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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Post [Story]Neue Abenteuer braucht der Held

    Vorwort
    Gleich vorweg, wer mein Gesülze nicht lesen möchte, kann gleich zum 1. Kapitel runterscrollen.
    Für alle anderen hier ein paar Erklärungen, die, denke ich, einfach nötig sind.
    Zum einen: Diese Geschichte ersann ich als Kopfkino im Sommer, als ich mal wieder eine Gothicphase hatte, weil ich in blinder Naivität einfach mal dachte, nach zehn Jahren mal wieder Gothic spielen zu können, ohne dass das Folgen hätte.
    Die gab es natürlich. Eine Wochenlange Gothic Sucht, die in fast 2 mal Gothic 1 und einmal Gothic 2 Die Nacht des Raben und sehr vielen Kopfkinostunden beim schlafen oder während der Arbeit resultierte (oder eben im Supermarkt ).
    Die erste Hälfte dieses Kopfkinos versuche ich hier in dieser Geschichte zu verarbeiten. Die zweite Hälfte kommt gesondert (weil das eigentlich viel zu abgedreht ist, um es überhaupt zu schreiben ).


    Inhaltliches: Die Geschichte spielt nach dem 3. Gothic, was das letzte Gothic war, dass ich gespielt habe. Von Götterdämmerung hab ich gehört (und ein bisschen gesehen) aber nie gespielt. Deswegen gehe ich nicht wirklich darauf ein. Manche Dinge könnten aber ähnlich verlaufen. Öfters werden aber auch Dinge aus dem bisherigen Leben des Helden (also Gothic 1 - 3 ) thematisiert. Etwa wenn er sich zurück erinnert an ein bestimmtes Ereignis. Alle Ansichten sind aus meiner Sicht geschrieben, völlig Rücksichtslos schreibe ich hier einfach wie ich die Charaktere einschätze ohne daran zu denken wie andere Leute das finden. Zum Beispiel hat der Held eine magische Hosentasche. Wo sonst lagert er all das Zeug aus dem Spiel? Tatsächlich ist es das vermutlich wichtigste Utensil des Helden überhaupt. Denkt nur daran, wie er die tausenden Brocken Erz völlig problemlos durch die ganze Kolonie schleppen konnte. Das ist doch mal ein magisches Artefakt! Wer braucht schon das Auge Innos, wenn er die magische Hosentasche hat!
    Alles in allem ist die Geschichte mit einem zwinkernden Auge auf die Gothic Welt geschrieben.
    Geändert von Eispfötchen (25.06.2022 um 13:45 Uhr) Grund: [Story]-Tag und Zettel-Icon vergessen + die Signatur gehört ausgestellt! ;)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Neue Abenteuer braucht der Held

    Es war einige Zeit vergangen seitdem er, der Held von Khorinis, Befreier Myrtanas von den Orks, das Land zusammen mit Xardas verlassen hatte. Zuerst war im neuen, noch unbekannten Land alles aufregend und wundersam, doch schnell kehrte Routine ein. Besser gesagt, gleich am ersten Tag. Xardas begann sofort damit einen neuen Turm zu erschaffen, während sich der Held ins Gras legte und beschloss einfach mal nichts zu machen. Er wusste gar nicht mehr wann er das zuletzt getan hatte: nichts tun. Doch irgendwann wurde ihm langweilig und er begann die Umgebung zu erkunden. Doch das ist ein anderes Abenteuer, das bestimmt irgendwann mal erzählt wird …
    Unsere Geschichte beginnt später, nachdem Xardas und der namenlose Held von den Vorgängen in Myrtana immer unruhiger wurden. Sie befanden sich gerade in Xardas Lesezimmer, als sie zu streiten begannen.
    „Die Orks werden wieder stärker und das Volk ist viel zu geschwächt vom letzten Krieg, um sich zu wehren. Ich gehe zurück, um ihnen zu helfen“, erklärte er entschieden.
    „Findest du nicht, dass du schon genug für das Volk von Myrtana getan hast? Du hast den Schläfer besiegt, die sechs großen Drachen erschlagen und Myrtana von der Herrschaft der Orks befreit. Irgendwann muss es doch mal genug sein. Wenn sie selbst das jetzt nicht schaffen, dann ist ihnen auch nicht mehr zu helfen,“ antwortete Xardas forsch.
    Der Held fand, dass der Dämonenbeschwörer durchaus Recht hatte, aber das wollte er ihm nicht sagen. Er wollte aus zwei Gründen zurück: Zum einen wollte er seinen Freunden und wenn noch Zeit blieb, den anderen Leuten in Myrtana helfen und zum anderen war es hier recht langweilig nach seinem letzten Abenteuer geworden. Die aggressive Fauna hatte die Angewohnheit sich erst gegen ihn aufzubäumen, anzugreifen und dann fast restlos zu verschwinden. Und dann saß er da … ohne Abwechslung.
    Er musste also schnell Argumente für seine Rückkehr finden. Er lechzte nach einem neuen Abenteuer. Am besten irgendwas mit uralten Tempeln, gruseligen Monstern, vielen Nahtoderfahrungen und … Fallen. Naja gut, wenn er es sich recht überlegte könnte er gut und gerne auf die Fallen verzichten.
    „Aber wenn ich jetzt nicht zurückgehe und ihnen helfe, war doch alles umsonst. Die Orks werden die Herrschaft wieder an sich reißen und die Menschen versklaven.“
    Es war das Erste was ihm eingefallen war, aber es schien gut genug zu sein, um Xardas ins Grübeln zu bringen.
    „Doch dann mischt du dich wieder ein und wir hatten abgesprochen, dass damit Schluss ist“, sagte Xardas schnell, um ihn umzustimmen.
    „Was heißt abgesprochen? Du hast die Lage erklärt und gemeint, dass wir das Gleichgewicht der Welt wieder herstellen, aber davon sehe ich nicht sehr viel. Außerdem bin ich auch mitgekommen, weil ich auf der Suche nach neuen Abenteuern war, “ rutschte es ihm unversehens heraus.
    Xardas hob eine Augenbraue.
    „Die hattest du doch gehabt.“
    Der Held wusste einen Moment nicht was er sagen sollte. Wie sollte er aus diesem Engpass wieder herauskommen, ohne, dass es so aussah, als wollte er nur einfach mal wieder so richtig auf den Putz hauen?
    „Myrtana braucht mich.“
    ‚Ja, das ist gut‘, dachte er sich. ‚Das klingt so richtig heroisch.‘
    „Ich werde gehen und du kannst mich nicht aufhalten.“
    „Und ich soll dann hier ganz allein dahinvegetieren?“ fragte Xardas mürrisch.
    Zuerst war der Held etwas hilflos angesichts dieser Frage.
    „Du hast doch Hugo.“
    Er zeigte auf das staubfegende Skelett, das gerade eine Ecke des Turms entstaubte, doch ihm fiel schnell wieder ein, dass Hugo kein besonders gesprächiger Genosse war.
    „Oder du kommst mit, oder ziehst woandershin. Die Welt ist so groß. Wolltest du wirklich, dass wir den Rest unseres Lebens genau hier verbringen?“
    Er fand, dass sich das sehr merkwürdig anhörte.
    „Nein, natürlich nicht“, knurrte Xardas. „Aber muss es ausgerechnet Myrtana sein?“
    „Ja, weil ich die Leute dort kenne und die aus anderen Ländern eben nicht.“
    Fast hätte er gesagt, also ist mir egal, was aus denen wird, aber er war froh, dass er es sich noch verkneifen konnte, das hätte bestimmt nicht sehr heldenhaft gewirkt.
    Dieser simplen Aussage konnte Xardas zuerst nichts mehr entgegensetzen.
    Der Held war sicher diesen Disput beendet zu haben und da er dank magischer Hosentasche alles dabeihatte, was er brauchte, ging er schnurstracks die Treppe des muffigen Turms hinunter und entschlossen den Weg entlang, den sie vor einiger Zeit gekommen waren. Plötzlich erschien Xardas auf dem staubigen Weg vor ihm. Er hatte sich teleportiert.
    „Warte. Ich kann dich nicht gehen lassen. Wenn du jetzt gehst, dann stürzt du die Welt ins Ungleichgewicht.“
    „Wie meinst du das?“ fragte der Held irritiert.
    „Was glaubst du wird passieren, wenn du alle ihre Probleme wieder einmal gelöst hast? Bestimmt werden sie dich als ihren Herrscher ernennen und mit dir auf dem Thron hätte Myrtana eine viel zu große Macht.“
    Der Held war überrascht, was sich in seiner von Unglauben zerfurchten Stirn wiederspiegelte.
    „Wie kommst du denn darauf? Ich als König? Das wäre in etwa so … als würde man eine Feldrübe zum König ernennen. Ich hab überhaupt keine Ahnung wie man ein Land regiert. Nein, mich würde nie jemand als König haben wollen.“
    Xardas hatte die Arme vor der Brust verschränkt.
    „Und ob. Das Volk liebt Helden, die kämpfen können und Leute, die ihre Probleme lösen und du kannst beides. Also geh nicht!“
    Es folgten noch mehre Wiederworte, die immer schärfer wurden und daraufhin ein kurzes Gerangel, dass der Held für sich entschied. Enttäuscht zog sich Xardas in seinen Turm zurück, während der Held seine Schritte entschlossen Richtung Myrtana lenkte. Auf in ein neues Abenteuer!
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 18:48 Uhr) Grund: Sig aus! ;)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Er ist wieder da

    In Myrtana angekommen realisierte der Held, dass es noch schlimmer war als gedacht. Die Bevölkerung war noch weiter dezimiert und er fragte sich, wie viele Menschen überhaupt noch in Myrtana lebten. Es konnten nur noch einige hundert sein, es sei denn sie versteckten sich alle an Orten, von denen er nichts wusste... Aber egal, schließlich war es das wichtigste erstmal die Orks loszuwerden. Und wie immer hieß es: „Alles muss ich alleine machen!“
    Deswegen packte er endlich wieder Beliars Klaue aus. Sie war zu mächtig für einfache Gegner, weswegen die Kämpfe langweilig wurden und das war ein Grund warum er sie schon länger nicht mehr benutzt hatte. Der andere war, dass die Klaue eine merkwürdige Anziehungskraft auf ihn hatte. Er hatte sie gebraucht, um gegen die Drachen zu bestehen und als er den untoten Drachen besiegte, hielt er es für besser das Schwert in einem entlegenen Winkel seiner Hosentasche zu verstauen, um sich dessen Beeinflussung etwas zu entziehen. Jetzt, als er das Schwert endlich wieder in den Händen hielt, war ihm unbegreiflich, wie er es eine so lange Zeit nicht hatte anlegen können.
    Da! Ein Ork! Sofort hin!
    Er stürmte los und mit einem wilden Angriffsschwinger wischte er dem Ork einen kräftigen Schnitt in die Brust. Der Ork war völlig überrumpelt und bevor er noch seine Waffe ziehen konnte, hatte er ihm links und rechts eine verpasst und ein heller Blitz zuckte auf und streckte seinen Feind nieder.
    ‚Oh Junge, was für ein Gefühl,‘ dachte der Held und freute sich.
    Wie hatte er es nur ohne dieses Schwert ausgehalten? Irgendwo musste doch ein Beliarschrein sein, an welchem er das Schwert weiter aufwerten konnte.
    Von dem Radau angelockt, kamen brüllend vier weitere Orks hinzu. Sie waren völlig außer sich über den Tod ihres Kameraden und wollten ihn rächen. Der Held verpasste dem ersten einen empfindlichen Schlag in den Bauch, tänzelte dann nach rechts, um ihm und seinen Kameraden auszuweichen und setzte ihnen von hinten zu. Schon waren die ersten beiden Tod und der dritte sank durch einen Blitzangriff grollend zu Boden. Der letzte Ork war schockiert über das plötzliche Ableben seiner Begleiter und wusste einen Moment lang nicht, ob er weglaufen oder angreifen sollte. Diese Unentschlossenheit nutzte der Held aus und schlug ihm kurzerhand erst gegen die Kniescheiben, sodass sein Feind wegknickte und dann den Kopf ein. Mit Blut bespritzt sah der namenlose Held dann glücklich auf. Was für ein schöner Tag.


    Es dauerte nicht lange bis er vor Trelis stand. Die Stadt war in der Herrschaft der Orks, doch nicht mehr für lange. Der Held warf kurzerhand einen Geschwindigkeitstrank ein und stellte sich an verschiedenen Stellen der großen Mauer und wirkte einige Mal Feuerregen. Innen wurde es jetzt richtig heiß und er hörte die entsetzten Schreie der Orks, die jämmerlich verbrannten. Unter lautem Getöse ging das schmiedeeiserne Tor auf und ein wütender Trupp kam ihm Staub aufwirbelnd entgegen. Schnell wirkte er eine Eiswelle und kümmerte sich dann zuerst um die Orks, die nachkamen, weil sie nicht von der Magie betroffen waren. Mit ein paar gezielten Schlägen waren sie niedergestreckt, so dass er sich jetzt zu den Eingefrorenen umwandte. Fast taten sie ihm leid, wie sie da hilflos im Eisblock steckten und nur zusehen konnten, wie er sie niedermetzelte. Es erinnerte ihn daran, wie er in der Nähe von Onars Hof in ein altes Paladingrab eingestiegen war. Es hatte vor Skelettmagiern gewimmelt und sie hatten ihn liebend gern eingefroren, so dass ihre Skelettkrieger dann auf ihn, hilflos wie er war, einprügeln konnten. Damals wäre er fast umgekommen, hätte er nicht einen Feuerregen gewirkt, um dem Spuk ein Ende zu bereiten.
    In Erinnerungen versunken, hatte er einen Moment nicht achtgegeben, was die Realität mit einem schlimmen Axtschlag in den Rücken quittierte. Blutend sank er zu Boden. Der große Ork hinter ihm lachte und wollte ihm mit einem zweiten Schlag den Gar ausmachen. Der Held verzog grimmig das Gesicht und schoss einen Feuersturm auf seinen Feind. Brüllend und kokelnd brach der zusammen und regte sich nicht mehr. Der Held konnte seine Beine nicht bewegen. Es fühlte sich zumindest so an, als hätte der Ork ihm den gesamten Rücken zertrümmert. Mit zitternden Händen griff der Held in seine Hosentasche und kramte nach einigen Heilelixieren. Er fand was er suchte und schüttete sich die Tränke in den Rachen. Es dauerte einen Moment, aber die Flüssigkeit entfaltete schnell ihre Wirkung. Der Recke stand auf und klopfte sich den Staub von den Klamotten. Er musste vorsichtiger sein. Er überlegte, dass er sich vermutlich zu sicher war. Kaum ein Gegner war noch eine wirkliche Gefahr für ihn, was ihn nachlässig werden ließ.
    Er sah sich in Trelis um, wo er noch einige Orks vorfand. Bald waren sie nicht mehr da.
    Er plünderte was er finden konnte und war erfreut einen Beliarschrein zu entdecken. Dieser befand sich in einem Raum, der extra für das Gebet vorgesehen war. Es gab keinen Wandschmuck und keine anderen Gegenstände, die vom Schrein ablenken würden. Hier konnte er die Klaue weiter aufladen. Er kniete sich nieder und betete zu Beliar. Das vertraute Gefühl des Lebensentzugs durchfuhr ihn, als der dunkle Gott seine Bezahlung einforderte. Sollte er sie bekommen. Der Held hatte sein Schwert. Liebevoll strich er über die Klinge und stand dann auf.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 18:49 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Mit Lester am Lagerfeuer

    Mithilfe der Klaue Beliars hatte er bald komplett Mittland von den Orks gesäubert. Das Schwert war einfach der Wahnsinn. Er wollte es am liebsten nie wieder ablegen. Die überlebende Bevölkerung begegnete ihm mit einer Mischung aus Ehrfurcht, Jubel und dem üblichen Ansturm an Problemen. Liebend gern nahm er sich ihrer Aufgaben an, denn so hatte er die Chance ihm noch unbekannte Orte zu erforschen und völlig neue Abenteuer zu erleben. Einmal landete er auf der Suche nach einem verlorenen Amulett in einer alten Gruft, die von Skeletten und Zombies bewohnt wurde. Er machte sich einen Spaß daraus die knochigen Gesellen mit Feuerbällen zu bewerfen und die wandelnden Leichen für Zielübungen zu benutzen. Mit der Klaue Beliars wäre es viel zu einfach gewesen und es sprach nichts dagegen sich im Fernkampf zu üben. Da, das musste er einfach zugeben, war er recht schlecht. Selbst nach fünf Schüssen konnte er froh sein, wenn ein guter Treffer dabei war, der seinem Feind auch wirklich schadete. Bald hatte er das Amulett gefunden und streunte weiter durch den Wald in der Nähe von Okara. Völlig unvermittelt traf er dort auf Lester, der einfach so mitten im dichten Wald an einem gemütlichen Lagerfeuer saß. Die Szene kam ihm vertraut vor. Er erinnerte sich, wie er kraftlos und halb verhungert aus Xardas Turm gewankt war und dann versteckt unten im Tal einen warmen Feuerschein erblickt hatte, wo er dann Lester vorfand.
    „Hallo Lester. Was machst du denn hier?“
    „Oh, hallo du“, sagte Lester erfreut, über die plötzliche Anwesenheit seines Freundes. „Ich ruh mich hier aus.“
    „Was auch sonst“, antwortete der Held, zwinkerte ihm zu und setzte sich neben ihn.
    Vielleicht verstand Lester den Witz dahinter nicht. Aber als die Barriere gefallen war und er fortan auf der restlichen Insel Khorinis ständig neue Abenteuer zu bestehen hatte, hatte er es ulkig gefunden, wenn er gerade einen schwarzen Troll getötet, Raven bezwungen oder die Drachen im Mienental erlegt hatte und wenn er Lester fragte was er tue, dieser immer sagte: „Erstmal ruhe ich mich aus.“ Da hatte er sich dann immer gefragt von was eigentlich, aber später, als er Zeit hatte darüber nachzudenken und sich in seinen Freund hineinzuversetzen war ihm aufgegangen, dass Lester in dieser Zeit vermutlich unter schrecklichen Kopfschmerzen litt, weil der Schläfer besiegt und Beliar alles daranzusetzen schien eine Armee von Suchenden auf die Beine zu stellen. Er wüsste nicht, was er getan hätte, wenn Lester auch zu so einem Typen geworden wäre. Hätte er ihn töten können? Sein Magen verkrampfte sich. Er wollte lieber nicht daran denken. Zum Glück hatte Lester dem Wahnsinn wiederstanden und deshalb sah er es gar nicht mehr so eng, dass er sich damals hauptsächlich ausgeruht hatte. Außerdem … wenn jemand wusste wie man sich einen schönen Tag machte, dann Lester.
    „Ich wusste gar nicht, dass du wieder im Land bist. Von Gorn hatte ich vor ein paar Tagen aber gehört, dass die Orks auf dem Rückzug sind. Da hätte ich mir ja eigentlich denken können, dass du dahinter steckst.“
    Lester grinste und steckte sich dann einen Sumpfkrautstengel an. Er würde es zwar nie zugegeben, aber der Held hatte den Geruch von Sumpfkraut vermisst. Es erinnerte ihn daran, wie er damals im neuen Lager Sumpfkraut an die Banditen und Söldner verkauft hatte. Aus einem plötzlichen nostalgischen Reflex heraus fragte er: „He Lester, hast du auch einen Stengel für mich?“
    „Klar, hier.“
    Sein Freund gab ihm etwas ab und so saßen sie eine Weile einfach nur da, rauchten und schwiegen sich an. Es war aber kein unangenehmes Schweigen, sondern eins, das zeigte, dass man einfach im Reinen mit der Welt und zufrieden war, so wie die Dinge gerade liefen.
    Die Nacht brach herein. Es war sehr still. Keine Geräusche von Wildschweinen, kein Scavengerschrei, kein Knurren von Schattenläufern.
    ‚Komisch‘ dachte sich der Held.
    Irgendwann fragte ihn Lester doch nach seinen letzten Abenteuern im unbekannten Land. Der Held fand das ungewohnt, denn bisher hatte ihn eigentlich keiner seiner Freunde direkt über seine Erlebnisse ausgefragt, was jetzt wo er so darüber nachdachte eigentlich komisch war. Kurzentschlossen erzählte er Lester von seinen Abenteuern. Er war kein besonders guter Erzähler. Viel zu trocken redete er selbst von den gefährlichsten Situationen. Er überlegte, dass er wohl lernen musste, es spannender zu erzählen. Lester war aber trotzdem ein guter Zuhörer.
    „Da hast du ja ganz schön was erlebt. Hier war es etwas anders. Die Orks haben das Machtvakuum ausgenutzt und sind wieder erstarkt. Naja, bis jetzt.“
    Er zwinkerte ihm erneut zu.
    Lester erzählte ihm, dass die Nahrungsmittelversorgung fast komplett eingebrochen war. Felder gab es ja schon lange nicht mehr. Die Orks hatten noch vor der damaligen Ankunft des Helden in Myrtana dafür gesorgt, dass sie unbrauchbar wurden, damit das Volk Hunger litt. Die Menschen waren also schon früher auf das angewiesen, was sich in den Wäldern und Feldern tummelte oder wuchs. Er erzählte, dass es aber gar nicht so einfach war, noch etwas zu finden. Wildschweine und Ripper waren wie vom Erdboden verschwunden.
    „Gestern habe ich mal ein Wildschwein gesehen, das sich dann aber schnell versteckt hat“, sagte Lester aufgeregt, als wäre es ein so seltenes Geschöpf wie ein Drache.
    Schuldbewusst drehte der Held Däumchen. Als er damals in Myrtana unterwegs war, hatte er jedes Vieh zur Strecke gebracht, dass ihm in die Quere kam. Offenbar hatten sich die Bestände noch längst nicht erholt. Er beschloss die Tiere fürs erste in Ruhe zu lassen und hoffte, dass sich bald wieder welche ansiedelten. Sonst würden künftige Generationen Menschen vielleicht selbst dann zum Helden ausrufen wenn sie ein Molerat töteten, einfach, weil es nichts Gefährlicheres mehr gab.
    „Was machen denn die anderen Jungs?“ fragte der Held nach seinen anderen Freunden.
    „Gorn kämpft bei Gotha gegen die Orks. Diego hat in Varrant ein Handelsimperium aufgebaut und Milten bildet zusammen mit den verbliebenen anderen vier Feuermagiern, oben im Kloster von Nordmar, neue Novizen aus.“
    „So viele Feuermagier gibt es ja nicht mehr“, sagte der Held nachdenklich.
    „Stimmt, darüber habe ich noch nie so richtig nachgedacht“, gab Lester zu. „Aber da gab es doch noch dieses Kloster auf Khorinis, richtig?“
    „Ja, aber da sind auch nur …“ Der Held zählte die Personen an den Fingern ab. „….zwölf Feuermagier. Es gibt also nur noch zweiundzwanzig Feuermagier für ein ganzes Land. Die Novizen nicht mitgezählt.“
    „Klarer Fall von Unterbesetzung“, schmunzelte Lester.
    Es war Galgenhumor. Lester wusste genauso gut wie der Held, dass die Feuermagier wichtig waren. Sie konnten Heilzauber wirken, so die Bevölkerung heilen und jetzt wo es kaum noch Paladine gab, war ihre magische Unterstützung im Kampf gegen die Orks wichtiger als je zuvor.
    „Aber jetzt bist du ja da. Wenn du da bist, wird alles gut“, sagte Lester dieser Sache völlig sicher.
    Das beunruhigte den Helden. Schon früher hatte er dieses unerschütterliche Vertrauen in ihn unheimlich gefunden. Es war ihm, als würde sich eine unsichtbare Last auf seine Schultern legen. Lester meinte es natürlich gut, aber es war diese Erwartungshaltung, die den Helden störte. Was wäre, wenn er es doch nicht schaffte? Oder anderweitig enttäuschte? Die Menschen um ihn herum sahen ihn immer als Helden, aber eigentlich war er doch nur ein Abenteurer, der sich seinen Weg manchmal auch mit unlauteren Methoden bahnte, alles abmetzelte was ihm in den Weg kam, hin und wieder plünderte und manchmal einen Taschendiebstahl beging. Konnte man so jemanden wirklich als Helden bezeichnen? In dieser Welt vermutlich schon.
    „Was hast du jetzt vor?“ wollte Lester wissen.
    Er wartete gespannt auf eine Antwort.
    „Erstmal die Orks aus Myrtana vertreiben und dann … mal sehen. Einen richtigen Plan gibt es nicht. Ich denke, ich lass das so auf mich zukommen.“
    „Hm…“
    Lester schien nicht ganz zufrieden. Vielleicht hatte er etwas beeindruckenderes erwartet.
    „Wie wärs, wenn wir dir helfen? Gorn ist sicher mit dabei und Diego und Milten kriegen wir bestimmt auch überredet.“
    „Hört sich gut an“, sagte der Held, der eigentlich gar keiner sein wollte, und lächelte.
    Er würde sich sehr freuen zusammen mit seinen Freunden ein neues Abenteuer zu erleben.
    Geändert von Eispfötchen (05.06.2023 um 20:11 Uhr)

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    Durch die erbarmungslose Kälte von Nordmar

    Der namenlose Held und Lester brachen zuerst nach Gotha auf, um Gorn dort abzuholen. Der hatte sich offenbar schon denken können, dass der Held wieder da war, denn er ließ sich keine Überraschung anmerken. Schnell war er bereit sich seinen beiden Freunden anzuschließen, um die Orks aus dem Norden zu beseitigen. Bald waren sie in die unendlichen Verwinkelungen von Normar vorgedrungen und hatten es nach einigen Verirrungen doch geschafft zum Kloster der Feuermagier vorzudringen. Die Wache erkannte den Helden und ließ sie ohne weiteres hinein. Kurzerhand quatschte der Held den nächstbesten Novizen an und fragte nach Milten. Der Novize sah den Helden mit großen Augen an, vermutlich wusste er wer er war und was er vollbracht hatte und erklärte sich eilig bereit sie zu ihm zu führen. Der Novize geleitete sie durch das altehrwürdige Kloster zu einem großen Raum, in dem der Unterricht stattfand. Dort hockten die Novizen auf Bänken und hörten dem erfahreneren Feuermagier zu, der ihnen gerade die Erstellung von Heiltränken beibrachte und sie ermahnte, alles aufzuschreiben, weil sie den Trank nächste Woche selbst brauen sollten. Milten war überrascht sie zu sehen, vor allem mit dem Helden hatte er nicht gerechnet. Seine Schüler drehten sich neugierig zu den Neuankömmlingen um und als sie den Helden erkannten, erstarrten einige vor Ehrfurcht. Der Held fand das komisch, so merkwürdig hatten sich die Leute noch nie benommen. Vermutlich kam das, weil er eine Zeit lang nicht mehr im Land gewesen war. Vielleicht hatten die Leute dadurch vergessen, dass er eigentlich ein ganz normaler Typ war.
    "Wir beenden den Unterricht für heute", sagte Milten rasch zu seinen Schützlingen, um sie los zu werden.
    Diese beeilten sich aber nicht gerade mit dem hinausgehen, in der Hoffnung noch etwas von der kommenden Unterhaltung mitzukriegen.
    "Was macht ihr denn hier?" fragte Milten erstaunt.
    "Auch schön dich wieder zu sehen Milten", sagte der namenlose Held gut gelaunt.
    "Wir sind hier, um die Orks zu Beliar zu jagen", erklärte Gorn unumwunden.
    "Du machst doch mit, oder?" fragte Lester hoffnungsvoll.
    "Ähm..."
    Milten dachte schnell nach. Eigentlich hatte er ja hier seine Pflichten. All die Novizen, die unterrichtet werden sollten und dann noch seine Studien. Immerhin hatten sie es geschafft die Runenmagie wieder zurück in die Welt zu holen, das war doch schon mal eine gewaltige Leistung, aber eigentlich wollte er den Zusammenhang zwischen Runen und alter Magie noch weiter erforschen. Andererseits wäre es sicher auch mal wieder schön loszuziehen. Ach was solls... "Klar komme ich mit."
    Er packte schnell ein paar Spruchrollen, Runen, Heil- und Manatränke ein und folgte dann seinen Freunden, die schon draußen warteten und mit dem Alchemisten Innostian redeten, der gerade von seinem neusten Experiment erzählte, dass ihm einen riesigen Brandfleck auf seine ohnehin abgewetzten Klamotten eingebracht hatte.
    „Sag Meister Altus Bescheid … ich bin mal kurz weg“, wandte sich Milten an den Alchemisten.
    „Ja, und er kommt irgendwann wieder“, fügte der Held wenig hilfreich hinzu.
    Innostian sah ihnen verwundert hinterher.
    „Musste das sein?“ fragte Milten den Helden.
    „Was denn?“
    Der Held zwinkerte ihm zu.
    „Ach komm, das wird bestimmt lustig. Wann hast du das letzte Mal so richtig ein paar Orks verkohlt?“
    „Ich glaube das war auf meinem ersten Weg hierher ins Kloster.“
    „Das ist ja schon ewig her!“ sagte der Held mit gespielter Empörung. „Wie hast du das nur so lange ausgehalten? Der Geruch von verkokeltem Orkfell am Morgen … Ich kann’s kaum erwarten.“
    „Gab es etwa keine Orks auf dem Weg hierher, oder warum ist er nicht ausgelastet?“ fragte Milten flüsternd Lester, während Gorn und der Held vorneweg gingen.
    „Es waren welche da …“ gab Lester zaghaft zu.
    Sie waren noch nicht weit gekommen, da zog ein ausgewachsener Schneesturm auf. Milten war dafür einen Unterstand zu suchen und es auszusitzen, aber der Held wollte nichts davon hören.
    „So ein Schneesturm macht die Sache doch erst richtig interessant.“
    Gorn wollte nicht als Schwächling dastehen und erhob deswegen keine Einwände. Lester gab sich stillschweigend geschlagen. Der Schneesturm nahm ihnen jede Sicht, so dass sie nicht sagen konnten, ob sie überhaupt auf dem richtigen Weg waren, oder nicht doch kurz vor einer Klippe standen und geradewegs in einen Abgrund hineinliefen.
    Milten bekam das Gefühl, es konnte dem Helden nicht gefährlich genug sein. Der eiskalte Wind wehte und zerrte an ihren Klamotten und es fühlte sich so an, als würde jede Schneeflocke eine eisige Messerklinge sein.
    Kalt!“ kam es von Lester.
    Er klapperte mit den Zähnen. Weil sie auf Orkjagd waren, trug er seine schwere Novizenrüstung, hatte aber wegen der Kälte den Umhang übergeworfen, den er immer in Varrant beim Sumpfkrautanbau getragen hatte. Nur war dieser Umhang eigentlich für eine Wüste gemacht. Auch dort konnten die Nächte sehr kalt sein, aber hier fühlte er sich wie in einem einzigen Eisblock.
    „Jammer nicht rum!“ sagte Gorn forsch. „Ich hab nur eine kalte Rüstung an und hörst du mich rumnörgeln?“
    „Ich hab nur gesagt, dass es kalt ist.“ wehrte sich Lester.
    „Ruhe dahinten! Hat einer eine Ahnung wo wir sind?“ fragte der Held durch den heulenden Sturm.
    „Ich dachte du weißt das.“ grummelte Gorn. „Ich war vorher noch nie hier oben.“
    „An diesem Baumstamm sind wir bestimmt schon drei Mal vorbeigelaufen“, sagte Lester zähneklappernd und zeigte mit zitternden Fingern auf einen uralten Stamm.
    „Ach die gibt es hier überall“, versuchte sich der Held herauszureden.
    „Wo gehen wir eigentlich hin?“ stellte Milten die alles entscheidende Frage.
    „In so eine Erzmiene, die muss irgendwo in der Nähe des Hammerklans sein. Aber ich weiß nicht mehr genau wo. Es ging irgendwo einen Abhang hinunter.“
    „Hört sich sehr aufbauend an“, gab Milten zynisch zurück.
    Der Held führte sie weiter durch den Schneesturm. Beim Gehen sanken sie bis zu den Knien in den Schnee ein und waren bald vollkommen durchnässt und durchgefroren.
    „Da! Hier an diesem Felsen links vorbei!“ dirigierte er sie weiter.
    „Ja, weil es ja nur diesen Felsen gibt, der so aussieht“, murrte Lester, der schon seit einiger Zeit erfolglos versuchte sich einen Sumpkrautstengel anzuzünden.
    Schließlich ließ er es bleiben und steckte ihn mit zitternden Fingern zurück in die Jackentasche. Er wäre fast mit dem Helden zusammengestoßen, der urplötzlich stehen geblieben war.
    „Da! Ich habe Orks gehört. Angriff!“
    Er zog die Klaue Beliars und stürmte in den wütenden Sturm hinein. Gorn hetzte ihm hinterher und Milten und Lester versuchten den Anschluss nicht zu verlieren. Sie hörten Kampfgeschrei und dann einen lauten Donnerschlag und sahen wenig später drei tote Orks im blutrot verfärbten Schnee liegen.
    Gorn steckte wütend die Waffe weg.
    „Lässt du uns auch noch kämpfen, oder sind wir nur zum rumstehen mitgekommen?“
    Schuldbewusst sah der Held ihn an.
    „Tut mir Leid, aber das Überraschungsmoment war so gut.“
    Er grübelte einen Moment nach. Dann leuchteten seine Augen auf.
    „Ich hab’s! Ich verwandle mich in einen Eiswolf und dann treibe ich euch die Orks zu.“
    Noch bevor die anderen etwas sagen oder Einwände erheben konnten, stand ein weißblauer Wolf vor ihnen und verschwand knurrend im Schneesturm.
    Die anderen warfen sich verwunderte Blicke zu.
    „Ich hab so das Gefühl, er hatte in letzter Zeit zu viel Langeweile.“ sagte Gorn.
    „Na immerhin ist ihm als Eiswolf bestimmt nicht kalt“, sagte Lester zähneklappernd.
    Sie folgten den rasch zuwehenden Spuren ihres Wolfsfreundes und hielten Augen und Ohren nach Orks offen. Der Held hatte inzwischen schon fünf Orks entdeckt, die sich unter einem Felsüberhang an einem Feuer zusammengekauert hatten und einen Hirsch brieten. Wie aus dem nichts kam er todesmutig aus dem Schneesturm gesprungen und versenkte die Zähne im rechten Arm des nächstbesten Ork. Seine Feinde sahen vollkommen überrascht auf das Tier und zogen dann ihre Schwerter und Äxte. Sie schrien etwas, das vielleicht „Was ist das für ein beklopptes Vieh?“ bedeutete.
    Der Eiswolf ließ sein Opfer los, sprang zur Seite, um dem Schwinger einer riesigen Axt auszuweichen, die ihn ansonsten in zwei Teile gespalten hätte und glitt durch die Beine eines weiteren Angreifers, sprang herum und biss dem nächsten Ork von hinten in die Wade. Er wollte sie dazu bringen ihm zu folgen, damit sie seinen Freunden in die Arme laufen würden. Dass es eigentlich viel zu viele Orks waren, das war ja erstmal egal. Sein Plan ging auch überhaupt nicht auf. Er kam gar nicht dazu ihnen zu entwischen, denn die Orks schnitten ihm den Weg ab. Irgendwann verließ ihn sein Glück und ein Schwert traf ihn am oberen rechten Vorderbein. Jaulend brach er zusammen. Schnell näherten sich seine Feinde. Vom Boden, sahen die Orks noch viel größer aus, als ohnehin schon. Aus dem Augenwinkel sah er ein Flackern und plötzlich fing die ganze Bande Feuer. Seine Freunde waren da. Milten hatte die Situation, dass die Orks alle beieinander standen ausgenutzt und einen Feuersturm gewirkt. Sie drehten sich zu ihren neuen Gegnern und bekamen eine Doppelaxt zu spüren. Meisterlich wirbelte Gorn sie herum und durchbrach mit ungeheurer Kraft jede Blokade. Ein Ork wollte ihn von der Seite angreifen, doch Lester zog ihm mit seinem Kampfstab die Füße weg, so dass er in den Schnee fiel und Milten verpasste ihm einen Feuerball. Kurze Zeit später war der Kampf vorbei. Die Freunde atmeten schwer.
    „So, jetzt ist mir nicht mehr kalt.“ sagte Lester, der völlig unversehrt war.
    Gorn trank einen Heiltrank, damit das Blut aufhörte aus seiner Seite zu spritzen. Einmal hatte eine Axt seine Rüstung durchbrochen. Doch durch den Trank verheilte die Wunde schnell.
    Lester und Milten gingen zu ihrem Wolfsfreund hinüber, der in einer großen Blutlache im Schnee lag. Er verwandelte sich in seine menschliche Form zurück, blieb aber noch am Boden liegen, um erstmal das Ausmaß des Schadens zu begutachten. Als Wolf trug er natürlich keine Rüstung und so hatte sich die Orkaxt ungehindert einen Weg bahnen können. Sein rechter Oberarm war fast vollständig durchtrennt und er hatte jede Menge Blut verloren.
    „Bist du in Ordnung?“ fragte Lester besorgt.
    Milten runzelte die Stirn.
    „Was ist das denn für eine Frage, du siehst doch wie es um ihn steht.“
    „Ach was, das ist doch nur ein Kratzer“, sagte der Held abwehrend.
    „Nur ein Kratzer? Dein halber Arm ist ab!“ gab Milten zu bedenken.
    „Ach das ist doch nur eine Fleischwunde“, versuchte der Held das Problem klein zu reden.
    „Eben wars noch ein Kratzer“, stichelte Lester.
    Der Held seufzte genervt, packte seinen verletzten Arm und legte ihn so hin, dass er auch wieder richtig zusammenwuchs, wenn er den Heilzauber sprach. Gleißendes Licht umhüllte ihn und als es verlosch war der Arm wieder wie unversehrt.
    „So, ist doch kein Problem, seht ihr?“
    „Naja, wenn wir nicht da gewesen wären, um dich zu retten, dann wärst du jetzt tot“, gab Milten zu bedenken.
    „Wenn ihr nicht da gewesen wärt, dann hätte ich sie vermutlich einfach mit einem Feuerregen oder einer Eiswelle zur Strecke gebracht. Von mir aus können wir gleich losziehen und die nächsten Orks jagen“, hielt der Held dickköpfig dagegen.
    „Du hast trotzdem ganz schön viel Blut verloren. Ruh dich doch erstmal aus.“
    „Als wenn ich mich wegen so einem bisschen ausruhen müsste“, schrie der Held zurück.
    „Leute hört doch auf zu Streiten“, versuchte Lester zu schlichten.
    „Ja, setzen wir uns erstmal ans Feuer. Der Hirsch ist noch fast gänzlich unangetastet. Ich schlage vor, wir hauen uns erstmal den Bauch voll und warten bis dieser verdammte Schneesturm aufhört“, schlug Gorn vor und setzte sich schon mal an das schwächelnde Feuer, um es wieder in Gang zu bringen.
    Kurzerhand warf Milten einen Feuerball in die Feuerstelle, woraufhin Funken in alle Richtungen stoben. Er war besorgt, weil er fand, dass der Held sich viel zu leichtsinnig in vermeidbare Gefahren stürzte und sein Leben unnötigerweise riskierte und es machte ihn wütend, dass er es einfach so herunterspielte. Auch Gorn und Lester tauschten einen kurzen Blick, als würden sie sehen wollen, wie der jeweils andere darüber dachte. Der Held starrte einfach nur in die Flammen und wartete, dass das Fleisch wieder warm wurde.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 18:53 Uhr)

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    Durch die mörderische Hitze von Varant

    Sie blieben drei Tage in Nordmar, in denen der Held nicht Ruhe gab, bis auch der letzte Ork niedergeknüppelt wurde. Einige kurze Ruhestunden konnten sie in den Dörfern der Klans verbringen. Dem Held schien vollkommen egal, welche Tages- oder Nachtzeit oder welches Wetter gerade war. Scheinbar unermüdlich ließ er sich durch nichts von seiner Aufgabe abbringen. Als endlich der letzte Ork fiel, waren Milten, Lester und selbst Gorn total erschöpft und hofften, dass jetzt erstmal eine Pause fällig war.
    „Gut, jetzt wo wir hier vermutlich alle Orks erwischt haben, können wir ja nach Varant, Diego abholen und uns dort um die restlichen Orks kümmern“, sagte aber der Held völlig unbeeindruckt.
    „Die Restlichen?“ kam es fassungslos von Lester. „Soweit ich das gehört habe, sind das einige Heerschaaren.“
    „Nicht zu vergessen die Assassinen und Schwarzmagier“, erinnerte Milten den Helden.
    „Ach was, die waren früher doch auch kein Problem. Ich sehe nicht wieso sich das geändert haben sollte. Das kriegen wir schon hin“, sagte der Held, in der vollen Überzeugung, dass sich das ermutigend anhören würde.
    Gorn gab nur ein Grummeln von sich, reinigte seine Axt im Schnee vom Orkblut und sagte: „Na immerhin haben wir ein bisschen Erz aus den Mienen gekratzt. Ich hätte echt nicht gedacht, dass ich mich mal so freuen würde, wenn ich mit 10 Erzbrocken da stehe.“
    „So gings mir auch.“
    Der namenlose Held zwinkerte ihm zu.

    Am Pass von Nordmar nach Mittland berieten sie kurz wie sie gehen sollten, um möglichst schnell nach Varant zu kommen.
    „Einfach querbeet, diese Richtung wie ich zeige!“ sagte der Held und marschierte los.
    Die anderen sahen sich an und wussten jetzt warum sie früher kaum mit ihrem Freund unterwegs waren. Wer sollte denn das aushalten? Nach einem zwei tägigen Gewaltmarsch, von dem der Held behauptete sie wären langsam gegangen, erreichten sie endlich den Pfad, der nach Varant führte.
    „Endlich da“, schnaufte Lester und ließ sich kurzerhand zu Boden sinken.
    „Na gut, dann machen wir eben eine kurze Pause“, kam der Held seinen Freunden entgegen. „Früher wäre ich das gejoggt.“
    „Ist ja kein Wunder, dass du so schnell alles verändern konntest, wenn du so flott überall herumkommst“, sagte Lester keuchend.
    „Hm… möglich, “ kam es nur vom Helden.
    „Weiß einer wo wir Diego finden können?“ fragte Milten.
    „Das letzte Mal habe ich ihn in Mora Sul gesehen“, erklärte Lester atemlos.
    „Das wird schon, wenn wir eine Bank finden, dann finden wir auch Diego“, sagte der Held rätselhaft.
    Die anderen sahen ihn nur verwundert an, sagten aber nichts dazu. Besser die Zeit zum Ausruhen nutzen.
    In Braga füllten sie noch ihren Wasservorrat am Brunnen auf. Die ansässigen Dorfbewohner hatten überhaupt nichts dagegen. Sie kannten den Helden und erinnerten sich, wie er ihnen die Snapper vom Hals gehalten hatte und sie würden es sowieso nicht wagen ihn davon abzuhalten.
    Der Held hatte schon den Weg nach Mora Sul erkannt und trieb zum Aufbruch. Seinen Freunden blieb nichts anderes übrig als ihm zu folgen.
    „Meinst du nicht, es wäre besser hier zu rasten und dann morgen mit frischen Kräften weiterzugehen?“ fragte Lester diplomatisch.
    „Es wird bald dunkel, dann ist es auch nicht mehr so heiß und wir können ganz einfach durch die Wüste.“
    „Ahja, ganz einfach“, sagte Lester missmutig.
    Der Weg durch die Einöde war sehr anstrengend, aber der Held versicherte ihnen, dass es noch viel anstrengender wäre mitten am Tag in scharfem Schritt in voller Montur über die Sanddünen zu laufen und noch viel schlimmer wäre es, wenn dann noch ein Sandsturm aufkäme und man sich verirrte.
    Seinen Freunden war klar, dass ihm das alles schon passiert war und wagten nicht zu murren. Sie wussten, dass er das alles früher durchgemacht hatte, um Myrtana zu befreien und da sollten sie sich jetzt beklagen, wenn sie ein paar Tage lang auch mal mitanpacken sollten? Das wäre vermutlich sehr undankbar.
    Immerhin begegneten sie keinen Wüstentieren. Der Held hatte auch hier ordentlich gewütet, allerdings hatte er ein Löwenrudel an einer Oase am Leben gelassen. Fraglich war aber, ob die nicht längst verhungert waren.
    Der Mond ging auf und beleuchtete mit seinem fahlen Licht ihren Weg. Die Temperaturen sanken sehr schnell und es wurde kühl. Doch eigentlich war es ihnen ganz recht, vom Laufen waren sie sowieso schon durchgeschwitzt.
    „Hat irgendwer noch Wasser?“ fragte Gorn, der seins längst ausgetrunken hatte. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal so einen Durst haben könnte.“
    „Hier, ich hab noch genug“, sagte der Held und gab ihm von seinem Wasser ab. „Ich glaube, ich hab hier auch noch andere Wasserflaschen, wenn noch jemand will. Oh, und eine alte Milchflasche“, sagte der Held erstaunt, als er in seiner magischen Hosentasche herumkramte.
    „Das Zeug ist bestimmt längst Butter“, mutmaßte Lester wenig angetan. „Aber von dem Wasser nehm ich gern noch was.“
    Der Held gab ihm und Milten noch zwei Portionen leicht abgestandenes Wasser und dann setzten sie ihre Reise fort.
    „Das nimmt ja gar kein Ende“, murrte Gorn mit Blick auf den Horizont.
    „Ah ja, und wer jammert jetzt?“ stichelte Lester.
    „Ruhe da hinten, da vorne habe ich ein Orklager entdeckt“, zischte der Held.
    „Auch das noch“, kam es von Lester.
    „Folgt mir!“
    Der Held sprintete nach rechts in die Dünen und warf sich auf den Boden. Dort robbte er voran und spähte über die Düne. Seine Freunde kamen nach und warfen ebenfalls einen Blick zum Orklager.
    Sie konnten sieben Orks sehen, die mitten im nirgendwo ein Feuerchen entzündet hatten und sich daran wärmen.
    „Was machen die hier draußen?“ fragte Milten verwundert.
    „Ich schätze sie wollen Reisende überfallen, die diese Handelsroute nutzen“, überlegte Gorn.
    „Denke ich auch“, kam es vom Helden. „Ich könnte mich in einen Snapper verwandeln und sie herlocken.“
    „Ach komm, das hatten wir doch schon. Wir wissen doch wie das endet“, wehrte Lester wenig angetan ab.
    Der Held war beleidigt.
    „Snapper sind viel wendiger als Eiswölfe. Ich beiß da einen nur mal kurz und dann bin ich wieder weg.“
    „Nichts da! Wir pirschen uns ran, kreisen sie ein und greifen dann von allen Seiten an“, änderte Gorn den Plan.
    „Na schön“, stimmte Milten zu, bevor der Held sich vielleicht doch noch in einen Snapper verwandelte und losstürmte.
    Sie teilten sich auf. Lester und der namenlose Held umkreisten die Orks großräumig und kamen von hinten, während Milten und Gorn auf ein Zeichen des Angriffs warteten. Der Held beschwor zusätzlich noch ein Skelett, dass sie unterstützen sollte. Er pirschte sich bis auf dreißig Meter heran, warf dann einen Schockzauber auf den Orkanführer und preschte voran. Das war auch das Zeichen für die anderen loszuschlagen. Milten wirkten einen Feuersturm und Gorn kümmerte sich um einen großen Ork, der versuchte sich aus dem Staub zu machen, vielleicht um Hilfe bei einem benachbarten Lager zu holen. Der Held zückte die Klaue Beliars, wich dem ersten Angriffshieb eines Orks aus und trieb die Klinge dann mit einem hässlichen Knirschen der zerbrechenden Orkrüstung bis zum Heft in den Leib seines Feindes. Ein plötzlicher Feuerball ließ ihn herumfahren. Offenbar war einer der Orks ein Schamane. Lester griff ihn aber jetzt von hinten an und schlug ihm mit einer Stachelkeule auf den Hinterkopf. Der Ork brach bewusstlos zusammen. Der Held kam seinem Freund zu Hilfe, denn dieser sah nicht, dass ein anderer Gegner ihn ebenfalls von hinten skalpieren wollte. Er parierte den Schlag. Die schwere Orkaxt traf auf Beliars Klaue. Die Klinge knisterte unheilverkündend. Der Ork zog seine Axt zurück und wollte erneut zuschlagen, aber der Held war schneller. Ein rasanter Wirbel aus Kombinationsangriffen ließ seinen Gegner blutüberströmt zu Boden sinken. Er merkte wie sich die Klinge auflud und suchte sich schnell einen neuen Gegner. Den fand er einige Meter weiter, in einem Ork, der sich gerade auf Gorn stürzen wollte, nun aber von der Klaue Beliars mit einem Blitzangriff aufgehalten wurde. Der Donnerschlag grollte weit durch die Wüste.
    „Wenn das jetzt noch nicht jeder Ork in kilometerweiter Entfernung gehört hat, dann weiß ich auch nicht“, sagte Gorn kritisch.
    „Na hoffentlich, dann kommen sie alle auf einmal und wir müssen sie nicht einzeln suchen gehen“, sagte der Held grinsend.
    „Jah, na das sind doch tolle Aussichten“, kommentierte Lester mit Galgenhumor.
    Sie sahen sich um. Alle sieben Orks waren zur Strecke gebracht.
    „Was ist mit dem Skelett, ist das deins?“ fragte Milten.
    Er konnte die Missbilligung in seiner Stimme nicht ganz unterdrücken. Er wusste, dass der Held Skelette und sogar Dämonen beschwörte, damit sie ihm im Kampf unterstützten, aber er war nicht besonders glücklich damit.
    „Ja, das ist meins. Es hat den Job doch ganz gut gemacht, oder?“
    Das Skelett stand völlig reglos da. Seine Klinge und die bleichen Knochen, die im Mondlicht silbern schimmerten, waren voller Blut. Es hatte die Orks abgelenkt und im Getümmel einige entscheidende Treffer landen können.
    „Es ist nicht mehr weit bis nach Mora Sul“, sagte der Held, während er die Orks nach Brauchbarem absuchte.
    Er verstand gar nicht, wieso seine Freunde das nicht auch so machten.
    „Hier, euer Anteil.“
    Er warf ihnen je einen Lederbeutel mit Gold zu, das er gefunden hatte.
    „Vielleicht kann ich mir ja davon in Mora Sul ein paar neue Beine kaufen“, witzelte Lester und rieb sich die schmerzenden Füße.
    Sie setzten ihren Weg fort. Das Skelett folgte seinem Herrn etwa eine halbe Stunde, dann brach es völlig unvermittelt zusammen, so als hätte jemand unsichtbare Marionettenfäden durchschnitten. Lester, der neben dem Skelett gelaufen war, zuckte überrascht zusammen. Milten sah sich kurz um und seufzte dann erleichtert. Er hatte sich nicht besonders wohl mit ihrem untoten Kompagnon gefühlt. Gorn schien es egal zu sein. Der Held war ohnehin daran gewöhnt und zeigte überhaupt keine Reaktion.
    Der erste Schimmer des neuen Tages brach am Horizont an.
    „Da vorne ist es, da ist Mora Sul“, sagte der Held fröhlich und zeigte nach vorne.
    Als die Sonne sich über den Horizont schob, standen sie vor der Handelsstadt.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 19:01 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Diego in Schwierigkeiten

    In Mora Sul war es nicht schwer Diego zu finden, jedenfalls, wenn man wie der Held vorging und das hieß: Einfach den nächstbesten Passanten anquatschen und nach Diego zu fragen. Dieser Passant beschrieb ihm nicht nur detailliert den Weg, sondern warnte ihn auch davor mit Diego in irgendeiner Weise „abrechnen“ zu wollen, sollte er mit ihm Streit haben. Offenbar hatte er sich einige gute Wachen zugelegt und hatte auch kein Problem sich selbst die Hände schmutzig zu machen, sollte ihm jemand an die Kehle wollen. Der Held wunderte sich etwas darüber, denn als er letztes Mal hier war, kam es ihm nicht so vor, als wenn sich die Händler gegenseitig alle Nase lang meucheln wollten. Aber immerhin war Varant das Land der Assasinen …
    Auf dem Weg durch Mora Sul zogen sie alle Blicke auf sich. Den Held kannte so gut wie jeder und auch, dass einige schwer bewaffnete Kämpfer des Weges kamen war nichts Ungewöhnliches. Ein Feuermagier hatte sich aber bisher noch nicht nach Mora Sul getraut. Überall begegneten Milten feindliche Blicke, doch er kuschte nicht und starrte einfach zurück. Wenn sie Ärger wollten, konnten sie gerne welchen haben. Milten war eigentlich niemand, der auf Streit aus war, aber wenn es um Anhänger Beliars ging, dann konnte er auch mal die Samthandschuhe ausziehen.
    Sie fanden das Haus ihres Freundes in der Hauptstraße und vor dem Gebäude auf einer Bank saß: Diego.
    „Hallo alter Junge, wie laufen die Geschäfte?“ fragte der Held.
    „Wir haben schon gehört du hättest richtig gute Wachen, haben die gerade Frühstückspause oder was?“ fragte ihn Gorn spöttisch.
    Diego hatte sich zuerst zwar gefreut sie zu sehen, aber bei Gorns Worten verfinsterte sich sein Gesicht.
    „Die sind mir heute Morgen abgestochen worden. Genau genommen zwei davon, der dritte wurde vergiftet.“
    „Oh“, kam es von Gorn.
    „Was ist denn passiert?“ fragte Lester verwundert.
    „Das ist eine lange Geschichte. Kommt doch herein.“
    Diego stand auf und führte sie in sein Haus. Von außen sah es zwar aus wie alle anderen Häuser in Mora Sul, doch innen war es voll ausstaffiert. Der Boden war mit schönen Teppichen bedeckt, feinste Möbel standen in den Zimmern und kostbare Vasen und Bilder veredelten das Haus. Er lud sie ein sich zu setzen und brachte ihnen was zu trinken, damit sie ihren Durst löschen konnten.
    „Schönes Haus“, bemerkte Lester.
    „Ja, die Geschäfte scheinen gut zu laufen“, sagte Gorn freundlich.
    „Sicher, ich hab Gold wie Heu, aber was bringt einen das, wenn man bald tot ist?“
    „Nun spuck‘s endlich aus. Was ist los?“ fragte der Held unruhig.
    „Sei nicht immer so ungeduldig“, ermahnte Diego ihn.
    Er setzte sich zu ihnen und fing an es zu erklären.
    „Nachdem du Zuben getötet hast, fing hier alles an durcheinander zu geraten. Du erinnerst dich doch noch an Zubens Palast, oder?“
    „Natürlich. Richtig prunkvoll“, sagte der Held. „Überall feinstes Tuch, Feuerschalen und so ein Zeug. Der hatte sogar ein eigenes Schwimmbecken und Löwen, …“
    „… und schöne Frauen“, fügte Diego hinzu.
    „Stimmt, da war was“, grübelte der Held.
    „Der pure Luxus, du hast es erfasst. Natürlich will jetzt jeder Assasine, der was auf sich hält sein Nachfolger werden. In der Folge verdächtigt jeder jeden und einer bringt den anderen um oder lässt ihn umbringen. Das totale Chaos, sowas ist schlecht fürs Geschäft.“
    „Aber dir geht es doch gut“, bemerkte Milten, der sich immer noch nicht vorstellen konnte wie man überhaupt so viel Reichtum haben konnte.
    „Es geht ja noch weiter“, schnarrte Diego „Ich war schon immer ein Opportunist und kam deswegen viel besser mit den neuen Gegebenheiten zurecht als die Anderen. Schnell brachte ich viel Gold zusammen und bin heute vermutlich der reichste Mann in Mora Sul. Die anderen Leute in der Stadt neiden mir das und sähen mich nur allzu gern unter dem Sand der Wüste. Deswegen habe ich mir auch einige Wachen besorgt, allerdings waren sie offenbar nicht so gut wie ich dachte. Ich habe alle Hände voll zu tun mir Meuchelmörder vom Hals zu halten.“
    „Das hört sich ja schrecklich an“, sagte Milten, der sich nicht vorstellen wollte so zu leben.
    „Naja, vermutlich bin ich nur noch am Leben, weil ich im alten Lager genug Erfahrung mit solchen Situationen gesammelt habe, aber es wird halt anstrengend.“
    „Holst du dir jetzt neue Wachen?“ fragte Lester.
    Diego antwortete nicht gleich.
    „Mal sehen … es ist gar nicht so einfach vertrauenswürdige Leute zu finden. Jedenfalls hier in Varant. Für ein bisschen Gold mehr, lassen sich die meisten einfach umdrehen und ermorden dann ihren eigentlichen Herrn.“
    „Warum verkaufst du dann nicht einfach all deinen Krempel und gehst woandershin?“ fragte Gorn, der es wieder praktisch sah.
    „Nun, natürlich kennen die Händler in Mora Sul mich und sie erwarten, dass ich genau das tue. Für meine Sachen würden sie mir höchstens noch einen Bruchteil des eigentlichen Wertes geben.“
    „Eine vertrackte Lage“, murmelte Milten, der aber innerlich schon überlegte, wie er seinem Freund helfen konnte.
    „Vielleicht könnten wir diejenigen, die deinen Tod wollen zum Schweigen bringen?“ überlegte der Held.
    „Dann müsstet ihr schon halb Mora Sul umbringen“, sagte Diego und verschränkte die Arme vor der Brust.
    „Was ist wenn du deine Sachen wo anders verkaufst? Ich könnte mir vorstellen, dass sie im Mittelland oder in Nordmar viel mehr wert sind, als hier, weil man dort schlechter an solche Gegenstände herankommt“, schlug Milten vor.
    Diego dachte nach.
    „Das ist wohl wahr, allerdings … sieh dich mal um.“
    Er breitete seine Arme weit aus.
    „Wie soll ich all das Zeug mitnehmen?“
    Milten sah den Helden an und hob eine Augenbraue, um ihn aufzufordern etwas zu sagen. Als Magier wusste er natürlich von der magischen Hosentasche des Helden.
    „Also, ich könnte deine Sachen nehmen und wenn wir im Norden sind gebe ich sie dir bei einem Händler zurück, so dass du sie ganz einfach verkaufen kannst.“
    Diego fragte sich gerade, ob seine Freunde ihn veralbern wollten.
    „Ist das irgendein Scherz, oder so?“
    „Er hat eine magische Hosentasche“, erklärte Milten, weil der Held offenbar nicht mit der Sprache rausrücken wollte.
    „Was?“ fragte Diego irritiert.
    „Hast du dich nie gefragt wie ich es geschafft habe zehntausende Erzbrocken mit mir herumzuschleppen, all die Schwerter, Tränke, Spruchrollen, Jagdtrophäen und Pflanzen?“
    „Nun … so genau hab ich darüber nie nachgedacht“, gab Diego zu.
    „Ich wusste auch noch nichts davon“, erklärte Lester erstaunt.
    Gorn schüttelte ebenfalls den Kopf.
    „Wie kommst du zu so was?“
    „Das ist eine lange Geschichte, die ich ein andermal erzählen werde“, wimmelte der Held sie ab. „Von mir aus können wir es so machen, aber vorher würde ich gerne noch zu einem Händler gehen und etwas Krempel loswerden. Es ist zwar egal wie viel Zeug in der Tasche ist, aber wenn ich gerade mitten im Kampf bin und dann einen Heiltrank brauche und ewig danach suchen muss, ist das echt lästig.“
    Die anderen sahen verwundert aus, aber hatten natürlich nichts dagegen.
    „Macht es irgendeinen Unterschied zu welchem Händler ich gehe?“ fragte er.
    „Nein, die werden dich alle übers Ohr hauen“, antwortete Diego.
    „Dacht ich’s mir.“
    „Warte ich komm mit“, erklärte Lester und folgte ihm.
    Die anderen wollten lieber bei Diego bleiben und nicht schon wieder in diese Gluthitze hinaus.
    Der Held wählte den erstbesten Händler aus und der war zufälligerweise der dicke Hamid.
    „He, Interesse an einem Handel?“ fragte der Held.
    „Sicher doch. Was möchtest du haben, oder willst du was verkaufen?“ fragte Hamid geschäftsmäßig.
    „Was hast du denn da?“ fragte der Held, der eigentlich nicht unbedingt etwas kaufen wollte.
    Hamid hatte zufälligerweise, natürlich nur für kurze Zeit und für ihn zum Freundschaftspreis einige besonders qualitative Heil- und Manatränke in seinem Sortiment.
    Der Held zweifelte zwar an der Echtheit seiner Worte, aber schlimmer als irgendwo anders konnte es ja auch nicht sein. Schließlich hatte er schon Heiltränke in Varant erstanden und auch wenn sie vielleicht etwas überteuert waren und hin und wieder etwas gestreckt, so waren es doch Heiltränke und er musste sein Zeug loswerden und glaubte nicht, dass Hamid genügend Gold dabei hatte.
    „Hört sich gut an“, sagte der Held deswegen. „Ich tausche dafür ….“
    Der Held fing an seinen Krempel aus der magischen Hosentasche zu holen.
    „Einundsechzig Orkäxte, dreizehn Orkschwerter, ne Handvoll rostige Schwerter, ein Bastardschwert, vier grobe Zweihänder, einen Haufen Snapperkrallen und ich hab noch ein tolles Schattenläuferfell, nein warte, gleich drei, außerdem Trollfelle, Löwenfelle, Wolfsfelle, Krallen von Waranen, Knochen von Goblins, …“
    Er zählte noch einiges Zeug auf und warf alles auf einen ansehnlichen Haufen, der immer weiter anwuchs.
    Lester sah verwundert auf den Haufen und flüsterte dem Helden zu: „Ich bin ja kein großer Geschäftsmann, aber wenn du deinen Krempel da so hinschmeißt schlägst du bestimmt keinen guten Preis raus.“
    „Weiß ich, aber wenn ich jetzt um jedes Stück feilsche, stehen wir noch morgen hier, ich hab das alles schon durch, glaub mir“, raunte der Held zurück.
    „… vier Perlen, elf Bergkristalle, einen Haufen Sumpfkrautstengel …“
    „Oh gibst du mir die?“ fragte Lester auf einmal hellwach.
    „Ja na klar, hier nimm!“ sagte der Held in Gönnerlaune.
    Hamid stand mit weit geöffnetem Mund da und konnte nicht fassen wo all das Gerümpel herkam. Der Berg erregte langsam auch die Aufmerksamkeit der anderen Assassinen um sie herum. Diejenigen, die sich wegdrehten und sagten „Ach der …“ waren diejenigen, denen der Held schon einmal was verkauft hatte und die bereits etwas Ähnliches erlebt hatten.
    Endlich war der Held beim letzten Gegenstand angekommen, einer alten Armbrust, und wartete auf Hamids Reaktion.
    „Äh… ich kann dir zweitausenddreihundert Goldstücke für alles geben“, erklärte der Händler.
    Der Held wusste natürlich, dass er das nicht ausgerechnet hatte und es sich vermutlich um all das Gold handelte, dass der Händler besaß. Sein Zeug war eigentlich viel mehr wert, das wusste er, aber er hatte jetzt keine Lust durch ganz Mora Sul zu laufen und viele verschiedene Händler anzuquatschen, deswegen fragte er: „Hast du noch irgendwelche Spruchrollen oder Runen, die du oben drauf legen kannst?“
    „Ich hab hier: zehn Mal Armee der Finsternis, drei Mal Verwandlung in einen Waran, acht Mal Blutrausch, dreizehn mal Goblin beschwören, drei Mal Seelenwanderung und fünf Mal Schrecken.“
    „Das hört sich doch schon besser an. Einverstanden.“
    Sie gaben sich die Hände und besiegelten damit ihr Geschäft.
    „Meine Fresse wo hast du nur all das Zeug her?“ fragte Lester, als sie außer Hörweite haben.
    „Auf Abenteuern eingesammelt. Glaub mir, da ist mindestens noch mal so viel übrig, aber ich wollte nicht zu viel Verlust machen.“
    Lester zog ungläubig eine Augenbraue hoch, aber der Held sah das gar nicht, denn er war schon weiter in Richtung Diegos Haus gegangen.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 19:03 Uhr)

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    Der Held erzählt von seinen Abenteuern

    „Schade, dass du das schöne Haus aufgeben musst“, sagte Lester traurig, als sie wieder zurück waren.
    „Naja, ich bin sowieso niemand, der ewig an ein und demselben Ort bleibt. Wenn ich merke, dass nicht mehr viel zu holen ist, bin ich weg“, sagte Diego, vielleicht auch, um sich selbst zu versichern, dass er die richtige Entscheidung traf. „Außerdem kann ich wiederkommen, sobald die Geschäfte wieder besser laufen.“
    „Na dann zeig mir mal was ich alles einpacken soll!“, sagte der Held und ging zu Diego.
    Der Hausherr führte ihn herum und gab ihm alles was er mitnehmen wollte, um daraus später noch Profit zu schlagen und das war im Grunde alles was nicht niet- und nagelfest war. Die anderen hatten nicht viel zu tun. Lester stand mit Gorn draußen vor der Tür und hielt Wache, für den Fall, dass sich doch noch jemand erdreisten wollte Diego zu meucheln. Lester hatte das Konzept des Wachestehens aber nicht so ganz verinnerlicht. Er rauchte und erzählte im Plauderton mit Gorn, anstatt nach Feinden Ausschau zu halten. Diego hatte Milten gebeten einige Schriften einzuschätzen. Sein Hintergedanke war, umso antiker und seltener die Schriften, umso wertvoller mussten sie sein.
    Die Stunden krochen dahin. Der Held hätte nie gedacht, dass es so lange dauern würde ein Haus auszuräumen. Er selbst hatte nur das als Besitz was er bei sich trug. Landstreicher hatten nun mal keinen Grundbesitz. Irgendwann wurde es den Jungs draußen wohl zu heiß, denn sie kamen herein und fragten, ob sie noch irgendwie helfen könnten.
    „Nein“, sagte Diego schlicht.
    Er hatte allerlei andere Dinge im Kopf, als sich um seine Freunde zu kümmern. Gerade kramte er in einer großen Truhe nach weiteren Sachen, die er dem Helden reichte. Es sah seltsam aus wie ein Gegenstand nach dem anderen einfach so in der magischen Hosentasche verschwand. Jetzt ging der ehemalige Schatten zu einer weiteren Truhe neben seinem Bett und öffnete sie. Sie war randvoll mit Gold.
    „Du hast ja so viel Gold wie ein Drache“, stellte der Held schmunzelnd fest.
    Diego zwinkerte ihm zu. Dann fragte er verwundert: „Warum hast du all ihr Gold nicht einfach mitgenommen?“
    Der Held dachte nach. Ja, warum eigentlich?
    „Einiges hab ich auch mitgenommen, aber es wäre langweilig geworden, wenn ich so viel Gold hätte.“
    Diego sah ihn an, als hätte sein Freund gerade gesagt, er wäre eigentlich gar kein Mensch, sondern ein Ork in Verkleidung. Der Held sah sich genötigt sein Verhalten zu erklären.
    „Naja weißt du, wenn man sich einfach alles kaufen kann, dann brauch ich mich doch gar nicht mehr anzustrengen. Außerdem wüsste ich gar nicht für was ich all das Geld brauchen könnte. Ich hab einige der besten Rüstungen und Waffen, einen Haufen Runen und Spruchrollen und eine große Sammlung an Tränken. Mehr brauch ich doch eigentlich nicht.“
    Diego sah immer noch nicht überzeugt aus.
    „Hast du noch nie daran gedacht dich irgendwo häuslich einzurichten? Du könntest ein großes Herrenhaus haben mit vielen Dienern, die alles für dich tun.“
    „Ach das ist doch langweilig, lieber ziehe ich herum und erlebe neue Abenteuer.“
    Diego lachte und hielt ihn einen Moment an der Schulter.
    „Du bist und bleibst ein Landstreicher, was?“
    „Es macht sich eben nicht jeder so viel aus weltlichem Besitz wie du, Diego“ merkte Milten an, während er gerade eine alte Spruchrolle inspizierte.
    Diego ließ das unkommentiert und machte sich daran, dass Gold in Lederbeutel zu füllen und diese dem Helden zu überreichen. Das dauerte eine gefühlte Ewigkeit und der Held war froh, als das endlich ein Ende hatte und sie soweit er das sehen konnte, fertig waren.
    „Uff“, der Held ließ sich auf einen Hocker fallen. „Erinnere mich daran, mich nächstes Mal nicht ganz so bereitwillig für einen Umzug zur Verfügung zu stellen.“
    „Ach komm, so schwierig war es doch gar nicht“, fand Diego und fing an Brot, Schinken und Früchte für ein kleines Mittagessen herbeizuholen.
    „Ja, aber langweilig“, antwortete der Held.
    „Na schön“, sagte Diego und sie setzten sich alle rund um einen niedrigen Tisch, auf dem auch einige Getränke standen. „Dann erzählt doch mal was in Myrtana so los ist. Wie macht sich Lee so als Regent?“
    „Kann mich nicht beklagen“, meinte Lester, der zufrieden war, wenn sich keine allzu großen Katastrophen ereigneten.
    Die anderen überhörten diese wenig aussagekräftige Antwort geflissentlich und sahen Gorn an, der jetzt unruhig auf seinem Platz herumrutschte.
    „Naja, er ist nicht so wirklich zufrieden mit seiner Arbeit.“
    „Was heißt das?“ fragte Diego gespannt und kniff die Augen zu Schlitzen zusammen.
    Gorn seufzte. Die anderen wussten zuerst nicht was los war, aber dann ging ihnen langsam auf, dass es ihrem Freund unangenehm war einzugestehen, dass Lee sich offenbar doch nicht als der beste Anführer erwiesen hatte.
    „Lee hat uns immer gut geführt, damals im neuen Lager und später auch auf Onars Hof. Er hat immer einen kühlen Kopf behalten und eine Situation erstmal gut durchdacht, bevor er eine Entscheidung gefällt hat.“
    „Hört sich doch gut an, oder erwartet man das nicht so von einem Regenten?“ fragte der Held nach.
    Er fand Lee als Herrscher perfekt. Er hatte langjährige Erfahrung als Anführer, konnte gut Kämpfen und die Menschen respektierten ihn. Er konnte sich keinen besseren für dieses Amt vorstellen.
    „Schon, aber als die Orks wieder vordrangen, hatte das weniger von einem regulären Angriffskrieg als vielmehr eine „Hau zu und weg“ Situation. Die Orks plünderten Dörfer und Städte, aber anstatt zu bleiben, zogen sie sich in die Wälder zurück und griffen später wieder an, sobald wir dachten, dass die Lage unter Kontrolle sei. So dezimierten sie uns Stück für Stück und wir hatten keinen Greifbaren Angriffspunkt.“
    Der Held fand, dass das doch nicht so schwer sein könnte. Einfach durch die Wälder streifen und in Höhlen und Ruinen nach den Orks suchen, umbringen und fertig. So hatte er es doch letzte Woche auch getan, aber er wollte nicht als Klugscheißer dastehen und sagte deswegen nichts.
    „Natürlich hab ich ihn mit meinen Männern aus Gotha unterstützt, aber diese Kämpfe waren eine echt zähe Angelegenheit, das sag ich euch. Kaum dachten wir, wir hätten jetzt endlich alle Orks erledigt, kamen doch noch viel mehr. Die Bevölkerung hat unter den Angriffen schwer gelitten. Lee macht sich schwere Vorwürfe. Er denkt, er hätte es verbockt.“
    „Ach Quatsch, läuft doch alles“, sagte der Held beschwichtigend und klopfte Gorn auf die Schulter.
    „Lass das!“, sagte Gorn harsch. „Ich habe dieses Lob ganz bestimmt nicht verdient.“
    Er sah den Helden aus verbitterten Augen an.
    „Kannst du dir überhaupt vorstellen wie frustrierend das alles war? Ständig auf der Lauer liegen, immer diese Ungewissheit, ob die Orks in der Nacht angreifen würden. Sie haben uns mürbe gemacht und wir hörten erst von Angriffen auf die umliegenden Städte, nachdem sie schon längst wieder weg waren. Wir sind sowieso schon nicht mehr so viele und jedes Mal, wenn ich gehört habe, dass wieder ein Schwung Menschen massakriert wurde, hat mich das noch mehr runtergezogen und mich daran zweifeln lassen, dass wir die Lage jemals wieder unter Kontrolle bekommen.“
    Gorn starrte einen Moment lang ins Leere, als er sich an diese schwere Zeit erinnerte.
    „Deswegen will Lee, dass jemand anders Myrtana regiert. Er sagte, er würde nur übergangsweise bleiben, bis sich dieser Jemand bereit erklärt unser neuer König zu sein.“
    Gorn wollte nicht mit der Sprache herausrücken an wen Lee da gedacht hatte.
    Lester zündete sich einen Stengel Sumpfkraut an und fragte: „Und wer soll das sein? Mir fällt da niemand ein.“
    Gorn linste zum Helden hinüber und auch Milten warf ihm einen kurzen hoffnungsvollen Blick zu. Der ließ sich nicht anmerken, ob er es mitbekommen hatte. Der Held kannte viele Menschen in Myrtana, aber jemand dem er das Amt des Königs zutrauen würde, fiel ihm nicht ein. Es herrschte eine angespannte Stille, denn zumindest Gorn und Milten hofften offenbar, der Held würde sagen, dass er den Job übernehmen würde. Doch nichts dergleichen geschah. Diego fühlte sich etwas unwohl in dieser angespannten Atmosphäre. Nur Lester merkte von allem nichts. Er saß, lässig nach hinten gelehnt da und rauchte zufrieden sein Sumpfkraut.
    „Was habt ihr denn gemacht, bevor ihr hierher nach Varant kamt?“ fragte Diego, um diese unangenehme Stille endlich zu durchbrechen.
    „Wir waren in Nordmar auf Orkjagd“, sagte der Held trocken.
    „Schade, dass ich nicht mit dabei war. Ich würde gerne mal wieder was mit euch zusammen unternehmen, “ sagte Diego und dachte zurück an die Zeit, als sie in Irdorath gegen die Orks gekämpft hatten.
    „Sei bloß froh, dass du nicht mit warst. Es war Arschkalt da oben“, sagte Lester frei heraus.
    Der Held grinste.
    „Milten und ich können dir ja nächstes Mal Feuer unterm Hintern machen, wenn du frierst.“
    „He!“ empörte sich Lester.
    „Ich nehme an, ihr habt die meisten Orks in Nordmar erledigt“, sagte Diego und sah seine Freunde an.
    „Yepp“, kam es von Lester, der erneut einen kräftigen Zug von seinem Sumpfkraut nahm.
    „Ich denke schon“, sagte Gorn.
    „Und was ist mit den Orks zwischen Nordmar und Varant?“ fragte Diego weiter nach.
    Gorn setzte sich ruckartig auf.
    „Ja, was ist mit ihnen? Ich habe gehört sie hätten sich zurückgezogen. Vermutlich dein Werk oder? Auf dem Weg nach Varant, hab ich jedenfalls keine Orks mehr gesehen.“
    Gorn war ganz aufgeregt. Der Held zuckte mit den Schultern, so als wäre die Antwort doch ganz selbstverständlich.
    „Die sind tot.“
    Die anderen hatten zwar etwas in der Richtung geahnt, aber verblüfft waren sie trotzdem. Einen Moment war alles still. Dann sagt Gorn euphorisch, aber doch mit einem leichten Ton Verbitterung in der Stimme: „Das hab ich zu Lee gemeint. Wir mühen uns mit den Orks ab, schmieden Pläne, um zu überlegen wie wir die Orks am besten aus ihren Löchern jagen und unschädlich machen können und dann kommst du daher und merzt das Problem einfach so aus. Wie hast du das nur gemacht?“
    Der Held sah ihn stirnrunzelnd an.
    „Also so viele waren das doch gar nicht, höchstens Hundertzwanzig …“
    „Hörst du Gorn, es waren doch nur Hundertzwanzig“, unterbrach ihn Lester in einem übertrieben Plauderton, um Gorn und auch den Helden damit zu sticheln.
    Der Held bekam rote Ohren. Er konnte sich vorstellen welche Rückschläge die Truppen von Gorn und Lee hinnehmen mussten und er hatte kaum Probleme gehabt. Das hörte sich in der Tat seltsam an. Deswegen sagte er beschwichtigend: „Bestimmt waren das nur noch die versprengten Reste ihrer Truppen.“
    „Erzähl keinen Scheiß!“ sagte Gorn schroff, der genau wusste, wie die Lage war, bevor der Held zurückkam.
    „Aber mich interessiert, wie du das geschafft hast.“
    Gorn wartete gespannt und auch die anderen waren ungeduldig. Der Held überlegte, wie er es sagen konnte, ohne, dass es sich anhörte, dass es leicht gewesen wäre. Das wäre gelogen, denn anders als früher, als Xardas ihn aus dem Schläfer Tempel holte, war er bestens ausgerüstet und gut im Training.
    „Ich hab um die Städte herum alles abgesucht. Vom letzten Mal, als ich im Land war, wusste ich noch wo viele Höhlen und alte Ruinen waren und oft hab ich da kleine Orklager gesehen. Ganz in der Nähe von Gotha war eine riesen Höhle wo früher viele Gargoyles und anderes Viehzeug rumlief. Dort hatten sie ihr Hauptlager.“
    Zu spät fiel ihm ein, dass Gotha ja jetzt Gorns zuhause war und er deswegen vermutlich sauer wäre, weil die Orks direkt vor seiner Nase gelagert hatten. Er lag richtig. Gorns Gesicht verzog sich vor Wut. Er war nicht auf den Helden wütend, sondern auf die Orks und auf sich selbst, weil er dieses Lager direkt vor Gothas Toren nicht gefunden hatte.
    „Diese verdammten Mistkerle. Jetzt hätte ich am liebsten einen Ork vor der Nase, damit ich ihm den Schädel spalten könnte …“
    Gorn tobte noch eine Weile und die anderen ließen ihn. Immerhin war sein Zorn durchaus berechtigt. Als er sich wieder einigermaßen gefangen hatte, fragte er weiter: „Aber wie hattest du sie alle töten können? Gerade ein ganzes Lager …“
    Der Held hob eine Augenbraue.
    „Du weißt schon noch, dass ich mich in Irdorath durch ganze Heerschaaren von Orks geschlagen habe, oder?“
    Gorn sah ihn an, die Arme vor der Brust verschränkt.
    „Also ich erinnere mich noch sehr gut“, mischte sich Lester ein. „Die Leichen türmten sich ja richtig. Damals war ich echt beeindruckt.“
    Er hielt einen Moment inne und sagte dann: „Naja, im Grunde bin ich das immer noch.“
    „Aber wie?“ fragte Gorn leise, der gar nicht auf Lester geachtet hatte.
    Der Held seufzte, aber offenbar half es nichts. Er hatte gehofft, das nicht sagen zu müssen, nicht etwa, weil sein Erfolg dadurch geschmälert wurde, sondern viel mehr, weil er fürchtete seine Freunde würden ihn dazu drängen das Schwert loszuwerden.
    „Ohne die Klaue Beliars hätte ich es nicht geschafft.“
    Er zog das Schwert und legte es mit der Klinge auf seine bloßen Hände, damit die anderen eine möglichst gute Sicht darauf hatten. Unheilvoll waberten dichte dunkle Schwaden über das Schwert. Der Held hatte trotzdem den Eindruck, dass es versuchte möglichst unschuldig auszusehen. Es knisterte nicht, drohte nicht, es zuckten auch keine kleinen Blitze über die Klinge, wie es öfters geschah. Natürlich gelang es ihm trotzdem nicht. Die dunkle Aura und der Totenschädel im Knauf ließen keinen Zweifel daran, dass dieses Schwert dafür geschaffen wurde in Blut zu baden.
    Die anderen sahen es skeptisch an. Milten verkrampfte sich und sah voller Abscheu auf diese Waffe. Er wusste natürlich, dass dieses Schwert Beliar geweiht war, aber er hatte es immer als erforderliches Übel angesehen. So lange sein Kumpel, damit Orks und Drachen tötete, war es ihm recht, dass er es führte und doch … „Aber du hattest es seit Irdorath nicht mehr getragen. Warum eigentlich? Und warum trägst du es jetzt wieder?“
    Dem Held wurde es unbehaglich. Das war genau die Sorte Frage, die er hatte vermeiden wollen.
    „Weißt du …“ sagte er langsam und strich geistesabwesend liebevoll über die Klinge. „Die Klaue hat ihren eigenen Willen. Ich habe den Eindruck, dass sie gerne eingesetzt wird. Ich bin immer glücklich, wenn ich mit ihr Kämpfe.“
    Er wusste, dass sich das total bescheuert anhörte und dachte kurz an Skinner, der seine Betty so verehrte, so hatte der Bandit sein Schwert getauft.
    „Kann ich mir vorstellen. So kriegt Beliar reihenweise neue … Gäste in seinem Reich“, sagte aber Milten, der sich das Kinn rieb und nachdachte.
    Er hatte bereits überlegt, ob so ein mächtiges göttliches Artefakt, vielleicht so etwas wie einen eigenen Willen haben könnte. Andernfalls könnte einfach jeder es benutzen und auch das Auge Innos nahm nicht jeden als seinen Träger an. Dass diese Waffe aber wirklich einen eigenen Willen hatte, beunruhigte Milten. Er fürchtete die Klaue könnte seinen Freund negativ beeinflussen.
    „Aber wenn das so ein tolles Schwert ist, warum hast du es nicht gegen die Orks auf dem Festland verwendet?“ fragte jetzt Gorn.
    Der Held sah hinunter auf das Schwert und eine Hand ballte sich zur Faust. Er wollte nicht sagen, dass er sich vom Einfluss des Schwertes hatte lösen wollen, denn was sollte er dann antworten, wenn sie fragten, warum er es dann jetzt wieder führte? Er konnte es selbst nicht genau sagen. Irgendetwas schien ihn zur Klinge zu ziehen und jedes Mal, wenn ihm durch den Kopf ging, er könne ja mal eine andere Waffe nutzen, zog diese Waffe seinen Blick wie magnetisch an und er entschied sich doch wieder dagegen.
    Die Klinge wollte eingesetzt werden.
    Sie wollte nicht unbenutzt in seiner Hosentasche herumliegen.
    Sie wollte töten.
    Die anderen wurden unruhig angesichts der langen Pause, die der Held sich ließ.
    „Ach, es wäre doch langweilig geworden, hätte ich all die Orks einfach so niedergemetzelt.“
    Der Held zwinkerte ihnen zu und lächelte, aber die anderen sahen sich an und wussten, dass da noch etwas war, das er ihnen nicht erzählen wollte. Doch sie bohrten nicht weiter nach. Wenn er es ihnen nicht sagen wollte, dann gab es dafür sicher einen guten Grund.
    „Mit Beliars Klaue war es nicht allzu schwer die Orks zu töten. Ich denke ich habe alle erwischt. Naja, da sind vielleicht noch irgendwo zwei oder drei, die ich übersehen haben könnte, aber die paar sind vermutlich auch egal“, sagte der Held im Plauderton, um die angespannte Atmosphäre zu lösen.
    „Wo hast du die Klinge eigentlich her?“ fragte Diego interessiert.
    Der Held seufzte.
    „Ach das ist eine lange Geschichte.“
    „Wir haben Zeit“, sagte Diego gespannt.
    So einfach ließ er ihn sich nicht herausreden. Jetzt wo sie einmal auf das Thema gekommen waren, wollte er es auch wissen.
    „Na schön“, sagte der Held brummig. „Erinnert ihr euch noch an die verschwundenen Leute in Khorinis?“
    „Da waren Leute verschwunden?“ fragte Diego verwundert.
    Auch die anderen sahen überrascht aus. Erst da fiel dem Helden ein, dass sie vermutlich gar nichts darüber wussten. Wie auch? Lester hockte in seinem Tal. Milten, Diego und Gorn saßen im Mienental fest und selbst als er sie später traf, hatten sie vermutlich anderes im Kopf als es zu bemerken. Diego überlegte wie er Gerbrandt unterbuttern konnte, Gorn erholte sich auf Onars Hof von seinem Gefängnisaufenthalt bei den Paladinen und Milten war im Kloster auch weitab von der Stadt.
    „Oh … also, als ich in Khorinis ankam hörte ich von Vatras dem Wassermagier, dass einige Menschen verschwunden waren. Ich stellte für ihn Nachforschungen an.“
    Unter allen Umständen wollte er vermeiden, dass ihm unversehens herausrutschte, dass er Mitglied im Kreis des Wassers war. Sicher, das hier waren seine Freunde, doch er hatte geschworen es niemandem zu verraten. Der Kreis des Wassers war geheim und nur die Mitglieder und Wassermagier wussten etwas davon. So sollte es auch bleiben. Doch er sah nicht, warum er nicht von Jharkendar erzählen sollte.
    „Oben im Norden von Khorinis gibt es alte Tempelruinen und große Stufenpyramiden. Dort traf ich auf Saturas und die anderen Wassermagier.“
    Milten sah kurz beunruhig aus und er fragte zögerlich: „War er noch sauer wegen unserer Aktion mit Uriziel?“
    „Ja.“
    Der Held wunderte sich einen Moment. Das war schon so lange her und er hatte Milten nichts darüber erzählt. Komisch jetzt über diese alte Geschichte mit Uriziel zu erzählen. Dieses Schwert war auch etwas Besonderes gewesen. Schade, dass er es nicht mehr hatte.
    „Uriziel?“ fragte Lester.
    „Das war das Schwert mit dem er den Schläfer besiegt hat. Ich habe ihm geholfen es mit der magischen Kraft des Erzhaufens des neuen Lagers aufzuladen“, erklärte Milten.
    „Ach das, “ kam es von Lester.
    Offenbar hatte Milten seinen Freunden davon erzählt und Lester hatte nur den Namen des Schwertes vergessen.
    „Naja so ganz richtig ist das nicht“, versuchte der Held klar zu stellen. „Ich brauchte das Schwert für einen untoten Orkschamanen, der sich mit sonst keiner anderen Waffe bezwingen ließ. Den Schläfer habe ich mit Uriziel nie auch nur berührt. Es ging gar nicht. Das Mistvieh ließ mich gar nicht erst an sich heran. Ich weiß nicht, ob ihr euch das vorstellen könnt, aber das Vieh war … riesig, einmal nach mir gehakt und es wäre vorbei gewesen. Die Feuerbälle die der Schläfer warf, waren auch nicht so lustig. Ich brauchte die alten Schwerter der untoten Orkschamanen. Sie hatten Krushak, wie sie den Schläfer nannten, beschworen und um ihn wieder zu bannen, musste ich ihre Klingen in ihre Herzen stechen, die in Altären, um den Schläfer herum aufgestellt waren.“
    „In ihre Herzen?“ fragte Gorn tonlos, dem es unbehaglich wurde, als er sich vorstellte, wie sein Herz irgendwo anders als in seinem Körper sein könnte.
    „Ja. Die Orkshamanen hatten sich selbst geopfert um den Schläfer zu beschwören und sie wurden alle zu untotem Dasein verdammt. Als ich die Herzen durchbohrte, wurde der Schläfer in ein großes Portal hinter ihm eingesaugt.“
    „Das heißt, er ist gar nicht tot?“ fragte Lester, zum ersten Mal beunruhigt.
    „Nein, ich denke nicht“, sagte der Held.
    Seine Freunde sahen beunruhigt aus, aber Diego versuchte das Gespräch wieder auf Kurs zu bringen.
    „Eigentlich wollten wir ja was über die Klaue Beliars hören.“
    Der Held brauchte einen Moment, um den Faden wieder aufzunehmen.
    „Hm … also die Wassermagier hatten ein versiegeltes Portal in einer unterirdischen Kammer gefunden. Das öffneten wir und durch dieses Portal kamen wir nach Jharkendar, einem hinter Bergen abgeschirmten Bereich von Khorinis.“
    Lester verschluckte sich an seinem letzten Zug am Sumpfkrautstengel und hustete.
    „Willst du mir sagen …“ Wieder hustete er laut „… da war ein bisher unerforschter Teil von Khorinis?“
    „Ja. Naja wir alle wusste noch nichts darüber. Die Wassermagier kamen zuerst da an … Keine Ahnung wieso, denn eigentlich ging ich zuerst durch das Portal. Vermutlich irgendwas mit magischer Teleportation von dem ich nicht allzu viel verstehe. Jedenfalls studierten sie bereits die alten Schriften der Erbauer und schickten Kundschafter aus. Saturas erzählte mir, dass Raven die Leute aus Khorinis entführt hatte, um sie dazu zu zwingen in einem Berg nach einem unterirdischen Tempel zu graben. Er meinte, er würde mir die Sache mit dem Erzhaufen verzeihen, wenn ich die Leute befreien würde.“
    „Raven? Du meinst der Raven aus dem alten Lager?“ fragte Diego verwundert.
    „Ja, er und ein paar andere Jungs hatten sich zu einem Banditenhaufen zusammengeschlossen. Eigentlich hatte ich gedacht ich hätte Raven getötet, als ich damals ins alte Lager zurückteleportiert bin, um Stone zu befreien, damit er die alte Erzrüstung für mich aufwertet.“
    „Bin ich der einzige, der deinen Erzählungen nicht ganz folgen kann?“ fragte Lester verwirrt.
    „Dann rauch halt weniger Sumpfkraut!“ fuhr in Gorn an, der wissen wollte wie es weiterging und jetzt den Helden fragte: „Wie hat sich Saturas das vorgestellt? Du gehst einfach zu Raven, der dich für deinen Verrat im alten Lager gerne tot sehen wollte und befreist einfach so die Sklaven?“
    „Tja … keine Ahnung was er sich dabei gedacht hat“, sagte der Held und rieb sich das Kinn. „Damals war ich noch lange nicht wieder so stark wie vor dem Schläfertempel. Du hast mich ja gesehen, als ich zum ersten Mal zu dir kam.“
    Der Held sah Lester direkt an.
    „Ja stimmt. Richtig abgemagert sahst du aus, fast wie ein wandelndes Skelett“, sagte Lester und zündete sich erneut einen Stengel Sumpfkraut an.
    „Vielleicht hättest du dich erstmal ausruhen sollen, bevor du dich in neue Abenteuer stürzt“, sagte Milten nachdenklich.
    „Xardas teleportierte mich immerhin aus dem Schläfertempel raus. Da hatte ich zwei Wochen unter Steinen gelegen und wäre sicher bald verreckt, wenn er mich nicht geholt hätte. Sollte ich also einfach zu ihm sagen: Ja schön, dass du mich da raus geholt hast und das alles mit den Drachen und dem Auge Innos ist ja sehr interessant, aber ich mach erstmal die Fliege…“
    „Wäre vielleicht nicht so gut gekommen“, gab Gorn dem Helden Recht.
    „Ich war also wirklich nicht in der Verfassung mich mit Raven, oder gar mit seinem gesamten Lager anzulegen. Ich musste mir also was einfallen lassen. Die Wassermagier sagten mir, dass sich am Strand Piraten befinden würden. Auf dem Weg dahin, bin ich auch gleich einem begegnet.“
    Er erinnerte sich, wie er Alligator Jack getroffen hatte.
    „Ein Pirat? Und er hat dich einfach mit zu seinem Lager genommen? Wie hast du denn das gemacht?“ fragte Gorn schmunzelnd und staunte wie sein Kumpel das nur immer alles hinbekam.
    „Na bequatscht und ein paar kleine Aufgaben erledigt. So wie eigentlich immer. Irgendwann bekam ich von den Piraten Banditenklamotten mit denen ich unauffällig in den Teil der Insel vordringen konnte, der von Ravens Leuten besetzt wurde. Dort gab es einen großen Sumpf.“
    „Größer als damals in der Kolonie?“ fragte Lester skeptisch.
    Der Held nickte.
    „Viel größer und voll mit Viechern. Es dauerte eine Zeit bis ich das Vertrauen der Banditen erlangte. Ich musste auch aufpassen, dass mich alte Bekannte nicht verpetzten.“
    „Wer war denn noch alles da?“ fragte Diego interessiert.
    Der Held zählte an den Fingern ab.
    „Also da waren Thorus, Scatty, Fisk, Snaf, Huno, Bloodwyn und Fortuno, oder hab ich wen vergessen?”
    Der Held überlegte einen Moment unschlüssig.
    „Fortuno war auch da? Wie ging es ihm?“ fragte Lester, der an seinen eigenen Kopfschmerzen von damals dachte.
    „Nicht so besonders. Offenbar hatte Raven ihn irgendwie dazu benutzt, um Informationen über die Klaue Beliars zu erhalten. Er suchte nach ihr in diesem alten Tempel und wollte alles dran setzen, um sie in die Finger zu kriegen. Fortuno hat irgendwie einen Schaden von diesen Visionen davon getragen. Ich musste ihm so eine Brühe zusammenmixen, damit er wieder einigermaßen klar im Kopf wurde und mir sagen konnte was mich bei Raven erwarten würde.“
    „Also wusstest du von Fortuno von der Klaue Beliars?“ fragte Lester nach.
    „Nein, eigentlich bekam ich es schon vorher raus. Es stand in den Schriften der Erbauer. Um mich besser zurechtzufinden, begann ich die alte Sprache von Myxir zu lernen. Die Jharkendar verehrten Adanos und lebten in einem Kasten System: Es gab die Krieger, die Heiler, die Totenwächter, die Gelehrten und die Priester. Jeder von ihnen verfügte über einen Tempel. Die waren einige der wenigen Überbleibsel ihrer Kultur. Aus den Schriften erfuhr ich auch den Grund für den Untergang von Jharkendar. Der Feldherr Quahodron, Anführer der Kriegerkaste bekam die Klaue Beliars bei einem Feldzug in die Finger. Als er die Waffe dann später an seinen Sohn Rhademes übergab, kam der aber nicht so gut mit dem Schwert zurecht.“
    Eigentlich hatte er wahrheitsgemäß sagen wollen, dass die Klaue Beliars von Rhademes Besitz ergriff, aber das hätte vermutlich schnell dazu geführt, dass seine Freunde das Schwert loswerden wollten.
    „Es kam zu Unruhen, die sich zu einem Bürgerkrieg ausweiteten. Der hohe Rat der fünf Kasten beschloss, dass Rhademes die Klaue abgenommen werden sollte. Doch wurde ihnen schnell klar, dass das Schwert zu mächtig war, um es im Kampf zu besiegen. Deswegen lockten sie Rhademes in den Adanos Tempel, sperrten ihn dort ein und versiegelten den Eingang. Rhademes war dort lebendig begraben und starb irgendwann.“
    Seine Freunde sahen ihn über all sein Wissen erstaunt an.
    „Aber ich hab ihn noch mal getroffen. Rhademes lief da als Geist herum und er hat mir sogar geholfen die Fallen zu überwinden. Ich mag keine Fallen, immer gibt es in so alten Tempeln Fallen und ich hab immer keine Ahnung wie ich sie lösen soll.“
    „Nochmal zurück! Was heißt das du hast mit einem Geist geredet?“ fragte Milten erstaunt.
    „Naja so wie ich sage … ein Geist … so ein durchsichtiges Etwas. Praktisch ein Überbleibsel von jemandem. Die Jharkendar waren der Meinung, dass ihre Vorfahren über sie wachen und hatten mittels der Totenwächter einen guten Draht ins Jenseits. Myxir zeigte mir wie ich mit Quahodron reden konnte, damit er verriet, wie ich überhaupt in den Adanostempel kam.“
    „Der war jetzt noch mal wer?“ fragte Lester verwirrt nach.
    „Der Vater von Rhademes, derjenige, der die Klaue Beliars fand.“
    „Was du schon alles erlebt hast“, sagte Gorn und schüttelte fassungslos den Kopf.
    „Obwohl die Klaue also im Tempel Adanos eingeschlossen war, ließ sich der Bürgerkrieg nicht so einfach eindämmen. Offenbar ließ Adanos daraufhin Jharkendar überfluten, was auch dazu führte, dass die Kultur dieses alten Volkes unterging.“
    Es war wieder einen Moment still. Alle sahen skeptisch die Klaue an und vermutlich ging allen, außer dem Helden etwas Ähnliches durch den Kopf.
    „Die Klaue ist sehr gefährlich“, sagte Milten leise.
    „Ja, wenn dadurch eine ganze Kultur untergeht“, stimmte ihm Lester zu.
    „Wir sollten sie loswerden!“ sagte der Feuermagier entschieden.
    „He, nun mal langsam. Ohne die Klaue hätte ich nie die Drachen und all die Orks besiegen können“, wehrte sich der Held und steckte die Klinge zurück an seinen Gürtel.
    „Aber was du da gerade erzählt hast ist doch Besorgnis erregend, findest du nicht?“ versuchte Milten ihn sanft zu überzeugen.
    „Rhademes war nur zu schwach, um mit der Klaue zurechtzukommen“, sagte der Held dickköpfig. „Quahodron hatte ja offenbar gar keine Probleme.“
    „Weißt du denn, ob er sie überhaupt benutzt hat?“ wollte Diego wissen.
    „Nein“, antwortete der Held, selbst erstaunt darüber, dass er es nicht wusste. „Aber was sollte er sonst damit anfangen?“
    „Vielleicht wurde sie nur sicher aufbewahrt und als er die Waffe seinem Sohn vermachte, entschied der sie auch zu benutzen“, gab Diego zu bedenken.
    „Nein, das glaub ich einfach nicht“, wehrte der Held ab.
    „Aber wie ging es denn nun weiter?“ fragte Gorn, um den Streit vorerst zu beenden. „Du bist irgendwie in diesen Tempel reingekommen und dann?“
    „Na was denkst du? Ich traf auf Raven, der hatte die Klaue bereits gefunden und wollte mich damit abmurksen.“
    „Aber wie hast du ihn dann besiegt?“ fragte Lester aufgeregt.
    Der Held zuckte mit den Schultern. „Einfach so, wie man das ebenso macht. Ich hatte ein Rapier, hab seine Schläge pariert und ihn dann irgendwann aufgespießt.“
    „Ich dachte die Klaue wäre so mächtig, wieso konntest du Raven dann besiegen?“ fragte Gorn erstaunt.
    „Hm…“
    Jetzt wo er darüber nachdachte kam dem Helden das in der Tat merkwürdig vor.
    „Ich weiß auch nicht. Ehrlich gesagt war ich auch überrascht, dass ich es geschafft habe. Immerhin war ich wie gesagt noch nicht wieder ganz auf der Höhe und hatte seit drei Tagen nicht mehr geschlafen.“
    „Was? Warum denn das?“ kam es erstaunt von Lester, der sich gar nicht vorstellen konnte, wie man denn drei Tage ohne Schlaf auskommen könnte.
    „Weil Saturas unbedingt wollte, dass die Sklaven befreit wurden. Er fürchtete mit jedem Tag mehr, dass Raven die entführten Menschen umbringen würde, nachdem sie für ihn nutzlos geworden wären. Für Schlafen blieb da keine Zeit. Ehrlich gesagt war es viel gefährlicher dort im Canyon gegen die Orks zu kämpfen oder sich bei all den Viechern durch den Sumpf zu schlagen, als gegen Raven anzutreten. Schon komisch …“
    „Vielleicht wollte die Klaue, dass du sie bekommst“, überlegte Milten.
    „Wie meinst du das?“ fragte der Held verwundert.
    „Du sagtest vorhin, die Klaue hätte ein eigenes Bewusstsein. Was ist, wenn die Klaue schnell erkannt hat, dass du eigentlich viel stärker bist als Raven?“
    „Ich hab doch schon gesagt, dass ich zu der Zeit recht schwach war“, sagte der Held genervt.
    „Aber sie wusste vielleicht, welches Potenzial in dir steckt und wer gegen Orks kämpft kann ja schon mal gar nicht schwach sein“, argumentierte Milten.
    „Du meinst, die Klaue Beliars hat sich absichtlich zurückgehalten, damit sie in seinen Besitz übergeht?“ fragte Gorn verwundert.
    „Ja genau“, sagte Milten und nickte. „Sie ahnte vermutlich, dass sie in seinen Händen viel mehr bewirken könnte, als wenn Raven sie führen würde.“
    „Aber das ist doch Blödsinn. Ich habe mit der Klaue gegen die Drachen und die Orks gekämpft und die standen alle im Dienste Beliars“, schmetterte der Held die Worte des Feuermagiers ab.
    „Wer weiß, vielleicht hat die Klaue andere Ziele als seine anderen Diener. Wer kann schon sagen was ein Schwert denkt?“ überlegte jetzt Diego.
    „Vermutlich war das Schwert einfach nur geschwächt, weil es eine halbe Ewigkeit im Tempel von Adanos lag. Es war ja auch noch nicht aufgeladen. Beim Kampf bekam ich kaum Blitze ab“, sagte der Held, der dieser Unterhaltung überdrüssig war.
    „Was meinst du mit aufladen?“ fragte Milten skeptisch.
    „Wenn man die Waffe auflädt wird sie mächtiger. Wenn man wieder ein paar Viecher niedergemetzelt hat ist es meistens wieder an der Zeit.“
    „Das heißt das Schwert ist jetzt noch gefährlicher als damals, als es Jharkendar in den Untergang führte?“ fragte Milten aufgewühlt.
    Zu spät fiel dem Helden ein, dass das vermutlich keine gute Argumentation von ihm gewesen war …
    „He, die Klaue Beliars ist in meinem Besitz, ich pass schon darauf auf. Ihr müsst euch deswegen keine Sorgen machen.“
    Die anderen waren nicht überzeugt. Selbst Lester nicht, der sich eigentlich selten sorgte. Eine angespannte Stille erfüllte erneut den Raum, doch noch drückender als vorher. Um diese zu durchbrechen und auch weil er ahnte, dass es Streit geben würde, wenn sie die Sache vorerst nicht beenden würden, sagte Diego: „Es wird Abend. Ich würde gerne nach draußen gehen und nach Faesul suchen. Er schuldet mir noch einen Gefallen. Vielleicht kann ich bei ihm das Haus verkaufen, ohne allzu viel Verlust einzufahren.“
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 19:05 Uhr)

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    Das Gemetzel vor den Toren von Mora Sul

    Sie rückten alle aus und durchstreiften die Straßen von Mora Sul. Wieder folgten ihnen neugierige und skeptische Blicke. Der Held strich geistesabwesend über Beliars Klaue. Wieder war es ihm, als würden seine Gedanken ungewollt um das Schwert kreisen. Er hatte es schon lange nicht mehr aufgewertet. Nach all den Orks, die er in den Tod geschickt hatte, war es eigentlich mal wieder an der Zeit.
    „Hier war doch irgendwo ein Beliarschrein, oder?“ fragte er Diego geistesabwesend.
    Der ehemalige Schatten zog etwas verwundert eine Augenbraue hoch, zeigte aber in die entsprechende Richtung.
    „Dort entlang, aber was willst du denn da?“
    „Ich werde Beliars Klaue weiter aufwerten.“
    Die anderen warfen sich einen unruhigen Blick zu.
    „Und wie genau machst du das?“ wollte Milten wissen und versuchte möglichst sachlich zu klingen, was gar nicht so leicht war, wenn man bedachte, dass sein Kumpel gerade vorhatte zum dunklen Gott zu beten.
    „Ist doch egal. Macht euch keine Sorgen, es ist ja nicht das erste Mal, dass ich das mache“, versuchte der Held abzuwimmeln.
    Er verfluchte sich, weil er nicht einfach unter einem Vorwand weggegangen war, ohne auf das Thema zu sprechen zu kommen.
    „Naja, so egal ist das nicht …“ warf Lester ein.
    „Also schön“, fauchte der Held. „Wenn ihr es unbedingt wissen wollt: Ich geh zum Altar, bete zu Beliar und er stärkt das Schwert im Austausch für etwas von meiner Lebenskraft.“
    Seine Freunde sahen ihn geschockt an. Zu Beliar zu beten war das eine, aber ihm dann auch noch die eigene Lebenskraft anzubieten war ein sehr hoher Preis, selbst für ein Göttliches Artefakt.
    „Du machst was?“ fragte Milten geschockt.
    „Tut das weh?“ fragte Lester besorgt.
    „Ein bisschen. Ehrlich gesagt war ich das erste Mal etwas beunruhigt, weil ich nicht wusste was geschehen würde und da war der Schmerz eigentlich auch am schlimmsten, aber mittlerweile habe ich mich dran gewöhnt.“
    Mit einem Blick auf seine erschütterten Gefährten fügte er hinzu: „Macht euch keine Sorgen. Ich bete auch zu Innos und im Austausch für Gold gibt er mir dann wieder etwas Lebenskraft zurück. Es ist also kein Problem. Wolltest du nicht dein Haus verkaufen Diego?“
    Der Held warf ihnen noch einen Blick zu und ging dann schnell davon.
    „Also das Schwert kann ja noch so gut sein, aber wenn man dafür etwas von seiner Kraft hergeben muss geht das zu weit“, fand Gorn.
    „Du sagst es, aber es sieht Beliar ähnlich, dass er so einen hohen Preis fordert. Wir müssen das Schwert irgendwie loswerden“, sagte Milten und dachte angestrengt nach.
    „Also wenn seine Lebenskraft wirklich in dieses Schwert eingeflossen ist, glaube ich nicht, dass er sich je wieder davon trennen wird“, sagte Diego gleich. „He, sieh mich nicht so an“, fügte er hinzu, als er den Blick von Milten sah. „Mir gefällt das Ganze auch nicht, aber würdest du etwas hergeben, für das du so viel geopfert hast?“
    „Hm… du hast recht, aber zumindest könnten wir überlegen, wie wir ihm helfen können. Ich denke dieses Schwert hat einen schlechten Einfluss auf ihn.“
    Auf dem Weg zu Faesul dachte jeder für sich über diese Angelegenheit nach. Sie fanden den Händler vor seinem Haus, wo er einen Stand aufgebaut hatte. Dort hatte er sich ganz gut eingerichtet. Er saß auf einem weichen Kissen, das wiederum auf einem schönen roten Teppich lag und handelte gerade mit einem anderen Assassinen. Es ging wohl um einen magischen Erzrohling. Das war hier unten sehr selten und deswegen zog sich der Handel auch in die Länge. Faesul bemerkte aber natürlich, dass Diego darauf wartete mit ihm zu sprechen, deswegen hielt er inne und sagte mit einem desinteressierten Seitenblick: „Ich bin gerade in einer wichtigen Verhandlung. Was willst du?“
    „Ich kann warten, bis ihr euer Geschäft besiegelt habt“, antwortete Diego trocken.
    Faesul schnaubte und verzog das Gesicht zu einer fiesen Grimasse.
    „Ach, jetzt soll ich mich auch noch beeilen und vielleicht ein schlechtes Geschäft machen, nur damit du zufrieden bist? Los, spuck es aus, warum bist du hier?“
    Der andere Assassine wandte sich jetzt ebenfalls zu der Gruppe um und nach einem abfälligen Blick auf den Feuermagier schnaubte er verächtlich. Milten ließ sich davon aber nicht aus der Ruhe bringen. Immerhin waren sie in der Überzahl und wenn dieser Typ so dumm war die Waffe zu ziehen, würde er schon sehen was er davon hätte. Diego wusste, dass das hier schon zu schlecht startete um noch ein guter Handel zu werden, doch er ließ sich nicht abbringen.
    „Du schuldest mir noch etwas, weißt du noch?“
    Diego sprach leise, aber mit einem leichten drohenden Unterton in der Stimme.
    Faesuls Blick wurde eiskalt und er schnarrte: „Ja, aber angesichts deiner Mitstreiter bin ich mir nicht sicher, ob ich dir den Gefallen wirklich tun soll.“
    „Was genau meinst du damit?“ fragte Diego immer noch ruhig, aber angespannt wie ein Raubtier kurz vor dem Sprung.
    Faesul stand auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Der Assassine neben ihm tat es ihm nach, legte aber eine Hand auf sein vergiftetes Schwert.
    „Ich möchte mit niemandem handeln, der mit Feuermagiern paktiert und ich würde euch raten ganz schnell die Stadt zu verlassen, oder ihr überlebt diese Nacht vielleicht nicht.“
    „Vielleicht bist du es, der diese Nacht nicht überlebt, wenn du weiter so daherredest“, mischte sich der Held ein, der gerade dazugekommen war und zog streitlustig die Klaue Beliars.
    Er hatte eigentlich erwartet, dass das Schwert erfreut ein Knistern von sich geben würde, weil ein neuer Kampf anstand, aber das tat es nicht. Vielleicht wollte es seine Feinde in Sicherheit wiegen, damit sie angriffen?
    Faesuls Blick fiel auf das Schwert und schien zu versteinern. Der Assassine neben ihm wurde unruhig.
    „Wenn du wirklich angreifen willst, dann komm nur her, aber überleg dir gut, ob du dich gegen mich und die Klaue Beliars stellst“, sagte der Held drohend.
    Faesul blickte plötzlich mit zusammengekniffenen Augen an ihm vorbei in den rot glühenden Horizont und fing an schief zu grinsen.
    „So wie es aussieht muss ich gar nicht weiter darüber nachdenken. Da hinten kommen schon genug andere Herren, die offenbar eure Köpfe wollen.“
    Diego, Milten, Lester, Gorn und der Held drehten sich verwundert um und sahen eine anrückende Orkhorde. Es mussten mindestens dreißig Orks sein.
    „Bei Innos…“ flüsterte Milten.
    „Verdammte Scheiße“ fluchte Gorn.
    „Wir sind alle am Arsch“ kam es von Lester.
    „Jetzt haben wir ein Problem …“ sagte Diego leise.
    „Ach, das ist vielleicht ein Hindernis, aber doch kein Problem“, sagte der Held unerschütterlich.
    „Du siehst schon, dass da vorne eine Horde Orks näher kommt, oder?“ fragte Lester und warf ihm einen fragenden Blick zu.
    „Die haben bestimmt unseren Kampf heute Nacht gehört und sich gesammelt, um uns dran zu kriegen“, sagte Gorn mit einem vorwurfsvollen Unterton in der Stimme.
    „Die Assassinen sind nicht gut auf uns zu sprechen, richtig? Ich werde sie davon überzeugen, dass sie es sich zweimal überlegen sollten uns anzugreifen und wie ließe sich das besser demonstrieren, als wenn wir eine Horde Orks niederkloppen?“ sagte der Held und begann eine Ruinenmauer hochzuklettern, wovon es in Mora Sul reichlich gab.
    „Ist nicht dein ernst, oder?“ fragte Milten ungläubig. „Du willst, dass wir gegen die alle kämpfen?“
    Mittlerweile hatten sich viele Assassinen an Ort und Stelle eingefunden. Zum einen, um zu sehen was los war, zum anderen weil sie erleben wollten wie die Orks diesen Abenteurern die Köpfe einschlugen. Sollten die Orks es dann noch darauf anlegen Mora Sul anzugreifen, würden die Assassinen sie mit ihren Waffen erwarten. Der Held hatte die Mauer erklommen und blickte voller Zuversicht auf die Assassinen unter ihm.
    „Hört mal her Leute! Ich werden diese Orks jetzt töten und wenn das erledigt ist, dann müsst ihr euch entscheiden, ob ihr zukünftig mit mir kämpft, oder gegen mich!“
    Er zog die Klaue Beliars und deutete heroisch in den Himmel. Die Klaue knisterte. Offenbar war sie aufgeregt angesichts gleich so vieler möglicher Kämpfe. Nach dieser klaren Ansage sprang der Held von der Mauer und lief zielstrebig auf die Orks zu.
    „Warte doch mal, wie hast du dir das vorgestellt? Hast du einen Plan?“ fragte Lester und lief zu ihm.
    „Wir rennen hin und hauen alles kurz und klein“, erklärte der Held.
    „Das soll ein Plan sein?“ fragte Diego skeptisch.
    „Von mir aus könnt ihr auch hier bleiben und die Orks abfangen, die der Stadt zu nahe kommen“, sagte der Held genervt.
    Warum musste er immer alles alleine machen? Na gut, immer war übertrieben, aber fast immer …
    Er drehte sich wieder um und lief den näherkommenden Orks entgegen, die ihn im ersten Moment für leichte Beute hielten. Der Held schluckte noch einen Geschwindigkeitstrank und dann ging es richtig los. Einige Meter vor den Orks blieb er stehen und wirkte einen Feuerregen. Die Orks hatten zu spät herausgefunden was er da vorhatte und nur gesehen, dass er stehen blieb, vermutlich vor Angst, wie sie dachten. Als das heiße Feuer dann vom Himmel fiel, war es bereits zu spät. Gleich darauf setzte der Held eine Eiswelle nach, um diejenigen zu lähmen, die hinterherkamen. Von der Ferne her traf ihn ein Feuerball, der von einem Schamanen geschleudert wurde. Der Held fluchte. Das hätte er kommen sehen müssen, aber immerhin war seine Rüstung ganz gut gegen Feuer geschützt. Die Orks waren jetzt gefährlich nah, schon hieben sie mit ihren Äxten nach ihm. Der Held wich aus und machte, dass er da weg kam. Er wollte irgendwie zu dem Schamanen durchbrechen, um ihn als größte Gefahr schnell zu beseitigen. Er sah, wie dieser etwas vorhatte. Der Schamane setzte irgendeine Beschwörung in Gang. Ein gut gezielter Schockzauber unterbrach seinen Spruch und verschaffte ihm mehr Zeit. Der Held wich einem orkischen Heerführer aus, der ihn mit seinem riesigen Schwert durchbohren wollte und parierte selbst den wilden Angriffsschlag eines Axtschwingenden Orks. Nachdem er noch eine Eiswelle eingesetzt hatte war der Weg bis zum Schamanen frei. Zu spät Begriff der, dass er sich jetzt mit einer Nahkampfwaffe verteidigen müsste und das war die Gelegenheit ihn mit der Klaue Beliars unter lautem Blitzen niederzustrecken. Der Held sammelte sich und fing an einen Dämon zu beschwören, ähnlich dem, den Gorn und er in Gotha dem Gar ausgemacht hatten. Doch das brauchte Zeit, in der er ein leichtes Opfer war. Voller Ingrimm brüllten die Orks auf, als sie sahen wie ihr Schamane tot am Boden lag. Jetzt ging es ihm an den Kragen. Links und rechts flogen ihm die Äxte um die Ohren und selbst seine gute Rüstung konnte ihn nicht davor bewahren, ordentlich Federn zu lassen. Blut spritzte nach allen Seiten und die Schläge raubten ihm den Atem. Der nun beschworene Dämon brüllte und versetzte der Orkmeute einen Schwinger mit seinem brennenden Dämonenschwert, so dass die Feinde verängstigt zurückwichen. Der Held keuchte und versuchte aus dem Gedränge herauszukommen. Das war gar nicht so einfach, wenn man bedachte, dass er so schwer verletzt war, dass er nur noch hinken konnte. Auch seine Schwerthand war im Moment nicht mehr zu gebrauchen. Mit der linken Hand kramte er nach einem Heiltrank, aber es war zu viel von Diegos Krempel in seiner Tasche, als dass er schnell etwas Brauchbares finden könnte.
    „Verdammt“, fluchte er und sprach stattdessen einen Heilzauber. Der heilte ihn nicht vollständig, aber immerhin konnte er sich wieder zur Wehr setzen, was auch bitter nötig war, denn schon kam die nächste Axt in sein Sichtfeld. Er riss die Klaue Beliars hoch und blockte den Angriff ab. Die Klinge knisterte. Der Held war viel schneller mit seiner Einhandwaffe, als der Ork mit seiner schweren Axt. Noch bevor der seine Axt zu einem Block hochreißen konnte, hatte er ihm sein Schwert mitten durch den Schädel getrieben. Ein wildes Brüllen ließ ihn herumfahren. Schnell duckte er sich unter einem wilden Schwinger hindurch und durchbrach somit gleich die Verteidigung seines Angreifers. Er brauchte sich nur ruckartig aufzurichten, um ihn mit seinem Schwert zu durchbohren. Allerdings hatte er nicht bedacht, dass der schwere Leichnam jetzt auf ihn fiel. Mühsam versuchte er den stinkenden Körper von sich wegzudrücken. Doch er war nicht schnell genug. Ein weiterer Ork war fest entschlossen seine Kameraden zu rächen und verpasste ihm einen Schmetterschlag mit seiner todbringenden Axt. Ohne seine gute Rüstung wäre er garantiert einen schnellen Tod gestorben, doch so zersplitterten die Panzerplatten und die Waffe drang nur bis in den Knochen seines Brustbeins vor. Blut spritzte nach allen Seiten. Der Held sog schmerzhaft die Luft durch die Zähne ein und Tränen schossen unwillkürlich in seine Augen. Doch es half ja nichts, das war vermutlich die Fundamentale Erkenntnis seines langen abenteuerlichen Lebens. War man auch noch so schwer verletzt, in einer brenzligen Situation konnte man sich einfach nicht zurücklehnen, es sei denn man wollte nicht mehr weiterleben. Unter Aufbietung all seiner Willenskraft stieß er den leblosen Körper mit einem Kampfschrei zur Seite und hieb dem Ork vor ihm die Beine mit der Klaue Beliars weg. Der Ork brüllte schmerzgeplagt und konnte seinen Angriff nicht rechtzeitig parieren. Mit einem lauten Splittern spaltete der Held ihm den Schädel. Ein weiteres Brüllen ließ ihn herumfahren und er stand zwei weiteren Feinden gegenüber. Der Held brüllte zurück und schwang die Klaue Beliars. Wie von Sinnen und von Unmengen an Adrenalin getrieben, das seine Schmerzen betäubte, schlug er auf seine Gegner ein, die mit einem derart wilden Angriff von einem Menschen nicht gerechnet hatten. Sie versuchten seine Schläge abzuwehren, doch die Klaue Beliars entlud sich knisternd und machte ihre Blockade zunichte. Mit lautem Grollen fielen die beiden Orks wortwörtlich vom Blitz erschlagen um und regten sich nicht mehr. Keuchend sah sich der Held um. Hier hatte er alle Orks erledigt. Ein erstickter Todesschrei entwich dem letzten Ork, der sich gegen den beschworenen Dämon gestellt hatte. Jetzt wandte sich das gehörnte Geschöpf zu ihm um und sah ihn aus glimmenden Augen an. Es wartete auf neue Befehle. Der Held beachtete es nicht weiter und kramte eilig nach dringend benötigten Heiltränken. Er musste wieder einmal zugeben, dass er sich völlig überschätzt hatte. Was trieb ihn denn zu diesem Wahnsinn?
    ‚Früher hab ich doch auch gegen so viele Orks gekämpft. Bin ich schwach geworden? ‘ fragte er sich selbst. ‚Aber damals kamen die Orks auch in Abständen nacheinander und nicht alle zugleich du Trottel‘ schallt ihn eine innere Stimme.
    Endlich hatte er einige Heiltränke gefunden und schluckte gierig die rote Flüssigkeit hinunter. Erleichtert spürte er, wie sich die heilende Wirkung in seinem Körper ausbreitete. Der Blutstrom versiegte, die Wunden begannen zu heilen. Prüfend fuhr er durch die zerstörten Brustplatten seiner Rüstung. Darunter befand sich nur noch unversehrte Haut. Erleichtert stieß der Held die Luft aus, die sich unter der Anspannung in seiner Lunge gesammelt hatte. Heute hatte er keine Lust nach Wertsachen bei den Orks zu suchen. Mit Diegos Hab und Gut staute sich schon genug Zeug in seiner Tasche, da brauchte er nicht noch mehr. Sollten sich die Assassinen darum kümmern und den Krempel verkaufen. Wo er daran dachte, wandte er sich nach Mora Sul um und sah, dass fast ein Dutzend Orks leblos vor der Stadt lagen.
    „Ich liebe diese ganze Scheiße.“
    Gorns tiefe Stimme wehte selbst bis hierher an seine Ohren. Ein Lächeln stahl sich auf das Gesicht des Helden und er lief auf seinen Freund zu, der gerade versuchte, dem eben niedergestreckten Ork seine Axt aus dem gespaltenen Kopf zu ziehen. Sie steckte fest, doch mit einem kräftigen Ruck und unter lautem Knacken befreite er seine Waffe. Als der Held näher kam, bemerkte er, dass seine Freunde etwas mitgenommen wirkten. Alle hatten ein paar Schläge abgekommen, die sie nun, da der Kampf vorbei war mit Heiltränken kurierten. Ausgenommen Milten. Er nutzte seine magischen Fähigkeiten, um sich zu heilen.
    „Gut, dass wir vorbereitet sind“, sagte Lester, der gar nicht daran denken wollte wie es wäre ohne Heiltränke auf Orkjagd zu gehen.
    Die Assassinen in Mora Sul hatten alles aus sicherer Entfernung aufmerksam beobachtet. Für sie war es ein Stück gute Unterhaltung gewesen, in der Art, wie sie auch einen Arenakampf beobachtet hätten. Der Held ging auf sie zu und wartete gespannt auf ihre Reaktion, doch zuerst kam keine. Vielleicht lag das am Dämon, der mit donnernden Schritten hinter ihm herlief. Es war wie bei einer Katastrophe. Die Leute wollten nicht hinsehen, konnten aber nicht anders. Der Dämon zog wie von selbst alle Blicke auf sich und ließ die Leute in eine ängstliche Nervosität verfallen. Der Held hatte sich so sehr an seine Beschwörungen gewöhnt, dass er manchmal vergaß welchen psychologischen Effekt sie auf andere Leute haben konnten. Für sein Vorhaben war das aber nur hilfreich.
    „Und? Was meint ihr? Wollt ihr gegen mich kämpfen? Oder mich eher im Kampf gegen die Orks unterstützen?“
    Viele Augenpaare wanderten jetzt mühevoll vom Dämon zum Helden und insbesondere zur Klaue Beliars, die wieder ein angriffslustiges Knistern von sich gab.
    Gonzales und der Schwarzmagier Ningal bahnten sich einen Weg durch die Menge vor zum Helden. Das war nicht schwer, denn rechts und links machten die Assassinen ihnen eilig platz, was ein Zeichen von ehrfürchtigem Respekt war.
    „Wenn wir uns gegenseitig gegen die Orks unterstützen ist das für unser beiderlei Vorteil.“
    Gonzales reichte dem Helden die Hand. Der Held überlegte kurz, ob sein Gegenüber vielleicht eine giftige Klinge versteckt hatte, aber dann erinnerte er sich wieder daran, dass überall Leute zusahen und hinter ihm ein Dämon stand, der jeden, der seinem Herren was zu Leide tat ohne Umwege in Beliars Reich schicken würde. Deswegen schlug er ohne langes Zögern ein und sie besiegelten ihr Abkommen.
    „Was sollte denn das? Wolltest du uns damit irgendwas beweisen?“ fragte Diego leise tadelnd, als der Held wieder bei seinen Freunden war.
    „Was meinst du?“ fragte der Held und sie gingen wie auf ein unausgesprochenes Wort hin durch Mora Sul zurück zu Diegos Haus.
    „Es war sehr dumm all diese Orks ganz allein anzugreifen“, sagte Diego vorwurfsvoll.
    Im Stillen musste der Held Diego Recht geben, immerhin war der alte Haudegen ein erfahrener Kämpfer, aber er wollte nicht zugeben, dass er sich geirrt hatte.
    „Ich hab gesehen, wie sie dich zweimal fast zu Kleinholz verarbeitete hätten. Du kannst sowas einfach nicht machen!“
    „Du siehst doch, dass ich das kann!“ antwortete der Held stur.
    „Ja, das sehe ich“, sagte Diego sarkastisch und zeigte auf seine zerfetzte Rüstung.
    „Ach was, die werde ich bei der nächsten Schmiede ausbessern.“
    „Er ist schon die ganze letzte Zeit so Risikobereit“, mischte sich Milten ein.
    Gorn wollte einen aufkommenden Streit verhindern und gab dem Helden solidarisch einen Klaps auf die linke Schulter.
    „Ach was, du wolltest uns allen nur mal wieder beweisen, dass du ein echt harter Kerl bist, stimmt’s?“
    „Jetzt bestärk ihn nicht auch noch in diesem Leichtsinn!“, schnarrte Diego. „Du weißt so gut wie ich wie gefährlich die Orks sind. Denk nur an Irdorath.“
    „Ja, da habt ihr auch nur in zweiter Reihe gestanden und mich all die Arbeit machen lassen“, grollte der Held.
    Die anderen sahen ihn überrascht an.
    „He, das waren verdammt viele Orks“, wehrte sich Lester.
    „Oh ja, das waren verdammt viele Orks“, bestätigte der Held fuchsig.
    „Wir mussten das Schiff bewachen. Wenn wir wiedergekommen wären und das Schiff wäre weg hätten wir ganz schön blöd aus der Wäsche geguckt“, sagte Gorn frei heraus.
    „Außerdem haben wir die Landungsstelle frei gekämpft“, merkte Diego an. „Und dann war da noch dieser plötzliche Angriff der Orks mitten in der Nacht …“
    „Ja, ist ja gut“, sagte der Held gereizt.
    Hätte er nur nicht damit angefangen. Er wollte nicht auf seine Freunde sauer sein, aber irgendetwas machte ihn gerade sehr aggressiv. War es das Adrenalin, das immer noch durch seinen Körper gespült wurde? Die aufgepeitschten Gefühle durch den Kampf? Oder war es einfach Enttäuschung, weil er mal wieder allein gekämpft hatte? Den Dämon nicht mitgezählt, der ihnen immer noch hinterherstapfte und dem alle Assassinen schnell aus dem Weg sprangen, um ihm nicht vor die Füße zu kommen. Von einem Moment auf den anderen blieb er einfach stehen und fiel tot um. Die Beschwörungen des Helden wirkten immer nur eine begrenzte Dauer und die Zeit des Dämons war abgelaufen. Er musste warten, bis er erneut beschworen wurde. Seine Freunde sahen sich kurz zu dem Wesen um, doch dem Held war es egal. Er hatte sich so sehr an diesen Umstand gewöhnt, dass er gar nicht mehr darauf achtete, wenn seine Beschwörungen ihre Kraft verloren. Sie erreichten Diegos Haus und der Hausherr lud sie ein, ihm aufs Dach zu folgen. Hier stand eine Feuerschale, die mithilfe eines speziellen Öls schnell entzündet wurde. Sie setzten sich auf das flache Dach und sahen ins prasselnde Feuer, welches das Dach des Hauses in einen schönen Orangeton beschien. Es war friedlich hier. Am Himmel konnten sie die Sterne sehen, die Umgebung um Mora Sul blieb aber weitgehend in Dunkelheit getaucht, vor allem jetzt wo das Licht des Feuers ihren Blick für die Schwärze der Nacht nahm. Zuerst waren sie alle still, bis Lester das Wort ergriff.
    „Weißt du, ich hab mich gefragt, ob es vielleicht an der Klaue Beliars liegt, dass du in letzter Zeit so kampflustig bist.“
    „Jetzt fang nicht damit an“, schmetterte der Held diesen Einwurf ab.
    „He, hör erstmal zu! Dann kannst du mich immer noch anschreien.“
    „Hab ich geschrien?“ fragte der Held auf einmal erschüttert.
    Es war ihm gar nicht aufgefallen.
    „Oh, tut mir Leid Lester. Ich bin … nur gerade etwas genervt.“
    „Das meine ich“, sagte sein Freund und es sprach für ihn, dass er seinem Kumpel nicht böse war.
    „Ich hab mir nur so gedacht …“ fing Lester an und begann geriebenes Sumpfkraut aus seiner Tasche zu einem Stengel zu drehen. „… das die Klinge vielleicht einen Effekt auf dich hat. Weißt du noch, als du mich damals im Tal bei Xardas Turm gefunden hast?“
    Der Held nickte stumm.
    „Da hatte ich entsetzliche Kopfschmerzen, ständig war ich müde und mir war so, als würde etwas zu mir … flüstern, oder … mich irgendwie beeinflussen wollen. Wenn ich mich dagegen wehrte wurden die Schmerzen noch schlimmer, aber ich wusste, dass ich es tun musste, oder ich würde wahnsinnig.“
    Die anderen schwiegen und hörten Lester gespannt zu.
    „Wie ist das bei dir? Hörst du irgendwelche Stimmen oder kommt dir irgendetwas komisch vor?“
    Der Held dachte angestrengt nach.
    „Nein, eigentlich nicht.“
    „Was heißt eigentlich?“
    Als der Held ihn genervt ansah, setzte Lester eilig nach: „He, ich versuche nur dir zu helfen, ja?“
    Der Held seufzte.
    „Manchmal, da hab ich so ein Gefühl … es ist wenn ich mir überlege doch mal wieder eine andere Waffe zu benutzen, dann überkommt mich so ein Gefühl, das mir zeigt wie toll Beliars Klaue doch ist und deswegen lass ich es dann doch bleiben. Ich bin … glücklich, wenn ich mit dem Schwert kämpfen kann, verstehst du?“
    „Hm…“ kam es nur von Lester, das unklar ließ, ob er es nachvollziehen konnte, oder nicht. „Ich denke die Waffe will, dass du sie benutzt. Die Frage ist nur warum.“
    „Vielleicht will sie, dass er sich selbst im Kampf umbringt“, sagte Diego immer noch verärgert. „Dann wäre er auf dem besten Weg dahin.“
    „Was ist eigentlich dein Problem?“ fragte der Held aufbrausend.
    „Weißt du, wenn du so gewesen wärst, als sie dich in die Barriere geworfen haben und du dich dem nächstbesten gefährlichen Vieh in den Weg gestellt hättest, dass dir untergekommen wäre, dann wäre es mir vermutlich egal gewesen, wenn es dich getötet hätte. Aber wir haben nun schon so viel zusammen durchgestanden und so als … Freunde, hab ich das Gefühl, dass ich dich darauf hinweisen muss, wenn du dich unvernünftig verhältst. So kenn ich dich gar nicht.“
    „Naja in Irdorath hat er auch gegen Heerschaaren von Orks gekämpft“, hielt Gorn dagegen.
    „Da hatte er aber auch schon die Klaue Beliars“, sinnierte Milten.
    Jetzt sahen alle den Helden an und auch er grübelte nach. Ihm ging auf, dass Milten Recht hatte. Seitdem er die Klaue Beliars hatte war er eindeutig risikofreudiger geworden. Vorher hatte er ganz genau geplant, wie er eine Gruppe Orks am besten angreifen sollte, hatte sich die Zauber zurechtgelegt und war alles im Kopf durchgegangen, um sofort reagieren zu können, sollte etwas schief laufen.
    „Weißt du …“ Lester sah ihn eindringlich an. „Vielleicht versucht dich die Klaue in den Wahnsinn zu treiben. Sieh mal, schon jetzt hat sie dich gegen uns, deine Freunde, aufgewiegelt. Vielleicht will sie, dass du ganz allein da stehst.“
    Der Held sah ihn gespannt an. Was sein Freund da sagte, lag alles im Bereich des Möglichen, auch wenn er nicht mochte, was das bedeuten könnte.
    „Aber wozu das Ganze?“ fragte er verständnislos.
    „Naja“, sagte Lester und richtete sich etwas weiter auf. „Vielleicht versucht die Klaue dich in Beliar’s Dienst zu zwingen. Irgendwann bist du vielleicht so begeistert von dem Schwert, dass du immer öfter zu den Beliarschreinen gehst und wer weiß, vielleicht stellt er auf einmal ganz neue Bedingungen. Bist du oft dort gewesen? Wie viel von deiner Lebenskraft hat er bisher verlangt?“
    Der Held war unschlüssig. Wie sollte man sowas beurteilen?
    „Ich weiß nicht … es war schon einiges. Wäre ich beim ersten Gebet noch so schwach gewesen, wie damals, als ich aus Xardas Turm kam, wäre ich vermutlich auf der Stelle tot umgefallen.“
    Seine Freunde sahen ihn besorgt an.
    „He, macht euch deswegen keine Sorgen. Ich bin ein zäher Hund, ich halt was aus“, versuchte er ihre Bedenken wegzuwischen.
    „Vielleicht … vielleicht solltest du die Waffe loswerden, oder zumindest irgendwo sicher verwahren“, schlug Milten vor.
    „Du weißt gar nicht was du da verlangst“, sagte der Held, immer noch ruhig aber mit einem bitteren Ton in der Stimme. „In dieses Schwert“, der Held zeigte auf die Klaue „… ist meine Lebenskraft eingeflossen, da glaubst du doch nicht etwa, dass ich es einfach so weggebe?“
    „Nein … nun ich meine … man könnte es doch irgendwo sicher aufbewahren, oder du benutzt es nur einfach nicht“, versuchte der Feuermagier ihn zu überzeugen.
    Der Held wandte den Blick ab und sah in die undurchdringliche Finsternis, die sich jenseits des Lichtscheins erstreckte.
    Leise, aber mit einem leichten Zittern in der Stimme sagte er: „Ohne dieses Schwert wäre ich nie so weit gekommen und wir würden jetzt alle nicht hier an einem Lagerfeuer sitzen und erzählen.“
    Die anderen warfen sich Blicke zu.
    „Was meinst du damit?“ fragte Diego ruhig aber gespannt.
    Der Held wandte sich ihm zu und sah ihm direkt in die Augen. Das Eingeständnis seines Versagens lag im Blick des Helden.
    „Ich hätte die Drachen nie besiegt, ohne dieses Schwert. Als Xardas damals mit dem Auftrag kam das Auge Innos zu beschaffen hab ich nicht ernsthaft geglaubt ich sollte das ganz allein machen.“
    Er wiegte leicht den Kopf hin und her.
    „Naja vielleicht hatte ich unterbewusst geahnt, dass es doch so kommt, weil es ja im Grunde immer darauf hinausläuft, aber ich glaubte noch daran, dass ich zumindest einige Mitstreiter haben würde, um gegen die Drachen ins Feld zu ziehen, doch umso weiter mich meine Abenteuer brachten umso schneller wurde klar, dass ich auf keine große Unterstützung zählen konnte. Garond und Lord Hagen würden keine Ritter oder Paladine zum Kampf gegen die Drachen entsenden und ich ahnte natürlich, dass der Kampf gegen die Drachen kein Zuckerschlecken werden würde.“
    Gorn sah schuldbewusst aus. Vielleicht hatte er seinem Freund damals helfen wollen und irgendetwas war dazwischengekommen?
    „Vielleicht hättest du es auch anders geschafft.“
    Der Held schnaubte.
    „Könnt ihr euch eigentlich vorstellen wie schwer es war so einen Drachen zur Strecke zu bringen?“
    Lester biss sich auf die Unterlippe, Milten sah besorgt aus, Gorn ganz unglücklich, weil er seinem Freund damals nicht beigestanden hatte und Diego wartete einfach nur gespannt ab, was da jetzt kam.
    „Zum einen ist es ein Kunststück sie überhaupt dazu zu überreden am Boden zu bleiben. Wenn es ihnen zu viel wird fliegen sie einfach weg und beschießen einen aus der Ferne mit Feuerbällen.“
    „Aber du hattest doch Heiltränke, oder?“ fragte Diego.
    „Meistens schon, aber es braucht Zeit Heiltränke zu schlucken und in dieser Zeit hat sich der Drache auch wieder geheilt. Drachen verfügen über sehr starke regenerative Fähigkeiten. Gerade wenn ich gedacht habe, jetzt ist das Vieh gleich tot, zog es sich zurück und hielt mich mit Feuerbällen auf Distanz und nach kaum einer halben Minute ist ein fast toter Drache wieder gesund. Ich durfte diese Mistviecher also gar nicht erst entkommen lassen. Immer drauf, egal was da kam, Brandwunden, aufgeschlitzte Wunden, darauf konnte ich in dem Moment keine Rücksicht nehmen.“
    „Hör mal, ich hätte da sein sollen, um dich zu unterstützen“, sagte Gorn, dem das offenbar schwer auf der Seele lastete.
    Der Held wehrte ab, jetzt war es eh zu spät.
    „Ach naja. Beim Sumpfdrachen Pandrodor haben mir immerhin die Drachenjäger Biff, Cipher und Rod geholfen, der war eigentlich gar nicht so schwer. Finkregh, der Eisdrache war das eigentliche Problem. Da hatte mir Biff zwar auch geholfen, aber ich hatte keine Heiltränke mehr. Beinahe wäre er mir hopps gegangen und mein Leben hing auch am seidenen Faden und dann kam hinterher noch Silvio mit Bullco an und machte Ärger. Da dachte ich dann auch, das wars. Jetzt hast du den Eisdrachen besiegt und krepierst wegen so einem Arsch, aber auch da hat mir die Klaue Beliars wieder aus der Patsche geholfen. Zwei Hiebe und Zack, weg war Silvio und Bullco war nach einem Hieb auch hinüber.“
    Galgenhumor erfüllte ihn, als er an die Situation zurückdachte.
    „Ihr hättet Biff sehen sollen. Konnte sich kaum auf den Beinen halten, aber als ich ihm sagte, dass es das jetzt gewesen wäre, immerhin waren alle Drachen im Mienental tot, da meinte er, er wäre gerade erst warm geworden. Dann stapfte er von dannen und zog eine lange Blutspur hinter sich her. Bloß nicht zugeben, dass man halb tot ist…“
    Der Held lachte. Die anderen fanden das gar nicht witzig.
    „Naja, du machst das aber auch nicht anders“, sagte Lester leise und Besorgnis schwang in seiner Stimme mit.
    „Ja, du musst uns nicht immer zeigen wie abgebrüht du bist, das wissen wir auch so“, sagte Gorn und zwinkerte ihm zu.
    „Aber du konntest doch gar nicht wissen, dass es so kommen würde, oder hattest du vorher schon mal gegen einen Drachen gekämpft?“ fragte Milten zweifelnd.
    „Nein, natürlich nicht, aber ich konnte mir denken, dass es sehr schwer werden würde. Immerhin war ich noch geschwächt von meiner langen Zeit im Schläfer Tempel und dann sollte ich gegen Drachen kämpfen. Warum eigentlich ausgerechnet ich?“
    „Deswegen bist du ziemlich angefressen, oder?“ fragte Lester, um zum Kern seines Ärgers vorzudringen.
    „Ja, natürlich, immer erwarten alle, dass ich alles in Ordnung bringe. Wer bin ich, der Messias?“
    „Naja … also…“ setzte Milten an. „Immerhin bist du der Erwählte der Götter.“
    „Ach, und wer sagt das?“ fragte der Held wieder gereizt.
    „Nur du konntest das Auge Innos anlegen“, argumentierte der Feuermagier.
    „Das sagt noch gar nichts …“ wehrte sich der Held „und wie ich schon sagte war ich damals überhaupt nicht in der Verfassung gegen Drachen zu kämpfen. Als mir Saturas dann den Auftrag gab gegen Raven und die Klaue Beliars zu kämpfen war das die Chance. Das Schwert gab mir die Hoffnung es doch noch gegen die Drachen schaffen zu können und ich tat alles um herauszufinden wo es war und wie ich da ran kam. Jharkendar war für mich damals ein gefährlicher Ort. Ich war nicht gut im Training, hatte kaum Gold und war demzufolge schlecht ausgerüstet. Heiltränke waren ein Luxus, wenn mich irgendein Vieh verletzte, versorgte ich die Wunden einfach meist notdürftig mit Heilpflanzen und dann ging es auch schon weiter, immerhin trieb mich Saturas zur Eile. An besonders viel Schlaf war da nicht zu denken. Ich wurde unkonzentriert und das brachte mir viele schmerzhafte Flüchtigkeitsfehler ein. Zum Beispiel bei dem Troll vor Quahodrons Grab. Die Harpien hatte ich dort zuerst völlig übersehen und als ich mich dann um sie kümmerte … nun ja, Trolle werden nicht gern ignoriert...“
    „Also so schlecht im Training konntest du dann doch gar nicht sein“, warf Diego ein. „Erinnerst du dich noch daran, wie wir damals auf Fokussuche waren? Da waren wir zu zweit gegen den Troll und du hast ihn mit Schrumpfen auch noch verzaubert. Einen Troll allein zur Strecke zu bringen ist schon eine gewaltige Leistung.“
    Die anderen nickten zustimmend. Selbst Gorn warf dem Held respektvolle Blicke zu. Der Held hatte aber nicht das Gefühl diesen Respekt zu verdienen. Er verglich seine Leistung von damals mit der vor dem Schläfer Tempel.
    „Ach was, wenn man weiß wie dann ist ein Troll gar nicht so schwer zu besiegen.“
    „Was?“ fragte Milten ungläubig und die Worte blieben ihm fast im Halse stecken.
    „Naja die Trolle im Mienental sind etwas härter. Vermutlich aus Anpassungsgründen, haben sie eine dicke Fettschicht, die schwächere Angriffe erst gar nicht durchlassen, überall sonst auf Khorinis sind die Trolle aber sensibler. Es reicht einfach immer hinter dem Troll zu bleiben und ihn so lange zu bearbeiten bis er schließlich umfällt. Klar, dass kann schon mal eine Stunde dauern, vor allem, wenn man ein halb verhungerter Lump ist, aber es funktioniert.“
    Die anderen sahen ihn verwundert und noch ehrfurchtsvoller an.
    „Aber darauf wollte ich gar nicht hinaus“, sagte der Held und war sich gar nicht bewusst, was er hier für Kampftipps verbreitete. „Die Zeit in Jharkendar war mit Abstand die härteste Zeit in meinem Leben“, sagte der Held bitter. „So oft hatte ich noch nie geglaubt bald zu verrecken. Um mich zu tarnen trug ich eine Banditenrüstung und die bot so gut wie gar keinen Schutz und im Sumpf wimmelte es vor Viechern, wie zum Beispiel Sumpfgolems. Wenn ich mich gut anstelle und genau aufpasse kann ich die Schläge eines Golems genau abpassen und mit eigenen Schlägen durchbrechen, aber damals war ich völlig übermüdet. Ein Sumpfgolem hat es mir besonders schwer gemacht. Ich war völlig aus dem Takt und er traf mich sehr hart, wie eine Stoffpuppe flog ich erstmal viele Meter weg und bevor ich noch meine zertrümmerten Knochen begutachten und mich aufrappeln konnte, kam das Mistvieh mit vollem Karacho angerauscht und feuerte mich wieder weg. Hat ganz schon Willenskraft gekostet das noch hinzubekommen. Und die Sumpfgasdrohnen erst...“
    „Sumpfgas…was?“ fragte Lester, der eigentlich geglaubt hatte schon alles zu kennen was im Sumpf kreucht und fleucht.
    „Das sind Insekten, etwa in der Größe von Blutfliegen, aber viel schlimmer.“
    Die anderen sahen ganz so aus, als würden sie sagen wollen, dass Blutfliegen ja wohl schon schlimm genug waren, mit ihrer unerträglichen Art, aber hörten gebannt weiter zu.
    „Diese Mistviecher verschießen eine ätzende Säure. Am besten erledigt man sie aus der Ferne, aber das musste ich auch erst schmerzhaft lernen.“
    Der Held begann seine rechte Armschiene zu lösen.
    „Als ich eins der Viecher im Nahkampf mit meinem Rapier bearbeitete zerschlitzte ich dessen Körper und diese Säure spritzte überall hin.“
    Er hatte seine Armschiene jetzt entfernt und zeigte seinen rechten Unterarm vor, dessen Haut stark durch Säure verätzt war.
    Lester zog zischend die Luft ein.
    „Sieht echt übel aus.“
    „Warum hast du es nicht mit einem Heiltrank kuriert?“ fragte Milten besorgt.
    „Ich hatte keine mehr und Heilkräuter musste ich im Sumpf erst suchen gehen. Überhaupt hatte ich kaum Ausrüstung. Und im Canyon lauerten ein Haufen Snapper und Razor, aber am gefährlichsten waren natürlich die Orks. Dort hatte sich eine kleine Gruppe niedergelassen. Ich musste an ihnen vorbei um zum Tempel der Gelehrten zu kommen. Es war echt schwer. Erst hab ich ihnen mit einem Feuerregen zugesetzt, dann bin ich zu ihren Schamanen gerannt …“ Der Held hob den Zeigefinger. „Das ist überhaupt das Wichtigste, immer zuerst die Schamanen töten, sonst bringt einem das nur Ärger. Allerdings braucht es Zeit sie zur Strecke zu bringen und ich kassierte einige empfindliche Treffer. Meine Rüstung war damals nicht so solide. Danach hab ich drei weitere Orks mit einem Feuersturm so weit geschwächt, dass sie mit ein paar gezielten Schlägen zu Boden gingen.“
    „Und dann?“ fragte Lester aufgeregt.
    „Dann bin ich weggerannt.“
    Die anderen sahen ihn verwundert an.
    „Die Orks sind dir gefolgt, oder?“ fragte Diego nach.
    „Natürlich, meine Blutspur war auch nicht zu übersehen. Ich war kurz vorm verrecken, aber irgendwann sah ich ein, dass ich mich den zwei Orks, die mich verfolgten stellen müsste. Sie hatten mich schon zu weit eingeholt.“
    „Die paar, sowas machst du doch mit links“, wollte Gorn ihn aufmuntern und zwinkerte ihm zu.
    „Ach, hast du schon mal mit heraushängenden Eingeweiden gegen zwei Orks gekämpft?“ fuhr der Held ihn forsch an.
    „Ich … nein…“ sagte Gorn bestürzt.
    „Na siehst du. Das hört sich immer alles ganz einfach an, aber das ist es nicht. Gerade wenn man nur so ein halbes Hemd ist, das völlig aus dem Training ist. Spätestens da war mir klar, dass ich es niemals schaffen würde, wenn ich die Klaue Beliars nicht in meinen Besitz bekommen würde.“
    Eine unangenehme Stille breitete sich aus.
    „Aber jetzt hast du die Drachen besiegt und Myrtana von der Herrschaft der Orks befreit. Selbst die Orks, die noch einmal zurückgekommen sind, haben entscheidende Niederlagen hinnehmen müssen. Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass noch allzu viele in Myrtana übrig sind. Jetzt brauchst du die Klaue Beliars doch nicht mehr“, argumentierte Milten.
    „Ja genau“, stimmte Lester zu.
    Der Held dachte nach. Milten hatte Recht. Er hatte alles geschafft was nötig war. Die Drachen waren tot, die Herrschaft der Orks beendet. Eigentlich brauchte er die Klaue Beliars nicht mehr. Sein Blick fiel auf das Schwert. Lautlos flackerten schwache Blitze über die Klinge, fast wie ein Betteln: ‚Gib mich nicht weg‘
    Nein, weggeben würde er das Schwert auf keinen Fall. Dazu war es viel zu kostbar und auch seine eingeflossene Lebenskraft verband ihn mit dem Schwert. Jedoch könnte er es eine Zeit lang wieder sicher in seiner Tasche verstauen und eine andere Waffe führen… Doch das Schwert war so eine tolle Waffe, diese Blitze, diese Kraft …
    Seine Freunde sahen wie er mit sich rang.
    „Vielleicht finden wir eine andere gute Waffe für dich“, schlug Gorn vor, um ihm noch einen Schubs in die richtige Richtung zu geben.
    Milten war Gorn sehr dankbar für seinen guten Einfall.
    „Ja genau, wie wäre es denn mit Uriziel? Das war doch ein geradezu legendäres Schwert.“
    „Uriziel liegt verschüttet im Schläfertempel zusammen mit all meinem anderen alten Kram“, sagte der Held missmutig.
    Uriziel war wirklich ein tolles Schwert gewesen. Nicht so handlich wie die Klaue Beliars, aber sehr beeindruckend.
    „Hast du je versucht es zu bergen?“ fragte Diego, der Lust auf ein neues Abenteuer bekam.
    „Nein. Als ich das letzte Mal im Mienental war, gab es keine Brücke mehr zum Dorf der Orks und ich vermutete, dass es dort nur so vor Orks wimmelte.“
    „Das ist lange her, vielleicht sieht es jetzt dort ganz anders aus“, versuchte ihn Diego zu überreden.
    „Du meinst zurück ins Mienental?“ fragte Lester zweifelnd.
    „Ich bin eigentlich froh, dass ich da endlich raus bin“, setzte Gorn hinzu.
    „Ich hätte gern gewusst was aus dem Tal geworden ist“, entgegnete Diego, der einen Anflug von Nostalgie bekam und jetzt still wurde.
    Vielleicht dachte er an vergangene Abenteuer in der Kolonie zurück.
    „Weißt du was? Ich auch“, sagte der Held jetzt.
    Milten und Diego hatten ihn überredet. Außerdem hörte sich das ganz nach einem weiteren neuen spannenden Abenteuer an. Jetzt wo die meisten Orks hier auf dem Festland erledigt waren, war es doch genau der richtige Zeitpunkt wo anders auf den Putz zu hauen.
    „Na schön, dann komm ich auch mit“, sagte Gorn wenig begeistert.
    Seine Freunde würde er natürlich nicht alleine ziehen lassen. Lester seufzte. Er hatte eigentlich keine Lust wieder in die ehemalige Strafkolonie zurückzukehren und sicher würden da viele gefährliche Viecher nur darauf warten über sie herzufallen, aber wenn all seine Freunde dort hingehen würden, wollte auch er sie nicht im Stich lassen.
    „Na schön, ich denke dann haben wir ein neues Ziel“, sagte Lester und fügte nach einigen Minuten noch hinzu: „Wenigstens musst du dein Haus nicht mehr verkaufen.“
    „Tse“ kam es von Diego. „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass dieses „Bündnis“ echt war, das Gonzales unserem Freund angeboten hat? Ja, sicher, nach außen hin wird er kuschen, aber ich gehe davon aus, dass er gerade jetzt überlegt wie er uns alle meucheln kann.“
    Lester wirkte beunruhigt und warf einen kurzen Blick in die Schwärze der Nacht hinter sich.
    „Ich hab mir überlegt, dass ich das Haus dem Arenakämpfer Oelk so lange überlasse, bis ich wieder zurück bin. Er hatte mich schon vor einigen Tagen gefragt, ob ich Mora Sul bald verlassen wolle und er es haben könnte.“
    „Und warum sind wir dann nicht vorhin zu ihm gegangen, anstatt zu diesem verlogenen Assassinen?“ wollte Gorn grollend wissen.
    „Er hat nicht genug Gold“, sagte Diego schlicht. „Aber jetzt hab ich mir gedacht, das Haus nicht zu verkaufen, sondern ihm nur … für eine gewisse Zeit zu überlassen und dafür reicht sein Gold … oder sagen wir, ich gebe mich damit zufrieden.“
    „Und wie kommen wir ins Mienental? Soweit ich weiß wurde die Esmeralda noch nicht wiedergefunden“, sagte Lester und dachte an das prachtvolle Schiff.
    „In Vengard liegt ein Schiff im Hafen.“
    Die anderen sahen überrascht zu Gorn.
    „Naja, ehrlich gesagt ist es eher ein altes abgeranztes Wrack, nicht zu vergleichen mit der Esmeralda, aber es schwimmt und ist denke ich unsere einzige Chance nach Khorinis zu kommen. Allerdings …“
    „Was?“ fragte der Held gespannt.
    „… Lee braucht es. Er hat einige Fischer draufgesetzt, damit sie damit Fische fangen, weil die Arbeiter, die Vengard wieder aufbauen sollen mit Essen versorgt werden müssen. So leicht wird er das nicht rausrücken.“
    „Naja, wenn wir es nicht versuchen, werden wir nicht herausfinden, ob wir es kriegen. Außerdem schuldet Lee mir noch etwas …“
    „Warum denn?“ fragte Gorn interessiert.
    „Ach … eine alte Geschichte, die ich ein andermal erzählen werde“, sagte der Held und hoffte dieser Tag würde nie kommen.
    Er hatte keine Ahnung, ob Lee Gorn erzählt hatte, dass sie zusammen König Rhobar den II. und seinen Hofstaat abgemurkst hatten. Immerhin hätten es ja auch die Orks sein können, nachdem die Barriere um Vengard zusammen gefallen war. Er wusste nicht wie seine Freunde diese Geschichte aufnehmen würden. Gerade, dass er den obersten Feuermagier Karrypto getötet hatte, könnte für Milten vielleicht ein Problem darstellen. Im Grunde traf ihn ja keine Schuld, sagte er sich zumindest. Immerhin hatte Lee den König getötet, er hatte sie nur hinteleportiert und naja, einige der Hofschranzen über die Klinge springen lassen, aber was machte das schon?
    „Sollten wir Lee doch nicht überredet kriegen, müssen wir eben auf ein Piratenschiff warten, wo wir dann anheuern und übersetzen“ sagte der Held verschmitzt.
    „Ja klar, träum weiter“ kam es von Milten, der im Traum nicht daran dachte.
    Damit war die Sache beschlossen. Ihr neues Ziel hieß Vengard.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 19:07 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Vengard

    Der Weg nach Vengard war nicht ganz so beschwerlich wie zuvor nach Mora Sul. Das lag an Diego, der sich überhaupt nicht hetzen ließ. Mehr noch, irgendwie schaffte er es, mit seiner Schrittvorgabe das Tempo zu bestimmen und der Held drängte nicht weiter zur Eile. Einmal rasteten sie sogar eine längere Zeit, auf dem Weg zwischen Trelis und Montera, um zu übernachten. Das war überhaupt kein Problem, denn Orks zeigten sich keine und sollte es noch Raubtiere in der Nähe geben, so mieden sie die Menschen. In den Städten ließen sie sich nicht blicken. Der Held vermutete, dass die Menschen dort wieder viele Probleme hatten, um die er sich kümmern könnte, aber das würde ihn von seinem eigentlichen Ziel ablenken. Wenn er mal wieder alleine unterwegs wäre, könnte er sich immer noch damit befassen, sagte er sich. Die Leute, denen sie begegneten, wirkten ausgezehrt und geschafft, aber fast alle grüßten den Helden, den sie wiedererkannten, und wollten Neuigkeiten austauschen. Viele hatten bereits bemerkt, dass die Orks zurückgedrängt waren und als sie erfuhren, dass diese Bedrohung wieder beseitigt wurde, strahlten sie und schienen die Ansicht zu teilen: Wenn der Held da war, dann wurde alles gut. Ihnen war anzusehen, dass sie es kaum erwarten konnten ins nächste Dorf oder in die nächste Stadt zu kommen, um dort die große Botschaft zu verbreiten. Der Held erfuhr so aber auch einige Neuigkeiten, etwa, dass die ehemaligen Rebellennester weiter zu neuen Dörfern ausgebaut wurden. Dort fühlten sich vor allem diejenigen wohl, die keine ganz so weiße Weste und verschiedene Schicksalsschläge hinter sich hatten. Wer in einer altehrwürdigen Stadt, oder einem Dorf gewohnt hatte, war dorthin zurückgekehrt, sofern sein Haus noch stand. Sehr oft gab es aber auch die Kehrseite, das Haus stand noch, aber der oder die Besitzer waren verstorben. Hin und wieder kam es wohl vor, dass sich ein angeblicher Verwandter oder Freund das Haus unter den Nagel riss. Die Miliz und die wenigen verbliebenen Ritter hatten anderes zu tun, als dem nachzugehen. Alles in allem waren die Städte Myrtanas recht leer. Viele Häuser standen frei und diejenigen die bewohnt waren, beherbergten meist nur eine Person wo vormals Familien lebten. Die Preise für Nahrungsmittel waren explodiert und so war es nicht weiter verwunderlich, dass die meisten Händler, denen sie begegneten damit handelten, um sich ein hübsches Sümmchen zu verdienen. Begleitet wurden sie oft von Jägern, zum einen zum Schutz, zum anderen, um gleich neue Nahrung beschaffen zu können. Offenbar teilten beide Seiten dann den Gewinn.
    „Ich bin beunruhigt von diesen Nachrichten“, sagte Milten bedrückt.
    Oben in seinem Kloster hatte er nicht allzu viel von dem mitbekommen was in Myrtana geschah und auch wenn er von Gorn gehört hatte, dass nicht alles glatt lief, war er doch sehr bestürzt über die Lage, in der sich die Bürger befanden.
    „Ich hab doch gesagt, dass es nicht gut läuft“ kam es von Gorn.
    „Vermutlich kein guter Zeitpunkt um mein Zeug zu verkaufen. Die Menschen decken sich jetzt hauptsächlich mit dem Nötigsten ein, da haben sie keinen Kopf für anderes“ sinnierte Diego, der einfach nur daran dachte wie er den meisten Profit rausschlagen konnte.
    „Ist das alles was dich interessiert?“ fragte Milten missbilligend.
    „He, was erwartest du? Seit wann bin ich ein Altruist?“ konterte Diego.
    Milten grollte. Lester fand die Situation lustig und witzelte: „So viele Jahre hast du doch gar nicht auf dem Buckel, vielleicht bist du ja auch nur ein Ruist.“
    Diego seufzte. Womit hatte er solche Witze verdient?
    „Ruhe dahinten!“ raunte der Held.
    „Was denn? Orks?“ fragte Gorn, dem das alles wie ein Déjà-vu vorkam.
    „Nein, Banditen“
    „Wo? Ich kann keine sehen“, sagte Lester und sprang dem Helden zur Seite.
    „Die wären ja auch schön blöd, wenn sie sich einfach so offen auf die Straße stellen würden“ konterte Gorn.
    „Ich hab eine Idee…“ sagte der Held, grinste und rieb sich die Hände.
    „Ach nein, nicht doch, “ seufzte Lester und konnte sich denken was da jetzt gleich kam.
    Der Held verwandelte sich kurzerhand in einen myrtanischen Schattenläufer und sprang in den Wald hinein.
    Seine Freunde warteten einfach ab, was da jetzt kommen würde. Lester lehnte sich an einen Baum und zündete gelangweilt einen Sumpfkrautstengel an. Es dauerte nicht lange und sowohl ein Brüllen als auch überraschte Schreie drangen aus den Büschen. Der Schattenläufer feuerte einen der Banditen mit einem Rammangriff auf die Straße und seine Kumpane nahmen eilig die Beine in die Hand. Schon war die Straße frei. Der Held verwandelte sich in einen Menschen zurück und winkte seine Freunde zu sich.
    „Das hat Spaß gemacht, solltet ihr auch mal versuchen.“
    „Nein danke, ich bleib lieber in meinem eigenen Körper“, wehrte Gorn dankend ab.
    „Kannst du denn zaubern?“ fragte Lester neugierig.
    Gorn zog die Brauen zusammen.
    „Nein, natürlich nicht, aber ich meine … wenn ich es könnte, würde ich es vermutlich trotzdem nicht machen.“
    „Alles eine Frage der Überredungskunst“, sagte der Held, gab ihm einen leichten Stoß mit dem Ellenbogen in die Seite und zwinkerte ihm zu.
    Auf dem weiteren Weg nach Vengard sahen sie keine Banditen mehr. Als die Stadt schließlich vor ihnen lag, stellten sie fest, dass diese Arbeiter, die Lee eingestellt hatte, um die Stadt wieder aufzubauen, noch nicht weit gekommen waren. Um die Burg herum hatte sich noch gar nichts getan, so dass sie durch die verwaisten Ruinen der einstigen Hauptstadt gingen und als sie die Burgmauer erreichten, sahen sie lediglich ein paar ausgebesserte Mauern, mancherorts eingerüstet, um schwer zugängliche Stellen zu bearbeiten. Die Arbeiter waren aber nicht faul, sie waren so eifrig bei der Sache, dass sie nur einen flüchtigen Blick für die Neuankömmlinge übrig hatten. Es lag eher daran, dass sie nur zu neunt waren. Was konnte man da groß erwarten? Abgesehen von den Arbeitern gab es nur noch eine Handvoll anderer Menschen, die geschäftig herum eilten und vermutlich Versorgungsarbeiten nachgingen. An der Schmiede entdeckte er Bennet, der angestrengt versuchte neue Werkzeuge herzustellen. Und dann gab es da noch eine Wache vor dem Thronsaal.
    „Halt!“ sagte sie sofort, als sie sich näherten.
    „Was ist?“ fragte der Held arglos.
    Der Wachmann sah ihn an und lief leicht rot an, weil er ihn nicht sofort erkannt und durchgelassen hatte.
    „Nichts, ihr könnt durch“, sagte er kleinlaut und stellte sich vermutlich gerade vor, was passiert wäre, wenn er ihm den Weg versperrt hätte und Lee davon hörte.
    Ohne weitere Probleme kamen sie in den Thronsaal. Der Held war jedes Mal etwas enttäuscht wenn er diesen Raum sah. Da hatte ja Gomez Halle mehr hergemacht. Für den Regenten von Myrtana war das etwas mickrig. Aber egal, schließlich musste er sich hier ja nicht länger aufhalten.
    Lee stand vor dem Thron. Er trug eine schwere silbergraue Rüstung, die mit Wolfsfell unterfüttert war, damit er in kälteren Gegenden nicht erfror. Neben ihm stand ein Mann, der in hochwertige adlige Kleidung gehüllt war. Sie begutachteten eine Pergamentrolle und redeten angeregt über dessen Inhalt. Offenbar war es eine Zusammenfassung von Neuigkeiten aus seinem Reich.
    „Wusste ich’s doch, dass du uns nicht für immer verlassen hast. Was führt dich hierher?“ fragte Lee, als er den Helden und seine Begleiter sah.
    Lee wunderte sich nicht groß sie zu sehen, immerhin waren sie ja auch mit auf der Esmeralda gewesen und hatten zusammen in Irdorath gekämpft.
    „Wir brauchen ein Schiff, um nach Khorinis zu fahren“, kam der Held wie immer schnell auf den Punkt.
    „Oh“, sagte Lee enttäuscht.
    Offenbar hatte er einen ganz anderen Grund für sein Erscheinen vermutet. Als er sich wieder fing, fragte er: „Was wollt ihr denn in Khorinis?“
    „Im Schläfer Tempel liegt noch sehr viel von meinem alten Zeug. Unter anderem das Schwert Uriziel. Ich hätte es gern zurück.“
    Lee runzelte die Stirn, als er hörte wie der Held von einem Legendären Schwert als „Zeug“ redete.
    „Und wie wollt ihr hinkommen?“ fragte Lee, der immer noch etwas von dieser Wendung überrumpelt war.
    „Gorn hat erzählt, du hast ein Schiff. Das würden wir uns gerne ausborgen.“
    Lee warf Gorn einen unklaren Blick zu und sagte schnell: „Wenn man dieses Ding überhaupt ein Schiff nennen kann … Vielleicht würde es die Überfahrt nicht mal überstehen. Außerdem brauche ich es hier. Es ist das einzige größere … Etwas, das schwimmt. Ich hab ein paar Fischer damit losgeschickt, damit sie die wenigen Bewohner von Vengard versorgen. Es gibt kaum noch Tiere in den Wäldern und was noch da ist, wird von erfahrenen Jägern zur Strecke gebracht und gewinnbringend verkauft. Ich hab hier keine guten Jäger, nur ein paar Fischer.“
    „Sie können ja auch vom Ufer aus Angeln“, versuchte der Held den Regenten zu überreden, doch der sah gar nicht danach aus, als würde es zu einem Kompromiss kommen.
    „Wir müssen auch herausfinden wie die Lage in Khorinis ist. Hagen, Andre und Garond sind mit ihren Männern immer noch da und wir könnten herausfinden wie es um sie steht. Vielleicht haben sie es geschafft noch mehr Erz zu fördern.“
    „Nein“, sagte Lee und wandte den Kopf ab.
    Es sah so aus, als sei die Idee nach Khorinis zu fahren gar nicht mal so schlecht, aber etwas Wichtigeres schien ihn an der Umsetzung zu hindern.
    „He, du kannst mir ruhig auch mal einen Gefallen tun, oder hast du vergessen, dass ich dir die Rune gab und dich bei den folgenden Angelegenheiten unterstützte? Und ich hab dir bei dem Richter auf Khorinis geholfen. Und …“
    Lee hob die Hände, um ihn zu unterbrechen.
    „Ich weiß, was du alles für mich getan hast, aber jetzt wo du wieder in Myrtana bist, brauche ich dich hier.“
    Der Held sah ihn verwundert an.
    „Wozu? Wir haben die Orks bereits besiegt.“
    Endlich konnte er mal sagen, dass er Hilfe hatte.
    Lee hob die rechte Hand und rieb sich die Nasenwurzel, als hätte er Kopfschmerzen, dann sah er den Helden wieder an.
    „Das hab ich schon gehört und wir sind euch auch sehr dankbar dafür, aber damit ist es noch lange nicht getan.“
    Der Held sah verwundert aus. Bisher hatten sich die meisten seiner Probleme damit lösen lassen, dass irgendjemand oder irgendetwas volles Pfund aufs Maul bekam.
    Der Regent stand einen Moment einfach nur da.
    „Ich … ich habe versagt“, sagte Lee unglücklich in die Stille hinein.
    Seine stolze, unerschütterliche Haltung schien zusammenzubrechen. Der Held sah ihn fragend an.
    „Als Herrscher von Myrtana tauge ich nicht.“
    Der Held fand, dass das ein sehr hartes Urteil war und er versuchte seinen Freund aufzubauen:
    „Ach was, sag doch sowas nicht. Ich könnte mir niemand besseren als dich vorstellen. Es läuft doch alles.“
    Er hörte wie Gorn hinter ihm stöhnte. Lee warf ihm einen verärgerten Blick zu.
    „Gorn, was hast du ihm denn gesagt? Hast du ihm etwa erzählt, es würde gut aussehen für uns?“
    „Nein, natürlich nicht, ich hab gesagt wie es wirklich für uns aussieht“, verteidigte sich Gorn und sah seinen Freund wütend an.
    „Vielleicht seht ihr das alles einfach nur zu negativ“, behauptete der Held optimistisch.
    „Zu negativ?“ brauste Lee auf.
    Sein Berater wich einige Schritte vor ihm zurück, rollte schnell das Pergament ein, bevor es vielleicht noch in Mitleidenschaft gezogen wurde und brachte es eilig aus dem Saal.
    „Ich wüsste nicht wie ich unsere Lage nicht negativ sehen sollte.“
    „Aber die Orks sind besiegt“, versuchte der Held ihn zu beruhigen, doch das regte Lee nur noch mehr auf.
    „Ja schon, aber die Schäden, die sie hinterlassen haben sind mehr als wir tragen können. Als die Orks Myrtana angriffen, war das nicht einfach nur ein Eroberungsfeldzug wie du weißt. Sie wollten uns Menschen vernichten. Nachdem sie in die Städte einfielen töteten sie alle Frauen und Kinder, die sie finden konnten. Die Männer ließen sie nur am Leben, damit sie für sie als Sklaven arbeiteten. Es gibt in Myrtana vermutlich keine Familie, die nicht auseinandergerissen wurde. Das Volk ist tief traumatisiert und durch die Vernichtung unserer Felder ist die Nahrungsversorgung fast komplett eingebrochen. Die Bürger verhungern. Uns fehlt die Kraft die Städte und Dörfer wieder richtig aufzubauen und als die Orks zurückkamen fiel es uns schwer uns zu verteidigen. Die Menschen sind kriegsmüde. Sie sind ausgebrannt und erschöpft. Sie können einfach nicht mehr. Wie kannst du da sagen es wäre alles gut?“ fragte Lee aufgebracht.
    „Ich …“
    Es war das erste Mal, dass der Held nicht wusste was er sagen sollte. Lee redete mit harter Stimme weiter.
    „Ich habe eine Volkszählung durchgeführt. In Myrtana leben nur noch 1406 Menschen. Vor dem langen Krieg waren es noch zehn Mal so viele. Unser Land steht nicht nur am Abgrund, wir sind schon längst runtergefallen und halten uns lediglich an einer Wurzel fest, die aus dem Fels ragt und langsam abbricht. Ich weiß nicht, wie ich dem Volk von Myrtana eine Zukunft geben soll. Ich schaffe es nicht …“
    Lee sah den Helden ausdrucksstark an.
    „Du musst es tun!“
    Der Held wich einen Schritt zurück.
    „Ich?“
    Ihm war, als hätte jemand seinen Magen gequetscht und ihm schwere Gewichte auf die Schultern gepackt. Er wollte sie nicht tragen.
    „Wieso ich? Du meinst …“
    „Du solltest der König von Myrtana sein“, sagte Lee und nickte.
    Lester und Diego, die bisher vollkommen still waren, sahen überrascht zu Lee und dem Helden. Gorn und Milten hatten sich aber offensichtlich schon so etwas gedacht und wirkten nicht weiter verwundert.
    „Ich … das geht doch nicht. Ich hab überhaupt keine Ahnung wie man ein Land regiert. Ich bin nur ein Landstreicher“, versuchte sich der Held herauszureden.
    „Du bist viel mehr als das und das weißt du“, sagte der Regent und ließ ihn nicht aus den Augen.
    „Wie kommst du auf die Idee jemand anders könnte Myrtana besser regieren als du? Du hast Führungsqualitäten, du kennst dich hier am Hof aus, du hast Kontakte und weißt wie man zu den Leuten spricht. Außerdem bist du ein guter Stratege. Für den Fall eines Angriffs kannst du noch am besten damit umgehen.“
    „Ja, ich habe all diese Fähigkeiten, aber trotzdem habe ich versagt. Ich weiß nur eins. Wir brauchen einen König, der das Unmögliche möglich macht. Als ich damals in die Barriere geworfen wurde, wollte ich nur noch so schnell wie möglich wieder da raus, aber bald erklärten mir die Wassermagier, dass es so gut wie unmöglich war die Barriere niederzureißen. Und dann kamst du …“
    Lee legte den Kopf schief und sah ihn genau an.
    „… und hast es geschafft. Dann erschienen die Drachen. Viele Männer sind im Kampf gegen sie gefallen. Es hieß es sei unmöglich sie zu besiegen, aber du hast sie getötet.“
    Der Held fühlte sich unwohl, weil Lee all seine Taten aufzählte, um ihn zu überreden das Amt des Königs anzunehmen.
    „Es hieß es sei unmöglich Irdorath zu finden, aber du hast es gefunden. Und als wir auf dem Festland ankamen, da war das Schicksal der Menschen bereits besiegelt. Myrtana war gefallen, das Land unter der Herrschaft der Orks. Die Rebellen, die noch gegen sie kämpften hielten sich zwar wacker, aber selbst sie ahnten, dass es so gut wie unmöglich war Myrtana zurückzuerobern, aber du hast es geschafft. Wir brauchen jemanden, der Unmögliches schafft, wir brauchen dich als König.“
    Der Held fand, dass Lee mit so einer Rede sicher schnell ganz Myrtana hinter sich hätte. Er wusste wie man jemanden motivierte, aber der Held sah nicht ein, warum es wieder einmal er selbst sein sollte, der den Karren aus dem Dreck zog. Xardas hatte Recht gehabt. Man wollte ihn tatsächlich zum König ernennen. Das hätte er niemals für möglich gehalten. Ein wildes Gefühlschaos wühlte ihn auf. Er war überrascht, verwirrt und wütend.
    „Eben, ich hab all diese Dinge getan. Steht es mir da nicht zu, mich auch mal um meine eigenen Angelegenheiten zu kümmern?“ fragte er scharf. „Warum soll immer ich es sein, der alles schaffen muss? Warum ausgerechnet ich?“
    Zuerst war Lee etwas erschrocken, über seinen Ausbruch, aber dann fing er sich schnell wieder. Vermutlich war so ein Verhalten normal, angesichts der vielen Verantwortung, die ein solches Amt mit sich brachte. Er trat näher an seinen alten Freund heran, legte ihm die rechte Hand auf die Schulter und sagte ruhig: „Weil du es kannst.“
    „Nein, ich kann das nicht“, sagte der Held leise, senkte den Blick und ließ die Schultern hängen.
    Es wurde ganz still im Thronsaal, niemand wagte etwas zu sagen. Milten, Diego, Gorn und Lester hatten nicht gewagt etwas dazwischen zu rufen. Sie würden später mit ihrem Freund darüber sprechen.
    Lee seufzte.
    „Also schön … ich schlage folgendes vor: Ich geb mir selbst noch eine zweite Chance und du bekommst das Schiff um nach Khorinis zu fahren. Lord Garond hat es tatsächlich geschafft die Orks zurückzudrängen und weiter Erz schürfen zu lassen.“
    Auf den fragenden Blick des Helden sagte der Regent: „Über Botenvögel stehe ich mit Lord Hagen in Verbindung. Er berichtet, dass es auch dort nicht so gut läuft, aber immerhin ist die Lage mit den Orks unter Kontrolle und wenn die Menschen auch nicht viel zu essen haben, so müssen sie zumindest nicht verhungern.“
    Lee drehte sich um, ging zu seinem Thron und ließ sich darauf nieder.
    „Wenn du in Khorinis bist, rede mit Lord Hagen und sage ihm, dass er, sowie Lord Garond und ihre Männer mit dem Schiff hierher zurück zum Festland fahren sollen. Lord Andre wird zum neuen Stadthalter ernannt. Und gehe zu Onars Hof. Dort warten sicher noch einige meiner Jungs darauf, dass ich mein Versprechen einlöse und sie eine Freifahrt nach Myrtana bekommen. Du solltest ihnen aber nicht verschweigen in welchem Zustand das Land ist. Unter den gegeben Umständen ist es auf Khorinis vermutlich angenehmer als hier.“
    Lee wandte sich nach rechts und befahl dem Mann, der vorhin neben ihm gestanden hatte, dem Helden ein Schreiben für Lord Hagen, Lord Andre und an den Feuermagier Pyrokar auszuhändigen. Lee‘s Berater, der offenbar versteckt darauf gewartet hatte, dass er wieder gebraucht wurde, kam zum Vorschein und übergab die Papierrollen.
    Lee wandte sich an Milten.
    „Ich möchte die Feuermagier bitten uns etwas Unterstützung zukommen zu lassen. Ich weiß, dass ihr im Kloster neue Magier ausbildet, aber so lange können wir nicht warten. Wenn Pyrokar auch nur zwei Feuermagier entbehren kann wäre das eine große Hilfe.“
    „Ich werde ihm berichten, wie es um das Festland steht“, erklärte sich der junge Feuermagier bereit.
    „Wir brauchen noch einen Kapitän, der die Gewässer kennt“, warf Diego ein.
    „Ich werde Torloff benachrichtigen. Er soll euer Kapitän sein. Wir können aber nicht darauf warten, dass ihr eure Angelegenheiten erledigt habt. So bald wie möglich sollen Lord Garond und Lord Hagen mit ihren Männern aufbrechen. Wenn sie hier ankommen, schicke ich Torloff gleich wieder zurück. Dann kann er mit den anderen Söldnern in Khorinis reden und wenn ihr wieder aufbrecht, nehmt sie mit. Wir brauchen hier jeden Mann.“
    „Meinst du nicht, die Jungs könnten sauer sein, wenn die Paladine zuerst auf Festland dürfen?“ fragte Gorn seinen Vorgesetzten.
    „Da müssen sie wohl durch. Die Alternative, nämlich, dass sie vor den Paladinen rüberkommen, wäre noch schlimmer. Lord Garond und Lord Hagen wären außer sich und könnten mir ihre weitere Gefolgschaft verweigern. Bei den Söldnern denke ich, dass sie nicht so empfindlich auf solche Formalitäten zu sprechen sind. Und alle auf einem Schiff ist ja schon mal gar keine Option.“
    Der Held nickte und wollte sich schon umdrehen um zu gehen, doch Lee hielt ihn mit den Worten auf: „Noch etwas…“
    Der Held blieb wie angewurzelt stehen und sah ihn angespannt an.
    „Wenn ihr zurückkommt und die Lage hat sich nicht gebessert, gebe ich das Amt auf und du musst es übernehmen.“
    Der Held sah zu Boden und sagte leise: „Das kannst du nicht von mir verlangen.“
    Er warf noch einen Blick zu Lee, drehte sich dann um und während er ging sagte er: „Wir werden sehen was kommt.“
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 19:08 Uhr)

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    Das schwimmende Wrack

    Das Schiff war wirklich kaum als solches zu bezeichnen. Passenderweise trug es den Namen "Schwimmendes Wrack". Der Bug war mehrmals mit großen unflexiblen Brettern ausgebessert, die Segel dutzendfach geflickt und dem Steuerrad fehlten einige Sprossen. Dieses Schiff zu betreten war schon allein ein Abenteuer.
    „Dass ich euch noch einmal wiedersehe …“ begrüßte Torloff sie von Deck aus.
    „Was hast du denn in der Zwischenzeit getrieben?“ fragte der Held, als er das Schiff betrat.
    „Ich hab an der Seite von Lee gegen die Orks gekämpft. Von den Paladinen hat sich natürlich keiner Blicken lassen“, schimpfte Torloff, der, wie der Held nur zu gut wusste, eine große Abneigung gegen die Streiter Innos hatte.
    Er fragte sich was das bei der Rückreise werden sollte, wenn das Schiff voller Paladine und Ritter sein würde.
    „Wir fahren sie ja jetzt holen.“
    „Ja, jetzt wo alles vorbei ist“, grummelte der Kapitän.
    „Hier auf dem Festland gab es auch Ritter, die gegen die Orks gekämpft haben“, setzte sich Milten für sie ein.
    „Verwandelst du mich in irgendwas Scheußliches wenn ich wiederspreche?“ fragte Torloff scharf.
    „Vielleicht“, sagte Milten leise lächelnd, obwohl er natürlich nichts dergleichen vorhatte.
    Torloff blickte skeptisch. Die Freunde sahen sich auf dem klapprigen Schiff um.
    „Keine Besatzung?“ fragte Diego etwas verwundert, obwohl er sich so etwas schon fast gedacht hatte.
    „Nein, ihr müsst selbst mit Hand anlegen Jungs, aber vom letzten Mal wisst ihr bestimmt noch wie es geht, oder? Und wenn nicht, dann werde ich es euch schon sagen.“
    „Du meinst, du schreist uns wieder so an, wie damals als wir nach Irdorath gefahren sind?“ fragte Lester und er dachte wenig erpicht daran zurück.
    „Das ist normal auf See, sonst hört einen die Mannschaft doch nicht“, sagte Torloff ruppig.
    „Ich kann mir vorstellen, dass du dich schon darauf freust die Ritter herumzukommandieren, wenn sie aufs Schiff kommen“, sagte Gorn und lachte.
    Torloffs Augen fingen an zu leuchten. Daran hatte er offenbar noch gar nicht gedacht.
    „Ich bin sicher Lord Hagen ist so geistesgegenwärtig ein paar Milizsoldaten für diese Aufgaben mitzunehmen“, sagte Milten trocken.
    „Nun verdirb ihm doch nicht die Aussicht auf diesen Spaß“, tadelte der Held ihn scherzhaft.
    „Genug gequatscht! Segel hissen! Anker lichten! Wir fahren los!“
    Milten wurde in den Ausguck geschickt, während Diego und der Held sich um die Segel kümmerten und Lester und Gorn an einer Drehvorrichtung schoben, um den Anker an Bord zu holen.
    „Das kann eine lange Fahrt werden“ sagte Lester. „Vielleicht hätte ich den Anker mit Telekinese hoch schweben lassen sollen.“
    „Ich könnte auch einen Golem beschwören, der das für euch erledigt“, rief der Held ihnen zu.
    „Bloß nicht“, rief Gorn zurück. „Sonst säuft der Kahn noch ab.“
    Endlich hatten sie es geschafft, der verkrüppelte schwarze Anker war eingeholt. Ganz bedächtig setzte sich das Schiff in Bewegung. Vengard hinter ihnen wurde langsam kleiner und rechts von ihnen sahen sie in einiger Entfernung die Steilküste von Ardea.
    Als sie erst einmal auf hoher See waren, gab es, außer für Torloff, der das Schiff steuerte, nicht mehr viel zu tun. Hin und wieder mussten die Segel neu justiert werden, aber sonst konnten sie sich entspannen. Lester, Diego, Gorn und Milten saßen zusammen und erzählten. Der Held beschäftigte sich damit ein Tau aufzurollen. Er ahnte, wenn er sich zu seinen Freunden setzte, würden sie bestimmt mit ihm darüber reden wollen, wie er zu Lee‘s Vorschlag stand, er solle neuer König werden. Irgendwann musste es natürlich zur Sprache kommen. Immerhin hockten sie für eine lange Zeit auf einem Schiff zusammen, das nur elf Meter lang war, aber er war noch nicht bereit sich damit zu befassen. Selbst als er mit seiner Aufgabe fertig war, stellte er sich lieber an die Reling und sah auf die glitzernde Wasseroberfläche der See hinaus. Langsam gewöhnte er sich wieder an das Schaukeln der Wellen. Auf dem Meer war es ruhig. Es gab nur das Rauschen der Wellen, das leichte Geräusch des wehenden Windes und … naja, das Gerede seiner Freunde, die über irgendetwas stritten. Er konnte nicht verstehen worum es ging, aber es wurde kurz lauter, bis sie sich offenbar geeinigt hatten und verstummten. Kurz darauf erschien Diego an seiner rechten Seite und lehnte sich ebenfalls an die Reling.
    „He“, begrüßte Diego ihn.
    „He“, antwortete der Held, gar nicht in der Stimmung für ein Gespräch.
    Das merkte wohl auch Diego, denn eine Zeit sagte er gar nichts und sie sahen einfach nur aufs Meer hinaus, das weit und leer da lag.
    „Woran denkst du?“ fragte Diego ruhig.
    Der Held antwortete nicht gleich, dann zuckte er mit den Achseln.
    „Im Moment versuche ich gar nicht zu denken.“
    „Hm…“ machte sein alter Freund.
    Wieder Stille. Eine Möwe landete auf dem Wasser und paddelte dann mit den Beinen scheinbar ziellos umher, bis sie den Kopf unter Wasser steckte und nach etwas haschte, das sie nicht sehen konnten.
    „War `ne ganz schöne Überraschung, das in Vengard, “ fing Diego vorsichtig an.
    Der Held seufzte genervt. Es musste ja so kommen.
    „Du scheinst gar nicht glücklich über die Aussicht Lee’s Nachfolger zu werden.“
    Der Held brummte, sagte dann aber doch etwas: „Ich weiß gar nicht wie er überhaupt darauf kommt.“
    „Nun … ich denke er vertraut dir und seine Argumente hat er doch ganz gut vorgebracht.“
    Der Held sagte nichts weiter und Diego dachte schon, er müsste sich etwas neues einfallen lassen um das Gespräch wieder in Gang zu kriegen, doch dann brach es aus seinem Freund heraus: „König zu sein, das passt einfach nicht zu mir.“
    „Du bist lieber in der Welt unterwegs und erlebst Abenteuer, oder?“ fragte Diego und lächelte ihn an.
    Der Held lächelte zurück. Er war froh, dass Diego ihn verstand.
    „Genau, das ist doch viel spannender, als den ganzen Tag auf so einem Thron zu hocken.“
    Diego lachte leise.
    „Kann ich mir denken. Weißt du, von mir aus, mach was du willst. Ich sehe keinen Grund warum sich nicht jemand anders finden sollte, der dieses Amt übernimmt.“
    Der Held war überrascht. Konnte es so leicht sein? Aber eigentlich hatte Diego Recht, irgendwer würde sich schon finden.
    „Dieses Amt verheißt fast grenzenlose Macht und viele werden sich darum schlagen, der neue König von Myrtana zu werden. Es wird vielleicht ähnlich wie in Varant.“
    „Aber du sagtest doch, dort wäre es unsicherer geworden, seitdem ich Zuben getötet hatte.“
    Der Held war nun doch etwas besorgt. War das vielleicht sogar Diegos Absicht?
    „Genau, vermutlich wird es so. Wo wir gerade beim Thema Zuben sind. Manche Assassinen haben es dir sehr übel genommen, dass du ihn getötet hast, andere sahen es als willkommene Gelegenheit, aber dass du fast ganz Ishtar abgemetzelt hast, das hat kein Assassine vergessen. Als du nach Mora Sul kamst hatte ich mich schon gewundert, weil sie dich nicht sofort angegriffen haben, aber schnell wurde es mir klar…“
    „Was?“ fragte der Held unsicher.
    „Sie haben ganz einfach Angst. Mit jemandem, der sich mit einer ganzen Stadt anlegt ist nicht zu spaßen. Diese Unterstützung, die sie dir vorheucheln, solltest du nicht ernst nehmen. Es ist ganz einfach Angst.“
    „Hm…“ kam es vom Helden, der nicht wusste, ob das nun gut oder schlecht war.
    „He ihr Landratten, die Segel müssen neu angepasst werden! An die Arbeit!“ brüllte Torloff zu ihnen herüber, der seinen Job als Kapitän sichtlich genoss.
    Der Wind kam jetzt aus dem Süden und sie mussten einen schrägen Zickzackkurs fahren, um überhaupt irgendwie anzukommen. Die See wurde rauer und das Schaukeln heftiger. Torloff hatte aber offenbar überhaupt kein Problem dieses Schiff zu steuern, auch wenn es in so einem schlechten Zustand war. Aufgrund seiner Ausfahrten mit den Fischern war er mit dem Schiff offenbar bestens vertraut.
    Der Held hatte gehofft, mit der Unterbrechung des Gesprächs wäre das Thema König vorerst beendet, doch abends, als sie alle um eine Feuerschale herumsaßen und Fische brieten, kam es wieder zur Sprache.
    „Ich hatte euch ja gesagt, dass Lee keine Lust mehr auf den Job hat“, sagte Gorn und stocherte mit einem Metallspieß in der Glut herum.
    „Ich hab aber auch keine Lust drauf“, sagte der Held trotzig, um gleich die Fronten zu klären und das Gespräch so schnell wie möglich zu beenden.
    Seine Freunde tauschten Blicke, dann fragte Milten leicht beunruhigt: „Ist dir denn das Schicksal von Myrtana egal?“
    Der Held drehte seinen Fisch auf die andere Seite, damit er gleichmäßig durchbrutzelte und sah Milten direkt an.
    „Natürlich ist es mir nicht egal, sonst hätte ich vermutlich gleich nachdem mich Xardas nach Khorinis geholt hätte gesagt, lasst mich alle in Ruhe, ich mach jetzt mein eigenes Ding.“
    „Was ist es dann?“ bohrte Milten weiter nach.
    „Ich bin ganz einfach der Meinung, dass ich genug für die Menschen von Myrtana getan habe. Soll sich diesmal jemand anders drum kümmern.“
    „Die Menschen brauchen dich aber“, gab Gorn zu bedenken und biss schon in seinen Fisch, obwohl er noch nicht ganz durch war, weil sein Magen laut knurrte.
    Mit vollem Mund sagte er: „Du weißt nicht wie es ohne dich war.“
    „Ich kann mich ja trotzdem um die Probleme der Leute kümmern, auch ohne König zu sein. So hab ich es doch vorher auch gemacht.“
    Das war ein Argument, das nur schwer zu wiederlegen war. Gorn und Milten tauschten einen verunsicherten Blick und überlegten Augenscheinlich, was sie sagen konnten, um ihn umzustimmen.
    „Hört mal, wenn er keine Lust drauf hat, dann lasst ihn doch“, ergriff Lester für den Helden Partei.
    „Ja, genau“, sagte er und war froh, dass es auch Gegenstimmen gab.
    Er sah zu Diego, der anscheinend nur Augen für seinen Fisch hatte und begann die Gräten heraus zu pulen.
    „Wenn du es nicht machst, wer soll es sonst tun?“ fragte Gorn und zog eine lange spitze Gräte aus seinem Mund.
    „Was weiß ich, irgendwer sonst.“
    Irgendwer könnte aber ein großes Problem für Myrtana werden“, sagte Milten belehrend. „Wenn einfach irgendein Adliger ohne jede Erfahrung meint, er wolle jetzt König werden, dann kann das doch nur schief gehen.“
    „Ich hab auch überhaupt keine Führungserfahrung“, hielt der Held dagegen.
    „Ach? Und was machst du gerade?“ fragte Gorn und hielt seinen Fisch nochmal ins Feuer, damit er ganz durchbriet.
    „Ich brat `nen Fisch“, kam es keck vom Helden.
    Lester gluckste.
    „Du hast uns durch Nordmar bis nach Varant geführt und dann nach Vengard und in kürzester Zeit haben wir ganz Myrtana von den Orks gesäubert.“
    „Naja, den Mittelteil hatte ich schon vorher erledigt“, gab der Held zu.
    „Na siehst du. Wer sonst hätte das geschafft?“
    Gorn wollte nicht länger warten. Gräten hin oder her, vollkommen egal, er hatte Hunger, der Fisch musste weg. Mit einer angehobenen Augenbraue sah Diego ihm verwundert beim Essen zu und ging es selbst ganz gemächlich an.
    „Aber was spricht da für den Job als König? Kämpfen ist doch eher so ein Abenteurerding, “ wandte der Held ein.
    „König Rhobar der II. hat auch gekämpft. Zum Beispiel hat er mit dem heiligen Hammer einen Steingolem während einer großen Schlacht erledigt“, erzählte Milten.
    „Ah ja …“ sagte der Held langsam und erinnerte sich an den Hammer.
    Er überlegte wie er schnell das Thema wechseln könnte.
    „Gut, nehmen wir mal an, ich würde König werden, wie stellt ihr euch das vor? Ich hab überhaupt keine Ahnung wie man ein Land regiert.“
    „Wir könnten dich ja beraten“, schlug Milten vor.
    Der Held bekam das Gefühl, dass sein Feuermagierfreund sich schon intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt hatte.
    „Aber was macht man denn überhaupt als König, mal abgesehen von auf dem Thron hocken?“ wollte der Held wissen.
    „Na zum Beispiel würdest du neue Gesetze erlassen.“
    „Hm…“ machte der Held und überlegte ob sich damit Schabernack treiben ließ. „Tolle Idee. Wie wäre es damit: 1. Wer andere tötet kriegt volles Pfund aufs Maul. 2. Wer klaut kriegt volles Pfund aufs Maul. 3. Wer nicht alles macht was der König sagt, kriegt volles Pfund aufs Maul.“
    Lester lachte.
    „Das lässt sich immerhin gut merken. Vielleicht könntest du es einfach zusammenfassen unter: Wer Ärger macht kriegt volles Pfund aufs Maul.“
    „Hm… so ähnlich war das doch immer im alten Lager“, bemerkte Diego.
    „Das ist eine weit verbreitete Regelung“, dozierte der Held und wedelte gewichtig mit seinem aufgespießten Fisch herum. „In Ishtar war das auch die Regel der Stadt und im Prinzip hab ich mich doch dran gehalten.“
    „Was war denn da los?“ wollte Gorn wissen, verschluckte sich aber an einer Gräte und musste stark husten.
    Als er sich wieder beruhigt hatte, erklärte Diego: „Als er Zuben tötete, hat er gleich auch die meisten anderen Bewohner mit in Beliars Reich geschickt.“
    „Echt?“ fragte Lester verwundert. „Das waren doch bestimmt viele, oder?“
    Milten sah auch erstaunt aus. Er hielt zwar nichts davon Menschen in Massen niederzumetzeln, aber immerhin waren es Diener Beliars, vermutlich hatten sie es also verdient.
    „Es läuft doch immer so. Wenn man den Anführer tötet kommen all die Untergebenen und versuchen einen abzustechen.“
    „Wenn du das sagst“, sagte Lester und lachte leise vor sich hin.
    Der Held erinnerte sich an die vergangenen Situationen: Gomez, Zuben und König Rhobar der II., auch wenn dort eigentlich Lee den König umgebracht hatte, aber das Ergebnis war das Gleiche. Nur bei Raven hatte es irgendwie keinen interessiert, obwohl es natürlich auch keiner groß mitbekommen hatte, deswegen ließ sich das nicht so ganz beantworten. Der Held wollte gerade in seinen Fisch beißen, hielt dann aber inne. Ihm war etwas eingefallen, das ihn unterbewusst beschäftigte.
    „Vielleicht ist das ein weiterer Grund warum ich kein König sein will. Normalerweise bin ich immer derjenige, der den Machthabenden herausfordert. Wenn ich nun auf dem Thron sitze, wird sicher auch eines Tages einer kommen und mich umbringen wollen.“
    „Wer sollte dich schon herausfordern? Du kämpfst sehr gut, wer sollte schon gegen dich gewinnen?“ fragte Gorn.
    „Ja, jetzt noch“, sagte der Held bedrückt. „Aber wenn ich erstmal jahrelang auf dem Thron gehockt habe, bin ich bestimmt nicht mehr so fit. So war es ja auch mit Gomez. Im Grunde war er gar nicht so schwer zu töten, weil er total aus der Übung war.“
    „Hört, hört“, sagte Diego. „Vielleicht hätten wir ihn ja schon früher meucheln sollen.“
    Er lachte leise.
    „Dann wäre aber ein Anderer gekommen. Vermutlich Raven“, bemerkte Milten. „Soll das heißen du stirbst lieber bei irgendeinem Abenteuer, als dass du langsam Älter wirst?“
    „Hm… das kann ich so nicht sagen, aber wenn ich durch die Lande ziehe, kann ich nie wissen was als nächstes geschehen wird. Jeden Tag das Gleiche zu tun kommt mir langweilig vor.“
    „So schlimm wird es schon nicht sein. Als König würdest du aber auch ein Leben in Luxus führen“, sagte Diego.
    „Brauch ich das?“ fragte der Held in die Runde, dann sah er Diego direkt an und schlug vor: „He, wie wär‘s, wenn du König wirst? Du kennst dich mit Gold aus und darauf kommt es doch an.“
    Diego hob abwehrend die Hände.
    „Lass mich da raus, ich steh nicht gerne im Mittelpunkt, lieber agiere ich aus dem Hintergrund. Aber wenn du doch König wirst, dann könnte ich dein Schatzmeister sein.“
    Er zwinkerte dem Helden zu.
    „Ich nehm dich beim Wort.“
    „Und was krieg ich für einen Job?“ wollte Lester wissen.
    „He, nun mal langsam, es ist noch nichts entschieden“, wandte sich der Held zu Lester um. „Ich bin mir sicher, dass es Lee jetzt schafft, immerhin sind keine Orks mehr da. Das ist doch schon mal was.“
    „Naja, soweit waren wir schon mal“, sagte Gorn und warf die abgenagten Reste seines Fisches über Bord.
    Nach dem Essen legten sie sich unter Deck in Hängematten. Es war ungewohnt so zu schlafen. Lester hatte am wenigsten Probleme. Er fand es sogar lustig hin und her zu schaukeln und dabei sein Sumpfkraut zu rauchen. Mitten in der Nacht wurden sie durch ein lautes Poltern geweckt. Gorn war aus seiner Hängematte gefallen. Fluchend rappelte er sich wieder auf und legte sich wieder schlafen.
    Die Tage krochen zäh dahin. Es geschah überhaupt nichts Aufregendes. Abgesehen von Wasser, gab es kaum Proviant auf dem Schiff. Ihre Mahlzeiten bestanden hauptsächlich aus Fisch, den sie angelten. Gorn beschwerte sich bald, dass er keinen Fisch mehr sehen könne und als der Held vorschlug noch ein gut abgelagertes Stück Schinken aus seiner Hosentasche zu holen, sagte der Söldner nicht nein.
    Einmal als es fast windstill war und sie einfach nicht vom Fleck kamen, verwandelte sich der Held in einen Lurker und sprang vom Schiff aus ins Wasser. Die anderen sahen zu wie er umherschwamm und tauchte. Einige Minuten später kam er wieder an die Oberfläche. Im Maul trug er einen Rochen, der zappelte und versuchte frei zu kommen. Der Lurker schwamm zum Schiff, krallte seine Klauen in das Holz und zog sich so zurück an Bord. Das Abendessen war gefangen.
    Als Khorinis endlich in Sicht kam brach lauter Jubel auf dem Schiff aus. Endlich kein Fisch mehr. Die Aussicht auf einen leckeren Schinken oder ein Stück Käse brach ungeahnte Begeisterungsstürme los.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 19:11 Uhr)

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    Endlich wieder mal in Khorinis

    Als der Hafen in Sicht kam, konnten sie kleine Pünktchen aufgeregt hin und her huschen sehen. Offenbar war es ein echtes Ereignis nach langer Zeit endlich mal wieder ein Schiff am Horizont zu sehen. Torloff steuerte auf die Landungsbucht zu, wo damals auch die Esmeralda geankert hatte. Eigentlich hätte es auch ein kleinerer Steg gleich direkt vor Kardifs Kneipe getan, aber es würde sowieso kein größeres Schiff ankern wollen.
    „Ich habe keine Lust mit zu Lord Hagen zu kommen“, erklärte Diego.
    „Ich schlage vor, wir teilen uns auf und treffen uns dann am Eingang zum Pass, dann kann ich mir mehr Zeit im Kloster nehmen, um Pyrokar die Lage auf dem Festland zu erklären“, fügte Milten hinzu.
    „Gute Idee“, kam es von Gorn. „Dann mach ich mich gleich auf den Weg zu Onars Hof.“
    „Dann werde ich Hagen und Andre benachrichtigen“, sagte der Held geschäftig.
    Lester wusste einen Moment nichts zu sagen, denn er fragte sich was er tun sollte. Er hatte eigentlich keine wichtigen Angelegenheiten zu regeln. Dann konnte er sich eigentlich auch entspannen, aber das würde sich wohl nicht so gut anhören, während seine Freunde alle Hände voll zu tun hatten, deswegen sagte er: „Ich werde einige Kräuter sammeln, die wir später im Mienental vielleicht noch gebrauchen können.“
    Es rumpelte, als das Schiff sacht gegen die Kaimauer stieß.
    „Festmachen und dann alle Mann runter vom Kahn!“ rief Torloff, der hier bleiben würde, um sein Schiff zu bewachen.
    Ihre Wege trennten sich. Dem Held fielen kleine Veränderungen im Hafen von Khorinis auf. Die Stimmung war ausgelassener als früher, was zweifellos am Sieg gegen die Orks lag. Damals waren die Leute besorgt über einen möglichen Angriff, doch da das jetzt überstanden war, gingen die Menschen glücklicher durchs Leben. Hin und wieder begegnete dem Helden sogar jemand, der lächelte. Er wollte gerade an Moe vorbei, der vor dem „Einbeinigen Klabauter“ stand, da überlegte er es sich anders und lief den Kai entlang in Richtung der kleinen Schiffswerft von Khorinis. Garvell und Monty hockten dort und sahen miesepetrig drein.
    „Oh, du bist’s“, sagte Garvell. „Dann war das wohl dein Schiff, das gerade eingelaufen ist, richtig?“
    „Genau. Ihr hattet doch auch mal ein Schiff gebaut, was ist passiert?“
    Die beiden Bootsbauer tauschten niedergeschlagene Blicke.
    „Abgesoffen. Wir wollten damit nach Myrtana fahren. Aber wir kamen kaum einen Kilometer weit. Offenbar waren die Bretter am Boden zu dünn und von schlechter Qualität.“
    „Hattet ihr denn einen Kapitän?“
    „So ein Typ, der hockt jetzt im einbeinigen Klabauter.“
    Der Held konnte sich schon denken wer das sein könnte. Es gab damals nur drei Kapitäne auf Khorinis, soweit er wusste. Jack, der Leuchtturmwärter wäre nicht so verzweifelt auf so einem klapprigen Kahn mitzufahren, doch Jorgen würde alles tun, um endlich wieder Planken unter den Füßen zu haben. Deswegen wollte der Held einen kleinen Abstecher in den „Einbeinigen Klabauter“ machen. Vorher hatte er aber hier noch etwas zu erledigen. Aufgrund seiner neuen Informationen war er sich aber nicht mehr sicher, ob das tatsächlich eine gute Idee war. Egal. Schließlich waren sie die einzigen in Khorinis, die sich mit Schiffsbau zumindest etwas auskannten.
    „Das Schiff mit dem ich kam ist nicht gerade in bestem Zustand. In ein paar Tagen soll es wieder ablegen. Bis dahin wäre es gut, wenn ihr einige Ausbesserungsarbeiten vornehmt. Der Kapitän Torloff wird euch sagen was zu tun ist.“
    Garvell sah interessiert aus. Er konnte nach seinem herben Verlust einen neuen Auftrag gut gebrauchen.
    „Gut, sagen wir du lässt Tausend Goldstücke springen und wir sind im Geschäft.“
    Richtig, die Bezahlung, da war ja was. Der Held hatte völlig vergessen Lee nach Gold zu fragen. Seufzend griff er in seine Tasche und zählte eintausend Goldstücke von seinem eigenen Gold ab und gab sie dem Schiffsbauer. Dann drehte er sich um und ging in Kardifs Kneipe. Großes Hallo von allen Seiten. Jorgen, Halvor, Alrik, Nagur und Alwin waren da und dann noch einige Bürger, die der Held nicht mit Namen kannte. Sie bestürmten ihn mit Fragen über das Festland. In knappen Sätzen erzählte er, dass die Orks besiegt waren und es wieder bergauf ging. Er war einfach ein Optimist, außerdem wollte er nicht, dass sich die Leute über Dinge sorgten, die sie sowieso nicht ändern konnten. Dann ging er schnurstracks zu Jorgen hinüber und fragte ihn, ob er wieder auf einem Schiff anheuern wollte. Es sah so aus, als müsste Jorgen den Impuls unterdrücken ihn zu umarmen.
    „Wirklich? Nach all der langen Zeit wieder auf See? Endlich, ich hatte schon geglaubt ich würde hier festwachsen.“
    Er lief gleich hinaus und die abgewetzte Straße hinunter zum Landungssteg. Da das jetzt erledigt war, konnte sich der Held wieder ums Wesentliche kümmern. Im Dauerlauf lief er hinauf ins Handwerkerviertel und von da ins obere Viertel. Die Wachen vor dem inneren Tor waren überrascht ihn zu sehen, ließen ihn aber ohne weiteres durch. Ein sehr ungewohntes Geräusch drang ihm plötzlich an die Ohren. Er brauchte einen Moment um zu realisieren, dass es sich um Babygeschrei handelte. Tatsächlich. Offenbar hatte sich Valentino umentschieden und sich doch eine feste Frau gesucht. Vielleicht war er es Leid von all den Ehemännern verprügelt zu werden. Mit Gritta hatte er auch eine Frau gefunden, die sehr glücklich über ein Leben im oberen Viertel war und deswegen seine Launen ertrug. Immerhin konnte sie sich jetzt viele schöne Kleider kaufen, ohne, dass ihr armer Onkel Thorben daran Bankrott ging. Sie saß vor Valentinos Haus auf einer Bank und versuchte ihr Kind zu beruhigen, das wie am Spieß schrie. Der Held wandte sich schnell wieder zu den Rittern um, die sich vor dem wichtigsten Gebäude der Stadt unter Girions Aufsicht im Schwertkampf übten. Anders als bei den meisten anderen in Khorinis hatte der Held das Gefühl, dass sie sehr bekümmert waren. Wenn er es sich aber durch den Kopf gehen ließ, war das auch nicht weiter verwunderlich. Sie waren fernab der Heimat und wussten nicht wie es zu Hause aussah. Vermutlich ahnten sie, dass ihre Familien den Orks zum Opfer gefallen waren.
    Als er eintrat begrüßte ihn der Paladin Albrecht mit einem: „Oh, du bist es. Damit hätte ich nicht gerechnet. Bist du mit einem Schiff gekommen?“
    „Wenn man es so nennen will“, antwortete der Held und ging ohne weiter etwas zu sagen zu Lord Hagen durch, der wie immer stocksteif hinter seinem Kartentisch stand und mit dem Paladin Ingmar etwas besprach.
    „Dich habe ich lange nicht mehr gesehen. Was führt dich hierher?“ wollte Lord Hagen wissen.
    „Lee schickt mich“, sagte der Held und hatte ein Déjà-vu.
    Er übergab die Befehle und wartete bis Lord Hagen den Brief gelesen hatte.
    „Endlich können wir zurück aufs Festland. Ich werde sofort einen Boten zu Lord Garond schicken, damit er und seine Männer sich hier zur Überfahrt einfinden.“
    „Ich kann gehen“, bot sich der Held an. „Ich muss sowieso ins Mienental. Wenn aber alle Männer mitsollen, dann kann es eng auf dem Schiff werden.“
    „Regent Lee hat an alles gedacht. Hier steht genau wie viele mitdürfen“, erklärte Lord Hagen und zeigte dem Helden kurz eine Liste, die auf dem Pergament stand.
    „Wenn wir das Festland erreicht haben, werden im Austausch für uns andere Männer rübergeschickt. Lord Garonds verbliebene Männer können dann bei deren Ankunft auch abreisen.“
    Das hörte sich zwar gut an, aber damit war klar, dass doch einige Söldner und Ritter zusammen eine Überfahrt antraten und der Held würde mit ihnen reisen. Im Vergleich dazu war ihre letzte Überfahrt vermutlich geradezu beschaulich.
    „Gibt es sonst noch etwas zu wissen?“ fragte der Held.
    „Nichts, das dich etwas angeht“, erklärte Lord Hagen knapp und wandte sich wieder seinen Karten zu.
    Dem Helden sollte das nur recht sein. Neue Aufträge konnte er nicht gebrauchen. Er lief zurück ins Handwerkerviertel und stattete Bosper einen Besuch ab, um einige Felle loszuwerden. Bei all dem Krempel in seiner Hosentasche dauerte es schier eine halbe Ewigkeit, bis er alles Verkaufbare herausgeholt hatte. Der Bogner fragte ihn wo er all die Zeit gewesen war und der Held erklärte ihm knapp, dass er auf der Jagd gewesen war: Orks, Drachen, solche Sachen eben.
    Bosper sah ihn schief an, schien es aber nicht zu wagen, noch etwas zu fragen. Der Bogner bezahlte einen großzügigen Preis für die Felle. Der Held musste sich ranhalten. Er hatte schon viel Zeit verstreichen lassen und lief nun die vertrauten Straßen von Khorinis entlang und zur Kaserne hinauf, wo wie immer Milizsoldaten von Wulfgar trainiert und ausgebildet wurden. Der Held hielt sich nicht damit auf sein Erscheinen irgendwie zu erklären, oder jemanden zu grüßen, sondern lief schnurstracks zu Lord Andre, der in seinem Büro stand und in einem Buch las, auf ein Pult gebettet war. Der Streiter Innos schien sehr überrascht ihn zu sehen, doch der Held hielt sich nicht mit großen Reden auf, sondern gab ihm einfach nur das für ihn bestimmte Schreiben und sagte Knapp: „Von Lee, Herrscher von Myrtana.“
    Lord Andre las das Schreiben schnell durch und seine Augen weiteten sich noch mehr.
    „Wusstest du was hier drin steht?“ fragte er den Helden.
    Der hatte nicht in den Brief hineingelinst, vermutete aber: „Lee sagte etwas davon, dass du der neue Stadthalter von Khorinis werden sollst.“
    „Ja“ hauchte Lord Andre überwältigt. „Das ist ein hohes Amt und sehr viel Verantwortung. Ich fühle mich geehrt, auch weil du es bist, der mir die Botschaft überbracht hat.“
    Der Held war kurz verwundert, bis ihm aufging, dass es in hohen Kreisen vermutlich nicht nur wichtig war, was in einem Brief stand, sondern auch wer geschickt wurde, um den Brief zu überbringen. Vielleicht drückte man so seinen Respekt an die Person aus? Lee war wirklich ein Fuchs, das musste er einfach zugeben.
    „Ich muss jetzt los. Ich habe noch viel zu tun“, sagte der Held.
    „Ja, aber natürlich“, sagte Lord Andre, immer noch fassungslos.
    Kurzerhand hatte der Held den Teleporterstein zum Pass gegriffen und sich teleportiert. Von einem Moment auf den Anderen war er verschwunden und am Pass zum Mienental wieder aufgetaucht. Wie er feststellte hätte er sich gar nicht so sehr beeilen brauchen, denn bisher war nur Lester da, der entspannt an einem Baum saß und Sumpfkraut rauchte. Er wirkte überrascht ihn schon zu sehen.
    „Das ging aber schnell.“
    „Und ich hab gedacht, ich wäre der Letzte“, sagte der Held und setzte sich zu seinem Kumpel.
    Er sah sich um. Hier hatte sich nicht viel verändert. Vor ihnen ergoss sich ein kleiner Wasserfall in einen flachen Tümpel vor ihnen. Auf der anderen Seiten gruben Lurker nach Essbarem im Boden. Weit entfernt grasten Schafe ganz ungestört und in der Ferne konnte er Bengars Hof sehen. Aus der Richtung kam auch eine Gestalt auf sie zu. Es war Diego, der ganz gemächlich auf sie zuging. Von der anderen Seite her trudelte Gorn ein. Da Gorn einen flotten Dauerlauf hinlegte, war er vor Diego da.
    „Auf Onars Hof hat sich nicht viel getan. Offenbar gab es mal einen Angriff von Orks, der aber niedergeschlagen wurde. Nur zwei Söldner kamen dabei ums Leben. Mal abgesehen von ein paar Feldräuberjagden ist sonst gar nichts passiert. Einfach unglaublich, wenn ich bedenke was auf dem Festland so los war.“
    „Wer ist denn gestorben?“ wollte der Held wissen.
    „Fester und Dar, der offenbar zu dem Zeitpunkt völlig bekifft war.“
    „Der Angriff kann also praktisch irgendwann stadtgefunden haben“, sagte der Held und lachte leise. „Mit Fester hab ich nie viel gesprochen. Wir hatten eine kurze Auseinandersetzung, weil er meinte mich hinters Licht führen zu können und sonst hatte ich nicht viel mit ihm zu tun. Mit Dar hab ich mal einen geraucht, ihm zu etwas Ansehen verholfen und ihn einige Experimente ausprobieren lassen.“
    „Was denn für Experimente?“ fragte Lester interessiert.
    „Ich hab Tabak mit Dunkelpilzen gemischt. Dar meinte das wäre selbst für ihn zu krass.“
    „Das will schon was heißen“, sagte Gorn und fügte noch hinzu: „Ich hab mit beiden nicht viel zu tun gehabt, aber so lange war ich ja auch nicht auf Onars Hof.“
    Diego kam nun endlich auch zu ihnen. Wozu sollte er sich auch beeilen?
    „Sieht so aus, als würde nur noch Milten fehlen“, bemerkte er.
    „Ja, vermutlich quatscht er Pyrokar gerade ein Ohr ab“, sagte Gorn und lachte.
    „Naja, es gibt ja auch viel zu erzählen“, erwiderte Diego.
    „Hier hat sich auf den ersten Blick nicht viel verändert“, sagte der Held tonlos.
    „Mir kommen die Menschen fröhlicher vor. Gerade in Khorinis ist mir das sehr stark aufgefallen, “ sagte Diego ruhig.
    „Warum sollten sie auch nicht? Die Orks sind bezwungen und Khorinis hat der Krieg nicht so stark getroffen“, kam es von Gorn.
    Sie redeten noch eine Weile und es wurde schon dunkel, als endlich Milten eintraf.
    „Was hat denn da so lange gedauert? Hast du mit jedem im Kloster geredet?“ fragte der Held ungeduldig.
    Milten hob eine Augenbraue.
    „Nein, gar nicht, nur mit Pyrokar, Ulthar und Serpentes. Doch es gab ja auch viel zu berichten.“
    „Irgendwas, das wir auch wissen dürfen?“ fragte Lester wie nebenbei und zog noch ein letztes Mal an seinem Sumpfkrautstengel, bevor er ihn von sich warf.
    „Zwei Feuermagier wurden als Unterstützung fürs Festland bewilligt. Wenn sich keine Freiwilligen finden lassen, dann werden welche bestimmt. Außerdem soll ich nochmal vorbeikommen, bevor wir wieder nach Myrtana zurückkehren.“
    „Und? Was noch?“ fragte Diego, der Milten genau beobachtet hatte und wusste, dass da noch etwas war, mit dem Milten nur nicht gleich mit der Sprache herausrücken wollte.
    „Pyrokar fände es gut, wenn du der neue König wirst.“
    Der Held stöhnte.
    „Warum erzählst du ihnen denn davon?“
    „Weil es wichtig ist“, verteidigte sich Milten. „Ich muss doch den hohen Rat darüber informieren. Serpentes war skeptisch, aber Ulthar war auch dafür.“
    „Haben sie das irgendwie begründet?“ wollte der Held wissen.
    „Serpentes meint Beliar könnte dich beeinflussen. Er erinnerte sich an Beliars Klaue, die du auch früher schon getragen hast. Es hat ihm damals schon missfallen, dass du damit im Kloster der Feuermagier herumgelaufen bist.“
    Lester lachte und zwinkerte dem Helden zu.
    „Tja, das bringst eben nur du.“
    „Pyrokar findet aber, dass du bei all dem was du bereits für Myrtana getan hast, der Richtige bist. Uthar meint, dass es etwas werden könnte, wenn du einige fähige Berater bekommst.“
    „Ich will von all dem nichts hören!“ sagte der Held grantig. „Los! Brechen wir lieber ins Miental auf.“
    Er stand auf und lief ohne sich noch mal umzudrehen auf den Pass zu. Milten sah ihm verwundert hinterher und tauschte dann einen Blick mit seinen Freunden, die nur mit den Schultern zuckten und ihm dann folgten.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 19:12 Uhr)

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    Ärger im Minental

    Dämmerlicht fiel über die hohen Felsen, die links und rechts aufragten, als sie den Pass durchquerten.
    „Wir sollten durch die Miene gehen, das ist sicherer“, empfahl Diego.
    „Aber wenn wir den direkten Weg gehen, sehen wir gleich, ob wieder Orks den Durchgang besetzen“, argumentierte der Held.
    „Da hast du Recht“, stimmte Gorn zu.
    Milten und Lester waren nicht begeistert, da sie aber wussten, dass es notwendig war, murrten sie nicht und fügten sich in ihr Schicksal.
    Während sie den steinigen kahlen Weg entlanggingen senkte sich die Nacht über sie herab.
    „Irgendwie unheimlich hier“, bemerkte Lester im Flüsterton, als fürchtete er jemand könnte sie hören und angreifen.
    „Dann kommt wenigstens etwas Spannung auf“, kam es vom Helden, der sich zu langweilen begann.
    Er war schon fast enttäuscht, als er keine Orks finden konnte. Alles lag ruhig und verlassen da und dann war es so weit: Sie erreichten die alte Austauschstelle.
    „Komisch nach all unseren Erlebnissen wieder hier zu stehen …“ sagte Gorn.
    „Ich wäre ehrlich gesagt froh, wenn ich nicht hier stehen würde“, sagte Lester und zündete sich einen neuen Sumpfkrautstengel an.
    Der Held bemerkte, dass Lesters Hände leicht zitterten, vielleicht steckte ihm sein letztes Erlebnis im Mienental noch immer in den Knochen. Er hatte mal erzählt, dass er einen Drachen gesehen hätte, kurz bevor er das Mienental verlassen hatte.
    „Ihr denkt jetzt vielleicht, ich hab sie nicht mehr alle, aber ich finde es irgendwie interessant, das alles noch mal zu sehen“, erklärte Diego in einem Anflug von Nostalgie.
    „Ja, so lange, bis die ersten Bestien ankommen, die uns fressen wollen“, kam es zynisch von Milten.
    Der Held sagte nichts, aber er verstand wie Diego sich fühlte. Früher hatte er die Kolonie schnell wieder verlassen wollen, aber er hatte hier auch viele aufregende Abenteuer erlebt, an die er sich jetzt gern zurückerinnerte. Alles in allem war es eine sehr aufregende Zeit und damals hatte auch noch keiner irgendwelche Erwartungen an ihn. Er war einfach nur ein weiterer Gefangener der Strafkolonie, niemand der Verantwortung zu schultern hatte, niemand von dem man mal glauben würde, dass er später als neuer König von Myrtana vorgeschlagen werden würde.
    Sie trabten an der verlassenen Miene vorbei und den Pfad hinab. Von dort aus konnten sie das ehemalige alte Lager sehen, oder zumindest was davon übrig war, die alte Burg, nur noch ein Schatten ihrer selbst. Doch selbst im Dunkeln fiel auf, dass das Mienental nicht mehr so verbrannt und karg war wie beim letzten Besuch des Helden. Die Angriffe der Drachen waren längst Vergangenheit. Frisches Gras und neue junge Bäume wuchsen. Das Mienental war nie so grün wie es andernorts auf Khorinis war. Die Gräser waren blasser und die Blätter der Bäume standen nicht so im Saft, aber es war schön zu wissen, dass sich die Natur nach der Feuersbrunst der geflügelten Reptilien langsam wieder erholte.
    Der Held erinnerte sich wie er hier Ratford und Drax das erste Mal getroffen und wie sie ihm ein paar Takte zur Scavengerjagd erzählt hatten. Er konnte einige der großen flugunfähigen Vögel weiter entfernt zwischen Bäumen schlafen sehen. Sie wären leichte Beute, aber sie hatten anderes zu tun.
    „Also wie wollen wir vorgehen?“ fragte Milten, als sie die geflickte Holzbrücke erreichten, die über den Fluss führte.
    „Wir müssen doch nicht unbedingt mit da rein, oder?“ fragte Gorn unbehaglich.
    Seinen letzten Aufenthalt in der Burg hatte er nicht vergessen.
    „Nein, das kann ich auch alleine machen“, sagte der Held, dem es eigentlich ganz recht war.
    Die Paladine und Ritter würden ihn vermutlich nicht gerade willkommen heißen, nachdem das letzte Mal irgendwie das Tor aufging und er im Verdacht stand es gewesen zu sein. Er konnte nur hoffen, dass sie ihn nicht sofort angriffen, was sollte er dann Lee sagen, wenn er ihm erklären müsste, dass alle Paladine und Ritter aus dem Mienental völlig überraschend aus unerklärlichen Gründen gestorben wären? Und wer weiß, so wie er sich in letzter Zeit anstellte, würden sie ihn vielleicht sogar umbringen. Seine Freunde mussten von all dem nicht unbedingt was wissen.
    „Wo treffen wir uns?“ fragte der Held, als er sich mühsam von den Erinnerungen an Torlofs Auftrag losriss.
    Diego blieb stehen und zeigte geradeaus.
    „Du weißt doch noch, dass da hinten beim Zugang zum Orkgebiet immer zwei Wachen des alten Lagers standen, oder?“
    „Klar“, antwortete der Held.
    „Weißt du noch, wie du mich damals nicht weit entfernt zusammen mit den Erzkisten gefunden hast?“
    Der Held nickte.
    „Da treffen wir uns.“
    Ihre Wege trennten sich. Der Held ging allein zum Tor und als ihm keiner öffnete, kramte er einen alten Teleporterstein heraus, der ihn direkt in den Innenhof brachte. Die Waffenknechte und Ritter dort wirbelten erschrocken herum, bereit bei einem Angriff ihr Leben bis zum letzten Atemzug zu verteidigen. Tatsächlich zogen sie ihre Schwerter und umzingelten ihn. Ihre Augen blitzten voller Wut und Verachtung.
    „Dass du dich hier noch mal blicken lässt …“ grollte der Ritter Tandor. „Am liebsten würde ich dich auf der Stelle abstechen, aber ich hab meine Befehle. Du kommst jetzt mit zu Lord Garond!“
    Der Held entschied, sich erstmal zu ihrem Befehlshaber bringen zu lassen. Er wollte ja ohnehin zu ihm und vielleicht konnte er sie dort überzeugen ihn nicht anzugreifen. Er war sehr gut in Überzeugungsarbeit, deswegen war er zuversichtlich.
    Garonds Männer brachten ihn in die Burg, wobei sie ihre Schwerter nicht senkten.
    „Was soll das? Was ist hier los?“ polterte ihr Anführer, der auf Gomez altem Thron saß.
    „Der Verräter hat den Fehler gemacht, sich hier noch einmal blicken zu lassen“, grollte Tandor und stieß den Helden vor, der kurz taumelte, aber nicht hinfiel.
    „Es ist nicht bewiesen, dass er es war, der das Tor geöffnet hat“, donnerte Garond, der unbedingt einen Lynchmord vermeiden wollte.
    Doch das würde nicht einfach werden. Seine Männer hockten jetzt schon viel zu lange im Mienental und kämpften gegen die Orks, abgeschottet von der Welt, einsam und ohne Hoffnung. Sie trauerten, um ihre gefallenen Kameraden und Freunde und sie wollten, dass jemand dafür bestraft wurde.
    „Wer soll es sonst gewesen sein?“ rief ein Waffenknecht, den er nicht mit Namen kannte.
    Lord Garond sah den Helden mit strengem Blick an.
    „Dir werden schwere Vergehen zur Last gelegt. Du sollst den Ritter Keroloth ermordet und das Fallgitter zum Eingang der Burg geöffnet haben, damit die Orks uns hier angreifen können. Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?“
    Ohje, wie sollte er seinen Hals da nur wieder aus der Schlinge ziehen? Der Held dachte schnell nach. Er war gut darin Leute zu bequatschen, er musste nur mal wieder die richtigen Argumente finden.
    „Keroloths Tod war ein tragischer Unfall. Der arme Kerl hat hier zu lange seinen Dienst verrichtet, wie so viele von euch. Weil er glaubte, ich hätte ihn bestohlen, griff er mich an. Ich musste mich verteidigen, damit er mir nicht mit seinem Schwert das Leben nahm.“
    „Selbst wenn es ein Missverständnis war, so hätte es doch gereicht ihn zu überwältigen“, sagte Garond vorwurfsvoll.
    „Ich hatte nie beabsichtigt ihn zu töten. Tatsächlich hab ich nur einen Schlag ausgeführt, aber da ich die Klaue Beliars führte, entlud sie sich und dann … starb er.“
    Gemurmel erfüllte den Raum. Da Garonds Männer damals anwesend waren, es geschah direkt im Innenhof der Burg, wussten sie, dass er die Wahrheit sagte, aber in Ihren Augen war klar zu sehen, dass sie ihn trotzdem für schuldig hielten. Wenn Keroloth einen Grund gehabt hatte ihn zu beschuldigen, dann war das sicher gerechtfertigt. Lord Garond beschäftigte eher der Umstand, dass der Held die Klaue Beliars führte. Er hatte das Schwert schon gesehen, aber sich nicht viele Gedanken darüber gemacht. Jetzt kniff er die Augen zu Schlitzen zusammen und besah sich die Waffe genauer.
    „Warum trägst du dieses Artefakt Beliars? Stehst du etwa in seinem Dienst?“
    „Nein, ich habe es seinem Handlanger abgenommen um damit die Drachen zu bezwingen. Von euch war ja keine Hilfe zu erwarten.“
    Er wusste, dass es nicht sehr geschickt war das gerade jetzt zu sagen, aber er konnte es sich nicht verkneifen. Zu tief saß die Verbitterung keine Unterstützung von Garond beim Kampf gegen die Drachen erhalten zu haben. Im Raum schwoll das Raunen an und einige riefen laut Beschwerden über den Eindringling.
    „Und was das mit dem Tor angeht … Ich habe nichts mit dem Angriff der Orks zu tun. Kurz zuvor hatte ich sogar alle Orks rund um die Burg erledigt. Warum sollte ich das tun, wenn ich auf Seiten der Orks stehen würde?“
    Der Held log Lord Garond mitten ins Gesicht, indem er einfach ein paar wichtige Punkte wegließ. Von Torlof musste Garond ja nichts wissen. Wie sollte er es sonst mit ihm auf einem Schiff aushalten? Der Paladin glaubte ihm, weil der Held viel mehr für die Sicherheit seiner Männer getan hatte, als irgendjemand sonst. Es ergab für ihn keinen Sinn, warum er dann auf einmal das Tor öffnen sollte.
    „Also gut, so lange es keine weiteren Beweise für deine Schuldigkeit gibt, lasse ich es erstmal darauf beruhen. Aber was führt dich überhaupt hierher?“
    „Regent Lee und Lord Hagen schicken mich. Es geht für euch nach Hause“, sagte der Held und reichte Lord Hagens Brief an Garond weiter.
    Es war als hätte er ein Zauberwort gesagt, urplötzlich schlug die Stimmung von Feindseligkeit auf Überraschung, dann auf Unglauben und schließlich in Begeisterung um. Lord Garond las den Brief und es war ihm anzusehen, dass er nicht mehr damit gerechnet hatte hier wieder lebend herauszukommen.
    „Was ist mit den restlichen Orks hier im Mienental?“ fragte der Held.
    „Wir haben sie zurückgedrängt. Viele haben sich in die Berge zurückgezogen. Sie sind keine Gefahr mehr. Eigentlich könnte jetzt weiter nach Erz geschürft werden, aber es fehlt uns an Arbeitern.“
    Der Held nickte. Das war alles, was er hatte erfahren wollen.
    „Darf ich dann gehen?“
    „Sicher, wir sind hier fertig“, antwortete Garond, der schon dabei war zu überlegen, was jetzt alles organisiert werden musste.
    Die Ritter und Waffenknechte hinderten den Helden nicht daran die Burg wieder zu verlassen. Die Stimmung war viel zu überschwänglich, als das sich im Moment jemand mit Rachefeldzügen beschäftigen würde, doch der Held ahnte, dass es noch einmal Probleme deswegen geben könnte. Er lief zum Rand der Burgmauer, dort wo er damals immer über die Orkramme in die Burg gelangt war. Alle Spuren der Orks wurden mittlerweile beseitigt und er musste die Mauer hinunterklettern, um die Burg zu verlassen. Er wandte sich nach rechts und lief durch das Orkgebiet zum Treffpunkt. Dort hockten seine Freunde in einer kleinen Senke und brieten einen Scavenger und ein Molerat über einem Lagerfeuer.
    „Und wie ist es gelaufen?“ wollte Lester wissen.
    „Alles in Ordnung“, wiegelte der Held schnell ab. „Und hier?“
    „Auch“, kam es von Diego. „Es ist schön mal wieder hier zu sein. Das hier war damals einer unserer Treffpunkte.“
    „Ach?“ sagte der Held verwundert und setzte sich neben Diego auf eine der einfachen Bänke.
    „War oft gar nicht so einfach hierherzukommen, wegen der Orks und Gomez Gardisten, die den Zugang auf der einen Seite bewacht haben“, erklärte Gorn und trennte sich eine Keule vom Molerat ab.
    Eine Zeit lang sagten sie gar nichts, sondern starrten einfach nur essend ins Lagerfeuer. Jeder hing seinen eigenen Gedanken und Erinnerungen an die Zeit in der Kolonie nach. Sie beschlossen hier zu übernachten, um dann am nächsten Morgen frisch gestärkt einen Weg in den Schläfertempel zu suchen.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 19:13 Uhr)

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    Schätze im Sumpf

    Der Held führte seine Freunde tiefer ins Orkgebiet hinein. Kurz vor dem Tümpel, über den damals eine Brücke zum Orkdorf führte, hielten sie an. Etwas entfernt war einer von Xardas alten Türmen zu sehen. Hoch über einem Wasserloch thronte er auf einem Hügel. Davor spielte sich dramatisches ab. Eine Gruppe Orks war auf Snapperjagd. Die Snapper waren viel wendiger als die Orks, aber klar in der Unterzahl und ein Hieb mit einer schweren Orkaxt konnte ausreichen um einen Snapper zu töten.
    „Orks“ spie Gorn aus und wollte seine große Doppelaxt zur Hand nehmen.
    „Warte mal, das ist Ur-Shak“, sagte der Held und hinderte seinen Freund daran auf die Orks loszugehen.
    „Wer?“ fragte Lester verwundert.
    Ohne weiter etwas zu sagen lief der Held ohne eine Waffe gezogen zu haben auf die Orks zu. Natürlich war er leicht nervös, weil er nicht wusste wie sein alter Orkfreund auf ihn reagieren würde, aber für seine anderen Kumpel sah es so aus, als würde er vollkommen sorglos auf todbringende Feinde zulaufen. Mit offenen Mündern sahen sie ihm nach.
    Ur-Shak sah ihn kommen und ging auf ihn zu.
    „Hallo Ur-Shak, wie geht’s?“ begrüßte der Held ihn.
    „Ur-Shak hätte nicht gedacht, alter Freund kommen wieder hierher. Du getötet haben viele Brüder, wir jetzt leben in den Bergen, Ur-Shak aber nicht sagen wo, Brüder fürchten du kommen und uns töten.“
    Ein merkwürdiger Anflug von Schuldgefühl überkam den Helden. Die Orks waren ihre Feinde, aber Ur-Shak war trotzdem so etwas wie ein Freund, oder zumindest ein alter Bekannter und er hatte dessen Freunde getötet. Er konnte verstehen, dass sich die Ausgangslage komplett verändert hatte und er eine große Bedrohung darstellte.
    „Ur-Shak aber sehen, du kommen in Frieden, deswegen Ur-Shak werden mit dir reden“, sagte der Ork und zeigte auf die Klaue Beliars, die immer noch am Gürtel des Helden hing.
    „Was ist mit eurem alten Dorf? Ist es noch bewohnt?“ fragte der Held und zeigte hinüber.
    Ur-Shak schüttelte den Kopf.
    „Nachdem du getötet haben fast alle Brüder, wir aufgegeben haben Dorf. Was du dort wollen?“
    Der Held warf einen kurzen Blick zu seinen Freunden, die ihn fassungslos anstarrten. Wie konnte er nur mit einem Ork reden?
    „Ich muss in den alten Tempel von Krushak. Dort liegen noch einige meiner alten Sachen“, sagte der Held und wandte sich wieder Ur-Shak zu.
    „Du meinen großes Schwert aus Erz, alten Feind von Brüdern, Ur-Shak nicht wissen ob gut du es finden.“
    Ur-Shak schien hin und hergerissen. Der Held fand, dass er dem Ork etwas schuldete, immerhin hatte er ihm gesagt wie man ein Ulu-Mulu anfertigte und er hatte seinem Freund damit nur Kummer bereitet.
    „Vielleicht kann ich euch helfen? Braucht ihr irgendetwas?“
    „Wir können brauchen Hilfe. Berge sehr gefährlich, viele große, wilde Tiere dort leben. Brüder oft verletzt und dort nicht wachsen Heilfpflanzen, brauchen Heilpflanzen aus Sumpf, aber Brüder nicht mögen Sumpf. Schlangen und Mücken im Sumpf und sein warm und nass.“
    „Ich werde euch die Heilpflanzen suchen. Hier nimm erst mal die“, er holte ein dutzend Heilkräuter aus seiner Hosentasche und gab sie dem Ork. „Ich bin bald wieder da.“
    Er wandte sich um und lief zu seinen Freunden zurück, die ihn immer noch entgeistert anstarrten.
    „Was sollte denn das?“ fragte Diego völlig baff.
    „Ja, das ist ein verdammter Ork, Mann!“ kam es wütend von Gorn.
    Der Held blieb kurz stehen, überlegte ob er etwas sagen sollte, ging dann aber einfach weiter, in Richtung des Sumpflagers.
    „He, wo gehst du hin?“ rief Diego ihm nach und seine Freunde beeilten sich, ihm zu folgen.
    „Was ist denn los? Da sind so einige Sachen, die nach Antworten verlangen“, sagte Milten und schloss zu ihm auf.
    Der Held überlegte, wie er seinen Freunden diese verzwickte Situation erklären sollte. Im Grunde gab es aus ihrer Sicht überhaupt keinen Anlass Ur-Shak zu helfen. Sie könnten einfach in den Tümpel vor dem Orkdorf hinuntersteigen und mittels Räuberleiter auf der anderen Seite wieder heraufklettern.
    „Das ist Ur-Shak, er war es, der mir damals erzählte wie der Schläfer in unsere Welt gerufen wurde und er war es auch, der mir sagte wie ich in den Tempel komme.“
    „Ich dachte du wüsstest das von Xardas …“ sagte Milten nachdenklich.
    „Xardas sagte mir, wie ich Ur-Shak finden könnte. Er wurde damals aus seinem Dorf verbannt, weil er erkannt hatte, dass der Schläfer Beliar dient und er nichts damit zu tun haben wollte. Die anderen Orks hörten nicht auf seine Worte und schickten ihn fort.“
    „Und wo gehen wir dann jetzt hin?“ fragte Lester von hinten.
    „In den Sumpf. Dort werde ich Heilpflanzen suchen …“
    Gorn unterbrach ihn.
    „Für den Ork? Du willst ihm helfen? Hast du vergessen, dass wir Feinde sind?“
    „Gorn hat Recht, auch wenn dir Ur-Shak früher geholfen hat, jetzt dienen die Orks Beliar“, gab Milten zu bedenken.
    Der Held schwieg einen Moment, um zu überlegen was er darauf erwidern sollte, damit sie seine Entscheidung nicht anzweifelten. Sie verließen gerade das Orkgebiet durch den schmalen Durchgang den der Gardist Pacho früher bewachte.
    „Milten … stell dir vor, jemand aus einem anderen Land, der die Menschen hier überhaupt nicht kennt, würde in Varant mit dem Schiff anlegen. Er würde lauter Menschen treffen, die Beliar anbeten und würde deswegen vielleicht denken, dass alle Menschen in Myrtana so ticken. Wie würdest du das finden?“
    „Ich …“
    Milten war von diesem Vergleich ganz verwundert.
    „Das hab ich mir noch nie vorgestellt. Denkst du diese Orks sind anders, als die anderen?“
    „Schwer zu sagen. So weit ich das verstanden habe, riefen die Orks den Schläfer damals, um gegen jemanden erfolgreich kämpfen zu können. Ob es Menschen waren oder andere Orks ist mir nicht klar. Ich denke, die Orks hier im Mienental sehen den Dienst an Beliar als bloßes Mittel zum Zweck. Für die hier ist der Krieg eindeutig vorbei und ich denke nicht, dass sie noch eine Notwendigkeit sehen zu ihm zu beten. Als ich mit Ur-Shak sprach, hatte ich eher den Eindruck, dass sie bloß in Ruhe leben wollen, fernab von den Menschen.“
    „Trotzdem ist nicht einzusehen, dass wir ihnen jetzt auch noch helfen“, sagte Gorn dickköpfig und die klapprige kleine Brücke knarzte bedrohlich, als sie den Fluss überquerten.
    „Nur weil sich die Orks zurückgezogen haben, heißt das nicht, dass sie uns nicht angreifen könnten. Wenn wir ihnen aber die Heilpflanzen bringen, dann sind sie uns nicht mehr so feindlich gesinnt und greifen uns vermutlich nicht an.“
    „Dass du einen Kampf mit Orks scheust ist ja ganz was neues“, entgegnete Diego.
    „Ja, wie war das vor Mora Sul? Erstmal im Alleingang gegen die ganze Horde und jetzt nimmst du Aufträge von einem Ork an und das sollen wir einfach so akzeptieren?“ fragte Gorn sauer.
    Der Held blieb abrupt stehen und drehte sich zu ihm herum. Fast wäre Gorn mit ihm zusammengestoßen.
    Ihr wart es doch, die sich darüber beschwert haben, ich sei zu leichtsinnig. Ihr habt mich doch belehrt und jetzt bin ich vorsichtiger und es ist euch auch nicht recht?“
    Die anderen warfen sich Blicke zu, sagten aber nichts.
    „Na, also. Wenn wir in den Schläfer Tempel gehen, können wir nicht wissen was da drin möglicherweise noch rumkriecht und wenn wir vielleicht schon geschwächt wieder herauskommen, sollten wir uns nicht auch noch mit Orks herumschlagen müssen, oder?“
    Gorn hatte offenbar noch gar nicht so weit gedacht, Diego war überrascht über den plötzlichen Sinneswandel des Helden was Gefahren anging und Milten sah fast schon etwas stolz zum Helden, weil er ihr damaliges Gespräch auf Diegos Haus beherzigt hatte. Der Held merkte, dass da keine Gegenargumente mehr kommen würden.
    ‚Puh … nochmal hingekriegt‘ dachte er sich und konnte es im ersten Moment gar nicht fassen wie er das alles unter einen Hut bekommen hatte.
    Nur Lester hatte sich nicht groß an der Diskussion beteiligt und war schon etwas weiter vorgelaufen. Er stand jetzt hinter dem kleinen Wäldchen an der Orkpalisade und rief zu ihnen herüber: „He, hat einer eine Ahnung wie wir da rüber kommen sollen?“
    Sie wandten sich zu ihm um und liefen zu ihrem Kumpel.
    „Vielleicht ist irgendwo ein Loch“, mutmaßte Diego.
    „Wenn nicht schaffen wir uns eins“, sagte Gorn grimmig und tätschelte seine Axt.
    „Wir könnten auch in den Fluss springen und kämen dann zum Wasserfall im Lager der Bruderschaft“ kam es vom Helden.
    Die anderen sahen ihn an, als hätte er sie nicht mehr alle und Lester zeigte nach vorne und rief:
    „Seht mal! So kommen wir rüber.“
    Bei einem Sturm war ein großer Baum umgeknickt und hatte die Palisade so weit heruntergedrückt, dass ein Durchkommen möglich war. Auf der anderen Seite sprangen sie vom Stamm herunter und waren erstaunt von den Veränderungen der einstmals vertrauten Umgebung. Wo früher überall Bäume standen war jetzt eine weite offene Fläche wo frisches Gras wuchs. Sämtliche Bäume waren wohl für die Palisade gefällt wurden und es hatten sich noch keine neuen angesiedelt. Der Wall verhinderte, dass viele Samen hierhergewagt wurden. Allerdings lebten zahlreiche Tiere hier. Ungestört hatten sie sich wieder ausbreiten können. Warane und Scavenger liefen durch das niedrige Gras und suchten nach Nagetieren im Boden. An der Steilklippe konnten sie einige Molerats sehen, die nach Wurzeln gruben und ganz weit entfernt konnten sie auch ein Wolfsrudel erkennen. Sie versuchten nicht unnötig in einen Kampf zu geraten, aber einige Warane wurden trotzdem auf sie aufmerksam. Doch für die erfahrenen Kämpfer waren sie kein Problem. Sie verzichteten allerdings darauf ihnen die Krallen oder die Haut abzunehmen. Dafür war jetzt keine Zeit.
    Zielsicher steuerten sie auf das Sumpflager zu.
    „Sag mal Lester …“, fing Diego im Plauderton an. „Als ihr damals das Lager verlassen habt, da blieben doch bestimmt einige Dinge zurück, oder?“
    Lester lachte leise.
    „Wenn du jetzt auf große Wertsachen hoffst muss ich dich enttäuschen. Die meisten Novizen und Templer besaßen kaum etwas von Wert, außer das was sie bei sich trugen.“
    „Aber die Gurus, die hatten doch bestimmt … interessante Sachen …“
    „Diego willst du jetzt wirklich das ganze Lager ausräumen?“ fragte Milten tadelnd.
    „Warum denn nicht? Ist doch keiner mehr da, der sich dran stören könnte, oder?“ fragte Diego ungeniert und als sie das Lager erreichten, trennte er sich von der Gruppe, um sich mal ganz genau Y´berions Tempel anzusehen.
    „Komisch, wieder hier zu sein“, sagte Lester leise, als sie vor seiner alten Hütte standen.
    Der Held stimmte ihm schweigend zu. Das Lager wirkte verfallen. Unkraut hatte sich durch die Holzplanken der Stege geschoben. Durch Stürme waren einige Äste der großen Bäume abgebrochen und hatten die Bauten beschädigt. Sumpfhaie krochen durch den Schlamm und Blutfliegen sirrten in Schwärmen umher. Es sah so aus, als würde sich der Sumpf diesen Ort zurückholen.
    „Was hältst du von einem kleinen Wettkampf?“ fragte Gorn den Helden herausfordernd. „Wer mehr Viecher erledigt, gewinnt.“
    „Einverstanden.“
    Sofort zog Gorn seine Axt und rannte ungestüm auf den nächstbesten Sumpfhai zu, doch weil er sich auf ungewohntem Terrain befand, ging das nicht gut. Er rutschte aus und fiel der Länge nach in den Schlick. Der Sumpfhai schlängelte sich heran, richtete sich auf und öffnete sein schlitzartiges Maul weit, so dass die mehreren Reihen spitzer scharfer Zähne deutlich zu sehen waren. Milten half ihm mit einem Feuerball aus der Patsche. Das Tier wich zurück und Gorn hatte Zeit sich aufzurappeln.
    „Das hätte ich auch allein geschafft! Wenn du mir hilfst, dann gilt es doch nicht, wenn ich ihn töte“ rief Gorn, schwang seine Axt und hackte damit durch den Leib des Sumpfhais, der sofort zusammenbrach und starb.
    Milten seufzte, rollte mit den Augen und verschränkte dann die Arme vor der Brust. Der Held nahm einen Bogen zur Hand und versuchte eine Blutfliege zu treffen, die einige Meter vor ihm herumschwirrte. Es war fast schon peinlich, dass er erst beim dritten Versuch traf.
    „Wo ist eigentlich Lester?“ fragte Milten und sah sich um.
    „Hier“, kam es von rechts aus dem Sumpf.
    Lester stand bis zum Becken im Schlick in jeder Hand ein Büschel Sumpfkraut. Auf Miltens Blick hin, sagte er: „Was ist? Das kann ich doch nicht so ungenutzt hier herumstehen lassen. Ist doch Verschwendung. Das könnte noch jemand gebrauchen … ich zum Beispiel.“
    „Ach ja, zum Beispiel …“ sagte Milten und sah sich nach den Anderen um.
    Gorn und der Held kloppten sich mit Viechern und Diego kam gerade aus Y´berions Tempel und steuerte jetzt auf eine vielversprechende Hütte zu. Der Feuermagier seufzte. Ihm war klar, dass er sich wohl um ihre eigentliche Aufgabe kümmern musste, wenn das noch etwas werden sollte. Stück für Stück nahm er sich die von Tieren gesäuberten Bereiche vor und sammelte die Heilpflanzen, die er finden konnte, in einem alten Kessel.
    Viele Stunden später hatte er diesen und einen weiteren Kessel gefüllt.
    „Das war’s mit dir, Mistvieh!“ donnerte Gorn, als er wieder einmal einen Sumpfhai verhackstückte.
    Wimmernd brach das Tier zusammen und kringelte sich zu einem einzigen Häuflein Elend zusammen.
    „Ich denke das waren dann alle“, kam es vom Helden, der sein Schwert aus einem weiteren Sumpfhai zog. Diesmal führte er ein Bastardschwert, damit die Kämpfe interessanter wurden.
    Gorn kam zu ihm hinübergewatet.
    „Wie viele hast du?“
    „Zweiundvierzig Blutfliegen und vierzehn Sumpfhaie.“
    „HA! Ich hab dreiundzwanzig Sumpfhaie getötet. Ich hab gewonnen!“ sagte Gorn und stieß triumphierend seine rechte Faust in die Luft.
    „Und was ist mit den Blutfliegen?“ fragte der Held amüsiert.
    „Ach, die zählen nicht so viel. Die Sumpfhaie sind doch viel gefährlicher.“
    Der Held lachte und ließ es dabei bewenden.
    „Wenn ihr da drüben fertig seid könntet ihr mir vielleicht mal bei den Heilpflanzen helfen“ wehte Miltens Stimme zu ihnen herüber.
    Die beiden gingen zu ihm und waren völlig baff, als sie all die vielen Heilpflanzen sahen.
    „Das müssen hunderte sein“, stieß Gorn aus.
    „Niemand hat sie am Ausbreiten gehindert, da wuchs es wohl wie Unkraut“, sagte der Held und fing an die Pflanzen in seine Hosentasche zu packen.
    „Wo wir gerade von Unkraut reden … habt ihr auch bemerkt, dass sich da … Häufchen ansammelten?“ fragte Milten vorsichtig.
    „Häufchen? Da hast du dich aber vorsichtig ausgedrückt. Während wir auf Viecherjagd waren hat Lester eifrig gesammelt“, sagte der Held und grinste.
    Tatsächlich fanden sie ihn inmitten von großen weitflächigen Bergen aus Sumpfkraut. Es sah aus, als hätte jemand in einem Wald Laub geharkt, nur dass es statt der Blätter Sumpfkrautpflanzen waren. Wenn sie ihren Freund nicht gehört hätten, hätten sie ihn vermutlich nicht so einfach gefunden.
    „So viel Sumpfkraut nur für mich allein“, jubelte Lester während er glücklich auf einem besonders großen Haufen lag.
    „Machst du da `nen Sumpfkrautadler oder was?“ fragte Gorn lachend.
    Lester lachte noch lauter.
    „Was willst du denn mit all dem Zeug?“ fragte Milten skeptisch.
    „Na rauchen, was denn sonst?“ sagte Lester grinsend und mit leuchtenden Augen.
    „Es dauert vermutlich ein Jahrhundert bis du das aufgeraucht hast“, gab Milten zu bedenken.
    „Der kluge Mann legt Vorräte an.“
    „Und wie willst du das alles wegschaffen?“ fragte der Held, obwohl er sich schon denken konnte was da jetzt kam.
    „Na ich dachte, du könntest es nehmen“, sagte der ehemalige Novize und sah den Helden unschuldig an.
    „Das ist verdammt viel Zeug …“ warf der Held ein und sah sich um.
    „Hinten weiter im Sumpf liegt noch mal so viel“, kam es glücklich von Lester.
    „Wie hast du es nur geschafft, das alles zu sammeln?“ fragte Gorn erstaunt.
    „Ich war hochmotiviert. Wer weiß wann ich noch mal so viel Sumpfkraut sehen werde. Es war eine tolle Idee hierherzukommen.“
    „Ich glaube ja es hat überhaupt noch niemand jemals so viel Sumpfkraut gesehen“, sagte der Held.
    „Ach komm, bitte, tu mir den Gefallen ja?“ bettelte Lester, der sich offenbar nichts Schlimmeres vorstellen konnte, als das all seine Mühen umsonst waren und er das Kraut nicht mitnehmen konnte.
    „Also schön …“ ließ sich der Held überreden, beschloss aber, dass er seinen Freund hieran für den Rest seines Lebens immer wieder erinnern würde, wenn er seine Hilfe brauchen sollte.
    „Ich such mal nach Diego“, sagte Gorn schnell und entzog sich somit der Verantwortung mithelfen zu müssen.
    Milten dachte auch überhaupt nicht daran auch nur einen Finger wegen des Sumpfkrauts zu rühren und beschloss sich einfach nur auszuruhen, während der Held und Lester alle Hände voll zu tun hatten. Der Held fragte sich, ob wirklich unendlich viel in die magische Hosentasche hineinpasste. Er hatte schon unglaublich viel Krempel während seiner Abenteuer hineingestopft, aber jetzt bekam er doch seine Zweifel. Allerdings sagte er sich, wenn ein großer Haufen Erz hineinpasste, warum dann nicht auch mehrere Haufen Sumpfkraut? Es dauerte Stunden bis sie alle Pflanzen zusammengerafft hatten und als es endlich vollbracht war, glaubte der Held kein Sumpfkraut mehr sehen zu können. Auf dem Weg aus dem Sumpf kamen sie an Milten vorbei, der vor sich hingedöst hatte und gingen dann zu dritt los um Gorn und Diego zu suchen. Die beiden befanden sich an der Kreuzung kurz vor dem Ausgang des Lagers. Diego hockte auf einer Truhe, die vermutlich randvoll mit wertvollen Gegenständen war.
    „Nein, nicht noch mehr Zeug …“ stöhnte der Held.
    „Wirklich Diego, reicht es nicht, dass er fast deine gesamte Habe mit sich herumschleppt?“ fragte Milten anklagend.
    „He, ich hab ihn überredet immerhin einiges von dem Zeug, das er gefunden hat zurückzulassen“, mischte sich Gorn ein.
    Diego stand auf und öffnete die Truhe.
    „Ich hab viele nützliche Dinge gefunden, auch Spruchrollen, Runen und Tränke.“
    Er hoffte Milten und den Helden damit überzeugen zu können. Der Held wusste, dass sein alter Freund nicht eher Ruhe geben würde, bis die Kiste leer war, deswegen seufzte er und begann den Kram in seine Tasche zu packen.
    „Aber eins sag ich euch, wenn wir verletzt sind könnt ihr nicht darauf zählen, dass ich schnell irgendwelche Heiltränke finden kann. Wir müssen uns fast vollständig auf Miltens und meine Heilzauber verlassen. Also wenn einer abkratzt, soll er sich nicht wundern.“
    „Wenn er tot ist, soll er sich noch wundern können?“ fragte Lester belustigt.
    „Du weißt was ich meine, “ sagte der Held gereizt. „Wäre das dann alles? Oder gibt es noch etwas, das ich mitschleppen soll? Den Tempel vielleicht?“
    „Nein, ich denke, das wäre dann alles“, sagte Diego und tat gar nicht weiter verlegen.
    „Gut, dann können wir uns ja auf den Rückweg machen.“
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 19:15 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Gefahren im Schläfertempel

    Der Held ging allein zu Ur-Shak, während seine Freunde beim Tümpel zum Orkfriedhof warteten. Die anderen Orks saßen bei einem Feuer und brieten Fleisch. Sie beäugten den Helden skeptisch, wagten aber nicht ihn anzugreifen. Sie hatten genügend Geschichten über ihn gehört um zu wissen, dass das töricht wäre. Umso mehr bewunderten sie ihren Schamanen, der unerschrocken mit dem Feind sprach.
    „Hier, ich habe jede Menge Heilkräuter für euch“, sagte der Held und reichte Ur-Shak gut dreißig Stück der Kräuter.
    „Sein gut. Sein mehr als haben gedacht. Jetzt Brüder bekommen Hilfe. Vielen Dank, Freund“
    Ur-Shak sah wieder glücklicher aus und der Held war zufrieden. Er drehte sich um und ging zu seinen Freunden zurück. Die hatten sich wohl schon überlegt wie sie auf die andere Seite kommen sollten und wie zu erwarten war, bauten sie eine Räuberleiter. Der Held sprang zu ihnen in das kalte Brackwasser und war als letzter übrig. Gorn zog ihn schließlich hinauf und sie waren auf der anderen Seite.
    „Hat der Ork noch irgendwas gesagt?“ wollte er wissen.
    „Er hat sich bedankt.“
    „Hm…“
    Mehr wurde dazu nicht gesagt. Jeder hatte seine eigene Meinung zu dem Thema, die aber nicht laut ausgesprochen wurde, um keinen Streit heraufzubeschwören. Sie sahen sich im Orkdorf um, das verlassen dalag. Es wirkte geradezu gespenstisch und der Umstand, dass die Nacht anbrach, verbesserte diesen Zustand nicht.
    „Wie bist du denn früher in den Tempel gekommen?“ wollte Diego wissen.
    „Das erste Mal hab ich einen orkischen Teleporterzauber gefunden und beim zweiten Mal hab ich eine Statue vom Schläfer genutzt um in den Tempel zu kommen.“
    „Du willst mir doch nicht sagen, dass die sich das einfach so klauen ließen?“ fragte Gorn grinsend und wusste schon was da jetzt kam.
    „Naja, dass ich den Zauber gestohlen habe, haben sie wohl nicht gemerkt, das mit der Statue aber natürlich schon. Bald hatte ich das ganze Dorf gegen mich.“
    „Ging wohl nicht so gut aus, für die Orks“ sagte Gorn voller Schadenfreude.
    „Aber wieso haben dich die Orks überhaupt hineingelassen?“ wollte Lester wissen.
    „Ur-Shak hatte mir den Tipp gegeben ein Ulu-Mulu zu bauen. Das ist eine Standarte der Freundschaft bei den Orks. Wer sie trägt wird von den Orks nicht angegriffen, zumindest nicht, bis klar ist, dass man sie nur hereingelegt hat…“ sagte der Held.
    Wieder dieser unerklärliche Anflug von Schuldgefühlen.
    „Ah, ich erinnere mich an das Teil“, sagte Gorn und dachte daran wie er es vor der freien Miene beim Helden gesehen hatte.
    Sie gelangten durch das verlassene Dorf bis zum großen Gittertor, das den Eingang zum Schläfertempel versperrte.
    „Der Mechanismus sitzt fest. Hat zufällig jemand Moleratfett dabei?“
    „Sag jetzt nicht wir müssen noch mal los und welches holen“, gab Gorn zurück.
    „Nein … wenn ihr keins habt, dann muss ich meins rauskramen, aber das kann einige Zeit dauern, ihr wisst ja, all das Sumpfkraut von Lester und der teure Kram von Diego…“
    Der Held wollte seine Freunde etwas sticheln, die versuchten aber so zu tun, als wären sie sich überhaupt keiner Schuld bewusst. Endlich öffnete sich unter lautem Knarzen das Fallgitter und als es vollständig aus dem Weg geräumt war konnten sie eintreten. Der Schläfertempel lag vor ihnen.
    Die beiden großen Orkstatuen ragten hoch über ihnen auf. Vor ihnen lag ein unheimlicher Tunnel, der hinab in die undurchdringliche Finsternis führte. Der Held lief unerschrocken voran, er kannte ja den Weg. Seine Freunde warfen sich noch einen beunruhigten Blick zu und folgten ihm dann. Milten setzte einen Lichtzauber ein, damit sie wenigstens sehen konnten wo sie hintraten. Doch die Dunkelheit währte zum Glück nur kurz. Bald kamen sie in eine Kaverne mit einer tiefen Schlucht in der Mitte. Diego sah beunruhigt hinunter.
    „Geht ganz schön tief da runter. Der Boden ist überhaupt nicht auszumachen.“
    „Keine Sorge, da vorne ist ein Übergang“, sagte der Held und zeigte auf eine umgestürzte Säule, die quer über der Schlucht lag.
    „Sieht ja total sicher aus“, sagte Lester sarkastisch. „Wer weiß wie lange das da schon rumliegt und immer brüchiger wird.“
    „Du hast doch keine Angst, oder?“ fragte der Held und grinste schelmisch.
    „Nein, natürlich nicht“ beeilte sich Lester zu sagen und folgte rasch dem Helden.
    Sie sahen sich weiter um. Auf der anderen Seite gab es noch mehr Orkstatuen und alte in den Stein geritzte Texte umgeben von Bildnissen von menschlichen Totenschädeln, was nicht gerade aufbauend war. Auf ihrer Seite glommen an den Felswänden rostrote Mineralien.
    „Weißt du was das ist?“ fragte Gorn den Helden danach.
    Der zuckte mit den Schultern.
    „Nein, damals hatte ich keine Zeit mich damit zu befassen.“
    Milten sah auch interessiert aus.
    „Vielleicht eignet es sich für die Herstellung irgendwelcher Waffen oder magischer Artefakte.“
    „Ich finde, das sieht unheimlich aus, wie das so leuchtet“, meinte Lester.
    Die anderen sahen ihn stirnrunzelnd an. Lester versuchte sich sofort zu rechtfertigen.
    „Immerhin befinden wir uns im Tempel des Schläfers, das ist bestimmt irgendwas Dämonisches.“
    „Hm… vielleicht hast du recht. Aber ich würde trotzdem gerne eine Probe mitnehmen, um es zu untersuchen“, sagte der Feuermagier und betrachtete das Gestein kritisch. „Hast du eine Spitzhacke dabei?“
    Er sah den Helden hoffnungsvoll an.
    „Was ist das denn für eine Frage? Hier ist ein ganzer Hausstand drin, dann wird da bestimmt auch irgendwo eine Spitzhacke sein“, antwortete der Held und kramte angestrengt in seiner Hosentasche herum.
    „Ah ja, hier.“
    Er hob die Spitzhacke hoch in die Luft und wartete darauf, dass irgendjemand sie ihm abnahm, aber das geschah nicht. Die anderen sahen ihn einfach nur an. Der Held seufzte.
    „War ja klar.“
    „He, wir haben keine Ahnung vom Schürfen“, verteidigte Lester seine Kumpel und sich.
    „Ja, ist ja gut“, sagte der Held leicht grollend.
    Immerhin hatte er Ahnung vom Gold hacken, so viel anders konnte das ja nicht sein. Tatsächlich war es das aber schon, denn dieses Gestein war ungleich härter als Gold und so hatte er ganz schön zu tun, um etwas von dem Mineral abzuspalten. Ein paar kleine Stücke hatte er schon, aber er wollte zumindest einige Brocken herauslösen. Er setzte einen Trümmerschlag ein und die Wand erzitterte.
    „Meine Fresse, willst du, dass hier alles einstürzt?“ fragte Gorn laut, doch zu spät.
    Die Höhle erbebte und ein langer Riss bahnte sich seinen Weg erst durch die Wand mit dem glühenden Mineral, dann über die Decke und Dreck und kleine Steine bröckelten herunter. Die hintere der drei Säulen, die sowieso schon brüchig und schief war, fiel donnernd in sich zusammen und die halbe Decke kam hinterher.
    „In Deckung!“ brüllte Diego und packte Lester, der immer noch erstaunt nach oben schaute, um ihn davor zu bewahren von einem großen Felsen zerquetscht zu werden.
    Sie hetzten den anderen hinterher, die über die umgefallene Säule auf die andere Seite der unterirdischen Schlucht rannten. Das laute Krachen und Donnern der herunterfallenden Gesteinsmassen dauerte noch lange an. Die fünf Abenteurer atmeten schwer und husteten vom vielen Staub in der Luft.
    „Verdammte Scheiße!“ brüllte Gorn.
    „Nicht so laut, oder willst du, dass da noch mehr hinterherkommt?“ fragte Milten.
    „Was soll denn da noch kommen? Macht doch jetzt sowieso keinen Unterschied mehr. Wir sitzen hier drin fest.“
    Als der feine Staubnebel sich lichtete, sahen sie, dass er Recht hatte. Die Säule, die über die Schlucht führte, war in diese hineingerutscht und der Zugang nach draußen unter tonnenschwerem Gestein verschüttet.
    Milten, Diego, Lester und Gorn warfen dem Helden einen strengen Blick zu.
    „He, ich kann nichts dafür, ihr wolltet doch, dass ich grabe.“
    „Hat doch keiner geahnt, dass du da mit der Kraft eines Trolls gegen den Fels haust“, sagte Diego und obwohl er streng klingen wollte, konnte er nicht umhin auch beeindruckt zu sein.
    „Es bringt doch nichts, jetzt hier die Schuld herumzuschieben“, warf Milten ein. „Wie kommen wir wieder heraus? Gibt es noch einen anderen Ausgang?“
    Der Held schüttelte den Kopf.
    „Nicht das ich wüsste, aber ich bin mir auch nicht sicher, ob ich damals alles hundertprozentig abgesucht habe. Mir ging es ja vor allem darum den Schläfer zu besiegen.“
    „Dann machen wir uns besser auf die Suche, oder wir sterben hier drin“, sagte Gorn grimmig und erklomm als erster die Treppe, die ins Innere des Tempels führte.
    Sie fanden einige Knochen vor.
    „Hier begegnete ich einigen Skeletten und Skelettmagiern“, erklärte der Held.
    „Skelettmagier? Ich wusste gar nicht, dass es auch welche gibt die Magie wirken können“ fragte Diego nach.
    „Doch die gibt es und ich hoffe, dass ich damals wirklich alle erledigt habe. Sie haben die fiese Angewohnheit ihre Feinde einzufrieren und dann einen Haufen Skelette zu rufen, die einen dann verhackstücken.“
    Lester schluckte.
    „Es sind doch aber bestimmt keine mehr da, oder?“ fragte er und versuchte lässig zu klingen.
    Der Held lugte vorsichtig um die Ecke. Eine große Halle, mit diversen Toren zu anderen Abschnitten des Tempels lag vor ihnen. Braune, vertrocknete Flechten hingen von der Decke. Es roch muffig und ganz leise hörten sie ein weit entferntes Klappern, so als würde etwas in einen tiefen Schacht fallen.
    „Sieht ruhig aus, aber falls ihr doch welche seht, zieht die Aufmerksamkeit der Magier auf euch, wenn einer von uns eingefroren wird, damit der Hilflose, dann nicht die volle Ladung ihres Zorns abbekommt.“
    „Du kannst uns so richtig aufbauen“ kommentierte Diego, während sie weiter vordrangen und sich umsahen.
    Ein tiefes unheimliches Stöhnen und Klagen drang irgendwo aus den Tiefen der Gänge vor ihnen. Den Abenteurern lief ein Schauer über den Rücken. Selbst dem Helden war es unangenehm wieder hier unten zu sein.
    „Ich finde, es gehört schon ein ganzes Stück Mut dazu, sich hier ganz allein vorzuwagen. Respekt wie du das damals gemacht hast“, sagte Gorn ehrerbietig.
    Der Held lächelte leicht, froh, dass seine Mühen anerkannt wurden.
    „Was ist denn das da hinten?“ fragte Milten und zeigte auf ein Wandrelief am anderen Ende der Halle.
    „Ich vermute es soll die drei Götter symbolisieren…“ antwortete der Held.
    Das ließ den Feuermagier noch neugieriger werden und er lief darauf zu. Seine Freunde sahen sich kurz an und folgten ihm.
    Sie holten Milten ein, der sich die Ornamente ansah.
    „Ich dachte einfach nur, dass soll die Reihenfolge darstellen, mit der man die Schalter da hinten betätigen muss“ kam es vom Helden.
    „Schalter?“ fragte Milten.
    „Das hier ist ein Tempel, sowas ist immer voll von Rätseln mit tödlichen Fallen und so…“
    „Tödliche Fallen, die du bereits alle entschärft hast, richtig?“ fragte Lester mit nervöser Stimme.
    „Ich denke schon“, kam es wenig überzeugend vom Helden.
    Milten grübelte immer noch über die Bedeutung der Ornamente.
    „Mich wundert es, dass alle drei Götter aufgeführt sind. Immerhin ist dies doch der Schläfertempel, oder? Da sollte doch Beliar überpräsent sein. Das muss eine Bedeutung haben …“
    „Vielleicht ist es einfach so wie er sagt und die Orks beten zweckmäßig zu dem Gott, der ihnen gerade passt“, warf Lester ein.
    „Vielleicht wollten sie ja die anderen beiden nicht verärgern, als sie diesen Tempel bauten …“ gab Diego seine Meinung kund.
    „Hm … möglich, aber ich denke, es ist was anderes, doch dafür müssen wir mehr darüber herausfinden. Gehen wir weiter.“
    „Links oder rechts durchs Tor?“ fragte Gorn.
    „Ist vollkommen egal“, sagte der Held und ging voran.
    Sie kamen in eine weitere Halle.
    „Wartet, ich muss erst überlegen welcher Weg der Richtige ist …“
    „Du hast doch nicht vergessen, wo es langgeht, oder? Wenn wir uns verirren, sind wir aufgeschmissen“, sagte Gorn.
    „Du meinst, noch mehr als ohnehin?“ fragte Diego zynisch.
    „Ruhe dahinten! Ich muss nachdenken. Heute können wir hier einfach überall durchgehen, aber damals waren viele der Tore versperrt und ich musste erst allerhand Aufgaben und Rätsel lösen um weiterzukommen. Das brauchen wir ja jetzt nicht mehr …“
    „Wo geht es da vorne hin?“ unterbrach Lester ihn, der lieber früher als später hier raus wollte.
    „Da hockte einer der untoten Schamanen drin, die sich ihr Herz herausgeschnitten haben, um es dem Schläfer zu opfern. Er hat viele Menschenopfer durchgeführt, da drin ist ein Altar und Haufen von Menschenschädeln.“
    Lester machte ein Geräusch, das ohne Zweifel ließ, dass er lieber nicht gefragt hätte.
    „Und wo geht es da oben hin?“ fragte Gorn und zeigte auf einen Absatz rechts von ihnen.
    „Uralte Orkmumien und tödliche Stachelfallen“, antwortete der Held gerade heraus. „Wenn ich mich richtig erinnere, dann können wir uns aber links halten und kommen von dort aus weiter, oder wir gehen unten durch die Minecrawlerschächte.“
    Er zeigte rechts auf den Boden.
    „Also, ich bin für Klettern“, erklärte Lester eilig.
    Die anderen stimmten schnell mit ein und sie wandten sich zum Aufstieg. Ein unheimliches, tiefes, gruseliges Flüstern schien durch die unterirdischen Kammern zu wabern. Jeder tat so, als hätte er keine Angst und folgte dem Helden, der den Absatz bereits erreicht hatte. Sie hielten sich links, ganz so wie der Held gesagt hatte und kamen wieder an diesen hellrotorange leuchtenden Mineralien vorbei.
    „Keiner fasst es an!“ knurrte Diego und scheuchte seine Kammeraden weiter.
    „Auf dem Weg hierher sind wir an einigen Stäben vorbeigekommen, an deren Ende diese Steine leuchteten. Vermutlich ist das eine Verwendungsmöglichkeit“, überlegte der Feuermagier.
    „Damals bei uns in der Bruderschaft, haben wir magisches Erz ähnlich verwendet“, sagte Lester. „Meinst du, dieses orangerote Zeug ist sowas ähnliches wie Erz? Dämonenerz oder so?“
    „Möglich. Interessant wären die Unterschiede zu normalem und magischem Erz.“
    „Vielleicht ließe sich daraus eine interessante Waffe schmieden“, überlegte der Held laut und seine Augen leuchteten.
    „Hör bloß auf! Ein dunkles Schwert reicht ja wohl“, gab Milten zurück und er bedachte die Klaue Beliars mit einem finsteren Blick.
    Sie gelangten abermals in eine Halle, größer als die vorherigen.
    „Der Raum da, wo all das Blut an der Wand klebt, ist das wieder eine dieser Fallen?“ fragte Lester nervös.
    „Ja, es kommen lange spitze Speere aus dem Boden, die einen aufspießen. Mit einem Pfeil muss man einen Schalter hoch oben an der Wand treffen, natürlich ohne sich dabei pfählen zu lassen. Und da rechts sind wieder allerhand Schalter.“
    „Ist es egal welchen man betätigt?“ fragte Gorn.
    Der Held zuckte mit den Schultern.
    „Eigentlich schon, wenn’s falsch war erscheint ein Dämon, aber sonst passiert nichts.“
    Gorn warf Diego einen Blick zu, der die Stirn runzelte.
    „Ach na dann, wenns weiter nichts ist …“
    Sie durchquerten den Raum und wären fast über eine abgenagte Leiche gestolpert. Teilweise trug sie immer noch die Rüstung eines Templers.
    „Das sind die Templer, die Calom gefolgt sind, richtig?“ fragte Lester.
    „Ja, der Hohepriester hat ihnen große Kraft verliehen. Sie waren der Meinung unsterblich zu sein …“
    „Aber du hast sie eines besseren belehrt“, sagte Gorn und grinste.
    Der Held zwinkerte ihm zu.
    „Hm… wenn die Leiche aber so abgenagt ist, muss hier drin noch irgendwas am Leben sein. Vermutlich Tempelcrawler.“
    „Tempelcrawler?“ fragte Gorn nach.
    „Ja, so ähnlich wie die Biester aus der freien Miene, nur zäher. Hm… wenn wir jetzt hier durchgehen, kommen wir, wenn wir nach rechts gehen zum Altar wo Uriziel aufbewahrt wurde. Wenn wir unten durch den Tunnel nach links gehen, dann kommen wir zum Schalter, der das Tor öffnet … Genau, wir müssen einfach nur geradeaus, so wars …“ überlegte der Held und führte seine Freunde voran, die bloß hofften, er erinnerte sich richtig.
    Sie gelangten durch weitere Tore und eine Halle, die in eine Höhle führte. Linker Hand blubberte Lava, die Licht in diese unterirdische Welt warf. Vor ihnen lagen die Heiligtümer des Schläfertempels, reich mit Bildnissen von Tod und Verderben verziert.
    „Was ist das?“ fragte Gorn und zeigte auf ein Bild gleich am Eingang.
    Der Held sah ihn stirnrunzelnd an.
    „Was das ist? Na der Schläfer, sieht man das nicht?“
    Gorn legte den Kopf schräg.
    „Echt? Hätte ich mir anders vorgestellt.“
    „Mit weniger Beinen“ gab Diego ihm Recht.
    „Sieht fies aus“ kam es von Lester, der nicht glauben konnte, das er dieses Vieh mal mehr oder weniger angebetet hatte.
    Der Held lief einfach weiter und weil die anderen nicht zurückbleiben wollten, folgten sie ihm. Sie gelangten wieder nach draußen, wo sie über eine Steinbrücke gingen, die über einen tiefen Abgrund führte. Über ihnen ragte ein großer finsterer Turm auf. Wieder dieses unheimliche Stöhnen.
    „Sieht ja gewaltig aus“, kam es von Diego.
    „Uah“ kam es von Lester, der beinahe über den noch toteren untoten Schamanen stolperte, weil er nach oben zum Turm gesehen hatte.
    „Wegen dem musste ich Uriziel aufladen, naja und wegen der Templer … und überhaupt war es vermutlich eine gute Idee“ sagte der Held und sah nur kurz auf den Orkschamanen zurück.
    Im Inneren dominierte eine steinerne Schläferstatue.
    „So sieht der Schläfer aus, hat nun mal viele Beine und ist überhaupt ein total hässliches Mistvieh“ sagte der Held leichthin.
    Seine Freunde wollten sich gar nicht so recht vorstellen wie es wäre gegen so etwas zu kämpfen.
    „So groß war das Vieh aber nicht in echt, oder?“ fragte Gorn um es etwas zu relativieren.
    „Hm…. doch, ich denke schon … keine Ahnung“ sagte der Held schulterzuckend und lief weiter nach rechts einen Gang hinab.
    Ihm war nicht so sehr nach reden zumute. Die Kämpfe hier im Schläfertempel hatten ihn viel Kraft gekostet und waren sehr schmerzhaft und er war froh, das hinter sich zu haben. Weit kamen sie aber nicht, hier war die Decke eingestürzt.
    „Verdammt, soll jetzt alles umsonst gewesen sein?“ fragte Gorn.
    „Hm… sieht aus, als würde es nur lose aufliegen“ sagte Diego und untersuchte die Felsen.
    „Ich hab eine Idee“, sagte der Held und beschwor einen Golem.
    Die anderen schauten ihm skeptisch zu, aber als der Held dem Wesen befahl die Steine wegzuräumen, hellten sich ihre Mienen auf.
    „Es wird etwas dauern“, sagte der Held fast entschuldigend.
    „Wir können die Zeit nutzen, um nach einem Ausgang zu suchen“, schlug Milten vor.
    „Gut, bilden wir Teams“, schlug Gorn vor und zeigte auf Milten und Diego: „Ihr beide sucht zusammen und ich und Lester und in welches Team willst du?“ fragte er den Helden.
    „Ich kann alleine gehen, dann können wir mehr absuchen.“
    „Hauptsache wir verirren uns nicht“, sagte der Feuermagier und sie teilten sich auf.
    Milten und Diego blieben in der Nähe. Der Feuermagier wollte die Bildnisse an den Wänden studieren, während Diego alles nach verborgenen Schätzen absuchte, die der Held vielleicht übersehen haben könnte. Lester und Gorn liefen geradewegs den Weg zurück, den sie gekommen waren. Sie erreichten die Halle vor der Lava und hielten sich dann links.
    „Wo ging es da lang?“ fragte Lester.
    „Er sagte, da hätte er Uriziel gefunden“, antwortete Gorn.
    Lester lief geradewegs voran durch den Torbogen und hätte Gorn ihn nicht plötzlich gepackt und zurückgerissen, wäre er wohl von den in die Höhe schießenden Stacheln aufgespießt wurden.
    „Whoa, was war denn das?“ fragte Lester erschrocken.
    „Noch eine Falle, wie es aussieht. Hat er wohl vergessen zu erwähnen.“, sagte Gorn verärgert und versuchte zu verstehen wie der Mechanismus funktionierte, um ihn zu überwinden.
    Lester sah mit einem miesen Gefühl auf all die Skelette, die in dem Durchgang lagen.
    „Ich hoffe, er hat nicht noch etwas vergessen zu erwähnen…“
    „Deshalb sollten wir vorsichtig sein. Wo geht es denn da hinten hin?“ fragte Gorn und zeigte von ihnen aus nach rechts.
    Dort ging es hinab in unterirdische Gänge. Ein Zischen und Schaben erfüllte die Dunkelheit.
    „Minecrawler!“ rief Gorn und nahm seine schwere Axt zur Hand.
    Lester wirkte einen Lichtzauber und zog seine Keule, den Streitschlichter.
    Ein Tempelminecrawler vor ihnen fühlte sich von den Eindringlingen bedroht und versuchte sie durch wildes zischen und erhobenen Scheren zu vertreiben. Gorn ließ seine Axt herniederfahren und hieb ihm die rechte Schere ab. Das Tier fauchte und wich zurück, aber der Krieger ließ nicht locker und setzte nach. Zwei weitere Schläge später war es tot.
    „Die Viecher sind echt saudumm!“ kommentierte Gorn und wagte sich weiter in die Schächte vor.
    Kratzen und Gezischel sagte ihnen, das dort noch mehr Crawler lauerten. Lester ließ Gorn vorgehen und beobachtete, wie er ein Tier nach dem anderen niedermetzelte.
    „Toll wie du die alle zerhackst“ sagte er gut gelaunt, weil er sich nicht groß anstrengen musste.
    „Ich hab’s immer noch drauf!“ freute sich Gorn, der gar nicht mitbekam, dass sein Kampfgefährte einen großen Sicherheitsabstand ließ. „Ich glaub das war der Letzte.“
    Gorn zog seine Axt aus dem Panzer eines Tempelcrawlers und befestigte sie wieder an seiner Rüstung. Auch sein Freund steckte seine, allerdings unbenutzte, Waffe weg und zeigte nach vorne.
    „Sieh mal, anscheinend kommen wir dort zu der Lava, spürst du die Hitze?“
    „Und ich dachte, das kommt vom Kämpfen.“
    Sie traten vorsichtig an den Rand und sahen hinunter.
    „Meine Fresse, sowas hab ich noch nie gesehen“ sagte Gorn und sah ins flüssige Gestein.
    „Ist er da wirklich rüber gesprungen? Da muss man schon ganz schön abgebrüht sein, stell dir mal vor man fällt da runter und dann löst man sich in der Lava auf …“ sagte Lester beklommen.
    „Du machst dir zu viele Gedanken. Wenn er das geschafft hat, schaffen wir das auch“, sagte Gorn zuversichtlich und sprang auf den ersten Felsklotz.
    „Ich hoffe, das sagst du nicht auch, wenn wir auf einen Drachen treffen“ kam es von Lester, der ihm folgte.
    Im Mittelteil gab es einen Felsblock, der sich offenbar drehen ließ.
    „Vielleicht ist das ein weiterer Weg nach draußen“, überlegte Lester.
    „Ich weiß nicht … halt nicht anfassen!“
    Doch zu spät. Lester hatte den Schalter bereits betätigt und der Boden senkte sich ab.
    „Na toll, wo sind wir denn jetzt?“ kam es grummelnd von Gorn.
    „Ich … ähm… da geht es bestimmt weiter“ sagte sein Freund, selbst nicht davon überzeugt.
    Er erneuerte den Lichtzauber und ging voran. Hier unten war es dunkel, nass und modrig. Bis zu den Schienbeinen standen sie im eiskalten brackigen Wasser.
    „Hier riechts nach tot“ sagte Gorn angespannt.
    „Aber zurück können wir nicht mehr“, sagte Lester fast schon entschuldigend. „He, sieh mal, da sind noch zwei Schalter.“
    „Super, da kommen bestimmt irgendwelche Stacheln aus dem Boden oder so … du betätigst sie.“
    „Was? Ich?“
    „Na, du hast uns die Suppe doch auch eingebrockt, also los!“
    Gorn stieß Lester nach vorn, dem nichts übrig blieb, als die Schalter zu bewegen. Der eine Schalter tat zuerst einmal gar nichts. Jedenfalls wirkte es so, doch dann zischte es von oben und Minecrawler kamen aus Schächten unter der Decke und liefen dann über Schrägen zu ihnen hinunter.
    „Kommt nur her! Meine Axt wartet auf euch!“ brüllte Gorn ihnen entgegen und schwang seine Waffe im weiten Kreis um sich.
    Jetzt kam auch Lester nicht mehr ums Kämpfen drum herum. Wenn es drauf ankam war auch auf ihn verlass. Er tötete gleich zwei Crawler und hechtete dann zum anderen Schalter in der Hoffnung, der würde sie hier wieder herausbringen. Tatsächlich passierte gar nichts, oder zumindest sah es für sie so aus.
    „Verdammt!“ brüllte Gorn und funkelte seinen Kumpel wütend an.
    Sollten sie jetzt hier unten sterben? Lester wurde nervös und suchte die Wände nach weiteren versteckten Schaltern ab. Vorne, wo sie eingetreten waren fand er einen unscheinbaren Knopf, der in die übrige Wand integriert war. Er setzte den Felsen wieder in Bewegung und Lester rief seinen Freund herbei und eilig sprangen sie auf.
    „Puh, endlich wieder da raus“ sagte Lester und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
    Tatsächlich hatte der Schalter der anscheinend keine Auswirkungen hatte, doch etwas bewirkt wie Milten und Diego etwas entfernt erschrocken feststellen mussten. Sie waren gerade in dem Gebäude mit dem Schläferbildnis an der Wand, als zwei Dämonen unmittelbar neben ihnen erschienen.
    Milten machte ein erschrockenes Geräusch, sprang zur Seite und griff eilig zu einer Feuersturm Rune. Flammen züngelten auf und der Dämon brüllte schmerzhaft, dann schnaufte er und hieb mit seinen scharfen Klauen nach dem Feuermagier. Milten duckte sich weg, hatte sich jetzt aber selbst ausmanövriert und saß in der Falle. Diego kam ihm mit einem beherzten Schwertschwinger zu Hilfe, doch dabei ließ er den zweiten Dämon außer Acht, der ihn jetzt von hinten angriff. Es gab ein hässliches Geräusch, als die harten Klauen des Ungeheuers seine Rüstung durchdrangen und tief in sein Fleisch fuhren. Milten versuchte ihm mit einem weiteren Zauber zu helfen, doch es reichte nicht, um den Dämon zu töten. Beide Biester wandten sich jetzt ihm zu. Er sammelte all seine magische Kraft in einem Feuersturm und entließ die lodernden Flammen mit einem Gebet zu Innos und hoffte, dass es reichen würde, um seine Feinde zur Strecke zu bringen. Vielleicht war es göttliche Fügung, dass die beiden Dämonen so nah beieinander standen und sie deshalb beide Schaden nahmen. Sie brüllten auf und fielen dann, immer noch brennend, zu Boden und blieben leblos liegen.
    Milten keuchte angestrengt und beugte sich über seinen verletzten Freund. Die Wunde am Rücken blutete schwer und Diego biss schmerzverzehrt die Zähne zusammen.
    „Warte, ich heile dich gleich“, sagte der Feuermagier und durchstöberte seine Robe nach einem Manatrank.
    Den würde er brauchen, wenn er nach diesen kraftzehrenden Zaubern einen guten Heilzauber vollbringen wollte. Eilig schluckte er die blaue Flüssigkeit hinunter.
    „Verdammt, was war denn hier los?“ fragte Lester, der mit Gorn gerade in den Raum hineingerannt kam.
    „Wir habe Kampflärm gehört und sind so schnell gekommen wie wir konnten“, fügte Gorn hinzu.
    Milten hatte jetzt keine Zeit ihre Fragen zu beantworten. Er konzentrierte sich auf den Heilzauber. Blaues Licht erfüllte den Raum und ließ unheimliche Schatten über die Wände tanzen. Der Blutstrom versiegte und die schreckliche Wunde an Diegos Rücken schloss sich. Stöhnend richtete sich der ehemalige Schatten auf.
    „Was hier los war? Zwei Dämonen, die waren los. Ganz plötzlich sind sie neben uns erschienen.“
    „Oh ...“ sagte Lester verlegen. „Das hat also der zweite Schalter bewirkt …“
    „Was? Es ist deine Schuld, dass ich eben fast draufgegangen wäre?“ rief Diego gereizt.
    „He, ich konnte ja nicht wissen was der Schalter macht“ verteidigte sich Lester.
    „Deswegen fasst man ja auch nicht einfach irgendwelche Schalter an“ sagte Milten genervt, der auch gerne auf die Dämonenbegegnung verzichtet hätte.
    „Hört doch mal auf!“ hieb Gorn dazwischen, um den Streit zu beenden. „Wir sind immerhin zu viert. Er hat damals ganz allein hier durchfinden müssen und sich allem Untoten und verdammten Gesocks allein stellen müssen.“
    Seine Freunde verstummten.
    „Mh… ja“, gab Diego zu.
    „Ich frag mich echt wie er das geschafft hat“, grübelte Lester.
    „Er ist was Besonderes, war er schon damals“, sagte Milten, stolz auf die Taten des Helden.
    „Hat ihn eigentlich jemand gesehen?“ fragte Gorn.
    „Na, ihr seid doch weiter herumgekommen, oder nicht?“ fragte Diego, dessen Ärger noch nicht ganz verraucht war.
    Eine plötzliche Erschütterung durchfuhr die Höhle und Staub rieselte von der Decke.
    „Oh nein …“ grummelte Gorn, der sich schon denken konnte was das bedeutete.
    Sie liefen in die Richtung, aus der die Erschütterung wohl gekommen war. In der Halle mit dem großen Stachelraum fanden sie den Helden, der gerade von dem Durchgang herunterkletterte, aus dem sie vor einigen Stunden gekommen waren.
    „He Leute. Und? Was gefunden?“ fragte der Held leichthin.
    „Fallen und Dämonen, aber kein Ausgang“, sagte Gorn zerknirscht. „Sag mal, du hast doch nicht noch mal an diesem Dämonenerz herumgehackt, oder?“
    „Öhm… wie kommst du denn darauf?“ fragte der Held und versuchte unschuldig auszusehen.
    „Wegen der Erschütterung, die gerade die ganze Höhle erbeben ließ“, sagte Gorn und verschränkte die Arme vor der Brust.
    Auch die anderen sahen den Helden an und warteten auf eine Antwort.
    „Ja, gut, warum auch nicht, schlimmer kann es doch nicht mehr kommen, oder?“
    „Wir wollten doch nach einem Ausgang suchen“, erinnerte ihn Milten.
    „Hab ich auch. Ich war zuerst vorn bei diesem Turm am Abgrund, aber da war einfach nur ein tiefes Loch und die Schlucht vorne führt auch nirgendwohin. Da sind einfach nur ein paar Felsen und irgendwelche alten Löcher und … Gebilde, aber kein Ausgang.“
    „Wie zum Geier bist du denn da hinunter gekommen?“ fragte Gorn verwundert.
    „Blutfliegenverwandlung“ sagte der Held wie selbstverständlich und zuckte mit den Achseln. „Wenn es einen Ausgang gäbe, hätte ich ihn gefunden. Da ist nichts.“
    Die anderen sahen ihn bedrückt an. Dem Helden wurde ganz elend zu mute. Er hatte seine Freunde hier reingebracht und jetzt waren sie hier drin gefangen. Er suchte nach etwas wie er die Stimmung wieder aufheitern konnte, aber ihm fiel einfach nichts ein.
    „Vielleicht ist der Golem schon weiter gekommen. Lasst uns doch mal nachsehen.“
    Deprimiert zogen sie wieder tiefer ins Innere des Schläfer Tempels, wo der Golem tatsächlich einen schmalen Weg geschaffen hatte. Es bedurfte großer Kletterkunst und vielen Verrenkungen, aber sie schafften es bis zum Anbetungsplatz des Schläfers vorzudringen. Das große dunkle Portal, in das der Schläfer verschwunden war, pulsierte unheilvoll. Die große Halle war von Trümmern übersäht und unter einem großen Steinbrocken lag die alte Erzrüstung des Helden.
    „Da ist sie ja“ rief er und kletterte zu ihr.
    Sie war total verbeult und völlig unbrauchbar.
    „Helft mir mal!“ rief der Held und die anderen wollten an dem großen Felsen mit anpacken.
    „Wartet doch mal, das geht doch auch leichter“, sagte Lester und wirkte Telekinese auf den großen Steinbrocken.
    Leicht wie eine Feder schwebte das Gestein zur Seite und kam dort mit einem Rumpeln auf dem Boden auf. Der Held hob Uriziel auf. Das Schwert lag neben der alten Rüstung und sah noch genauso aus wie damals, als er es das letzte Mal in der Hand gehalten hatte. Der Held freute sich dieses wunderbare Schwert erneut in Händen halten zu können. Einen Moment betrachtete er es versonnen, dann steckte er es in seine Hosentasche und begann weiter nach seinem alten Kram zu suchen und ihm fiel ein, dass er damit bestimmt die Stimmung heben könnte.
    „Wer möchte alles Geschenke?“ fragte er gut gelaunt in die Runde.
    „Was meinst du?“ fragte Diego skeptisch.
    „Hier ist ein Haufen Zeug und da ihr mir geholfen habt hierherzu kommen ist es doch nur fair, wenn ich den Fund teile.“
    Er zog einige Runen hervor.
    „Hier Lester, hast du Interesse an Schlaf, Windfaust und Pyrokinese?“ fragte der Held und hielt ihm die grünen Runen hin.
    Der ehemalige Novize sah erstaunt aus und sagte: „Willst du mir das echt geben?“
    „Wozu halte ich dir das sonst unter die Nase?“ fragte der Held grinsend.
    Lester grinste zurück. „Na gut, wenn du meinst … aber Pyrokinese braucht den dritten Kreis der Magie. Ich bin nur im zweiten.“
    „Milten kann es dir vielleicht beibringen?“ fragte Diego und sah zum Feuermagier hinüber, der hob aber abwehrend die Hände.
    „He, ich bin ein Feuermagier, mit der Magie Beliars hab ich nichts zu tun.“
    „Ist das nicht alles das gleiche?“ fragte Gorn grobschlächtig.
    Milten verdrehte genervt die Augen.
    „Nein, ist es nicht. Es gibt feine Unterschiede. Gut, wäre möglich, dass ich Lester zeigen könnte, wie Magie der dritten Stufe funktioniert, da ich aber auf eine andere Art Magie spezialisiert bin, könnten unvorhergesehene Dinge passieren.“
    „Dann mach ich es eben“ kam es vom Helden, der weiter in seinem Zeug kramte.
    „Du?“ fragte Milten verwundert.
    „He, ich war mal ein Wassermagier, oder hast du das vergessen? Ist zwar schon lange her, aber trotzdem … außerdem hat Xardas mein Wissen in der letzten Zeit noch mal aufgefrischt.“
    Auf die verwunderten Blicke der anderen hin sagte er, weil er das Gefühl hatte sich rechtfertigen zu müssen: „He, es war verdammt langweilig da im Turm und es ist doch immer gut was zu lernen.“
    „Ich finde es immer noch unglaublich wie schnell du dir das Wissen über Magie angeeignet hast. Die meisten Magier brauchen Jahre des Studiums um in den vierten oder gar fünften Kreis der Magie aufzusteigen“, sagte Milten ehrfürchtig.
    „Und den sechsten …“
    „Was? Aber …“
    Der Held ließ Milten gar nicht weiter ausreden, sondern sagte: „Außerdem war mir immer am wichtigsten wie die Zauber funktionieren, das andere drumherum ist doch nur blabla.“
    „Nein, ist es nicht! Das ist wichtig!“ entgegnete Milten empört. „Es ist unerlässlich um zu verstehen wie die Zauber funktionieren und was sie für langfristige Auswirkungen haben.“
    Er fuhr noch eine Zeit lang fort zu erläutern, warum das umfangreiche Studium der Magie unerlässlich war, aber so richtig hörte ihm keiner zu.
    „Hier, das ist ein guter Armeebogen, was hältst du davon?“ fragte der Held Diego und hielt ihm die Waffe hin.
    Diego prüfte das Holz auf Stabilität und die Sehne auf ihre Kraft. Er wirkte zufrieden und machte einige Zielübungen an den Felsen um sie herum.
    „Ein guter Bogen. Vielen Dank.“
    „Ich hab hier noch ein Amulett der Macht. Willst du das auch?“
    „Klar, dazu sag ich nicht nein“, sagte der ehemalige Schatten und steckte es schnell ein.
    „Hm… ich hab hier noch jede Menge Erz, das können wir natürlich auch in fünf Haufen teilen, aber es ist so viel, dass ihr unmöglich alles tragen könnt.“
    „Meine Fresse, wie hast du das nur alles gehortet?“ fragte Gorn verwundert.
    „Ich hab vermutlich fast alles Erz in der Kolonie gegen anderen Kram eingetauscht. Glaub mir, da ist viel Zeit für Verhandlungen draufgegangen … was haben wir hier denn noch … also das sind sicher über vierhundert Manatränke und bestimmt fünfhundert Heiltränke.“
    Seine Freunde rissen die Augen auf.
    „Können wir bestimmt gut gebrauchen, oder was meint ihr?“
    „Ja, das denke ich auch“, sagte Milten, noch etwas benommen von der schieren Anzahl der Tränke.
    „Mann, die hätte ich gerne im Kampf gegen die Drachen gehabt…“ sagte der Held wehmütig. „Hätte mir viel Leid erspart.“
    Der Held grübelte nach. Er hatte noch nichts gefunden was er Milten und Gorn geben konnte. Er suchte jetzt in seinem aktuellen Bestand. Es dauerte lange, aber schließlich fand er die zwei Ringe und das Amulett der Heiler und hielt es Gorn hin.
    „Hier, wenn du die alle zusammen anlegst, dann bist du echt fit.“
    „He, was soll das denn heißen?“ fragte Gorn und tat beleidigt.
    „Na gut, sagen wir noch fitter.“
    Der Held zwinkerte ihm zu und wandte sich dann Milten zu: „Und für dich habe ich die Gegenstücke. Wenn du sie anlegst hast du Zugriff auf viel mehr Mana.“
    Milten sah ihn verwundert an.
    „Wo hast du das alles her?“
    „Aus Jharkendar“ erklärte der Held. „Das sind die Ringe und das Amulett der Priester und die dort gehörten früher den Heilern. Die von den Kriegern trage ich selbst, es sei denn einer von euch will die unbedingt haben?“
    Er sah in die Runde, hoffte aber, dass keiner „hier“ schreien würde, denn er wollte ihren Schutz nicht missen. Seine Freunde merkten das und lehnten dankend ab.
    „Ich hab hier noch etwas anderes gefunden …“
    Der Held sah sehr verlegen aus.
    „Eigentlich hätte ich es dir schon viel früher geben sollen“, sagte er zu Milten.
    Er hatte es ganz schlicht und einfach vergessen. Unter all seinem Krempel war es irgendwie verschütt gegangen.
    „Was ist das?“ fragte Milten verwundert und sah sich die braune Flache interessiert an.
    „Angeblich sind da die Tränen Innos drin.“
    Milten sah ihn ungläubig an.
    „Was? Wo hast du die denn her?“
    „Äh…. gefunden …“ sagte der Held und sah seinen Freund absichtlich nicht direkt ins Gesicht.
    Zum einen wollte er nicht mit der Sprache herausrücken, dass er sie in Xardas Geheimbibliothek gefunden und somit ja doch irgendwie auch aus dem Kloster der Feuermagier geklaut hatte und zum anderen fühlte er sich schlecht, weil er vergessen hatte sie ihm auszuhändigen. Eigentlich wollte er das schon damals tun, aber dann war er irgendwie davon abgekommen und hatte es dann vergessen.
    Milten sah immer noch fassungslos auf die Flasche. Die anderen wussten nicht genau was es mit den Tränen Innos auf sich hatte, konnten sich aber denken, dass es etwas war, womit Feuermagier etwas anzufangen wussten. Lester wollte es aber genau wissen und fragte nach: „Was sind denn die Tränen Innos?“
    Milten erzählte die alte Legende von den Tränen Innos, die angeblich entstanden waren, weil der Gott des Feuers erkannt hatte, dass er gegen seinen Bruder kämpfen musste. Außerdem hieß es, dass derjenige, der von den Tränen kostete viel vitaler wurde und weit mehr magische Kraft erhielt.
    „Das kann ich unmöglich annehmen“ sagte Milten und wollte dem Helden die Flasche zurückgeben.
    Doch der hob abwehrend die Hände und sagte: „He, was soll ich denn damit? Es heißt, nur Feuermagier können davon trinken, ohne dabei draufzugehen. Nimm sie ruhig. Ich schenk sie dir. Vielleicht hilft uns das auch hier herauszukommen.“
    „Wie meinst du das?“ fragte Milten verwundert.
    „Ich hatte mich mal versucht hier herauszuteleportieren, aber es gelang mir nicht.“
    „Ja, und wenn du dich mehr mit dem magischen blabla beschäftigen würdest, wüsstest du auch warum“, konnte es sich Milten nicht verkneifen seinen Freund zu sticheln.
    „Aber wenn du die Tränen Innos trinkst, dann kannst du uns vielleicht alle hier herausteleportieren“, fuhr der Held fort und seine Augen leuchteten.
    Milten sah nicht überzeugt aus. Er wollte gerade sagen, dass das unmöglich sei, dann sah er aber auf die Flasche in seiner Hand. Vielleicht könnte es doch gelingen?
    „Lass mich darüber nachdenken. Vielleicht, wenn ich einige Anpassungen vornehme …“
    Er zog sich in einen abgelegenen Teil der Halle zurück, schloss die Augen und dachte angestrengt nach.
    Derweil verbrachte der Held seine Zeit damit seinen alten Krempel in seine Tasche zu packen, die nun so unübersichtlich wurde, das zu bezweifeln war überhaupt noch irgendetwas zu finden.
    „Willst du die etwa auch mitnehmen?“ fragte Diego und zog die Stirn kraus, als er sah, wie der Held seine alte zerknautschte Erzrüstung einpackte.
    „Klar, warum nicht? Das ist die beste Rüstung, die ich je hatte. Wenn ich einen guten Schmied finde, dann kann er sie vielleicht wieder reparieren.“
    Lester sah gebannt zu dem großen Portal, in das der Schläfer verschwunden war. Ein unheimliches Gefühl kam in ihm auf, wenn er es ansah, deswegen drehte er sich mit dem Rücken dazu und versuchte es nicht weiter zu beachten. Als alles eingeräumt war, hockten sie sich zusammen hin und erzählten leise, um den Feuermagier bei seinen wichtigen Gedankengängen nicht zu stören. Der Held gab Lester auch auf seiner Weise eine Kurzeinführung in den dritten Kreis der Magie. Irgendwann kam Milten dann zu ihnen und sagte: „Ich glaube, ich hab’s. Ich denke es wäre das Beste einen nahen Standort auszusuchen.“
    „Die nächste Rune führt zu Xardas Turm“, gab der Held kund.
    Milten grummelte.
    „Hast du nicht noch was anderes?“
    „Hm… hier, mit der kommen wir direkt zurück in die Burg“, sagte der Held und gab Milten die Teleportationsrune.
    Gorn stöhnte.
    „Muss das sein?“
    „Wir können auch die zum Pass nehmen“, schlug der Held vor.
    „Das ist ganz schön weit weg. Es wird sowieso schon schwer genug“, sagte Milten zweifelnd.
    „Aber du hast doch die Tränen Innos“, hielt Gorn dagegen.
    Milten seufzte.
    „Na schön. Ich versuchs.“
    „Meinst du es ist sicher, wenn er so altes Zeug trinkt das vermutlich schon jahrhundertelang in dieser Flasche war?“ flüsterte Diego dem Helden zu.
    „He, ich hab oft altes unbekanntes Zeug getrunken, das in irgendwelchen uralten Tempeln lag und bin ich etwa komisch geworden?“ fragte der Held ebenso leise zurück.
    „Naja …“ wollte sich Diego nicht weiter dazu äußern.
    Milten setzte sich auf einen Felsbrocken und öffnete die Flasche, in der sich die Tränen Innos befanden. Alle sahen ihm gespannt dabei zu wie er trank.
    „Boahr, das ist echt der Wahnsinn!“ sagte Milten überwältigt und brauchte einige Zeit um sich wieder zu fangen.
    Seine Freunde gaben ihm die Zeit, die er brauchte und warteten geduldig.
    „Gut, lasst es mich versuchen“, sagte Milten entschlossen und sie rückten alle dicht zusammen, bereit für die Teleportation.
    Er sprach den Zauber und sie verschwanden.
    Geändert von Eispfötchen (23.09.2021 um 19:16 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Anmerkung der Autorin

    So, du kannst dich jetzt entscheiden hier zu warten, bis Milten, Diego, Gorn, Lester und der Held wieder auftauchen, oder du beschließt ihnen zu folgen, aber ACHTUNG! Es ist auf die Gefahr hin einige Hirnzellen einzubüßen, denn die Geschichte geht weiter in "Die völlig bekloppte Reise in die Moderne"

    https://forum.worldofplayers.de/foru...4#post25659434

    Der Name ist Programm!
    Solltest du dich dafür entscheiden zu warten, ist das aber auch nicht schlimm. Ich werde versuchen möglichst nahtlos wieder hier anzuknüpfen.

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Hilfe für das Reich

    Sie erschienen und was ihnen als erstes Auffiel war der frische Wind, der ihnen um die Nase wehte und der Schrei eines Scavangers von weiter oben, dort wo eine wackelige Brücke von der verlassenen Mine zu einem Aussichtspunkt über das Minental führte. Dieses wohlbekannte Geräusch ließ sie tatsächlich durchatmen, gab es doch die Gewissheit, dass sie es überstanden hatten. Die Anspannung fiel von ihnen ab und munter schwatzend überquerten sie zusammen den Pass.
    „Ich gehe nochmal zu Onars Hof, um die Jungs abzuholen, die mit zum Festland kommen. Bin ja mal gespannt wer hier bleibt“, sagte Gorn.
    „Hier bleibt?“ fragte Lester verständnislos. „Was meinst du damit? Wollten nicht alle Söldner mit aufs Festland?“
    „Anfangs schon, also damals, als die Barriere fiel war es ja das Ziel endlich von hier wegzukommen, aber so wie die Dinge im Moment laufen, ist es viel einfacher weiter hier seine Zeit auf einer Arschbacke abzusitzen, als aufs Festland mitzukommen.“
    „Wer hat denn gesagt, dass er hier bleiben will?“ fragte der Held neugierig.
    Gorns Stirn furchte sich, als er sich zu erinnern versuchte.
    „Sentenza, glaube ich und … verdammt, wer war es denn noch? Ich bin mir sicher, da war noch jemand. Egal, ich geh ja jetzt eh gleich hin und dann weiß ich Bescheid.“
    „Ich komme mit. Das will ich mir mal genauer ansehen“, sagte der Held.
    „Macht nur, ich gehe in der Zeit ganz gemütlich nach Khorinis zurück und werde mich da mal umsehen“, kam es von Diego und Lester sagte schnell: „Da komm ich mit. Vielleicht kannst du mir ja eine kleine Stadtführung geben. Ist schon eine Weile her, seitdem ich mir die Stadt genauer angesehen habe.“
    „Lester“, sagte Diego ungehalten. „Ich bin doch kein Fremdenführer.“
    „Ach komm, für deinen alten Kumpel kannst du das doch mal tun, oder?“
    Lester grinste.
    „Und du?“ fragte Diego an Milten gewandt. „Du gehst doch bestimmt zum Kloster, oder?“
    „Ja, ich hatte es Pyrokar versprochen.“
    Weiter sagte er nichts dazu und das ließ den Helden skeptisch werden.
    „Hör mal, du musst ihm ja nicht immer alles auf die Nase binden was wir so treiben.“
    „Natürlich nicht“, kam es zurück, doch Miltens Gesicht wirkte etwas verkniffen, so dass sich der Held nicht sicher sein konnte, ob sein Freund das wirklich so meinte.

    Und so teilten sie sich auf und steuerten auf ihre unterschiedlichen Ziele zu. Gorn und der Held brauchten von der Hochebene nicht sehr lange bis zu Onars Hof. Dort wurden sie von Sentenza begrüßt, der wie so oft Wache schob. Der Held fand, es wäre ein guter Zeitpunkt, um gleich zur Sache zu kommen.
    „Ich hab gehört, du willst nicht mit aufs Festland?“
    Sentenza runzelte seine Stirn, über diese Frage, die wie aus heiterem Himmel kam, sagte dann aber: „Was soll ich denn da?“
    Er ruckte kurz mit dem Kopf in Richtung Gorn.
    „So wie er es erzählt, gibt es auf dem Festland vor allem Scherereien, aber kaum was zu beißen. Ne, ne, da bleibe ich mit meinem Arsch lieber hier auf dem Hof. Hier weiß ich, dass ich mein Einkommen habe. Es gibt genug zu essen und mal abgesehen davon, dass hin und wieder ein paar Feldräuber auftauchen keine Probleme. Und wer weiß… so viele sind wir ja auch nicht mehr und einige der Jungs wollen hier verschwinden, vielleicht kann ich mich ja zum Chef der übrigen Söldner aufschwingen.“
    Der Held stutzte. Wollten tatsächlich so viele bleiben? Hier auf dem Hof war es ruhig und friedlich, allerdings brach ein kleiner Aufstand unter den verbleibenden Söldnern und den Bauern los, als der Held der unzufriedenen Thekla vorschlug, sie könne ja mit dem Schiff zum Festland fahren, denn dort würde sie bestimmt aufgrund ihrer Kochkunst und der Tatsache, dass sie eine Frau war, gut behandelt. Es war den Söldnern direkt anzusehen, dass sie es bereuten Thekla hin und wieder grob behandelt zu haben. Die Köchin brauchte nicht lange darüber nachdenken. Sie hatte Onar und die Zeit auf dem Hof gründlich satt und wollte hier weg. Als sie das sagte, ging ein Stöhnen bei denen durch die Runde, die hierbleiben würden, Jubelschreie kamen allerdings von allen, die mit Torlofs klapprigen Kahn zum Festland aufbrechen würden. Da sie gerade alle so hübsch zusammengekommen waren, fiel es leicht die Söldner nach ihren Zukunftsplänen zu befragen. Wolf wollte so schnell wie möglich weg. Es hörte sich ganz so an, als würde er bereuen nicht schon damals mit aufs Schiff gekommen zu sein, als sie nach Irdorath gesegelt waren. Jarvis und Cord hielten weiterhin zu Lee und würden auf jeden Fall mitkommen. Rod und Cypher waren zuerst unentschlossen, aber als der Held meinte, sie würden auf dem Festland bestimmt als Drachentöter bekannt, da sie ihm geholfen hatten den Sumpfdrachen Pandrodor zu töten, entschieden sie sich fürs Festland. Falls da nichts zu holen wäre, wollten sie aber weiterziehen. Im Gespräch mit ihnen erinnerte sich der Held daran, dass er eigentlich im Minental nach den Überresten der Drachen gucken wollte. Vielleicht wäre da noch etwas Nützliches zu holen. Er entschied sich zu verabschieden und zum Pass zu teleportieren, um zurück ins Minental zu gehen. Gorn wollte den anderen beim Zusammenpacken helfen und dann mit ihnen zur Hafenstadt aufbrechen.

    Milten hatte sich soeben vor das Kloster der Feuermagier teleportiert. Dort stand der Novize Babo Wache. Das wunderte Milten. Wenn sie Babo als Wache vor das Kloster schickten, mussten sie doch eigentlich recht verzweifelt sein, oder? Der Feuermagier zuckte mit den Schultern. Nun vielleicht hatten sie auch einfach nur nichts zu befürchten.
    „Oh, Milten, bist du wieder da?“ fragte Babo, obwohl die Antwort offensichtlich war.
    Der Feuermagier verkniff sich ein „Na siehst du doch“ und sagte stattdessen: „Ja, schön wieder hier zu sein. Ist alles in Ordnung?“
    „Ich denke schon“, sagte Babo und setzte noch etwas vorwurfsvoll hinzu: „Mir sagt ja keiner was.“
    Das wunderte Milten nun wirklich nicht. Er ging einfach an Babo vorbei und betrat das Kloster. Kaum hatte er die Tür quietschend hinter sich geschlossen, da merkte er wie sich alle Blicke ihm zuwandten. Es gab nur selten Besucher im Kloster, deswegen war es immer ein Ereignis wenn es dann wirklich mal einen Gast gab, doch Milten hatte auch das unbestimmte Gefühl, dass es nicht nur daran lag. Er sah wie die beiden Novizen Opolos und Agon die Köpfe zusammen steckten und aufgeregt tuschelten, aber immer wieder zu ihm hinsahen. Selbst die Magier beobachteten ihn aufmerksam. Das war ihm schon bei seinem letzten, wenngleich kurzen, Besuch hier aufgefallen. Er konnte nur vermuten, dass es daran lag, weil er mit dem Helden nach Irdorath gesegelt war, um sich dort den finsteren Mächten Beliars entgegenzustellen und anschließend zum Festland gefahren war und er war lebend hierher zurückgekommen. Milten wusste selbst, dass er nun schon allerhand gefährliche Abenteuer erlebt hatte und wenn man den größten Teil seines Lebens in einem stillen und abgeschiedenen Kloster verbracht hatte, hörten sich diese Abenteuer sicher besonders aufregend an. Er betrat die große Kirche, die vor ihm aufragte und wie zu erwarten war, saßen die drei Ratsmitglieder Pyrokar, Serpentes und Ulthar in ihren hohen Lehnstühlen.
    „Da bist du ja endlich“, sagte Pyrokar ungehalten. „Wir haben schon lange auf dich gewartet. Sagtest du nicht, ihr würdet nur mal kurz im Minental sein?“
    Unwillkürlich wurde Milten leicht rot. Entschuldigend hob er die Arme.
    „Es hat leider länger gedauert als erwartet.“
    Der oberste Feuermagier rümpfte über diese Worte die Nase.
    „Nun, sei`s drum. Jetzt bist du ja wieder da. Konntet ihr in den Schläfer Tempel gelangen und Uriziel bergen?“
    „Ja, Uriziel ist wieder in seinem Besitz.“
    „Hat es was gebracht? Trägt er statt Beliars Klaue nun Uriziel?“ fragte Pyrokar lauernd.
    Milten biss sich auf die Unterlippe. Diese Frage hatte er erwartet, aber er tat sich schwer auf sie zu antworten.
    „Nein, bisher noch nicht.“
    Die drei Mitglieder des hohen Rates tauschten missbilligende Blicke.
    „Aber er hat Uriziel ja auch erst gefunden und bestimmt ändert sich das noch“, beeilte sich Milten zu sagen.
    „Das können wir nur hoffen. Andernfalls bleibt uns wirklich nichts anderes übrig, als ihm das Schwert abzunehmen. Wir können nicht zulassen, dass der zukünftige König von Myrtana von der Klaue Beliars beeinflusst wird.“
    Milten nickte. Er wusste, dem Helden würde das nicht gefallen, aber das änderte nichts daran, dass es nötig war. Er machte sich Sorgen um seinen Freund und wollte nicht, dass er dem Bösen verfiel.
    „Dann seid ihr immer noch der Meinung, dass er der richtige Herrscher wäre?“
    „Ich bin überstimmt wurden“, erklärte Serpentes sofort.
    Pyrokar warf ihm einen strengen Blick zu.
    „Er ist sehr ungestüm und hat viele Fehler, aber wir können nicht verleugnen was er für Myrtana getan hat. Unser Land befindet sich in einer äußerst heiklen Lage und wir sehen nicht, wer es sonst noch retten könnte. Wenn es jemand schafft, dann er.“
    Serpentes ließ ein lautes Schnauben hören und wandte den Kopf ab. Seinem Verhalten nach hatte er mit den anderen lang und breit darüber diskutiert und sah jetzt keinen Sinn mehr darin noch etwas zu diesem Thema zu sagen.
    „Ich bin der festen Überzeugung, dass er mit der richtigen Beratung ein guter Herrscher für das Land wird“, begann Ulthar mit seiner typischen langsamen und einschläfernden Art zu erzählen. „Ja, er ist noch unerfahren und weiß nicht wie ein Land zu führen ist, aber obwohl König Rhobar II. von königlichem Blute war und von seinem Vater gelernt hatte zu regieren hat er es nicht vermocht das Land durch die zahlreichen Krisen zu führen.“
    „Hoffen wir, dass es jetzt anders läuft. Wir müssen die Lage fest im Auge behalten“, sagte Pyrokar.
    Es wurde einen Moment still und Milten hatte das Gefühl jetzt die Möglichkeit zu haben, um eine Frage zu stellen.
    „Habt ihr euch schon entschieden welche Magier ihr zum Festland entsendet?“
    „Du meinst, wegen Regent Lees Bitte?“ wollte Serpentes forsch wissen.
    „Genau“, bestätigte Milten und war gespannt wer mit ihm zurück nach Myrtana reisen würde.
    „Ich, höchstpersönlich, werde zusammen mit Karras und den beiden Novizen Garwick und Opolos zum Festland aufbrechen. So lange ich weg bin, wird Talamon zusammen mit Serpentes und Ulthar den hohen Rat auf Khorinis leiten“, verkündete Pyrokar.
    Milten war die Überraschung wohl ins Gesicht geschrieben, denn der höchste Feuermagier erklärte: „Wenn er Beliars Klaue wirklich nicht ablegen will, dann muss ich mich wohl selbst darum kümmern. Karras hat die nötige Erfahrung, um mir zu helfen, aber sollte es so weit kommen, werden wir wohl auch die Mitarbeit der Wassermagier brauchen.“
    Es war Pyrokar anzusehen, dass er diese Worte nicht gern aussprach und so wusste Milten wie ernst die Lage war.
    „Wann brechen wir auf?“ wollte der junge Feuermagier wissen.
    „Wenn Torlof sich an den Zeitplan hält, sollte er morgen eintreffen. Das heißt, dass du heute noch einmal im Kloster übernachten kannst und wir morgen früh zusammen zur Hafenstadt aufbrechen“, erklärte Pyrokar und entließ ihn damit.
    Milten drehte sich um und verließ die Kirche. Er dachte sich, dass sie dann ja gerade zum rechten Zeitpunkt aus dem Schläfertempel gekommen waren. Es war schon später Nachmittag, aber er war neugierig zu erfahren was in seiner Abwesenheit hier passiert war. Letztes Mal hatte er nicht die Zeit gehabt mit den anderen Magiern zu erzählen. Wie sich herausstellte war erstaunlich wenig geschehen. Das einzig erwähnenswerte war, dass die Paladine den heiligen Hammer im Besitz des Richters gefunden hatten, der sein neues Zuhause im Kerker hatte. Lord Andre höchstpersönlich hatte den heiligen Hammer zusammen mit zwei seiner getreuen Mitstreiter zum Kloster zurück gebracht. Die Feuermagier hatten sie zum Dank gesegnet. Ansonsten war nichts, aber auch gar nichts Wesentliches passiert. Milten konnte nicht anders, als ein wenig enttäuscht und frustriert zu sein. All die Zeit, die er in Irdorath und auf dem Festland im Kampf gegen Orks und andere Scheusale verbracht hatte, in der er im Kloster nach einer Möglichkeit gesucht hatte die Runenmagie zurückzuholen und die alte Magie studiert hatte, all diese Zeit war hier gar nichts weiter passiert. Immerhin wurden sowohl im Kloster in Nordmar als auch hier in Khorinis weitere Novizen aufgenommen, damit sie eines Tages hoffentlich so weit waren die Prüfung abzulegen und zu Feuermagiern aufzusteigen. Milten sah vier neue Gesichter hier. Er redete kurz mit ihnen. Die jungen Männer wirkten ganz nervös in seiner Anwesenheit. Vielleicht hatten sie von den anderen Novizen Geschichten von seinen Abenteuern gehört und wussten jetzt nicht wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollten. Er fragte nach ihrer Ausbildung, wie weit sie schon gekommen waren, doch enttäuscht musste er feststellen, dass sie sich recht schwer taten und höchstens einfache Spruchformeln anwenden konnten. Mit Runen wusste keiner umzugehen. Er hoffte, dass es noch etwas wurde, selbst wenn es Zeit brauchte. Es war wichtig, dass sie Zuwachs in den Reihen der Feuermagier bekamen. Die Novizen, die schon länger im Kloster waren, kamen herbei und bestürmten Milten mit Fragen zu Irdorath und der Lage auf dem Festland. Unaufgeregt und möglichst sachlich erzählte Milten in einer Kurfassung was sich zugetragen hatte. Die jungen Schüler hingen an seinen Lippen und wagten nicht ihn zu unterbrechen, erst als er seinen Kurzbericht abgeschlossen hatte, bestürmten sie ihn erneut mit Fragen. Milten seufzte. Er konnte ihre Neugier verstehen, doch musste er auch zugeben, dass er erschöpft war und gerne etwas Ruhe hätte. Daran war im Moment nicht zu denken. Er wollte aber auch nicht barsch erscheinen und die Novizen nicht in Unwissenheit belassen. Er wusste selbst wie es war von den oberen Feuermagiern herumgeschubst zu werden. Meist hockten die auf ihrem Wissen und es war schwer ihnen etwas Informatives aus der Nase zu ziehen. So wollte er nicht sein. Gerne wäre er ein paar Tage geblieben und hätte den Novizen etwas beigebracht, doch war das gar nicht so einfach. Nachdem er damals aus dem Minental zurückgekehrt war, hatte ihn der hohe Rat gleich wieder zurückgeschickt, um das Vorgehen der Drachen zu überwachen. Das war nur logisch gewesen, immerhin kannte er sich im Minental aus. Als er dann erneut zum Kloster zurückkam, hatte er gebeten sich mit der Ausbildung der Novizen befassen zu dürfen, da er damals bereits ahnte, dass sie dringend mehr Feuermagier brauchen würden, um gegen die Mächte Beliars anzukommen. Doch der hohe Rat hatte seinem Eifer einen Riegel vorgeschoben. Sie hatten gemeint, er wäre noch zu jung und bräuchte mehr Erfahrung, um Novizen unterrichten zu können. Sie hatten ihn stattdessen als Torwache für das Kloster eingeteilt. Milten war das damals als eine sehr undankbare Aufgabe erschienen. Er hatte sich gefragt, ob sie ihm misstrauten, weil er als einziger Feuermagier aus dem Minental zurückgekehrt war, noch dazu, da er während der Zeit der Barriere zum Feuermagier wurde. Alle anderen Magier hatten die Ausbildung im Kloster von Khorinis oder Nordmar durchlaufen. Er fand aber, dass seine umfangreiche praktische Erfahrung sehr wertvoll war und wollte den Novizen trotzdem viel mitgeben und darum nahm er sich die Zeit und beantwortete deren Fragen nach bestem Wissen und Gewissen. Es dauerte sicher über eine Stunde bis er von Ihnen loskam und sich bei Gorax ein Schälchen Eintopf abholen konnte, um seinen Hunger zu stillen. Auch Neoras, Marduk und Karras waren anwesend, die gerade ebenfalls ihr Abendbrot zu sich nahmen. Die Schüler würden sich später mit den Resten begnügen müssen. Auch die älteren Feuermagier waren neugierig, doch zeigten sie das nicht so unverhohlen wie die Novizen. Äußerlich wirkten sie sehr gelassen und ließen nur hin und wieder eine kurze unaufgeregte Frage fallen. Auch hier bemühte sich Milten objektive und umfassende Antworten zu geben. Gorax wirkte skeptisch, doch Milten hatte das Gefühl, dass er in der Achtung von Neoras, Marduk und Karras stieg. Als er seine Schüssel leer gegessen hatte, fragte er wo er heute Nacht schlafen konnte. Offenbar war derzeit nur ein Bett in einem der Novizenräume frei. Milten nahm das gleichmütig hin und beschloss vor dem Schlafengehen noch kurz in die Bibliothek zu gehen. Er hoffte, da etwas über den Einfluss von göttlichen Artefakten auf seinen Träger zu finden. Zur Klaue Beliars fand er nichts. Über das Auge Innos hieß es, dass nur jemand, der von Innos ausgewählt wäre imstande sei es zu tragen. Die Fähigkeiten, die er von dem Artefakt schon kannte, wurden aufgeführt. Mehr stand aber nicht da. Nichts darüber, ob es einen weiterführenden Einfluss auf den Träger hätte. Milten seufzte. Er war enttäuscht. Er fragte den Feuermagier Talamon, der wie er nun wusste, bald Pyrokar im hohen Rat vertreten würde, ob er etwas zu diesem Thema wusste. Talamon war sehr belesen. Er war der Hüter der Bibliothek. Wenn jemand etwas wusste, dann wohl er. Der alte Magier erklärte ihm, dass göttliche Artefakte sehr wohl einen Einfluss auf den Träger haben konnten, doch wie viel und welcher Art hing vom spezifischen Artefakt ab. Milten ging aufs Ganze und fragte, ob er was über die Klaue Beliars wisse. Talamon sah ihn schief an und verneinte. Enttäuscht und erschöpft ging Milten schließlich in das ihm zugewiesene Zimmer. Die anderen Novizen, die hier ihr Bett hatten waren noch nicht da. Milten war das nur Recht. Er konnte jetzt keine neugierigen Fragen gebrauchen. Er legte sich einfach nur ins Bett und schlief rasch ein.


    Der Held musste feststellen, dass die Überreste von Pandrodor schon etwas gelitten hatten. Er war halb im Sumpf versunken und teilweise verwest. Seine Schuppen waren auch schon brüchig und der Held entschied, dass seine Überreste nicht mehr zu gebrauchen waren. Nur den Kopf hackte er ab und schlug ihn in seine alte Banditenrüstung ein, damit er sich nicht seine ganze Hosentasche vollsaute. Als er beim alten Kastell ankam, musste er feststellen, dass die Leiche von Feomathar spurlos verschwunden war. Er wandte sich deshalb zur Felsenfestung. Dort hatten sich wieder einmal einige Harpien angesiedelt. Er nutzte sie für Zielübungen mit dem Bogen, da er immer noch nicht zufrieden mit seiner Leistung war. Pedrakhans Körper hatte die Zeit seit seinem Ableben gut überstanden. Fleisch und Muskeln waren zwar verfault, doch seine Schuppen und Knochen waren noch von nutzen. Es war eine ganz schöne Sauerei ihn zu zerlegen. Normalerweise hatte der Held eine hohe Toleranzgrenze was das anging, aber nach dieser widerlichen Arbeit entschied er sich im Fluss zu baden. Eigentlich hatte er gehofft auf einige Lurker zu treffen, doch er wurde enttäuscht. Keine zu sehen. Finkregh war noch sehr gut konserviert. Schnee und Eis waren in der Höhle des ehemaligen neuen Lagers zwar geschmolzen, dennoch war sein Körper nicht so stark vergammelt wie die seiner Artgenossen. Auch nach dem Ausnehmen dieses Drachen badete der Held, diesmal im See des Staudamms. Er erinnerte sich daran wie er hier dem Dammlurker nachgestellt hatte. Es kam ihm schon ewig her. Erst als er wieder herauskam, fielen ihm einige Abdrücke von Stiefeln auf. Da, die Spuren noch frisch waren, mussten hier kürzlich Leute vorbeigekommen sein. Mehrmals. Die Leute waren wohl zwischen der freien Mine und dem Ausgang zum Neuen Lager hin und her gependelt. Der Held beschloss sich das genauer anzusehen. Er folgte den Spuren bis zur freien Mine und stellte erstaunt fest, dass dort wieder gearbeitet wurde. Ein Arbeiter brachte gerade eine Schubkarre mit dem kostbaren Erz an die Oberfläche.
    „He, du“, sprach der Held ihn an.
    „Hm? Was ist?“ fragte der Arbeiter und stellte seine schwere Last ab, um einen Moment auszuruhen.
    Der Mann wirkte kräftig und nicht so abgemagert wie es der Held mittlerweile von seinen Mitmenschen, insbesondere denen vom Festland, gewohnt war. Doch genau da musste er herkommen. Der Held erkannte ihn als einen der ehemaligen Orksklaven, auch wenn er seinen Namen nicht wusste.
    „Du kommst wohl vom Festland?“
    Der Arbeiter runzelte die Stirn.
    „Ja, woher weißt du das? Steht mir das auf der Stirn geschrieben, oder was?“
    „Ach nur so“, meinte der Held. „Hier wird also wieder nach Erz geschürft? Wer hat das befohlen? Wie viele seid ihr? Gibt es wieder Minecrawler in den Höhlen?“
    Souverän beantwortete der Arbeiter die auf ihn abgefeuerten Fragen knapp: „Ja, auf Befehl von Regent Lee. Wir sind bisher nur zwölf, aber wenn Torlof zurückkehrt, sollen es mehr werden. Ich habe zum Glück bisher keine Minecrawler gesehen.“
    „Danke, ich seh mich dann mal weiter um“, sagte der Held, ließ den Arbeiter einfach stehen und ging in die Freie Mine hinein.
    Dort traf er auf Grimes. Das überraschte den Helden nicht. Er war doch immer in irgendeiner Mine, um da zu arbeiten.
    „Was läuft denn so?“
    „Siehst du doch“, begrüßte ihn der alte Spitzhackenschwinger und hielt für einen Moment in seiner Arbeit inne. „Hier wird wieder nach magischem Erz geschürft. Wir kommen gut voran. Es gibt keine Minecrawler, die uns gefährlich werden könnten und wir werden gut versorgt. Morgens und abends gibt es reichhaltige Mahlzeiten und selbst zum Mittag haben wir was Kleines für Zwischendurch mitbekommen. Vermutlich sind wir die bestgenährten Männer in ganz Myrtana.“
    Grimes lachte schallend, so dass einige andere Arbeiter verwundert zu ihm herüberschauten.
    „Naja, von den anderen hat nur einer schon mal nach Erz geschürft. Die meisten anderen können aber auch einigermaßen mit der Spitzhacke umgehen und nur zwei musste ich neu anlernen. Wir kommen gut voran. Hier ist es wirklich ruhig und friedlich. Nichts im Vergleich zu früher. Ich weiß noch damals, in dieser kleinen Aushilfsmine, als wir uns darüber Sorgen mussten, dass ein Drache über uns hinwegfliegen und uns ausräuchern könnte. Das waren noch Zeiten.“
    Der Held musste schmunzeln. Jedes Mal wenn er Grimes traf, redete der über die Mine, in der er vorher war und zwar in der Art und Weise, als wenn die Arbeit dort schon Jahrzehnte her wäre, was einem das Gefühl gab, er habe nie etwas anderes gemacht, als zu buddeln.
    „Wie viel Erz habt ihr denn schon gefördert?“
    „Vierzehn Kisten. Dreizehn gingen vorgestern zusammen mit Lord Garond und seinen restlichen Männern zum Hafen von Khorinis. Sie sollen zum Festland gebracht werden. Ich hoffe ja, das Schiff hält die Last aus. All die Männer und dann noch die schweren Erzkisten. Wenn das im Meer versinkt war all unsere Arbeit umsonst. Ich hab das Schiff selbst nicht gesehen, ich war ja immer hier auf der Insel, aber die anderen sagten mir, dass das Schiff recht klapprig wirkte. Zwei Typen vom Hafen sollen wohl sofort daran herumgezimmert haben, als es eintraf.“
    „Ah, gut“, kommentierte der Held, der sich freute, dass die beiden Bootsbauer ihr Wort hielten und auch was taten für das Gold, das er ihnen gegeben hatte.
    Grimes schaute verwundert, weil „gut“ wohl nicht das erste Wort war, was ihm dazu einfiel.
    „Garond und seine Männer sind also schon in der Stadt. Wer hat denn jetzt das Kommando in der Burg?“
    „So ein Ritter vom Festland, Wenzel heißt er. Er scheint ein anständiger Kerl zu sein. Ich hatte vorgeschlagen hier vor der Mine ein kleines Lager aufzuschlagen, doch er wollte, dass wir beschützt und versorgt sind. Deswegen schlafen wir in der Burg, essen dort und brechen jeden Tag hierher zur freien Mine auf. Dann arbeiten wir hier und am späten Nachmittag geht es wieder zurück. Ich muss sagen, die Arbeit gefällt mir viel besser als früher. Ich war schon immer ein genügsamer Buddler, aber jetzt bin ich wirklich zufrieden. Früher kam mir der Weg zum Alten Lager so lang vor, aber eigentlich ist er das gar nicht. Früher habe ich tagelang überhaupt kein Tageslicht gesehen, jetzt kann ich jeden Tag den Himmel sehen. Das bessert meine Laune mehr als gedacht.“
    Der Held konnte nicht umhin die Bescheidenheit des Minenveterans zu bewundern. Er sah sich in der Höhle um.
    „Habt ihr keinen hier, der euch beschützt?“
    Grimes Lachen war kratzig.
    „Ich habe schon allerhand schwierige Situationen erlebt, aber es immer verstanden am Leben zu bleiben. Wir brauchen keine Wachen, die uns herumkommandieren. Einige der Männer vom Festland wissen sich ganz gut zu verteidigen, sie haben sich damals auch gegen die Orks aufgelehnt und Minecrawler habe ich hier, wie schon gesagt, nicht gesehen. Auch auf dem Weg hierher gibt es fast nie ein Vieh zu sehen. Es ist fast so, als würden die Tiere uns Menschen meiden. In der Burg gibt es nur noch Wenzel und jemanden, der wohl sein Waffenknecht ist. Achja und dann noch Thorus. Er ist wohl zur Strafe hierher abkommandiert wurden. Ich weiß nicht genau was er ausgefressen hat, aber es sei wohl seine Chance es wieder gut zu machen.“
    „Lass mich raten … er bewacht das Tor zur Burg.“
    „Genau. He, woher weißt du das, warst du schon da?“
    Der Held schüttelte verschmitzt grinsend den Kopf.
    „Na, der wird sich bestimmt freuen mich zu sehen“, sagte der Held sarkastisch und dachte an ihr letztes Treffen, wo er ihm einen ordentlichen Schlag verpasst hatte.
    Eigentlich hatte er ihn zuerst töten wollen, da der sich mit den Orks zusammengetan hatte, aber dann hatte er es doch gelassen und ihn nur außer Gefecht gesetzt.
    „Ich schau mich mal um“, wiederholte der Held und ließ Grimes weiterarbeiten.
    Die Mine hatte sich nicht groß verändert, seit er das letzte mal hier war. Einige der Arbeiter, die ihn erkannten, unterbrachen ihre Arbeit, um ihm zuzuwinken. Er hielt dann an und hielt ein kurzes Schwätzchen. Sie erzählten ihm aber auch nur, was ihm Grimes und der Arbeiter vor der Mine bereits berichtet hatten. Der Held ging die freie Mine komplett ab, konnte aber nicht einen einzigen Minecrawler finden. Offenbar hatte er damals wirklich alle erledigt. Ein bisschen enttäuscht war er schon, doch wo hatten die auch noch herkommen sollen? Im hinteren Teil der Mine grub nur einer der Schürfer. Auch er war ein ehemaliger Orksklave, von dem der Held nicht wusste wie er hieß. Es dauerte eine ganze Zeit, bis der Held seine Spitzhacke gefunden hatte, dann begann auch er Erz zu hacken. Es ging ihm recht gut von der Hand, doch war es auch eine recht langweilige Aufgabe, so dass er sich entschied mit den anderen Männern mitzugehen, als diese die freie Mine verließen, um zur Burg zurückzukehren. Die Schürfer freuten sich offenbar, dass er mit ihnen kam und verwickelten ihn immer wieder in Gespräche. Sie wollten unbedingt von seinen Abenteurern hören, was den Helden dazu brachte seine Fähigkeiten im Geschichten erzählen zu verbessern. Leider war er immer noch nicht gut. Irgendwie bekam er es nicht hin, dass es spannend klang. Trotzdem waren die Männer beeindruckt und warfen ihm immer wieder bewundernde Blicke zu. Schließlich erreichten sie die Burg. Die Umgebung war immer noch verkohlt und verrußt, doch ganz allmählich erholte sich die Natur. Das erste Gras kämpfte sich aus dem Boden und sogar ein paar junge Ahornsetzlinge reckten ihre kleinen Blätter dem wolkenverhangenen Himmel entgegen. Vom Außenring war damals nicht viel übriggeblieben, die Umrandung der Arena und ein paar verkohlte Bretterhaufen, die sie jetzt hin und wieder zum Heizen nutzten, wie ihm Grimes erklärte. Vor dem Tor stand, wie zu erwarten war, Thorus Wache. Er hatte den Helden kaum gesehen, da entwich ihm ein tiefer, geplagter Seufzer.
    „Nicht du schon wieder“, knurrte der ehemalige Gardist, Bandit und Orksöldner genervt.
    Er trug wieder eine alte Gardistenrüstung, denn die gehörte immerhin ganz früher mal zu den offiziellen Streitern des Königs und so gesehen war er ja jetzt auch irgendwie ein Diener des Herrschers von Myrtana. Als der Held diesem Gedankengang folgte, breitete sich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht aus und er konnte nicht anders, als Thorus zu sticheln.
    „Na, hättest wohl nie gedacht, dass du eines Tages ausgerechnet unter dem Kommando des ehemaligen Anführers des Neuen Lagers stehen würdest, oder?“
    Thorus gab ein wütendes Knurren von sich. Es brauchte nicht allzu viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass er ihm am liebsten sofort mit seinem Schwert die Kehle aufgeschlitzt hätte.
    „Lustig wie das Leben so spielt“, setzte der Held noch eins drauf.
    „Na wir werden ja sehen. Erfahrungsgemäß hat sich mein Herr nie lange halten können, nachdem wir zwei uns begegnet sind, was wohl heißt, dass sich die Zeit von Lees Herrschaft bald dem Ende zuneigen wird“, sagte Thorus mit Genugtuung in der Stimme und ein leises Lächeln umspielte sein Gesicht.
    „Du irrst dich. Diesmal habe ich gar nicht vor irgendwen zu stürzen“, erklärte der Held trocken.
    „Abwarten“, sagte Thorus stur. „Geh schon rein! Diesmal brauchst du mich nicht ewig vollquatschen, oder irgendwelche Aufgaben erledigen. Du kannst einfach durchgehen.“
    „Dass du das mal sagen würdest …“, sagte der Held und ging am Torwächter vorbei.
    Thorus war klar anzusehen, dass er froh war, wenn er verschwunden wäre. Der Held durchquerte den matschigen Hof und folgte den Schürfern, die schon voran in die Burg gegangen waren. Aus der Küche wehten leckere Gerüche herüber. Der Held reihte sich in die Schlange der Arbeiter ein. Es war niemand anderes als Snaf, der ihnen jeweils ein Schälchen mit Wurzelsuppe füllte.
    „Kein Fleischwanzenragout heute?“ fragte der Held gut gelaunt.
    „Ach du bist es“, sagte Snaf verwundert und schmatzend schwappte Wurzelsuppe in ein Schälchen, welches er dem Helden hinstreckte. „Heute mal nicht, aus irgendwelchen Gründen mögen die meisten hier das nicht so gerne. Dabei tummeln sich zwischen den zerstörten Hütten wieder sehr viele Fleischwanzen. Alle paar Tage ziehe ich los und gehe auf die Jagd, dann gibt es auch wieder mein köstliches Ragout, ganz egal, ob die anderen erfreut darüber sind, oder nicht. Sonst koche ich meist Wurzelsuppe, oder Eintopf, aber hin und wieder gibt es sogar Brot, Schafswurst und Schafskäse. Dieser Lord Andre bestand darauf, dass die Arbeiter gut versorgt werden und gab uns viele Vorratskisten mit. Tatsächlich haben die Buddler noch nie so gut gegessen wie in diesen Tagen und sie dürfen sogar in der großen Halle am Tisch sitzen. Hätte mir das früher, zur Zeit von Gomez, jemand gesagt, hätte ich ihm wohl einen Vogel gezeigt. Die guten Sachen haben die Erzbarone immer selbst gegessen und mit den Buddlern wollten sie überhaupt nichts zu tun haben.“
    Der Held war erstaunt, denn Snaf hatte Recht. Als er Grimes in den Saal folgte, in dem früher Gomez und dann Lord Garond gesessen hatten, sah er wie die Schürfer am Tisch der ehemaligen Erzbarone saßen. Der Ritter Wenzel saß mit seinem Waffenknecht zusammen mit all den Arbeitern am Tisch und löffelte seine Suppe. Die Gefangenschaft bei den Orks hatte den Ritter offenbar geerdet und der Held fand das gut. Der Thron des Burgherrn lag im Moment verlassen da. Darüber hing der präparierte Kopf von Feomathar an der Wand.
    „Was ist mit Thorus, lasst ihr den hungern?“ fragte der Held keck und sah das als Begrüßung an.
    „Oh, du bist es“, sagte Wenzel überrascht und sah von seiner Wurzelsuppe auf. „Nein, natürlich nicht, aber immerhin muss zumindest einer aufpassen. Wenn ich hier fertig bin, löse ich ihn ab.“
    Der Held nahm das zur Kenntnis und setzte sich auf einen freien Platz zwischen ihm und Grimes und begann ebenfalls seine Suppe zu essen. Auch Snaf kam nun mit einer eigenen Portion in die Halle und setzte sich auf einen verbliebenen Platz. Mit sichtlichem Genuss löffelte er seine Suppe.
    „Wundert mich nicht, dass keiner von Garonds Leuten hiergeblieben ist. Die waren ganz scharf drauf hier wegzukommen“, kam es vom Helden.
    Wenzel gluckste.
    „Wenn die erstmal sehen in welchem Zustand das Festland ist, werden sie ihre Entscheidung vermutlich bereuen. Die Landschaft ist hier vielleicht nicht unbedingt schön, aber es gibt keine Scherereien und immer gut zu essen.“
    Bei diesen Worten leuchteten die Augen von Snaf unwillkürlich auf und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Gefräßiges Schweigen legte sich über die Tischgesellschaft, das erst vom Helden unterbrochen wurde, als er mit dem Löffel zum Drachenkopf an der Wand zeigte und fragte: „Warum hängt denn der dort?“
    Wenzel sah kurz zum Drachenkopf, als hätte er vergessen, dass er dort hing und erklärte dann: „Lord Garond und seine Leute waren zum alten Kastell hinaufgestiegen und haben seinen Körper geborgen. Dachten wohl damit ließe sich noch was anfangen. Seine Schuppen und Knochen liegen noch unten im Keller. Als ich hier ankam fand ich es aber sehr unwürdig ihn da einfach so herumliegen zu lassen. Was würden wohl kommende Generationen davon halten, dass dein Sieg einfach so unter den Teppich gekehrt wurde? Ich denke, die hatten irgendein Problem mit dir, so genau wollte ich es aber gar nicht wissen. Ich finde, deine Heldentaten müssen angemessen in Ehren gehalten werden und deswegen habe ich ihn da an die Wand gehängt. Alle sollen sehen was du für einen großen Sieg errungen hast. Eigentlich wollte ich auch noch die anderen Drachen holen, aber ich wollte auch nicht einfach so hier weg. Immerhin ist es meine Pflicht hier auf alles aufzupassen.“
    „Ich finde nicht, dass meine Taten unter den Teppich gekehrt werden“, sagte der Held, der eher das Gefühl hatte, er wurde etwas zu viel umjubelt.
    Er konnte sich einfach nicht daran gewöhnen.
    „Ich war vorhin bei den anderen Drachen. Pandrodor, der im Sumpf liegt ist im Grunde nicht mehr zu gebrauchen. Die anderen beiden habe ich ausgenommen und was noch verwertbar war, mitgenommen.“
    „Das ist dein gutes Recht“, meinte Wenzel. „Wenn es für dich in Ordnung ist, würde ich gerne die Köpfe der anderen Drachen ebenfalls hier aufhängen. Hier hast du die Drachen erschlagen, hier sollten sie auch bleiben.“
    Der Held zuckte mit den Schultern, denn im Grunde war es ihm egal. Er war hauptsächlich an den Schuppen und Knochen interessiert.
    „Wenn du willst. Ich geb dir die Köpfe nachher.“
    „Vielen Dank“, sagte der Ritter, dem klar anzusehen war, dass er ihm damit eine große Freude bereitete.
    „Wie oft hat Torlof die Fahrt denn schon gemacht?“, wollte der Held wissen.
    „Der hat, glaube ich, in letzter Zeit nie festen Boden betreten, weil er ständig unterwegs war. Nachdem er euch hier abgeliefert hat, ist Lord Hagen mit seinen Truppen und Kisten mit Nahrungsvorräten am nächsten Tag in See gestochen. Kaum waren sie auf dem Festland sind die Arbeiter, Thorus, mein Waffenknecht und ich aufs Schiff gekommen und als wir dann in Khorinis anlegten, erwarteten uns schon die meisten von Lord Garonds Männern unter dem Kommando von Oric. Offenbar sollen auch noch einige Söldner aufs Festland, aber Garonds Leute wollten nichts mit ihnen zu tun haben und bestanden darauf das Schiff für sich zu haben. Naja, ist wohl auch besser. Immerhin ist das Schiff schon sehr altersschwach und es sollte nicht zu großen Belastungen ausgesetzt sein. Natürlich wurde auch da wieder kistenweise Essen mitgenommen. So weit ich das mitbekommen habe, beklagen sich die Bürger von Khorinis zwar über die Lebensmittelpreise, aber sie haben ein Einsehen, dass auch die Menschen auf dem Festland dringend was zu Essen brauchen. Natürlich ist es so oder so viel zu wenig, aber besser als nichts schätze ich. Wie gesagt, wir hier haben überhaupt keinen Grund uns zu beklagen. Wir haben reichlich Nahrungsvorräte mitbekommen und im Austausch gegen das Erz bekommen wir immer reichlich neue. Gestern ist Garond mit dem bereits geschürften Erz und seinen verbliebenen Männern zur Hafenstadt aufgebrochen. Wenn alles gut läuft, sollte Torlof morgen in Khorinis anlegen.“
    „Hört sich gut an“, sagte der Held, der angesichts dieses informativen Gesprächs sehr zufrieden war.
    Wie versprochen legte der Held dem Ritter nach dem Essen die Drachenköpfe auf den Tisch, was den Schürfern einige entsetze Blicke abrang, dann stromerte er aber weiter durch die Burg, um zu sehen was sich verändert hatte. Wenzel, sein Waffenknecht, Snaf und sogar Thorus durften in den alten Gemächern der Erzbarone schlafen. Die Arbeiter hatten es aber auch gut getroffen, denn sie durften im Schlafsaal der ehemaligen Gardisten nächtigen. Der Held hatte aber keine Lust zu schlafen und entschied das Minental zu verlassen, um noch etwas in Khorinis herumzustrolchen.

    Am nächsten Morgen stand er auf Lobarts Hof und fragte den Bauern was bei ihm so lief.
    „Wenn ich so darüber nachdenke was auf dem Festland los ist, sollte ich mich wohl nicht beklagen. Die Zahl der Viecher hat spürbar abgenommen. Es ist schon lange her, dass mal ein Schaf gerissen wurde. Es ist zwar nicht mehr lang, bis der Winter kommt, aber hier auf Khorinis sind die Winter meist mild. Die diesjährige Getreide- und Rübenernte ist eingebracht und bald werde ich für nächstes Jahr sähen. Im Grunde läuft es also. Die Nachfrage an meinem Rüben und dem Getreide ist groß, so groß, dass wir sogar da hinten Richtung Stadt einige Bäume gerodet haben, um ein weiteres kleines Feld anzulegen.“
    „Hab ich gesehen“, sagte der Held, warf aber trotzdem noch einen Blick hin.
    Er erinnerte sich dort früher einmal einige Feldjäger getötet zu haben. Diese hässlichen großen Käfer waren eine echte Plage für die Bauern. Er konnte gut verstehen, dass die Arbeit jetzt, wo sich keine mehr zeigten, viel einfacher war.
    „Es war eine elendige Schinderei die Stämme aus dem Boden zu bekommen. Allein das hat mehrere Wochen gedauert. Meine Knechte haben sich immerzu beschwert und wollten nicht einsehen, dass wir dieses neue Feld wirklich anlegen sollten. Doch ich beharrte darauf. Wir müssen jetzt nicht nur die Stadt ernähren, sondern auch das Festland. Dass das nicht geht, sollte eigentlich jedem klar sein, aber trotzdem tauchen Lord Andres Männer immer wieder hier auf und kaufen mir meine Rüben und das Getreide ab. Ich habe die Preise schon verdoppelt und trotzdem komm ich mit der Nachfrage gar nicht hinterher. Ich verstehe nicht, warum sie auf dem Festland keine Landwirtschaft betreiben. Da gibt es doch viel mehr Platz. Wieso kümmern sie sich nicht selbst?“
    „Der Krieg mit den Orks war lang. Die meisten Felder sind längst verwildert. Es gibt nur noch einige wenige, aber so wie die Leute vom Festland es mir erzählt haben, fehlt es an Saatgut“, erklärte der Held.
    Lobart war offensichtlich überrascht wirklich eine Antwort auf seine Frage erhalten zu haben.
    „Man weiß als Bauer doch, dass man immer auch ans nächste Jahr denken muss“, platzte es aus Lobart heraus.
    Es war einen Moment still, dann fügte der Bauer etwas leiser und etwas reumütig hinzu: „Naja, vermutlich hatten sie ganz andere Sorgen. Hab gehört es soll drüben richtig übel sein.“
    „Kann ich Saatgut bei dir kaufen? Ich fahre heute zum Festland zurück und könnte welches mitnehmen.“
    Lobarts Stirn zerfurchte sich.
    „Du willst welches mitnehmen? Ich weiß nicht recht. Ich brauche es schließlich auch.“
    „So vorrausschauend wie du bist hast du sicher viel mehr da, als du eigentlich brauchst“, schmeichelte ihm der Held, um ihn umzustimmen.
    „Ja, natürlich … komm mal mit.“
    Lobart führte seinen ehemaligen Tagelöhner zur Scheune wo neben den bereits geernteten Rüben und dem Getreide neun Säcke mit Saatgut standen.
    „Ich kann dir drei davon verkaufen.“
    „Drei? Wir reden hier vom Festland. Denk an all die Menschen, die dort im Moment hungern und sie müssen noch den Winter überstehen. Sie werden es auch so schon schwer genug haben. Sie brauchen jede Hilfe, die sie kriegen können, meinst du nicht auch?“ redete der Held dem Bauern ins Gewissen, damit er noch einen zusätzlichen Sack herausrückte.
    „Na gut. Vier Säcke. Zwei mal Saatgut für Rüben und zwei mal für Getreide, aber mehr kann ich dir echt nicht geben. Ich hab zwar Lord Andres Männern erst vorgestern Kisten mit Rüben mitgegeben, aber ich verstehe ja, dass sie das Essen dringend brauchen. Ich geb dir noch vier Kisten mit. Ich sag gleich Vino Bescheid, damit er mit den anderen den Karren belädt und sie zum Hafen bringt.“
    „Was ist mit Getreide?“
    „Auf dem Schiff soll es recht nass sein. Das Getreide wird unbrauchbar, wenn es zu feucht ist. Ich habe Lord Andre einige Kisten überlassen, aber ich weiß nicht, ob sie die Überfahrt überstehen werden“, erklärte der Bauer.
    „Was ist mit deinen Schafen? Davon könnten die Leute auf dem Festland auch welche gebrauchen.“
    „Treib es nicht zu weit. So wie ich das gehört habe, ist es auf dem Schiff immer gerammelt voll. Die Schafe vertragen sowas nicht. Mir wäre es lieber, wenn sie die Überfahrt im nächsten Sommer machen, wenn die Lämmer groß genug sind, sodass wir einige verschiffen können. Ich kann dir höchstens noch eine Kiste mit Pökelfleisch mitgeben, aber das ist dann auch alles“, sagte Lobart, der das Gefühl hatte übertölpelt wurden zu sein.
    „Was willst du für all das haben?“ fragte der Held geschäftsmäßig.
    „Sechshundert Goldstücke“, sagte Lobart.
    „Denk doch an die Menschen.“
    Das Gesicht des Bauern wurde rot vor Scham und Wut.
    „Also gut, fünfhundert, aber weniger nicht. Mit dem Geld muss ich dann auch über den Winter kommen.“
    „In Ordnung“, sagte der Held und begann Säcke voller Gold aus seiner Hosentasche zu ziehen und dem verdutzten Bauern zu überreichen.
    Praktischerweise waren sie schon abgezählt, so dass die Transaktion schnell ging.
    „Wenn ich es mir recht überlege, könnten die drüben noch ein paar erfahrene Landarbeiter gebrauchen. Kannst du jemanden entbehren?“
    Ein Schnauben kam von Lobart.
    „Nein. Meine Knechte beschweren sich jetzt schon, dass sie seit einem Jahr immer bis zum Einbruch der Nacht arbeiten müssen. Ich kann niemanden entbehren, sonst klappen mir die anderen zusammen.“
    „Ist gut, das kann ich verstehen“, sagte der Held, der erkannte, dass er nicht weitergehen konnte. „Dann werde ich mich woanders nach jemandem umsehen müssen.“
    Lobart lachte freudlos.
    „Na dann viel Glück. So wie ich es von den anderen Bauern gehört habe sind die auch vollkommen überlastet.“
    Der Held verließ ihn und ging den wohlvertrauten Weg Richtung Stadt entlang. Er blieb nur kurz stehen, weil ihm einfiel einen Auftrag in sein Notizbuch einzutragen: Hungersnot beenden.


    Miltens Sorgen

    Milten war bereits kurz nach Sonnenaufgang erwacht, hatte das Alchemielabor genutzt, um noch einige Manatränke zu brauen und wartete dann etwas ungeduldig im Innenhof auf die Anderen. Diese Zeit nutzten die Novizen wieder, um Milten mit Fragen zu löchern. Pyrokar, der es wohl nicht schätzte, wenn die Novizen palaverten anstatt zu arbeiten, schickte sie schon weg, da war er noch gar nicht richtig aus der Kirche herausgekommen. Nur Garwick und Oppolus durften natürlich bleiben, weil sie die Feuermagier auf ihrem gefährlichen Weg begleiten sollten. Karras war auch gerade eingetroffen, so dass es endlich losgehen konnte. Wie von Innos persönlich gerufen sahen alle fünf noch einmal zur großen Kirche hoch. Vielleicht fragte sich gerade jeder von Ihnen, ob er diesen Ort noch einmal wiedersehen würde. Dann brachen sie auf. Babo rief ihnen am Tor des Klosters noch einen Abschiedsgruß hinterher und die Kirchenglocken läuteten, wohl um den Reisenden Glück zu wünschen. Milten konnte sehen, dass es seinen Weggefährten nicht leicht fiel vom Kloster fortzugehen. Wer weiß wie viele Jahre sie es schon nicht mehr für längere Zeit verlassen hatten. Es war ihr Zuhause. Milten dagegen wusste nicht, was er als sein Zuhause betrachtete. Am längsten war er noch in Gomez Burg im Minental gewesen, aber das würde er keinesfalls als sein Zuhause bezeichnen. Seit dem Fall der Barriere war er immer irgendwo unterwegs. Das Kloster hier in Khorinis war auch nur eine Zwischenstation. Die beiden Novizen hatten auch einige Zeit hier verbracht. Beide wirkten nervös, bei Oppolus war es nicht schwer zu sehen, dass der Grund dafür angst war. Vielleicht fürchtete er, irgendein Vieh würde aus dem nächsten Busch springen und sie angreifen. Garwick hatte wohl eher die Befürchtung, er könnte die Feuermagier wieder enttäuschen. Sein Versagen beim heiligen Hammer saß wohl tief und vielleicht war das sogar der Grund, warum er mitkommen musste, als Strafe. Sein Blick klebte geradezu an Pyrokar, als erwarte er, der würde jederzeit einen Befehl bellen, auf den er dann schnellstmöglich reagieren sollte. Das Lauftempo des Helden empfand Milten als zu schnell und er hatte sich während ihrer gemeinsamen letzten Abenteuer anstrengen müssen, um ständig Schritt zu halten, doch das hatte ihn auch trainiert und jetzt kam ihm das langsame Gehen seiner Kollegen als wirklich lahm vor. Es war, als würden sie herumspazieren und nicht einem Abenteuer entgegenziehen. Es waren schon sicher zwanzig Minuten vergangen und sie waren erst am Innosschrein angelangt, wo der Feuermagier Isgaroth ein offenes Ohr für die Bürger hatte. Sie hielten kurz an, um mit ihm zu erzählen. Da er etwas abseits lebte, hatte er noch gar nichts von ihrem Vorhaben gehört. Jetzt wurde er umfassend unterrichtet und Milten fühlte eine gewisse Ungeduld, was er sonst gar nicht von sich kannte. In dem Tempo würden sie doch vermutlich erst zum späten Nachmittag am Hafen eintreffen. Unter anderen Umständen hätte er sich vielleicht keine Sorgen gemacht, weil er sicher sein könnte, dass natürlich auf die wichtigen Feuermagier gewartet wurde. In Ihrem Fall steuerte das klapprige Schiff aber Torlof und es war so seine Art, dass er für niemanden Ausnahmen machte. Wenn sie zu spät waren, könnte es vielleicht sein, dass er einfach ohne sie aufbrach. Milten sagte sich, dass seine Freunde ihn sicher dazu überreden würden auf ihn zu warten, aber eine gewisse Unruhe blieb trotzdem. Endlich konnten sie sich von Isgaroth loseisen, der ihnen eine gute Reise wünschte und versprach für sie zu beten. Im Schneckentempo kamen sie voran und es war schon fast Mittag, als Khorinis in Sicht kam. Plötzlich gab es lautes Gekreisch und von rechts kam eine Horde Goblins die Steinstufen herunter gewuselt, die zu Akils Hof führten. Milten schaltete schnell. Noch bevor seine Kollegen so richtig wussten was los war, hatte er schon zwei Feuerbälle geworfen und damit die ganze Bande gegrillt.
    „Gut geschaltet“, platzte es aus Oppolus heraus.
    Karras sah verwundert zu ihm und sah dann wieder zu den Goblins. Er sah immer noch so aus, als hätte er noch gar nicht begriffen was hier eigentlich gerade passiert war. Milten konnte sich zwar denken, dass die anderen Feuermagier im Kloster ein fast schon beschauliches Leben geführt hatten, aber dieses Verhalten fand er doch überraschend. Das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit, denn Meister Pyrokar musterte Milten genau und sagte dann: „Da warst du aber wirklich auf dem Sprung.“
    Eigentlich sollte das ein Kompliment sein, doch die Art wie der oberste Feuermagier das sagte, ließ einen gewissen Unterton durchscheinen, den der junge Feuermagier noch nicht einzuordnen wusste. Milten kümmerte sich nicht weiter darum, sondern zog einen kleinen Manatrank hervor, um wieder voll einsatzfähig zu sein. Auch das bewog Karras und Pyrokar zu einem Blickwechsel. Sie setzten ihren Weg fort und wurden von den Söldnern überholt, die von Gorn angeführt wurden. Die Söldner sahen neugierig, aber auch skeptisch zu den Feuermagiern. Oppolus und Garwick wirkten etwas beunruhigt, Pyrokar und Karras warfen den Söldnern missbilligende Blicke zu.
    „Müssen die hier so herumrennen? Der Pfad ist schon recht eng“, machte Pyrokar seiner Wut Luft.
    „Sie wollen eben rechtzeitig zum Schiff kommen“, konnte es sich Milten nicht verkneifen.
    „Die werden schon auf uns warten, schließlich sind wir Feuermagier und wir werden auf dem Festland gebraucht“, war der höchste Feuermagier felsenfest von seiner Wichtigkeit überzeugt.
    Als sie dann endlich den Hafen erreichten war es tatsächlich schon später Nachmittag. Torlof hatte den Arbeitern, die er vom Festland mitgebracht hatte, aufgetragen die Ladung zu löschen. Sie konnten nicht sehen, was sich in den Kisten befand, aber es war zu vermuten, dass es sich um Werkzeug handelte, das für den Erzabbau gedacht war. Einige Bauern zogen gerade ab, offenbar hatten sie Kisten mit Lebensmitteln hierhergebracht. Jetzt verließen sie mit einem leeren Karren den Anlegeplatz. Es waren nicht die einzigen Kisten. Es gab einen großen Stapel, der von Lord Garond und seinen Männern bewacht wurde. Pyrokar ging auf den Paladin zu und begrüßte ihn. Lord Garond erwiderte respektvoll den Gruß. Es dauerte nicht lange, bis er seinen Unmut über die derzeitige Situation nicht länger zurückhalten konnte.
    „Schlimm genug, dass wir mit so einem alten, klapprigen Schiff fahren müssen, aber dann müssen wir es uns auch noch mit diesem Söldnerpack teilen.“
    „Ja, es sind schwere Zeiten, da müssen wir wohl alle auf Innos Führung vertrauen und darauf hoffen, dass wir es durchstehen“, antwortete Pyrokar.
    „Du hast Recht, ich muss an meiner Beherrschung arbeiten“, gab der Paladin zu. „Wir haben alle schwere Zeiten hinter uns … oder sagen wir, die meisten von uns.“
    Er warf noch einen Blick zu den Söldnern, die einfach nur da standen und klönten. Lester und Diego hatten sich zu Gorn gesellt, um sich mit ihm auszutauschen. Milten musste zugeben, dass er jetzt lieber bei ihnen wäre, als sich das maulen dieser alten Männer anzuhören. Ja, die Zeit im Minental war nicht einfach, insbesondere der Angriff der Drachen, aber wenn jeder hier auf dem anderen herumhackte sah er nicht wie sie alle die Fahrt in dem nur elf Meter langen Ding, das sich wagte Schiff zu nennen, überstehen sollten.
    „So, das war die letzte Kiste“, sagte Torlof und schickte die letzten Arbeiter weg, damit sie sich ins Minental aufmachen konnten, um dort Erz zu schürfen.
    Dann sah er zu Lord Garond , Parcival, Tandor und Parlaf herüber und rief: „So, dann seid ihr jetzt dran. Immer rauf mit dem Zeug aufs Schiff. Bringt es am besten unter Deck und verteilt es gut, damit wir keine Schlagseite bekommen.“
    „Ich höre wohl nicht recht“, erboste sich Lord Garond. „Meint er etwa WIR sollen die Kisten selber auf das Ding da verladen?“
    „Sieht so aus“, kam es von Milten.
    Der Paladin schnaubte. Sein Gesicht war schon ganz rot.
    „Na los Parlaf, fang an die Kisten zu verladen!“ wies er den Waffenknecht an.
    Der bekam große Augen und sah auf den Kistenstapel, der sich vor ihm auftürmte, so als hätte er ihn bisher nicht bemerkt.
    „Soll ich die etwa alle alleine verladen?“ fragte er niedergeschlagen.
    „Oppolus, Garwick, wäret ihr so freundlich mit anzupacken?“ fragte Pyrokar und seinem Ton war zu entnehmen, dass es sich nicht wirklich um eine Frage, sondern vielmehr um eine Anweisung handelte.
    Garwick war sofort bei der Arbeit und als erstes mit einer Kiste auf den Schiff. Torlof ging mit ihm unter Deck, um die Verteilung der Kisten zu überwachen. Er hatte wohl schon reichlich Erfahrung im Umgang mit dem Schiff und wusste wie die Last am besten verteilt wurde, damit es nicht unterging. Cypher und Rod lachten sich über den Anblick der drei Arbeiter schlapp. Milten dachte sich, dass sie in dem Tempo vermutlich erst in der Nacht aufbrechen würden, oder vielleicht überhaupt nicht, da es im Dunkeln vielleicht schwer war Hindernisse wie Inseln und Riffe zu erkennen. Deswegen winkte er seinen Freunden, die ihn verstanden und heran kamen. Gorn ging mit gutem Beispiel voran und auch Diego und sogar Lester packten mit an. Als auch Milten mitmachte schauten Lord Garond, Pyrokar und Karras verdutzt. Solche Arbeiten hielten sie wohl unter der Würde eines Feuermagiers. Cord und Jarvis halfen Gorn, weil sie auch endlich los wollten und einsahen, dass die Ritter sich wohl zu fein waren, um mitzuhelfen. Sie bildeten eine Kette die vom Kistenstapel bis unter Deck reichte, damit die Arbeit möglichst effizient voranging. Als die letzte Kiste ihren Platz im Bauch des Schiffes gefunden hatte, streckte Torlof seinen Kopf an Deck und fragte: „Gut, alles verladen, können wir dann los?“
    „Nein, noch nicht“, sagte Milten.
    Torlof runzelte die Stirn, dann fiel ihm offenbar etwas ein.
    „Wo steckt er eigentlich?“
    Alle wussten wer gemeint war, aber keiner konnte eine Antwort geben.
    „Da kommt er ja“, sagte Lester, der sich auf die Reling des Bugs gesetzt hatte und sein Sumpfkraut rauchte.
    Der Held kam aber nicht allein. Er hatte Randolph im Schlepptau. Ohne große Begrüßung kam der Held einfach aufs Schiff.
    „Hallo Leute, können wir los?“
    „Jetzt ja“, sagte Torlof und rief dann laut. „Wer mit will kommt jetzt aufs Schiff! Anker lichten! Wir laufen aus!“
    Das bewog die Feuermagier, Ritter und den Paladin nun ebenfalls gemessenen Schrittes an Bord zu kommen.
    „Da hast du dich ja schön vor der Arbeit gedrückt. Hier gab es etliche Kisten zu verladen“, erklärte Gorn und zwinkerte dem Helden zu.
    „Ich wollte eigentlich schon früher hier sein, aber es hat so lange gedauert jemanden zu finden, der mit aufs Festland will. Wir brauchen dort noch fähige Feldarbeiter. Obwohl ich alle bequatscht habe, wollte nur Randolph mitkommen.“
    Der Held zeigte auf den Knecht, der schon von Torlof dazu eingespannt wurden war, den Anker zu lichten.
    „Wen wunderts. Das Festland ist derzeit nicht der bequemst Ort“, sagte Diego.
    „Da fällt mir ein …“ sagte der Held und rief zu Torlof herüber. „Haben die Bauern von Lobart die Kisten mit Rüben vorbeigebracht? Und was ist mit den Säcken voller Saatgut?“
    „Alles da“, brüllte Torlof zurück. „Liegt in der Mitte, etwas erhöht über einigen Kisten mit magischem Erz, damit möglichst wenig Feuchtigkeit drankommt.“
    „Alles klar“, rief der Held zurück und machte sich einen Eintrag in sein Notizbuch.
    Sie waren bereits von der Kaimauer weggedümpelt, als der Kapitän rief: „Hisst die Segel!“
    Sofort machte sich der Held an die Arbeit.
    „Ich sehe gar nicht ein, dass ich hier arbeiten soll“, war die Stimme des Ritters Parcival zu hören.
    „Typisch, die feinen Herrschaften sind sich für sowas zu fein“, höhnte Cypher.
    Sie waren gerade erst an einer winzigen Insel vorbeigeschippert, aber die Stimmung zwischen den Söldnern und den Rittern war jetzt schon angespannt. Im Moment standen alle in Grüppchen auf dem Schiff herum. Die Ritter auf dem Heck des Schiffes, die Söldner hatten es sich in der Mitte gemütlich gemacht und Lester, Diego, Gorn und der Held standen vorne am Bug. Torlof hatte Randolph für vielfältige Schiffsarbeiten eingespannt und brüllte munter Befehle. Der Bauer hetzte gerade an den Feuermagiern vorbei, die sich auf einer Bank niedergelassen hatten, die sich zwischen den Treppen die hinauf zum Steuerrad führten, wo Torlof stand, befand. Die Feuermagier saßen einfach nur da und beobachteten die Söldner, die redeten, scherzten, Karten spielten, sich besoffen, oder rauchten.
    „Du warst wieder viel mit deinen Freunden unterwegs in der letzten Zeit“, sagte Pyrokar.
    Es war keine Frage, es war eine Feststellung, weswegen Milten nur nickte.
    „Mich beunruhigt, dass du in dieser Gewaltgemeinschaft vergessen könntest was es heißt ein Feuermagier zu sein,“ sprach Pyrokar aus, worüber er sich sorgte.
    Milten sah ihn überrascht an.
    „Was meinst du denn mit Gewaltgemeinschaft?“
    Pyrokar verzog den Mund, weil er sich jetzt auch noch dazu genötigt sah, es weiter zu erklären.
    „Du und deine Freunde bildet einen Männerbund, der zu Abenteuern aufbricht bei denen jede Menge Gewalt im Spiel ist. Meist wird irgendein Scheusal erschlagen, aber hin und wieder könnte es doch auch mal sein, dass einer deiner Freunde über die Stränge schlägt. Vielleicht aus dem Affekt heraus, oder weil er meint, dass das in dem Augenblick nicht anders geht. Manchmal sind es auch die Freundschaften selbst, die einem das Gefühl geben gewisse Gewalthandlungen seien gerechtfertigt. Vielleicht will man einem Freund helfen, befreien, oder ihn verteidigen, was dann aber in Gewalt mit anderen mündet. Die freundschaftlichen Empfindungen können das Rechtsempfinden außer Kraft setzen und ich möchte dich darauf hinweisen, dass du das stets im Hinterkopf behältst. Normalerweise würden andere einen darauf hinweisen, dass das was man da tut nicht richtig ist. Aus Freundschaft neigt man aber dazu, nichts zu sagen und es einfach hinzunehmen, oder fängt vielleicht sogar mit einer kleinen Diskussion an, die dann aber zu nichts führt, weil man die Freundschaft als wichtiger einschätzt, als die problematische Situation. Man sagt sich dann, dass derjenige eben so ist und lässt es dabei bleiben. Damit bestärkt man aber nicht nur den Missetäter in seinem Glauben, dass es nicht weiter schlimm war, was er da getan hat, sondern vermittelt auch den anderen Freunden das Gefühl, dass nichts weiter dabei wäre. So werden die Hemmungen Stück für Stück weiter gesenkt. Durch das gemeinschaftliche Reisen, Kämpfen und Zusammenstehen in schwierigen Situationen wird diese Freundschaft immer weiter bestätigt und bestärkt und umso größer die Freundschaft ist, umso eher ist man geneigt weg zu sehen, wenn etwas gegen Recht und Ordnung geht. Doch gerade als Feuermagier ist es deine Pflicht die Ideale von Recht und Ordnung hochzuhalten, denn wir sind Diener Innos.“
    Milten mochte nicht was Pyrokar ihm da erzählte, denn er hatte schon geahnt, dass er seinen Freunden vielleicht nicht oft genug ins Gewissen geredet hatte und sie einfach machen ließ und hin und wieder hatte er tatsächlich einfach weggesehen. Er musste zugeben, dass der alte Magier mit seinen Worten vielleicht gar nicht so falsch lag. Zumindest der Held hatte mittlerweile eine erstaunliche moralische Flexibilität entwickelt. Während Milten nachdachte, redete Pyrokar weiter: „Als Feuermagier ist es unsere Pflicht mit gutem Beispiel voran zu gehen und den Menschen von Myrtana zu helfen.“
    „Das geht aber auch besser, wenn man unterwegs ist und den Menschen tatsächlich hilft anstatt sich von der Welt abzuschirmen“, wagte Milten zu antworten.
    Die Augen des höchsten Feuermagiers verengten sich einen Moment, dann sagte er: „Deswegen sind wir hier auf diesem Schiff unterwegs, nicht wahr?“
    „Ja, deswegen sind wir unterwegs“, bestätigte Milten, der sich nicht sicher war, ob er zu weit gegangen war und demnächst noch ein Problem mit Pyrokar bekommen könnte.
    Milten sagte sich aber, dass er auch nicht mehr grün hinter den Ohren war. Meister Corristo hatte oft die Nase über seine Freunde gerümpft, sie als Pack bezeichnet und ihm geraten sich von Ihnen fern zu halten. Er war froh, dass er sich nicht hatte reinreden lassen und zu seinen Freunden hielt, denn dieses sogenannte „Pack“ hatte letztendlich doch viel für Myrtana getan. Er wusste, dass die Erfahrungen der älteren Magier wichtig waren, aber er war auch kein unerfahrener Novize mehr. Er war der Meinung, dass er sich schon richtig verhielt. Wenn ihn etwas störte, gab er seine Bedenken ja meistens auch kund, allerdings musste er zugeben, dass sie oft nicht auf ihn hörten.
    „Noch etwas“, sagte Pyrokar, weil er wohl dachte, dass der jüngere Feuermagier gleich verschwinden wollte. „Ich habe deinen etwas sorglosen Konsum von Manatränken bemerkt …“
    „Die sind wichtig. Nach einem Zauber muss ich doch schnell wieder einsatzbereit sein, um auf alle möglichen Situationen reagieren zu können“, sagte Milten sofort, weil er sich angegriffen fühlte.
    „Lässt du mich bitte ausreden?“ fragte der alte Magier etwas genervt.
    Sein Gegenüber nickte und er fuhr fort: „Manatränke sollen uns in einer extremen Situation schnell wieder zu magischer Kraft verhelfen. Sie sind nicht dazu gedacht sie stets und ständig zu trinken. Übermäßiger Konsum kann zu Gereiztheit, Ungeduld, Konzentrationslosigkeit und Schlafproblemen führen. Sie haben außerdem ein gewisses Suchtpotential.“
    „Ich weiß“, sagte Milten nur, denn das war für ihn nichts Neues.
    „Und wenn du das weißt, warum hältst du dich dann nicht daran? Es war bezeichnend wie schnell du diese Goblins erledigt hast und auch wie selbstverständlich du zum Manatrank gegriffen hast.“
    Milten verdrehte die Augen. Da hatte er einmal in Anwesenheit von Pyrokar einen kleinen Manatrank getrunken und der Alte machte gleich so ein Fass auf, dabei konnte er unmöglich wissen wie viele er in den letzten Wochen hinter gekippt hatte, um Einsatzfähig zu bleiben. Und überhaupt hatten sie doch im Moment ganz andere Probleme als das, oder? Er hatte das Gefühl, dass die anderen Magier vielleicht etwas zu behütet im Kloster gelebt hatten.
    „Ich wollte vorhin einfach auf alles vorbereitet sein“, kam die etwas schwache Erklärung von Milten.
    „Hm…“ machte Pyrokar und es hörte sich so an, als wenn er diese Antwort erwartet hatte und sie nicht gut hieß.
    „Was wäre denn gewesen, wenn sich uns noch andere Gefahren in den Weg gestellt hätten und meine magischen Kräfte erschöpft wären?“ wollte der jüngere Feuermagier wissen.
    „Dann hätten Karras und ich uns darum gekümmert. Wir sind ja noch ausgeruht und frisch.“
    Milten dachte sich, dass das aber wahrscheinlich ewig gedauert hätte, aber er wollte das lieber nicht laut sagen.
    Ihn störte auch, dass der alte Magier die beiden Novizen nicht mit einem Wort erwähnte, so als würde er ihnen einen Kampf überhaupt nicht zutrauen.
    „Und es ist ja nichts passiert. Du hättest dich also auch hier auf dem Schiff ausruhen können. Wir sind die nächsten Tage auf hoher See, da ist doch nicht zu erwarten, dass es einen Notfall gibt, bei dem du deine magischen Kräfte zur Gänze erschöpfen müsstest.“
    Milten dachte sich, dass ihn das Leben gelehrt hatte, dass es immer zu unvorhergesehenen Situationen kommen konnte, auf die er dann lieber vorbereitet war, aber auch das sagte er nicht, sondern stattdessen: „Ich habe dich verstanden Meister Pyrokar.“
    „Gut“, sagte der oberste Feuermagier, behielt Milten aber im Auge, vielleicht, weil er wissen wollte, ob der junge Feuermagier sich seine Worte wirklich zu Herzen nahm, oder im Gegenteil Ärger machen könnte.
    Milten ging zu seinen Freunden, die am Bug des Schiffes standen und sich die Gischt ins Gesicht spritzen ließen. Lester ging jetzt aber etwas zur Seite, damit sein Sumpfkrautstengel nicht nass wurde. Er zündete ihn sich an, nahm einen kräftigen Zug und atmete tief durch.
    „Huu, der haut wirklich rein“, sagte Lester und sein Blick vernebelte sich.
    „Und ich dachte, du wärst das mittlerweile gewohnt“, meinte der Feuermagier und sah seinen Freund verwundert an.
    Lester schüttelte den Kopf und erklärte mit veränderter Stimme: „Nein, also … das ist … eine neue Mischung.“
    „So neu ist die doch gar nicht“, mischte sich der Held ein.
    „Aber für mich“, sagte Lester etwas träge. „Ähm… wie war das? Na … Dings … hat verschiedene Mischungen ausprobiert und sie dann Dar testen lassen.“
    „Da der nun tot ist, muss das wirklich schon etwas her sein“, brummte Gorn.
    „Es war während der Zeit, als die Drachen im Minental herumflogen“, erklärte der Held.
    „Ich will es erzählen!“, krakelte Lester verstimmt.
    „Na dann komm mal zum Punkt!“ wies ihn der Held an.
    „…eine … Mischung war aus Sumpfkraut und … wie heißt das … Schwarz … nein halt … Dunkelpilzen und die ist echt heftig. Und das Rezept hab ich letztens von … ihm… bekommen.“
    Lesters zeigte lose in die Richtung des Helden, machte ein paar wackelige Schritte und lehnte sich dann an die Reling, was angesichts des Wellenganges gefährlich aussah. Das hatte auch Gorn gesehen, der seinen Freund mit seiner kräftigen Hand davon abhielt über Bord zu gehen.
    „He, pass doch auf! War das so geplant, dass ich hier für dich Amme spielen muss?“
    „Ich äh… wollte mich so zudröhnen, das keiner auf die Idee kommt, das ich … uhm… wie hieß das? … na, dingsbums …“
    „Auf dem Schiff mitarbeiten muss?“ half ihm Diego aus.
    Lester grinste.
    „Ja, genau, das.“
    „Ich glaube das ist dir gelungen“; brummte Gorn.
    „Ich nenne es … äh… der schwarze Novize“, erklärte Lester und klang stolz.
    „Wegen den Dunkelpilzen?“ fragte der Feuermagier.
    „Äh… ja und wegen diesen … Dingsbums … die ihn damals immer angegriffen haben … die mit den schwarzen Kutten … die alten Novizen vom Lager.“
    „Er meint die Suchenden“, erklärte der Held, weil Lester mittlerweile mit beiden Armen über der Reling hing und nicht so aussah, als würde er die Geschichte weitererzählen können. „Lester glaubt, dass die Suchenden seine alten Kameraden aus dem Sumpflager waren, die sich der Macht Beliars nicht wiedersetzen konnten.“
    „Das ist ja schrecklich“, nahm Milten diese Neuigkeit erschrocken auf.
    „Ich bin ja froh, dass Lester nicht auch zu so einem geworden ist“, sagte Gorn und sah seinen Freund besorgt an.
    „Fortuno und Angar haben es ja auch geschafft“, sagte der Held nur, der sich nicht anmerken lassen wollte, dass er wohl ähnlich dachte wie Gorn.
    Lester hing jetzt recht anteilnahmslos da und ließ sich von den Stößen der Wellen durchschütteln. Milten warf einen langen besorgten Blick auf Lester und dachte an sein kürzliches Gespräch mit Pyrokar, weswegen er den Helden unruhig fragte: „Hast du irgendwelche negativen Effekte wegen des Konsums von Manatränken bemerkt?“
    Der grinste. Er konnte sich schon denken warum sein Freund ihn danach fragte.
    „Nicht wirklich. Es drängt mich danach einen zu trinken, wenn ich einen anstrengenden Zauber gesprochen habe, aber ich denke das muss auch so sein, immerhin sollte man doch stets auf einen Angriff vorbereitet zu sein. Wenn man dann unkonzentriert und geistig erschöpft wäre, wäre das doch Mist.“
    Milten nickten. So hatte er es ja auch gesehen. Überraschenderweise hob Lester den Kopf und sah den Feuermagier aus verklärten Augen an.
    „Mich brauchst du da gar nicht fragen“, nuschelte er. „Ich … äh… magiere nicht so häufig herum … brauch nicht so viele Tränke schlucken … hin und wieder mal einen.“
    Sein Kopf sackte wieder herunter, so als hätte er damit alles dazu gesagt.
    „Es ist nur so, dass ich in letzter Zeit sehr viele in sehr kurzer Zeit getrunken habe, um Einsatzbereit zu bleiben“, erklärte der Feuermagier, der immer noch beunruhigt war.
    Der Held lachte und klatschte ihm seine linke Hand auf die rechte Schulter.
    „Mach dir keine Sorgen. Was soll schon groß passieren? Hast du eben Lust mal hin und wieder einen Manatrank zu trinken. Na und? Jeder hat eben so seine Vorlieben. Lester sein Sumpfkraut, ich die Klaue Beliars, Diego sein Gold bzw. das Gold anderer, das dann sein Gold wird und du trinkst eben hin und wieder mal einen Manatrank. Was soll‘s.“
    Milten sah nicht so aus, als würden diese Worte ihn beruhigen.
    „Und was ist mit Gorn?“ fragte Diego und grinste breit.
    „Was soll mit ihm sein?“ fragte der Held.
    „Na, was hat er für Vorlieben? Ihn hast du in deiner Aufzählung ausgelassen“, erinnerte Diego ihn.
    Gorn grübelte jetzt selbst und sagte dann: „Weiß nicht, hin und wieder eine ordentliche Keilerei schätze ich.“
    „Oder reichhaltiges Essen“, setzte jetzt Milten hinzu und ein schwaches Grinsen schob sich auf sein Gesicht.
    „Ja, kann gut sein“, lachte jetzt auch Gorn und als eine weitere große Welle kam, hielt er Lester fest, damit der nicht über Bord ging.
    „Sag mal …“ fing Diego dann ein neues Thema an. „Mir ist aufgefallen, dass Lord Garond und seine Leute nicht gut auf dich zu sprechen sind. Wie kommt das wohl? Wo du doch die Drachen getötet hast.“
    „Ja“, sagte jetzt auch Gorn, der die Stirn runzelte. „Eigentlich sollten sie dir doch dankbar sein und sich freuen, dass du da bist.“
    „Tja … das ist eine lange Geschichte“, versuchte der Held die Fragen abzuwehren.
    „Wir haben auch eine lange Fahrt vor uns“, erinnerte ihn Diego. „Und wenn du hier Feinde auf dem Schiff hast, dann sollten wir das besser wissen.“
    „Feinde ist ein hartes Wort“, meinte der Held ausweichend.
    „Nun spuck es schon aus!“ sagte Gorn barsch, der wollte, dass der Held die Karten endlich auf den Tisch legte.
    Der Held murmelte leise: „Geht um einen Ritter, der einen leichten Anfall von Tod hatte …“
    „Du hast einen Ritter getötet?“ fragte Milten erschrocken, der sich natürlich denken konnte, was der Held mit seinen Worten meinte.
    „Ähh, es war ein Versehen“, kam es kleinlaut vom Helden.
    „Wie kann man denn ausversehen einen Ritter töten?“ fragte Milten entrüstet.
    „Najaaa …“ setzte der Held an und die anderen wussten, dass das wirklich eine etwas längere Geschichte werden würde. „Es war in Gomez alter Burg, als die Paladine und Ritter unter Garonds Kommando dort stationiert waren. Wisst ihr noch?“
    Milten und Gorn nickten.
    „Erinnert ihr euch noch an Keroloth?“
    „Jaaaaah….“ sagte Milten gedehnt, der schon ahnte was da gleich kommen würde.
    „Nun, er jammerte herum, weil er seinen Lederbeutel verloren hatte und hilfsbereit wie ich bin, bot ich an, ihn zu suchen.“
    „Du hofftest natürlich auf Finderlohn, richtig?“ fragte Diego zwinkernd.
    „Richtig. Es kam aber alles doch ganz anders als gedacht“, sagte der Held und versuchte möglichst unschuldig zu klingen.
    „Ich fand den Beutel unter der Bank, auf der Jan der Drachenjägerschmied oft saß. Naja und dann bin ich schnurstraks zu Keroloth zurückgegangen. Ich dachte mir nichts weiter dabei und glaubte, damit wäre es erledigt, aber ich hatte vergessen, dass die Ritter und Paladine die Drachenjäger überhaupt nicht leiden konnten.“
    „Und zu allem Überfluss warst du auch noch ein Drachenjäger“, sagte Gorn und wartete gespannt was da jetzt kam.
    „Keroloth wollte ganz genau wissen wo ich den Beutel herhatte. Ich wollte niemanden Beschuldigen, denn ich wusste ja nicht, wer den Beutel dort versteckt hatte, also sagte ich, ich wüsste nicht wer es war. Keroloth glaubte mir nicht und hatte dann ganz plötzlich mich in Verdacht und beschuldigte mich ihn beklaut zu haben.“
    Diego, der ihn ganz genau beobachtet hatte, fragte ruhig aber sehr gespannt: „Uuuund? Warst du es?“
    „Naja …“ fing der Held schuldbewusst an. „Natürlich hatte ich ihn beklaut…“
    Die Augen der anderen wurden groß, nur Diego hatte das wohl vorher schon aus seinem Gesicht ablesen können.
    „Was heißt denn hier natürlich? Das ist ein Ritter!“ empörte sich Milten.
    „War“, verbesserte Gorn.
    „ABER…“ sagte der Held in das Durcheinander hinein, um sich zu rechtfertigen und hob den Zeigefinger. „Ich hatte ihn VORHER beklaut. Das heißt Keroloth musste zwei Lederbeutel mit Gold gehabt haben.“
    „Du bist doch unglaublich …“ sagte Milten genervt und hob eine Hand an seinen Kopf.
    „Und was ist dann passiert?“ fragte Diego gefasst.
    „Na was denkst du? Er griff mich völlig unvermittelt vor versammelter Mannschaft an.“
    „Und dann?“ hakte Gorn gespannt nach.
    „Ich hab mein Schwert gezogen und ihm einen Hieb verpasst und dann … war er irgendwie tot.“
    Der Held drehte Däumchen.
    „Was heißt denn hier IRGENDWIE? Willst du mir ernsthaft sagen, der sei nach einem Schlag einfach umgefallen, so als ranghoher Ritter?“ fragte Milten sauer.
    Der Held druckste herum.
    „Naja, ich hatte Beliars Klaue angelegt und aus Reflex natürlich die gegriffen und bevor Keroloth noch wusste wie ihm geschah entlud sich ein Blitz und er war tot.“
    „Offenbar wollte es sich Beliar nicht entgehen lassen, dass du ihm unversehens einen Streiter Innos bringst“, sagte Milten zähneknirschend.
    „Und dann? Was ist dann passiert?“ fragte Gorn gespannt.
    „Dann? Ähmm … Keroloth lag leblos am Boden, alle sahen erschrocken zu mir und zogen ihre Waffe.“
    „Und?“ fragte jetzt Diego.
    „Nichts … offenbar waren sie sich unschlüssig. Eigentlich wollten sie mich wohl angreifen, waren aber zu schissig…“
    „Wie kann das nur sein, nachdem du ihren Vorgesetzten mit einem Schlag niedergestreckt hast?“ sagte der Feuermagier zynisch und gestikulierte mit der rechten Hand in der Luft herum.
    „Und wie kamst du dann da wieder raus?“ wollte Gorn gespannt wissen.
    „Also …“ sagte der Held im Plauderton. „Ich bin einfach zu Rethon gegangen, der auch Drachenjäger war, und hab angefangen mit ihm zu handeln. Das hat sich einige Zeit hingezogen, weil der alte Geizhals einfach nichts für die Orkschwerter und Äxte bezahlen wollte, die ich gesammelt hatte, nicht zu vergessen all die Krallen und Zähne und dabei sagte er noch, er wäre Trophäenjäger…“
    „Aber diese Geschichte beweist doch mal wieder, dass du die Klaue Beliars unbedingt loswerden musst“, sagte Milten entschieden. „Wenn du damit so mir nichts dir nichts und ausversehen Leute tötest.“
    Der Feuermagier dachte wieder an das Gespräch mit Pyrokar. Vielleicht hatte der alte Feuermagier wirklich Recht. Milten wusste, dass das was der Held getan hatte falsch war, trotzdem, weil er sein Freund war, wollte er eigentlich nichts unternehmen. Er wollte nicht zu Garond gehen und ihm sagen, was er jetzt wusste, obwohl es eigentlich das war, was er tun sollte. Er sagte sich, dass das nur Unfrieden auf dem Schiff stiften wurde, doch war das vielleicht nur ein vorgeschobener Vorwand nichts in der Richtung tun zu müssen? Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihm aus. Sollte er es doch tun? War es wirklich seine Pflicht als Feuermagier? Oder waren ihm seine Freunde wichtiger als seine Berufung?
    „Das wird eine lange Fahrt“, sagte Milten und seufzte.
    Geändert von Eispfötchen (20.10.2022 um 21:44 Uhr)

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    Der Sturm

    Da Milten ein Feuermagier war, hatte er das zweifelhafte Glück zusammen mit den anderen Dienern Innos in der Kapitänskajüte zu schlafen. Weil es nur so ein kleines Schiff war, konnte natürlich niemand erwarten, dass es eine große Kajüte war. Dicht an dicht standen die Betten, aber immerhin mussten sie nicht in Hängematten über der Ladung schlafen, so wie die anderen Reisenden. Milten war es gewöhnt das Zimmer mit vielen anderen zu teilen, weswegen er mit dem Schnarchen von Lord Garond und Parcival klar kam und auch das Karras hin und wieder im Schlaf murmelte und fahrig herumfuhr weckte ihn nicht. Am nächsten Morgen war er als erstes wach und versuchte aus der Kajüte zu wanken, ohne die anderen zu wecken. Der Seegang war viel heftiger als gestern und das Schiff stampfte und schaukelte. Cypher und Rod hingen über der Reling und kotzten. Unglücklicherweise hatten sie sich für die falsche Seite entschieden, so dass ihnen die Kotze wieder zurück ins Gesicht wehte.
    „Mensch Jungens, ich habs euch doch gesagt: Spuckst in Luv, kriegst es druff, spuckst in Lee, fällts in die See“, rief ihnen Torlof zu, der trotz des Seegangs wie festgenagelt an seinem Platz am Steuerrad stand.
    Er, sowie Jorgen und Randolph waren ebenfalls schon wach, außerdem natürlich der Held, der gerade trotz des heftigen Wellengangs und des beißenden Windes leichtsinnig die Takelage hoch kletterte und sich schließlich ins Krähennest schwang. Zufrieden sah er dabei zu wie sich immer wieder Wellenhügel bildeten, die dann näher kamen und auf den Bug krachten, so dass die Gischt kräftig über das Schiff spülte.
    „Pff… Wer soll sich denn das merken? Luv und Lee, puh … Wenn ich nochmal die Idee habe auf ein Schiff zu gehen, halt mich zurück“, röchelte Cypher und Rod, der sich gerade die Kotze vom Gesicht wischte, klopfte seinem Kameraden mit der anderen Hand auf den Rücken, in der Hoffnung das würde dem irgendwie helfen.
    „Was für ein wunderschöner Tag!“ rief der Held ungewohnt euphorisch. „Herrlich dieser Wind.“
    Sein Pferdeschwanz hatte sich gelöst und seine Haare wurden von den wilden kalten Herbstböen herumgezerrt. Ihm gefiel das offensichtlich. Er konnte gar nicht genug bekommen.
    „Ist das etwa schon alles, Adanos? Los, mehr Wind! Mehr Wellen! Zeig mal was du drauf hast!“
    „Ich glaube dein Kumpel ist vollkommen übergeschnappt“, knurrte Torlof Milten an, der verwundert hoch starrte.
    „Ich glaube, er freut sich nur“, antwortete der Feuermagier vorschnell, aber als er noch mal drüber nachdachte, musste er dem Kapitän Recht geben.
    Die Knöchel des alten Seebären traten hell hervor, bei dem Versuch das Steuerrad unter Kontrolle zu halten.
    „Wir fahren schon hart am Wind“, grollte der. „Lange hält das Schiff das nicht mehr durch, wir könnten jederzeit achteraus treiben, wenn wir es nicht mehr über die Wellen schaffen.“
    „Und was heißt das?“ fragte der Feuermagier, der keine Ahnung von der Seemannssprache hatte.
    „Das beutet kentern, Junge“, brummte der Kapitän zur Antwort.
    „Nicht auch das noch“, sagte Jorgen kopfschüttelnd, der an ihnen vorbeieilte.
    Der Knoten eines Taus am Achterseegel hatte sich gelöst und es wirbelte jetzt im Wind herum. Während der Seemann versuchte es zu fassen zu bekommen, schimpfte er: „Nennst du das etwa einen gelungenen Palstek Randolph? Das hätte ja meine Oma besser hinbekommen.“
    „Ein was? Ich wollte eigentlich einen Achterknoten machen. He, ich kenn mich da nicht so aus, es ist schon eine Weile her, dass ich eine Überfahrt gemacht habe“, wehrte sich der Knecht, der herbeigeeilt kam und versuchte Jorgen dabei zu helfen das wildgewordene Tau einzufangen.
    „Der Sturm ist zu stark, auch wenn es gefährlich ist, wir sollten unser Vorgehen ändern und die Segel einholen, mehr ist dem Schiff nicht zuzumuten“, sagte Torlof, den Kopf zu den beiden gewandt, doch die Hände fest am Steuerrad. „Das wird noch schlimmer.“
    „Ja, weil dieser Spinner da oben Adanos herausfordert“, raunzte Randolph und half Jorgen dabei das Achtersegel einzuholen, damit es im Sturm nicht beschädigt wurde.
    „Lenzen vor Topp und Takel“, schrie Torlof laut, so dass Gorn, Diego, Lester, Jarvis, Wolf und Cord verwundert zu ihm hochschauten.
    „Was ist los?“ fragte Lester, der sich den Kopf hielt.
    Ihm war nicht nur schlecht, er hatte auch schreckliche Kopfschmerzen.
    „Holt die Segel ein, oder wir saufen ab!“ donnerte Torlof.
    „He, macht einfach nur die Knoten auf und ich hol dann das mittlere Segel ein“, brüllte der Held aus dem Krähennest, der offenbar überhaupt keine Angst kannte.
    Obwohl er aus voller Kehle gerufen hatte, waren seine Worte unten nur noch als dünnes Stimmchen zu hören.
    „DU?“ fragte Gorn laut hinauf. „Wie willst du das machen, wo du doch da oben bist?“
    Doch der Held winkte nur ab. Auch Milten wurde jetzt geschäftig und half den anderen dabei die Knoten zu lösen. Etwas hilflos fingerte er an den Knoten herum, weil er nicht wusste wie er sie lösen sollte.
    „Geh da mal weg!“ riet Gorn ihm barsch, holte weit mit seiner Axt aus und durchschnitt die Taue einfach.
    „Was macht ihr denn da?“ fragte Torlof erbost, doch es war schon passiert.
    Unkontrolliert schlackerte das Großsegel nun im fürchterlichen Wind herum, wodurch das Schiff gefährlich gierte und eine extreme Schlagseite bekam. Während Torlof noch lautstark wetterte, packte der Held trotz des ihn umtosenden Wahnsinns furchtlos ein Seil das vor ihm im Wind schlingerte, und ließ sich daran hinunter gleiten. Er wusste offenbar was er da machte, denn so wie er sich der tosenden See näherte, wurde das Segel hochgezogen und das Schiff kippte etwas zurück in die Mitte, so dass er doch noch auf den durchnässten Planken landete und nicht über Bord ging.
    „Springt der da durchs Gebälk wie ein besoffener Laubfrosch“, schnauzte Torlof markig und stemmte sich weiter gegen die Naturgewalten. „Na nu bindet es doch endlich mal fest! Bei Adanos, warum muss ich nur mit ein paar vermaledeiten Landratten solche Überfahrten machen?“
    „Was ist denn hier für ein Aufruhr?“ kam die verwunderte und verärgerte Stimme von Lord Garond herübergeweht.
    „Ein stürmischer Aufruhr, der ist hier!“ war sich Torlof nicht zu schade darauf zu antworten. „Und jetzt holt das Segel vorne ein!“
    „Wir?“ fragte Parcival erstaunt.
    „Ja, ihr, oder wollt ihr, dass wir absaufen? Die anderen sind noch dabei das Segel festzubinden, weil sie so bekloppt waren die Taue zu kappen.“
    „He, es ging so schneller!“, wehrte sich Gorn und noch während er das sagte bekam er einen Schwung Meerwasser ab, der über die Reling schwappte.
    „Schnell, die Ladung ist verrutscht. Cypher, Rod, Jarvis, rennt hurtig unter Deck und bringt sie wieder in Position!“
    „Woher weißt du denn das?“ wunderte sich Lester.
    „Willst du mich verarschen? Sowas merk ich doch. Du kannst gleich mithelfen!“ raunzte der Kapitän ihn grimmig an. „Und ihr … ach, seid schon dabei.“
    Er hatte gerade Jorgen und Randolph zur Schnecke machen wollen, doch die ließen gerade einige Taue ins Wasser, damit diese dabei halfen das Schiff in der schwierigen See zu stabilisieren.
    „Ihr da, helft den anderen bei der Ladung!“ wies der Kapitän die Ritter an, nachdem alle Segel eingeholt waren.
    „Ich muss doch sehr bitten. Wir sind die heiligen Streiter Innos und keine Kahnarbeiter.“
    „Und wenn ihr die Prinzessinnen von den südlichen Inseln wärt, ist mir scheißegal, ihr helft jetzt mit, sonst platzt mir der Kragen“, wütete Torlof.
    Die Ritter funkelten den Kapitän wütend an, doch als Lord Garond ihnen gut zuredete, verschwanden sie doch unter Deck.
    „Schade, dass wir keinen Treibanker haben“, kam es missmutig von Jorgen, der trotz der schwierigen Umstände auf den Planken stand wie angewachsen.
    Der Sturm heulte noch mächtiger und eine kräftige Welle erfasste sie nun und drohte sie umzuwerfen.
    „Dann muss eben der normale Anker herhalten“, wagte Torlof zu sagen.
    „Das ist Wahnsinn!“ protestierte Jorgen.
    „Das ist vermutlich das einzige was uns noch retten kann!“ antwortete Torlof verbissen.
    Jorgen sah, wie das Schiff erneut in starke Schlagseite geriet und nickte beklommen.
    „Werft den Anker raus!“ rief der Kapitän laut.
    Jorgen und Randolph lösten den Anker, der ein entsetzliches Rattern von sich gab, als er sich ins tosende Meerwasser herabsenkte und sie fühlten einen Ruck, der durch das Schiff ging. Dann gab es ein grausiges Splittern von Holz.
    „Oh, nein, gar nicht gut“, sagte Randolph bang.
    Doch trotz allem was dem Schiff heute abverlangt wurde, hielt es der Belastung stand. Der Anker trieb tief im Wasser und bremste das Schiff, so dass es weiter stabilisiert wurde. Der Wind heulte immer noch ohne nachzulassen und die See wütete um sie herum, als ob sie einen persönlichen Rachefeldzug gegen sie führen würde, doch das Schiff kenterte nicht.
    „Gutes Mädchen“, raunte Torlof und tätschelte kurz das Steuerrad.
    Er sah jetzt entspannter aus und als der Held von unter Deck auftauchte und verkündete: „Alles wieder fest verzurrt“, nickte der Kapitän ihm nur stumm zu und wandte sich dann wieder den Naturgewalten zu.
    Das Schlimmste hatten sie hinter sich und auch wenn sie in den nächsten Stunden immer noch kräftig durchgeschüttelt und bis auf die Knochen durchnässt wurden, überstanden sie die Fahrt durch den Sturm. Als es endlich ruhiger wurde und Wind und Wellen sich abschwächten, befahl Torlof den Anker wieder einzuholen. Das wurde schwierig. Obwohl Jarvis, Cord und Gorn alles daran setzten den Anker zurück zu holen, schafften sie es nicht.
    „Es ist zu schwer“, sagte Jarvis, nachdem sie es aufgegeben hatten, und er sich den Schweiß von der Stirn wischte.
    „Aber irgendwie müssen wir den Anker einholen, oder wir können unsere Fahrt nicht fortsetzen“, sagte Jorgen beunruhigt.
    „Lasst mich mal ran“, sagte der Held und er bahnte sich einen Weg zum Anker.
    Er zog eine Rune des Feuerdämons aus seiner Hosentasche und wirkte die Runenmagie.
    Alle wichen zurück, als wenig später schnaubend und grollend ein Feuerdämon erschien.
    „He du, hol den Anker ein!“ befahl der Held dem Dämon.
    „Jetzt hörts aber auf!“ grollte Parcival wütend. „Du wirkst Beliar-Magie?“
    Der Held drehte sich zu ihm um und sah ihn unbekümmert an.
    „Ja, na und? Irgendwie müssen wir den Anker ja einholen.“
    „Nichts rechtfertigt die Magie von Beliar!“ donnerte Tandor.
    „Reg dich doch nicht so auf“, versuchte der Held ihn zu beruhigen, da er aber einen großspurigen Ton aufgesetzt hatte, funktionierte das nicht so ganz.
    Der Dämon hatte es mittlerweile geschafft den Anker einzuholen und schwebte jetzt nur noch ausdruckslos in der Luft herum. Ohne sich viele Umstände zu machen, zog der Held die Klaue Beliars und mit zwei Streichen und einem Blitz war der Dämon getötet.
    „Siehst du, alles kein Problem“, sagte der Held leichthin.
    Unter den missbilligenden Blicken von Lord Garond und seinen Leuten ging er zum Bug und ließ sich die Gischt ins Gesicht spritzen. Diego, Milten und Gorn warfen sich einen wissenden Blick zu. Das könnte Ärger geben.
    „Segel setzen! Wir müssen weiter!“ befahl Torlof und hielt so weiterhin alle beschäftigt.
    Diesmal ließen sich die Ritter nicht dazu überreden wieder mitzumachen. Und auch Lester hielt sich von der Arbeit fern. Er war nicht ansprechbar. Ihm war schlecht. Immerhin übergab er sich in Richtung Lee und so ging es in die See. Der Ozean beruhigte sich noch weiter und so schaukelten sie fast schon angenehm über die Wellen, als es Abendbrot gab. Fisch, natürlich, um die Vorräte fürs Festland zu schonen.
    „Wenn ich dran denke, dass wir noch wochenlang nur Fisch vorgesetzt bekommen werden, wird mir ganz schlecht“, murrte Tandor, dessen Ärger wohl noch nicht verraucht war.
    Thekla, die sich bei der Zubereitung alle Mühe gegeben hatte, sah verletzt aus. Sie hatte den Abend in der kleinen Kombüse verbracht und versucht trotz der schwierigen Umstände irgendetwas Gescheites zustande zu bringen.
    „Vor ein paar Wochen hättest du dich gefreut einen Fisch auf den Teller zu kriegen“, versuchte Lord Garond die Stimmung zu heben.
    „Ich hatte wohl vergessen, dass Fisch so einen faden Geschmack hat und dann all diese lästigen Gräten“, knurrte der Recke.
    „He, es könnte schlimmer sein“, sagte Gorn, der auch versuchte die Atmosphäre aufzulockern. „Es könnte Fleischwanzeneintopf geben.“
    Der Ritter und die Paladine rümpften die Nasen.
    „Dann lieber gar nichts essen“, meinte Parcival.
    „Das kann auch nur jemand sagen, der noch nie wirklich Hunger leiden musste“, knurrte Jarvis.
    Lord Garond warf dem anderen Paladin einen warnenden Blick zu, doch Parcival fühlte sich offenbar verletzt, denn er knurrte zurück: „Ja, das stimmt, denn immerhin wurde ich nicht als schmieriger Gefangener in die Strafkolonie geworfen.“
    Ruckzuck war Jarvis auf den Beinen und hatte sein Schwert gezogen. Parcival tat es ihm gleich.
    „Leute, beruhigt euch“, sagte Gorn, der nun ebenfalls aufstand und versuchte den Streit zu schlichten.
    „Ja, wir sitzen doch alle im gleichen Boot. Wollt ihr vielleicht einen Stengel Sumpfkraut zur Beruhigung?“ fragte Lester und hielt zwei Stengel hoch.
    „Nicht jetzt Lester“, raunte ihm Diego zu.
    „Wieso?“ fragte der nur.
    „Vielleicht ist es besser, wenn wir uns einen anderen Platz suchen, um unser Abendessen zu beenden“, sagte Lord Garond, der ahnte, dass dieser Streit sonst endgültig eskalieren würde.
    Als sie sich in die Kapitänskajüte verzogen hatten, wo auch Karras und Pyrokar ihr Abendessen einnahmen, spie Jarvis aus, bevor er sich wieder hinsetzte und blaffte: „Diese feinen Pinkel.“
    „Hör mal Jarvis, wenn wir zukünftig zusammen arbeiten sollen, dann müssen wir die alten Streitereien vergessen“, meinte Gorn.
    „Pah! Wer sagt denn, dass wir überhaupt mit denen zusammenarbeiten wollen?“ fragte Cypher abschätzig.
    „Wir werden das tun, weil es nötig ist“, sagte Gorn und warf Cypher einen harten Blick zu. „Weil wir jetzt alle für Lee arbeiten, egal ob wir Söldner oder Ritter sind. Heute sind wir alle Krieger für Myrtana.“
    Cypher rümpfte nur die Nase und wandte sich dann wieder seinem gegrillten Fisch zu. Die Stimmung blieb gedrückt. Niemand hatte so recht Lust etwas zu erzählen. Als Torlof unter Deck ging, um eine Runde zu schlafen, überlegte sich auch Milten dem Drang sich auszuruhen nachzugeben. Er sah noch einmal zu Jorgen, der das Steuer übernommen hatte, verabschiedete sich dann von den anderen und ging zur Kapitänskajüte zurück. Er öffnete gerade die Tür, da wehte ihm ein Gespräch entgegen: „… wir müssen uns zusammennehmen. Diese Männer sind unverschämt, aber wir dürfen uns zu nichts hinreißen lassen, dass eines Ritters oder Paladins unwürdig ist“, schärfte Lord Garond seinen Männern ein.
    „Früher hätten wir uns nicht mit so einem Gesindel ein Schiff teilen müssen“, ließ Tandor Dampf ab.
    „Oder würden überhaupt mit so einem klapprigen Schiff fahren“, stimmte Parcival zu.
    Lord Garond seufzte.
    „Das ist lange vorbei.“
    Milten stand noch etwas unschlüssig in der Tür. Er wollte sich nicht in ein Gespräch drängen, aber wo sollte er sonst hin? Er trat also ein und knarrend schloss er die Tür hinter sich. Das Gespräch unterbrach er damit nicht. Der junge Feuermagier stellte sich an einen provisorisch eingerichteten Alchemietisch, um sich einige Manatränke zu brauen. Er wollte sich nicht am Gespräch beteiligen.
    „Naja und was ich von der Beliar Magie halten soll, könnt ihr euch ja denken. Ich weiß ja, dass er viel für uns getan hat. Die Drachen besiegt, die Orks vertrieben, aber sollten wir uns nicht auch mal fragen mit welchen Mitteln er das bewerkstelligt hat?“ fragte Tandor und ein missbilligender Ton in seiner Stimme drückte schon aus, was er selbst davon hielt.
    „Und dann das mit Keroloth. Oric ist jedenfalls fest davon überzeugt, dass Keroloth Recht hatte und er bestohlen wurde“, brummte Parcival. „Wird schon einen Grund gehabt haben, warum dieser Typ damals in die Barriere geworfen wurde.“
    „Können wir ihm wirklich vertrauen, wenn er ein Dieb und Mörder ist?“ fragte Tandor und sah Lord Garond nach Rat suchend an.
    „Was ist denn vorgefallen?“ wollte jetzt Pyrokar wissen.
    Der alte Magier lag in seinem Bett und sah jetzt von seinem Buch auf.
    Lord Garond und seine Männer drehten sich zu ihm um. Tandor und Parcival sahen kurz zu Lord Garond hinüber, so als wollten sie sicher gehen, dass es in Ordnung war darüber zu reden. Ihr Vorgesetzter nickte ihnen zu.
    „Mit Verlaub …“ begann Tandor. „…aber auch wenn das eine grässliche Geschichte ist, so muss ich doch darüber berichten. Damals im Minental lagerten nicht nur Paladine, Ritter und Milizen in der alten Burg, sondern auch Drachenjäger. Keroloth hatte bemerkt, dass er bestohlen wurde und hatte die Drachenjäger im Verdacht. Der Drachentöter …“
    Tandor zeigte mit dem Finger auf die Decke, wo vermutlich der Held noch mit den anderen zusammen saß.
    „… hat ihm den vermissten Lederbeutel gebracht. Er war ja auch ein Drachenjäger. Keroloth hatte ihn natürlich im Verdacht das Gold gestohlen zu haben. Wer sollte es sonst gewesen sein? Und als er ihn fragte, wer wohl seiner Meinung nach für den Diebstahl verantwortlich war, konnte er ihm keinen Namen nennen, behauptete nur, er habe ihn einfach so gefunden.“
    „Aber warum sollte er Keroloth erst bestehlen und ihm das Gold dann zurückbringen?“ fragte Pyrokar und hob eine Augenbraue.
    „Naja, Keroloth bot einen Finderlohn an. Als er dann diese fadenscheinigen Ausflüchte hörte, war er so wütend, dass er sein Schwert zog. Daraufhin zog der Drachentöter die Klaue Beliars und tötete ihn. Das müsst ihr euch mal vorstellen oberster Feuermagier. Die Klaue Beliars. Dieses unheilige Artefakt und er bringt es einfach auf die Burg.“
    Pyrokar nickte.
    „Die Klaue ist ein Übel. Ich konnte es auch nie leiden, wenn er damit im Kloster herumspazierte.“
    „Welch ein Frevel“, schimpfte Tandor.
    „Aber es bleibt ja trotzdem die Frage, ob Keroloth nicht einfach überreagiert hat. Vielleicht wollte er sich nur verteidigen“, versuchte Pyrokar Licht ins Dunkel zu bringen.
    Er sah zum jungen Feuermagier hinüber.
    „Milten, du kennst ihn doch besser. Hat er vielleicht mal etwas in der Richtung erwähnt?“
    Milten zuckte unwillkürlich zusammen. Hätte er sich nur noch etwas Zeit gelassen. Wäre er nur noch länger mit den anderen zusammen geblieben, dann wäre er jetzt nicht in dieser Situation. Langsam drehte er sich zu Pyrokar um. Auch Karras sah nun zu ihm herüber. Es war aber auch ein großer Zufall, dass es gerade jetzt zu diesem Thema kam. Vorgestern hätte er noch sagen können, dass er nichts weiter darüber wusste.
    „Nun?“ fragte Pyrokar, der ungeduldig wurde.
    „Er redet nicht gerne über sich“, versuchte Milten dem Gespräch auszuweichen, doch der oberste Feuermagier ahnte wohl, dass er mit etwas hinterm Berg hielt.
    „Milten, du erinnerst dich doch bestimmt an unser Gespräch von gestern“, drängte Pyrokar ihn. „Als Diener Innos sind wir dazu verpflichtet die Wahrheit herauszufinden und die Ordnung aufrecht zu erhalten, auch wenn soziale Beziehungen dem im Weg stehen könnten. Ich weiß, dass dein Herz am rechten Fleck ist.“
    Das ließ er einen Moment wirken. Unangenehm fühlte Milten die Blicke aller auf sich. Was sollte er tun? Schweigen war wohl keine Lösung. Er könnte lügen, aber hatte er sich nicht schon zu oft vor seine Freunde gestellt, wenn die sich mal wieder daneben benommen hatten und er war ja auch schockiert gewesen, als er gehört hatte, dass sein Freund Keroloth umgebracht hatte. Es war nicht richtig gewesen. Er hatte ihn bestohlen. Es war Mord. Sollte er da nicht so ehrlich sein und die Wahrheit sagen? Doch vielleicht würde sich die Lage auf dem Schiff noch verschlimmern. Milten gab sich einen Ruck und tat das was ihm richtig erschien.
    „Ja, er hat Keroloth bestohlen, doch er dachte nicht, dass er gleich so ausrasten würde. … Es war keine böse Absicht gewesen. Als Keroloth angriff hat er aus Reflex zur Klaue Beliars gegriffen. Es entlud sich ein Blitz und Keroloth starb. Er sagte, es war ein Unfall.“
    So ganz richtig war das zwar nicht. Milten erinnerte sich, dass der Held ihm sagte, dass es ein Versehen war, doch er wollte sich nicht mit Haarspalterei aufhalten und er fand, dass es sich in dieser Situation doch sehr unpassend anhören würde, wenn er sagen würde, der Held hätte Keroloth nur aus Versehen getötet.
    „Da! Ich habs euch ja gesagt“, sagte Tandor.
    Pyrokar strich sich in Gedanken versunken übers Kinn.
    „Es ist wie ich gedacht habe. Die Klaue hat einen schlechten Einfluss auf ihn. Sie ist zu gefährlich. Sie muss verschwinden. Wir müssen sie ihm abnehmen. Das wird unser nächstes Ziel sein.“
    Milten war sich nicht sicher, ob er richtig entschieden hatte, doch in dieser Hinsicht stimmte er mit Pyrokar überein. Er nickte zustimmend.
    „Ich habe auch schon eine Idee wie wir vorgehen, aber das müssen wir auf dem Festland mit den Wassermagiern besprechen“, erklärte Pyrokar.
    „Er ist ein Mörder. Er muss bestraft werden“, ereiferte sich Tandor.
    „Vermutlich war es wirklich ein Unfall“, meinte Pyrokar. „Sonst hat er doch keinen weiteren Ritter oder Paladin getötet oder?“
    „Naja … dann ist da noch diese Sache mit dem Tor…“, meinte Parcival mürrisch.
    „Jetzt ist aber mal gut. Es ist nicht bewiesen, dass er daran schuld ist, dass die Orks eingefallen sind“, versuchte Lord Garond die Stimmung zu beruhigen.
    „Wer soll es denn sonst gewesen sein?“ fragte Tandor.
    „Genug!“ befahl Lord Garond. „Es war ein anstrengender Tag und so wie ich die Lage einschätze, können wir froh sein, dass wir lebendig durch diesen Sturm gekommen sind. Wir sollten uns jetzt ausruhen. Die Fahrt ist noch lang genug, als dass wir uns über solche Sachen Gedanken machen können.“
    Seine beiden Untergebenen sahen zwar missmutig drein, fügten sich aber, und legten sich schlafen. Milten atmete einmal tief ein und aus und legte sich dann ebenfalls ins Bett.
    „Du hast das Richtige getan“, sagte Pyrokar leise zu ihm.
    Milten war sich da nicht so sicher.


    Die Kein-König-Kampagne

    Die Seereise dauerte gefühlt eine Ewigkeit. Trotz der Versuche von Lord Garond und Gorn ein friedliches Miteinander zu gewährleisten gab es immer wieder Streit zwischen Lord Garonds Männern und den Söldnern. Die eintönige Verpflegung und die Enge auf dem Schiff trug dazu bei die Gemüter weiter zu erhitzen. So kamen die folgenden Worte einer Erlösung gleich: „Land in Sicht!“ rief Wolf, der sich ins Krähennest verzogen hatte.
    „Endlich“ kam es erleichtert von Lord Garond.
    „Ja, mir kommt es auch so vor, als hätte die Überfahrt ewig gedauert“, sagte Cypher und warf Lord Garond und seinen Leuten einen üblen Blick zu.
    Die revanchierten sich und schauten finster.
    „Das ist also das Festland“, sagte Thekla, die erstaunt und sehnsüchtig nach Myrtana schaute.
    Der Held stand vorne am Bug und kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können und als er erkannte, wohin das Schiff steuerte, riss er die Augen weit auf.
    „Das ist ja Vengard. Warum fahren wir denn da hin?“ fragte er erschrocken.
    Lord Garond, der sich neben ihn gestellt hatte, warf ihm einen schiefen Blick zu und so beeilte sich der Held etwas scheinheilig hinzuzufügen: „Warum laufen wir denn nicht Kap Dun an? Dort brauchen die Menschen doch die Nahrungsvorräte. In Vengard lebt derzeit kaum jemand.“
    „Befehl vom Regenten“, sagte Lord Garond knapp.
    Der Held überlegte wie er den Kurs ändern könnte, weil er sich vorstellte, dass Lee vielleicht auf die Idee kommen könnte, jetzt da er schon mal da war, ihn auch gleich auf den Thron zu setzen.
    Dem wollte er unbedingt entgehen.
    „Ja, gut, aber die Menschen …“
    „Die Befehle waren ganz eindeutig“, sagte der Paladin scharf. „Schiff beladen und nach Vengard zurückkehren, von dort wird dann alles arrangiert.“
    „Aha! Ist ja mal wieder klar. Hauptsache Befehle ausführen, bloß nicht nachdenken. Die Menschen leiden Hunger, hast du mal daran gedacht? Torlof, jetzt sag doch auch mal was“, wandte sich der Held hilfesuchend an den Kapitän.
    Doch der zuckte nur mit den Schultern und brummte: „Auch mir hat Lee aufgetragen nach Vengard zurückzukehren, er hat mir sogar eingeschärft, bloß nirgendwo anders anzulegen. Er hat gesagt: „Torlof, du pendelst nur zwischen Vengard und Khorinis hin und her. Lass dich von Niemand dazu bequatschen irgendwo anders hinzufahren, keine Sonderfahrten! Und wenn ich sage, niemanden, dann bedeutet es das auch, verstanden?!“ So hat er das gesagt und ich werde es genau so machen.“
    Der Held ging zum Kapitän, zog einen Erzbrocken aus der Tasche und flüsterte ihm zu.
    „Da wo der herkommt sind noch viel mehr. Hundert Erzbrocken, wenn du in Kap Dun anlegst“, versuchte der Held Torlof trotzdem zu bestechen.
    Der Kapitän sah kurz zum Erzbrocken und dann schnell wieder weg, um nicht in Versuchung zu geraten.
    „Nein!“ sagte er eisern.
    „Komm schon, zweihundert!“, bot der Held.
    Torlof biss die Zähne fest zusammen und knurrte abermals: „Neeeeein.“
    „Stell dir nur vor, was du damit alles machen könntest. So viel Erz hat sonst niemand in Myrtana. Komm schon, für mich. Ich komme dir auch entgegen. Dreihundert Erz.“
    Torlof fing an zu schwitzen.
    „Was denkst du wohl, was Lee mit mir macht, wenn ich gegen seinen strikten Befehl handele?“
    „Ach, bestimmt nichts, er braucht dich“, redete ihm der Held gut zu und legte ihm kameradschaftlich eine Hand auf die Schulter. „Wer soll denn sonst mit diesem ollen Kahn durch die Gegend schippern?“
    „Ich“, kam es da laut von hinten.
    Sie drehten sich um und sahen Jorgen, der nun hoffnungsvoll strahlte. Der Held und Torlof sahen sich kurz an.
    „Du siehst, es ist schon Ersatz da, wenn ich Mist baue und deswegen fahre ich nach Vengard, egal wie viel Erz du mir bietest und damit basta!“
    Der Held ließ die Schultern hängen. Er ging zu seinen Freunden an die Reling und sah missmutig aufs Wasser hinaus.
    „Ich… könnte ins Wasser springen und nach Kap Dun schwimmen…“, überlegte er laut.
    „Aber dann bekommen die Menschen auch nicht ihr Essen“, sagte Lester, der noch gar nicht mitbekommen hatte, dass es gar nicht um die Menschen ging.
    „Naja, ich hab ja noch was in der Tasche …“ murmelte der Held in seinen Bart.
    Gorn stellte sich neben ihn und patschte ihm aufmunternd seine große Hand auf die Schulter.
    „Komm schon, nimms nicht so schwer.“
    Bang sah der Held dabei zu wie sie sich immer weiter der Myrtanischen Hauptstadt näherten. Als es daran ging die Segel einzuholen und alles klar zum Ankern zu machen, war er mit der erste, der sich an den Arbeiten beteiligte. Er brauchte was zu tun. Am Hafen standen schon Lee und einige Arbeiter, die, nachdem das Schiff angelegt hatte, an Bord kamen und ihnen beim Löschen der Ladung halfen. Der Held war sich nicht zu schade dabei zu helfen und er hoffte, dass ihn Lee mit einer großen Kiste vorm Gesicht vielleicht nicht erkennen würde. Er dachte schon, es würde klappen, doch als er gerade an Lee vorbeigehen wollte, sagte der: „Da bist du ja. Ihr wart aber lange weg. Ich hoffe, ihr habt gefunden wonach ihr gesucht habt.“
    „Ja, die Erzrüstung ist etwas zerbeult, aber Uriziel ist noch intakt und es lag noch jede Menge altes Zeug rum“, nuschelte der Held hinter der Kiste hervor.
    Lee runzelte die Stirn.
    „Du musst nicht beim Abladen helfen.“
    „Ich will aber“, sagte der Held starrköpfig.
    „Na schön, na schön. Alles soll erstmal vor die Burg. Dort habe ich schon Karren bereitstellen lassen. Darauf sollen die Nahrungsmittelvorräte aufgeteilt werden, damit sie dann später zu den verschiedenen Ortschaften gebracht werden können.“
    „Und das Erz?“ wollte Cypher wissen, der jetzt ebenfalls mithalf, vielleicht, um sich bei Lee einzuschmeicheln.
    „Ach du bist es Cypher“, sagte Lee und ließ nicht erkennen, ob er sich freute oder ärgerte ihn zu sehen. „Das Erz kommt auf einen Extrahaufen und wird dann später von einigen Rittern nach Nordmar eskortiert. Dort soll es in der Erzschmelze des Hammerclans zu neuen Waffen verarbeitet werden. Die Menschen in Nordmar sollen sehen, dass wir einander brauchen.“
    Während Lee noch auf Cyphers Frage geantwortet hatte, war der Held mit seiner Kiste schon weitergegangen, um sie vor der Burg auf einem der Karren abzuladen, wo schon Lord Hagen und einige Ritter bereit standen, um die wertvolle Fracht an ihren Bestimmungsort zu eskortieren. Gut, dass die Kisten beschriftet waren, so dass sie wussten was darin war. Auch wenn Erz wertvoll war, wären die Menschen in den Städten sicher enttäuscht, wenn sie statt des lebensnotwendigen Essens Erz vorgesetzt bekamen. Der Held hielt den Zeitpunkt für gekommen, um von hier zu verschwinden und er kramte in seiner Tasche nach einer Teleporterrune. Wenn nur nicht so viel Krempel drin wäre. Der Held ärgerte sich. Er wühlte zwischen Lesters Sumpfkraut und Diegos Zeug herum und fand einfach keine Rune. Dabei wäre es ihm im Moment egal gewesen wohin es gehen würde, Hauptsache weg von hier. Endlich fühlte er wie seine Finger gegen eine Rune stießen, doch gleichzeitig spürte er wie ihm jemand eine Hand auf die Schulter legte. Der Held erschreckte sich kurz, was dazu führte, dass die Rune zurück in den Tiefen seiner Tasche verschwand.
    „Wonach suchst du denn?“ fragte Lee und lächelte verschmitzt.
    Er konnte sich wohl schon denken, dass der Held vorhatte zu verschwinden. Neben ihnen stellten jetzt immer mehr Angehörige der zusammengewürfelten Mannschaft Kisten ab. Nur die Feuermagier, Ritter und Lord Garond sahen gar nicht ein mitzuhelfen. Lee drehte sich um und sagte laut: „Bevor ihr mit eurer Arbeit weitermacht, hab ich euch was zu sagen.“
    Wer seine Kiste noch nicht auf einen Wagen verladen hatte, stellte sie auf den Boden und wer gerade zum Schiff zurückkehren wollte, drehte sich um und kam zurück.
    „Ich freue mich, dass ihr alle von Khorinis hierhergekommen seid. Für einige von euch hat es viele Jahre gedauert, ehe ihr endlich nach Myrtana kommen konntet. Sicher könnt ihr euch denken, dass das Festland vielleicht nicht so ist, wie ihr es euch gewünscht habt, oder wie ihr euch daran erinnert. Der Krieg mit den Orks hat hier alles verwüstet und die Menschen leiden. Deswegen sind wir hier. Wir müssen jetzt alle zusammen halten und zusammen arbeiten. Egal ob Söldner…“
    Er schaute zu Cypher, Rod, Wolf, Cord, Jarvis und Gorn und ließ dann seinen Blick zu Lord Garond und seinen Leuten weiterschweifen.
    „Ritter und Paladine, Feuermagier…“
    Er nickte Pyrokar, Karras und Milten zu.
    „… oder Abenteurer.“
    Der Held spürte, wie Lees Griff fester wurde.
    „Jeder muss seinen Teil beitragen, damit wir alle überleben.“
    Lee bemerkte, dass Cypher und Rod nicht so aussahen, als würden sie vorhaben mitzuziehen. Vermutlich wollten sie einfach nur ihr eigenes Ding durchziehen und sehen wo es was zu holen gab.
    „Wenn jeder nur an sich denkt, wird es nichts werden, wir müssen alle an einem Strang ziehen“, sagte Lee deswegen. „In den vergangenen Monaten habe ich alles getan, um Myrtana zu neuer Blüte zu verhelfen.“
    Lee stockte kurz, dann räusperte er sich und versuchte möglichst würdevoll weiter zu sprechen, auch wenn ihm anzumerken war, dass es ihn quälte.
    „Leider war es nicht genug. Die Menschen hungern immer noch und wir haben kaum Felder, um die zukünftige Nahrungsversorgung in Angriff zu nehmen. Wir sind nicht verteidigungsfähig, wenn wir erneut angegriffen werden, ist es aus mit uns. Myrtana ist schwach und steht kurz vor dem Zusammenbruch. So sehr es mich auch schmerzt, muss ich zugeben, dass ich es nicht geschafft habe Myrtana wieder auf die Beine zu bringen. Ich habe versagt.“
    Er wurde still und bedrücktes Schweigen breitete sich aus. Lee sah kurz zu Pyrokar, der nickte ihm aufmunternd zu. Der Regent räusperte sich erneut und sagte dann: „Deswegen werde ich die Führung abgeben an jemanden, der bisher noch jedes Problem lösen konnte.“
    Lee klopfte dem Helden demonstrativ auf die Schulter. Verblüfftes Schweigen machte die Runde.
    „Ich?“ tat der Held ahnungslos und zeigte sinnloserweise auf sich selbst.
    „Der?“ kam es dann verwirrt von den Rittern und einigen Söldnern.
    „Gut so!“ brüllte Gorn und hob die Faust, in dem hoffnungslosen Versuch die Stimmung aufzubessern.
    Währenddessen beobachtete Milten gespannt die Situation. Er hatte wohl nicht gedacht, dass Lees Vorschlag so verhalten aufgenommen werden würde. Immerhin wussten doch auch die Ritter, dass der Held all die Drachen besiegt hatte und ihnen somit das Leben rettete. Wieder räusperte sich Lee, weil er wohl sah, dass er sich erklären musste: „Er hat die Barriere gesprengt und den Schläfer zurück in sein finsteres Reich geschickt. Er hat die Drachen getötet und Myrtana von den Orks befreit, wenn irgendjemand in der Lage ist Myrtana zu retten, dann er.“
    Wolf, Cypher und Jarvis nickten und murmelten zustimmend. Diego schaute nur abwartend in die Runde und Lester sah mitleidig zum Helden, weil er sich denken konnte, dass seinem Freund diese Lage gar nicht zusagte. Doch den Rittern gefiel Lees Entscheidung ganz offensichtlich gar nicht.
    „Ja, schon, aber er hat auch Keroloth getötet. Er ist ein Dieb und er trägt die Klaue Beliars“, rief Parcival und zeigte anklagend mit dem Zeigefinger auf den Helden.
    „Ja, und auf mysteriöse Weise ist das Burgtor aufgegangen, wodurch uns die Orks überfallen konnten“, setzte Tandor hinzu.
    Parlaf nickte zustimmend.
    „Ja, es kann niemand anders gewesen sein als er.“
    Der Held traf eine Entscheidung. Er redete nicht gern darüber, aber er sah die Chance gekommen seine Kein-König-Kampagne voranzutreiben.
    „Ihr habt ja Recht“, erklärte er laut, schlug die Hand des verblüfften Lee von seiner Schulter und trat ein paar Schritte vor.
    Sofort brach ein Stimmengewirr los. Selbst die Ritter sahen sich verwundert an, weil sie nicht glaubten, dass er Held seine Schuld einfach so eingestand.
    „Ja, ich war es, der das Tor der alten Burg im Minental geöffnet hat.“
    Torlof wurde plötzlich sehr blass, denn er konnte sich denken was ihm nun blühte.
    „WAS?“ fragte Lee, der aus allen Wolken fiel. „Warum?“
    Der Held mochte es nicht, darüber zu reden, aber die Tatsache, dass er sich so an Torlof rächen konnte, der ihn nicht nach Kap Dun bringen wollte, versüßte ihm die Sache.
    „Ich musste nach Irdorath und dazu brauchte ich eine schlagkräftige Mannschaft, weil ich mir dachte, dass es auf dieser Insel sehr gefährlich werden würde und ich brauchte einen Kapitän.“
    Jetzt zeigte der Held auf Torlof.
    „Torlof wollte uns aber nur unter der Bedingung dorthin bringen, wenn ich das Tor der Burg im Minental öffnen würde.“
    Als hätte sie etwas gepikt wirbelten die Ritter zu Torlof herum und starrten ihn an wie eine Horde Katzen, die gleich eine Maus im grausamen Spiel erledigen würden. Wie einige andere auch blickte Lee fassungslos auf seinen alten Kameraden.
    „Ich hätte dich umsonst hingebracht“, kam unvermittelt der ungläubige und etwas verzweifelte Ruf von Jorgen aus den Reihen der Zuhörer.
    „Ich weiß“, sagte der Held. „Ich hatte auch darüber nachgedacht dich als Kapitän zu nehmen Jorgen. Doch ich wusste auch, dass Irdorath tödliche Gefahren bot und da brauchte ich einen fähigen Kämpfer, der auch selbst kräftig austeilen konnte und das Schiff bis zum letzten Atemzug verteidigte und da sah ich dich leider nicht als den richtigen für den Job.“
    Jorgen ließ den Kopf hängen, doch es sah auch so aus, als würde er einsehen, dass er nicht der richtige im Kampf gegen die finsteren Mächte Beliars war.
    „Du hast uns also verraten, nur damit du nach Irdorath kommst?“ fragte Lord Garond erbost.
    Das reichte Lester wohl und er setzte sich für seinen Freund ein: „He, was heißt denn hier nur? Wir reden hier von einer mystischen Insel, von der kaum jemand weiß wo sie überhaupt liegt. Es war ungeheuer mutig dort hinzusegeln.“
    „Aber trotzdem“, meinte Parcival gereizt. „Dann hätte er Torlof anders überreden müssen, oder mehr Männer mitnehmen sollen und doch Jorgen als Kapitän einstellen können. Hauptsache wir wären nicht durch die Orks gefährdet gewesen. Wir hatten immerhin Opfer zu beklagen, das rechtfertigt doch nicht solch windige Gefälligkeiten.“
    „He, immerhin war ich der einzige, der überhaupt was gegen die Orks gemacht hat“, erinnerte sie der Held. „Ihr habt doch nur in der Burg herumgesessen und Trübsal geblasen, anstatt mal einen Ausfall zu machen.“
    „Es waren viel zu viele Orks. Das wäre zu gefährlich gewesen. Wir hatten schon viele Männer verloren, als wir versuchten sie anzugreifen. Wir haben unser Bestes getan und konnten keine weiteren Verluste mehr verkraften“, wehrte Udar seine Vorwürfe ab. „Du hast immerhin keine Freunde an die Orks verloren.“
    „Was du so alles weißt“, brummte der Held. „Ich hab es aber immerhin geschafft, sie alle ganz alleine zu töten. Ich bin einmal um die Burg herum gelaufen und hab gegen alle gekämpft. Natürlich war das nicht immer leicht, aber ich habe es gewagt und alle erledigt und erst dann, als kein einziger Orkhintern mehr zu sehen war, hab ich das Tor geöffnet. Es bestand eigentlich gar keine Gefahr mehr.“
    „Klar, das haben wir ja gesehen“, grollte Oric mit triefendem Sarkasmus.
    „Tja, ich weiß auch nicht, wo die alle plötzlich herkamen“, sagte der Held wenig überzeugend.
    „Verräter!“ brüllte Udar und mehrere Ritter stimmten mit ein.
    Die Stimmung kippte. Die Versammlung verwandelte sich unaufhaltsam in einen Hexenkessel. Die aufgebrachten Ritter waren drauf und dran ihre Schwerter zu ziehen und ihrem Unmut freien Lauf zu lassen.
    „Beruhigt euch! Beruhigt euch!“ versuchte Lee die Überbleibsel der myrtanischen Streitkräfte zu beschwichtigen.
    Doch der Held war zufrieden. Jetzt würde er ganz bestimmt nicht mehr zum König ernannt werden. Seine Kein-König-Kampagne war ein voller Erfolg. Milten bemerkte wohl seinen zufriedenen Gesichtsausdruck, denn er warf ihm einen tadelnden, aber auch bedrückten Blick zu.
    „Angesichts der neuen Erkenntnisse werde ich meine Entscheidung noch mal überdenken“, sagte Lee, um seine Ritter zu beruhigen.
    Seine Worte verbesserten die Laune des Helden und unwillkürlich trat ein zufriedenes Lächeln auf sein Gesicht. Lee straffte sich nun und fiel in seinen Befehlston zurück: „Setzt eure Arbeit jetzt fort! Die Wagen beladen und dann stellen Lord Hagen und Lord Garond Trupps zusammen, um die Waren an ihren Bestimmungsort zu eskortieren. Torlof, ich muss dich mal ganz dringend sprechen!“
    Der Kapitän zog den Kopf ein, wehrte sich aber nicht, als Lee ihn am Arm packte und zur Burgmauer zog. Der Sinn des Ganzen war eigentlich, dass sie ungestört reden konnten, doch Lee war so aufgebracht, dass die Wörter zu den anderen herüberwehten.
    „WIE KANNST DU IHM SO EINEN AUFTRAG GEBEN? BIST DU VOLLKOMMEN ÜBERGESCHNAPPT?“
    „ich … ich … dachte …“ war Torlofs Gestammel leise zu hören.
    „Aha, du DACHTEST, dass es lustig wäre, den Paladinen und Rittern eins AUSZUWISCHEN, ja? Du hast schon damals nicht verstanden, dass wir alle gemeinsam für eine Zukunft kämpfen müssen. Stattdessen fandest du es wohl lustig, wenn wir uns alle gegenseitig zerreißen. Und dann musstest du auch noch ausgerechnet IHM diese idiotische Bedingung stellen?! Du weißt doch, dass er ALLES macht was nötig ist, um die Aufgaben, die sich ihm stellen zu LÖSEN.“
    Während Lee noch Torlof zusammenbrüllte, fand der Held den Zeitpunkt passend, um hier zu verschwinden. Ihm gefiel nicht, wie die Ritter und Paladine ihn hasserfüllt anfunkelten und auch seine Freunde sahen irgendwie enttäuscht aus. Zum Glück fand er diesmal schneller eine Rune und gleich darauf wurde er in blaues Licht getaucht und verschwand.
    Geändert von Eispfötchen (20.10.2022 um 21:42 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Auftrag in Arbeit: Hungersnot beenden

    Der Held erschien und sah sich erstmal um, weil er herausfinden wollte, wo er überhaupt gelandet war. Wie er feststellte, stand er vor dem Stadttor von Trelis. Seine Anwesenheit blieb nicht lange unbemerkt.
    „Ihr werdet nicht glauben wer vor unserem Stadttor steht …“, war von drinnen ein aufgeregter Ruf zu hören.
    Der anschwellende Lärm sagte dem Helden, dass es in der kleinen Stadt geschäftig wurde und richtig, kurz darauf wurde das Stadttor aufgerissen und er blickte in die neugierig blitzenden Augen zahlreicher abgemagerter Bewohner.
    „Tatsächlich, du bist wieder da“, sagte der glatzköpfige Finley, der noch seine alte Rebellenrüstung trug und jetzt wohl bei der Miliz arbeitete.
    „Wo warst du?“ fragte ein anderer braunhaariger, verlotterter Typ, den der Held nicht mit Namen kannte.
    „Hatte zu tun“, antwortete der Held. „Was läuft denn so?“
    „Nicht viel“, sagte der alte Alchemist Avogadro.
    „Der Winter naht“, sagte der ebenfalls glatzköpfige Kippler von der Stadtwache wichtigtuerisch.
    „Das heißt, es wird immer schwieriger in den umliegenden Wäldern was zu Essen zu finden“, erklärte der Jäger Rendell.
    „Hast du noch was zu Essen?“ fragte ein junger Kerl.
    „Naja, ich kann ja mal nachsehen“, sagte der Held und kramte in seiner Tasche.
    Sofort wuchs die Aufmerksamkeit weiter und als er das erste Stück stark abgelagertes Fleisch zutage förderte und an ihn weiterreichte, wurde der Kreis um den Helden spürbar enger und dichter. Jeder hielt jetzt die Hand auf.
    „Hast du auch was für mich?“
    „Und für mich?“
    „Und für mich?“
    „Ich will auch was!“
    Jeder wollte plötzlich etwas abhaben. Der Held kam gar nicht nach mit weiterreichen und oft hatte er nicht einmal Zeit sich anzusehen, was das überhaupt für Essen war, dass er da hervorkramte, als es ihm auch schon aus der Hand gerissen wurde. Er merkte, dass die Männer nicht respektlos sein wollten, doch sie waren ungeduldig und so riefen sie noch schnell ein „Danke“, als sie etwas zum Verspeisen erhaschen konnten und beeilten sich dann rasch fort zu kommen. Das war gar nicht so einfach, weil sie aus dem Kreis der anderen Bittsteller ausbrechen mussten und manche legten es drauf an und versuchten ihrerseits ihnen das Essen abzunehmen. Es wurde geschuppst, geschlagen, getreten, aufgeheult, weg- und hinterhergerannt. Während der Held weiter seine Taschen durchwühlte, erinnerte ihn das Verhalten der ihn umgebenden heruntergekommenen Männer an ausgehungerte Bluthunde, die eifersüchtig um Fleisch kämpften. Doch die ausgehungerten Männer nahmen nicht nur Fleisch, sie schnappten sich alles was der Held ihnen unter die Nase hielt, egal ob es uralter Käse, stinkender Fisch, gammliges Brot oder ominöse Pilze waren. Es war ihnen offenbar ganz egal. Jeder war froh, wenn er irgendwas abbekam. Dem Helden fiel es schwer den Überblick zu behalten. Schon waren die ersten wieder da und hielten erneut die Hand auf. Dabei hatten andere noch gar nichts bekommen. Der Held bemühte sich um Fairness, aber das war schwer, weil alle gleichzeitig auf ihn einredeten und sich um ihn drängten.
    „Ich will! Hier ich!“, „Nein ich, du hattest schon ein Stück Brot, und ich? Ich hab immer noch Hunger“, „Pah, ich bin noch viel hungriger. Ich hab genau gesehen, dass du gestern erst einen Fisch gegessen hast“, „Lüge, Lüge, weiß nicht was du da gesehen haben willst“, „He, hier, ich hatte noch nichts, gib mir auch was ab!“, „Und was ist mit mir? Willst du, dass ich verhungere?“
    „So das war alles, ich hab nichts mehr“, sagte der Held, was nicht ganz der Wahrheit entsprach.
    Er hatte noch eine Flasche Milch, aber die wollte er sich aufheben, für schlechte Zeiten.
    Zuerst wollten die Männer nicht wahrhaben was er sagte.
    „Ach komm, du hast doch bestimmt noch was.“
    „Nur was kleines, ein Fitzelchen.“
    „Irgendetwas.“
    „Nein, ich hab nichts mehr“, sagte der Held, hob die Hände und ließ sie dann wieder fallen, um zu zeigen, dass er es auch nicht ändern konnte.
    Enttäuschtes Raunen machte sich breit. Den Helden erinnerte das eben Erlebte an seinen Auftrag, den er bei Lobarts Hof in sein Tagebuch geschrieben hatte: Die Hungersnot beenden.
    So wie er sich das so ansah, sollte er gleich damit anfangen.
    „Um Trelis war doch früher ein kleiner Hof. Was ist damit passiert?“
    „Was soll schon damit passiert sein?“ fragte Tyler, dessen Rüstung ihm klappernd um die abgemagerte Gestalt hing. „Ist verwildert, weil sich keiner mehr drum gekümmert hat.“
    „Wir brauchen den Hof aber. Ich habe Saatgut von Khorinis organisiert.“
    Die Männer reagierten nicht so positiv, wie er erwartet hatte.
    „Bis das Zeug angewachsen und reif für die Ernte ist, sind wir doch schon längst verhungert“, knurrte Rendell missmutig.
    „Wir haben auch wieder Nahrungsmittel von Khorinis mit dem Schiff aufs Festland gebracht. Lee stellt gerade alles zusammen und lässt die verschiedenen Ortschaften damit beliefern.“
    Großes Ah und Oh war die Resonanz.
    „Ja, na dann… das ist natürlich was Anderes.“
    „He, vielleicht schaffen wir es doch über den Winter“, sagte einer und ein seltenes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht.
    „Hier muss doch vorher auch schon mal eine Vorratslieferung gekommen sein“, sagte der Held.
    „Ja, aber das ist schon ewig her und die hat kaum eine Woche gereicht“, erklärte Tyler.
    „Also wenn wir wirklich was anbauen sollen… Cole hat noch am meisten Ahnung von der Feldarbeit, der war mal Bauer, aber er ist krank. Irgendein Fieber“, sagte Kippler von der Stadtwache.
    „Liegt hinten in einer der Hütten“, sagte Rendell und zeigte hinter sich auf Trelis.
    „Hm… hätten ihm was aufheben sollen“, regte sich beim Alchemisten Avogadro das schlechte Gewissen.
    „Ach was, so schlecht wie es ihm geht, hätte er es nur wieder ausgekotzt“, meinte Kippler und Tyler stimmte zu: „Und wenn er abkratzt wäre das gute Essen verschwendet gewesen.“
    Selbst dem Helden ging auf, dass sich ein rauer Ton, ähnlich wie damals in der Barriere breitgemacht hatte. Auch in Khorinis oder als er das erste Mal auf dem Festland ankam, war es für die Bürger oft nicht leicht gewesen, aber die Situation hatte sich noch einmal deutlich verschärft. Wo früher Zusammenhalt im Angesicht der Bedrohung durch die Orks war, hieß es jetzt, jeder für sich. Der Held dachte sich, dass das ein großes Problem werden könnte, denn nur wenn die Menschen zusammenhielten, konnte die nächste Ernte eingefahren werden, sonst könnte es leicht passieren, dass einige mehr oder weniger diszipliniert zusammenarbeiteten und die anderen die Ernte dann schon vor der Zeit aus dem Boden rupften und ohne Rücksicht auf andere aufbrauchten.
    „Kennt sich hier sonst jemand mit Feldarbeit aus?“ fragte der Held in die Runde. „Hier gab es doch früher so einige Bauern.“
    „Da hier nichts zu holen ist, sind viele abgehauen. Josh hat seinen alten abgewrackten Hof aufgegeben und ist so viel ich weiß nach Kap Dun gegangen, hofft da wohl Fisch zu fangen. War eh immer ein Angsthase, der sich lieber nach anderen richtete, als sein Leben selbst in die Hände zu nehmen“, grummelte Rendell.
    „Ich hab mal ein paarmal als Tagelöhner auf einem Hof in Montera gearbeitet“, erklärte Steve, den der Held noch als Großmaul in Erinnerung hatte und daher nicht viel auf seine Worte gab. „Aber das ist auch schon viele Jahre her und vom Säen verstehe ich nichts. Ich musste damals nur das Unkraut zupfen und die Rüben gießen. Mehr habe ich nicht gelernt.“
    „Sieht so aus, als wenn wir Cole sofort wieder brauchen. Bringt mich zu ihm“, sagte der Held entschieden.
    Ein Teil der Menschenansammlung hatte sich bereits aufgelöst, nachdem klar war, dass es kein Essen mehr geben würde. Der Rest lief jetzt neben dem Helden her und folgte ihm auf Schritt und Tritt in der Hoffnung, dass noch etwas Spannendes geschehen würde, dass sie von ihrer derzeitigen miesen Situation ablenken konnte. Sie durschritten das Stadttor und dem Helden präsentierte sich ein heruntergekommenes Trelis. Eigentlich hatte er erwartet, dass die Stadt langsam wieder vorzeigbar wäre, aber im Gegenteil. Während der Besatzung durch die Orks, war es hier größtenteils sauber und aufgeräumt gewesen, jetzt lag überall Unrat. Er hatte nicht den Eindruck, als würde es noch irgendwen kümmern wie die Umwelt, in der sie lebten, aussah.
    „Ah, wie ich sehe, steht gerade der jährliche Haarschnitt an“, erkannte der Held, als er zwei Männer beobachtete, die sich kurz angebunden um diese Aufgabe kümmerten.
    Der eine saß auf der Mauer neben dem Tor und schaute finster zum anderen hoch, um ihn zu ermahnen auch genau zu zielen, während der Frisör ein Büschel Haare aus dem Gesicht des Sitzenden griff, mit dem Schwert ausholte und die lästigen Haare, die sonst störend ins Gesicht hingen, radikal absäbelte. Der Griff löste sich, die braunen Haare fielen zu Boden. Kurz sahen beide Männer hinab, als gäbe es da etwas Besonderes zu sehen. Der Frisierte schüttelte kurz den Kopf und zerwuschelte sich die restlichen Haare, schielte hoch zur Stirn, um zu sehen, ob auch genug Haare entfernt wurden, damit es für ein Jahr reichte, nickte dann, stand auf und empfing das Schwert des Frisörs, der sich jetzt setzte, so dass sie die Rollen tauschten.
    Der Held und die kleine Schar von Gaffern kamen zum Haus, in das sich Cole in seinem Elend zurückgezogen hatte. Als der Held es betrat, hörte er ein schmerzerfülltes Stöhnen. Cole lag in wirklich schlechter Verfassung im Bett. Er sah fiebrig aus, seine braunen Augen rollten ziellos umher und natürlich war er genauso hager wie all die anderen Männer in Trelis. Seine braunen Haare waren ungepflegt und verfilzt, sein ganzer Körper glänzte vor Schweiß und er stank erbärmlich.
    „Er sieht ja aus wie eine vom Urvieh ausgekotzte Sumpfleiche. Warum habt ihr ihm denn keinen Heiltrank gegeben?“ fragte der Held erstaunt.
    „Was denn für einen Heiltrank?“ fragte Rendell, der ihm, zusammen mit einigen anderen Bewohnern von Trelis, gefolgt war.
    „Wir haben keine Heiltränke mehr, nicht nachdem wir während des Sklavenaufstands alle verbraucht hatten“, erklärte Tyler. „Im Wald haben wir noch ein paar Heilpflanzen gefunden, aber die gingen in letzter Zeit auch immer für irgendwelche Verletzungen drauf. Wir haben im Wald gesucht, aber nichts mehr gefunden.“
    Cole stöhnte erneut und wälzte sich im Fieberwahn herum. Vermutlich hatte er noch gar nicht gemerkt, dass er Besuch hatte.
    „Weiß einer was sein Problem ist?“ fragte der Held und musterte Cole eindringlich.
    „Er erzählte, dass ihn wohl irgendwas gestochen hat, als er im Wald Pilze gesucht hat, vielleicht war es eine Blutfliege“, gab Kippler wage Auskunft und fuhr sich unbehaglich über seinen kahlen Kopf.
    „Hm…“, kam es vom Helden und er strich sich über den Bart. „Ich geb ihm mal einen großen Heiltrank und dann werden wir ja sehen wie es ihm dann geht.“
    Wieder kramte er in seiner Tasche herum und holte eine große, bauchige rote Flasche hervor, die er entkorkte, dann sperrte er umstandslos den Kiefer von Cole mit der linken Hand auf und flößte ihm mit Rechts die Flüssigkeit ein. Der Bauer hatte Glück, offenbar hatte er irgendwie gemerkt, dass er was trinken sollte und so den Trank nicht in den falschen Hals bekommen. Als er die Hälfte des Tranks intus hatte, riss er die Augen auf und als der Held die Flasche endlich absetzte, richtete sich Cole urplötzlich auf und holte laut und erschöpft Atem.
    „Wolltest du mich ersticken?“ krächzte Cole empört.
    Der Held sah ihn verwundert an.
    „Nein, wieso? Der Trank hat dir doch geholfen oder nicht?“
    Cole ließ sich wieder auf sein Lager fallen und atmete immer noch angestrengt, um wieder zu Atem zu kommen.
    „Ja, schon. Noch erschöpft, aber besser, viel besser“, sagte Cole schnaufend.
    Nachdem er einige Minuten um Atem gerungen hatte, fragte er: „Wo kommst du überhaupt her?“
    „Von Khorinis. Bin mit dem klapprigen Schiff von Lee gekommen. Bald wird euch ein Wagen mit Saatgut erreichen und wir brauchen eine gute Stelle zum Anpflanzen der Wintergerste und der Rüben.“
    „Anpflanzen? Wer soll das denn machen? Sind doch alle zu erschöpft und ist doch keiner Ahnung mehr da, der noch Ahnung von sowas hat“, kam es mürrisch von Cole.
    Der Held sah ihn nachdenklich an. Er hatte Cole als optimistischen Bauern in Erinnerung, doch die letzte Zeit hatte ihm wohl wirklich übel mitgespielt.
    „Deswegen brauchen wir ja dich“, kam es jetzt brüsk von Tyler.
    „Ach, so ist das also“, knurrte Cole. „Wenn ihr mich nicht gebraucht hättet, wäre es euch wohl egal gewesen was aus mir geworden wäre. So eine üble Bande seid ihr.“
    „Nein, so war das nicht“, beteuerte Rendell.
    „Du willst doch nächstes Jahr auch was zu Essen haben“, meinte der Held. „Also machst du jetzt mit?“
    Cole seufzte tief.
    „Was bleibt mir anderes übrig? Wer hätte gedacht, dass es eines Tages die Bauern sind, die Myrtana retten müssen? Ach.“
    Mit einem tiefen Ächzen schwang er die dürren Beine über den Bettrand und stand mühsam auf. Er stolperte unkoordiniert vorwärts.
    „Meine Güte, wie lange habe ich denn gelegen?“
    „Bestimmt eine Woche oder so, wir haben leider keine Heilkräuter im Wald gefunden“, erklärte Rendell.
    Von Cole kam ein verstimmtes Schnauben.
    „Dann helft mir wenigstens, wenn ich den Karren aus dem Dreck ziehen soll.“
    Der Held konnte dem Bauern ansehen, dass er es nicht mochte auf die Hilfe der anderen angewiesen zu sein, doch andererseits erinnerte es die Menschen von Trelis vielleicht auch daran, dass sie diese schwere Zeit nur zusammen überstehen würden. Unerträglich langsam ging es durch Trelis. Einige Männer, die sich vorhin abgewandt hatten, schauten nun neugierig herüber und immer mehr schlossen sich der Gruppe um den langsamen Cole an der von Rendell und Kippler auf seinem Weg gestützt wurde.
    Ein lauter Schrei ertönte, der Frisör hatte offenbar nicht sorgfältig gezielt, doch wie sich herausstellte war es keine Enthauptung, sondern nur ein Kratzer, der jedoch genäht werden musste, damit das Fleisch einigermaßen zusammenwachsen würde. Die anderen kümmerten sich nicht weiter darum. Der Held stöhnte genervt, als sie das Tor von Trelis durchquerten und über die verwilderten Pfade zum alten Bauernhof gingen. Er mochte es nicht, wenn sich etwas so hinzog. Endlich hatten sie es geschafft und der sichtlich vernachlässigte Bauernhof von Trelis kam in ihr Sichtfeld. Er lag am Wasser, doch die Felder hatten früher auf der anderen Seite des Weges gelegen. Beim Hof selbst waren nur die Tiere und Menschen untergekommen.
    „Da ist er ja“, sagte Cole und ein kleiner, leicht zu überhörender Unterton verriet, dass der Bauer bei diesem Anblick nostalgisch wurde. „Das ist vom alten Gehöft übriggeblieben. Traurig. Der kleine Acker da drüben sollte nicht das Problem sein. Über die Jahre ist es immer weniger geworden. Ja, sieht schlimm aus, überall Unkraut, aber das können wir rausziehen. Dann graben wir um und die Saat kommt in die Erde. Das größere Übel ist, dass dieser kleine Acker uns nicht lange ernähren wird. Früher war der Acker hier einen halben Hektar groß, aber das ist schon einige Jahre her. Ein bisschen kann man die Umrisse noch erahnen. Doch mittlerweile stehen dort junge Bäume. Wenn es wirklich was werden soll, dann müssten wir auch noch mindestens ein Viertel des alten Ackers nutzen und dazu müssen wir diese Bäume fällen und was viel schwieriger werden wird, die Wurzeln rausreißen.“
    „Hm… und?“ fragte der Held und dachte nach.
    Auch Lobart hatte das auf Khorinis als Problem gesehen, erinnerte er sich.
    „Na wie sollen wir abgehungertes Pack die festen Wurzeln aus der Erde bekommen?“ bellte Cole. „Wir können froh sein, wenn wir es in unserem geschwächten Zustand schaffen, das Unkraut rauszureißen.“
    Zustimmendes Gemurmel kam von den Männern, die in Trelis hausten.
    „Verstehe. Ich denke, ich weiß da was“, sagte der Held, denn er war der Meinung, dass es für jedes Problem eine Lösung gab.
    Kurzerhand beschwor er einen Golem und trug ihm auf: „Reiß die Bäume dort auf dem zugewachsenen Feld samt der Wurzel raus!“
    Der Golem stand erst still und starr und die Menschen dachten, er wüsste mit dem Befehl nichts anzufangen, aber dann setzte er sich doch in Bewegung, ging zum ersten Bäumchen und rupfte es umstandslos aus dem Boden, als wäre nichts weiter dabei.
    „Seht ihr, kein Problem.“
    „Hm… ja, gut, tolle Idee“, lobte Cole. „Aber willst du die nächsten Wochen bei uns bleiben, während wir die Felder herrichten? Immerhin werden wir mit einem Pflug das Feld umgraben und dazu braucht es auch viel Kraft.“
    „Hm…“, kam es nachdenklich vom Helden. „Eigentlich hatte ich nicht vorgehabt so lange zu bleiben.“
    „Dachte ich es mir doch“, gab Kippler seinen Senf dazu.
    Der Held grübelte über dieses Problem, während sie dabei zusahen wie der Golem die Bäume rausriss. Er ließ die Stämme liegen wo er sie herausgerupft hatte und brach einmal ein Stamm, kniete er sich hin und grub die Wurzel aus. Offenbar hatte dieser Golem eine glänzende Karriere als Landschaftsgärtner vor sich.
    „Ich könnte euch die Golemrune übergeben, aber es braucht den dritten Kreis der Magie um ihn nutzen zu können. Außerdem ist es nicht ganz einfach, dass er auch tut was ihm Befohlen wird. Das sind hier schon spezielle Aufgaben. Vielleicht ist es besser, wenn ich euch eine Tierrune übergebe. Das erfordert nicht unbedingt einen Kreis der Magie. Größere Tiere wie Ripper und Schattenläufer sollten einen Pflug problemlos ziehen können.“
    Die meisten Männer um ihn herum sahen ihn verständnislos an, aber bei einigen war der Erzbrocken gefallen.
    „Du willst, dass wir uns in ein Monster verwandeln?“ fragte Tyler empört.
    „Warum nicht? Natürlich sollte es jemand sein, der ein Talent für Magie hat, aber da gibt es doch bestimmt jemanden bei euch. Es sollte außerdem jemand sein, der nicht gleich auf alle anderen losgeht, sondern, der ein gewisses Vertrauen unter euch genießt. Er kann dann schwere Arbeiten als Tier verrichten und die Felder vor der Zerstörung durch Biester oder Räuber bewahren. Aufgrund der schweren Arbeit sollte er aber auch bevorzugt von den anderen Essen erhalten.“
    Lautes Gemurmel ging durch die Schar der abgemagerten Männer. Sie tauschten Blicke, jeder sagte seinen Teil. Doch offenbar waren sie so verzweifelt, dass sie bereit waren, alles zu versuchen, um ihre Lage zu verbessern.
    „Na gut, wir versuchen es.“
    „Und wer soll es sein?“, fragte der Held.
    Die Männer berieten sich und die Wahl fiel schließlich auf Rendell den Jäger, mit dem sich die meisten gut verstanden.
    „Aber wir müssen ihn dann auch Kennzeichen, damit andere nicht denken, dass es sich um ein wildes Tier handelt.“
    „Wir wäre es, wenn wir ihm einen Schal umlegen? Wilde Bestien laufen normalerweise nicht mit Klamotten herum“, schlug der abgerissene Hengley vor.
    „Hört sich gut an, probieren wir es“, sagte Rendell, der selbst kein Opfer von Jägern werden wollte.
    Der Held übergab ihm den Druidenstein eines myrtanischen Schattenläufers, den er vor einiger Zeit von dem Druiden Runak erhalten hatte.
    „Probiere es gleich mal aus!“ schlug der Held vor.
    Rendell schaute skeptisch auf die Rune in seiner Hand.
    „Ich hab vorher noch nie eine Rune benutzt, nur zwei drei Schriftrollen während des Orkkriegs“, murmelte er.
    „Du schaffst das“, sprach Tyler ihm etwas ruppig Mut zu.
    Rendell atmete einmal ganz tief durch, hob dann die Rune und konzentrierte sich. Der Held hatte das Gefühl, dass es etwas länger dauerte, doch tatsächlich stand bald ein myrtanischer Schattenläufer vor ihm. Die Stadtbewohner schauten erstaunt den verwandelten Jäger an und der schaute selbst verwundert zurück und dann seinen neuen Körper an.
    „Wow, ich hab einen Schattenläufer noch nie von so nahem gesehen“, sagte Cole erstaunt.
    „Ich ja, einen toten“, sagte Kippler trocken.
    Rendell knurrte ihn an.
    „He, das war nicht gegen dich gerichtet“, stellte Kippler sofort klar.
    „Gut, basteln wir ihm ein Geschirr und versuchen es ihm anzulegen“, schlug Cole vor.
    „Aber wir brauchen mehr essen, wenn wir hier vernünftig arbeiten sollen“, meinte Kippler.
    „Warum geht ihr nicht auf die Jagd?“ schlug der Held vor.
    „Das ist schon sehr anstrengend in unserer Lage und noch Wild zu finden ist äußerst unwahrscheinlich. Vor einem Monat haben wir das letzte Wildschwein getötet, seitdem haben wir nicht mal mehr etwas Essbares gesehen“, erklärte Hengley.
    „Verstehe“, sagte der Held.
    „Naja, vielleicht hat sich seitdem wieder etwas angesiedelt. Wir sollten es versuchen“, meinte Finley, der jetzt hoffnungsvoller klang.
    Cole wandte sich an Rendell: „Du bleibst hier und machst dich mit deinem neuen zweiten Körper vertraut. Ich werde mal sehen was noch an Werkzeugen zu gebrauchen ist. Tyler, Finley, Gernot, Avogadro und Hengley gehen in kleinen Gruppen auf die Jagd. Gehst du auch mit?“
    Er sah den Helden bittend an.
    „Klar.“

    Sie brachen auf. Der Held war zusammen mit Avogadro unterwegs während Finley, Hengley, Tyler und der ehemalige Orksklave, der also Gernot hieß, weiter nördlich nachzusehen wollten, ob es dort etwas zu holen gab. Sie gingen durch den dichten bunten Herbstwald, wobei sie beim Gehen durch das lasche Laub raschelten. Das könnte für die Jagd ein Problem werden. Die Bäume waren immer noch sehr schön verfärbt. Es war frisch, aber die Sonne schien. Es war ein angenehmer Herbsttag. Sie kamen nur langsam voran. Der Held musste immer wieder auf seinen Begleiter warten, der sich hin und wieder gegen einen Baum lehnte und heiser atmete. Avogadro hielt sich den Bauch. Offensichtlich hatte der alte Alchemist große Schmerzen, doch dem Helden fiel nicht ein, was er deswegen tun sollte. Ein Heiltrank half nicht gegen den Hunger. Während er wartete, suchte der Held den Boden nach Spuren ab. Bisher hatte er nur einige Abdrücke von kleinen Vögeln gesehen. Er hörte einige Amseln geschäftig zwischen dem Laub rascheln, wo sie nach Würmern und kleinen Käfern suchten.
    „Vielleicht finden wir ja Pilze“, sagte Avogadro hoffnungsvoll.
    „So wie diese da?“ fragte der Held und zeigte auf schleimige lange schwarzgraue Exemplare, die unter einem umgestürzten Baum wuchsen.
    Avogadro winkte ab.
    „Nein, das sind Schattenröhrlinge, die sind giftig, aber da vorne links sehe ich Staudenknöterich. Den können wir uns holen.“
    Der Alchemist zeigte auf eine unscheinbare Pflanze mit breiten hängenden Blättern. Dem Helden wäre nie aufgegangen, dass man damit etwas anfangen könnte, doch Avogadro holte ein kleines Messer aus der Tasche und mühte sich damit ab die Stängel zu durchtrennen.
    „Geh mal zur Seite!“ befahl der Held und hieb ein paar mal mit der Klaue Beliars aufs Kraut.
    Das Schwert war wohl wütend, dass es für solche Arbeiten missbraucht wurde, denn es ließ einen Blitz entfahren und röstete die Pflanzen, bis sie nicht mehr zu gebrauchen waren.
    „Oh nein“, jammerte Avogadro.
    „Hm… lief nicht so wie gedacht. Besser ich nehme nächstes mal ein anderes Schwert.“
    Der alte Alchemist sah ihn bestürzt an.

    Der Held hatte eigentlich erwartet, dass sie wirklich etwas zu jagen finden würden. Doch es ließ sich nichts blicken. Kein Reh, kein Wildschwein, nicht mal ein Hase, oder Reptilien. Es gab auch überhaupt keine Spuren dieser Tiere. Vögel dagegen gab es reichlich. Sie tschilpten in den Ästen und sammelten sich für ihre Reise in den Süden, doch waren sie viel zu klein, um eine Mahlzeit abzugeben und selbst wenn man sie in Betracht zog, waren sie mit Magie oder noch schwieriger mit Pfeilen und Bolzen nahezu unmöglich zu treffen. Stattdessen liefen sie durch den Wald und sammelten Kräuter und unscheinbares Gewächs, gruben Knollen und Wurzeln aus und suchten Pilze. Der Held musste zugeben, dass Avogadro‘s breites Wissen über Pflanzen ihn beeindruckte. Als er das ansprach, lächelte der alte Alchemist dünn und erklärte, dass er sein umfangreiches Wissen über Pflanzen und Pilze gerne anderen vermittelte, damit sie nicht verhungerten. Es dämmerte, als Avogadro meinte, sie sollten nach Trelis zurückkehren. Eigentlich fand der Held, dass sie in der Nacht bestimmt etwas finden würden, denn dann kamen die Raubtiere aus ihren Verstecken. Als der Held das ansprach, wurde Avogadro’s Gesicht blass und er bestand darauf so schnell wie möglich in die sichere Stadt zurückzukehren. Dort luden sie gerade ihre Funde in der Gemeinschaftsküche im Rathaus ab, als sie hörten wie sich draußen ein Tumult bildete.
    „Gernot ist nicht zurückgekommen!“ rief ihnen ein Typ zu, den der Held nicht mit Namen kannte.
    Avogadro und der Held ließen alles stehen und liegen und liefen nun ebenfalls nach draußen. Hengley, Finley und Tyler waren völlig außer Puste und waren augenscheinlich dem Zusammenbruch nahe.
    „Schattenläufer“, japste Tyler.
    „Hat Gernot erwischt“, fügte Finley hinzu und stützte seine Hände auf den Knien ab.
    „An eurer Zusammenarbeit müsst ihr noch arbeiten, wenn ihr ihn einfach so zurückgelassen hat“, sagte der Held.
    Finley und Tyler zogen beschämt die Köpfe ein. Sie waren Krieger. Von dem Helden gerüffelt zu werden machte wohl mehr Eindruck auf sie, als wenn es jemand aus Trelis wäre. Hengley fühlte sich aber wohl nicht schuldig. Er hatte immer eine große Klappe, aber die anderen wussten, dass nichts dahintersteckte und er kein großer Kämpfer war und man sich daher nicht auf ihn verlassen konnte.
    „He, wir konnten nichts mehr tun. Das Mistvieh ist einfach aus dem Gebüsch gesprungen und hat Gernot den Kopf abgebissen“, verteidigte sich Finley, von dem sich der Held erinnerte, dass er früher immer gern den starken Mann markiert hatte.
    „Wo war das?“ wollte der Held wissen.
    Aufgeregt und immer noch atemlos beschrieben Finley, Henley und Tyler ihm den Weg.
    „Wo willst du hin?“ fragte Tyler verwundert, als er sah wie der Held sich zum Gehen wandte.
    „Na den Schattenläufer jagen“, rief der Held den Bewohnern von Trelis über die Schulter und verließ die Stadt.

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Mit den Augen eines Schattenläufers

    Der Held fand sich gut zurecht. Nach den Beschreibungen von Finley, Tyler und Henley wusste er wonach er suchen musste. Es war mitten im Wald an einem Felsen über den ein umgestürzter Baumstamm lag. Der Held erinnerte sich, dass er während seines ersten Aufenthalts auf dem Festland hier einen Kronstöckel gefunden hatte. Mittlerweile war es tiefe Nacht. Die vom Herbst verfärbten Bäume waren nur noch als dunkle Umrisse zu erkennen. Das Laub raschelte verräterisch laut in der Stille der Nacht. Jetzt schwiegen die meisten Vögel. Der Held hörte den leisen Ruf einer jungen Schleiereule, der kurze Zeit später von einem Altvogel in größerer Entfernung beantwortet wurde. Während der Held durch den Wald ging, überlegte er Uriziel mal wieder zu benutzen. Es war schon lange her, dass er dieses prächtige Schwert geführt hatte und nun da es wieder in seinem Besitz war, wäre es an der Zeit es auch mal wieder zu benutzen. Seine Hand fuhr zu seiner Hosentasche. Etwas knisterte und zischte an seinem Gürtel, als er in seiner Tasche herumkramte, auf der Suche nach dem einzigartigen magischen Schwert. Doch plötzlich hielt der Held in seiner Bewegung inne. Ein seltsames Gefühl zog an seinen Gedanken. Für einen Moment nahm er seine Umgebung gar nicht mehr richtig war, so als wäre er tief in Gedanken versunken, oder von zu viel Sumpfkraut benebelt. Es fiel ihm schwer richtig nachzudenken, dabei gab es im Moment eigentlich nicht viel worüber er sich Gedanken machen müsste. Er wollte doch nur Uriziel anl… aber wozu überhaupt? Eigentlich war die Klaue Beliars doch viel besser. Die Vorfreude auf einen guten Kampf mit diesem Schwert und dieses Gefühl, wenn er es vom Gürtel zog und durch die Luft schwang, einfach unbeschreiblich. Das herrliche Geräusch das es machte, wenn es sich mit einer totbringenden elektrischen Entladung auflud um seine Feinde zu grillen. Das wunderbare Gefühl jeden Kampf für sich entscheiden zu können, machen zu können was immer er wollte, ohne Angst haben zu müssen irgendwelche Konsequenzen würden darauf folgen. Niemand würde sich gegen die Klaue stellen wollen. Er sah es in den Augen seiner Widersacher. Sie fürchteten sich vor der Klaue. Ja, sie hatten panische Angst. Und selbst diejenigen, die nicht seine Feinde waren, hielten respektvoll Abstand und kamen gar nicht auf den Gedanken ihm irgendwelche Vorschriften aufzuerlegen. Gut, sie hatten ihn zum König machen wollen, doch seine Kein-König-Kampagne war wohl ein voller Erfolg gewesen. Das wäre also vom Tisch. Jetzt würde ihn nichts mehr von der Klaue trennen. Nichts konnte ihn aufhalten, er war unbezwingbar. Er konnte tun und lassen was immer er wollte. Alles durch die Macht dieses Schwertes. Der Held lächelte etwas debil, während seine Gedanken schwerfällig um die Klaue kreisten. Gedankenabwesend zog er seine Hand aus seiner Hosentasche und strich fast schon zärtlich über den kalten Stahl des schwarzen Todesschwerts. Feine elektrische Entladungen knisterten um seine Hand. Ein angenehmes Prickeln durchströmte ihn. Einfach herrlich dieses Schwert. Die Gedanken des Helden wurden wieder aktiver. Er sah sich um. Was wollte er noch gleich tun? Ach ja, den Schattenläufer suchen. Also weiter durch den Wald. Er versuchte möglichst leise zu sein, doch das viele Laub auf dem Boden erschwerte sein Vorhaben, andererseits es half ihm die Stelle zu finden, wo Gernot angegriffen wurde. Es war deutlich zu sehen. Abgeknickte Zweige und aufgewühltes Laub zeigten was hier geschehen war. Der Held zog die Klaue Beliars und schlug sich in die Büsche, dorthin wo ihm die Schleifspuren zeigten, dass die Bestie Gernots Körper durchs Unterholz gezogen hatten.
    Eine Wolke schob sich vor den Mond, dessen fahles Licht ohnehin nur schwer durch das Dach der alten Bäume drang. Immerhin war dies hier zumindest ein kleines Abenteuer und der Held genoss es wieder auf der Jagd zu sein. Er atmete so leise, dass es nicht zu hören war und schob sich behutsam durchs dichte Unterholz. Trotz all seiner Sorgfalt war er bereits entdeckt wurden. Der Schattenläufer sprang knackend aus einem dichten Gebüsch und drohte auch ihm den Kopf abzubeißen, doch der Held riss noch rechtzeitig die Klaue Beliars hoch, so dass die Klinge tief in den ungeschützten Bauch der Bestie drang. Ein gequältes Stöhnen drang aus der Kehle des Tieres, als es ihn mit seinem Gewicht umwarf und tot auf seinem Leib zusammenbrach. Der Held schob den Schattenläufer ein Stück zur Seite, um aufstehen zu können und zog die Klaue Beliars aus dem toten Tier. Das war ihm zu leicht gewesen. Ein Angriff und das Biest war erlegt, doch er musste zugeben, dass dieses Tier ein erfahrener Jäger war. Nicht nur, dass es genau gehört hatte, wo er war, es hatte es auch geschafft ihn so zu überrumpeln und bisher vor allen Menschen verborgen zu bleiben. Der Held zog dem Schattenläufer das Fell ab und schnitt das große Horn vom Kopf, so wie er es immer tat. Er ließ den Kadaver im Wald zurück und setzte seinen Weg fort, indem er den Schleifspuren folgte. Sie führten ihn zu einer mit buntem Laub bedeckten Grube im Waldboden. Dort hatte der Schattenläufer ein tiefes Loch in die rötliche Lehmwand gegraben. Der Held lugte hinein, doch in der Finsternis konnte er nichts erkennen. Doch hörte er etwas im Inneren. Dort musste noch etwas Lebendiges sein. Hatten seine Kameraden den Helden angelogen? Lebte Gernot etwa doch noch? Der Held sprach einen Lichtzauber und kletterte mit gezücktem Schwert in das Erdloch hinein. Es war eng und roch stark nach Raubtier. Der Held umklammerte das Heft der Klaue fester, bereit auf alles einzuschlagen, dass ihm entgegenspringen könnte. Der Lichtschein seines Zaubers fiel auf die zerrissenen Überreste von Gernot. Der Held hatte sich das schon gedacht. Schattenläufer töteten ihre Beute immer sofort. Doch warum hatte er sie hierhergeschleppt? Sonst fraßen sie ihr Futter an dem Ort, an dem sie es erlegt hatten. Er hörte Bewegungen und leise hohe Geräusche. So etwas hatte er noch nicht gehört. Wie ein Fiepen, oder Winseln. Er trat näher und das bleiche Licht fiel auf vier zitternde kleine Fellhaufen, die sich ängstlich gegen die hintere Wand des Baus drängten. Offenbar hatte der Schattenläufer Junge. Sie waren völlig hornlos und hatten schwarzbraun gemustertes Fell, vielleicht, um besser getarnt zu sein. Am Rücken war es struppig und stand ab. Die Krallen waren noch sehr klein und sahen überhaupt nicht bedrohlich aus. Die Schwänze waren wuschelig. Ihre großen blauen Augen schauten furchtsam zu dem Helden auf und nun, da sie erkannten, dass sie nicht länger verborgen waren, stießen sie noch mehr ängstliche Laute aus. Es war etwas zwischen fiepen, winseln, jaulen und miauen und hörte sich herzzerreißend an. Nun wurde dem Helden einiges klar. Tyler, Henley, Finley und Gernot waren dem Schattenläuferbau zu nah gekommen und die Mutter hatte die Jäger sowohl als Bedrohung als auch als willkommenes Futter für ihre Jungen gesehen. Der Held hob die Klaue Beliars, die erwartungsvoll knisterte, um das kurze Leben der jungen Tiere zu beenden, doch dann verharrte er plötzlich. Er hatte immer alle Biester erschlagen, die sich ihm gezeigt hatten, doch normalerweise hatten sie das Potential ihn anzugreifen, oder zumindest zu fliehen. Diese kleinen Pelzhaufen waren völlig wehrlos. Sie zitterten heftig und weinten noch lauter, drückten sich an ihre Geschwister, so als könnte sie das vor ihrem schrecklichen Schicksal bewahren. Vielleicht waren diese vier die letzten myrtanischen Schattenläufer, die es gab, ging es dem Helden durch den Kopf. Die Bewohner von Trelis hatten ihm erzählt wie wenige gefährliche Tiere es mittlerweile in Myrtana gab. Selbst ein Wolf galt nun als reißende Bestie und wer einen tötete, wurde als großer Held gefeiert. Würden so zukünftige Heroen aussehen? Wolfstöter? Schattenläufer würden der Vergangenheit angehören und nur ihre Felle und Hörner würden Zeugen einer gefährlichen, aber auch interessanten Fauna sein, die der Menschheit noch etwas entgegenzusetzen hatte. Der Held dachte sich, dass es dann ganz schön langweilig auf der Jagd werden würde. Wo blieb der Nervenkitzel, wenn das Gefährlichste was einem über den Weg lief ein Wolf, oder ein Scavanger war? Der Held ließ die Klaue langsam sinken, die erbost zischte. Er drehte sich um und verließ den Bau, kletterte die Grube hinauf und ging den Wildpfad durch die dunkle Nacht zurück. Sein Licht fiel auf den gehäuteten Kadaver der Schattenläufermutter. Ohne sie würden die Jungen wohl nicht lange überleben. Er hätte sie genauso gut töten können. Der Held stand einen Moment unschlüssig vor den Leichnam. Es war seltsam. Er wusste für einen Moment nicht was er tun sollte. Was kümmerten ihn eigentlich diese kleinen Biester? Er konnte ihr erbärmliches Winseln bis hier draußen hören. Sie hatten wohl bemerkt, dass etwas nicht stimmte und wehklagten laut. So würden sie auf jeden Fall auf sich aufmerksam machen, dachte sich der Held. Die Bewohner von Trelis hatten vielleicht Angst, aber sie würden bestimmt früher oder später jemanden schicken, um zu sehen, wo er geblieben war. Normalerweise wurde Schattenläuferfleisch nicht verspeist, aber die Menschen waren so hungrig, sie würden wohl alles essen, egal ob es schmeckte, oder nicht. Für sie waren Schattenläufer eine echte Bedrohung. Wenn die kleinen Biester doch nur irgendwo anders wären. Irgendwo am Rande Myrtanas. Dort könnten sie leben, ohne den Menschen über den Weg zu laufen. Das wäre wohl für beide Parteien besser. Die Mutter hätte lieber einen Bau weiter Westlich graben sollen. So lag er genau im Waldstück zwischen Trelis und Geldern, wo immer mal wieder Menschen auf die Jagd gingen. Es war ein Wunder, dass der Bau noch nicht entdeckt wurden war. Westlich, in dem Bergrücken, in den sich kaum ein Mensch verirrte, dort wäre ein guter Platz für die kleinen Schattenläufer. Bevor der Held sich absichtlich entschieden hatte, war in seinem Kopf bereits der Plan gereift die kleinen Fellknäul dorthin zu bringen. Dort könnten sie in Ruhe aufwachsen und wenn sie ihm als erwachsene Tiere über den Weg liefen, würde es ein spannenderer Kampf werden. Doch wie sollte er die Tiere dorthin bringen? Wenn er sie einfach so auf den Arm nahm würden sie sich wohl bald an ihn gewöhnen und sie würden die Scheu vor Menschen verlieren. Das wäre fatal. Sie könnten dann sogar die Nähe zu den Menschen suchen. Deswegen entschied er sich, selbst zum Schattenläufer zu werden und die Tiere in die Berge zu lotsen. Ihm fiel ein, dass er den Druidenstein des Schattenläufers an Rendell gegeben hatte. Doch er hatte noch die Rune eines Schattenläufers aus Khorinis. Das ging bestimmt auch. Er verwandelte sich. Mit den Augen des Tiers kam ihm die Nacht überhaupt nicht mehr dunkel vor. Die Umrisse seiner Umgebung hoben sich scharf ab. Es war leicht sich zu orientieren. Er hatte das Gefühl, dass es jetzt nicht mehr so unangenehm nach Raubtier roch. Es war unerwartet schwierig in den Bau hineinzukommen. Die Schattenläufer aus Khorinis waren größer als ihre Verwandten vom Festland. Er schnaufte und keuchte und war endlich drinnen. Die Jungtiere heulten immer noch. Jetzt, weil vor ihnen ein großes fremdes Biest stand. Der Held musste sich eingestehen, dass er nicht wusste wie solche Jungtiere aufwuchsen. Die Mütter kümmerten sich wohl allein um die Nachkommenschaft. Vielleicht töteten andere Schattenläufer sogar die Jungtiere ihrer Artgenossen. Doch der Held war niemand der viel grübelte. Er kam näher, öffnete das Maul und packte eins der winselnden und sich windenden Jungtiere so sacht wie möglich mit dem Maul und hob es hoch. Augenblicklich hörte es auf zu jammern, vielleicht war das ein Instinkt. Er drehte sich um und trug es aus dem Bau hinaus und sprang aus der Grube hinaus. Nun galt es einen guten Unterschlupf zu finden, wo er dieses Jungtier lassen konnte, bis er die anderen Nachgeholt hatte. Undeutlich erinnerte er sich an ein dichtes Gestrüpp weiter östlich von hier. Vielleicht würde das schon reichen. Mit mächtigen Sprüngen setzte er durch den dichten Wald und hatte den gesuchten Ort bald erreicht. Jetzt musste er das nächste Jungtier holen. Der Held fragte sich kurz, was er hier eigentlich machte. Immerhin, es war mal eine abwechslungsreichere Aufgabe. So etwas hatte er noch nie getan. Er setzte das kleine Tier ins Gebüsch, drehte sich um und rannte den Weg zum Bau zurück. Er schaute in die Grube wo eins der Jungtiere herumstreunte. Es hatte offenbar nachsehen wollen was hier vor sich ging. Weil es gerade so praktisch herumstand, schnappte er es sich und brachte es zu seinem Geschwisterchen. Das dritte Schattenläuferkind musste er dann wieder aus dem Bau holen. Doch als er auch dieses ins Gebüsch brachte, musste er feststellen, dass dort nur noch eins hockte. Wo war das zweite geblieben? Er setzte den Neuzugang ab und sah sich um. Sorgfältig beschnupperte er den Boden und witterte eine Fährte. Viel weiter entfernt als gedacht, hatte sich der kleine Frechdachs davongestohlen. Als er auf ihn zukam, fauchte das kleine Tier und machte einen Buckel um größer zu erscheinen. Der Held kümmerte sich nicht um diese Abwehrreaktion, packte es wieder umstandslos mit dem Maul und brachte es zum Wurf zurück. Er grollte und hoffte, dass es den kleinen Stromer davon abhalten würde, wieder auszubüxen. Trotzdem beeilte er sich nun auch noch das vierte Jungtier zu holen. Ihm ging durch den Kopf, dass diese Aufgabe wohl doch in deutlich mehr Arbeit ausarten würde, als er sich das gedacht hatte, andererseits musste er zugeben, dass er gar nicht so genau über all das nachgedacht hatte und jetzt war er schon mittendrin und wollte die Aufgabe auch nicht einfach so abbrechen. Endlich hatte er den ganzen Wurf im Gebüsch versammelt und legte sich einen Moment nieder, um zu überlegen wo er sie als nächstes hinbringen sollte. Nicht weit von hier war die Straße, die Geldern mit Trelis verband. Vielleicht würden sie dort Menschen begegnen. Im Augenblick bedeuteten Menschen Gefahr. Der Held fand es seltsam, wie sich seine Perspektive gewandelt hatte. Er müsste zwei gute Verstecke nicht weit voneinander finden, damit er möglichst schnell alle Jungtiere über die Straße bringen konnte, ohne dabei gesehen zu werden. Je schneller, desto besser. So lange es noch Nacht war, versprach dies Schutz. Der Held merkte einen Stupser. Eins der Jungtiere hatte sich gegen ihn geworfen. Sie hatten noch keine Hörner, aber es war schon eine dünne Verknöcherung am Kopf zu sehen. Der Held stand auf und nahm dieses Jungtier als erstes auf und stratzte damit zum neuen Versteck los. Es war eine Mulde unter einem uralten umgestürzten Baum, der mittlerweile halb zerfallen war und an dem zahlreiche braune Pilze wuchsen. Als er zurücklief kam ihm schon ein anderer Welpe entgegengewackelt. Wenn sie einfach so das Versteck verließen, würde es gefährlich für sie werden. Er nahm nun auch dieses Tier auf und brachte es zu dem kleinen Raufbold unter den Baum. Die letzten beiden Jungtiere im Gebüsch winselten lautstark, als er zurückkehrte. So würden sie auf sie aufmerksam machen. Dem Helden war es ein Rätsel wie diese Tiere überhaupt überlebten. Als er endlich alle Jungtiere in der Mulde unter dem umgestürzten Baum hatte, ging er zur Straße, um zu überprüfen, ob die Luft rein war. Er schnüffelte wieder am Boden. Es roch nicht so, als wären hier in den letzten Stunden Menschen vorbeigekommen. Der feine Geruchssinn eines Schattenläufers erstaunte ihn. Die neue Aufgabe hielt seine Sinne gespannt und wach. Aufmerksam sah er sich um und hielt nach Gefahren Ausschau. Der Morgen kündigte sich mit einer feinen Linie am Horizont an. Er wollte sich beeilen. Eins nach dem anderen brachte er die Jungtiere über die Straße in ein neues dorniges Gebüsch, doch es lief nicht so gut wie erhofft, denn das eine büxte andauernd aus und das andere winselte immer wieder lautstark, so dass es seine Geschwister gefährdete. Er hatte es als letztes zurückgelassen. Wie befürchtet hatte es Aufmerksamkeit erregt. Seine feine Nase verriet ihm, dass sich nun doch ein Mensch genähert hatte. Der Held erhöhte sein Tempo und sah dann schließlich wie sich ein Jäger der Mulde näherte, wo das letzte Jungtier im Verborgenen lag. Es winselte wieder laut. Neugierig kam der Jäger näher, um herauszufinden was da solche Geräusche machte. Der Held brüllte laut, so dass der aschfahle Jäger zu ihm herumfuhr und seinen Bogen mit zitternden Händen vom Rücken nahm. Für einen kurzen Moment blitzte in den Gedanken des Helden auf, dass die Rollen nun getauscht waren. Jetzt beschützte er die Jungen und ein Mensch kam ihm in die Quere. Als er so auf den dürren Mann zusprang, schrie der laut auf und lief nun doch in Panik davon. Der Held wollte ihn nicht verletzen, nur vertreiben. Er brüllte ihm nach und ging dann mit wiegenden Schritten zur Mulde zurück, um den kleinen Schreihals zu holen. Er musste die Verstecke noch drei mal wechseln, bis er endlich fand, dass er weit genug von den Menschen weg war. Sie befanden sich jetzt südlich von dem Fluss, der in den westlichen Bergen seine Quelle hatte, durch Trelis führte und dann ins Meer mündete. Er hatte eine kleine dunkle Höhle gefunden und den Wurf dort abgelegt. Es war mittlerweile ein schöner Vormittag und die kleinen Schattenläufer waren eingeschlafen. Der Held entschied sein Glück bei der Jagd zu versuchen, doch er hatte einfach kein Glück. Auch hier konnte er keine potentielle Beute finden. Zu riechen war nichts und Spuren oder Losungen konnte er auch nicht finden. Es war, als wenn sich jedes Wildschwein, jedes Reh, jeder Hirsch und jeder Hase in Luft aufgelöst hatte. Hatte er es vielleicht übertrieben? Der Held hatte nie so richtig über die Folgen seiner Jagd nachgedacht. Wenn ihm irgendein fürchterliches Biest über den Weg lief, tötete er es. Früher hatte er sich noch in Acht nehmen müssen und hatte sich nicht gleich mit jedem Ungeheuer anlegen können, doch später verlief jedes Aufeinandertreffen für die Gegenseite tödlich. Hin und wieder war ein Hirsch entkommen, da er zu schnell gewesen war und auch die Bisonherden bei Silden hatte er kaum angerührt. Beute, die an sich friedlich war, hatte kaum einen Reiz für ihn. Es gab noch ein Löwenrudel in Varant, doch ansonsten hatte er fast alles was sich ihm zeigte getötet und möglichst gewinnbringend verwertet, ohne Rücksicht auf die Zukunft der Spezies. Erst jetzt, da ihm keine Tiere mehr über den Weg liefen, begann er über sein Verhalten nachzudenken. Ihm war nie in den Sinn gekommen, dass es einmal enden würde. Er war davon ausgegangen, dass immer wieder irgendwoher neue Bestien auftauchen würden. Meist wanderten sie aus benachbarten Revieren ein, doch nun hatte er großräumig alles vernichtet und nicht einmal mehr Rehe zeigten sich. Dem Helden begann zu dämmern, dass er es übertrieben hatte. Er ging zum Fluss und beschloss sein Glück mit Fischen zu versuchen. Davon sollte es noch reichlich geben. Er ließ sich von seinen Ohren leiten und als er den seichten Fluss entdeckte, beugte er sich erstmal nieder um Wasser zu saufen. Es war ihm gar nicht aufgefallen wie durstig er war. Erst als er seinen Durst gestillt hatte, begann er sich zu überlegen wie er die Fische jagen wollte. Er legte sich auf die Lauer und als sich ihm ein Fisch zeigte, sprang er auf ihn zu. Der Fisch war schneller, seine Krallen schlugen nur ins Wasser und durchwühlten den Grund des Flusses. Er brauchte Stunden und sehr viele Versuche, bis er seinen ersten Fisch erwischt hatte. Seine eigene Geduld überraschte den Helden. Irgendwie war es schön einfach nur hier in diesem kalten Fluss zu stehen und sich ganz auf so etwas Einfaches wie Fische jagen zu konzentrieren. Endlich hatte er neun kleine Fischchen gefangen, lud sie sich ins Maul und trug sie zu der Höhle zurück, in der seine Schützlinge untergebracht waren. Es war bereits später Nachmittag und sie waren aufgewacht. Zwei spielten, eins lag faul herum und das vierte winselte mal wieder. Als sie ihn sahen, hielten sie in ihrer Aktivität inne und wichen furchtsam zurück. Erst als er ihnen die Fische vor die Füße spuckte, vergaßen sie ihre Angst, denn Hunger war stärker als Furcht. Gierig schlangen sie die Fische hinunter. Der Held musste zugeben, dass es ihm schwer fiel die kleinen Schattenläufer zu unterscheiden. Welcher hatte jetzt wie viele Fische bekommen? War einer zu kurz gekommen? Sie tollten herum und wechselten ständig ihre Position. Wie sollte er sie da nur auseinanderhalten? Nun, da sie Futter von ihm bekommen hatten, waren sie ihm gegenüber nicht mehr so misstrauisch. Zwei fingen wieder an zu spielen, eins schlief wieder ein und das vierte bettelte um noch mehr Futter. Hatte es vielleicht nicht genug bekommen? Oder war es nur seine Art einfach immer zu jammern? Der Held beschloss den vieren einfache Namen zu geben, damit er sie besser unterscheiden konnte. Dabei ging er wie so oft pragmatisch vor. Winsel winselte, Streuner streunte, Keck war keck und Fauli war faul. Der große Schattenläufer gähnte. Wann hatte er eigentlich zuletzt geschlafen? Vielleicht wäre es ganz gut einfach mal die Augen zu schließen und sich auszuruhen.

    Als er aufwachte, war es sehr dunkel. Er merkte wie sich drei kleine Schattenläufer an ihn gekuschelt hatten. Doch wo war der vierte? Streuner fehlte. Natürlich. Er stand auf, was den übrigen Jungtieren ein unbehagliches und empörtes Murren entlockte. Der Held senkte den wuchtigen Kopf zum Boden und finge an zu schnuppern. Deutlich nahm er den mittlerweile vertrauten Geruch eines Schattenläuferjungtieres wahr und folgte ihm. Die Fährte führte ihn zum Fluss. Dort stand Streuner und stillte seinen Durst. Natürlich. Er hatte vergessen die Jungen zu tränken. Da er sah, dass Streuner nicht in unmittelbarer Gefahr war, beschloss er die anderen zu holen. Er nahm Fauli mit dem Maul auf und bemerkte verwundert, dass ihm auch die anderen beiden folgten. Keck ging forsch neben ihm her und Winsel wollte wohl nicht allein zurückgelassen werden. Als er zu Streuner zurückkehrte, tatzte der nach einem Fisch im Wasser und fiel in den Fluss. Das Schattenläuferkind strampelte und jammerte und paddelte schließlich zum Ufer zurück. Gut, der Held war erleichtert, dass er sich nicht kümmern musste. Er ließ Fauli herunter und langsamer als seine Geschwister wackelte der zu Streuner hinüber. Die kleinen Schattenläufer schlabberten Wasser und spielten dann im Wasser. Der Held legte sich auf einen großen Felsen am Rand des Flusses und sah ihnen dabei zu. Es war seltsam. Als Tier empfand er eine ungewohnte innere Ruhe. In seiner eigentlichen Gestalt wusste er immer etwas zu erledigen. Es gab ja so viele Aufgaben und immer ein neues Abenteuer, das hinter der nächsten Ecke wartete. Doch jetzt als Tier gab es nichts weiter zu tun, als einfach nur hier zu liegen und den Jungtieren beim Balgen zuzuschauen. Irgendwie kam ihm hier und jetzt alles langsamer und ruhiger vor. Der sanfte silberne Schein des Mondes fiel zwischen die Bäume des stillen Waldes. Die Blätter der Bäume sahen trotz ihres Farbwechsels im Mondlicht leicht silbern aus. Irgendwo weit entfernt rief eine Eule. Es war ruhig und seltsamerweise störte ihn das im Moment überhaupt nicht. Er war völlig zufrieden mit sich und der Welt. Keck sprang zu ihm auf den Stein und hopste dann ins Wasser, wobei er ihn nass spritzte. Der Held zog die Lefzen hoch und knurrte grimmig. Keck beeindruckte das nicht. Er sprang immer noch im Wasser herum und bespritzte ihn. Der Held stand auf und sprang nun ebenfalls ins Wasser und spritzte alle Welpen nass. Winsel jammerte natürlich, doch die anderen wollten jetzt ebenfalls spielen, selbst Fauli. Der Held genoss die Narrenfreiheit, die er als Tier hatte und tollte einen Moment mit den Jungtieren herum. Dann entschied er aber, dass es nun Zeit war aufzubrechen. Er wollte in dieser Nacht noch ihr Ziel erreichen, ein Hochplateau nördlich der Quelle. Er hob Streuner aus dem Nass und setzte sich in Bewegung. Winsel jammerte immer noch, lief aber neben ihm her. Auch Keck folgte, doch Fauli blieb nach einigen Minuten zurück. Der Held blieb stehen und sah sich um. Fauli hatte sich einfach in einen Busch gelegt und wollte dort schlafen. Der Held schnaubte, legte Streuner ab und ging los, um den kleinen Faulpelz zu holen, doch als er zurückkehrte war Streuner verschwunden. Es war schlimmer als einen Sack Flöhe zu hüten. Der Held knurrte und Fauli murrte verstimmt, denn er befand sich immer noch in seinem Maul. Wie sich herausstellte wurde Streuner von einem Igel abgelenkt, der lautstark durchs Unterholz krachte. Es war ganz erstaunlich wie so ein kleines Tier solchen Lärm veranstalten konnte. Er hustete stark. Vielleicht hatte er Würmer in der Lunge. Streuner hatte ihn daher einfach finden können und sprang auf den Igel zu, der sich nun zu einem Ball zusammenrollte. Der kleine Schattenläufer tobte um die Stachelkugel herum und hieb mit den Krallen aus. Der Igel ließ sich davon nicht beeindrucken und blieb bei seiner Defensive. Nun kam auch noch Keck dazu und wollte auch toben. Er trieb es besonders bunt und wollte gar nicht mehr aufhören den Igel anzugreifen. Um diesem Treiben ein Ende zu setzen, stieß der Held Streuner leicht mit dem Kopf an und knurrte und rief ihn so zur Ordnung. Streuner fügte sich, doch Keck brauchte eine extra Ermahnung. Endlich konnten sie ihre Reise fortsetzen. Der Weg wurde sehr steil und unwegsam. Ein Mensch hätte es hier schwer. Dem Helden half die Kraft und Geschicklichkeit dieser Gestalt. Mit geschmeidigen Sprüngen setzte er die Felsen hinauf. Die Jungtiere konnten das natürlich noch nicht und so musste er immer wieder anhalten und die Passagen hin und her laufen, um den ganzen Wurf hinaufzuschaffen. Es dauerte die ganze Nacht bis sie endlich das Hochplateau erreichten. Hier gab es frisches Wasser, welches durch klare Bäche gluckerte und er witterte sogar Hasen. Hier war der richtige Platz für die kleinen Schattenläufer. Keck und Streuner hatten die Umgebung um ihn her erkundet, doch wenn er sich zu weit von ihnen entfernte, kamen sie doch hinterher. Nachdem der Held ein bisschen gesucht hatte, fand er eine geräumige Höhle und legte Fauli dort ab. Winsel kam ihm nach und jaulte. Der Held legte sich nieder und die kleinen Schattenläufer kamen zu ihm, um sich an ihn zu kuscheln und den Vormittag schlafend neben ihm zu verbringen.
    Geändert von Eispfötchen (27.09.2021 um 15:09 Uhr)

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