Dies ist meine erste Geschichte in diesem Forum. Hab vorher einige Zeit im WoG-RPG verbracht, mag das Schreiben, bin vielleicht nicht unbedingt ein zweiter Tolkien, habe aber zumindest Spaß daran, zu schreiben. Darauf kommt es, denke ich, an. In dieser Geschichte wird es um einen Dieb gehen, der dem einen oder anderen aus dem Alten Lager bekannt ist. Er besitzt im Spiel nicht unbedingt viel Hintergrund, eher vage Andeutungen, doch eben jenen möchte ich gerne Leben einhauchen. Ich hoffe, dass es gefällt!


Prolog

Ist dies das Ende?



"Oh, verflucht. Ihr wisst doch, das Verrat eine Sünde ist, oder? Innos schaut nicht unbedingt mit Wohlgefallen auf jene, die andere verraten. Ganz im Gegenteil, er straft sie mit dem Himmelsfeuer, bevor er sie hinab stößt ins Totenreich, wo Beliar auf sie wartet! Daran glaubt sogar der gute Fingers."
Das Mädchen schnaubte gehässig, wechselte das Stilett von der einen in die andere Hand. Ihr Blick war kalt und hart, was den Meisterdieb erheitert lachen ließ.
Er wusste noch, wie er sie in der Gosse des Hafenviertels von Khorinis gefunden hatte. Hilflos, alleine. Dumm vor allem, da sie nach seinem Goldbeutel gegriffen hatte. Schwer war er gewesen, ja, weil er Kiesel darin trug. Sein Gold hatte er schon immer in der Innenseite seiner Weste getragen. Er hatte ihr damals ein Messer an die Kehle gehalten und ihr unumwunden mitgeteilt, dass es niemanden auf der ganzen Insel interessieren würde, wenn er ihr hier und jetzt die Kehle auftrennen würde. Der Meisterdieb hatte auf Tränen und Gejammer gehofft, aber nur einen trotzigen Tritt vors Schienbein erhalten.
Niemand bedroht Cassia!, hatte sie ihm ins Gesicht geschrien und sich in seinem Griff gefunden. Da hatte er nur gelacht, das Messer weggesteckt und sie gefragt, ob sie nicht Teil einer Familie sein wollte. Einer Familie von Außenseitern und Verbrechern. Er war ihr Anführer gewesen und sie könnte ein Mitglied werden in der berüchtigsten Diebesgilde des ganzen Reichs.
Und jetzt? Nun stand das Mädchen vor ihm, sechzehn, vielleicht siebzehn Jahre jung und putschte sich erfolgreich an die Macht. Ramirez stand hinter ihr, die Hand locker am Griff seines Degens. Attila, dieser kaltblütige, dreckige Hund, richtete wie beiläufig die Armbrust auf ihn. Der Rest dieser nichtswürdigen Bande versammelte sich hinter den drei Hauptakteuren dieses Paradebeispiels von Hinterhältigkeit und Falschheit.
Der Meisterdieb schüttelte den Kopf. "Und nun, kleine Cas, was wirst du tun? Mich töten, so wie Gellon und Lukkor es bei Rhobar versucht haben? Du weißt, was mit ihnen passiert ist. Keine Herrschaft dauert ewig, allen voran jene, die auf Niedertracht fußen. Und das wird deine ganz bestimmt."
"Halt die Schnauze!", spie sie aus, "Du hast kein Recht von Niedertracht zu sprechen. Du nicht! Du hattest sie beisammen, alle Blutkelche! Und was tust du? In einem Anflug von Langeweile gibst du sie weg! Wir hätten reich werden können! Aber du, Fingers, hast nur gelacht und das alles als Spiel betrachtet. Als hättest du schauen wollen, wo die Grenze deiner Fähigkeiten liegt. Du hast das Wohl unserer Gemeinschaft gering geschätzt. Das ist Verrat, nicht mehr, nicht weniger. Und deswegen wird es Zeit für dich, die Gilde zu verlassen. Wir haben mit dem Hauptmann der Miliz gesprochen. Du wirst festgenommen, offiziell bei einem Diebstahl, inoffiziell liefern wir dich einfach aus und gewähren unseren Aktivitäten für eine gewisse Zeit eine gewisse Unantastbarkeit seitens der Miliz. Schön, nicht wahr? Niemand wird sterben."
Der Meisterdieb lachte gehässig, als Cassia ihre Ausführungen beendet hatte. Er lachte lang und widerwärtig, ehe er sein eigenes Stilett zu Boden fallen ließ, die Arme ausbreitete und keinen Muskel rührte, als Ramirez, sein alter, treuer Freund, vortrat und ihm alle Messer und Klingen am Körper abnahm. Ebenso wenig zuckte er, als ihm Fesseln angelegt wurden. Der Blick, den ihm Ramirez schenkte, war ausdruckslos, obwohl im hintersten Winkel etwas wie Scham zu erkennen war. Wahrscheinlich fühlte er sich weniger schuldig, als er ihm das Seil nicht allzu fest anlegte, jedoch immer noch stramm genug, damit er seine flinken Finger nutzen konnte. Als er den Dieb an dem Mädchen vorbeiführte, beugte dieser sich zu ihr hinab, sah sie einen Moment mitleidig an.
"Ich hätte dich für schlauer gehalten, Cas. Du bist auf das Gerede von Nagur und Attila hereingefallen. Weißt du was die beiden sind? Mörder. Räuber. Keine ehrlichen Diebe. Nie echter Teil der Familie. Ach, Kleines, du tust mir Leid. Du wirst mir immer leid tun, selbst wenn ich bald blaue Blitze am Himmel sehen werde." Er blickte auf, ließ die Augen über den Rest der Gilde schweifen. "Und ihr? Hol euch Beliar! Ich habe euch ein Geschenk da gelassen, eine Truhe mit meinen Reichtümern. Knackt sie ruhig, wenn ihr es könnt. Ist aber unwahrscheinlich. Solltet ihr's schaffen, mögt ihr euch vielleicht Meisterdiebe nennen. Bis dahin seid ihr nur eines: Verfluchte Ratten!"

Wenige Tage später hockte der Meisterdieb, grün und blau geprügelt von den Wachen, die sich die Finger nach ihm geleckt hatten, auf der Verladerampe, deren Plattform quietschend und knarrend durch das dichte, magische Netz der Barriere fuhr. Ein kurzes Aufblitzen, ein jäher, stechender Schmerz wie ein Wespenstich, dann war es vorbei. Willkommen in der Kolonie, dachte er bitter und sah zu den Männern, die an einer Art Lagerplatz auf ihn warteten. Und natürlich auf die Waren, die mit dem Dieb zusammen reingeschickt wurden. So sah das Geschäft aus, dass die Anführer der Gefangenen in der Kolonie mit der Außenwelt geschlossen hatten. Nahrung für die Arbeiter, Luxus für die Herrschenden. Im Grunde das gleiche Bild wie außerhalb der magischen Barriere. Das rang Fingers dann doch, trotz seiner buchstäblich ausweglosen Situation, ein Lachen ab. Es erstarb aber in dem Moment, da er die Mienen der wartenden Männer sah. Keiner war schwer gerüstet, sie alle trugen zusammengewürfelte Klamotten am Leib. Fingers hatte davon gehört, dass die Herrschaft der sogenannten Erzbarone noch auf sehr, sehr wackligen Füßen stand. Die Bande vor ihm war dann wohl eine Art Begrüßungskomitee, der armselige Versuch geordnete Abläufe in das Chaos zu bringen. Als die Plattform mit einem Ruck zum Halt gekommen war, machte sich ein Großteil der Männer daran, die Waren abzuladen. Fingers ignorierte, bis alles auf Handkarren verladen worden war. Erst dann packte ihn ein junger Mann und hievte ihn grob auf die Beine.
"Hey Diego, was hältst du von meiner Idee?", fragte er und blickte auf einen weiteren Mann, der die Ladung noch einmal kontrollierte. "Die Geschichte mit der Taufe?"
"Nichts halte ich davon, wenn du's wissen willst, Bullit.", gab Diego von sich. Fingers verzog kurz das Gesicht. Irgendwas an dem Mann kam ihm bekannt vor. "Seit wir dich aus der Mine ins Lager geholt haben, seit Thorus seine Garde aufbauen will, bist du ein ziemliches Arschloch geworden. Warum willst du alles und jedem die Faust ins Gesicht drücken?"
Bullit lachte auf. Fingers konnte ihn von Beginn an nicht leiden. Ein kräftiger Bursche, der durch seine Stärke Macht über schwächere Gefangene besaß.
"Spielverdeber, Diego.", knurrte er grinsend, schob den Meisterdieb etwas auf Abstand und drosch ihm mit voller Kraft die Faust ins Gesicht, dass die Nase brach.
"Verdammt, Bullit!", brüllte Diego, sprang vor und riss den Schläger zurück, stieß ihn weg und zückte ein Messer. "Lass verdammt nochmal die Neuen in Frieden!"
Bullit spuckte aus, schien einen Augenblick seine Chancen abzuwägen. Dann lachte er erneut, wischte sich mit der Handfläche übers Gesicht und ging lachend und kopfschüttelnd zum Wagen. Der Mann namens Diego atmete tief durch, drehte sich zu Fingers um, der mit dem Handrücken das Blut im Gesicht verteilte.
"Tut mir Leid, Neuer. Ich bin ...", begann er, doch der Dieb unterbrach ihn.
"Diego", sagte er etwas unverständlich, "Hattest mal ein Haus in der Oberstadt. Bin da mal eingebrochen. Ist Jahre her. Jetzt wohnt Gerbrandt da. Der hat gute Wachen. Und genau das macht ihn unsympathisch."
Diego schaute ihn verwirrt an, dann schien ihm ein Licht aufzugehen. "Fingers. Du bist der bekannte Dieb aus dem Hafen. Die Visage kennt man doch, wenn man dort öfter unterwegs war. Nicht schlecht, da müssen die Gardisten ja einiges eingefallen lassen haben, um dich zu schnappen. Wie kommt's?"
Fingers nahm den Stofffetzen, den Diego ihm hinhielt, nachdem er die Fesseln gelöst hatte. "Lange Geschichte. Und bei dir?"
"Mindestens genauso lang", gab der andere lachend zurück. "Willkommen in der Barriere. Du kommst mit uns ins Lager. Will dich den anderen vorstellen. Lares ist auch so ein Langfinger, ihr werdet euch mögen."
Er half ihm auf, klopfte ihm den Staub ab, grinste offen. "Ich habe da einige Pläne im Lager. Zwischen Gomez, Thorus' Schlägern und der Masse der Buddler ist noch Platz. Platz für uns. Den nehmen wir uns. Das wird der Beginn von etwas Großem, Fingers."

Jahre vergingen. Der Meisterdieb lebte sich ein, wurde Mitglied im einzigen Lager, das die Kolonie zum damaligen Zeitpunkt zu bieten hatte. Es wurde mächtiger, die Bewohner wurden zahlreicher. Unterschiedliche Meinungen fanden immer mehr Anhänger und nur wenige Jahre nach Fingers Eintreffen spalteten sich die Magier und einige ehemalige Soldaten unter General Lee ab, gründeten ihr eigenes Lager. Ebenso einige Spinner um einen Mann namens Y'Berion. Die Bande verschwand im Sumpf. Und irgendwann kam ein verhältnismäßig junger Kerl an, gekleidet in graue Lumpen und stellte sich als jemand vor, der von Diego geschickt worden war. Fingers, der eine nette Hütte an der Burgmauer sein Eigen nennen durfte, lächelte spöttisch, als er das rostige Schwert und die schwere Buddlerhose mit Knieschonern sah, die der Mann trug.
"Willst du den Schwertkampf lernen? Dann musst du etwas weiter gehen, da hinten steht Scatty, der kennt sich mit Waffen aus.", erklärte er und lehnte sich auf seiner Bank zurück.
"Aber Diego meinte, du könntest mir was beibringen. Diebeskunst. Schleichen, Taschendiebstahl und ... Schlösserknacken."
"Ah, na, wenn Diego sagt, ich könnte dir was beibringen, dann werde ich das natürlich versuchen.", Fingers erhob sich und musterte ihn von oben bis unten.
"Sicherlich magst du geschickt genug sein, mein Freund, aber ... bringst du auch die nötige Geduld mit, die ein Dieb braucht? Hast du die nicht, dann geh wirklich besser zur Arena runter. Das ist für die Ungeduldigen. Denn bevor ich dir all die Tricks beibringe, die ich über die Jahre gelernt habe, möchte ich dir doch von ihren Ursprüngen erzählen. Kommt ja nicht von ungefähr. Du kannst aus meiner Geschichte was lernen. Wird dir vielleicht mehr bringen, als dir den komplexen Aufbau eines Schlosses zu beschreiben, in der Hoffnung, dass du's auf Anhieb kapierst. Also, setz dich und hör zu. Denn, wie so oft, beginnt doch alles mit dem Verrat."