er so etwas sagte: „Kann jeder der zu diesem Gott betet zaubern?“
    Milten legte den Kopf schräg.
    „Nein, nicht jeder. Es braucht eine gewisse Veranlagung dafür, nennen wir es Talent.“
    „Hm…“
    Sein geheilter nicht mehr Patient nickte nachdenklich mit dem Kopf und sagte erstmal gar nichts mehr. Milten musterte ihn aufmerksam. War es richtig, diesen Leuten von der Magie und Innos zu erzählen? Immerhin konnten sie damit nicht viel anfangen, aber war doch gerade das eine seiner Aufgaben als Feuermagier, oder nicht? Anderen Menschen von Innos zu erzählen und ihnen in seinem Namen zu helfen.
    „Ich weiß immer noch nicht genau wie Sie das gemacht haben.“
    Der Mann holte tief Luft, immer noch verwundert, weil es so einfach ging.
    „Aber ich glaube ich wäre gestorben, ohne diese Hilfe. Kann ich mich irgendwie erkenntlich zeigen?“
    Milten sah ihn unsicher an. In Myrtana war es üblich dem Magier eine Spende dazulassen, wenn man um Heilung fragte, aber soweit er das verstanden hatte, war die Arbeit hier Teil der Wiedergutmachung für Gorns Missetat an der Miliz und er bekam eine wöchentliche Zahlung vom Krankenhaus.
    „Nein, dafür bin ich ja da“, sagte Milten ruhig.
    Der Mann vor ihm sah ihn unruhig an. Es war offensichtlich, dass er sich unglücklich fühlte ihm nichts zurückgeben zu können.
    „Ich … bin eigentlich nicht besonders religiös. Meine Eltern haben mich zwar katholisch erzogen, aber als ich erwachsen wurde, hab ich mich nicht weiter damit befasst. Doch … ich würde gerne zu deinem Gott …“
    „Innos“ half ihm Milten.
    „Ich würde gerne zu Innos Beten, um meinen Dank auszusprechen. Können Sie mir zeigen was ich machen soll?“
    Milten wirkte immer noch unschlüssig. Wenn er das tat, mischte er sich in die Religiosität dieser Leute hier ein. Doch konnte es etwas schaden? Und immerhin … es gehörte ja zu seinen Aufgaben, also entschied sich der junge Feuermagier dem Mann vor ihm zu erklären, was er sagen konnte, um zu Innos zu beten.
    „Hört sich eigentlich nicht viel anders an, als das was meine Eltern mir beigebracht haben. Klar, es sind andere Worte und so, aber im Grunde ist es so ähnlich.“
    Das ließ Milten nachdenklich werden. Über die Religion der Leute hier hatte er bisher nicht nachgedacht. Er hatte zwar mitbekommen, dass die Menschen hier mit ihren drei Göttern offenbar nichts anfangen konnten, aber er wusste nicht woran sie glaubten und wie ihre Götter hießen. Auf dem Gang begegnete er Astrid.
    „Da bist du ja“, begrüßte sie ihn. „Das hast du gut hinbekommen. Der Gesichtsausdruck des Notarztes war unbezahlbar.“
    Sie lachte.
    „Der hat mich schon länger auf dem Kieker und wollte mir jetzt so richtig den Kopf waschen, obwohl ich gar nichts dafür konnte, dass der OP voll ausgebucht ist. Gewisse Dinge lassen sich eben nicht vorausplanen.“
    Milten versuchte abzuschätzen, ob er mit seinem Verhalten interne Probleme verursacht oder verstärkt hatte, von denen er nichts wusste.
    „Ich hoffe doch, ich habe keinen Zwietracht gesät.“
    Astrid sah ihn amüsiert an.
    „Was? Nein! Es ist alles gut.“
    Sie berührte wie beiläufig seinen Arm, wohl um ihm zu zeigen, dass alles in Ordnung war.
    „Es ist schon später Mittag, was hältst du von einer Pause? Hast du schon etwas gegessen? Wir können zusammen in die Kantine gehen.“
    Tatsächlich merkte der Feuermagier, jetzt wo sie vom Essen sprach, wie hungrig er war.
    „Eine gute Idee. Ich hoffe, in den nächsten Minuten braucht niemand dringend meine Hilfe.“
    „So geht es uns allen Milten, aber irgendwann muss man auch mal eine Pause machen.“
    Sie führte ihn in die Kantine, ein heller Raum, mit vielen kleinen Tischchen, um die rundherum Stühle angeordnet waren. Astrid zeigte ihm die Essensausgabe, wo sie sich etwas aussuchten. Milten hatte sich für Kotelett und Bratkartoffeln mit Erbsen entschieden, während Astrid auf ihrem Tablett einen panierten Fisch mit Reis und Erbsen und dazu einen Pudding stehen hatte. Die Krankenschwester bezahlte ihren Teil und Milten suchte in einer Hosentasche nach dem ungewohnten Papiergeld. Ihm wurden einhundertfünfzig von diesen Euros pro Woche zugesichert. Sie hatten ihn nach einem Bankkonto gefragt und waren sehr erstaunt, als er ihnen keins nennen konnte. Er konnte gar nicht wissen was das für die Verwaltung für Probleme bedeutete. Für ihn war es selbstverständlich, dass ihm das Geld in Bar ausgehändigt wurde. Er tat sich noch etwas schwer damit zu bezahlen, aber immerhin war unmissverständlich was einer dieser Scheine wert war. Dann sah er sich nach Astrid um, die schon einen kleinen Tisch gesichert hatte und setzte sich zu ihr.
    „Und wie kommst du zurecht mit der Arbeit? Es ist bestimmt noch alles sehr neu für dich und … vielleicht etwas ungewohnt?“
    Astrid wirkte etwas nervös und er sah ihr an, dass das für sie ungewöhnlich war. Sie machte auf ihn jedenfalls bisher den Eindruck, dass sie mit vielen verschiedenen Situationen bestens zurechtkam, aber vielleicht war ein Magier aus einer anderen Welt, der jetzt in ihrem Krankenhaus arbeitete doch zu viel. Er schluckte seinen Bissen hinunter und sagte dann bedächtig: „Ja, es ist noch sehr ungewohnt. Es sind viele verschiedene Dinge. So große Gebäude wie das Krankenhaus bin ich gar nicht gewohnt. Manchmal verlaufe ich mich noch und gerade wenn ich es eilig habe, ist das sehr ärgerlich, aber ich merke, dass es besser wird. Wichtiger ist aber, dass ich mehr über Medizin lerne. Wenn mir zugerufen wird was die Patienten haben, weiß ich oft nichts damit anzufangen.“
    „Wirklich nicht?“ fragte Astrid verwundert, offenbar hatte sie ihm eine gewisse Vorbildung unterstellt.
    „Nein.“
    Milten konnte nicht umhin sich dafür zu schämen, obwohl es dafür ja eigentlich keinen Grund gab. Woher sollte er auch davon wissen?
    „Weißt du, wo ich darüber lesen kann?“
    „Oben im Bereitschaftsraum stehen einige Bücher, die dir weiterhelfen werden. Dort kannst du dich auch ausruhen, wenn gerade niemand nach dir schreit.“
    Sie lächelte verschmitzt. Eine Zeit lang sagten sie gar nichts und aßen nur. Milten grübelte immer noch über den Mann von vorhin nach. Es ließ ihm keine Ruhe. Die Krankenschwester merkte, dass ihn etwas beschäftigte.
    „Stimmt was nicht?“
    Milten sah sie an und fragte sich, ob er sie mit seinen Problemen belasten sollte, aber sie wirkte offen für ein Gespräch.
    „Vorhin, da hab ich einen Mann geheilt, der eine …“ Er versuchte sich an das Wort zu erinnern „Lungenembolie hatte. Er wirkte überglücklich, sagte, ich hätte sein Leben gerettet und so …“
    Helles Lachen unterbrach ihn. Sie sah ihn entschuldigend an und versuchte aufzuhören.
    „Tut mir Leid“, sagte sie schließlich und kicherte noch etwas. „Aber bei dir hört sich das so nebenbei an… ach naja, da hab ich dem mal eben das Leben gerettet. Weißt du denn nicht, was du hier für einen unschätzbaren Dienst für uns tust?“
    Milten dachte kurz darüber nach und sagte dann: „Naja, ich denke schon, aber es ist doch immerhin meine Aufgabe.“
    Er wunderte sich über sich selbst. War er zu bescheiden? In der Tat kamen ihm viele seiner Kollegen etwas selbstgefällig vor, wie sie sich immer für so etwas Besonderes hielten. Manche hatte er in der Tat schon dabei beobachtet, wie sie es genossen, andere spüren zu lassen, dass sie als Innos Diener eine besondere Behandlung genossen. Doch er mochte dieses Verhalten nicht und dachte gar nicht daran es ihnen gleich zu tun.
    „Entschuldige, ich hab dich unterbrochen“, sagte jetzt Astrid und riss ihn aus seinen Gedanken.
    Der Feuermagier versuchte den Faden wieder aufzunehmen.
    „Also, da war dieser Mann und er wollte unbedingt wissen wie ich das gemacht habe.“
    Astrid konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
    „Kann ich mir vorstellen.“
    „Also erzählte ich ihm von den Göttern und er wollte dann auch zu Innos Beten, um sich für seine Heilung zu bedanken. Naja, daran ist ja nichts Falsches, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich mich damit hier bei euch einmische. Ich weiß gar nichts über eure Religionen oder wie ihr so damit umgeht.“
    „Hm…“
    Astrid sah verwirrt aus und versuchte ihre Gedanken zu ordnen.
    „Du sagst also, es ist diesem Gott zu verdanken, dass der Patient geheilt wurde? Was genau meinst du damit?“
    Milten sah sich genötigt es ihr, wie schon vorhin dem Mann, zu erklären: „Die Magie kommt ursprünglich von den drei Göttern. Mein Gott heißt Innos und ich als Feuermagier bete zu ihm.“
    „Das heißt, du bist so eine Art Mönch?“
    Astrid wirkte ehrlich erstaunt.
    „Wenn man das so sagen kann … überrascht dich das?“ fragte Milten, verwundert, weil sie sich wunderte.
    „Ich … ähh… ja, damit hätte ich jetzt nicht gerechnet.“
    Sie versuchte eilig nochmal zusammenzufassen: „Hab ich das jetzt richtig verstanden? Da wo du herkommst glaubt ihr an drei verschiedene Götter, die speziell an ihre Gläubigen Magie übertragen?“
    „Ich verstehe was du sagen willst“, sagte Milten, dem klar wurde, dass ihr das was er sagte, merkwürdig vorkommen musste. „Es ist unterschiedlich, die meisten Menschen beten, wenn sie es denn tun, zu einem oder zweien der Götter. Das sie zu allen dreien beten kommt eher selten vor.“
    „Aber sie glauben, dass diese Götter wirklich existieren?“
    Milten sah sie irritiert an.
    „Wie meinst du das?“
    Astrids Wangen färbten sich rosa. Sie wusste nicht, ob sie ihn damit vielleicht beleidigte.
    „Also … hier ist es so, dass es sehr viele unterschiedliche Religionen gibt und … viele … einige glauben nicht, dass es die Göttern der anderen gibt, oder überhaupt Götter.“
    Milten hob eine Augenbraue.
    „Du meinst, manche glauben, dass es gar keine Götter gibt?“
    Astrid nickte.
    „Eine Welt ohne Götter … kann ich mir gar nicht vorstellen“, kam es fassungslos von Milten.
    Darauf wäre er nie von selbst gekommen. Der Glaube an die drei Götter war in seiner Welt so tief verankert, dass sich so ein Gedanke für ihn nie gestellt hatte.
    „Ist das … in deiner Welt nicht so?“ fragte Astrid vorsichtig.
    „Nein, jedenfalls hab ich noch nie davon gehört … aber ich kann es mir auch gar nicht vorstellen. Spätestens wenn sich der nächste Untote aus dem Grab erhebt und ungebeten herumläuft, sind, denke ich, alle Zweifel beseitigt.“
    Seine Gesprächspartnerin machte große Augen.
    „Sowas gibt’s?“
    „Das und noch viel mehr. Ehrlich gesagt bin ich ganz erstaunt darüber, dass es hier überhaupt keine Magie gibt.“
    Sie sah ihn unschlüssig an.
    „Aber eigentlich wollte ich ja etwas über eure Religion wissen. Der Mann vorhin meinte, er wäre katholisch erzogen wurden. Was heißt das?“
    Sie leckte sich nachdenklich die Lippen und fragte sich wohl, wie sie ihm das am besten erklären konnte.
    „Hier in diesem Land gibt es verschiedene Religionen, das Christentum ist eine davon und davon gibt es wieder verschiedene … Konfessionen, also zum Beispiel Katholiken und Protestanten. Sie glauben an den gleichen Gott, aber haben unterschiedliche Auffassungen.“
    „Hm… das kenne ich“, sagte Milten. „Die Wasser- und Feuermagier haben auch unterschiedliche Ansichten, aber im Allgemeinen kommen wir miteinander zurecht.“
    „Wassermagier? Gibt es auch Erd-, und Luftmagier?“ fragte Astrid interessiert.
    „Was? Nein“, sagte Milten überrascht.
    Sie zuckte zusammen und es tat ihm Leid, dass es so abweisend geklungen hatte, auch wenn es unbeabsichtigt war.
    „Es gibt noch Dämonenbeschwörer.“
    „Und die sorgen dann dafür, dass da auf einmal Skelette herumspazieren?“ fragte Astrid verunsichert.
    „Zum Beispiel. Um wieder darauf zurückzukommen: Das heißt diese beiden Konfessionen beten den gleichen Gott an, aber haben unterschiedliche Ansichten? Und vermutlich verhalten sich die Mitglieder ein wenig anders?“
    Milten überlegte, ob es in Myrtana ein Äquivalent gab. Vielleicht konnte man die Bruderschaft des Schläfers als eine Abspaltung vom Glauben an Beliar sehen, auch wenn die Mitglieder damals nicht wussten, dass es so war.
    „Ja, genau. Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel gibt es bei beiden die Vorstellung von Himmel und Hölle.“
    Milten sah sie verwundert an, was sie dazu veranlasste weiterzureden.
    „Wer stirbt kommt entweder in den Himmel, oder in die Hölle. Wer hauptsächlich gute Taten in seinem Leben vollbracht hat, kommt in den Himmel, überwiegen die bösen Taten kommt er in die Hölle.“
    „Und was genau ist das für ein Gott?“
    „Was meinst du?“ fragte die Krankenschwester und ihr war anzusehen, dass Religion nicht gerade ihr Lieblingsthema war.
    „Nun … wie heißt er, wofür steht er? Was macht er?“
    „Weißt du … vielleicht solltest du dich darüber mit jemandem unterhalten, der sich damit besser auskennt. Mein Vater ist evangelischer Pfarrer. Ich bin sicher, dass er dir viele deiner Fragen beantworten kann. Vielleicht kann ich dich mal zu ihm einladen.“
    Milten legte den Kopf schräg und dachte darüber nach. Es wäre gut mehr über die Religionen hier in Erfahrung zu bringen.
    „Abgemacht.“
    Er spießte das letzte Stück Fleisch auf und aß es auf.
    „Wie bist du eigentlich hierhergekommen?“ wollte Astrid wissen.
    „Das war eigentlich gar nicht geplant. Es war ein Unfall.“
    Milten errötete. Es war ihm immer noch unangenehm, dass er sie in diese Lage gebracht hatte.
    „Ich wollte meine Freunde und mich aus einem eingestürzten unterirdischen Tempel teleportieren und dann sind wir hier gelandet und jetzt wissen wir nicht, wie wir wieder zurückkommen sollen.“
    „Weißt du … wenn ich nicht gesehen hätte, dass du zaubern kannst, würde ich dir das vermutlich nicht glauben.“
    „Du verstehst nicht zufällig etwas von teleportation, oder kennst jemanden, der darüber Bescheid weiß?“
    „Nein, kann ich nicht von mir behaupten.“
    „Und … weißt du vielleicht, ob es hier irgendwo ein Portal gibt?“
    „Ein was?“
    „Ein Portal. Im Tempel war da ein Portal, wir vermuten, dass, das etwas mit allem zu tun hat.“
    „Nein, sowas hab ich hier nicht gesehen und ich glaube auch nicht, dass es jemanden gibt, der dir da weiterhelfen kann. Hier gibt es keine Magie oder Teleportation.“
    „Du meinst, wir sind hier für immer gestrandet?“ fragte Milten und auch wenn er es nicht wollte, spiegelte der Ton seiner Stimme, all die Hoffnungslosigkeit wieder, die sich in diesem Moment in ihm ausbreitete.
    Astrid sah ihn mitleidig an.
    „Ich weiß es nicht. Vielleicht … vielleicht findet ihr noch eine Möglichkeit.“
    Sie saßen einen Moment stumm da, jeder in seine eigenen Gedanken versunken, dann sagte die Krankenschwester plötzlich: „Ich muss los, meine Pause ist gleich vorbei.“
    Auch Milten entschied, sich wieder an die Arbeit zu machen. Es gab sicher noch genug Menschen, die seine Hilfe benötigten.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 19:36 Uhr)

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    Fressorgie

    Am Abend waren sie alle wieder zusammen im Versteck. Ein lautes Knurren ließ alle zu Gorn sehen.
    „He, ich kann nichts dafür, ich hab einen Hunger wie ein Wolf und nachher muss ich wieder zu diesem blöden Job. Ist schon eine umstellung Tagsüber zu schlafen und nachts da rumzustehen. Naja…“
    Er warf einen Blick aus dem Fenster wo ein weiterer trüber Tag gerade zu Ende ging.
    „… nicht, dass es hier einen wirklichen Unterschied machen würde. Manchmal hab ich das Gefühl die Leute hier wären nicht richtig lebendig. Liegt bestimmt auch an diesem Wetter.“
    „Ich weiß was du meinst. Heute konnte ich bestimmt ein Dutzend Leute über den Tisch ziehen, ohne dass die was gemerkt hätten“, gab Diego kund.
    „Das muss noch nichts heißen“, sagte der Held und zwinkerte Diego zu.
    Wieder ein lautes Knurren von Gorns Bauch.
    „Also was machen wir jetzt? Es ist nichts mehr zu essen da und ich hab noch nicht herausgefunden wo es hier einen Markt gibt. Ehrlich gesagt blicke ich in dieser Stadt nicht durch.“
    Elyas, der sich in einen uralten, zerfransten Sessel gelümmelt hatte, blickte zu ihm hoch und verdrehte die Augen.
    „Bist du vom Dorf, oder was?“
    Gorn sah ihn finster an, was dem jungen Kerl klar machte, dass er den Schnabel nicht zu weit aufreißen sollte.
    „Ich glaub im Vergleich zu hier ist bei uns alles ein Dorf“, scherzte der Held, war damit aber gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt.
    „Es gibt hier in der Nähe ein „All you can eat“, wenn ihr da nicht satt werdet, dann weiß ich auch nicht“, erklärte Elyas.
    „Und was ist das? Ein „All you can eat“?“ fragte Lester nach.
    „Mensch Leute, lernt mal englisch, ohne kommt man heute nicht mehr weit. Also man geht hin, bezahlt und kann sich dann den Bauch vollschlagen.“
    „Hört sich gut an, worauf warten wir noch?“ fragte Gorn.
    Er war kaum noch zu bremsen. Die anderen sahen nicht, warum sie nicht gehen sollten. Sie hatten auch Hunger. Elyas wollte aber hier bleiben und „chillen“ wie er sagte. Der Held ließ sich das Etablissement von ihm auf der Karte einzeichnen und führte seine Truppe dann an. Es war nicht sehr weit, jedenfalls empfand es der Held so. Gorn meinte, jetzt wäre es aber wirklich allerhöchste Zeit, er fühle sich schon fast so hungrig, wie damals als er bei den Paladinen im Kerker saß.
    „Na, dann sind wir ja hier genau richtig“, sagte der Held.
    Es lief tatsächlich so wie Elyas gesagt hatte. Sie bezahlten und konnten sich dann etwas zu essen aussuchen und sich so viel auf die Teller häufen, wie sie wollten. Obwohl es hier eigentlich nichts ungewöhnliches sein sollte, sorgte Gorns zwei Kilo Portion doch für Aufsehen.
    „He, wie wäre es mit einer Revanche?“ fragte ihn der Held. „Beim Trinken hast du mich geschlagen.“
    „Und beim Mistviecherkloppen im Sumpf auch“, fügte Gorn grinsend hinzu.
    Der Held grinste zurück, sagte aber nichts dazu.
    „Also was ist?“
    „Klar, lad dir ordentlich was drauf. Wer seinen Teller nicht schafft, hat verloren“, sagte Gorn und lud sich zwei ordentliche Stücken Fleisch auf den Teller.
    Ihre Freunde sahen sich skeptisch diese riesigen Essensberge an, als sie alle zusammen am Tisch saßen. Lesters Portion wog immerhin nur einen Kilo und Diego und Miltens Teller sahen sogar fast noch normal aus. Während sie aßen erzählten sie sich, was heute so alles passiert war.
    „Die neue Lagerhalle ist doch nicht so schlecht wie ich dachte. Elyas hat noch einige Leute rangeholt, die ich in den nächsten Tagen anlernen werde. Wenn das läuft, könnten wir weit mehr Sumpfkraut verkaufen, als damals in der Bruderschaft.“
    „Wirklich? Beindruckend“, kam es zwischen zwei Bissen vom Helden.
    Dann musste er sich wieder ranhalten. Gorn hatte schon viel mehr verschlungen als er.
    „Ich bin jetzt ein Koch“, erzählte Lester weiter.
    Die anderen sahen ihn verwundert an. Selbst Gorn hörte kurz auf zu essen.
    „Du? Ein Koch? Also ich kenn ja noch deine Wurzelsuppe … ich weiß ja nicht“, kam es von Diego.
    „Jedenfalls nennen mich Elyas Leute so. Ich sag mir … von mir aus.“
    „Ist vermutlich ein Deckname, damit andere Leute auf der Straße nicht wissen, wer damit gemeint ist“, vermutete Diego und rieb sich über den Bart.
    Lester zuckte mit den Schultern.
    „Jedenfalls hab ich auch keine Lust immer nur mit der Sumpfkrautherstellung beschäftigt zu sein...“
    Milten sah ihn überrascht an.
    „Lester, bist du es wirklich?“
    „Ich will es auch verkaufen!“
    „Ah… alles klar.“
    „Die Stadt besser kennen lernen… und das geht während des Verkaufs ganz gut, oder?“
    Der Held nickte, sagte aber lieber nichts, weil er viel zu beschäftigt mit dem Verzehr einer Frühlingsrolle war.
    „Dann finde ich bestimmt auch einen Markt, wo ich für uns was zu essen herkriege“, sagte Lester mit halbvollem Mund.
    Ein Klingeln ertönte. Das Geräusch kam vom Helden, den jetzt alle verwundert ansahen. Könnte er sich selbst verwundert ansehen, er würde es tun.
    „Was ist das für ein Geräusch?“ fragte Diego.
    Der Held erinnerte sich an die Dinger, die ihm Marius gegeben hatte und kramte eilig in seiner Hosentasche. Unter all dem Krempel war es schwer das Gerät zu finden. Er wusste nicht wie lange er Zeit hatte, bis dieses Gebimmel verstummte und versuchte sich zu beeilen. Endlich hatte er es gefunden, doch dann stand schon die nächste Herausforderung an. Was sollte er jetzt tun? Er besah sich das Ding. Es gab viele Knöpfe auf denen Zahlen und Buchstaben abgebildet waren, außerdem ein grüner und ein roter Knopf mit einem Symbol. Der grüne war ihm symphytischer, weswegen er den drückte.
    „Hallo?“ kam es fragend von dem Gerät.
    Der Held spitzte die Ohren und fragte verwundert zurück: „Hallo?“
    „Ist da der Bekannte von Elyas?“
    „Ja, ich war vorhin bei dir“, erklärte der Held sehr laut und deutlich und hielt das Mobiltelefon näher an seinen Mund, weil er nicht wusste, wie gut Marius ihn auf der anderen Seite verstand.
    Er erklärte es sich so, dass die Sprache teleportiert wurde.
    „Ich hab die Internetseite fertig und hab die Nummer von dem roten Telefon angegeben. Ich hab die Seite auch schön im Netz angepriesen, so dass man sie gut finden kann. Sieht toll aus. Ich bin richtig stolz auf mich. Kommst du dann morgen vorbei?“
    „Ja, sicher. Bis morgen dann.“
    „Bis morgen.“
    Es ertönte ein Klicken. Der Held sah das Ding noch einen Moment an und weil sich nichts weiter tat, vermutete er, dass das Gespräch vorbei und das Sprachteleportationsportal einseitig geschlossen war. Für ihn war es nur logisch, dass wenn grün bedeutete ein Gespräch anzunehmen, rot bedeutete, es zu beenden. Deswegen drückte der den roten Knopf und schloss somit auch sein Gesprächsportal.
    „Woher wusstest du, wie das geht?“ fragte Lester.
    „Ich hab mal gesehen wie Elyas in eins von den Dingern gesprochen hat. Außerdem ist es nicht schwer. Man drückt nur hier den grünen Knopf, wenn es klingelt und rot, wenn das Gespräch vorbei ist“, sagte der Held und zeigte seinen Freunden was er gemacht hatte.
    Die wirkten schwer beeindruckt, weil er sich so schnell zurechtfand.
    „Da fällt mir ein …“ sagte der Held und durchkramte seine magische Hosentasche. „Marius hat mir eins von diesen Dingern für dich mitgegeben, Diego. Er hat gesagt, er hat eine Internetseite gemacht, was auch immer das ist. So wie ich das verstanden habe bedeutet das, das andere Leute über diese kleinen Dinger mit dir sprechen können, um zu sagen, dass sie deine Dienste brauchen.“
    Er zog das kleine rote Nokia hervor und reichte es Diego. Der sah nicht glücklich darüber aus, zukünftig mit so einem Ding in der Tasche herumzulaufen.
    „Ich hab doch keine Ahnung was ich damit anfangen soll“, sträubte er sich.
    „Das hab ich dir doch gerade gezeigt. Wenn es klingelt, drückst du den grünen Knopf und sprichst mit den Leuten und rot, wenn das Gespräch vorbei ist“, wiederholte der Held. „Willst du jetzt, dass dein Geschäft läuft, oder nicht?“
    Diego seufzte und griff sich das Handy.
    „Na, schön“, sagte er schlecht gelaunt.
    Der Held sah zu Gorn, der seinen Teller fast leer geputzt hatte und beeilte sich weiter zu essen.
    Eine Zeit lang sagten sie nichts, dann hob Milten an: „Heute hat mir eine der Krankenschwestern im Krankenhaus was über eine Religion hier erzählt. Hier glauben sie, dass gute Leute in den Himmel und böse in die Hölle kommen.“
    „Merkwürdige Vorstellung“, kommentierte der Held.
    „Wieso? Was meinst du?“ fragte Milten, weil sein Freund so schnell eine Meinung dazu hatte.
    „Warum gerade in den Himmel? Wer will verhindern, dass da dann plötzlich Bestien auftauchen, immerhin können Drachen fliegen.“
    Milten sah nachdenklich aus.
    „Vielleicht verhindert das dieser Gott, den diese Christen anbeten.“
    „Hm… und wie heißt der?“ fragte der Held nach.
    „Das hab ich noch nicht herausgefunden.“
    „Was gilt denn als böse? Würde ich in die Hölle kommen?“ fragte der Held weiter nach.
    Milten sah ihn nachdenklich an. Tja, würde er? Er war sich sehr unsicher. Klar, er hatte all diese Heldentaten vollbracht, aber immerhin hatte er auch den heiligen Hammer aus dem Kloster gestohlen und wer weiß, was er noch auf dem Kerbholz hatte.
    „Ich weiß es nicht. Ich frag mal diesen Pfarrer, von dem die Krankenschwester erzählt hat.“
    Er dachte einen Moment nach, dann sagte er nachdenklich: „Auf mich macht es den Eindruck, dass diese Hölle das Äquivalent zu Beliars Reich ist.“
    „Das was?“ fragte Gorn mit vollem Mund.
    Er verschlang gerade den letzten Rest.
    „Das es vergleichbar ist.“
    „Dann sollten wir diese Hölle finden!“ sagte der Held voller Tatendrang. „Dort ist dann vermutlich das Portal zurück in unsere Welt, immerhin hat uns das Beliarportal hergebracht."
    „Hm… vielleicht gibt es diese Hölle nicht im … festen Zustand“, überlegte Milten.
    „Was meinst du?“ fragte der Held.
    Für ihn war völlig klar, dass alles wovon man sich so erzählte auch wirklich da war, sonst ergab das doch keinen Sinn. Warum sollte man über Dinge reden, die es gar nicht wirklich gab?
    „Soweit ich das verstanden habe, muss man erst sterben, um entweder in den Himmel, oder in die Hölle zu kommen.“
    Der Held sah tatsächlich so aus, als überlegte er wie er das bewerkstelligen könnte und trotzdem letztendlich lebendig damit davonkam.
    „He, gibst du auf?“ fragte ihn Gorn von der Seite, der jetzt vor einem leeren Teller saß.
    „Nein. Ich bin auch gleich fertig und dann steht es unentschieden, “ sagte der Held unnachgiebig.
    „Ha! Das denkst du. Ich hol mir jetzt noch mal Nachschlag“, sagte Gorn, nahm seinen Teller und stand auf.
    Seine Freunde sahen ihm ungläubig hinterher. Der Held, der nicht zurückstehen wollte, beeilte sich aufzuessen und folgte ihm dann.
    „Weiß einer wo sie das hinessen?“ fragte Diego, der gerade erst mit seiner, vergleichsweise, bescheidenen Portion fertig wurde.
    Milten und Lester zuckten mit den Schultern.
    Als Gorn und der Held zurückkamen, sahen sie, dass ihre Portionen diesmal kleiner als vorher, aber immer noch gewaltig waren. Als sie sich setzten, fragte der Held: „Was ist mit Waldi. Bleibt er auch im Haus und bewacht es?“
    „Ich hab nicht gesehen, dass er Schwierigkeiten macht“, sagte Lester. „Und an Elyas hat er sich auch gewohnt. Von Tabo hab ich aber nichts mehr gesehen.“
    „Der arbeitet jetzt im Club von Cem“, erzählte Gorn mit vollem Mund.
    „Wegen dem sollten wir vorsichtig sein. Vielleicht hintergeht er uns. Wir müssen immer auf alles achten, sonst haben wir vielleicht bald ein Messer im Rücken“, sprach Diego aus Erfahrung.
    „Willst du eigentlich etwas von deinem Zeug aus Varant zurück?“ fragte der Held, der Diegos Kram langsam loswerden wollte.
    „Nein, im Moment nicht. Ich könnte es gegen dieses Papiergeld eintauschen, aber was sollte ich damit in Myrtana?“
    „Du könntest mit dem Papiergeld etwas kaufen, dass du dann mit nach Myrtana nimmst“, schlug Lester vor.
    Diego sah nachdenklich aus.
    „Ich wüsste nicht was. All diese komischen Dinge, die diese Leute hier benutzen brauch ich nicht.“
    Er sagte nichts weiter dazu und es wurde still in der Runde.
    Gorn hatte seine nächste Ladung vernichtet und schielte belustigt zum Helden hinüber, der sich sichtlich schwer tat seinen Teller leer zu kriegen.
    „Gibt es bei dir was Neues, Gorn?“ fragte Milten.
    Gorns Blick fuhr herum.
    „Bei mir? Nein, eigentlich nicht. Es ist recht langweilig vor dieser Tür zu stehen. Manche Leute sehen aus, als würden sie sich gleich in die Hosen machen, wenn sie mich sehen. Irgendwie lustig. Im Allgemeinen finde ich, dass die meisten Menschen hier total verweichlicht sind. So wie ich das verstanden habe ist das wohl, weil es kaum noch harte Arbeit gibt. Ich hab gehört, dass viele Bürger jetzt an Tischen sitzen und so kleine Geräte bedienen, Computer heißen die und das machen sie den ganzen Tag. Kein Wunder wenn sie abschlaffen, aber manche Trainieren zum Vergnügen. Da ist so ein Typ vom Paradise, Mustafa, der redet ein bisschen komisch, aber der hat mir erzählt, dass er regelmäßig in ein … er nennt es Fitnessstudio ... geht. Ich bin mal mit ihm mitgegangen. Ein merkwürdiger Ort. Dort stemmen die Leute Gewichte, oder rennen wie bekloppt auf so einem komischen Boden, der sich mitbewegt oder benutzen andere merkwürdige Geräte. Mustafa hat mir gezeigt, was man da tun kann. Im ersten Moment fand ich es komisch, aber ich muss zugeben, dass es mir gut getan hat mich endlich mal wieder richtig zu bewegen. Ich muss in Form bleiben, nicht dass mich die Orks einfach überrennen, wenn wir zurückkommen.“
    Diego und Milten warfen sich einen Blick zu, der verriet, dass sie sich beklommen fragten, ob sie überhaupt noch mal zurückkämen.
    „Hört sich lustig an“, sagte Lester. „Vielleicht komm ich dich mal besuchen. Wo ist das?“
    Gorn beschrieb ihm den Weg. Der Held ließ sich in die Lehne zurückfallen und sank in sich zusammen, dann merkte er, dass in dieser Position der Magen noch mehr drückte und richtete sich eilig wieder auf. Gorn lachte.
    „Was ist? Schaffst es wohl nicht mehr?“
    Der Held funkelte seinen Freund widerspenstig an. Musste er noch drauf herumhacken? Einen Moment überlegte er, ob er sich gegen seine Niederlage noch einmal aufbäumen sollte, doch der Brechreiz hielt ihn zurück.
    „Nein. Ich krieg nichts mehr runter“ presste er schließlich zwischen den Zähnen hervor.
    Gorn lachte leise vor sich hin.
    „Ha! Wieder gewonnen! Komm, gib mir noch deine Reste, man soll nichts verschwenden!“, setzte er noch eins obendrauf und krallte sich den halbvollen Teller des Helden.
    Der Held sah ihm miesepetrig dabei zu wie er auch noch seine Portion verputzte.
    „Na, satt?“ fragte Diego, als sich Gorn schließlich streckte.
    „Ja, das war mal wieder gut, sich so richtig den Wanst vollzuschlagen. Jetzt kann ich auch zur Arbeit gehen.“
    „Wenn ich du wäre, würde ich wohl hin rollen“, scherzte Lester. „Ich werde mich jetzt schön entspannen.“
    „Schlafen, das ist eine gute Idee“, sagte Milten und gähnte.
    „Schlafen? Langweilig. Ich geh lieber noch durch die Stadt und seh mich um.“
    „Ich geh in meinen Laden. Vielleicht kann ich ja noch ein paar Leute abkochen und wenn nicht, dann hau ich mich hin“, erklärte Diego, der jetzt immer in seinem Geschäft schlief.
    Sie trennten sich. Der Held lief die Straßen entlang, bis er den ersten Club entdeckte und zur Tür hereinspazierte. Drinnen quatsche er verschiedene Leute an und bot ihnen auch Sumpfkraut an. Manche sahen ihn verstört an, aber andere griffen sehr gerne zu und er machte guten Umsatz. Dabei entspannen sich auch allerhand Gespräche.
    „He, du“, sprach er einen jungen Kerl an. „Was läuft denn so?“
    „Was? Die Eisbären haben gewonnen. Das muss gefeiert werden! Juhuu!“
    Der Mann grölte wie wild. Ein paar seiner Kumpels kamen und sie hopsten wild im Takt der lauten Musik herum, die durch den Raum dröhnte. Die Gruppe schien nicht weiter an einem Gespräch interessiert. Er sah sich um und stupste eine junge brünette Frau neben ihm an. „He du, willst du etwas Sumpfkraut?“
    „Hä, was? Was soll das sein?“
    „Rauchkraut“, erklärte der Held.
    „Tabak, oder Drogen? Ist das künstlich?“
    Der Held hatte diese Frage schon öfter gehört und wusste was er antworten sollte.
    „Nein, das ist rein pflanzlich.“
    „Oh, dann teste ich das mal. Was willst du dafür?“
    „Zwei Euro“, sagte der Held ihr den neuen Preis.
    „In Ordnung, sieh mal dahinten, da springen einige Bekannte von mir rum. Versuch doch da mal dein Glück.“
    Sie wies durch die Menge und zeigte auf eine Gruppe ebenfalls junger Leute, die wie wild herumzappelten. Der Held steuerte auf sie zu und sprach sie mit seinem üblichen Spruch an: "He, ihr seht aus, als wenn ihr etwas Sumpfkraut haben wolltet.“
    Die Gruppe sah ihn verwundert an und hörte einen Moment auf, so wild herumzuhopsen.
    „He Mann, was quatscht du uns so von der Seite an?“ fragte ein junger Kerl, der so betrunken war, dass er nicht mehr richtig geradeaussehen konnte.
    „Bist du verrückt? Der Typ sieht aus, als wenn er dich ohne weiteres zusammenschlagen könnte, wenn er wollte“, zischte ihm einer seiner Freunde ins Ohr, was bei der Lautstärke im Raum, fast nicht zu hören war, auch wenn sie kaum einen halben Meter von ihm wegstanden.
    „Er meint es nicht so, hat ne schwer Zeit hinter sich. Seine Freundin hat ihn verlassen.“
    „Aha und du?“ fragte der Held weiter, dem das Schicksal dieses Typen eigentlich vollkommen egal war.
    „Ich wurde nicht verlassen. Ich hab gar keine Freundin und nein, auch keinen Freund. Ich finde nur schwer jemanden, der mit meinem Geschlecht zurechtkommt. Ich bin weder Frau, noch Mann, sondern was dazwischen.“
    „Ver-stehe“ kam es vom Helden.
    „Wirklich? Da wärst du eine der wenigen Personen, die das tut. Immer regen sich alle darüber auf, wenn ich damit anfange.“
    „Eigentlich wollte ich nur wissen, ob du etwas Sumpfkraut willst“, sagte der Held.
    „Oh … ist das pflanzlich und rein?“
    „Natürlich, vollkommen biologisch“ sagte der Held, der dieses in dieser Branche sehr überzeugende Wort von Elyas gelernt hatte.
    „Ja, in Ordnung, gib mir mal eins zum testen.“
    Stengel und Geld wechselten den Besitzer und dann drehte der Held weiter seine Runde. Eine andere Gruppe von Männern und ein paar Frauen etwa in seinem Alter standen in der Nähe und besonders ein großer, aber schlaksiger Mann sah ihn sehr interessiert an. Als er dann tatsächlich auf ihn zusteuerte wurde der Kerl zunehmend nervöser.
    „He, willst du auch etwas Sumpfkraut?“ fragte der Held ihn.
    „Äh… was ist das?“ fragte sein potentieller Kunde.
    „Kraut zum Rauchen, rein biologisch“ wiederholte der Held.
    Er war etwas verwundert. Dafür, dass er ihn die letzte Zeit so angestarrt hatte, wirkte er jetzt merkwürdig nervös.
    „Tut mir Leid … ich mag keine Drogen“ sagte der schlaksige Kerl leise.
    Einer seiner Freunde stupste ihn mit dem Ellenbogen an und warf ihm einen auffordernden Blick zu.
    „Naja… ich … ich nehm mal einen zum testen“ sagte der Mann, obwohl in seinem Blick geschrieben stand, dass er den Stengel wohl nie rauchen wird.
    „Ok. Hast du zwei Euro?“ fragte der Held, dem es im Prinzip egal war, ob die Leute das Kraut nun rauchten oder nicht, Hauptsache er bekam es verkauft.
    Der Kerl kramte mit zittrigen Händen in seiner Hosentasche und hielt ihm ein Geldstück hin, woraufhin der Held ihm im Austausch dafür einen Stengel in die Hand drückte.
    „Wollt ihr auch was?“ fragte er seine Kumpel.
    Die schüttelten aber nur auf seltsame Weise belustigt die Köpfe. Der Held wollte sich schon umdrehen und gehen, dann kam es mit fast nicht zu hörender, zittriger Stimme von hinten.
    „He, äh… gibst du mir deine Handynummer? Weil … ähm… wenn ich neues … ähm… Kraut kaufen will.“
    Der Held sah ihn verwundert an. Auf ihn hatte der Typ nicht den Eindruck gemacht, als würde er später noch weiteres Kraut haben wollen. Allerdings … man wusste ja nie. Der Held zückte sein Handy, wusste dann aber nicht was er damit machen sollte. Deswegen drückte er seinem potenziellen Stammkunden das Gerät einfach in die Hand.
    „Hier, such es dir raus!“
    Der Typ sah ihn zuerst verwundert an, drückte dann aber ein paar Knöpfe.
    „OK. Ich hab mir von deinem Handy eine Nachricht geschickt. Jetzt hab ich deine Nummer.“
    Er sah wieder zu ihm hoch und gab ihm das Handy zurück.
    „Bis später dann“, sagte der Typ wieder merkwürdig zittrig.
    Der Held fand, dass das seltsam war, kümmerte sich aber nicht weiter darum. Er wurde nicht ganz so viel Sumpfkraut los wie erhofft. Er entdeckte zwei Herren mittleren Alters an der Bar und fing an sie zu bequatschen. Sie sahen beide total niedergeschlagen aus und so hoffte er, sie würden dem entspannenden Rauchkraut nicht wiederstehen können. Doch sie ließen sich nicht überzeugen.
    „Nein, von Drogen halte ich nichts“, erklärte, der eine, der aussah, als hätte er ein Fass verschluckt.
    „Ich hab mal welches als Bub genommen, aber hab aus meinen Fehlern gelernt. Wenn ich jetzt zugreife, gerade in meiner derzeitigen Situation, dann komm ich bestimmt nicht mehr davon los“, erklärte der andere Mann, dessen Gesicht dem eines Frettchens ähnelte, besonders das falsche Haar trug stark dazu bei.
    „In was für einer Situation bist du denn?“ wollte der Held wissen, weil er vielleicht doch noch was loswurde.
    „Ach, es ist meine Arbeit. Die geht mir an die Nieren.“
    Das Frettchen ließ seinen Kopf niedergeschlagen auf die Arme sinken.
    „Wo arbeitest du denn?“ bohrte der Held weiter.
    „Also, wenn du mich fragst in der Hölle. Eine scheiß langweilige Drecksarbeit ist das…“
    Der Held wurde hellhörig. Davon hatte Milten doch vorhin gesprochen. Darüber wollte er mehr erfahren.
    „Ach, und wo ist das?“
    „Neue Jakobsstraße 6“, sagte der Mann, so als hätte er die Adresse schon Millionen Mal auf Briefumschläge gesetzt. „Seit dreiundreißig Jahren arbeite ich jetzt da und es ist immer das gleiche. Die gleiche langweilige Arbeit, der gleiche langweilige Arbeitstag, Stress auf dem Weg hin zur Arbeit, Stress auf dem Weg zurück und dann am Abend hocke ich stundenlang vor dem Fernseher, weil ich so geschafft und genervt von meiner Arbeit bin, dass ich mich zu nichts anderem mehr aufraffen kann.“
    „Ja, hätte ich ihn nicht überredet mal was zu unternehmen, dann säße er vermutlich wieder allein daheim.“
    „Hier rumhocken und so trübselig drein zu schauen nennt ihr was unternehmen?“ fragte der Held voller Unverständnis.
    Was mussten das für erbärmliche, mitleiderregende Leben sein, wenn man sowas als Unternehmung bezeichnete? Seine Gesprächspartner konnten, oder wollten ihm wohl auch nicht wiedersprechen, denn der Fassmann hob nur kurz ratlos die Hand.
    „Ich musste auch mal raus. Ich hab einen Acker, bei Gatow, in der Nähe vom Grunewald, aber mir machen die Wildschweine da zu schaffen. Das sind richtige Tyrannen. Immer wieder fressen die meine Maisplanzen kaputt und die Jäger machen auch nichts. Die Wildschweine verstecken sich dann einfach in den Maisfeldern, wo sie genug Fressen haben und bestens geschützt sind und bewegen sich da keinen Fleck weg, bis die Jäger wieder fort sind.“
    „Und warum gehen die Jäger nicht zu ihnen rein?“ fragte der Held verwundert.
    Das Faß zuckte mit den Schultern.
    „Weiß nicht, vermutlich irgendeine Regelung, dass man die Wildschweine so und so jagen muss. Als ich einen mal danach fragte, hat er es mir zwar erklärt, aber ich konnte nicht wirklich verstehen, warum das jetzt nicht geht. Aber es wird von Jahr zu Jahr schlimmer mit den Viechern. Immerhin ist es für dieses Jahr für mich vorbei, aber wenn es nächstes Jahr wieder so schlimm wird, kann ich einpacken.“
    Der Held musste nicht lange nachdenken. Mit Wildschweinen, die Felder verwüsteten kannte er sich bestens aus. Dem Mann konnte geholfen werden.
    „He, ich kümmere mich um dein Problem. Bald bist du die Mistviecher los. Kann ich dich irgendwie erreichen?“
    Sein Gegenüber sah ihn verwundert an, gab ihm aber seine Telefonnummer. Der Held ließ sich zeigen, wie man die Nummer in dieses Ding, namens Handy, einspeicherte und fragte seinen neuen Auftraggeber nach Details aus. Dann wünschte er den beiden noch einen Abend, der hoffentlich nicht ganz so langweilig war wie sonst und verschwand aus der Bar. Er machte sich sofort auf den Weg. Es war überhaupt nicht schwer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu diesem Wald zu kommen. Es gab sogar eine Station, die so hieß. Dort stieg er aus und stiefelte geradewegs in den dunklen Wald hinein. Wenn es wirklich so vor Wildschweinen wimmelte wie der Kerl sagte, dann würde es bestimmt nicht schwer werden welche zu finden. Es roch modrig und kalt in diesem Wald. Es erinnerte ihn an die Wälder im Mienental, doch dieser hier war viel weitläufiger. Er fragte sich, ob es hier auch Schattenläufer gab, doch verwarf den Gedanken schnell wieder. Wäre es so, würde sich dieser Bauer wegen ein paar Wildschweinen vermutlich nicht so aufregen und selbst wenn … er hätte nichts gegen einen kleinen Kampf. Er fand, dass es ruhig mal wieder etwas Aktion sein durfte. Die Wildschweine zu finden stellte sich als viel schwieriger heraus, als er gedacht hatte. Weit und breit war keins zu sehen oder zu hören. In Myrtana war die Sache meist recht einfach. Die wilden Tiere waren dort bis zu seiner Ankunft so zahlreich gewesen, dass sie sich gegenseitig den Lebensraum wegnahmen und nie so große Territorien hatten, wie sie eigentlich bräuchten. Das führte zu tief sitzenden Aggressionen und Wildheit. Ein wildes Tier in Myrtana würde deswegen immer angreifen, wenn man den Sicherheitsabstand zu ihm unterschritt. Hier hatte er das Gefühl, dass die Tiere die Begegnung mit Menschen sogar scheuten. Einmal glaubte er das Rascheln eines weit entfernten Wildschweins gehört zu haben, doch dann war es wieder verschwunden. Es musste schon am frühen Morgen sein, als er der festen Überzeugung war, fast den ganzen Wald abgesucht zu haben, ohne auch nur ein Schwein gefunden zu haben. Er stand jetzt am Waldrand. Vor ihm gluckerte ein breiter Fluss vor sich hin. Ganz schwach konnte er auf der anderen Seite Felder ausmachen. Das musste der Acker sein, von dem der Bauer ihm erzählt hatte. Vielleicht war es sogar seiner. Ohne lange nachzudenken watete er in das kalte Wasser und schwamm durch den Fluss. Er schwamm nicht gegen die Strömung an, sondern ließ sich von ihr seitlich wegtreiben, das sparte viel Kraft und er kam trotzdem drüben an. Ihm war es im Prinzip egal, ob es nun hier oder zwanzig Meter weiter links war. Er entstieg den eisigen Fluten und lief einfach weiter, als wäre nichts gewesen. Er kam jetzt auf ein Feld, auf dem nur kleine Pflänzchen wuchsen. Der Held wusste nicht, was das war, aber ihm war das auch vollkommen egal. Dort am Rand hatte er schwarze Schatten gesehen. Das mussten die Wildschweine sein. Er machte eine Rotte von einem Dutzend Tieren aus. Damit sie nicht wieder entwischten schlich er sich langsam heran. Die Tiere sahen ihn früh und suchten das weite. Der Held seufzte genervt. Was waren das denn für wilde Tiere, die einfach abhauten? Doch er zwang sich, es positiv zu sehen. Zumindest endlich wieder eine kleine Herausforderung. Er verbrachte die nächsten Stunden damit, sich ganz langsam und Stückchen für Stückchen immer näher an die Wildschweine heranzuschleichen, dann endlich war er nah genug für einen Angriff. Es ging dann alles ganz schnell, er stürmte vor, wirkte einen Feuerball und streckte damit eines der Tiere nieder. Grauenvoll hallte das laute Quieken des gepeinigten Tieres weit über die Felder. Er ging davon aus, dass die Restlichen ihn jetzt rachsüchtig angreifen würden, doch völlig unvermutet suchten sie das Weite.
    „Verdammt“ fluchte der Held. „Naja … immerhin hab ich dieses hier.“
    Er begann damit das Tier auszunehmen und ihm das Fell abzuziehen, was seine Zeit dauerte. Er dachte sich nichts weiter dabei, als einige Zeit später auf der etwas entfernten Straße ein Auto anhielt und sich jemand näherte.
    „He, Sie! Was machen Sie da?“ drang eine laute und strenge Stimme zu ihm herüber.
    „Ich? Ich bin auf Wildschweinjagd“, antwortete der Held arglos.
    „Soso“, kam es von dem Mann, der sich weiter näherte.
    Der Held kümmerte sich nicht weiter um ihn, sondern trennte gerade ein saftiges Stück vom Bauchspeck ab.
    „Darf ich dann bitte mal ihren Jagdschein sehen?“ fragte der Mann in gespielt unverfänglichem Tonfall.
    Der Held runzelte die Stirn, was sein neuer Bekannter in der Dunkelheit unmöglich sehen konnte.
    „Meinen Jagdschein?“
    „Ja, Ihren Jagdschein. Sie haben doch einen Jagdschein, oder nicht?“
    Jetzt sah er sich diesen Typen genauer an. Der ältliche Mann trug eine widerstandsfähige Jacke und ebensolche Hosen, sowie einen Hut, dessen Farbe er in der dunklen Nacht nicht erkennen konnte. Der Mann hatte sich etwas über die Schulter gehängt, von dem er nicht wusste was es war.
    „Ich wusste nicht, dass man hier einen Schein braucht“ sagte der Held.
    „Aber sie sind doch Jäger, oder?“ fragte der Mann weiter in lauerndem Tonfall.
    „Ja, natürlich, einer der besten, kaum etwas, das ich nicht zur Strecke bringen kann.“
    „Soso, also ein wahrer Meisterjäger“, kam es höhnisch von dem Mann. „Aber Jagen, ohne Jagdschein bedeutet Wilderei und das ist strafbar. Das bedeutet für Sie mindestens einige Monate im Gefängnis, vielleicht sogar Jahre.“
    Der Held sah ihn verständnislos an.
    „Ein Bauer hat mir gesagt, es gäbe hier eine Wildschweinplage. Ich habe nur angeboten ihm zu helfen.“
    „Achja, und da dachten Sie: Gehe ich doch einfach mal los und erlege ein paar der Tiere, dann ist das Problem gelöst.“
    Das Gesicht des Helden hellte sich auf.
    „Ich sehe, du verstehst mich.“
    Der Mann wirkte jetzt ehrlich verärgert. Er wollte sich wohl nicht einfach so duzen lassen.
    „Jetzt hör mal Bürschchen, was du hier machst geht auf keine Kuhhaut, ich hole jetzt die Polizei und wir warten hier bis sie eintrifft! Ich bin für das Wild hier verantwortlich und du hast dich weder bei mir gemeldet, noch einen Jagdschein vorgezeigt, noch sonst irgendwas.“
    „Na, wenn man erst sowas veranstalten muss, um Tiere zu jagen, dann ist mir völlig klar warum ihr hier eine Wildschweinplage habt.“
    „Ach, auch noch frech werden, ja? Jetzt kannst du was erleben …“
    Der Held ließ ihn gar nicht ausreden. Der Mann mochte schon ende sechzig sein, aber das verschonte ihn nicht. Es war nur ein Schlag, aber der reichte, um ihm die Lichter auszuknipsen.
    „Sowas … der hat doch nicht mehr alle Nadeln an der Tanne“, sagte der Held verwundert über das Verhalten des Mannes.
    In Myrtana freuten sich die Leute, wenn man ihnen die wilden Tiere vom Hals schaffte und hier wurde er mit Kerker bedroht. Der Held belegte den Mann mit einem Vergessenszauber, packte das Wildschweinfell und das Fleisch zusammen und ging dann davon. Für heute hatte er genug von der Jagd.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 20:05 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Lester kauft ein

    Jetzt machte sich der Held auf den Weg zu Marius. Bald würde die Sonne aufgehen, aber noch gab es keinen hellen Schimmer am Wolkenverhangenen Horizont. Der Held würde gerne mal wieder die Sterne sehen, aber selbst wenn es mal kaum Wolken gab, waren keine zu sehen, nur ein seltsames Glühen über der Stadt. Als er dieses Mal vor der Haustür stand, klingelte er nur zwei Mal kurz. Wenig später öffnete Marius die Tür. Er sah erstaunt aus.
    „Wow, um diese Uhrzeit kommst du her? Hätte ich nicht gedacht.“
    „Wieso? Bist du um diese Zeit nicht ansprechbar?“ fragte der Held und grinste schief.
    „Nein, ganz im Gegenteil, ich mach häufiger die Nächte durch, aber die meisten Menschen sind ja eher so … tagaktiv. Komm doch rein.“
    Der Held sorgte dafür, dass Marius Nachbarn früh genug aufstanden, um zur Arbeit zu gehen, indem er die Tür wieder mit Schwung ins Schloss fallen ließ. In Marius Zimmer sah es nicht anders aus, als gestern. Diesmal waren nur gleich mehrere Bildschirme aktiv, auf denen er aber keine bewegten Bilder sehen konnte, sondern nur Text mit einigen kleinen Grafiken. Marius ließ sich in seinen Stuhl vor dem Schreibtisch fallen.
    „So, ich hab meinen Teil erfüllt. Diegos Internetseite habe ich gut hinbekommen. Hier willst du es sehen?“
    Er wartete gar nicht auf eine Antwort, sondern klickte mit einem schwarzen Klopsding, das an einer Schnur hing herum und tippte was mit den Tasten auf ein leuchtendes Brett, dann erschien auf dem Bildschirm anderer Text, der verlauten ließ: „Diegos Schlüsselnotdienst. Schnell, einfach und zuverlässig zurück in ihr Heim. Zu jeder Stunde und an jedem Tag. Rufen sie einfach an!“
    Darunter stand noch einiges mehr, war aber kleiner geschrieben, als die Überschrift, so dass der Held es von seiner Position aus nicht mehr sehen konnte.
    „Toll, oder?“
    Marius strahlte übers ganze Gesicht. Es war ganz offensichtlich, dass er jetzt Lob erwartete.
    „Ja, gut gemacht“, erklärte der Held, der einfach mal davon ausging, dass es gut war.
    Immerhin war diese Aufgabe erledigt. Er notierte es sich in sein Tagebuch.
    „Das Sumpfrkraut hab ich im Darknet auch zum Verkauf angeboten. Ich hab schon vierhundertsechsundvierzig Lieferanfragen. Das sind bestimmt achtzig Kilo, die eure Kundschaft will. Ich vermute, die wollen das dann weiterverkaufen. Ist das in Ordnung?“
    Marius wirkte nervös. Er fürchtete sein Gast könnte aggressiv werden, wenn er hörte, dass jemand seine Ware selbst weiterverticken wollte. Doch dem Helden schien das egal.
    „Von mir aus. Für mich ist das nichts Neues. Hauptsache es bringt Geld.“
    Marius war richtig anzusehen wie die Anspannung etwas von ihm abfiel.
    „Also wie soll das weiterlaufen, soll ich das Onlinegeschäft weiter betreiben?“
    Der Held dachte schnell nach und fasste für sich das zusammen was er bisher darüber gelernt hatte wie die Dinge hier liefen.
    „Ja, du kümmerst dich um die Onlinegeschäfte, das heißt du passt auf, dass immer genügend Sumpfkraut angeboten wird. Dann schickst du die Bestellungen an Elyas weiter. Der wird sich dann darum kümmern, dass die Kunden die Ware auch bekommen.“
    Marius wirkte unschlüssig.
    „Naja weißt du … ich könnte ja helfen. Vieles davon muss weit verschickt werden. Wenn ich was von diesem Sumpfkraut da hätte, dann könnte ich auch was versenden, dann würde es schneller gehen.“
    „Hm…“
    Der Held strich sich nachdenklich über seinen Bart.
    „Na gut. Sagen wir du behältst zehn Prozent von den Einnahmen für dich, aber wenn du mich verarscht gibt es volles Pfund aufs Maul.“
    Der Held schlug seine rechte geballte Faust in seine leere linke Hand. Marius wurde blass.
    „Ich …. Ich verarsch dich nicht, Ehrenwort. Würde ich mir nie erlauben.“
    „Gut.“
    Der Held langte in seine Tasche und kramte einiges von dem Sumpfkraut hervor. Es waren etwa zweihundert Päckchen mit jeweils zehn Stengeln. Marius riss Augen und Mund auf, als er sah wie das alles so herbeigezaubert kam. Doch er hielt es offenbar nicht für klug jetzt Fragen zu stellen.
    „Die anderen Anfragen schickst du zu Elyas, oder du holst dir noch Nachschub bei ihm. Du weißt doch wo er wohnt, oder?“
    „Äh… ja.“
    Schweigen breitete sich im Zimmer aus. Marius sah so aus, als würde er noch etwas sagen wollen, sich aber nicht trauen. Der Held gähnte, aber er hatte überhaupt keine Lust zu schlafen. Nicht, wenn es noch so viel zu tun gab.
    „Ich mach mir einen Kaffee, möchtest du auch einen?“ fragte Marius und ging in seine kleine Küche.
    „Einen Kaffee? Was ist das denn?“ fragte der Held.
    Marius warf ihm einen vor Verwirrung ganz verzerrten Blick zu.
    „Das macht dich wieder munter. Das Pulver kommt hier rein und Wasser dort drüben, dann einfach anschalten und irgendwann läuft es durch.“
    Erklärte Marius, weil er sich dachte, wenn dieser Typ nicht einmal wusste was Kaffee war, dann hatte er vermutlich auch keine Ahnung wie eine Kaffeemaschine funktionierte. Dem Helden fiel wieder etwas ein: „Stimmt, du bekommst ja noch ein Schwert.“
    Marius wurde hellhörig. Das war es, was er sich nicht zu fragen getraut, worauf er aber schon die ganze Zeit gelauert hatte. Er staunte noch mehr, als der Held aus seiner Hosentasche ein gut anderthalbmeterlanges Schwert hervorzog.
    „Wie machst du das nur?“
    Der Held ging gar nicht darauf ein, sondern erklärte: „Das ist eine Hüterklinge. Sie hat mal einem apokalyptischen Templer gehört.“
    Er dachte sich, dass diese schmale Klinge genau richtig für den nicht sehr kräftigen Marius wäre. Er hielt das Schwert dem schmächtigen Kerl hin, der es staunend in die Hände nahm.
    „Wow, ist das wirklich echt?“ entfuhr es ihm.
    „Aber natürlich ist es echt. Du kannst es auch mal ausprobieren, aber wehe du schlägst damit nach mir, dann erlebst du die nächsten Minuten nicht mehr.“
    Marius warf ihm einen eingeschüchterten Blick zu und ging dann zurück in die Küche wo er ein Kotelett aus dem Kühlschrank holte und die Klinge darauf herniederfahren ließ. Das Fleisch und der Knochen wurden mitten durch gehackt.
    „Wow, das ist wirklich scharf. Das ist ein echtes Schwert, eine echte Waffe. Der Wahnsinn. Voll Krass.“
    Von der Kaffeemaschine kamen merkwürdig gurgelnde Geräusche.
    „Oh, es ist fertig.“
    Marius stellte die Hüterklinge behutsam ab und griff nach der Kaffeekanne, auch wenn er im Moment so aufgeputscht war, dass er gar keinen Kaffee benötigen würde. Er schenkte dem Helden eine große Tasse ein und ungeachtet der Hitze kippte der das Getränk in einem Zug hinunter. Marius sah ihn wieder, oder vielmehr immer noch mit großen Augen an und pustete seine Portion lieber gründlich ab, bevor er daran nippte.
    „War das nicht zu heiß?“ fragte er verwundert.
    „Ach was, Drachenfeuer ist heißer“, kam es lapidar vom Helden. „Wir haben hier doch jetzt alles geklärt, oder?“
    „Öhm… ja, eigentlich schon“, kam es kleinlaut von Marius. „Halt, warte. Ich wollte noch etwas fragen.“
    Der Held sah ihm mit einem Blick an, der ihm sagte, dass er reden sollte.
    „Meine Schwester sucht nach einem neuen Job. Kann sie bei dir anfangen? Sie ist gut im organisieren. Da lässt sich doch bestimmt etwas machen, oder?“
    Der Held sah ihn verwundert an. Bisher hatte ihn noch niemand nach einem Job gefragt. Sonst war er es immer, der Aufträge annahm.
    „Sie kann ja mal vorbeikommen und dann sehen wir weiter.“
    „Oh, ok“, sagte Marius unschlüssig.
    Sie verabschiedeten sich und der Held steuerte jetzt ihr Versteck an. Auf dem Weg dorthin merkte er, wie dieser Trank, den Marius ihm gegeben hatte seine Wirkung entfaltete. Er war nicht mehr so müde. Das wäre eine Revolution. Nie mehr schlafen! Mehr Zeit für Aufträge! Das musste er weiter beobachten. Auf der Straße entdeckte er eine Absperrung. Einige Männer, die Helme von greller Farbe und ebensolche Westen trugen buddelten dort in der aufgerissenen Straße. Na gut, vielleicht konnte das nicht so gesagt werden. Vielmehr grub einer und die anderen beiden sahen ihm dabei zu.
    „He, was macht ihr da?“
    Die beiden Arbeiter, die nicht arbeiteten, sahen ihn scheel an.
    „Warum fragst du?“
    „Es sieht so aus, als gäbe es ein Problem.“
    Die beiden Arbeiter sahen sich an.
    „Ja, aber das ist nicht dein Problem.“
    „Vielleicht kann ich euch ja helfen“, bot der Held an.
    Die beiden Typen sahen sich grinsend an.
    „Das will ich sehen. Wir warten hier nämlich darauf, dass die Sprengmittelsucher hier ankommen. Uns wurde gemeldet, dass hier irgendwo ein alter Weltkriegskracher liegen soll. So lange dürfen wir nicht weitergraben.“
    „Und was macht er?“ fragte der Held und zeigte auf den arbeitenden Kollegen.
    „He, es muss doch so aussehen, als würden wir irgendwas machen. Immerhin werden wir bezahlt.“
    Der Held schüttelte verwundert den Kopf. Diese Männer waren in der Tat in einer prekären Situation. Natürlich mussten sie für ihren Chef arbeiten, aber durften vom Amt wegen nicht. Dem konnte er bestimmt Abhilfe schaffen.
    „Dieser Weltkriegskracher, was ist das genau? Eine Waffe?“
    „Ja, ein riesen Brocken.“
    „Sprengmittel“, fügte der andere hinzu.
    Der Held wusste immer noch nicht genau was es war, aber offenbar eine versteckte, sehr gefährliche Waffe.
    „Ist das Ding noch zu irgendwas zu gebrauchen?“
    „Nein, das modert jetzt schon ein halbes Jahrhundert vor sich hin. Das kann nur noch abtransportiert, oder wenn es ganz dumm kommt, gesprengt werden. Müssen sich die Fachmänner ansehen. Ich will nicht, dass ich dem Teil zu nahe komme. Aber leichter gesagt … wir müssten ja erstmal wissen wo das verdammte Ding liegt und bevor die nicht kommen, geht gar nichts, aber bis da mal was passiert… Wir tun jetzt schon eine halbe Woche so, als würden wir was machen. Langsam geht mir das auch auf den Keks“, sprudelte es aus dem einen sehr unzufriedenen Arbeiter heraus.
    Sein Kollege sah dagegen nicht so aus, als würde ihn die Freizeit stören. Ganz entspannt sah er dem Verkehr auf der nächsten Kreuzung zu.
    „Ich denke, ich kann euch helfen“, sagte der Held, nachdem er kurz überlegt hatte.
    Er wechselte sein Kriegeramulett, mit dem des suchenden Irrlichts aus und schon erschien die leuchtende, flirrende Kugel vor ihm.
    „Such nach Waffen!“ befahl er ihm.
    Das Irrlicht gab ein bestätigendes Irrlichtgeräusch von sich und sirrte von dannen, suchte mal hier und mal dort. Die Arbeiter sprangen erschrocken zurück und schauten verdattert dem vorbeischwebenden Irrlicht hinterher.
    „Was zum Henker ist das?“ fand der arbeitende Arbeiter zuerst die Sprache wieder.
    „Ein Irrlicht. Es ist darauf trainiert Dinge zu finden.“
    Darauf wussten die drei nichts mehr zu sagen und schauten stumm und staunend dabei zu wie das Irrlicht auf einmal ganz aus dem Häuschen geriet. Es war zum Fußweg geschwebt und war dann ganz aufgeregt gegen den Boden getitscht, dann an einer Straßenlaterne abgeprallt und leuchtete jetzt einer Hauswand entgegen. Der Held dachte schon, dort wäre die Waffe, aber nein, das Irrlicht kehrte zum Boden des Fußwegs zurück. Es schien aber viel zu aufgeregt, um ans Ziel zu kommen. Immer wieder prallte es vom Boden ab.
    „Dort irgendwo muss es sein“, stellte der Held fest.
    Die anderen Arbeiter sahen sich beklommen an. Dieser Bereich war gar nicht gesichert. Fußgänger konnten jederzeit darüber hinweglaufen. Ob das ihrem Chef gefiel? Immerhin hätten sie die Baustelle wohl viel großflächiger absperren sollen. Das Irrlicht hatte sich mittlerweile so weit beruhigt, als das es sich jetzt gemächlich seinem Ziel näherte und dann ganz langsam im Boden verschwand. Zuerst war nichts zu sehen, dann leuchtete der Boden auf und es erklang ein helles Geräusch.
    „Ja, dort ist es. Jetzt müssen diese Typen nicht lange suchen. Markiert die Stelle einfach.“
    Die Arbeiter sahen sich beklommen an. Der arbeitende Arbeiter nahm seinen Mut zusammen und sagte, wohl auch um sich selbst zu beruhigen: „Ach was, das Ding lag da jetzt schon ewig und Milliarden von Menschen sind darüber gelaufen, dann wird jetzt auch nichts passieren."
    Er griff sich eine noenfarbende Sprühflasche und ging betont locker zu der Stelle, wo das Irrlicht leuchtete. Dort sprühte er ein X auf.
    „Na los, jetzt macht auch mal was!“ fuhr er seine Kollegen an.
    Die begannen nach dieser Aufforderung Absperrband auszurollen. Der Held nahm das Amulett des suchenden Irrlichts wieder ab, woraufhin das Irrlicht verschwand und nur ein leichtes Glimmen am Boden übrig blieb.
    „He, danke, Immerhin wissen wir jetzt wo das Ding ist. Wir werden dich bei den Sprengmittelsuchern erwähnen. Wie heißt du?“
    „Ich hab keinen Namen.“
    Die Arbeiter sahen sich an.
    „Oh, naja gut, dann melden wir, dass uns ein namenloser Typ mit einem leuchtenden Licht geholfen hat das Teil zu finden“, sagte der Kerl sarkastisch, der gerne seine Freizeit genoss.
    Sein Kollege versetzte ihm einen Hieb gegen den Helm.
    „Ja, klar, die rufen schon bei „leuchtenden Licht“ die Klapse an.“
    „He, willst du Bier?“ fragte ihn der arbeitende Arbeiter.
    „Klar“, sagte der Held, froh jetzt doch noch etwas für seine Aktion zu bekommen.
    Er bekam eine sechserpackung Bierdosen geschenkt, die er flugs in seiner Tasche verschwinden ließ, was die Arbeiter dazu veranlasste froh darüber zu sein, dass das Bier jetzt weg war. Der Held ging los, um seine Beute mit seinen Freunden zu teilen.
    Im Versteck traf er auf Elyas, dem er mitteilte was er mit Marius besprochen hatte, Gorn, der sich gleich ein Bier krallte und Lester, der erklärte, er würde jetzt gerne endlich mal losziehen um Sumpfkraut zu verkaufen. Der Held bot an, sie könnten zusammen gehen. Er erklärte, er hätte einen möglichen Eingang in die Hölle gefunden und wolle der Sache auf den Grund gehen. Auf seiner Karte stellte er fest, dass das Ziel nur einen Snappersprung entfernt war. Sie gingen los und sprachen ab, erstmal auf dem Alexanderplatz vorbeizuschauen. Der Held kannte mittlerweile schon die Ecken, wo er etwas Sumpfkraut los wurde und er hatte das Gefühl, dass sich manche seiner Kunden extra dort aufhielten, um ihn vielleicht zu treffen. So war es auch heute. Das traf sich gut, denn so konnte er gleich Lester vorstellen. Zuerst musterten manche Kunden Lester skeptisch, aber er schaffte es mit seiner Art schnell die Kunden für sich zu gewinnen. Anderen schien es vollkommen egal wer ihnen Kraut verkaufte, Hauptsache, sie bekamen welches. Vom Alexanderplatz hielten sie sich südlich und kamen an einem Edeka Markt vorbei.
    „He, warte mal“, hielt Lester seinen Freund auf. „Das sieht aus, als könnte man da was zu Essen bekommen. Stört es dich, wenn ich nicht mit in die Hölle komme und stattdessen was zu beißen hole? Du weißt ja, Gorn mault sonst wieder rum, wenn nichts da ist.“
    Der Held grinste.
    „Soso, Gorn mault rum“ wiederholte der Held amüsiert.
    „Ja, er tut zwar immer so, als wäre es nicht so, aber er jammert genauso rum wie andere auch“, erklärte Lester, der diese offene Rechnung offensichtlich noch unbedingt loswerden musste.
    „Nur zu, geh ruhig. Wir treffen uns dann im Markt. Es wird vermutlich eine Weile dauern, wenn Gorn auch wirklich satt werden soll“, sagte der Held zwinkernd, der wieder einmal Lesters Talent bewunderte, sich geschickt aus kommenden unangenehmen Situationen herauzuhalten.
    Dann würde er eben allein in die Hölle gehen. Er lief weiter, über eine Brücke hinweg und gelangte bald an sein Ziel: Die Neue Jakobsstraße 6, das Finanzamt Mitte, das Höllentor. Das Gebäude sah so unauffällig und langweilig aus, dass sich der Held sicher war am Ziel zu sein. Schließlich durfte der Eingang in die Unterwelt nicht auffallen. Ohne jede Angst, öffnete der Held die Tür und trat ein. Schnurstracks lief er am Empfangsbereich vorbei und sah sich erstmal im weiteren Teil des Gebäudes um und beobachtete die Leute, die hier arbeiten mussten. Sie wirkten derart gelangweilt, dass sie fast schon tot wirkten. Das musste es sein! Die Arbeit hier stahl den Leuten bestimmt Stückchen für Stückchen ihre Seele und ihre Lebenskraft, bis sie irgendwann nur noch willenlose Hüllen waren, so wie Zombies. Er hatte sich manchmal schon über die Antriebslosigkeit der Menschen in dieser Stadt gewundert, hier hatte er die Brutstätte dieser üblen Pestilenz gefunden! Eine Welle des Mitleids überkam ihn. Er konnte sich gar nicht vorstellen wie schrecklich es sein musste, Tag ein Tag aus Akten zu sortieren und an diesen komischen Computern herumzutippen und sonst gar nichts Entscheidendes zu machen. Keine Monster, keine Abenteuer. Schrecklich. Er würde hier ganz sicher zu Grunde gehen. Er riss sich vom Beobachten dieser armen Leute los und suchte nach einem Weg ins Untergeschoss. Für ihn war völlig klar, dass, wenn hier das Tor zur Hölle war, dies unten sein musste. Er fand eine Tür, die ins Treppenhaus führte. Das fand er fast schon zu einfach und war erleichtert, als er die schwere Metalltür am Ende des Weges verschlossen vorfand. Er zückte einen Dietrich und machte sich ans Werk. Kurze Zeit später öffnete er die Tür. Es war stockfinster hier unten und merkwürdige, ferne, grollende Geräusche kündeten von einem grässlichen Monster. Schnell wirkte er einen Lichtzauber und zückte Uriziel. Er befand sich in einem völlig belanglosen Raum mit nackten Wänden. Es roch muffig und das gab ihm Hoffnung. In alten Tempeln roch es immer muffig. Er ging weiter um das Biest zu finden, das hier so einen Krach veranstaltete. Eine weitere Tür versperrte seinen Weg. Darauf war auf einem roten Warnschild ein Feuer-Symbol abgebildet. Ganz klar, Feuermagier sollten hier nicht rein, denn das würde den Dämonen bestimmt nicht gefallen. Auch dieses Türschloss knackte er ohne Probleme und er drang weiter in die Dunkelheit vor. Das Grollen wurde lauter. Er umklammerte Uriziel fester und fragte sich, warum er keine Rüstung trug. Daran hatte er gar nicht mehr gedacht. Jetzt war es zu spät. Das Geräusch kam direkt von etwas vor ihm. Das helle Licht seines Zaubers warf gespenstische Schatten auf seine Umgebung und als er sich noch weiter näherte sah er endlich was vor ihm lag. Ein riesiges Metallgerät, das diesen Krach veranstaltete.
    „He, was machen sie da im Heizraum?“ kam eine mürrische Baritonstimme von hinten.
    Es war ein kleiner, dicker Mann, der Arbeiterklamotten trug und ihn jetzt miesepetrig ansah. Der Held überlegte kurz, ob es sich hierbei um einen verfluchten Tempelwächter handelte, entschied sich dann aber dagegen ihn mit Uriziel zu zerhacken. Es war wohl nur ein weiterer Arbeiter dieses Gebäudes. Er steckte Uriziel erstmal weg und näherte sich diesem Typen.
    „He du, weißt du wo hier das Höllentor ist?“
    „Was? Bist du aus der Klapse ausgebrochen?“ fragte der Hausmeister verärgert.
    Dem Helden schwante, dass er wohl etwas missverstanden hatte. Vielleicht gab es hier doch kein Höllentor?
    „Dann gibt es hier gar keine Hölle?“
    „Hölle? Quatsch! Wenn du nicht sofort abhaust, hole ich die Polizei!“
    Der Held musterte den Typen. Meinte er es ernst? Besser niemand wusste, dass er hier gewesen war. Was auch immer das für ein Ort war. Er wurde handgreiflich und als der Hausmeister zu Boden ging, belegte er ihn mit einem Vergessenszauber, ganz so wie den Jäger, der ihm in der Nacht mit der Polizei gedroht hatte. Er hatte nicht viel Zeit, doch die nutzte er um mit dem Irrlicht den Raum nach außergewöhnlichen Dingen ab zu suchen. Das Irrlicht schwebte einfach nur vor ihm in der Luft. Hier gab es nichts Interessantes zu finden. Der Held seufzte. Er hatte sich wohl wirklich geirrt. Kein Höllenportal. Die Enttäuschung fraß sich durch seinen Körper. Er rief das Irrlicht zurück und setzte den Kurs zurück zu diesem Markt, wo Lester Essen kaufte.
    Sein Freund hatte sich währenddessen ganz ausführlich diesen überdachten Markt angesehen. Zuerst war er mit dem Überangebot der Waren schier überfordert. Wo kam das alles her? Wer konnte das alles brauchen?
    Er hatte beobachtet, dass die Menschen Wagen aus Metall herumschoben und die Sachen, die sie kaufen wollten, dort hineinlegten. Lester ging zu den Wagen, die draußen vor der Tür standen, aber als er dran zog, stellte er fest, dass sie angekettet waren. Wohl um Diebstahl vorzubeugen. Er beobachtete wie andere Leute Geldstücke in einen Schlitz im Griff des Wagens steckten und probierte es dann selbst. Es dauerte etwas bis er das passende Geldstück gefunden hatte, aber dann funktionierte es problemlos. Lester war stolz auf sich. Dieses Rätsel hatte er gelöst. Da fiel es doch kaum mehr ins Gewicht, dass er damals bei dem Tempelrätsel ausversehen diese beiden Dämonen auf den Plan gerufen hatte. Zufrieden mit sich und der Welt schob Lester den Einkaufswagen durch die Gänge und sackte alles ein was er kannte: Käse, Fleisch, Äpfel, Brot, Milch, Honig und Fisch. All diese Dinge waren verpackt, aber das hatte er schon von den Sachen gesehen, die ihnen Elyas gegeben hatte. Lester wagte sich sogar an ein paar ungewohnte Produkte. Er hatte bei Elyas schon Dosen stehen sehen. Da war also etwas zu Essen drin. Lester packte gleich von einem Dutzend verschiedener Arten mehrere Exemplare ein. Er entschied, dass das ausreichen sollte und schob den Wagen dorthin, wo auch alle anderen Leute hingingen. Verwundert beobachtete er wie sich Leute in Schlangen vor länglichen Tresen mit merkwürdigen schwarzen Belegen anstellten, wo weit vorne Frauen auf Stühlen saßen. Das mussten die Verkäuferinnen sein. Lester lud sein Zeug auf eins der schwarzen Bänder, so wie er es von den anderen Kunden gesehen hatte. Die Händlerin hatte offenbar magische Kräfte, denn das Band bewegte sich wie auf Befehl auf sie zu und alle Waren kamen praktisch von selbst zu ihr.
    Die Kassiererin sah Lester komisch an, als er an der Reihe war, scannte dann aber die Waren ein und sagte den Preis: „63,90 €“
    Lester kramte umständlich Geld hervor.
    „Tolle Sache dieses Papiergeld, da muss man sich überhaupt nicht mehr abbuckeln.“
    Die Kassiererin guckte ihn verwirrt an und sah dann skeptisch auf das Geld.
    „Das sind aber nur 50 €.“
    Lester ließ sich gar nicht aus der Ruhe bringen.
    „Ach kein Problem, ich hab was zum tauschen. Hier, ein Erzbrocken.“
    Und unter den ungläubigen Blicken der hinter ihm anstehenden Leute, legte er ihn der Kassiererin vor die Nase.
    Die Kassiererin sagte verwirrt: „Was soll ich denn mit diesem blauen Klumpen?“
    Lester war empört.
    „Das ist magisches Erz, richtig wertvoll.“
    Die Kassiererin verzog missbilligend ihr Gesicht.
    „Ne, das nehm ich nicht!“
    Ihr Kunde sah dies nicht als Rückschlag.
    „Macht nichts, ich hab noch mehr.“
    Die Kassiererin sah ihn mit dem Ausdruck „Wehe wenn da noch mehr ist“ an.
    „Sumpfkrautstengel! Allerbeste Ware.“
    Die Kassiererin riss die Augen auf.
    „Sind das Drogen?“
    Sie nahm das Telefon zur Hand und rief bei der Polizei an.
    „Hallo, ja, hier ist so ein komischer Typ, der will mir Drogen im Austausch für Lebensmittel verticken.“
    „Und magisches Erz“, rief Lester laut dazwischen.
    „Sagen Sie, wer sind Sie überhaupt?“ fragte die Kassiererin barsch.
    „Ich? Ich bin Lester, ehemaliges Mitglied der Bruderschaft des Schläfers.“
    Die Kassiererin riss erschrocken die Augen auf.
    „Ist das so eine Art Sekte?“
    Lester strahlte, endlich verstand sie ihn.
    „Ja, genau.“
    Die Kassiererin packte das Telefon fester und sprach aufgeregt in die Muschel hinein: „Kommen Sie schnell! Er sagt, er gehört zu einer Sekte, die etwas mit einem Schläfer zu tun hat.“
    Während ihres Gesprächs hatte sich hinter Lester eine lange Schlange angesammelt, die Lester wütende und missbilligende Blicke zuwarf. Jetzt sahen sie sich aber beklommen an und manche entschieden doch lieber zu einer anderen Kasse zu gehen. Mitten in das Chaos platzte der Held hinein.
    „He Lester, da bist du ja. Whoa, was ist das alles hier?“
    Der Held sah sich staunend um. Sein Irrlicht geriet komplett aus dem Häuschen. All die vielen Sachen, all das ganze Zeug, das es seinem Herrn markieren musste. Sofort schoss es wie ein wildgewordener, leuchtender Flummi los, prallte am Boden, Decke und den Wänden und Regalen ab und kam hin und wieder zurück um dem Helden auffordernd zuzuflimmern. Dann schoss es wieder wie angesengt los, nur um kurze Zeit später wieder zurückzukehren und eindringlich zu leuchten. Warum kam sein Herr denn nicht endlich mit, um all das Zeug was es gefunden hatte einzusacken?
    Die anderen Kunden hatten ihre Blicke auf das Irrlicht geheftet und folgten wie hypnotisiert seinen Bewegungen.
    „Gibt es ein Problem?“ fragte der Held, der die Lage sofort analysiert hatte und sein Irrlicht nicht weiter bedachte.
    „Ja, dieser … Herr hat nicht genug Geld um zu bezahlen“, sagte die Kassiererin empört, nachdem sie den ersten Schrecken, das ein wildgewordener, leuchtender Flummi im Supermarkt umherschneppste, überwunden hatte.
    „Was fehlt denn?“ wollte der Held wissen.
    „13,90€ und ich hab die Polizei gerufen. Er wollte mir Drogen verkaufen!“
    Der Held seufzte. Die Vermutung der Kassiererin einen Verbündeten gefunden zu haben, zerschlug sich, als der Held genervt sagte: „Müsst ihr hier denn wegen jedem bisschen gleich die Polizei holen? Die müssen ja total überarbeitete sein. Hier, nimm diese zwanzig Euro und lass es gut sein!“
    Er klatschte der Dame eine zwanzig Euro Note vor die Nase und winkte Lester zu, damit sie hier endlich wegkamen.
    „Was hast du denn gemacht?“ fragte der Held Lester genervt beim Verlassen des Gebäudes.
    „Nichts, ich wollte nur was tauschen.“
    Das Irrlicht kreiste wild geworden um die Obstauslage und konnte einfach nicht fassen wie sein Herr sein aufdringliches Verhalten einfach so übersehen konnte. Für einen kurzen Moment schien es zu bocken und sah fast so aus, als wolle es im Laden bleiben, bis sein Herr zurückkam und sich endlich alles unter den Nagel riss, doch dann sauste es doch hinterher.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 20:06 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Unter dem Einfluss von Drogen: Sumpfkraut und Kaffee

    Draußen forderte Lester den Helden auf, all die Waren einzustecken.
    „Immer muss ich den Packesel spielen. Langsam nervt mich das“, gab der Held kund.
    Lester sah ihn verständnisvoll an, sagte jedoch: „Wir haben sonst keine andere Möglichkeit all das Zeug mitzunehmen.“
    „Hm…“
    Der Held beobachtete die Leute um sie herum.
    „Sieh mal, die Bürger hier packen ihre Einkäufe in diese Autos und fahren damit nach Hause.“
    „Wir haben doch aber kein Auto“, erinnerte ihn Lester.
    „Elyas hat aber eins“, hielt der Held störrisch dagegen.
    „Weißt du denn wie man es bedient?“ fragte Lester skeptisch.
    „Naja …“ kam es langsam vom Helden. „…ich hab gesehen wie Elyas und Cem das machen. So schwer kann das ja nicht sein. Weißt du was? Ich lass mir von Elyas zeigen wie das geht, dann sind wir nicht immer auf ihn angewiesen.“
    Lester wusste nicht, ob das eine gute Idee war, doch er dachte sich, dass er seinen Freund sowieso nicht davon abhalten konnte.
    „Na schön. Ich verkauf weiter Sumpfkraut, hast du noch was da?“
    Der Held reichte ihm mehrere große Sumpfkrautpakete, in denen viele kleine Tütchen enthalten waren. Der Held legte alles in einen Stoffbeutel, den er ebenfalls in seiner Tasche gelagert hatte. So trennten sich ihre Wege. Lester wagte sich weit aus Berlin Mitte heraus. Er konnte besser einschätzen als der Held wo er Kundschaft finden konnte. Vor Schulen der Mittelstufe, Universitäten, Fach- und Hochschulen fand er viele erkundungsfreudige junge Interessenten. Er hatte ein Talent dafür seine Kundschaft ganz locker auf seine Ware aufmerksam zu machen. Dabei war er weit davon entfernt aufdringlich zu sein. Das brauchte er auch gar nicht. Mit seiner entkrampften Art kam er leicht ins Gespräch und die Kunden fühlten sich auch entspannter. Gerade bei den jungen Schülern kam das gut an. Es waren natürlich auch viele dabei, die von dem Kraut nichts wissen wollten, aber das nahm Lester nicht den Mut es immer weiter zu versuchen. Auch vor Bordellen fand er Kundschaft. Die Prostituierten waren für alles dankbar was sie ihren fürchterlichen Alltag leichter ertragen ließ. Nachdem sie probe geraucht hatten, kauften manche gleich mehrere Tüten. Während Lester viele neue Stammkunden fand, hatte sich der Held mit Elyas auf dem aufgegeben Hof des Lagerhauses getroffen, wo ihm der junge Mann die Grundlagen des Autofahrens beibrachte. Bald wusste der Held was es mit den Pedalen für die Füße auf sich hatte und wie man die Gänge durchschaltete. Mit dem Fahren tat er sich aber noch etwas schwer. Er gab viel zu beherzt Gas und der Wagen stoppte erst an der nächsten Mauer, denn obwohl Elyas den Helden anschrie, er solle bremsen, brauchte der noch einen Moment, um die Bremse auch zu finden. Der Schaden bestand in einer demolierten Front. Der Wagen konnte aber noch weiterfahren, was der Held bewies, indem er den Rückwärtsgang einlegte und vermutlich auch dort irgendwann gegen eine Mauer geknallt wäre, hätte Elyas nicht die Handbremse hochgerissen. Mit lautem Kreischen, Knirschen und Krachen kam der Wagen zum Stehen.
    „Du musst langsamer machen! Du musst doch erst einmal lernen wie alles funktioniert!“, rief ihm der genervte Elyas zu.
    Tatsächlich wurde es nach einigen Stunden Training besser, bis der Held auf den Punkt genau vor der Mauer zum Stehen kam, richtig Parken und Wenden konnte.
    „Naja, also die Grundlagen hast du jetzt zumindest… He, willst du mal sehen wie erfahrene Fahrer das machen?“ fragte Elyas, als es dunkel wurde.
    „Gerne“, stimmte der Held zu.
    Er wollte unbedingt mehr darüber lernen. Zuerst fuhr Elyas das Auto zu einem Kumpel in die Werkstatt, wo es repariert werden sollte. Dort war er offenbar gern gesehen, denn er wurde mit lautem Johlen begrüßt. Sie trafen auf Elyas Freund Michael, der sie in seinem alten, aufgemotzten, grünen Volkswagen mitnahm und zu einer Tankstelle an den nördlichen Stadtrand fuhr. Dort warteten sie einige Zeit, welche die jungen Männer mit allerlei Gesprächen über Geschäftlichkeiten und Autos überbrückten. Dem Helden begann es gerade langweilig zu werden, da trudelten immer mehr hochgetunte Autos mit ihren Fahrern ein. Zuerst dachte er, jetzt werde endlich etwas Spannendes geschehen, doch die Männer und Frauen standen nur herum, palaverten und gaben mit ihren Autos an.
    „Passiert hier auch mal was?“ fragte der Held, der es nicht mochte untätig herumzustehen.
    „Immer langsam“, kam es von Michael.
    „Langsam …“ knurrte der Held dieses ungeliebte Wort.
    Hätte er langsam gemacht wären die Drachen bestimmt über die Welt hergefallen und die Orks hätten alle Menschen von Myrtana ausgerottet. Er ergriff die Initiative und fing selbst Gespräche an, wie das so seine Art war und hin und wieder verkaufte er an Interessenten Sumpfkraut. Als Elyas das sah, kam er zu ihm und fragte: „Meinst du wirklich, dass das eine gute Idee ist? Immerhin sollen die noch fahren.“
    „He, ich sag ja nicht, dass die das jetzt rauchen sollen“, sagte der Held unaufgeregt.
    Elyas zeigte mit dem Daumen über die Schulter, wo einige junge Kerle in dicke, grüne Rauchschwaden gehüllt waren.
    „Wenn hier doch noch was passiert, muss ich auch kein Sumpfkraut verkaufen.“
    Elyas winkte eilig Michael zu, der etwas unschlüssig bei seinem Auto stand und fragte ihn, als er zu ihm kam: „Machst du heute noch ein Rennen?“
    Michael sah über die versammelte Menschenmenge.
    „Weiß nicht. Ich bräuchte jemanden der mitmacht.“
    Der Held verdrehte die Augen. Wie konnte man sich nur so schwer tun? Geradeheraus sprach er die erstbeste Person an, die in der Nähe war. Es war eine junge, schlanke, schwarzhaarige Frau mit Pferdeschwanz, die sich gerade eine schwarze Limo genehmigte.
    „He du, hast du Lust auf ein Rennen mit Michael?“
    Sie sah positiv überrascht aus.
    „Endlich mal was los. Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben. Die Typen, die ich angesprochen habe, wollen nur rumstehen und quatschen. Wie so ein paar Waschweiber. Was hat er denn für ein Auto? Meins ist der schwarze Honda Civic da drüben.“
    Sie wies auf ein Auto wie es zur Jahrtausendwende gebaut wurde. Endlich schaltete sich auch Michael ein und zeigte ihr sein Auto. Nach einem kurzen Blick darauf, erklärte die Frau: „Gut, dann mal los. Ich bin übrigens Tina.“
    Sie reichte Michael die Hand.
    „Können wir mitfahren?“ fragte Elyas und zeigte auf den Helden und sich.
    Michael sah nicht begeistert aus.
    „Wenn ich euch beide mitnehme, dann ist mein Auto viel schwerer als ihres. Dann bin ich im Nachteil.“
    Tina musterte die Männer.
    „Wenn es euch wichtig ist: Wir können uns ja aufteilen. Wenn du mit ihm fährst…“ Sie zeigte erst auf Elyas und dann auf Michael „und du mit mir“, Jetzt zeigte sie auf den Helden und sich „…dann sollte das Gewicht etwa gleichmäßig verteilt sein. Aber wenn was passiert, dann heißt es Pech gehabt.“
    Michael hob eine Augenbraue. So eine sorglose Ansichtsweise wollte er offenbar auch mal haben.
    „Gut, kann es dann losgehen?“ fragte der Held, der spürte, dass jetzt endlich mal was passierte.
    Tina und Micheal sprachen sich ab und dann wies die Frau ihren Gast an, ihm zu ihrem Honda zu folgen, während Elyas bei Michaels VW einstieg.
    „Wir werden hauptsächlich geradeaus fahren, deswegen sollten die G-Kräfte nicht allzu schlimm sein. Es schadet aber nichts sich trotzdem festzuhalten“, riet Tina.
    Zuerst wusste der Held nicht was sie meinte. Bei Elyas oder Cem hatte er sich nie festhalten müssen. Hier wurde ihm schnell klar, dass es anders lief. Der Start verlief noch relativ ruhig. Tina fuhr langsam von der Tankstelle weg und fuhr scheinbar ziellos durch die Stadt.
    „Erstmal den Motor aufwärmen“, erklärte Tina.
    Nach einigen Minuten trat sie völlig unvermittelt aufs Gaspedal, das Auto sprang nach vorne und sie heizten die wenig befahrenen Straßen von Berlin entlang. Die anderen Verkehrsteilnehmer hupten ihnen zu, doch Tina schien das überhaupt nicht zu stören. Stoppschilder und rote Ampeln hin oder her, sie zog ihr Ding durch. Schließlich trafen sie bei der nächsten Autobahnauffahrt auf Michael, der wohl auch gerade eben erst eingetroffen war. Sie lenkten ihre Autos auf die mehrspurige Fahrbahn und als sie gleich auf waren, hupten sie sich zu und das Rennen ging los. Die Straße war wenig befahren. Trotzdem war Michael leicht im Vorteil, weil er links fuhr und deswegen nicht so vielen vor ihm fahrenden Verkehrsteilnehmern ausweichen musste. Er lag leicht in Führung. Tina behalf sich indem sie entweder knapp hinter ihm einscherte, oder rechts überholte. Der Held sah staunend aus dem Fenster. Das hier war in der Tat aufregend. Die Umgebung schien an ihnen vorbeizufliegen. Er sah zu Tina, die hochkonzentriert auf die Straße blickte, um die nächste Chance für ein Ausweichmanöver zu finden. Sie schwenkte hart nach rechts, als völlig unvermittelt ein roter Fiat auf die mittlere Spur wechselte. Michael konnte sich deswegen einen Vorsprung aufbauen. Tina schaltete runter, gab tüchtig Gas und holte langsam wieder auf, dann schaltete sie wieder hoch und war jetzt mit Michael gleich auf. Vor ihnen wurde der Verkehr dichter. Zwei Autos und ein Lastkraftwagen fuhren nebeneinanderher. Mit engen, gefährlichen Manövern fädelte Tina ihren Honda dazwischen durch. Die jetzt hinter ihnen fahrenden Leute gaben empört Lichthupe. Michael hatte diese riskanten Manöver nicht gewagt und er musste jetzt warten bis sich wieder eine Lücke im Wall auftat. Tina juchzte.
    „Gewonnen!“
    Sie fuhr noch ein Stück und verließ dann die Autobahn. Dort kamen sie an eine andere Tankstelle, die blau leuchtete und wo auch allerhand hochgetunte Autos und Leute standen.
    „Das hat Spaß gemacht“ sagte der Held und grinste.
    Tina sah ihn mit leuchtenden Augen an.
    „Ja, mir auch. Schön, dass es dir gefallen hat. Deine erste Fahrt?“
    „Naja, jedenfalls war so eine noch nicht dabei.“
    Tina lachte.
    „Dafür hast du dich gut gehalten. Du hattest wohl gar keine Angst was? Ich hatte schon ein paar Leute mit, aber die fangen dann irgendwann an, sich so krampfhaft festzuhalten und rumzuwimmern. Ich weiß auch nicht …“
    Sie reichte ihm die Hand.
    „Jederzeit wieder, wenn du willst.“
    Der Held schüttelte ihre Hand und stieg dann aus. Jetzt fuhren auch Michael und Elyas vor, die nicht so glücklich aussehen.
    „Was sollte das denn? Du hättest fast einen Unfall verursacht“, empörte sich Elyas.
    Tina verdrehte die Augen.
    „Heul nicht rum! Wenn du das nicht abkannst, hast du hier nichts verloren.“
    Pikiert wandte sich Elyas ab, während Michael der Gewinnerin einen Batzen Geld in die Hand drückte. Dann hingen sie alle in der Tankstelle ab, wo sie sich einen Kaffee genehmigten. Elyas schimpfte noch lange über Tina, bis es auch Michael nervte.
    „He, ist doch jetzt mal gut. Ich fand’s auch scheiße und ich hab viel Geld verloren, aber siehst du, dass ich rumjammere?“
    „Hmpf“, kam es von Elyas, der jetzt nichts weiter dazu sagen wollte.
    Der Held wunderte sich über die Beiden. Was machten sie nur für einen Aufstand? Es war doch gar nichts weiter passiert. Heute machte Michael kein Rennen mehr und sie fuhren zu seiner Werkstatt zurück, wo Elyas ausgebessertes Auto zur Abholung bereit stand. Der Held verabschiedete sich und lief wieder durch die Stadt, um weiter Sumpfkraut zu verkaufen.

    Milten hatte eine stressige Nacht hinter sich. Ständig wurde er im Krankenhaus angepiept. Mehrmals musste er Manatränke schlucken, um überhaupt noch genügend magische Kraft zur Verfügung zu haben. Wenn er doch mal für einige Zeit eine Pause hatte, verbrachte er die im Bereitschaftsraum, wo er vor mehreren Medizinbüchern hockte. Eins in dem verschiedene Krankheiten und ihre Symptome beleuchtet wurden, aber oft verstand er fast gar nichts, weil es so viele Fachwörter gab, was ihn veranlasste sich zwei weitere Bücher neben das erste zu legen, die diese Fachwörter erklärten und sich beim Lesen ständig unterbrechen zu müssen, um nachzuschlagen. Ein Anatomiebuch lag etwas abseits, das er aber zu Rate zog, wenn er wissen wollte wo im Körper sich etwas befand, von dem er las. Er stellte fest wie kompliziert Medizin war und wie umfangreich das Wissen der Ärzte sein musste. Milten war frustriert. Wie sollte er das nur alles lernen? Und musste er das überhaupt? Er sagte sich, dass es nötig war, um besser einschätzen zu können welche Zauber er anwenden sollte. Er hatte es auch schon erlebt, das seine Zauber keine Wirkung auf seinen Patienten hatten und er sich mit einem Trank behelfen musste, der eigentlich für infektiöse Verletzungen durch Warane und Untoten verwendet wurde. Was wäre, wenn er wieder vor so einem Problem stand und es nicht lösen konnte? Aufmerksam arbeitete er sich durch einen Abschnitt über Pneumonie. Er las, dass eine Lungenentzündung auch durch Bakterien, Viren, giftige Stoffe oder Pilze entstehen konnte. Über Viren und Bakterien hatte er sich belesen und Gift war klar, aber meinten sie mit Pilzen sowas wie den Morgentau, oder das Buddlerfleisch? Er überlegte, dass es sich wohl um eine andere Art von Pilz handeln musste. Viel kleiner, oder vielleicht lag es auch an den Sporen, die diese Pilze abgaben. Er zwirbelte geistesabwesend die Haare an seiner Stirn um seinen linken Zeigefinger, wie eigentlich immer, wenn er dasaß und hochkonzentriert las. Ja, das musste es sein. Eine andere Art von Pilz. Er griff sich eines seiner Nachschlagewerke und blätterte darin, um etwas über Pilze zu finden. Plötzlich piepste sein kleines Gerät los, das er jetzt immer bei sich trug und Milten fuhr erschrocken zusammen. An dieses, „ständig verfügbar sein“, hatte er sich noch nicht gewöhnen können. Er sah auf den Pieper und erfuhr, dass er sich in der Notaufnahme melden sollte. Wieder einmal. In dieser Nacht war er ständig dort gewesen. Wie er bald feststellte, handelte es sich in diesem Fall um das Opfer einer Schlägerei. Das Gesicht des Patienten sah grauenvoll zermatscht aus. Milten hatte so etwas nicht zum ersten Mal gesehen. Auch das war kein Fall für einen schweren Heilzauber. Die Arbeit war in wenigen Minuten erledigt und sein Patient sah aus, als wäre nie etwas gewesen.
    „He!“ hörte er eine piepsige, helle Stimme hinter sich.
    Als er sich umwandte, erkannte er Saskia, die sich schnell näherte.
    „Hast du gerade Zeit? Da sind ein paar junge Männer, die sind … naja … voll zu gedröhnt. Wir wissen nicht was wir mit denen machen sollen. Wir haben versucht sie zu behandeln, als hätten sie Cannabis genommen, aber es muss etwas anderes sein. Sie sprechen nicht so ganz auf die Behandlung an. Vielleicht ist es dieses Sumpfkraut was neuerdings im Umlauf ist.“
    „Sumpfkraut?“ fragte Milten verwundert und gleichzeitig alarmiert.
    Saskia deutete seinen Ausruf als Unwissenheit.
    „Ja, hier, lies dir das mal durch.“
    Sie hielt ihm ihr Smartphone hin, wo ein Nachrichtentext angezeigt wurde:
    „Neue Droge im Umlauf: Eine neue Droge greift in Berlin um sich. Die als Sumpfkraut bezeichneten Krautstengel werden geraucht und haben in kleinen Mengen einen beruhigenden Effekt. Bei übermäßigem Konsum kommt es allerdings zu Verwirrung, Desorientierung, beeinträchtigter Urteilskraft und Halluzinationen wie das Beispiel eines Mannes zeigt, der selbst bei den niedrigen Temperaturen mitten in der Nacht mit nur einer Unterhose bekleidet über die 115 rannte und lauthals rief: „Sie sind hier überall, die Häuser, sie wandern und springen und tanzen.“
    Das plötzliche Auftauchen des Mannes auf der Fahrbahn verursachte mehrere Auffahrunfälle mit Blechschäden und zwei Schwerverletzten. Die Straße musste gesperrt werden, um den halluzinierenden Mann in Gewahrsam zu nehmen. Weiterhin kam es in den frühen Morgenstunden zu einer Massenkarambolage auf der 158 nachdem mehrere Raser miteinander kollidiert waren. Auch sie hatten zu viel Sumpfkraut geraucht. Ein Lastwagen und vierzehn PKW von unbeteiligten Personen wurden in die Unfälle verwickelt. Zweiundzwanzig Menschen wurden dabei verletzt, vier davon schwer. Die Polizei ermittelt, um den Ursprung des Sumpfkrauts zu finden und die Dealer und Hintermänner zu verhaften.“
    Wortlos gab der Feuermagier das Smartphone zurück.
    „Kannst du dir die Typen mal ansehen? Vielleicht fällt dir ja was ein. Ich fürchte fast, die könnten sich irgendwelche Vergiftungen zugezogen haben, oder so.“
    Milten tippte auf „oder so“ und folgte ihr schnellen Schrittes. Sie führte ihn zu einem Zimmer, in dem sich vier junge Männer, vermutlich Anfang zwanzig, aufhielten und ganz offensichtlich nicht wussten wo sie sich befanden. Mit leerem Blick starrten sie ins Nichts. Milten sprach sie an, aber sie brachten nur wirres und unzusammenhängendes Gebrabbel heraus. Saskia stand hilflos daneben und wusste nicht, was sie machen sollte.
    „Ein Arzt hat sie sich schon angesehen, aber er wusste im ersten Moment auch nichts anderes mit ihnen anzufangen, als ihnen was zu verabreichen, dass hoffentlich dieses Gift aus ihnen herausschwemmt, aber ich finde nicht, dass es so aussieht, als ob es wirkt.“
    „Wann war denn das?“ fragte Milten beunruhigt nach.
    Saskia sah auf ihr Smartphone, um die Uhrzeit zu prüfen.
    „Etwa um sechs, also anderthalbstunden her. Wenn es jetzt noch keine Wirkung entfaltet hat, dann glaube ich nicht, dass da noch was kommt. Es kann ja sein, dass sie sich wieder von allein erholen, aber vielleicht könnten sie auch schwere Schäden nehmen. Wir haben keine Ahnung was dieses Sumpfkraut eigentlich ist. Wir bräuchten einen Spezialisten.“
    Milten sagte sich, dass sie Recht hatte und überhaupt, wenn Lester und der Held ihnen diese Suppe eingebrockt hatten, dann sollten sie die auch gefälligst auslöffeln.

    Währenddessen zogen im Versteck leckere Gerüche durch die Räume. Der Held hatte sich an den alten, versifften Herd gestellt und briet das Wildschweinfleisch für das Frühstück. Waldi saß neben ihm und bettelte seinen Herrn an. Schließlich zog der ein noch rohes Stück Wildschweinfleisch aus der Tasche und warf es ihm hin. Der Wolf schnappte das Stück noch im Flug und verzog sich dann in eine Ecke um es zu verschlingen.
    „Fleisch zum Frühstück?“ fragte Elyas, der gerade müde ins Zimmer geschlurft kam.
    Wenig später kam auch Lester herein und zündete sich als erste Tat des Tages erstmal einen Sumpfkrautstengel an.
    „Ja, warum denn nicht? Warum sollte ich denn kein Fleisch braten? Ist doch überhaupt nichts auszusetzen an einem schönen Stück Wildschweinfleisch.“
    Elyas verzog eine Augenbraue, irgendwas war Merkwürdig mit seinem Geschäftspartner.
    „Hier wollt ihr auch einen Kaffee?“ fragte der Held und schenkte ihnen aus der halbleeren Kaffeekanne etwas ein.
    „Was ist denn das?“ wollte Lester wissen.
    „Das macht dich wach. Herrlich wach, richtig klar im Kopf, so aufgeputscht wie nach dem Angriff eines rasend randalierenden Razor Rudels.“
    Lester sah die ihm dargereichte Brühe skeptisch an, trank dann aber davon.
    „Hm… ganz schön bitter. Ist das aus einer Knolle, oder so?“
    „Aus Bohnen“, erklärte der Held und wo er die Anderen Trinken sah, entschied er sich auch noch mal eine große Tasse zu nehmen.
    In einem Zug kippte er sich das schwarze dampfende Zeug hinter. Elyas nippte an seiner Portion und verschluckte sich dermaßen, dass ihm ein bisschen Kaffee aus der Nase kam. Mühsam schluckte er die Brühe hinunter und hustete dann.
    „Himmel, das weckt ja Tote auf.“
    „Ach echt? Interessant“, sagte der Held und sah sich den Kaffee genauer an.
    Skelette konnte er ja auch schon so beschwören, aber vielleicht ließ sich damit noch anderer Schabernack treiben.
    „Wie viel hast du denn da reingetan?“ fragte Elyas heiser.
    „Eine Tüte, gestrichen.“
    Elyas Augen traten aus seinen Höhlen und er öffnete hastig die Klappe der Kaffeemaschine, wo ein dicker, schwarzer Klumpen Kaffee im Filter hing, der auch nur deswegen nicht mehr bis oben hin voll war, weil es durch den Wasserdurchlauf zwei Zentimeter zusammengesackt war.
    „Mann, willst du an nem Herzkasper sterben? Das ist nicht gut, wenn man da so viel rein macht.“
    „Und warum geht das dann?“ wollte der Held wissen, der sich überhaupt nicht schlecht fühlte.
    „Weil …“
    Elyas fiel nichts zu sagen ein. In diesem Moment kam Milten durch die Tür und bevor der noch irgendwas zu sagen wusste, drückte der Held ihm auch schon aufgedreht eine Tasse in die Hand.
    „Hier! Das musst du probieren! Das ist Kaffee, so eine Art magischer Trank, der einen völlig wach macht.“
    Milten lehnte sich überrascht von der stürmischen Art des Helden zurück und sah ihn skeptisch an.
    „Mit dem Zeug muss ich nie wieder schlafen. Nie wieder!“
    Er lachte irre.
    „Ich fühl mich so richtig wach. Das hätte ich mal haben sollen als ich in Jharkendar war, da hätte mich bestimmt kein Golem einfach so herumgeschubst. Da wäre das alles überhaupt kein Problem gewesen. Ich spüre so richtig wie da verborgene Energien in mir wach werden.“
    Milten sah beunruhigt auf seinen Freund. Der Held war ja sowieso schon hyperaktiv, auf was für verborgene Energien musste er sich da gefasst machen?
    „Also hör mal …“ fing Elyas sachte an. „Nur wegen dem Kaffee heißt das nicht, dass du nicht mehr schlafen solltest. Irgendwann ist die Wirkung vorbei und du fühlst dich ganz ausgelutscht.“
    „Dann muss ich eben wieder Kaffee trinken. Noch mehr Kaffee!“ kam es total euphorisch vom Helden.
    „Hör mal, ich muss mit euch beiden reden …“ fing Milten an und zeigte auf Lester und den Helden.
    Er kam aber gar nicht weiter dazu etwas zu sagen, denn Gorn, der gerade von der Arbeit heimkam, trat durch die Tür. In den Augen des Helden blitzte es schalkhaft.
    „KUMPELKLOPPE!“ brüllte er, rannte zu Gorn und griff ihn stürmisch an.
    Sein Freund sah zuerst perplex aus, doch da er ein erfahrener Kämpfer war, ließ er sich nicht so einfach übertölpeln und wehrte seinen Angriff ab. Im Nu war die schönste Kabbelei entstanden und die Einrichtung musste unter dieser brachialen Behandlung derbe leiden. Milten seufzte genervt. Lester feuerte die Kämpfenden an und Elyas konnte nicht glauben was hier gerade passierte. Ein ungutes Gefühl ließ ihn zur Kaffeekanne greifen, die jetzt fast leer war.
    „War die mal voll?“ fragte er, doch er bekam keine Antwort.
    Eigentlich brauchte er auch keine. Das Geschehen sprach für sich.
    „Jetzt hört doch endlich mal auf!“ rief Milten untypisch laut.
    Er war müde und genervt von der anstrengenden Nacht und das Letzte was er jetzt gebrauchen konnte waren seine Freunde die durchdrehten.
    Es rumste laut, dann wurde es still und Gorn und der Held, die sich beide noch am Wickel hatten sahen verwundert zu Milten. Sonst war er immer so ruhig. Da musste was passiert sein.
    „Stimmt was nicht?“ fragte der Held arglos.
    Milten atmete geschafft verbrauchte Luft aus und hielt sich kurz seinen schmerzenden Kopf. Dann zeigte er auf Lester und den Helden und sagte streng: „Wegen euch beiden musste ich die Nacht ständig Leute heilen. Es gab viele Unfälle und Verletzte, weil es eure Käufer mit dem Sumpfkraut übertrieben haben und jetzt hab ich da im Krankenhaus ein paar Typen, die sind so high, dass ich überhaupt nicht weiß, wie ich das wieder hinbiegen soll.“
    „Hm…“ kam es von Lester. „Keine Ahnung wie das kommt. Ich hab den Leuten immer gesagt, dass sie nicht alles auf einmal rauchen sollen.“
    Er warf einen fragenden Blick zum Helden, dessen Gesichtsausdruck klar verriet, dass er nichts dergleichen gesagt hatte.
    „Äh… die sind doch alle erwachsen …“
    Er sah wie Milten eine Augenbraue hob.
    „…naja, fast alle…“
    Sein Freund verschränkte die Arme vor der Brust.
    „… äh … die Meisten. Man sollte doch denken, das die selbst wissen wann es Genug ist.“
    „Ah ja“, kam es in gespielt freundlichem Tonfall von Milten. „Und das kommt ausgerechnet von dir. Sehen wir uns doch mal dieses Loch in der Wand an…“
    Er zeigte auf einen Riss, der entstanden war, als Gorn den Helden gegen die Wand geworfen hatte.
    „Das … das nennt sich Durchreiche, hab ich gehört. Das wertet das Haus sogar noch auf“, sagte der Held schlagfertig.
    „He, geht doch mit Milten mit und helft ihm, ok?“ schlug Gorn vor, damit es nicht wieder Streit gab.
    Lester war auch einverstanden und der Held wollte auch mitkommen, auch wenn er davon abgehalten werden musste sich noch eine Tasse Kaffee zu holen.

    Als alle drei im Krankenhaus waren, führte Milten seine Freunde zu den bekifften jungen Männern. Lester erkannte sie wieder.
    „Ja, diesen Studenten hab ich gestern etwas Sumpfkraut verkauft.“
    Er griff in seine Tasche, holte einen Sumpfkrautstengel hervor und zündete ihn sich an. Dann nahm er einen tiefen Zug und blies den grünen Rauch ins Zimmer.
    Milten warf ihm einen missbilligenden Blick zu.
    „He, sieh mich nicht so an! Ich hab ihnen gesagte, dass sie nicht alles auf einmal rauchen sollen. Kann ich was dafür, wenn sie nicht hören?“
    Lester sah sich die Studenten genauer an.
    „Hm… sieht so aus, als hätten sie sich alles auf einmal reingezogen.“
    Milten sah sich nervös um und beeilte sich die Tür zu schließen. Das Letzte was er jetzt gebrauchen konnte, war jemand vom Krankenhauspersonal, der hereinkam und sah wie ein gesuchter Drogendealer Sumpfkraut in ihrem Krankenhaus rauchte.
    Der Held schnippste vor einem der Typen mit den Fingern herum.
    „He … lass das“, kam es benebelt von dem Studenten und er schlug ungelenk nach dem Helden.
    Dann brabbelte er irgendwas Unverständliches.
    „Damals als Fortuno so drauf war, da hab ich ihm ein paar Stengel grünen Novizen gegeben. Das ist etwas stärker als normales Sumpfkraut. Dann konnte ich einigermaßen verständlich mit ihm reden.“
    „Du kannst die doch nicht noch mehr zudröhnen!“ empörte sich Milten.
    Der Held sah gekränkt zu ihm herüber.
    „Warum denn nicht? Letztes Mal hat es auch funktioniert.“
    Der Feuermagier seufzte genervt. Womit hatte er das verdient?
    „Und was machen wir jetzt mit denen? Wie kriegen wir sie wieder fit?“ wollte der Feuermagier wissen.“
    „Tja… also, wenn damals bei der Bruderschaft jemand zu viel Sumpfkraut geraucht hat, dann haben wir sie einfach ausnüchtern lassen, oder sie mussten eben so zur Arbeit.“
    „SO?!“ kam es fassungslos von Milten, der auf die Studenten zeigte, die dasaßen wie Zombies.
    „Naja …“
    Lester sah beunruhigender Weise auch etwas hilflos aus.
    „Manchmal kam es schon vor, dass es welche auch so übertrieben hatten. Dann haben ihnen die Gurus so einen Trank verabreicht, damit sie wieder wussten wo oben und unten ist und wieder arbeiten konnten.“
    „Ich hab’s!“ kam es aufgeregt vom Helden. „Ich braue ihnen den Trank der Geistesveränderung. Als Furtuno neben der Spur war, hat ihn das auch wieder klar gemacht.“
    Lester sah ihn zweifelnd an.
    „Meinst du nicht, dass der Trank etwas gefährlich ist? Den haben damals immer nur die Gurus gebraut.“
    „Ach was!“ wischte der Held seine Einwände beiseite. „Ich hab das schon hinbekommen. Auf dem Rezept steht, man sollte nur nicht die Dämpfe einatmen, um nicht zu erblinden.“
    „Wehe, du experimentierst hier mit den Leuten herum!“ sagte Milten streng, der sich zunehmend unsicherer wurde, ob es eine gute Idee gewesen war die Beiden um Rat zu befragen.
    „Dann eben nicht“, kam es gekränkt vom Helden und er verschränkte die Arme vor der Brust.
    „Mach dir nicht zu viele Sorgen um sie. Die werden von ganz allein wieder klar. Die müssen sich nur mal so richtig ausschlafen und dann geht es ihnen gut, naja, bis auf die Kopfschmerzen die sie haben werden. Für alle Fälle könntest du einen Heiltrank bereithalten.“
    „Ich hab alle verbraucht, die ich bei mir hatte“, erklärte Milten. „Hier gibt es so viel zu tun, dass selbst meine gesteigerten magischen Kräfte nicht ausreichen mich um alle zu kümmern. Ich hab ja schon einige Manatränke getrunken, aber selbst das hat nicht gereicht. Deswegen hab ich auch zu den Heiltränken gegriffen. Ich wünschte, ich hätte mehr davon.“
    Der Held griff in seine Tasche und reichte ihm eine Flasche nach der anderen.
    „Hier, nimm! Ich hab hier noch einen Vorrat. Du weißt schon … das Zeug aus dem Schläfertempel.“
    „Danke. Trotzdem wäre es gut, wenn wir neue herstellen könnten.“
    Milten sah seine Freunde fragend an.
    „Habt ihr noch die Heilkräuter, die wir im Sumpf gesammelt haben?“
    „Ja, natürlich. Wenn wir die einpflanzen, dann können wir die genauso züchten wie das Sumpfkraut… Das könnte eine weitere Geschäftsidee sein.“
    Der Held blickte versonnen ins Unbestimmte.
    „Was hast du vor?“ fragte Milten, dem übles schwante.
    Er schrak zusammen, als die Tür hinter ihm plötzlich aufsprang und Astrid hereinkam. Lester hatte sein Sumpfkraut zum Glück bereits aufgeraucht, aber die Dunstschwaden hingen noch in der Luft. Astrid wunderte sich über diesen Geruch im Raum, doch vermutete sie wohl, dass er von den zugedröhnten Studenten kam.
    „Oh, hallo. Was ist denn hier los?“
    „Äh… das sind zwei meiner Freunde. Wir haben versucht eine Lösung für dieses Sumpfkrautproblem zu finden.“
    Lester hob verwundert eine Augenbraue. Wie konnte denn Sumpfkraut zu einem Problem werden?
    Astrid stellte sich vor und reichte den beiden Fremden die Hand.
    „Und was ist das?“ fragte sie und zeigte auf die Tränke.
    „Das sind Heil- und Manatränke. Sie sollen dabei helfen die Patienten hier zu heilen.“
    Astrid sah skeptisch aus. Der Held fand zum Thema zurück.
    „Sieh mal, was sollen denn die Leute machen, die nicht ins Krankenhaus gehen können. Die müssen doch auch geheilt werden“, erklärte der Held, nicht ohne Hintergedanken, denn immerhin sollten diese Leute für ihre Heilung was bezahlen.
    „Aber warum sollten diese Leute nicht hierherkommen?“ wollte Milten wissen.
    „Naja …“
    Der Held suchte nach einem Grund.
    „Das kostet doch Geld, oder?“
    „Ich … ich weiß nicht“, Milten sah Astrid fragend an.
    „Die Krankenversicherung der Leute, bezahlt die Behandlung.“
    „Und was machen die Leute, ohne Krankenversicherung?“ wollte der Held wissen.
    „Naja … die müssen das selbst bezahlen, aber davon gibt es nicht sehr viele. Das sind nur ein paar Prozent, die aus irgendwelchen Umständen keine haben.“
    „Aber diese paar Prozent, die müssen ja auch irgendwo hin“, ließ der Held nicht locker und packte weitere Tränke aus, die er auf einen Tisch stellte. „Und die können doch dann zu mir kommen.“
    Milten sah ihn zweifelnd an. Ihm fiel nicht ein, warum das eine schlechte Idee sein sollte. Den Menschen würde immerhin geholfen werden, aber er hatte trotzdem ein ungutes Gefühl dabei.
    „Mach dir keine Sorgen, wir machen das schon“, sagte der Held augenzwinkernd und klopfte seinem Magierfreund auf die Schulter.
    Dann verließen er und Lester den Raum, ein neues Ziel vor Augen. Astrid versuchte noch diese Situation zu durchschauen. Sie nahm einen Mana- und einen Heiltrank und sah sie sich an.
    „Hast du was dagegen, wenn ich das mal im Labor untersuchen lasse?“
    Milten sah sie unsicher an.
    „Da sind nur unbedenkliche pflanzliche Inhaltsstoffe drin. Vertraust du mir nicht? Denkst du, ich will die Patienten vergiften?“
    „Nein, dir vertraue ich, aber was ich von deinen Freunden halten soll, das weiß ich noch nicht.“
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 20:21 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    This is a Rivalry

    Wieder zurück im Versteck, fragte Lester den Helden: „Meinst du das ernst mit den Heiltränken?“
    „Klar, das könnte ein riesen Geschäft sein. Wenn die Leute hier tatsächlich keine Möglichkeit haben sich einfach mit einem Heiltrank oder einem Zauber zu heilen, dann sind die bestimmt bereit riesige Summen für die Heilung einer tödlichen Verletzung zu bezahlen. Vielleicht sogar Tausend Euro!“
    „Hm…“
    Lester kratzte sich grübelnd am Kopf.
    „Hm… ich weiß nicht, ob die Heilpflanzen im Lagerhaus wachsen werden.“
    „Dann lass es uns doch rausfinden. Los! Auf geht’s, ich fahr uns hin.“
    Der Held griff sich die Schlüssel für Elyas Wagen, die auf der Arbeitsfläche in der Küche lagen.
    „Hast du denn gelernt wie man das macht?“ fragte Lester zweifelnd.
    „Klar, gestern hat mir Elyas die Grundlagen beigebracht.“
    „Meinst du denn das reicht?“
    „Warum denn nicht? Als ich die Grundlagen im Schwertkampf beherrschte, bin ich ja auch losgezogen und habe Viecher erschlagen.“
    Also stiegen sie in Elyas klappriges Auto und der Held zeigte was er gelernt hatte. Gleich beim Ausparken musste ihm ein anderer Verkehrsteilnehmer, der von hinten kam hupend ausweichen.
    „Hat das irgendwas zu bedeuten?“ fragte Lester beunruhigt, was schon etwas heißen sollte.
    „Ach, nein, das machen die ständig. Gestern als Tina gefahren ist, da war das auch andauernd.“
    „Wer ist denn Tina?“
    „Sie ist eine Meisterin im Autofahren. Ich hab mir da einiges abgeguckt“, erklärte der Held, was er bewies, als er ein Stoppschild überfuhr.
    Ein Auto kam hinter ihm ins Schleudern, weil er ihm die Vorfahrt genommen hatte und versuchte auszuweichen. Jetzt näherten sie sich einer Ampel. Sie wechselte von Grün zu Gelb.
    „Was heißt das?“ wollte Lester wissen.
    Der Held zuckte mit den Schultern.
    „Tina hat das ignoriert.“
    „Jetzt brennt ein rotes Licht. Ich kann mich erinnern, dass Cem und Elyas dann ihren Karren angehalten haben.“
    „Zu spät!“ sagte der Held und das Auto schoss über die Kreuzung.
    Überall gab es lautes Hupen und kurz darauf ein wildes Durcheinander und lautes Krachen.
    „Ich glaube, das sollte so nicht sein“, sagte Lester, der sich umwandte und auf das Chaos hinter ihnen sah.
    Der Held war sich unschlüssig.
    „Vielleicht hast du Recht. Ich hab ja erst die Grundlagen gelernt. Da sollte ich vielleicht etwas langsamer fahren.“

    Milten wurde angepiept und sollte sich beim Notdienst melden. Der diensthabende Notarzt wollte seine Unterstützung, weil sich in der Stadt gerade zahlreiche Unfälle ereigneten. Es würde viel schneller gehen, wenn der Magier mit dabei wäre. Was Milten sah war ein einziges Chaos. Immer wieder hörten sie an den Unfallstellen, dass ein alter klappriger Wagen einfach über die Kreuzungen gefahren sei, obwohl er hätte anhalten müssen. Der Feuermagier bekam ein ungutes Gefühl. Elyas hatte doch einen alten klapprigen Wagen. Er versuchte sich selbst auszureden, dass der Held etwas damit zu tun hatte, denn immerhin gab es bestimmt viele alte, klapprige Wagen in dieser Stadt und versuchte sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Es waren meist leichte Verletzungen. Die Autos waren nicht sehr schnell unterwegs gewesen, als sie kollidierten. Ein PKW war jedoch von einem Lastwagen nach vorne auf einen zweiten geschoben worden. Das Blech war so zusammengedrückt, dass der verletzte Mann aus dem Wagen herausgeschnitten werden musste. Er hatte schwere innere Verletzungen und wäre sicher gestorben, hätte Milten ihn nicht auf der Stelle geheilt. Der Notarzt klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. Auch er war am Anfang skeptisch gewesen, wollte den Feuermagier jetzt aber nicht mehr missen.

    Lester und der Held waren im Lagerhaus angekommen und hatten probehalber einige Heilpflanzen eingebuddelt.
    „Hm…“ kam es skeptisch von Lester. „Ich glaube nicht, dass das funktioniert. Heilpflanzen sind anspruchsvoller, als Sumpfkraut. Ich denke wir sollten uns einen richtigen Sumpf suchen, wo wir die Heilkräuter züchten können.“
    „In Ordnung“, sagte der Held nur.
    Wenn es nichts zu reden gab, dann sagte er auch nichts weiter. Schweigend verbrachten sie die nächsten Stunden damit, das neu gewachsene Sumpfkraut zu ernten. Als das geschafft war schlug Lester vor, doch mal Gorn in diesem Fitnessstudio zu besuchen, in das er tagsüber oft ging. Auch der Held wollte sich das mal ansehen. Dort angekommen fragte der Held einen Mitarbeiter nach Gorn.
    „Da hinten im Kraftraum“, sagte dieser und wies ihnen die Richtung.
    Sie fanden Gorn auf einer Liege, wo er einen Stab hochhob, an dem links und rechts Gewichte befestigt waren.
    „He Gorn“, begrüßte ihn der Held. „Was machst du da?“
    „Siehst du doch. Ich trainiere. Das hier nennt sich Gewichtheben“, erklärte Gorn, stemmte das Gewicht hoch und ließ es dann wieder runtersacken, dann stemmte er es wieder hoch und immer so weiter.
    „Sieht anstrengend aus“, bemerkte Lester, der sich einen Sumpfkrautstengel anzünden wollte, es dann aber doch bleiben ließ, weil er mit bösen Blicken von ein paar Typen bedacht wurde, die aussahen, als könnten sie einem Snapper im Lauf den Kiefer rausreißen.
    „Es würde dir nicht schaden, dich in Form zu halten“, antwortete Gorn.
    Er hakte das Gewicht oben an zwei Haltestange fest und setzte sich auf, um Lester erwartungsvoll anzusehen.
    „Ach nö, das ist mir zu anstrengend“, wehrte Lester ab.
    „Zu anstrengend? Und was willst du machen, wenn es hart auf hart kommt? Sagst du dann auch: Ist mir zu anstrengend?“
    „Das sehe ich dann, wenn es so weit ist“, sagte Lester leichthin.
    „Dann ist es vielleicht schon zu spät. Man sollte auf alle Eventualitäten vorbereitet sein“, sagte Gorn in hartem Tonfall.
    „Sagst du das auch so zu deinen Mitstreitern in Gotha?“ fragte Lester, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich lässig an ein anderes komisches Gerät, das gerade nicht benutzt wurde.
    „Ja“, kam es hart von Gorn. „Genau das sag ich zu meinen Jungs. Wie sollten sie überleben, wenn sie nicht in Form sind? Und es wäre mir recht, wenn du nicht im Kampf niedergeknüppelt wirst, weil du zu wenig trainiert hast.“
    „Das hört sich ja fast an, als würdest du dir Sorgen um mich machen“, sagte Lester und grinste amüsiert.
    „He, das gehört dazu, wenn man eine Truppe anführt. Man muss auf seine Leute achten und ist für sie verantwortlich. Sagen wir, ich hab mich dran gewöhnt.“
    „Weißt du, wenn es zu einer gefährlichen Situation kommt, dann lass ich mir schon was einfallen. Ging doch bisher auch immer gut. Ich muss nicht gegen alles kämpfen, was sich mir in den Weg stellt. Manchmal bieten sich da auch andere Wege.“
    Gorn sah ihn skeptisch an, griff dann wieder zu der Langhantel und wollte weiter trainieren.
    „He, darf ich das auch mal probieren?“ fragte der Held.
    „Wenn du willst, aber dieses Gewicht wiegt bestimmt so viel wie du.“
    „Ach und du glaubst ich schaff das nicht? Dann pass mal auf!“
    Der Held nahm Gorn die Langhantel ab und nahm dann seinen Platz ein. Ohne Probleme stemmte er das Gewicht nach oben.
    „Siehst du? Kein Problem.“
    Gorn lachte.
    „Na schön, wie wär’s mit einem kleinen Wettkampf? Zehn Mal hochstemmen und dann wechseln wir. Danach kommen zehn weitere Kilo dran und die müssen dann wieder zehn Mal hochgestemmt werden und immer so weiter. Mal sehen wer zuerst aufgibt.“
    „Fein, dann mal los“, erklärte sich der Held bereit, der sich gerne der Herausforderung stellte.
    Er stemmte das Gewicht ohne Schwierigkeiten zehn Mal hoch und überließ den Platz dann Gorn, der die Gewichte sogar noch schneller hochstemmte. Gorn packte jetzt zehn Kilo dazu. Auch die waren überhaupt kein Problem. Als sie bei hundertdreißig Kilo anlangten hatte sich eine größer werdende Gruppe von Schaulustigen um sie gebildet, die sie begeistert anfeuerten. Endlich mal was los. Es wurden Wetten abgeschlossen. Die meisten hofften auf Gorn, doch auch der Held hatte auf einige ganz schön Eindruck gemacht. Ein großer, blonder Kerl, dessen Muskeln irgendwie künstlich aussahen, stellte einen kleinen Kasten auf eine nicht benutzte Liege und Musik kam daraus hervor. Es lief: Rivalry von Airborne.*
    Gorn, Lester und der Held verstanden zwar den Text nicht, aber er hatte eine anfeuernde Wirkung. Die Zuschauer klatschten im Takt der Musik und stampften mit den Füßen, während Gorn und der Held sich immer weiter ins Zeug legten und gerade die zweihundert Kilo Marke überschritten. Der Held kam langsam richtig ins Schwitzen. Es begann extrem anstrengend zu werden. Er reichte die Langhantel an Gorn und musterte ihn beim Stemmen der Zweihundertzehnkilo. Es schien ihn nicht weiter anzustrengen. Tat er nur so? Jetzt war er wieder dran. Er atmete tief ein und pumpte seine Muskeln mithilfe von Adrenalin auf, damit sie der kommenden Anstrengung besser standhalten würden. Er brauchte dieses mal etwas länger, als vorher. Doch erst bei Zweihundertfünzig Kilo zeichnete sich ab, das er nicht sehr viel mehr schaffen würde. Seine Muskeln begannen zu zittern und er hatte Probleme die Stange zum zehnten Mal zu heben.
    „Los, weiter!“, „Mach schon!“, „Du schaffst es!“ feuerten ihn diejenigen an, die auf ihn gesetzt hatten.
    „Na, du wirst doch jetzt noch nicht aufgeben, oder?“ fragte Gorn grinsend.
    „Das hättest du wohl gerne?“ brachte der Held gepresst hervor und hakte die Langhantel oben ins Gestell ein. „Du bist dran.“
    Gorn brauchte jetzt auch länger, aber er schaffte die Zweihundertsechzig Kilo trotzdem, ohne schlapp zu machen. Bewundernde Blicke und Sprüche von den Umstehenden.
    „Dein Zug“, sagte Gorn, als er sich wieder aufrichtete und er zwinkerte ihm zu.
    Der Held holte tief Luft und spülte noch mehr Adrenalin in seinen Körper. Er musste es einfach schaffen. Er wollte nicht schon wieder gegen Gorn verlieren, doch hatte er überhaupt eine Chance? Er griff die Langhantel und die ersten Züge waren durch seinen aufgeputschten Körper auch noch schaffbar, aber dann begannen seine Muskeln unter der Last wieder zu zittern und als er die Stange zum achten Mal hochstemmen wollte, sackten seine Arme ungewollt nach unten. Doch er wollte nicht aufgeben. Er war jemand, der sich immer wieder aufbäumte, nicht nachgab und immer wieder aufstand und weiter machte. Er zwang sich auch noch die letzten zwei Züge zu stemmen. Die Menge jubelte, selbst diejenigen, die eigentlich gegen ihn gewettet hatten. Das war eine sehr beachtliche Leistung und keiner konnte seine Begeisterung mehr zurückhalten. Als er sich aufrichtete, klopften ihm einige der Männer anerkennend auf die Schultern. Jetzt hieß es Zweihundertsiebzig Kilo zu stemmen. Gorn bekam erste Schwierigkeiten. Er schwitzte und die Adern an seinen Armen traten stärker hervor als zuvor. Sein Gesicht verzerrte sich vor Anstrengung. Doch er schaffte es ohne auch nur einen zweiten Anlauf zu benötigen. Er hakte das Gewicht oben ein, richtete sich auf und atmete angestrengt aus. Der Held nahm seinen Platz ein und legte los. Jetzt zitterten seine Muskeln schon beim dritten Zug, doch er ließ sich davon nicht abhalten.
    „Weiter! Immer weiter!“ feuerte ihn die Menge an, jetzt ganz gleich von welcher Seite.
    Der Held war schweißgebadet und angestrengt holte er Luft. Beim sechsten Zug zitterten seine Arme so stark, dass das Gewicht ihm wieder fast aus den Händen fiel, doch er dachte nicht dran aufzugeben. Er hob es allen Widrigkeiten zum Trotz wieder hoch, ließ es dann aber etwas zu schnell nach unten fallen. Seine Muskeln protestierten schmerzhaft unter dieser Behandlung. Jetzt wurde es sehr schwer die Stange wieder nach oben zu stemmen. Er schaffte es halb, sackte dann aber wieder zurück.
    „He, wenn du es nicht schaffst, ist es auch in Ordnung“, sagte Gorn, dessen Gesicht kopfüber erschien.
    „Kommt gar nicht infrage!“ sagte der Held dickköpfig.
    „Mach keinen Quatsch, Mann“, sagte Lester, der auf der anderen Seite erschien. „Dein Gesicht ist schon ganz rot.“
    Der Held hörte nicht auf seine Freunde und stemmte das Gewicht unter Aufbietung all seiner verblieben Kräfte erneut hoch. Dann ließ er es langsamer als zuvor wieder herunter und dann, so sehr zitternd, dass ihm das Gewicht wieder fast aus den Händen fiel, hoch. Damit waren seine letzten Reserven aber aufgebraucht. Er konnte nicht mehr. Der Held schnaufte angestrengt. Sein nächster Versuch scheiterte schon im Ansatz. Schwer lag die Stange auf seinem Brustkorb und hinderte ihn am Atmen.
    „He, es ist genug. Du hast bewiesen, dass du ein echter Kraftprotz bist. Es reicht“, sagte Gorn und nahm ihm die Langhantel vom Körper, um sie oben wieder festzuhaken.
    Als der Held sich aufsetzte wurde er von den Umstehenden beglückwünscht, als hätte er gewonnen.
    „Wahnsinns Leistung.“, „Du bist der Hammer!“, „Voll Krass“, „Sowas hab ich noch nie gesehen.“
    „Aber ich hab doch verloren“, keuchte der Held.
    Gorn, der auch gefeiert wurde, sagte nur: „Freu dich doch, weil du so bewundert wirst.“
    Der Held verstand es aber einfach nicht. Es ärgerte ihn, dass er hatte aufgeben müssen.
    „He, du bist doch viel leichter als Gorn. Sieh es doch mal so“, sagte der Typ mit dem Musikgerät, das er jetzt wieder ausschaltete.
    Auch er klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. Die Menge löste sich auf, um jetzt, hochmotiviert, weiter zu trainieren.

    *https://www.youtube.com/watch?v=YogO904ze5o
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 20:22 Uhr)

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    Die Hundegruppe

    Der Held beschloss im Umland von Berlin nach neuen Orten für den natürlichen Anbau von Sumpfkraut zu suchen. Er hatte gehört, dass es um eine der nächsten Städte, Potsdam, Moore gab. Er wollte sehen, ob diese Orte für das Sumpfkraut geeignet waren. Sie könnten es also einfach einpflanzen und warten, bis es sich selbst vermehrte. Hatten diese Pflanzen einen guten Standort, wucherten sie wie Unkraut. Kaum jemand wusste wie Sumpfkraut aussah. Die Gefahr war also sehr gering, dass ihnen jemand die Pflanzen stahl. Lester sollte natürlich mitkommen. Er konnte viel besser als er beurteilen, ob die Umgebung für die Pflanzen geeignet war. Der Held wollte diesen Trip, aber gleich auch dafür nutzen sich mit dem Wildschweinproblem des Bauern zu befassen. Wenn er schon als Mensch nicht jagen durfte, dann vielleicht als Tier. Waldi durfte bei so einem Ausflug natürlich nicht fehlen. Dem Wolf gefiel die Fahrt überhaupt nicht. Er war gereizt und knurrte hin und wieder. Erst als der Held „Ruhe!“ befahl, kam kein Mucks mehr von ihm. Er parkte den Wagen in einer Schlippe in einem kleinen Wäldchen und sie stiegen aus. Um sie herum ragten große, dürre, kahle Bäume auf. Es war kalt und klamm. Dichte graue Wolken verhingen den Himmel.
    „Hier sieht’s ja trostloser aus, als damals im Mienental“, kommentierte Lester die Landschaft.
    „Vor, oder nach dem Drachenangriff?“ fragte der Held vorwitzig und zwinkerte ihm zu.
    „Gib mir das Sumpfkraut, ich hab extra einen Stoffbeutel dafür mitgenommen“, forderte ihn Lester auf und hielt den Sack auf, damit sein Kumpel die Pflanzen nur noch hineinwerfen musste.
    Waldi kletterte aus dem Wagen und schnüffelte an einem Stein, dann hob er ein Bein und strullerte daneben.
    „Hast du das Revier markiert? Fein gemacht“ lobte Lester belustigt.
    Waldi tat so, als hörte er ihn nicht und kratzte sich stattdessen geschäftig mit der Hinterpfote am Hals.
    „Komm, gehen wir ein Stück in den Wald hinein, bevor ich mich verwandle!“, sagte der Held leise und sie liefen los, etwas entlang, das man einen Weg nennen konnte, oder aber auch einen Schlammsumpf.
    Nahtlos führte es geradewegs ins Moor. Lester hatte kein Problem damit kalte, nasse Füße zu bekommen. Es war unangenehm, aber wenn es für das Sumpfkraut war, dann ging es in Ordnung. Der Held blieb aber stehen und verwandelte sich in einen Eiswolf. Sein weißes Fell, das am Rücken in einem hellen Blauton schimmerte hob ihn gut sichtbar von seiner Umgebung ab. Waldi war da besser getarnt. Die Umgebung, die ihm eben noch so trist und leblos erschien, steckte jetzt voller Gerüche und Geräusche, die es zu erkunden galt. Der Held sprang los, direkt ins Moor hinein und sog mit seiner feinen Wolfsnase die Duftspur einiger Enten ein. Waldi lief zu ihm und beobachtete interessiert was sein Herr da tat und als dieser dann weiter ins Moor hineinlief, folgte er ihm loyal. Lester kümmerte sich nicht weiter um die Beiden und untersuchte diesen Ort auf bestimmte Merkmale hin. Es war feucht genug und die Erde war ausreichend mit Nährstoffen versorgt. Es könnte höchstens etwas zu kalt sein. Er wiegte seinen Kopf nachdenklich und um besser überlegen zu können, holte er einen Stengel Sumpfkraut hervor und zündete ihn an. Rauchend stapfte er durch den Matsch, wobei jeder Schritt ein schmatzendes Geräusch gab und blieb hin und wieder stehen, um einige der Pflanzen, die hier schon wuchsen zu begutachten. Vielleicht wäre es auch ein guter Ort für Heilpflanzen.
    Der Held und Waldi waren derweil schon weit vorgedrungen und waren dabei den Sumpf schon wieder zu verlassen. Sie erreichten erste große, dichte Grasbüschel und stiegen sie hinauf auf eine Wiese, die mit einigen weißen Bändern eingezäunt war. Der Held sah sie nicht als Hindernis und wollte einfach hindurchschlüpfen, doch er berührte eines der Bänder und ein plötzlicher Elektroschock ließ ihn zusammenzucken und aufjaulen. Eilig sprang Waldi herbei, um nach seinem Herren zu sehen. Der Held beschloss zukünftig diese Bänder zu meiden. Er schätzte genau ab und sprang zwischen dem untersten und mittleren Band hindurch. Waldi zögerte nicht und sprang folgsam hinterher. Eine markante Duftnote hatte sie hierhergeführt. Wildschweine. Sie hatten den Rand der Wiese aufgewühlt, um nach fressen zu graben und sich dann im Schlamm gesuhlt. Dieses Elektroband hatte sie offenbar nicht geschreckt. Sie waren auf dem richtigen Weg und überquerten jetzt die Wiese, wo sie auf braune Pferde trafen, die aufhorchten und sie skeptisch musterten. Der Held beachtete sie nicht weiter. Waldi warf ihnen jedoch einen hungrigen Blick zu und blieb stehen. Der Eiswolf knurrte und der Wolf kam eilig wieder an seine Seite. Ihre feinen Nasen führten sie geradewegs zu den Schweinen. Sie hatten sich an einen für Menschen recht unzugänglichen Ort in einem Kessel versammelt und dösten entspannt, die Beine von sich weg gestreckt. Der Eiswolf fing an zu schleichen und Waldi tat es ihm gleich. Er sah schon das Futter, da unterstütze er seinen Herren gerne. Sie schlichen tief über dem Boden geduckt durch das Unterholz, doch der Held war nicht sehr erfahren im Anschleichen als Wolf und so knackte ein Ast unter ihm, den er unvorsichtigerweise zertreten hatte. Die erfahrene Leitbache fuhr auf und warnte mit einem tiefen quieckenden Laut die ganze Rotte, die unerwartet schnell auf den Hufen war und sich nach den Eindringlingen umsah.
    ‚Jetzt oder nie‘ dachte der Held und schoss los, Waldi an seiner Seite.
    Er wollte eins der Tiere anfallen, aber ein größeres Wildschwein vereitelte seinen Angriff mit einem harten Stoß in die Flanke. Der Eiswolf wurde weggeschleudert und rappelte sich mühsam wieder auf. Waldi schnappte nach dem Wildschwein, aber es ergriff bereits die Flucht, den anderen Familienmitgliedern hinterher. Waldi konnte sich nicht entscheiden, ob er ihnen nachrennen oder bei seinem Herrn bleiben sollte und so entkam ihre Beute. Der Held stand jetzt wieder auf seinen vier Pfoten und schüttelte sich. Das war wohl nichts. Er überlegte, dass sein weißblaues Fell vermutlich leicht zu entdecken war. Möglicherweise hätte er als Warg mit einem dunklen Pelz und dem noch kräftigeren Körper mehr Erfolg. Im Moment wollte er aber seine Gestalt nicht wieder wechseln und beschloss zu Lester zurückzukehren. Der hatte bereits alle Pflanzen eingesetzt und spazierte jetzt, genüsslich sein Sumpfkraut rauchend, durchs Moor, entdeckte einen nahen Weg und schlug sich dahin durch. Er nahm noch einen letzten Zug und warf den Sumpfkrautstengel dann in den Schlamm. Als er wieder auf den Weg trat, begegnete er überraschend einem Mann und einer Frau, die jeweils einen Hund mit sich führten. Der Mann war vielleicht Anfang zwanzig, nicht sehr groß, mit einem dichten Bart, und einem Dutt auf dem Kopf. Neben ihm lief ein Mischlingshund, klein, braun und zottelig. Die Frau war größer und vielleicht fünf Jahre älter als er. Sie hatte schulterlange rote Haare, war von schlanker Gestalt und sie nahm jetzt eilig ihren hellen Labrador an die Leine.
    „Wo kommen Sie denn her?“ fragte der Mann empört. „Wissen Sie nicht, dass es verboten ist die Wege zu verlassen? Die Tiere, die hier leben werden sonst gestört.“
    „Äh…“ kam es ertappt von Lester.
    Der Held, immer noch als Eiswolf und Waldi kamen links und rechts an ihm vorbeigesprungen und taten lieb und nett.
    „Sind das ihre Hunde?“ fragte die Frau verwundert.
    „Äh…ja“ kam es von Lester, glücklich, dass sie ihm eine Erklärung vor die Füße geworfen hatte. „Sie sind mir entwischt, weil sie da irgendwas im Moor entdeckt hatten und als sie nicht zurückkamen, da wollte ich nachsehen wo sie bleiben.“
    Diese Erklärung leuchtete den beiden Hundebesitzern wohl sofort ein.
    „Ach ja das kenne ich, nicht wahr, Anni?“ fragte die Frau ihre Hündin, die sie ansah.
    Der Mann wusste offenbar nicht, ob er glücklich darüber sein sollte, dass sich die Situation geklärt hatte oder nicht. Es sah skeptisch zu Lester und hatte für einen Moment seinen Hund aus den Augen gelassen.
    „Balou, komm sofort zurück!“
    Doch der Mischling lief schwanzwedelnd auf Waldi und den Helden zu. Waldi knurrte, doch Balou ließ sich davon nicht beirren und lief weiter zum Helden und beschnupperte ihn. Einen Moment schaute er verwirrt, dann wedelte er wieder mit dem Schwanz. Der Held hatte keine Ahnung wie er sich verhalten sollte. Er hatte nicht sehr viel Erfahrung im Sozialverhalten von Hunden und beschloss es ihm einfach nachzumachen und ebenfalls zu schnuppern. Es roch nach Hund, was für eine Überraschung.
    „Ich glaube da freunden sich gerade zwei an. Wie wär’s, kommen sie doch mit uns, dann können unsere Hunde gemeinsam herumtoben“, sagte die Frau freundlich.
    Lester wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Im Grunde hatten sie es ja nicht eilig und der Held sah auch nicht danach aus, als wolle er sich schnell wieder in einen Menschen zurückverwandeln.
    „Ok. Ich kenn mich hier aber überhaupt nicht aus, “ sagte er fast schon entschuldigend.
    „Ach das macht doch nichts. Wir gehen hier häufig spazieren. Wir sind eine Hundegruppe“, sagte die Frau und kam auf Lester und die Wölfe zu.
    Lester sah verwundert aus, weil er sich unter einer Hundegruppe nichts vorstellen konnte, doch die Frau hatte es offenbar anders interpretiert.
    „Nein, wir sind kein Pärchen, wir gehen nur zusammen in die gleiche Hundegruppe, aber heute wollte keiner von den anderen mitkommen und deswegen sind wir nur zu zweit unterwegs. Aber für die Hunde ist es doch viel besser, wenn sie mit vielen anderen zusammen herumstrolchen können“, schnatterte die Frau.
    Der Mann sah aus, als würde er sich schon wünschen mit der Frau zusammenzukommen und an seinem Gesichtsausdruck war zu sehen, dass er sich von ihren Worten gekränkt fühlte. Sie bemerkte es aber gar nicht. Sie fummelte an der Leine ihres Hundes.
    „So, mal sehen, ob sie sich verstehen.“
    Ihr Labrador Anni war wohl froh, die Leine wieder los zu sein, denn sie lief gleich los auf Waldi und den Helden zu. Waldi wollte schon wieder knurren, doch der Held warf ihm einen finsteren Blick zu und hob leicht die Lefzen. Dem ordnete sich Waldi unter und blieb brav im Angesicht der fremden Hündin, die jedoch seine Ablehnung spürte und sich stattdessen auf den Eiswolf konzentrierte. Sie schnupperte ihn ab, was der Held immer noch komisch fand und wedelte aufgeregt mit dem Schwanz, dann sah sie hechelnd zu ihrem Frauchen.
    „Ja, fein“, lobte diese. „Sieht so aus, als würden sie sich verstehen. Die haben sich offenbar schon bekannt gemacht. Tun wir es ihnen doch nach. Ich bin Christina und das ist Frank.“
    „Ich bin Lester“, stellte er sich vor und sie reichten sich die Hände.
    „Und das sind Anni und Balou“, sagte die Frau überflüssigerweise, denn das wussten sie ja nun schon, doch ihm kam es so vor, als wollte sie wissen wie seine beiden Begleiter hießen.
    Fieberhaft dachte er darüber nach wie er denn den Helden nennen sollte. Wenn er was Falsches sagte, setzte das nachher bestimmt Haue.
    „Und wie heißen deine?“ fragte Christina, die ihre Marschrichtung vorgab, als Lester nichts weiter dazu sagte.
    „Ähm … das ist Waldi und der da heißt … Wolfi.“
    Er blickte in Hab acht Stellungen zum Helden, aber der lief bloß vor ihm her und wedelte zufrieden mit dem Schwanz.
    „Waldi und Wolfi“, lachte Frank.
    Christina warf ihm einen warnenden Blick zu, der klar sagte, er solle nicht fies sein und fragte eilig: „Wolfi sieht aber interessant aus. Was ist er denn für eine Rasse?“
    „Er ist ein Eis … hund“
    „Ein Eishund? Hab ich ja noch nie gehört“, kommentierte Frank.
    „Ja, hört sich interessant an. Wo hast du ihn her?“ fragte Christina interessiert.
    Lester fragte sich wie er das nun wieder hinbiegen sollte. Er war nicht so gut darin sich schnell irgendetwas Plausibles auszudenken.
    „Tja, das ging irgendwie ganz schnell. Ein Kumpel ist dafür verantwortlich, dass ich mich jetzt um sie kümmere. Ehrlich gesagt kenn ich mich nicht so mit … Hunden aus.“
    Fast hätte er Wölfe gesagt.
    „Hm… vielleicht können wir dir ja ein paar Tipps geben, aber ich muss sagen, für den Anfang sieht es doch schon recht diszipliniert aus.“
    Genau in diesem Moment knackte irgendwo im Moor ein Ast und der Held alias Wolfi sprang neugierig darauf zu. Anni und Balou sahen, wie er das tat und wollten auch hinterher und Waldi folgte ihm sowieso. Christina und Frank riefen sofort nach ihren Hunden, doch die kümmerten sich nicht darum. Lester fragte sich wie man so unentspannt sein konnte. Dann liefen die Hunde eben mal weg, na und, bestimmt kamen sie irgendwann wieder.
    „Peinlich, da wollen wir dir Tipps geben und dann gehorchen unsere eigenen Hunde nicht.“
    Christinas Wangen wurden rot. Eine drückende Stille machte sich breit und um sie zu durchbrechen fragte sie irgendwann: „Ist dir nicht kalt, Lester?“
    Er lief nur mit seinem „Ich mag Kraut“ T-Shirt herum und trug nicht wie Christina und Frank eine Jacke. „Nein, es ist noch in Ordnung“, antwortete er und dachte an die eisigen Schneestürme in Nordmar und wie der Held sie vor einiger Zeit mitten durchgeführt hatte.
    Der kam am Rand gerade wieder in Sicht. Ohne Beute tapste die Meute durch das stehende Wasser, dafür hatte Balou einen langen Stock im Maul und wedelte aufgeregt mit dem Schwanz, wie eigentlich alle. Wedel, wedel, wedel, wedel …
    Der Held schien großen Spaß zu haben. Zusammen mit den anderen tobte er durch den Matsch und war froh über diese Narrenfreiheit, die er als Tier genoss. Er erspähte etwas das sich im nahen Wasser bewegte, fokussierte es und sprang dann los. Erschrocken stellte er viel zu spät fest, dass das Wasser dort viel tiefer war und er gänzlich eintauchte. Die Menschen, die ihm zusahen, prusteten los. Er paddelte eifrig mit den Pfoten und tauchte wieder auf, dann schwamm er zum Ufer, entstieg pitschnass dem Moor, stellte sich neben Lester und schüttelte sich genüsslich.
    „He lass das!“ beschwerte sich Lester und verzog genervt das Gesicht.
    Der Eiswolf sah ihn schelmisch an und schien ihn auszulachen. Sein Gefolge kam hinter ihm her, allerdings nicht so nass wie er.
    „Da vorne ist eine Wiese, da können wir gut mit den Hunden spielen“, sagte Christina fröhlich.
    „Spielen?“ fragte Lester verwundert.
    Er war zwar für fast jeden Spaß zu haben, aber war spielen nicht etwas für Kinder?
    „Spielst du denn nicht mit deinen Hunden?“ fragte Frank verwundert.
    „Ich … ähm…“
    Lester wusste nicht was er darauf antworten sollte.
    „Das ist wichtig für die Entwicklung der Hunde, damit sie sich entfalten können und lernen mit ihrem Menschen zu kooperieren“, fuhr Frank fort, der offenbar sehr viel Wert auf den Spaß seines Hundes legte.
    Sie gelangten zur Wiese wo er eine Scheibe auspackte, sie weit weg warf und rief: „Los Blaou, hol den Frisbee!“
    Das kleine Wollknäul startete voll durch und fegte über die Wiese, immer dem fliegenden Ding hinterher, hechtete dann hoch und schnappte es noch im Flug.
    „Wow, toll, gemacht, mein Kleiner, so, noch mal, los!“ sagte Frank, als der Hund ankam und warf den Frisbee dann wieder weg.
    Lester verstand den Sinn dahinter nicht so ganz. Wenn er es wegwarf, warum sollte der Hund es dann wieder holen und warum warf er es dann wieder weg? Als er aber eine Weile zusah, meinte er zu verstehen, dass es einfach nur um den Spaß des Hundes ging, der gerne über die Wiese rannte und diesem Ding nachjagte. Auch Christina holte ein Spielzeug für den Hund hervor. Es war ein kleiner gelber Ball, den sie weit wegwarf und ihr Labrador fegte hinterher. Allerdings brachte sie den Ball nicht gleich wieder an. Die Hündin lief schwanzwedelnd und triumphierend damit umher und legte sich dann erstmal nieder, um auf ihrer Beute herumzukauen. Da half auch das wiederholte Rufen ihres Frauchens nichts.
    „Ach nein, so ist das immer wieder. Sie will den Ball einfach nicht mehr hergeben, wenn sie ihn einmal gefangen hat.“
    Lester fragte sich im Stillen warum sie das auch machen sollte, wenn der Ball ja hinterher eh wieder nur weggeworfen wurde. Er sah es eher als Ausdruck von Annis Intelligenz.
    „So, jetzt du“, forderte Frank Lester auf.
    „Was?“ fragte Lester verwundert.
    „Hast du irgendwas zum Werfen dabei, das deine Hunde apportieren können? Wenn nicht, reicht auch ein Stock.“
    „Was ist denn apportieren?“ fragte Lester nach.
    Frank sah erstaunt aus.
    „Na, das holen von Gegenständen.“
    „Aha“, kam es verwundert von Lester und fast hätte er gesagt: Ich kenn nur teleportieren.
    Er schluckte den Satz mühsam hinunter und kramte in seinen Taschen nach etwas, das sich werfen ließ. Er zog seine Windfaustrune hervor und rief: „Wolfi, komm doch mal her!“
    Der Held hatte belustigt den Hunden beim Spielen zugesehen und trabte jetzt zu Lester.
    „Los, hols!“ sagte Lester und warf die Rune.
    Der Held sah ihn einfach nur an, ohne dem Geworfenen auch nur mit dem Blick zu folgen, wie es für Hunde üblich war. Es war klar, was sein Freund ihm sagen wollte: Du hast ja wohl einen Schuss, wenn du glaubst, dass ich das jetzt hole.
    „Na los“, versuchte Lester ihn zu überzeugen.
    Der Eiswolf grummelte.
    „Machs einfach wie die anderen Hunde, ok?“
    Er hoffte wirklich sein Freund würde mitspielen, andernfalls wusste er nicht, wie seine Begleiter auf einen derart komischen Hund reagieren würden. Der Held grollte noch mal kurz und ging dann ganz gemächlich los um die Rune zu holen. Frank und Christina sahen verwundert hinterher. Entweder stürmte ein Hund seinem Spielzeug hinterher oder nicht, aber sowas hatten sie auch noch nicht gesehen. Der sogenannte Wolfi kam ganz gemütlich an und spuckte Lester die Rune vor die Füße. Sie war voller Spucke und er vermutete, dass der Held das absichtlich gemacht hatte.
    „Und jetzt lobt man den Hund“, erklärte Christina hilfsbereit und sah Lester aufmunternd an.
    „Äh… ja, hast du super vollgesabbert, ganz toll.“
    War das gerade ein zwinkern vom Helden?
    „Du kannst ihn auch streicheln, damit er weiß, dass er seine Sache gut gemacht hat“, kam es von Christina, die etwas verwundert über die Distanz zwischen Lester und seinem Hund war.
    Lester und der Held sahen verwundert zu ihr hin und dann sahen sie sich unsicher an.
    Der Blick des Helden schien klar zu sagen: Mach jetzt bloß keinen Scheiß, Mann!
    Lester klopfte Wolfi kameradschaftlich an die Schulter und sagte: „Guter Hund“
    Christina verdrehte die Augen und kam zu ihnen.
    „Sieh mal, so“
    Sie näherte sich Wolfi langsam, für den Fall, dass er sie nicht akzeptieren würde, aber der war nur vollkommen verwundert was das jetzt sollte. Sie kniete sich hin, streckte die Hand aus und strich ihm dann über den Kopf. Überrascht zuckte er zurück, aber sie ließ sich davon gar nicht weiter beeindrucken und fing an ihn hinter den Ohren zu kraulen. Der Held war zwar verwundert, ließ sich das aber gern gefallen. Lester las in Christinas Blick, dass er es ihr nachtun sollte, aber weil es ihm merkwürdig vorkam seinen verwandelten Kumpel so zu behandeln, hockte er sich lieber zu Waldi, der im Gras liegend schlief und strich ihm durchs Fell. Der Wolf brummte zufrieden und schlief einfach weiter.
    „Das ist ein toller Hund“ sagte Christina und sah den Eiswolf verzückt an, während sie ihn streichelte. „Balou ist auch ein toller Hund“ sagte Frank plötzlich, der immer noch mit dem kleinen Mischling Frisbee spielte.
    Anni kam schließlich mit ihrem Ball an und ließ ihn vor ihrem Frauchen fallen, dann setzte sie sich auf ihre Schuhe und wollte ebenfalls gestreichelt werden.
    „He, mal langsam, meine Gute“ sagte Christina lachend und kümmerte sich jetzt wieder um ihren Hund.
    Der Held sprang auf und stürmte auf Waldi zu, um mit ihm ein wildes Spiel zu beginnen. Waldi war noch völlig überrumpelt und im ersten Moment überrascht, weil er nicht wusste, ob sein Herr wegen irgendetwas böse auf ihn war, oder nicht, doch schnell begriff er, dass es sich lediglich um ein Spiel handelte und tollte mit ihm herum. Sie knurrten sich an und balgten sich.
    „Willst du nicht dazwischen gehen?“ fragte Frank verwundert und sah auf die kämpfenden Tiere.
    „Die spielen doch bloß“ sagte Lester gechillt.
    „Das nennst du spielen?“ fragte Frank abschätzig und sah dabei zu, wie Wolfi Waldi gerade am Nackenfell packte und hin und her schüttelte.
    „Das sind wilde Kerle, die toben nun mal gern“ antwortete Lester leichthin.
    Christina lachte leise.
    „Naja, trotzdem können wir bestimmt was Besseres mit ihnen anfangen. Ich denke, dass vor allem Wolfi ein richtig schlauer Bursche ist, dem kann man bestimmt viel beibringen. Lass uns was testen. Ich trainiere gerade mit Anni Mantrailing.“
    Lester sah sie mit einem Blick an, der klar verriet, dass er keine Ahnung hatte was das war.
    „Es geht darum, dass der Hund einen Menschen oder ein Tier findet. Das ist nicht einfach für den Hund, weil Hunde nach Gerüchen suchen und dabei verstehen müssen, was sie suchen sollen und alle anderen Gerüche herausfiltern müssen“, erklärte sie und rief dann mit einer aufgeweckten sanften und freundlichen Stimme: „Anni, Anni, komm her!“
    Ihre Hündin, welche die beiden Wölfe gespannt beobachtet hatte, hob die hängenden Ohren ein Stück und kam dann zu ihrem Frauchen.
    „So, jetzt brauch ich noch jemanden, den sie suchen soll. Frank, wie wär’s mit Balou?“
    Balou sah aber nicht so aus, als würde er in nächster Zeit vom Frisbee wegzubekommen sein.
    „Vielleicht später.“
    „Was ist mit Wolfi, oder Waldi? Geh mit einem von ihnen irgendwohin und Anni muss deinen Hund dann suchen.“
    „Aber wozu soll ich mitgehen?“ fragte Lester verwundert, wandte sich dann zu den beiden Wölfen, pfiff einmal und rief: „Wolfi, komm rann hier!“
    Der Held spitzte die Ohren und ließ von Waldi ab, der froh war, dass dieses wilde Spiel endlich vorbei war. Der Eiswolf kam herbeigetrabt und sah Lester interessiert an, um herauszufinden was sein Freund von ihm wollte. Ganz sachlich erklärte Lester ihm: „Hör mal, das ist ein Experiment. Du gehst jetzt dahinten in den Busch“ Lester zeigte in die Ferne „versteckst dich da und wartest darauf, dass Anni dich findet.“
    Wolfi legte kurz hecheln den Kopf schräg, dann stakste er los, um sich an angegeben Ort zu verstecken. Christina sah ihm mit offenem Mund nach.
    „Wie hast du das gemacht?“
    „Was denn?“ fragte Lester ahnungslos.
    Christina schüttelte schnell den Kopf und zwinkerte mehrmals mit den Augen, dann wandte sie sich wieder ihrem Hund zu.
    „Anni such Wolfi!“
    Sie hielt ihrem Hund ihre Hände hin, die vom Streicheln den Geruch des Eiswolfs trugen. Der Labrador schnupperte aufgeregt.
    „Anni such Wolfi, such Wolfi!“ wiederholte die Frau immer wieder.
    Endlich ging Anni los und schnupperte die Gegend ab. Allerdings ging sie nicht schnurstracks zum Versteck des Eiswolfes, was Lester wunderte, sie hatte ja gesehen wo er hin ging, sondern sie ging erst mal alle Pfade ab, wo er langgetobt war und dann endlich nach zehn Minuten in die richtige Richtung und fand den Helden, der sich langsam langweilte.
    „Juhu, geschafft“, freute sich Christina, als hätte ihr Hund gerade eine große Heldentat vollbracht.
    Sie lachte und sagte dann: „Weißt du was Lester, ich probiere mal was bei Wolfi aus, komm mit!“
    Sie stupste ihn an und rannte dann über die Wiese zu Wolfis Versteck. Lester fragte sich was diese Eile auf einmal sollte, schließlich konnten sie doch auch langsam gehen. Er fand Christina bei den beiden Tieren. Anni beschnupperte den Eiswolf immer noch von oben bis unten, der sie skeptisch ansah und sich fragte was das sollte.
    „Wolfi“ sagte Christina und sie versicherte sich, dass sie seine Aufmerksamkeit hatte.
    „Such Waldi!“
    Der Held sah Lester fragend an. Sein Freund zuckte aber auch nur mit den Schultern, weil er nicht wusste was das sollte. Der Eiswolf richtete sich auf und lief los über die Wiese zurück zu Waldi, der angstvoll mit einer neuen Kabbelei rechnete und zusammenfuhr, doch als er merkte, dass nichts weiter geschah, als dass sich sein Herr neben ihn setzte, entspannte er sich wieder.
    ‚Schon wieder diese Rennerei‘ dachte sich Lester und trabte Christina hinterher, die ganz aus dem Häuschen war.
    „Wow, hast du das gesehen? Hast du das gesehen?“
    Dann rief sie auch zu Frank: „He, Frank hast du das gesehen?“
    „Was denn?“ wollte der wissen.
    „Ich hab Wolfi gesagt, er soll Waldi suchen und er ist schnurstracks zu ihm gegangen. Ganz ohne Geruchsprobe oder so. Das heißt er muss das Wort mit seinem Freund assoziiert haben.“
    Lester fragte sich langsam, ob die Frau noch alle Nadeln an der Tanne hatte. Wie sollte es denn sonst funktionieren?
    Der Held wartete währenddessen auf den Grund warum er zu Waldi gehen sollte und als keiner kam lief er verständnislos zu Lester und sah ihn fragend an. Doch der kratzte sich bloß verwirrt am Kopf. Als der Held merkte, dass nichts weiter passieren würde, fing er an wieder mit den anderen Hunden herumzutoben. Balou hatte auch aufgehört mit dem Frisbee zu spielen und schloss sich dem Spiel an. Als kleinster Hund der Meute lief er aber Gefahr unter die Räder zu kommen. Frank war besorgt um seinen Hund und rief ihn zu sich, aber er hörte nicht auf ihn.
    „He Leute, könnt ihr vielleicht mal eure Hunde zurückpfeifen? Mein Kleiner hält das bestimmt nicht lange aus. Vor allem deine Hunde haben viel zu viel Energie“, sagte Frank anklagend und zeigte auf Lester.
    „Hm… man müsste diese Energie nur fokussieren“ überlegte Christina und griff nach einem Ast und lief damit auf die Hund zu.
    „Wolfi, guck mal was ich hier habe.“
    Sie wedelte mit dem Ast herum, aber die Tiere waren viel zu sehr in ihr Spiel vertieft, um sie zu beachten.
    „Lester, hilf mir doch mal!“ rief sie enttäuscht.
    Lester fand, dass ihm diese Hundegruppensache auf Dauer entschieden zu anstrengend wäre. Ständig musste man irgendwohin laufen oder irgendwas machen, da blieb ja überhaupt keine Zeit mehr um sich mal so richtig zu entspannen. Er kam zu ihr gelaufen und fragte: „Was ist denn?“
    „Wolfi soll nach dem Ast schnappen“
    „Und dann?“
    „Zieht ihr um die Wette. Ich hoffe, dass er so seinen unterbewussten Frust abbaut und zukünftig konzentrierter zuhört. Ich denke, er ist ein echt gelehriges Tier, er muss nur erzogen werden.“
    „Na, ob das gelingt, bezweifle ich“ sagte Lester stirnrunzelnd.
    Er rief nach seinem Freund und hielt ihm den Stock hin. Der Eiswolf blieb stehen sah ihn aber an, als wollte er fragen: Was soll ich denn damit?
    Die Hunde sprangen um ihn herum und wollten ihn dazu animieren weiter zu spielen.
    „Pass auf, du beißt hier ins eine Ende und ich halt das andere Ende fest und dann ziehen wir um die Wette, mal sehen, wer stärker ist“ erklärte Lester seinem Kumpel.
    Frank und Christina sahen verwundert zu. Die Augen des Helden leuchteten auf und er schnappte sich das eine Ende des Stocks. Fast wäre Lester sein Ende aus den Händen gerutscht. Der Eiswolf zog und zerrte, um die Oberhand zu gewinnen, aber Lester ließ nicht nach. Es war eine gute Gelegenheit, um den Helden ein bisschen zu triezen.
    „Mehr hast du nicht drauf?“ fragte Lester lachend und zog stärker.
    Die Pfoten des Wolfs rutschten auf dem schlammigen Boden nach vorn. Der Eiswolf knurrte und packte den Ast so fest wie ein Schraubstock. Mit seinen vier Beinen stand er stabiler als sein Freund und machte sich das jetzt zu nutze. Ganz langsam, schritt für schritt zog er seinen Kumpel in seine Richtung, dann machte er einen kräftigen Ruck, in der Hoffnung, dass Lester loslassen würde, doch der hielt das Holz fest umklammert. Sie trugen ihren Wettkampf so verbissen aus, dass sie gar nicht mehr merkten, dass die anderen auch noch da waren, bis Christina sagte: „Ein wirklich erstaunliches Tier, hast du mal überlegt mit ihm zu züchten?“
    Lester wäre der Ast fast aus der Hand gefallen und der Held vergaß für einen Moment völlig zu knurren und zu ziehen und bekam das Holz kurz so tief in den Rachen, das er würgen musste.
    „Was?“ fragte Lester ungläubig.
    „Wolfi ist ein wirklich intelligentes Tier, wäre doch schade drum, wenn seine Linie mit ihm endet.“
    Lester runzelte die Stirn. Wie kam man denn nur auf solche Sachen? Und was sollte er da nur wieder aus dem Ärmel schütteln?
    „Äh, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Ich kann ihn nicht mal an so eine Leine nehmen, er liebt seine Freiheit und ist eigenwillig.“
    Der Eiswolf funkelte ihn mit den Augen an.
    „Er ist auch sehr stur und hat oft nur Blödsinn im Kopf.“
    Der Eiswolf knurrte noch lauter.
    „Außerdem streunt er häufig herum und macht die meisten Zeit einfach nur was er will.“
    Wolfi zog und zerrte noch kräftiger und war entschlossen diesen Wettkampf zu entscheiden.
    „Manchmal kann er auch echt brutal sein“
    Mit einem Ruck entriss der Held seinem Freund den Ast und der fiel der Länge nach hin. Der Held kam zu ihm, sprang auf seinen Rücken, damit er nicht wieder aufstehen konnte und weil das noch nicht demütigend genug war ließ er den Ast, den er im Maul trug in Lesters Genick fallen. Sein Freund ächzte und rief dann genervt: „Geh von mir runter!“
    Der Held schien sich diebisch über seinen Schabernack zu freuen und sprang dann von ihm weg.
    „Ich glaube, ich weiß was du meinst“ sagte Frank und half Lester hoch. „Wirklich ein sehr spezieller Hund.“
    Christian, die auf ihre Uhr schaute, sagte: „Ich glaube, ich muss los. War ein schöner Spaß heute. He, Lester, du kannst gerne zu unserer Hundegruppe dazustoßen und nächstes Mal wieder mitmachen.“
    Lester sah nicht begeistert aus.
    „Ich weiß nicht. Es sind ja eigentlich nicht meine Hunde. Ich pass nur übergangsweise auf sie auf.“
    „Überleg es dir. Hier ist meine Telefonnummer.“
    Sie reichte ihm einen Zettel, auf dem sie eine Nummer notiert hatte. Frank sah skeptisch dabei zu.
    „Ich muss dann auch los. Wir können ja zusammen zurückgehen“, schlug er vor.
    Lester musste sich kurz orientieren.
    „Meine Jungs und ich müssen da lang zurück“, er zeigte hinter sich in den Wald.
    Sie verabschiedeten sich und gingen getrennte Wege. Als sie das Auto fast erreicht hatten, verwandelte sich der Held zurück.
    „Na, hast du deinen Spaß gehabt?“ fragte Lester leicht säuerlich.
    „Auf jeden Fall, du hättest dein Gesicht sehen sollen, als ich dir die Windfaust vor die Füße gespuckt habe, oder als ich dich im Wettziehen geschlagen habe.“
    Der Held lachte. Lester konnte auch nicht lange ernst bleiben und lachte mit. Irgendwie war es ja doch ganz lustig gewesen.
    „Vor allem wie sie sich gewundert haben was für ein intelligenter Hund du doch bist. Wie hat er Waldi nur finden können? Ja, wie denn nur?“
    „Ja, das war klasse.“
    Sie redeten noch eine Weile über ihren Schabernack und als sie alle drei wieder im Auto saßen fragte der Held: „Und was ist jetzt mit diesem Ort? Gut für das Sumpfkraut?“
    „Allerdings. Ich hab alles Kraut das ich hatte eingepflanzt und die Heilpflanzen noch dazu. Ich sehe da kein Problem und was ist mit diesen Wildschweinen. Hast du sie alle erwischt?“
    Der Held wurde leicht rot um die Nase.
    „Nein. Nicht mal eins. Sieht so aus, als wären die Tiere hier sehr schreckhaft. Stell dir vor, die laufen einfach weg, anstatt anzugreifen. Was hältst du davon mal mit mir zusammen als Warg durch die Wälder zu streifen? Zu dritt hätten wir bestimmt mehr Erfolg.“
    Lester schien nicht recht zu wissen.
    „Weiß nicht.“
    „Ach, komm. Das ist eine interessante Erfahrung“, versuchte ihn der Held zu überreden.
    „Hm… vielleicht könnten wir ja alle zusammen losziehen“, überlegte Lester.
    Der Held strahlte.
    „Eine tolle Idee. Das wird ein Spaß! Jetzt müssen wir nur noch Diego und Gorn verwandelt bekommen. Gibt es sowas wie fernverwandlung?“
    „Ich weiß nicht, müssen wir mal Milten fragen. Ich denke nicht, dass er mitkommt. Verwandlung in einen Warg … ich glaube nicht, dass ihm das gefällt.“
    „Werden wir ja noch sehen“, sagte der Held optimistisch und startete den Motor.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 20:23 Uhr)

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    Das Wargrudel

    Diego verbrachte seine Zeit entweder im Laden, oder er ging durch die Stadt und versuchte herauszufinden, wie sie wieder zurück in ihre Welt kommen konnten. Er hörte sich unauffällig um, soweit das bei diesem Thema überhaupt möglich war, bekam aber nicht viel heraus. Kein Portal, nichts von Beliar, oder Teleportation und so wie er das verstanden hatte, sprachen die Leute hier von einem Schläfer, wenn sich eine Person lange Zeit unauffällig verhielt und dann plötzlich ganz viele Leute angriff. Das brachte ihn aber alles nicht weiter. Er kam gerade zu seinem Laden zurück, schloss auf und hängte das Türschild auf „Geöffnet“ um. Auf der Rückseite stand: „Geschlossen“ außerdem war seine Telefonnummer zu lesen, um ihn doch noch zu erreichen. Es war noch früh am Morgen. Er hatte die Nacht durchgemacht und überlegte gerade doch wieder zu schließen, um schlafen zu gehen, da kam eine elegant gekleidete, aber gestresst wirkende Frau in den dreißigern herein, ein etwa sechsjähriges Kind hinter sich herziehend.
    „Gott sei Dank, es ist geöffnet. Ich hab es sehr eilig“, kam es schnell von der Frau.
    Das glaubte ihr Diego sofort.
    „Ich hab mit meinem Sohn einen Termin beim Arzt, hab aber den Impfpass zu Hause vergessen und nachher muss ich auch noch zur Arbeit. Bin schon spät dran und in all dem Trubel, hab ich die Tür einfach hinter mir ins Schloss fallen lassen. Der Schlüssel liegt natürlich drinnen. Jetzt komm ich vermutlich zu spät zur Arbeit, und beim Arzt kann ich ohne Impfpass auch nicht aufkreuzen. Ist es möglich meine Tür in wenigen Minuten zu öffnen, oder ist das ein komplizierterer Vorgang?“ fragte die Frau geschäftsmäßig und strich sich mit der freien Hand eine Strähne ihres blonden Haares aus den Augen.
    „Ich bin optimistisch, dass ich ihnen schnell helfen kann“, sagte Diego, packte ein paar Sachen ein und verließ mit seinen Kunden das Geschäft, wobei er wieder abschloss.
    „Meint Auto steht gleich dort im Parkverbot, hoffentlich hab ich kein Knöllchen“, kam es von der Frau, die ihr Kind jetzt einfach hochhob und in ihren hochhackigen Schuhen zum riesigen Wagen lief.
    Diego lief staunend hinterher. Die Frau bat ihn, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen, während sie ihr Kind noch auf dem Rücksitz festschnallte, dann selbst einstieg und die Maschine startete. Überraschend Rücksichtslos kämpfte sie sich durch den Verkehr und in nur wenigen Minuten hatten sie das große Haus, in dem sich ihre Wohnung befand, erreicht. Sie hieß ihr Kind im Auto zu warten, schloss dann ab und zeigte Diego wo sich die Tür befand. Der machte sich gleich ans Werk. Es war ein einfaches Schloss. Wie Diego erkannte war das volle Absicht, damit die Türschlüssel der Bewohner sowohl bei ihren Wohnungen als auch bei dieser äußeren Tür passen konnte. Seine Kundin hatte gerade erst ihre Handtasche aus dem Auto geholt, da hatte er das Schloss auch schon geknackt und hielt ihr jetzt charmant lächelnd die Tür auf.
    „Nach Ihnen“
    Die Frau war ganz offensichtlich positiv überrascht und lächelte dann erleichtert zurück. Sie ging mit schnellen Schritten die Treppen hinauf in den vierten Stock und zeigte Diego ihre Tür. Dieses Schloss zu knacken dauerte nur einige Sekunden länger als die Haustür zu öffnen.
    „Schon erledigt, das macht dann einhundert Euro, immerhin ging das jetzt wirklich schnell“, sagte Diego und hielt seiner jetzt strahlenden Kundin ein Gerät hin, das ihm Elyas gegeben hatte.
    Marius hatte ihm wohl ein Bankkonto eingerichtet. Diego hatte nicht so ganz verstanden was das war. Er hatte es so verstanden, dass dies ein Ort war, wo das Geld gelagert und bei Bedarf abgeholt werden konnte. Er fand das nicht sehr sicher, aber Elyas hatte ihm gesagt, dass es so gemacht werden musste, wenn er nicht allzu viel Aufsehen erregen wollte.
    Seine Kundin schien sich am Preis nicht weiter zu stören, zückte sogleich eine Karte, steckte diese ins Gerät und gab einen Geheimcode ein. Das Gerät piepste und druckte einen Streifen Papier aus, den Diego abriss und seiner Kundin gab. Er hatte sich von Elyas sagen lassen, dass das eine Quittung war und deshalb ausgedruckt werden musste, damit der Kunde das Gefühl hatte, es handle sich um ein ehrliches Geschäft. Die Frau steckte das Papier schnell in ihre Tasche und lief dann in ihre Wohnung, wo er es rascheln und klirren hörte. Wenig später kam die Frau auch schon wieder zurück. Ein rotes Buch und den Schlüssel für ihre Tür in der Hand. Sie schloss die Tür hinter sich und drehte sich dann zu ihm um: „Sie haben meinen Tag gerettet, vielen Dank.“
    Sie schüttelte ihm die Hand.
    „Ich war gern für Sie da“, antworte Diego höflich.
    „Jetzt muss ich aber los“, sagte die Frau und stöckelte schnell die Treppe hinunter.
    Diego sah ihr amüsiert nach. Was war das für eine verrückte Welt in der er hier gelandet war? Er machte sich auf den Rückweg. Es war nicht sehr weit und langsam kannte er sich in der Gegend so weit aus, dass er sich nicht mehr verirrte und über die öffentlichen Verkehrsmittel gut Bescheid wusste. Als er seinen Laden erreichte, überkam ihn das merkwürdige Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Hatte jemand bei ihm eingebrochen? Er schloss auf und trat dann auf einen Angriff gefasst ein. Es war niemand zu sehen, doch Diego blieb angespannt. Er vermutete einen Eindringling, der sich hinter der Theke versteckte. Er sah sich nach etwas um, dass er als Waffe verwenden konnte, doch hier gab es nichts geeingnetes. Er vermisste seinen Bogen, obwohl ihm in dieser Situation wohl sein Schwert bessere Dienste leisten würde. Er schlich sich näher heran und meinte jemanden Atmen zu hören. Er blieb stehen und sagte ganz ruhig: „Ich weiß, dass du da bist. Komm raus!“
    Ein junger Kerl sprang auf und hielt ihm einen Gegenstand aus Metall hin.
    „Bleib da, oder ich schieß dich über den Haufen!“ rief der Mann mit starkem Akzent.
    Er sah aus, als hätte er nicht mal zwanzig Jahre erlebt und machte auf Diego einen sehr unsicheren und psychisch instabilen Eindruck. Der ehemalige Schatten versuchte die Lage einzuschätzen. Es konnte von Vorteil sein, um ihn zu überwältigen, aber so war es auch wahrscheinlicher, dass dieses Bürschchen etwas sehr dummes tat und sie hinterher beide tot wären. Er wusste nicht genau was das für ein Ding war, dass er in der Hand hielt, aber aufgrund seiner Worte, vermutete er eine Waffe, die schwere Schäden anrichten konnte. Diego wollte erst mal wissen was sein ungeladener Gast vorhatte.
    „Was willst du hier?“
    Der Bursche sah ihn mit großen Augen an. Diegos scheinbare Angstlosigkeit ließ ihn unruhig werden.
    „He, Alter, die ist geladen, ja? Denk bloß nicht, ich drück nicht ab, wenn’s sein muss.“
    Er wedelte ein bisschen mit dem Ding herum und setzte dann hinzu: „Meinem Boss Miftah passt überhaupt nicht, dass deine Freunde hier dieses Scheißkraut verkaufen. Das ist unser Revier. Verpisst euch, oder wir machen euch fertig!“
    Diego sackte innerlich ein bisschen zusammen. War ja klar, dass es wegen des Sumpfkrauts noch mal Ärger geben würde. Auf ihn machte dieser Typ keinen wirklich gefährlichen Eindruck. Diego hätte aber nicht so lange überlebt, wenn er sich sofort mit jedem anlegen würde. Er wollte erstmal die Lage überschauen und würde dann entscheiden wie er deswegen verfahren würde.
    „Gut, ich richte es meinen Freunden aus. War das dann alles?“
    „Dein Geld!“
    Der Typ wedelte wieder mit seiner Waffe.
    „Her damit, oder ich knall dich ab!“
    Diego warf ihm eines der Geldbündel auf den Tresen, von den anderen musste dieser Typ ja nichts wissen.
    „Mehr nicht?“
    „He, was denkst du, das geht alles zur Bank“ kam es von Diego, der sich richtig angepasst vorkam.
    Der Typ schielte ihn merkwürdig an, steckte dann das Geld ein und rief dann: „Geh da rüber und mach keinen Scheiß!“
    Diego ging ans andere Ende seines Ladens, während der junge Ganove ihn weiterhin mit der Waffe anvisierte, an ihm vorbeiging, kurz vor der Tür die Waffe hinten in die Hose steckte und dann losrannte, als hätte ihn was gestochen. Diego schüttelte den Kopf. Wenn alle seiner neuen Feinde so waren, dann müsste er sich wohl keine allzu großen Sorgen machen. Doch er verließ gleich darauf wieder seinen Laden, um seinen Freunden von dieser neuen Entwicklung zu berichten.

    Währenddessen teleportierte sich Milten gerade zum Versteck zurück.
    „Milten! Siehst ja total gestresst aus“, begrüßte ihn Lester, der rauchte und entspannt auf einem Stuhl lehnte, der mit zwei Beinen in der Luft hing.
    Seine Füße hatte Lester auf dem Tisch vor sich abgelegt.
    „Ach was, wie kann ich denn auch gestresst sein, wenn ich in letzter Zeit nur ständig hinter euch beiden Dealern hinterherräumen muss!“ kam es verärgert von Milten.
    „Was ist denn passiert?“
    „Was passiert ist? Dein Sumpfkraut, das ist passiert.“
    Der Feuermagier war jetzt tatsächlich mal laut geworden. Lester warf ihm einen beunruhigten Blick zu.
    „He, jetzt atme erst mal ganz tief durch und erzähl mir ganz der Reihe nach was dich stört.“
    Tatsächlich atmete sein Freund tief durch, was aber nicht dazu beitrug, dass er sich entspannte.
    „Weil Teile der Bevölkerung total zugekifft sind, ereignen sich ständig Unfälle und ich muss dann quer durch die Stadt und alles wieder geradebiegen.“
    „Naja, die Leute müssen sich erst noch an den Umgang mit dem Sumpfkraut gewöhnen. Ich sag immer, dass sie nicht alles auf einmal rauchen sollen, aber manche halten sich wohl nicht dran. Das wird schon, du wirst schon sehen.“
    „Ach, werd‘ ich das, ja?“
    „Hier, probier‘ doch selbst mal einen. Dann kannst du dich vielleicht auch mal entspannen. Du bist schon die ganzen letzten Tage so gestresst, das ist nicht gut für dich.“
    Lester hielt ihm einen Sumpfkrautstengel hin. Milten wehrte ab.
    „Ich bin ein Feuermagier, hast du vergessen?“
    „Und?“ fragte Lester, weil er da wohl keinen Widerspruch sah.
    „Dieses Zeug ist die Wurzel allen Übels.“
    „Ach komm, jetzt übertreib doch nicht gleich. Du siehst es oft so verbissen. Weißt du, manchmal, da lösen sich die Probleme ganz von allein, wenn man einfach nichts macht.“
    „Ja, weil andere die Probleme lösen“, kam es genervt von Milten.
    Er sah sich um und fragte dann: „Wo steckt er eigentlich?“
    Lester war vollkommen klar, wen Milten mit „er“ meinte.
    „Schläft oben, endlich mal. Der Kaffee war alle und ich konnte ihn dazu überreden sich doch mal auszuruhen.“
    „Ausruhen, das hört sich gut an“, sagte Milten geschafft.
    In diesem Moment kam Diego zur Tür herein.
    „Hallo, wo ist denn ...“
    „Schläft“, kam es von Lester, noch bevor sein Freund den Satz beenden konnte.
    „Oh…“
    Milten merkte gleich, dass etwas nicht stimmte.
    „Sag bloß es ist schon wieder was passiert? Haben sie Gorn wieder verhaftet?“
    „Was? Nein …“
    „Was ist denn los?“ kam es von hinten.
    Der Held war nun wohl doch aufgewacht und wollte wissen was der Grund für dieses Palaver war. Diego ließ sich auch nicht lange bitten.
    „Vorhin war ein Typ in meinem Laden und meinte, er würde für einen Kerl arbeiten, der uns alle fertig machen würde, wenn ihr nicht aufhört Sumpfkraut zu verkaufen.“
    „Warum?“ fragte Lester empört, als wäre es völlig unbegreiflich, warum jemand so etwas verlangen würde.
    „Das hier ist wohl sein Revier, wo er niemand anderen duldet.“
    „Das wäre doch eine gute Gelegenheit mit dem Verkauf von Sumpfkraut aufzuhören“, schlug Milten vor.
    Der Held und Lester sahen ihn verdutzt an.
    „Aber es läuft doch gerade so gut“, kam es vom Helden.
    Milten warf ihm einen strengen Blick zu.
    „Die Stadt ist ganz in Aufruhr wegen eurem Sumpfkraut.“
    „Aber das ist doch gut, so kommt es ins Gespräch“, hielt der Held dagegen.
    „Ah ja …“ sagte Milten zynisch. „Was könnten das wohl für Gespräche sein? Vielleicht so was wie: Hast du schon gehört, mein Kumpel ist gestern gestorben, weil er zugekifft auf die Straße ging und sich von einem Zehntonner überfahren ließ. Lass uns das doch auch mal versuchen.“
    „Naja, so was passiert eben mal, Opfer gibt es immer“, versuchte der Held das Problem kleinzureden.
    „Ist das dein Ernst?“ fragte Milten laut.
    „Jetzt hört doch mal mit diesen Streitereien auf! Lasst uns lieber überlegen was wir wegen diesen Typen unternehmen, die uns das Leben schwer machen wollen“, hieb Diego dazwischen.
    Es wurde kurz still, dann fragte der Held: „Nun, was hattest du für einen Eindruck? Kam dir der Kerl gefährlich vor?“
    „Nein“, sagte Diego sofort. „Aber das heißt ja nicht, dass die anderen auch so sind. Vielleicht haben sie nur diesen Burschen geschickt, weil er entbehrlich ist.“
    Der Held zückte sein Handy und suchte Elyas Nummer raus.
    „Was machst du da?“ wollte Diego wissen.
    „Ich frag mal Elyas, ob er was darüber weiß.“
    Bald darauf hatte er ihn am anderen Ende der Leitung und erklärte ihm kurz und knapp was passiert war.
    „Elyas will wissen wie der Typ heißt, für den dieser andere Typ arbeitet.“
    „Mifti, oder so, nein warte, lass mich überlegen“, kam es von Diego und er dachte angestrengt nach. „Miftah, ja so hieß er.“
    Der Held gab das so durch und hörte wie Elyas hörbar die Luft einsog. Es fielen noch ein paar Worte, dann wurde das Gespräch beendet.
    „Und?“ fragte Diego gespannt.
    „Elyas meint, dieser Miftah sei eine große Nummer hier und hätte viele Leute. Er klang irgendwie panisch.“
    „Hm…“
    Diegos Stirn zerfurchte sich.
    „Ich halte es für das Beste, wenn wir auf der Hut bleiben und erst einmal abwarten. Wir müssen versuchen mehr über diese Leute herauszufinden.“
    „In Ordnung“, sagte der Held, der Diegos Urteil völlig vertraute.
    Unten schepperte die Tür. Gorn war angekommen. Sie weihten ihn gleich in die neuen Vorkommnisse ein. Zum einen fand er es unangenehm nicht zu wissen woher der Feind möglicherweise kommen könnte, weswegen er sich bereit erklärte sich mal deswegen umzuhören, zum anderen war er der Meinung, dass sie mit dem Sumpfkraut schon sehr viel Geld verdient hätten und wissen wollte, ob das denn nicht ausreichte. Er wollte endlich wieder nach Hause. Gorn sorgte sich was in Myrtana geschah, während er hier bloß vor einer Tür herumstand. Leider hatte keiner eine neue Idee, um ihre Heimkehr zu arrangieren. Die Stimmung wurde drückend.
    „He, ich … äh … könnte eure Hilfe gebrauchen“, sagte der Held, dem die Sache doch etwas peinlich war.
    Seine Freunde horchten auf. Wenn er sie um Hilfe bat, dann musste es sich um eine besonders schwere Aufgabe handeln.
    „Was gibt’s?“ wollte Gorn wissen.
    „Da ist so ein Bauer, der hat Probleme mit Wildschweinen.“
    Die anderen sahen ihn verwundert an.
    „Wildschweine?“ fragte Gorn ungläubig.
    „Ja, genau. Das Problem ist, das man hier offenbar nicht einfach so jagen darf. Letztens kam so ein Typ und hat mir mit der Miliz gedroht, als ich gerade ein Wildschwein zerlegt habe. Später hab ich es dann als Tier versucht. Als Eiswolf ist mein Pelz aber zu auffällig und ich werde zu schnell gesehen. In Myrtana wäre das an sich kein Problem, weil sich die Tier da ja auch normal verhalten und angreifen, aber hier, da stimmt etwas nicht mit den Viechern. Die laufen einfach weg, sobald sie mich sehen.“
    „Hat sich vielleicht rumgesprochen, dass du in Myrtana alles abgemetzelt hast“, witzelte Gorn.
    Der Held ging gar nicht weiter darauf ein.
    „Jedenfalls, hab ich überlegt, dass es als Warg wohl besser klappt, aber wenn ich nicht allein auf die Jagd gehe, habe ich höhere Erfolgschancen.“
    „Und was?“ fragte Gorn verwirrt. „Erwartest du jetzt von uns, dass wir uns ebenfalls in Warge verwandeln? Du weißt doch, dass Diego und ich kein Talent für Magie haben.“
    „Naja, …“
    Der Held sah Milten seltsam an, so als würde er sich schon denken können was da jetzt für eine Reaktion käme.
    „Und du glaubst, ich könnte die beiden irgendwie fernverwandeln, richtig?“ fragte Milten und seufzte.
    „Genau“, sagte der Held, froh, dass er es nicht selbst ansprechen musste.
    Milten runzelte die Stirn.
    „Ich weiß nicht, ob das überhaupt geht.“
    „He, beim Heilzauber geht das auch. Das wird nur irgendwie etwas verändert.“
    „Ja, aber das irgendwie ist es, was mir Kopfzerbrechen bereitet“, sagte Milten. „Außerdem finde ich es nicht gut, wenn du mit der Magie so herumspielst. Sich nur wegen ein paar Wildschweinen in Warge zu verwandeln kommt mir übertrieben vor.“
    „Der Bauer sieht das aber nicht so. Du hättest hören sollen wie verzweifelt er war. Du willst den Leuten doch auch helfen, oder etwa nicht?“
    Der Feuermagier wirkte nicht sehr begeistert, auch Diego und Gorn sahen nicht so aus, als wollten sie sich in Warge verwandeln. Lester hatte aber wohl kein Problem damit.
    „He, ich hab euch auch geholfen, wenn ihr meine Hilfe gebraucht habt. Jetzt seid ihr mal dran“, setzte der Held hinzu.
    Milten gab ein Grummeln von sich.
    „Na schön, ich werde sehen, was ich machen kann, aber glaub ja nicht, dass ich mich selbst in so ein Biest verwandle. Ich sehe meinen Anteil mit dem Erstellen der Zauber als erfüllt an.“
    „Du weißt ich helf‘ dir jederzeit gern“, sagte Gorn „aber, ich hab dir schon mal gesagt, dass ich mir gar nicht vorstellen will wie es wäre in einem anderen Körper zu stecken. Das ist einfach … unnatürlich.“
    Der Held sah ihn enttäuscht an, was Gorn quälte.
    „Du willst mich also im Stich lassen?“ setzte der Held noch eins obendrauf.
    „Nein, … ach verdammt! Na gut, ich mach’s, aber nur, weil du es bist“, ließ sich Gorn doch noch überreden.
    Der Held sah erwartungsvoll zu Diego.
    „Also schön, wenn du das unbedingt von mir erwartest …“ sagte der wenig begeistert.
    „Das wird bestimmt lustig“, sagte Lester und blies grünen Rauch aus.
    Diego und Gorn tauschten einen miesepetrigen Blick.

    Nachdem sich Milten etwas ausgeruht hatte, fing er mit der Arbeit an der Fernverwandlung an. Er nahm den Fernheilzauber als Grundlage und startete mehrere Versuche. Gorn und Diego, die gar nicht einsahen sich jetzt auch noch als Versuchskaninchen herzugeben, gingen lieber schlafen. In Lester fand der Feuermagier aber eine geeignete Testperson. Er war voller Zuversicht bei der Sache und konnte es gar nicht erwarten mal ein Warg zu sein.
    „Das ist bestimmt eine völlig neue Erfahrung“, sagte er während er Milten bei der Arbeit zusah und Sumpfkraut rauchte.
    „Schön, dass du es so positiv siehst“, sagte Milten nüchtern und räumte die beiden Spruchrollen beiseite, die offensichtlich überhaupt keinen Effekt gehabt hatten.
    Ein neuer Versuch zeigte, dass Milten es geschafft hatte. Es gelang ihm Lester in einen Warg zu verwandeln. Lester schielte auf seine lange Schnauze und tapste dann noch etwas unsicher im Raum herum. Der Held kam zur Tür herein, sah den Warg und sagte lobend zu Milten: „Toll, du hast es geschafft. Jetzt steht einer nächtlichen Jagd nichts mehr im Wege.“
    Der Feuermagier sah skeptisch dabei zu, wie sich auch der Held in einen Warg verwandelte und auf Lester zugesprungen kam. Der hatte sich aber schon so etwas gedacht, nachdem er oft genug gesehen hatte wie er mit Waldi umging und wich seinem Rempler aus. Dann startete er seinerseits einen Angriff und flüchtete dann zum lädierten alten Sessel. Der Held packte das Kissen, das dort lag, mit seinem Maul und hieb es seinem Kumpel auf den Pelz. Lester schnappte danach. Knurrend zogen und zerrten sie daran, bis das Füllmaterial herausquoll.
    Milten seufzte.
    „Hätte ich geahnt, dass ihr nur wieder dummes Zeug damit vorhabt, dann hätte ich es nicht gemacht.“
    Lester und der Held hielten in ihrem Gerangel inne und sahen ihn an. Der Held spuckte das Kissen aus, verwandelte sich wieder in einen Menschen zurück und ging zu Milten.
    „Aber es macht richtig Spaß mit euch lauter dummes Zeug zu veranstalten.“
    Auf Miltens wenig begeisterten Gesichtsausdruck fügte er hinzu: „Ach komm schon. Sei kein Spielverderber. Gönn dir doch auch mal etwas Spaß.“
    „Es ist nur so, dass ich es nicht unbedingt als Spaß bezeichnen würde, als Warg durch die Gegend zu springen.“
    „Hm… dann werde ich mir für dich wohl noch etwas anderes einfallen lassen“, sagte der Held und grinste verschmitzt.
    „Bloß nicht. Wie ich dich kenne ist es entweder sehr gefährlich oder irgendwie gesetzlich oder moralisch fragwürdig.“
    Der Held ging gar nicht weiter darauf ein, sondern holte Gorn und Diego, damit sie aufbrechen konnten.


    Der Held parkte Elyas Wagen am Rand des Grunewaldes und stieg aus. Gorn, der vorne gesessen hatte, sah zuerst nicht so aus, als würde er aussteigen wollen, tat es dann aber doch. Diego, der sich den Rücksitz mit Waldi und dem verwandelten Lester geteilt hatte, sah noch einmal skeptisch zu den Beiden, die ihn aber nur glücklich hechelnd ansahen und ihm dann aus dem Wagen folgten. Diego und Gorn warfen sich einen unsicheren Blick zu, dann fragte Gorn: „Muss das wirklich sein? Lester, wie ist es so als Warg?“
    Lester sah ihn hechelnd an und klopfte dann mehrmals freudig mit seiner Rute auf den schlammigen Boden.
    „Ach, Lester geht es gut. Lasst uns ein paar Wildschweine jagen!“ sagte der Held voller Tatendrang.
    Er ließ sich von der nervösen Stimmung seiner beiden noch nicht verwandelten Freunde nicht stören und marschierte los.
    „Na, sieh es mal so, immerhin gehen wir mal wieder auf die Jagd", versuchte Diego Gorn aufzuheitern und sie folgten dem Helden in den Wald.
    Lester und Waldi setzten im wilden Lauf nach.
    "So, ich denke das ist weit genug", sagte der Held und zog die Fernverwandlungsrune aus seiner Hosentasche, die ihm Milten gegeben hatte.
    "Warte mal!" versuchte Gorn ihn abzuhalten und er konnte nicht verhindern, dass seine Stimme eine leichte Spur von Nervosität aufwies. "Wie verwandeln wir uns wieder zurück?"
    "Das ist ganz einfach und geht jederzeit. Du musst nur willentlich entscheiden, dass es vorbei sein soll und du wieder ein Mensch sein willst."
    "Aber wir können ja nicht mit Magie umgehen. Wäre es da nicht möglich, ... ich meine, das wir in der Verwandlung feststecken?" fragte Gorn weiter.
    Diego sah jetzt auch unsicher aus.
    "Vielleicht sollten wir das nochmal überdenken."
    "Ach Quatsch", wehrte der Held ab und wedelte mit der Hand, als wolle er eine lästige Fliege verscheuchen. "Das wird nicht passieren."
    Und ohne weitere Einwände gelten zu lassen verwandelte er erst Gorn, dann Diego und schließlich sich selbst mit der original Warg Rune. Nun standen vier Warge und ein Wolf im dunklen Grunewald. Der Held schüttelte sein Fell und schnupperte dann auf dem Boden herum, um eine mögliche Spur zu finden. Im Moment konnte er nichts entdecken. Er grollte einmal, um seine Freunden zu bedeuten ihm zu folgen. Lester und Waldi kamen gleich zu ihm gesprungen. Diego und Gorn folgten steif. Sie streiften eine Weile durch den Wald, bis sie schließlich auf die Fährte von Wildschweinen stießen. Der Held schnupperte wieder auf dem Boden herum, grollte und rannte dann ins Gebüsch. Sie fanden die Tiere zwischen dicht stehenden Bäumen. Es war eine sehr große Gruppe von mindestens dreißig Tieren. Der Held sah sich kurz nach seinem neuen Rudel um und begann sich dann langsam und möglichst leise an die Wildschweine anzuschleichen. Die Tiere waren sehr aktiv, sie liefen herum und wühlten im aufgeweichten Boden nach Fressbarem. Sie hatten die Gefahr noch nicht bemerkt. Es war wohl die richtige Entscheidung gewesen, sich diesmal als Warg zu verwandeln.
    Doch zu früh gefreut. Es knackte unter ihm, die Wildschweine fuhren herum, grunzten und quieckten und suchten dann das Weite. Der Held und Waldi preschten hinterher, mussten die Jagd aber allzu schnell aufgeben. Als sie zu den anderen zurückkehrte, sah der Held wie Diego seinen zotteligen Kopf schüttelte, so als wollte er fragen, was das denn sollte. Er ging jetzt voran und es war unmissverständlich, dass er nun das Jagdkommando übernahm. Es dauerte zwar nicht lange, bis sie die Schwarzkittel wieder gefunden hatten, doch Diego sah nicht so aus, als wollte er zur Tat schreiten. Wachsam überblickte er von einer Anhöhe die Lage und beobachtete die Tiere ganz genau. Sie befanden sich in einer kleinen Senke und schauten sich jetzt immer wieder nach Gefahren um. Der Held hatte ihn eine Weile machen lassen, dann wurde ihm aber langweilig und er wollte etwas tun. Diego schnappte nach ihm und zeigte seine langen Zähne. Das war unmissverständlich. Der Held könnte jetzt eine Auseinandersetzung starten, doch er vertraute auf Diegos Jagderfahrung. Deswegen legte er sich auf den kalten Waldboden und wartete ab. Gorn schien immer noch unzufrieden damit wie sein Körper jetzt aussah. Ständig sah er unglücklich an sich herunter und kratzte mürrisch mit den Krallen im Boden herum. Lester fand das alles hier aber ganz aufregend und interessant. Er blickte sich ständig um und sog all die Eindrücke in sich auf. Endlich setzte sich Diego ganz langsam in Bewegung. Er führte das Rudel zu einer Stelle außerhalb der Senke. Da links und rechts Böschungen aufragten vermutete er, dass die Tiere hier durchkommen würden. Er wies seine Freunde an, hier zu warten und schlich dann wie ein nächtlicher Schatten davon. Dem Helden kam es ewig vor, bis sich hier etwas bewegte, doch dann ging es ganz schnell. Wildes Knurren aus der entgegengesetzten Richtung, dann lautes Quiecken und Schnaufen und das wilde Hämmern von Hufen auf dem Boden. Diego hatte die Rotte aufgeschreckt und trieb sie nun auf seine Freunde zu. Die blieben ruhig liegen, bis die Tiere in Sprungweite waren. Dann schlugen sie los. Mit lautem Knurren stürzten sie sich auf die Tiere. Sie schlugen ihre scharfen, todbringenden Zähne in das dreckige Borstenfell der Wildschweine und rissen ihre fetten Leiber auf. Für kräftige Wargkiefer war selbst der starke Wildschweinkörper kein Problem. Es reichten ein oder zwei gut gesetzte Bisse, um ein Wildschwein zur Strecke zu bringen. Es war ein wildes Getümmel, bei dem die Schweine nur versuchten dieser entsetzlichen Gefahr zu entkommen. Einige wenige hatten versucht gegen die Warge vorzugehen, doch sie fanden nur einen blutigen Tod in den Fängen der Räuber. Die schiere Anzahl der Schweine sorgte dafür, dass einige ihre Blockade durchbrachen und flohen. Der Held wollte sie aber nicht entkommen lassen. Er setzte mit großen, kräftigen Sprüngen seiner Beute hinterher und knurrte furchteinflößend. Ihm machte diese wilde Jagd Spaß. Völlig mitleidslos schnappte er nach dem Schenkel des gehetzten Wildschweins vor ihm und vergrub seine Zähne in dessen Fleisch. Selbst das erbärmliche Quicken seines Opfers hielt ihn nicht davon ab es zu Ende zu bringen. Mit einem kräftigen Biss riss er dem Tier die Kehle auf. Das Quicken verstummte schlagartig, als hätte jemand den Ton abgedreht. Waldi kam herbeigeeilt, leckte sich über die Schnauze und riss dann an den offenen Wunden, um an das noch warme Fleisch zu kommen. Einen Moment lang überkam den Helden das Gefühl, es ihm gleich zu tun. Doch er grollte noch einmal, leckte sich das Blut von den Lefzen und schüttelte sich dann. Er kehrte zu seinen Freunden zurück. Erstaunt stellte er fest, dass dort noch einige Schweine am Leben waren. Gorn und Diego hatten sie eingekreist und Lester näherte sich vorsichtig und gebückt, so als wollte er die Tiere nicht erschrecken. Diese Wildschweine waren noch recht klein, vermutlich noch nicht einmal ein Jahr alt. Es sah aus, als wollte er sie sich einfach mal aus der Nähe ansehen. Der Held wies seine Freunde mit lautem Knurren und Zähne fletschen zurecht. Das hier war kein Streichelzoo. Er stürmte los und machte kurzen Prozess. Das erbärmliche Quicken der Jungtiere war fürchterlich mit anzuhören. Lester sah ihn verwundert an, so als wollte er fragen, ob das wirklich sein musste.
    Der Held kümmerte sich nicht weiter darum, sondern folgte der Spur der entkommenen Wildschweine. Erst als auch diese zur Strecke gebracht wurden, gab der Held seine aggressive Haltung auf und lief ausgelassen durch den Wald. Sie kamen an einen Hügel, den sie hinaufstiegen und auf dessen Kuppe sie einen grünen Metallzaun erreichten. Dahinter sahen sie ein großes verfallenes Gebäude. Der Held wollte sich das näher ansehen und schlüpfte durch ein Loch im Zaun. Diego gab ein Grollen von sich. Der Held sah kurz zurück und sah ihn schief an. Dann lief er weiter. Diego und Gorn sahen sich an und folgten ihrem Freund. Waldi und Lester waren schon an seiner Seite. Je weiter sie sich dem Gebäude näherten, umso deutlich wurden Stimmen. Offenbar waren ein paar Kids über den Zaun geklettert. Sie lehnten an bemalten Wänden und rauchten. Einer schüttelte eine Dose und sprühte Farbe an eine Wand. Der Held sah zu seinen Freunden. Der Schalk lag in seinen Augen. Bedrohlich knurrend sprang er aus seiner Deckung hervor und rannte auf die Jungs los. Die sahen aus, als würden sie sich gleich in die Hosen machen und rannten laut schreiend davon. Der Held sah ihnen amüsiert nach. Er gab etwas von sich, dass sich nach einem Husten anhörte, tatsächlich lachte er. Seine Freunde kamen zu ihm. Diego sah ihn vorwurfsvoll an. Der Held verdrehte die Augen, stupste ihn dann mit der Schnauze an und ging dann los, um diesen Ort weiter zu erkunden. Es sah aus wie eine Ruine. Welchen Zweck die mächtige Kuppel auf dem Dach hatte, konnte er nicht wissen. Für ihn sah es nach einem aufgegebenen, alten militärischen Außenposten aus. Innen war es verfallen, aber es gab weder Skelette, noch Zombies. Etwas enttäuscht verließ der Held diesen Ort wieder. Sie liefen zurück durch das Loch im Zaun und dann einen Abhang hinunter und einen erneuten Hügel hinauf. Oben wuchsen keine Bäume. Nur dürres, kraftloses Gras kämpfte sich seinen Weg durch den sandigen Boden. Es war eine weite, offene Fläche und sie konnten die hellen Lichter der riesigen Stadt vor ihnen sehen. Es sah so fremdartig, aber auch schön aus. Das Licht schien ihnen einladend zuzuleuchten. Hin und wieder gab es Lücken in der dichten Wolkendecke am Himmel und sie konnten endlich mal wieder die Sterne sehen. Doch erkannten sie keine der gewohnten Konstelationen. Wo war nur das KSO? Eine Zeit lang saßen sie einfach nur da und sahen sich die Szenerie an, dann zwickte Lester den Helden an der Schulter und rannte davon. Der Held setzte ihm nach und versuchte ihn zu erhaschen. Es war ein tolles Gefühl sich mal keine Gedanken darüber machen zu müssen, dass das ja eigentlich total bescheuert war, sondern sich einfach nur wild und frei zu fühlen und sich darüber zu freuen. Gorn und Diego waren zuerst einfach nur genervt und es brauchte einige Sticheleien, damit sie bei dem Spaß mitmachten. Sie hatten es vielleicht etwas übertrieben, denn auf der wilden Jagd den Abhang hinunter fiel Lester in ein Loch, das er im Dunkeln nicht hatte sehen können. Ein lautes Jaulen machte seine Freunde auf seine Not aufmerksam. Sie kamen zu der Grube und sahen ein wenig belustigt zu ihm hinunter. Lester versuchte wieder herauszuklettern, doch er rutschte an den Wänden immer wieder ab. Der Held forderte ihn auf hochzuspringen. Lester versuchte es, schaffte es aber nicht hoch genug. Beim zweiten Versuch schnappte der Held nach ihm und packte ihn am Nackenfell. Vielleicht etwas zu grob zog er ihn dann aus dem Loch. Dieser kleine Rückschlag trübte die inzwischen lockere Stimmung nicht. Der Held hatte sogar das Gefühl, dass Diego und Gorn es sogar etwas lustig gefunden hatten, wie Lester da in diesem Loch hockte. Ausgelassen tollten sie durch den Wald und hatten jede Menge Spaß. Die Stimmung kippte erst wieder, als sie einen Menschen bemerkten, der durch den Wald ging. Sie schlichen sich näher heran, um herauszufinden was das für ein Mensch war und ob er möglicherweise eine Bedrohung sein könnte. Der Held erkannte den Mann, als den Kerl, der ihn wegen Wilderei der Polizei übergeben wollte und ohne weiter darüber nachzudenken, sprang er aus dem Gebüsch und rannte knurrend und Zähne bleckend auf ihn zu, um ihm mal einen richtigen Schreck einzujagen. Der alte Mann erstarrte und griff dann zitternd nach seinem Gewehr. Diego, der erkannte, dass es sich wohl um etwas ähnliches handelte, wie das, was ihm dieser junge Kerl neulich in seinem Laden vor die Nase gehalten hatte, sprang jetzt seinem Freund zur Seite, um ihm beizustehen, wenn es wirklich zu einem Kampf kommen sollte. Auch der Rest des Rudels kam jetzt dazu. Die Augen des Mannes weiteten sich und er wurde noch blasser. Kalter Schweiß brach ihm aus und er sah aus, als würde er bereuen, heute überhaupt aus dem Bett aufgestanden zu sein. Diego schnappte nach dem Gewehr und zerrte es ihm mit einem kräftigen Ruck aus den Händen. Der Mann drehte sich um und rannte los, wie von Beliar selbst verfolgt. Der Held wollte ihm nachsetzen, um ihn noch ein bisschen zu ärgern, doch Diego hielt ihn mit einem wütenden Grollen zurück. Der Held wollte nicht streiten und ließ den Kerl ziehen. Jetzt schienen die anderen keine große Lust mehr auf weitere Abenteuer als Warg zu haben. Langsam aber sicher manövrierten sie den Helden zurück in die Richtung wo sie das Auto abgestellt hatten. Lediglich Waldi war aufgeweckt wie eh und jeh. Nur einmal konnten sie den Helden nicht zurückhalten einer Spur nachzugehen. Es war eine andere Wildschweinrotte. Kleiner als die erste, mit nur einem Dutzend Mitgliedern. Der Held gab nicht eher Ruhe bis sie alle getötet waren.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 20:24 Uhr)

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    Religionsgespräche

    Als Milten am nächsten Tag im Krankenhaus zufällig eine Zeitung im Wartebereich liegen sah, zuckte er zuerst überrascht zusammen und stöhnte dann, weil er nicht glauben konnte was er da las. Als übergroße Bildüberschrift prangte es auf der Boulevardzeitung:
    „Die tollwütigen Dämonenwölfe aus der Hölle: Können wir jetzt alle nicht mehr in den Grunewald?“ Darunter war das Foto von grausig aufgerissenen Wildschweinleibern zu sehen, die im Schlamm lagen. Einen Moment stand der Feuermagier einfach nur da und konnte es nicht fassen, dann nahm er die Zeitung zur Hand, um zu sehen, was seine Freunde jetzt wieder angestellt hatten.
    „Heute Morgen wurden zahlreiche tote Wildschweine im Grunewald aufgefunden. Laut ersten Untersuchungen wurden sie Opfer von einem Wolfsrudel. Bisher wurden knapp vierzig tote Wildschweine gefunden. Einer der zuständigen Revierjäger teilte mit, dass er in der gestrigen Nacht von einem Rudel schwarzer Wölfe angegriffen wurde. Die Tiere seien größer und muskulöser gewesen, als er es von Wölfen kennt. In aggressiver Haltung hatten sich ihm die Tiere genähert. Eines habe ihm sogar sein Gewehr aus den Händen gerissen. Der Revierjäger unterstützte aktiv bei der Beschauung der getöteten Wildschweine. Die Bisswunden erhärten die Vermutung, dass es sich hierbei um Wolfsangriffe handelt. Die Wunden sind aber viel tiefer, schwerer und größer, als es typisch wäre. Offenbar reichten ein bis drei Bisse um ein Wildschwein zu töten. Die Kraft der Angreifer war so groß, dass selbst massive Knochen zerbissen wurden. Das ist wichtig für die weiteren Untersuchungen, da solche Schäden nicht von Wölfen zugefügt werden können. Hyänen sind dafür bekannt Knochen mit ihren Zähnen zerbrechen zu können, doch ist es wohl sehr unwahrscheinlich, dass es sich bei den Tieren um Hyänen handelt. Das Blutbad im Grunewald läuft wie eine Erschütterung durch die ohnehin angespannten Fronten der Wolfsbeführworter und –gegner. Schon werden Stimmen laut die Tiere abzuschießen, andere rufen nach umfassenden Studien. Die Wildschweinkadaver werden weiterhin untersucht, unter anderem auch auf Krankheitserreger. Es wird vermutet, dass die Raubtiere Tollwut haben. Der Bevölkerung wird geraten den Grunewald zu meiden, bis weitere Informationen vorliegen, denn offensichtlich scheuen diese Tiere auch vor Angriffen auf Menschen nicht zurück.“
    „Mistvieher!“ kam es von einem älteren Herrn, der Milten beim Lesen beobachtet hatte.
    Stirnrunzelnd ließ der Feuermagier die Zeitung sinken und sah den alten Mann vor ihm an. Er trug einen Hut und ein kariertes Hemd. Sein Körper wirkte aufgeschwemmt und kraftlos.
    „Ich hab schon immer gesagt, dass das kein gutes Ende nimmt, wenn man die Wölfe einfach so frei durch die Gegend spazieren lässt. Man sieht ja was passiert“, kam es um Zustimmung heischend von dem Alten.
    Milten hörte gar nicht weiter zu. Alles was ihm durch den Kopf ging war, dass er indirekt mit dafür verantwortlich war. Immerhin hatte er die Fernverwandlungsrune erstellt und dem Helden gegeben. Hatte er die Konsequenzen nicht ausreichend überdacht? Aber wie hätte er ahnen können, dass die Bevölkerung so alarmiert wegen dem Tod von einigen Wildschweinen reagierte? Vielleicht waren diese Tiere ja hier heilig, oder es gab einen anderen Grund für ihren besonderen Schutz? Doch, dass seine Freunde einen Jäger angriffen, das erschütterte ihn nun wirklich. Er würde sie zur Rede stellen müssen.
    Er hatte keine Zeit weiter darüber nachzudenken, denn er wurde angepiept. Er warf die Zeitung zurück auf den Besuchertisch und hastete los, um seinem nächsten Patienten zu helfen. Es war wieder in der Notaufnahme. Der Patient war ein drahtiger Fahrradfahrer Ende vierzig, der von einem LKW überrollt wurde. Es stand sehr schlecht um ihn und vielleicht hätte das Personal schon jede Hoffnung aufgegeben, wenn es nicht gewusst hätte, dass es nun hier im Krankenhaus einen Magier gab, der mit seinen wundersamen Heilzaubern helfen konnte. Voller Ehrfurcht sahen die zwei Notfallmedizinerinnen dabei zu, wie er den Heilzauber anwandte und die tödlichen Verletzungen abheilten. Sie entfernten die Beatmungsmaske, die jetzt überflüssig war. Der Patient hob noch etwas träge die Augenlieder.
    „Was? Wo bin ich?“
    „Es ist alles wieder in Ordnung. Sie sind im Krankenhaus“, erklärte ihm eine der Notfallmedizinerinnen.
    Milten sah seine Arbeit hier getan und drehte sich weg, um zu gehen, da sah er Astrid in Begleitung eines älteren Mannes, der nicht verstand, was er da gerade gesehen hatte. Der ältere Mann sah Astrid an, die ihm zunickte und dann ging er zu dem Patienten, um ihn zu fragen wie er sich fühlte.
    „Hallo Milten“, begrüßte ihn Astrid. „Auch wenn ich jetzt schon viele Male gesehen habe, wie du jemanden heilst, finde ich es immer wieder erstaunlich.“
    Der Feuermagier wusste nicht was er darauf antworten sollte und sagte deswegen gar nichts. Astrid sah ihn verlegen an.
    „Ich hab das Ergebnis für die Tränke aus dem Labor. Im Heiltrank ist wirklich nichts Schädliches enthalten. Viele verschiedene unbekannte Pflanzenstoffe, welche die Regeneration des Körpers fördern. Naja … ich könnte dir den Bericht zeigen, aber ich weiß nicht, ob das für dich Aussagekräftig ist. Bei diesem blauen Trank … wie nennst du den?“
    „Das ist ein Manatrank zur Wiederherstellung der magischen Kraft.“
    „Ja…“
    Astrid sah ihn forschend an, um herauszufinden, wie er aufnehmen würde, was sie als nächstes sagte.
    „Es sieht so aus, als wären diese Manatränke eine Art Energiedrink mit einem gewissen Alkoholgehalt. Es …, es ist ja gut, wenn du dann wieder zaubern kannst, aber … wie es aussieht, sollte davon nicht zu viel getrunken werden. Im Labor sagen sie, es kann zu Bluthochdruck und Kreislaufproblemen führen und vielleicht … könnte es sogar süchtig machen.“
    Milten sah kurz zu Boden, dann sah er ihr wieder in die Augen. Es war klar zu sehen, dass er so etwas in der Art schon wusste und es etwas unangenehm fand, dass ihm das jetzt jemand vorhielt.
    „Ja, so etwas in der Art haben meine Kollegen auch festgestellt. Es wird geraten die Tränke nur dann zu nehmen, wenn es unbedingt erforderlich ist. Durch Meditation und ausruhen kann sich ein Magier auch wieder erholen.“
    „Naja, …“
    Astrid war es unangenehm das anzusprechen, aber sie konnte es nicht unausgesprochen lassen.
    „Ich hab dich aber schon öfters diese blauen Tränke schlucken sehen.“
    Miltens Augen verengten sich kurz. War das ein Vorwurf? Er fühlte sich unterbewusst in die Defensive gedrängt, versuchte dann aber schnell wieder unvoreingenommen zu antworten.
    „Glaub mir, wenn ich die Zeit hätte meine Kraft anders wieder herzustellen würde ich das tun, aber wenn es einen Notfall gibt, dann habe ich keine andere Möglichkeit als einen Manatrank zu trinken.“
    „Ist das … normal?“ fragte Astrid unsicher und als Milten nicht antworten wollte, bohrte sie weiter nach: „Wie ist das in deiner Heimat?“
    Milten dachte an die vielen Manatränke, die er sich in den letzten Tagen hintergekippt hatte, um einsatzfähig zu bleiben. Er wusste selbst, dass das nicht gut war und es war vermutlich zum großen Teil für seine Gereiztheit mitverantwortlich, aber was sollte er denn tun? Die Menschen sterben lassen? Nein, das konnte er nicht. Er musste ihnen helfen. Doch so viel Magie hatte er in so kurzer Zeit noch nie wirken müssen. Hier gab es so viele Menschen, die alle seine Hilfe brauchten.
    „In Myrtana … kommen die Leute unter anderem auch zu uns Magiern um nach Heilung zu fragen, aber es gibt nicht so viele Menschen wie hier. Es ist schon … fordernd.“
    Astrid sah ihn besorgt an.
    „Ich weiß, es fällt schwer, weil man weiß, dass man gerne allen helfen möchte, aber denk auch daran, dass du dir nicht zu viel zumutest. Nimm nicht so viele von diesen Manatränken, ok?“
    Milten wusste nicht, ob er wütend sein sollte, weil sie ihm vorschreiben wollte wie er zu handeln hatte oder ob er es putzig finden sollte, weil sie sich um ihn sorgte. Er sagte sich, dass es wohl einfach nur ein gutgemeinter Rat war.
    „Ich versuch‘s.“
    „Weißt du … ich denke wir könnten diese Heiltränke auch für Notfälle einsetzen, wenn du nicht da bist. Ich werde mit meinem Abteilungsleiter darüber sprechen. Das größte Problem wird wohl sein, das irgendwie nach außen hin erklären zu können.“
    Der ältere Mann, der eben noch mit dem Patienten gesprochen hatte, kam jetzt zu Astrid zurück und sie stellte ihn vor.
    „Milten, da ist übrigens mein Vater, der evangelische Pfarrer von dem ich erzählt habe.“
    Der Feuermagier sah ihn überrascht an. Das war also jemand von der Kirche hier. Er hätte nicht gedacht, dass er auch nicht anders, als die anderen Leute aussehen würde. Kein Gewand, keine Erkennungszeichen, nichts was ihn von anderen Menschen unterscheiden würde. Woher sollten denn die Bürger wissen, dass er der Kirche angehörte? Der ältere Mann streckte ihm die Hand entgegen und sie begrüßten sich.
    „Guten Tag, ich bin Günther. Milten, richtig? Ich hab schon viel über diese Wunderheilungen gehört. Ganz erstaunlich. Und das geht mit Magie?“
    Der Feuermagier hörte sowohl Skepsis, als auch Interesse heraus.
    „Ja, ich bin ein Feuermagier“, erklärte Milten. „Eigentlich wollte ich ja auch was über eure Religion hier hören.“
    „Ich denke wir können uns gegenseitig informieren. Wann ist denn Dienstschluss?“
    Milten sah verwundert drein.
    „Ich … ich weiß nicht.“
    „Milten, wie lange bist du jetzt schon hier?“ wollte Astrid wissen, die sich denken konnte, dass der Feuermagier viel zu lange gearbeitet hatte.
    Milten dachte angestrengt nach. Er hatte völlig das Zeitgefühl verloren. Er hatte dem Helden die Rune gegeben und war dann hierhergekommen.
    „Gestern Abend.“
    „Dann bist du doch bestimmt schon fünfzehn Stunden hier. Mach doch mal eine Pause. Ich rede so lange mit meinem Chef über die Heiltränke.“
    Milten sah sich etwas unschlüssig um. Es fiel ihm schwer die Patienten unbehandelt zurückzulassen, aber er gab zu, dass er geschafft und müde war. Eine Auszeit war dringend nötig. Günther schlug vor, zusammen Mittag essen zu gehen und dabei über ihre Religionen zu sprechen. Sie verfielen schnell ins du. Milten wollte zuerst etwas über Günthers Religion hören. Es war dem älteren Mann anzusehen, dass er darauf brannte selbst Fragen zu stellen, doch er hielt sich zurück und beantwortete geduldig die vielen Fragen seines Gesprächspartners. Milten stellte fest, dass es Gemeinsamkeiten mit den Tätigkeiten der Magier in Myrtana gab. Auch hier kümmerten sich die Geistlichen um die Sorgen und Nöte der Bürger. Wie er hörte, gab es eine Kirchensteuer. Dass die Feuermagier darauf noch nicht gekommen waren, wunderte Milten, weil seine Kollegen doch sonst immer so findig waren, wenn es um Spenden an die Innos Kirche ging. Andererseits fand Milten die Aufgabenlage der hiesigen Geistlichen auch etwas dürftig, was aber wohl daran lag, dass sie eben keine Magier waren. Als sie beim Essen waren, hielt es Günther nicht mehr aus und löcherte nun seinerseits Milten mit seinen Fragen.
    „Wie ist das in deiner Heimat? Was sind die Aufgaben eines Feuermagiers?“
    „Das ist sehr unterschiedlich und hängt davon ab, womit der hohe Rat einen betraut. Er verteilt die Aufgaben. Man kann zum Beispiel in der Bibliothek eingesetzt werden, um zu studieren und magische Schriftrollen und Runen herzustellen, oder man spezialisiert sich auf Alchemie und stellt Tränke her, oder wird für die Ausbildung der Novizen ausgewählt. Natürlich gibt es auch Feuermagier, die sich um die Anliegen der Bürger kümmern. Sie leben dann in der Stadt, oder bei einem Schrein. Die Bürger kommen mit den unterschiedlichsten Absichten zu einem Feuermagier. Manche erbitten den Segen Innos, oder möchten etwas über die Götter erfahren. Andere wollen Spruchrollen oder Bücher erwerben, oder sogar in der Magie unterrichtet werden, was aber nur in Ausnahmefällen gewährt wird. Oder jemand ist verletzt und bittet um Heilung. Manchmal ist es auch schon vorgekommen, dass es einen verfluchten Friedhof zu reinigen gab.“
    Günther, der ihm interessiert zugehört hatte, vergaß ganz zu essen.
    „Was versteht man denn unter einem verfluchten Friedhof?“ wollte er wissen.
    Milten hob eine Augenbraue. War das nicht klar?
    „Naja, wie man sich das eben vorstellt, mit Zombies und Skeletten, die aus ihren Gräbern steigen und dann zufällig vorbeikommende Bürger terrorisieren. Paladine übernehmen häufig solche Aufgaben, aber wir Feuermagier machen das auch, wenn es nötig ist. Allerdings muss ich zugeben, dass es in letzter Zeit so viel anderes zu tun gab, das solche Aufgaben wohl etwas zu kurz kamen und von herumreisenden Abenteuern übernommen wurden.“
    „Du meinst … so richtige laufende Skelette und wandelnde Leichen? Untote?“
    „Ja, genau.“
    Günther war fassungslos. Er wollte es einfach nicht glauben. Hätte er nicht gesehen, wie sein neuer Bekannter vorhin einen schwer Verletzten mit Magie geheilt hatte, würde er wohl denken, er sei verrückt.
    „Das hört sich nach einem aufregenden Leben an.“
    Milten dachte nach.
    „Ja, vermutlich, aber eigentlich leben wir Feuermagier noch vergleichsweise ruhig. Manche verlassen fast nie das Kloster und widmen sich ganz ihren Studien.“
    „Und was ist mit dir?“
    Milten dachte an die vielen vergangenen Abenteuer.
    „Ich denke, mein Leben ist aufregend genug.“
    Sie aßen einen Moment schweigend weiter, dann fragte der Feuermagier: „Wäre es möglich, dass ich mir mal eine eurer Kirchen ansehen darf?“
    „Aber selbstverständlich. Wir können gleich nach dem Essen zu einer gehen, wenn du möchtest."
    Günther führte ihn hin. Milten fand es immer noch etwas verwirrend in die unterschiedlichen Verkehrsmittel umzusteigen, aber Günther wusste wohl ganz genau was sie zu tun hatten. Die Kirche war sehr groß, viel größer als die auf Khorinis. Milten hatte gelesen, dass die ehemalige Kirche in Vengard auch riesig war. Vielleicht hätte sie sich mit dieser hier messen können, doch sie war im Orkkrieg bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Milten stellte verwundert fest, dass wohl einfach jeder in die Kirche durfte. Die Leute gingen ein und aus, ohne, dass es eine Torwache gab. Die Feuermagier hätten so etwas wohl nicht zugelassen, aber bei den Wassermagiern wäre es denkbar, nur hatten sie keine Kirchen, außer man zählte diesen kleinen Pavillon in der Hafenstadt Khorinis dazu. Auch von innen wirkte alles sehr gewaltig. Die Einrichtung wirkte seltsam vertraut. Es gab Bankreihen, wo die Gläubigen beten und den Priestern beim Verkünden des Glaubens zuhören konnten.
    „Und wer ist das?“ fragte Milten, als sie vor einem großen Kreuz standen, an dem die Figur eines Mannes festgenagelt war.
    „Das ist Jesus, der zur Erlösung aller Menschen gesandte Messias und Sohn Gottes.“
    Der Feuermagier sah zu diesem Mann hinauf und fragte sich, warum man ihn so darstellte. Wenn er ein Messias war, warum wurde er dann an dieses Kreuz genagelt? Günther konnte sich wohl denken, was ihm durch den Kopf ging und sagte: „Jesus wurde von römischen Soldaten gekreuzigt. Er wurde in einem Felsengrab bestattet, doch als nach drei Tagen nachgesehen wurde, war das Grab leer. Er war wiederauferstanden.“
    Milten war sich nicht sicher, handelte es sich jetzt um göttliche Fügung oder Totenbeschwörung?
    „Du meinst, so richtig, als er selbst?“
    Günther sah ihn erst verwirrt an, dann fiel ihm ihr Gespräch von vorhin mit dem verfluchten Friedhof wieder ein.
    „Er war kein Untoter, wenn du das meinst“, sagte Günther und er schaffte es nicht ganz den beleidigten Ton ganz zu vertreiben.
    „Ich wollte dich nicht beleidigen, oder deinen Glauben. Ich wollte nur sicher sein, es richtig verstanden zu haben.“
    Günther nickte. Er akzeptierte diese Entschuldigung und war seinem jungen Begleiter nicht böse.
    „Jesus Auferstehung wird jedes Jahr zu Ostern gefeiert. Es ist nicht mehr lange bis dahin. Wenn du möchtest, kannst du dir dann die Feierlichkeiten hier in der Kirche ansehen.“
    „Danke, ich fühle mich geehrt, doch ich weiß nicht, wie lange ich noch hier sein werde. Offen gestanden möchte ich so schnell wie möglich wieder in meine Heimat zurück. Meine Freunde und ich werden dort gebraucht. Du weißt nicht zufällig wie uns das gelingen könnte?“
    „Nein, ich hätte überhaupt nie gedacht, dass solche Reisen zwischen Welten überhaupt möglich sind.“
    Es war eine Zeit lang still. Keiner wusste etwas zu sagen.
    „Astrid erzählte mir, dass es mehrere Weltreligionen gibt. Du bist ein Christ, richtig?“
    „Richtig und innerhalb einer Religion gibt es noch verschiedene Konfessionen.“
    „Und was gibt es noch für Weltreligionen und woran glauben deren Anhänger?“
    „Zum Beispiel gibt es da das Judentum. Wir glauben an den gleichen Gott und verehren Jesus als Sohn Gottes.“
    „Und wie heißt euer Gott?“ wollte Milten wissen, dem es merkwürdig vorkam seinen Gott nicht mit Namen anzusprechen.
    „Nun …“
    Günther wurde unruhig.
    „Es gibt … verschiedene Auslegungen. Meist sagen wir einfach „Gott“ oder „unser Herr.““
    Er sah, dass das Milten nicht wirklich zufrieden stellte und fügte zögerlich hinzu: „Es ist kompliziert. Die heiligen Schriften wurden vielfach übersetzt und daher ist es nicht eindeutig in unsere Sprache zu übertragen. Wir sagen, wenn wir seinen Namen denn aussprechen, meist Jehova oder Jahwe. Es gibt aber noch viele andere Namen. Schon allein darüber könnte man stundenlang diskutieren.“
    Das glaubte ihm Milten sofort. Er fand, wenn man sich schon beim Namen des Gottes, den man anbetete nicht einig war, dann gab es bestimmt unglaublich viel Diskussionsmaterial.
    „Und diese anderen Religionen haben auch ihre Kirchen und Geistlichen und alle leben hier in dieser Stadt friedlich zusammen?“ fragte Milten skeptisch.
    Wenn man in Myrtana eine Stadt mit je einer Kirche von Beliar, Innos und Adanos aufbauen würde, dann würde es vermutlich immer Streit geben. Es reichte ja schon, dass in Khorinis sowohl ein Feuer-, als auch ein Wassermagier anwesend waren. Im Allgemeinen duldeten sich Wasser- und Feuermagier und arbeiteten auch zusammen, wenn es sein musste, aber das hieß nicht, dass sie sich in allem einig wären. Es gab viele Diskussionspunkte.
    „Naja … es gibt viele Diskussionen und hin und wieder handfeste Probleme der Gläubigen, aber im Allgemeinen kommen wir alle in gewisser Weise miteinander aus“, sagte Günther beschwichtigend.
    Ja, so hatte sich Milten das gedacht.
    „Wenn du möchtest, kann ich dir mal eine Kirche des Judentums zeigen. Es heißt Synagoge. Ich hab einen alten Freund, der dort arbeitet.“
    „Gern“, stimmte Milten zu und sie brachen wieder auf und Günther führte ihn mit verschiedenen Verkehrsmitteln ans Ziel.
    Diese Synagoge hätte Milten nicht sofort als eine Art Kirche erkannt. Es war eigentlich ein ganz normales Gebäude aus roten Steinen. Drumherum waren kleine Säulen, die aus dem Boden ragten. Wozu die gut sein sollten konnte sich der Feuermagier nicht erklären. Als Zaun war es zu niedrig. Man konnte einfach darübergestiegen, oder dazwischen durch gehen. Vielleicht war es, damit niemand aus Respektlosigkeit davor mit dem Auto parkte, überlegte er. Hier gab es einen Mann, der vor dem Gebäude stand, ob aber als Wache, oder nur, weil es ihm gefiel dort zu stehen, das wusste der Feuermagier nicht. Der Mann trug keine Rüstung, oder eine Kutte, an der man hätte erkennen können ob er irgendwo zugehörig war. Er trug ganz normale Kleidung. Günther redete kurz mit dem Mann. Sie kannten sich offenbar. Sie gingen dann einfach weiter hinein und sahen sich drinnen um. Es gab einen kleinen Innenhof und einige Menschen, die hier standen und sich unterhielten. Sie gingen weiter und kamen in die Synagoge. Auch sie war innen sehr imposant, sogar noch beeindruckender, als die andere Kirche. Mehrere hell erleuchtete Kronleuchter hingen über allem, oben, im ersten Stock gab es zusätzliche Sitzplätze. Die Kirche war so groß, dass vermutlich fast alle Menschen aus Myrtana Platz gefunden hätten. Bald kamen einige Männer zu Ihnen, die Milten als Priester identifizierte. Zwei von ihnen waren sehr alt, sie trugen weiße, krause Bärte und Hüte auf dem Kopf, so dass es nicht ganz so auffiel, dass sie kaum noch Haare hatten. Der dritte Mann war etwas jünger, Milten schätzte ihn auf Mitte Dreißig. Günther stellte Milten vor und erzählte, dass er im Krankenhaus arbeitete. Die Männer wurden sehr skeptisch, als sie von seinen Heilkünsten hörten und glaubten wohl der evangelische Pfarrer wollte sich einen Spaß mit ihnen erlauben. Nur einer der Männer fragte weiter nach, er war vermutlich der alte Freund von Günther.
    „Du meinst Magie … so wie bei Harry Potter? Mit Zauberstäben und sowas?“
    Günther legte den Kopf schräg und sah Milten fragend an.
    „Nun, eigentlich werden hauptsächlich Schriftrollen oder Runen genutzt.“
    Der Feuermagier holte eine Lichtrune hervor und drückte sie dem Zweifler in die Hand.
    „Es gibt aber noch die alte Magie, bei der man zu seinem Gott betet und dann die Zauber ohne weitere Hilfen anwenden kann. Diese Zauber sind aber anstrengender. Runen und Schriftrollen stellen eine Hilfe für den Magier dar, damit die Zauber nicht so viel magische Kraft benötigen.“
    „Und jede Rune hat ihren eigenen Zauber?“ wollte Günthers Freund wissen und gab die Rune zurück.
    „Ja, genau.“
    „Hört sich an, als wäre der Zauber vorprogrammiert“, sagte der jüngere Jude und grinste schelmisch.
    Der dritte Mann sah sich nervös um, als fürchtete er, jemand könne ihre Gespräche belauschen.
    „Heute ist so ein schöner Tag. Nach Wochen können wir endlich mal wieder die Sonne sehen. Lasst uns doch raus gehen und im Sonnenschein weiter reden.“
    Die anderen hatten keine Einwände und sie gingen wieder hinaus, wo der Mann am Eingang immer noch stand. Tatsächlich taten sich hin und wieder Lücken in der Wolkendecke auf und Sonnenstrahlen blinzelten zu ihnen hinunter.
    „Und was gibt es noch für Zauber?“ fragte der junge Jude, der offenbar aufgeschlossener war, als seine beiden älteren Kollegen und das alles sehr lustig fand.
    „Oh, es gibt Heilungsmagie, Bechwörungsmagie, Feuer- und Eiszauber, Magie um Untote zu vertreiben, Verwandlungsmagie, sehr unterschiedlich also.“
    „Und das kannst du alles?“
    „Nein, ich bin ein Feuermagier und bete zu Innos, dem Gott der Ordnung und der Gerechtigkeit. Als Feuermagier nutze ich vorrangig Feuer- und Heilzauber und Magie um untote Kreaturen zu vernichten.“
    Die anderen stutzten beim Wort „untot“. Einen Moment sagte niemand mehr etwas.
    „Gibt es denn noch andere Magier?“ wollte Günthers Freund wissen und durchbrach damit die Stille.
    „Wassermagier nutzen Wasser- und Blitzzauber und manche beschwören einen Golem, als Schutz.“
    „Einen Golem, sagst du?“ fragte der zweifelnde Geistliche jetzt interessiert.
    „Dämonenbeschwörer setzen aber manchmal auch Golems ein, doch meistens holen sie sich, wie ihr Name schon sagt, Dämonen oder eben Untote als Diener.“
    „Hört sich beunruhigend an“, kam es von Günthers Freund.
    Milten nickte.
    „Ja, ich bin froh, wenn ich nicht mit ihnen zu tun habe.“
    „Kannst du deine Worte auch beweisen?“ fragte der Älteste, der Zweifler.
    „Magie sollte nicht leichtfertig genutzt werden“, sagte Milten ernst.
    Die anderen sahen sich an. Sie glaubten ihm ganz offensichtlich nicht. Milten merkte das und er war sich nicht sicher, was er deswegen tun sollte. Es war ihm nicht recht, wenn Innos Glaube als Spinnerei abgetan wurde. Er sah, wie der Mann an der Tür, der nur mit halbem Ohr zugehört hatte, verzweifelt versuchte seine Zigarette anzuzünden. Erleichtert sah der Feuermagier, dass es immerhin kein Sumpfkraut war.
    „Mistding, schon wieder alle“, sagte der Mann, der immer wieder an seinem Zippo herumfingerte. „Hat einer von euch mal Feuer?“
    Günther, sein Freund, der Alte und der Jüngere schüttelten die Köpfe.
    „Wir rauchen nicht.“
    Milten, der dem Mann helfen, aber auch gleichzeitig beweisen wollte, dass es Magie wirklich gab, trat vor und wählte die Rune des Feuerpfeils. Er brauchte sie gar nicht anzuwenden, es reichte, die Rune auszuwählen und ein kleines Flämmchen tanzte auf seiner Handfläche. Er hielt dem Mann an der Tür das Feuer hin, der ihn erstarrt ansah und dann zögerlich seine Zigarette daran entzündete. Milten ließ die Flamme wieder erlöschen und ging zu den anderen.
    Die Älteren sahen ihn wie versteinert an, der Mittdreißiger grinste breit.
    „Feuermagier, … das glaubt mir keiner.“
    Günther fand als nächster seine Sprache wieder.
    „Ist das anstrengend?“
    „So lange der Zauber nicht direkt angewandt wird brauche ich dafür keine nennenswerte magische Kraft.“
    „Du sagtest vorhin was von verfluchten Friedhöfen. Sind dafür auch diese Dämonenbeschwörer verantwortlich? Warum machen die das?“
    Milten runzelte die Stirn.
    „Wenn ich das wüsste... Manche Krypten werden gezielt von Untoten bewacht, um die darin enthaltenen Schätze zu beschützen. Vielleicht sind es aber auch junge Totenbeschwörer, die ihre magischen Fähigkeiten ausprobieren wollen, …“
    Er sah sich verwundert um, als er etwas im Augenwinkel gesehen hatte, das so nicht hierhergehörte. Es war der Held, der aus dem Park kam, dort wo auch der Wasserturm stand, und in Begleitung von zwei Skeletten auf die Straße lief.
    „… oder, weil ihnen langweilig ist, siehe Beispiel A.“
    Er zeigte zum Helden, der Milten entdeckt hatte und nun auf ihn zusteuerte. Fassungslos sahen die Umstehenden auf die Skelette. Das strahlende Sonnenlicht nahm etwas von dem Schrecken, doch ließ es die Situation nur noch bizarrer erscheinen. Ein Mann, an dem der Held vorbeikam, rief etwas und der Held hielt an. Sie tauschten sich kurz aus, dann lachte der Mann, starrte anerkennend auf die Skelette und hob einen Daumen. Dann setzte sich der Held wieder in Bewegung, bis er bei Milten ankam. Noch bevor er den Mund aufmachen konnte, fragte der Feuermagier streng: „Was soll das? Wozu die Skelette?“
    „Mir war langweilig“, erklärte der Held und bestätigte so Miltens Vermutung. „Ich wollte mehr darüber erfahren wie Beschwörungen sich hier auswirken. Die beiden hier latschen jetzt schon zwei Stunden hinter mehr her und fallen einfach nicht zusammen. Naja …“ unterbrach sich der Held und achtete gar nicht weiter auf die erschrockenen und versteinerten Blicke, der anderen Leute, die nicht aufhören konnten die Skelette anzustarren.
    „Das eine hier“, der Held zeigte auf das linke kleinere Skelett „das ist schon einige Minuten länger da. Mir fiel auf, dass es klappert, oder … knirscht, jedenfalls so Geräusche macht, was mich wunderte, weil das andere Skelett, dass ich normalerweise immer beschworen habe, nie irgendwelche Geräusche gemacht hat. Hör doch mal!“
    Er lief eine kleine Runde, wobei ihm seine Begleiter folgten und das kleinere Skelett knirschte und klapperte, das rechte, größere aber nicht. Dann blieb der Held wieder vor Milten stehen, der nicht glauben konnte, was hier gerade passierte. War sein Freund jetzt wirklich mit den Skeletten durch die Stadt gelaufen, nur um die Geräusche zu untersuchen? Er musste wirklich Langeweile haben und wie man sehen konnte, führte das zu Problemen.
    „Ist doch komisch, oder nicht?“ fragte der Held, der hoffte Milten wüsste eine Antwort für das Mysterium des stillen Skeletts.
    „Warum fragst du mich?“ fragte der Feuermagier gereizt. „Du weißt ganz genau, dass ich mit Beschwörungen nichts zu tun habe. Woher soll ich das wissen? Ich bin froh, wenn ich mich nicht mit Skeletten herumschlagen muss.“
    Der Held hob angesichts von Miltens Laune eine Augenbraue.
    „Naja, ich kenne keine anderen Magier hier, die ich fragen könnte“, sprach der Held das Offensichtliche aus.
    „Vielleicht ist es ja ein Ninja Skelett“, schlug der Mittdreißiger Jude vor, der sich wieder gefasst hatte und weil er sah, dass keine Gefahr bestand, die Situation doch recht lustig fand.
    Wann konnte man schon mal behaupten mit zwei Skeletten auf der Straße gestanden zu haben? Seine Kollegen sahen ihn aber ungläubig an.
    „Was meinst du?“ fragte der Held.
    „Naja, so eine Art Schleichkämpfer, der darauf trainiert ist keine Geräusche zu verursachen, um seine Gegner zu überraschen. So eine Art Teenage Magic Ninja Skeleton.“
    Jetzt sahen ihn seine Kollegen so an, als wenn sie ihn gleich in die Klapse einweisen wollten.
    „Was?“ fragte der aber und war sich keiner Schuld bewusst.
    „Hm…“ kam es nachdenklich vom Helden. „Du meinst, das ist absichtlich so? Könnte sein. Wie war das noch mal mit dem Runen erschaffen? Man kloppt irgendein Vieh nieder und nimmt dann einen Bestandteil für die Rune, woraufhin das Wesen in der Rune wiederersteht und dann immer wieder vom Magier gerufen werden kann, richtig?“
    „Du meinst, so eine Art Pokeball?“ fragte der auf einmal sehr redselige Mittdreißiger dazwischen.
    „Sag mal, was machst du eigentlich in deiner Freizeit?“ fragte ihn der Älteste in der Runde.
    „He, ich hatte auch mal eine Kindheit“, kam es empört zurück.
    „Ist aber auch etwas makaber, oder?“ mischte sich jetzt Günther in die Diskussion ein. „Erst massakriert man ein Geschöpf und stiehlt Körperteile und dann muss es bis in alle Ewigkeit seinem Schlächter dienen.“
    „Oder die Rune wird verkauft“, kam es sachlich vom Helden.
    „Gilt das dann als Sklaverei?“ fragte Günther zurück.
    „Naja, wie sieht denn die Rechtslage von Untoten aus?“ fragte sein Freund zurück.
    Milten rieb sich die Schläfen. Er hatte Kopfschmerzen. Geschah das hier alles gerade wirklich? Wann war ihm die Situation so entglitten? Richtig, als der Held kam. Ihm war aber klar, dass sein Freund nicht eher ruhe geben würde, als dass er eine Antwort auf seine Frage erhalten hatte, deswegen sagte er: „Es hängt wohl mit den Fähigkeiten des Magiers zusammen. Ich könnte mir denken, dass fähigere Magier auch mächtigere Kreaturen beschwören können. Es gibt ja niedere Feuerdämonen und ganz normale Feuerdämonen, richtig?“
    „Ja, da ist was dran“, sagte der Held nachdenklich.
    „Wo hast du die Rune von dem größeren Skelett denn her?“
    „Öhm… gefunden“, sagte der Held und drehte den Kopf weg, um mal die Welt zu sehen.
    Der Feuermagier vermutete, dass das wohl nicht die ganze Wahrheit war. Vermutlich wollte er es gar nicht so genau wissen.
    „Hör mal, du kannst doch nicht einfach mit diesen Skeletten durch die Stadt laufen. Das erschreckt die Bürger doch“, sagte Milten belehrend.
    „Hm…“ kam es vom Helden.
    „Was haben denn die Leute gesagt, wenn du ihnen begegnet bist?“
    „Naja, am Anfang wirkten sie schon etwas ängstlich und fragten was „um Himmels willen“ das ist. Ich erklärte ihnen das sind „special effects“ und dann hatten sie gar keine Angst mehr, freuten sich und lobten mich sogar.“
    „Ah … ja“, kam es zähneknirschend von Milten, der sich an den Typ von vorhin erinnerte, als der Held sich ihm genähert hatte. „Trotzdem könnten die Leute Angst haben, oder abgelenkt werden. Gerade im Straßenverkehr kann das schlimme Folgen haben.“
    „Ver-stehe“ antwortete der Held.
    Eine Zeit lang sagte keiner etwas, dann fragte er: „Und was jetzt? Ich hab keine Ahnung wie ich sie zurückrufen soll. Normalerweise fallen sie einfach so zusammen.“
    Keiner konnte, oder wollte darauf eine Antwort geben. „Hm… ich könnte mich wegteleportieren und dann zu mir rufen.“
    Ohne weiter darüber nachzudenken, kramte er in seiner Hosentasche nach einer Teleporterrune und setzte sie ein. Er schwebte ein Stück und verschwand dann im blauen Licht. Wie vom Donner gerührt starrten ihn die umstehenden Leute an. Nur Milten fand das normal. Die Skelette drehten sich auf ein unsichtbares Zeichen um und liefen die Straße entlang, in die Richtung, in der sich ihr Herr jetzt befand. Ein Autofahrer wich erschrocken aus und hätte fast ein parkendes Fahrzeug gerammt. Dann zerfiel erst das kleinere Skelett und dann das größere in seine Bestandteile und nur zwei Häufchen Knochen mit Schwertern zeugten von den seltsamen Begebenheiten dieses nachmittags.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 20:34 Uhr)

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