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Zetubals "Impressions"-Thread

  1. #21 Zitieren
    Irregular  Avatar von Zetubal
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    It's that time of the month again...und ich habe eine Impression zu einem Manhua, auf dessen Titelblatt in schwungvollen Pinselstrichen Blood and Steel steht.

    Worum es geht
    Der Qin-Cheng-Stil zählt zu den besten Kampfkunstschulen des feudalen Chinas. Er ist ruhmreich, mächtig und angesehen. Und doch muss Yan Heng, der neueste Schüler des Stils, hilflos mit ansehen, wie die konkurrierende Wudang-Sekte seinen Meister tötet, seine Mitschüler massakriert und die Schule dem Erdboden gleichmacht. Yan schwört Rache und zieht mit einer bunten Truppe aus Kämpfern, die ihre eigene Rechnung mit Wudang offen haben aus, um der Sekte das Handwerk zu legen.

    Eindrücke:
    Blood and Steel ist der Debüt-Manhua von Autor Qiao Jingfu & Zeichner Meng Ma Gong Zuo Shi und fällt in das populäre chinesische "Wuxia"-Genre, in dem Kampfkunst & Fantasy in "epischen" Heldengeschichten verbunden werden. Über weite Strecken ist Wuxia ein Buch mit sieben Siegeln für mich. Die einzelnen Bestandteile (also feudales Setting, Kampfkunst, Fantasy-Einschläge) mag ich zwar, aber Wuxia hat zwei Eigenheiten, über die ich nicht so recht hinwegkomme. Einerseits neigen Wuxia-Geschichten extrem zur Überzeichnung und Theatralisierung von Charakteren oder Geschehnissen. Das mag in Maßen ein effektives Stilmittel sein, in der Intensität und Häufigkeit, wie es in Wuxia Anwendung findet, ist es mir zu viel. Die zweite Sache hat mit dem Erzählen zu tun. Wuxia hat oft eine Erzählstimme, die das Geschehen im Präsens kommentiert. Etwa so wie ein Fantasy-Sportkommentator. In Film und Manga empfand ich das bisher immer kontraproduktiv, weil ich das Bildgeschehen ja sowieso "live" erlebe und es für Gedanken der Figuren ja Gedankenblasen gibt. Erzähler in Manga ist unnötig.

    Blood and Steel weist beide Eigenarten auf, ist aber trotzdem ein toller Manhua. Oder gerade deswegen. Großes, theatralisches Drama gibt es zwar auch, aber das spart sich die Geschichte für Momente auf, wo es angebracht und nachvollziehbar ist. Zwischendurch werden die Charaktere aber auch menschlich, teilweise humorvoll und ohne unnötige Überspitzungen dargestellt. Das macht es leichter, mit ihnen mitzufühlen, wenn es ernst wird und sorgt obendrein dafür, dass man Sympathien und Antipathien aufbaut. Und es legt das emotionale Fundament der Geschichte.
    Die Erzähler-Sache löst Blood and Steel klug, indem der Erzähler nicht bloß kommentiert, was sich auf den Panels abspielt, sondern vor allem Hintergrundinfos liefert über die Moves, die die Charaktere benutzen. Das entschleunigt die Kämpfe zwar, macht sie dadurch aber auch übersichtlicher. Grundsätzlich entsteht der Eindruck sehr kalkulierter Duelle, in denen Technik mit Technik beantwortet wird und derjenige siegt, der besser taktiert. Ist definitiv eine Abkehr vom wilden Actionvielerlei, das man aus japanischen Manga kennt und insofern eigenwillig - ich fand es aber ansprechend, weil es den Techniken und Stilen Charakter und Tiefe einhaucht.
    Die Hauptgeschichte wiederum gewinnt keinen Blumentopf. Talentierter, aufrichtiger junger Mann erlebt Traumatisches, sinnt auf Rache, trainiert, schart eine Nakama-Truppe aus Misfits um sich...viel schablonenmäßiger kann man in dem Genre kaum erzählen. Andererseits muss man Blood and Steel zugute halten, dass die Wudang Sekte nicht aus eindimensionalen Baddies besteht, die einfach nur muhaha-evil sind. Ohne viel zu spoilern, klärt sich schnell, dass Wudang lediglich eine Philosophie vertritt, die radikal inkompatibel mit den anderen Schulen ist, wodurch der Konflikt vorprogrammiert erscheint. Generell haben viele Haupt- und Nebenfiguren eine eigene Agenda, was ein wenig hilft, die klischeebeladene Haupthandlung aufzulockern.

    Der weitaus offensichtlichere Grund, weshalb man Blood and Steel lesen sollte, sind aber die Zeichnungen. Der Manga glänzt mit immenser Detailverliebtheit, die von den Accessoires an Kleidung von Charakteren bis hin zu prunkvoll verziertem Rauminterieur reicht. Einprägsam ist außerdem der Einsatz von Pinselzeichnungen und eine (für Manga-Fans) ungewohnt dicke, druckvolle Linienführung. Die sorgt dafür, dass das Bildgeschehen oft sehr wuchtig wirkt, was die Handlungsorte imposanter und die Kämpfe kinetischer macht. Grundsätzlich liefert Zeichner Meng hier phänomenale Arbeit ab, die sich sowohl in Sachen Detailreichtum, als auch in puncto Konsistenz, Stilsicherheit, Übersichtlichkeit und so ziemlich jedem anderen Aspekt mit den Größen der Manga/Manhua-Welt messen kann.

    Für wen es sich lohnt:
    Fans von Wuxia (z.B. Storm Riders, Ashes of Time, Saint, Weapons of the Gods, Feng Shen Ji, Legend of Emperors...)
    Fans von großartigen Zeichnungen mit Wiedererkennungswert
    Leute, die Martial Acts Action mögen

    Wer sich fernhalten sollte:
    Leute, die allergisch gegen Theatralik und Kitsch sind
    Leute, die sich am eigenwilligen Wuxia-Erzählstil stören
    Leute, die unverbrauchte Plots suchen

    Werde ich weiterlesen? Ja, gesetzt den Fall, dass ich es mal schaffe, weitere Bände aufzutreiben. Die sind nämlich mangels Lizenzierung außerhalb von China und Japan ziemlich schwer zu kriegen. Und teuer obendrein.

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    Zetubal ist offline Geändert von Zetubal (01.09.2022 um 19:24 Uhr) Grund: Typos

  2. #22 Zitieren
    Cult of Chillosophy  Avatar von one-cool
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    so wie es aussieht, bin ich das Jahr eh bald wieder in China für paar Wochen.
    one-cool ist offline

  3. #23 Zitieren
    Irregular  Avatar von Zetubal
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    Dann nutz die Gelegenheit
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  4. #24 Zitieren
    Cult of Chillosophy  Avatar von one-cool
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    und mir viel Zeugs kaufen, worüber ich mich später wundern werde?
    Das mach ich schon hier in Mexico ausreichend
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  5. #25 Zitieren
    Halbgott Avatar von Progrinator
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    Zitat Zitat von one-cool Beitrag anzeigen
    und mir viel Zeugs kaufen, worüber ich mich später wundern werde?
    Das mach ich schon hier in Mexico ausreichend
    du kommst ja viel rum.
    Progrinator ist offline

  6. #26 Zitieren
    Irregular  Avatar von Zetubal
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    Und schon wieder geht ein Monat zu Ende. Höchste Zeit also, eine neue Impression zu schildern. Regelmäßigkeit und so - ihr wisst schon. Heute soll es um Mori Kouji's Suicide Island gehen.

    Worum es geht:
    Das japanische Gesundheitswesen hat die Nase gestrichen voll von jungen Leuten, die wiederholt versuchen, sich das Leben zu nehmen. Mal um mal müssen sie nach gescheiterten Versuchen aufgepäppelt werden, nur damit sie eine Weile später wieder auf der Matte stehen. So nicht, denkt sich das utilitaristische Japan. Den neuen Kurs kriegt Sei, ein depressiver Teenager, am eigenen Leib zu spüren, als er nach einem gescheiterten Selbstmordversuch auf einer Tropeninsel aufwacht. Auf solche verlassenen Eilande werden nämlich fortan er und andere gescheiterte Selbstmörder verfrachtet. Die Devise: Macht dort was ihr wollt. Wenn ihr sterben wollt, tut das unseretwegen, wenn ihr wider Erwarten doch leben wollt, kümmert euch gefälligst selber drum.
    Also heißt es für Sei und die anderen fortan "Kampf ums Überleben" ... Sofern sie denn überhaupt leben möchten.

    Eindrücke:
    Seitdem ich vor etlichen Jahren Moris Martial Arts Seinen Holyland entdeckte, bin ich großer Fan seiner Werke. Mori versteht sich auf sehr persönliche Erzählungen über Menschen, die abseits der Gesellschaft stehen bzw. um ihre Daseinsberechtigung in einer Gesellschaft kämpfen müssen, von der sie abgelehnt werden. Auch Suicide Island wählt solche Figuren, macht dabei aber noch einen so großen Haufen weiterer Dinge, dass ich kaum weiß, wo ich anfangen soll.
    Suizidgedanken und -versuche unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind ein denkbar heikles Thema, das von Mori mit dem größtmöglichen Feingefühl angegangen wird. Jede einzelne Figur hat ihre eigenen Gründe, zu dieser drastischen Entscheidung gelangt zu sein, wobei Mori betont Abstand davon nimmt, zu urteilen. Obwohl Suicide Island im Kern davon handelt, Lebensmut zu schöpfen, scheut die Geschichte nicht davor zurück, Charaktere zu grundlegend anderen Schlüssen gelangen zu lassen und deren Konsequenzen werden als gleichwertig dargestellt.
    Zu dieser nuancierten, facettenreichen Charakterzeichnung gesellt sich ein Plot, der beizeiten stark an Lord of the Flies (oder in Anime-Terms Infinite Ryvius) erinnert. Den Kampf ums Überleben bricht Mori in die kleinsten Nickligkeiten auf: Wie besorgt man sich Nahrung, wie macht man sie haltbar, wer übernimmt welche Pflichten, wie wird für Sicherheit gesorgt, wie organisiert sich eine Gruppe (gibt es einen Anführer, braucht es überhaupt einen?) usw....Faszinierend finde ich dabei, wie Mori es schafft, aus solchen vermeintlich mundänen Themen Konflikte entstehen zu lassen, die sowohl nachvollziehbar als auch interessant sind. Der Clou ist nämlich, dass Mori hier Momente schafft, an denen Menschen unterschiedlichster Meinungen aufeinanderprallen. So vereint die Geschichte plot progression und Charakterisierung. Eigentlich ist das Writing 101, dennoch geschieht es in Manga selten so gekonnt wie hier.
    Im Endeffekt wird Moris Suicide Island dadurch ein Manga, der auch nie langweilig wird, weil es gefühlt unendlich viele Themen zu behandeln gibt. Mal geht es kapitelweise um psychische Krankheiten, dann geht es um Survival, um den Bau von Verteidigungsanlagen, darum wie man eine Falle legt, danach gibt es einen eigenen Arc über die Diplomatie zwischen zwei Gruppen, sogar um Liebe und den Wert von Partnerschaften geht es teilweise über mehrere Kapitel. Ihr merkt, warum die Beschreibung schon beim bloßen Aufzählen ausufert.

    Moris Zeichnungen indes haben immensen Wiedererkennungswert. Die Welten, die er aufs Blatt bringt, sind aufgeräumt und nüchtern dargestellt, dabei aber weder überladen, noch effekthaschend, sondern fokussiert auf einzelne wichtige Bildelemente. Ein wiederkehrendes Thema in Suicide Island ist die Schönheit der unberührten Natur, die zweckdienlich in den schönsten einzelnen Zeichnungen des Manga eingefangen wird. Als besonders förderlich für die Erzählung erweist sich außerdem der Umstand, dass Mori eine große Vielfalt an unterschiedlichen Charakter-Designs bereithält, sodass man kaum rätseln muss, wer denn nun nochmal “der da” oder “die da” ist. Das geht sogar so weit, dass er charakteristische Körpersprache für viele Figuren einfließen lässt, die obendrein Schlüsse auf die Psyche der teils labilen Charaktere zulässt.

    Für wen es sich lohnt:
    Leute, die auf gut geschriebene Charaktere wert legen
    Leute, die sich für psychische Krankheiten, Außenseiterstories und dergleichen interessieren
    Fans von Survival-Geschichten
    Fans von nüchternen Erzählungen
    Fans von Lord of the Flies

    Wer sich fernhalten sollte:
    Leute die durchgehend rasante, kurzweilige Geschichten suchen
    Leute die von Suizid, Missbrauchsgeschichten usw. getriggert werden könnten
    Leute, die klassische Gut/Böse-Konflikte suchen
    Leute, die einen einzigen zentralen Plot, der sich durch das Werk durchzieht, suchen

    Werde ich weiterlesen? Mit absoluter Sicherheit. Wobei ich einschränken würde, dass Suicide Island manchmal aufs Gemüt schlagen kann. Ist also kein Manga, den ich immer und zu jeder Zeit auskramen würde.

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    Zetubal ist offline Geändert von Zetubal (01.09.2022 um 19:24 Uhr)

  7. #27 Zitieren
    Cult of Chillosophy  Avatar von one-cool
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    oh, das klingt interessant.

    wie fortgeschritten ist die Geschichte aktuell schon? In welchen Sprachen lesbar?
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  8. #28 Zitieren
    Irregular  Avatar von Zetubal
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    Zitat Zitat von one-cool Beitrag anzeigen
    oh, das klingt interessant.

    wie fortgeschritten ist die Geschichte aktuell schon? In welchen Sprachen lesbar?
    Der ist in 17 Bänden abgeschlossen. Auf französisch über Kazé kann man die auch schon alle kaufen. Ansonsten gibt es glaube ich noch eine italienische Übersetzung, aber keine englische soweit ich weiß. Ich habe zum Zeitpunkt, als ich das schrob, 12 gelesen.
    Zetubal ist offline

  9. #29 Zitieren
    Irregular  Avatar von Zetubal
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    Uiuiui, beinahe den Monat verdaddelt. Für heute habe ich etwas ausgepackt, was hier bisher noch gar nicht zur Sprache kam: Ein Sport-Manga. Wir reden von Rikudou Shuusais Rikudou. Ja, der Mangaka heißt wie die Hauptfigur. Nein, das hat keinen erkennbaren Grund.

    Worum es geht:
    In Rikudou geht es um Riku Azami, einen jungen Mann, der sich fanatisch ins Boxen hineinsteigert, um so einen Weg zu finden, seine von Missbrauch geprägte Kindheit aufzuarbeiten.

    Eindrücke:
    In „Psychological Sports“-Animanga geht es eigentlich immer um getriebene Protagonist*innen, die entweder Sport nutzen, um irgendetwas belastendes zu verarbeiten oder vom Sport selber getrieben sind. Manchmal beides. Spannende Idee, wie ich finde, die in den letzten 15 Jahren zahlreiche extrem hochwertige Geschichten hervorgebracht hat.
    Rikudou ist ein weiterer Beitrag in diesem Genre und gilt seit einigen Jahren schon als „Geheimtipp“. Ich bin geneigt zuzustimmen.

    Nun aber zum Inhaltlichen. Der Manga beginnt mit ziemlich hartem Tobak, indem er drei aufeinanderfolgende Abschnitte in Rikus Jugend behandelt, in denen er Traumata bzw. Misshandlung erfährt. Zu dem Zeitpunkt wie auch im späteren Verlauf gehört dabei erwähnt, dass Rikudou absolut kein zimperlicher Manga ist. Gewalt, auch sexualisierte, wird mitunter recht explizit gezeigt. Triggerwarnung und so.
    Diesen „Schwenk“ aus Rikus Jugend benutzt der Manga als Grundlage, um direkt zu erklären, weshalb der Protagonist als junger Erwachsener emotional beinah komplett verschlossen ist. Das mag wenig subtil sein, vermittelt einem aber dafür ein sehr greifbares Gefühl für die Größe des Traumas, das es im Folgenden zu verarbeiten gilt.

    Damit hätten wir einen Stützpfeiler der Geschichte, die Traumata des Protagonisten. In narrativer Sicht wird daraus ein Schuh als Riku das Boxen für sich entdeckt. Und damit wären wir beim zweiten Kernelement.

    Boxen ist in Rikudou zu jeder Zeit in Doppelfunktion zu sehen: Einerseits geht es um den Sport, seine technischen Finessen, Physis, Training und den ganzen good stuff, den man eben so kennt. Andererseits sind die Motivationen in bzw. um die Kämpfe herum eigentlich immer tiefschürfenderer Natur. Für Riku sowie überraschenderweise auch seine Gegner geht es oft darum, emotionale Barrieren abzubauen. Das bringt die Geschichte trotz oberflächlicher Parallelen sehr viel näher an Ping Pong als an Ippo. Gefällt mir persönlich sehr gut, auch wenn es bei Zeiten tough shit ist. In jedem Fall wirkt es unverbrauchter, als der xte Sporty, in dem unser Held irgendwann den Champion schlagen möchte, um die Anerkennung seines Dorfs zu kriegen. Oder so.
    Wenn ich hier etwas kritisieren müsste, wäre es, dass Rikus Charakterzeichnung außerhalb von Boxkämpfen manchmal dazu tendiert, ihn als typischen naiven Shounen-goody-two-shoes darzustellen. Da bin ich mir allerdings unschlüssig, ob mehr dahintersteckt.

    In zeichnerischer Hinsicht kann sich Rikudou sehen lassen. Der Stil ist an vielen Stellen pseudo-realistisch gehalten, was gerade den sehr kinetischen Boxkämpfen zugutekommt. Weniger überzeichnet als Ippo, aber durch den Pseudorealismus greifbarer. Ein klar strukturiertes Panel-Layout hilft außerdem, gerade im hektischen Geschehen der Actionszenen stets den Überblick zu behalten. Die Tugend setzt sich auch außerhalb der Kämpfe fort, sodass Rikudou zu jeder Zeit ein übersichtlicher, ansehnlicher Manga ist. Zwar nicht hübsch, aber hey.

    Gibt’s sonst etwas zu meckern? Ja, das Frauenbild. Für einen Manga, der sich so viel Mühe mit dem Aufarbeiten der Psyche mancher Figuren gibt, sind die Frauen geradezu sträflich unterbeleuchtet. Die wenigen weiblichen Charaktere, die bisher aufgetreten sind, werden von den leidigsten Tropes des Genres geplagt: Love Interests, emotionaler Support oder Opfer ihrer Umstände. Charaktere, die praktisch nur insofern relevant sind, als sie Effekt auf Riku haben.

    Für wen es sich lohnt:
    Fans von Ping Pong, Teppuu, Real & Co.
    Fans von gut inszenierten Boxkämpfen
    Leute die am Trauma-Thema interessiert sind
    one-cool

    Wer sich fernhalten sollte:
    Leute die von Missbrauchsgeschichten getriggert werden könnten
    Leute, die partout kein Interesse an Sport-Stories haben
    Leute, die auf starke weibliche Charaktere bestehen


    Werde ich weiterlesen? Mit hoher Wahrscheinlichkeit, ja. Rikudou ist auf genau die Art und Weise sperrig, die ich motivierend finde. Die vorhandenen Schwächen oder eher die, die sich andeuten, könnten mich aber langfristig doch dazu bringen, den Manga zeitweilig auf Eis zu legen.

    Randinfos: Ich habe 14 von bisher 15 in Japan veröffentlichten Bänden gelesen. Anderswo bzw. in einer anderen Sprache könnt ihr Rikudou bisher nicht kaufen.

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    Zetubal ist offline Geändert von Zetubal (01.09.2022 um 19:23 Uhr)

  10. #30 Zitieren
    Cult of Chillosophy  Avatar von one-cool
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    Triggered!

    Kenn ich schon
    Aber nach 3-5 Kapiteln damals entschieden, dass es irgendwie ned passt für mich.
    War nicht so in der richtigen Stimmung dafür.

    Vllt muss ich es doch nochmal angehen
    one-cool ist offline Geändert von one-cool (01.08.2018 um 11:03 Uhr)

  11. #31 Zitieren
    Irregular  Avatar von Zetubal
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    Zitat Zitat von one-cool Beitrag anzeigen
    Triggered!

    Kenn ich schon
    Aber nach 3-5 Kapiteln damals entschieden, dass es irgendwie ned passt für mich.
    War nicht so in der richtigen Stimmung dafür.

    Vllt muss ich es doch nochmal angehen
    Der erste Band bzw. die ersten sind nicht so richtig repräsentativ für die Serie as it is, weil es ja kaum um den Boxsport geht. Für dich vielleicht insofern relevant zu wissen, dass der Sportaspekt mit fortschreitender Dauer immer mehr in den Vordergrund rückt.
    Zetubal ist offline

  12. #32 Zitieren
    Cult of Chillosophy  Avatar von one-cool
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    Naja, ich bin derzeit eher von Akira Amano's Hot getriggert.
    Den fand ich irgendwie gut für ne Serialization.
    Dass Robot x Laserbeam aufhörte... ist schade

    irgendwie muss ich über diese Tragik nun hinwegkommen und mir was neues suchen.

    Hast du eigentlich endlich Wind Breaker angefangen?
    Ein zugedröhnter, rosa Hase schlägt alle Hunde aus dem Feld respektive Zwinger - Old Ass Bastard
    Wenn der Internetexplorer mutig genug ist, dich zu fragen, ob er dein Standardbrowser sein darf, bist du auch mutig genug, das Mädel nach nem Date zu fragen ~ Abraham Lincoln (1863)
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  13. #33 Zitieren
    Irregular  Avatar von Zetubal
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    Zitat Zitat von one-cool Beitrag anzeigen
    Naja, ich bin derzeit eher von Akira Amano's Hot getriggert.
    Den fand ich irgendwie gut für ne Serialization.
    Dass Robot x Laserbeam aufhörte... ist schade

    irgendwie muss ich über diese Tragik nun hinwegkommen und mir was neues suchen.

    Hast du eigentlich endlich Wind Breaker angefangen?
    Akira Amano von Katekyo Hitman Reborn? Uahhh...Wind Breaker habe ich tatsächlich neulich auf deine Empfehlung als Zeitvertreib für die Reise rausgesucht (ist ja glücklicherweise komplett in der Line App hinterlegt), was letztlich darin mündete, dass ich den kompletten ersten Part las. War anfangs skeptisch, weil zB Yowamushi Pedal nie so richtig zünden wollte bei mir. Aber doch tatsächlich ein ziemlich unterhaltsamer Webtoon.
    Zetubal ist offline

  14. #34 Zitieren
    Irregular  Avatar von Zetubal
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    Der Monat ist mal wieder vorbeigerast und ich setze mit minimaler Verspätung die allmonatliche Impression ab. Diesmal habe ich einen Manga im Schlepptau, der sich redlich das Prädikat weird verdient. In römischer Schrift heißt das gute Stück Jagaaaaaan, da die Katakana im Japanischen Original aber nur "Jagan" sagen und die langgezogene Variante doof aussieht, belasse ich es fortan bei der Kurzform.

    Worum es geht:
    Shintarou Jagasaki lebt den Biedermeier-Traum: als Polizist in einer kleinen Vorstadt ist das schlimmste, worüber er sich gelegentlich mal den Kopf zerbrechen muss, eine Gruppe Teenies, die vor dem Discounter Schnaps saufen, während ihn zu Hause seine hübsche, fürsorgliche Freundin erwartet, die bereits eifrig Hochzeitspläne schmiedet und von der Familiengründung träumt. Ein nimmer endender Albtraum für Shintarou. Hinter der sorgsam konstruierten Fassade eines ordinären Vorstadtspießers ist Shintarou nämlich ein Bilderbuch Soziopath, der ständig zwischen Narzissmus, Gewaltphantasien, Nihilismus und Apathie schwankt.
    Shintarou sehnt sich (wie jede Disneyprinzessin) insgeheim nach Abenteuer, nach etwas Außergewöhnlichem, das ihm die Chance gibt, zu zeigen wie außergewöhnlich er ist.
    Während unser Protagonist über diese First World Problems sinniert, passiert etwas Eigenartiges (wer hätte das gedacht). In der U-Bahn vor ihm verwandelt sich ein Mann in ein Monster und massakriert in sekundenschnelle das gesamte Abteil. Doch bevor das Untier auch Shintarou zerhackstückeln kann, erscheint ihm eine kleine sprechende Eule, die ihn darauf aufmerksam macht, dass Shintarou nun seinen Arm in eine Kanone verwandeln kann. Shintarou folgt den Anweisungen der sprechenden Eule, die übrigens eine Fliegerbrille trägt, schießt einen Energiestrahl aus seinem Arm, der nun eine "Fleischkanone" ist, und tötet damit das Monster. Dann springt aus dem Kadaver des Monsters ein Frosch, den die sprechende Eule sogleich wegsnackt. Danach bekommt Shintarou einen heilsamen Eulenköttel zum Naschen, damit ihn die Nachwehen seines Kanonenschusses nicht umbringen.
    Von hier an wird es nur noch merkwürdiger...

    Eindrücke
    Hm...an irgendeinem Punkt in der Inhaltsangabe wird es komisch, ne.
    Das liegt glaube ich weder an euch, noch an meiner ungelenken Schreibe, sondern daran dass Jagan ein ziemlich eigenartiger Manga ist. Die beste Art, wie ich Jagan einem Fremden erklären kann ist, dass er sich liest, als hätte man Hiroya Oku damit beauftragt, Parasyte mit dem Oeuvre von Go Nagai zu kreuzen.

    Jagan werden in meiner Wahrnehmung 2 Selling Points zugeschrieben. Zum einen ist der Manga eine Action-Splatter-Extravaganza, in der alle Nase lang irgendwer effektvoll tranchiert, flambiert, zermatscht oder sonstwie unlebendig gemacht wird. Wer schon Devilman oder Gantz wegen dieser Gewaltexzesse mochte, wird an Jagan seine helle Freude haben – daran ist nicht viel zu rütteln.
    Der zweite Selling Point ist das, was snobbige Manga-Afficionados als „psychologischen Tiefgang“ bezeichnen dürften. Der Tenor hierzu lautet „Shintarou ist ein spannender ambivalenter Antiheld“, „Jedes Monster verkörpert eine tiefenpsychologische Neurose (it‘s sooooo deep)“, „die Monsterdesigns reflektieren Aspekte der Psyche“, und – mein Lieblingsargument zu Jagan - „die Romanze ist echt und unverbraucht“. Allesamt Lobpreisungen, denen ich nicht zustimmen würde.
    Der Reihe nach: Shintarou ist, meiner bescheidenen Ansicht nach, ein misslungener Protagonist. Die stark soziopathischen Züge kommen ihm schon nach dem ersten Band abhanden und weichen zusehends einer austauschbaren Shounen-Story darüber, wie Shintarou lernt zu lieben, die Interessen anderer über die eigenen zu stellen etc, pp. Es gibt zwar gelegentlich ein paar Spannungsmomente, wenn er sich ziert, eine Lektion anzunehmen, aber auch das ist im Wesentlichen Teil einer stinknormalen Hero‘s Journey.
    Die Monsterdesigns repräsentieren zwar tatsächlich irgendwelche krankhaften seelischen Aspekte der Menschen, die sie vormals waren, allerdings sind die Metaphern schmerzhaft offensichtlich. Als ich den Vergleich las, Jagan sei wie Homunculus nur mit Splatter garniert, hätte ich beinah meinen Kaffee ausgespuckt. Denn wo Homunculus tatsächlich mit innovativen Repräsentationen arbeitet, die chic aussehen UND deren Interpretation ein bisschen zum Nachdenken anregt, reden wir bei Jagan von allerlei random zusammengewürfelten Monstern, teilweise lose an mythologische Fabelwesen angelehnt, die explizit aussprechen, was sie repräsentieren sollen. Das, gepaart mit dem nicht enden wollenden Splatter, sorgt für einen sehr vulgären, flachen Manga.
    Zuletzt zur Romanze. Es geht, überraschend vordergründig, um Liebe in Jagan, was ich erstmal ganz nett finde. Was weniger nett ist, ist die Fülle an Klischees und Plattitüden, mit denen die Romanze hier gespickt ist. Jagan zeichnet ein erzkonservatives Frauenbild, nach dem alle relevanten weiblichen Charaktere devote, reaktionäre Liebchen sind, während drumherum eine Fülle ein „Dummchen“ auftaucht, die nur als fame/sexgeile Groupies/Fanservice eine Daseinsberechtigung in Jagan haben. Frauen in allen Rollen sind zuallererst Sexobjekte, die ständig auf ihre Körper reduziert werden, Beziehungen, die Frauen zu Shintarou haben, sind eigentlich immer darüber definiert, ob bzw. dass sie ihn lieben/begehren. Dieser Eindruck wird auch dadurch zementiert, dass es einen Subplot gibt, bei dem es hauptsächlich darum geht, wie ein Bösewicht seine Superkräfte nutzt, um reihenweise Frauen sexuell zu missbrauchen.
    Jagan ist also aus erzählerischer Sicht absoluter Driss. Die zugeschriebenen Stärken erweisen sich beim genaueren Hinschauen als substanzloses Geschwalle, das Frauenbild ist abstoßend, die ständig präsente Gewalt reiner Selbstzweck.

    Bleibt abschließend das Zeichnerische zu kommentieren. In der Hinsicht erinnert Jagan ebenfalls an Manga von Oku, speziell wohl an Gantz. Die Zeichnungen von Künstler Kensuke Nishida sind durchgehend solide, allerdings ohne in irgendeinem Bereich spektakulär zu sein (ein paar einzelne sehr detailreiche Panels mal ausgenommen). Dem Sujet entsprechend gibt es eine Menge schräge Charakter, denen jeweils sehr einprägsame Charakterdesigns verliehen werden. Nishida versteht sich gut darauf, durch Deformierung bzw. Überzeichnungen bestimmter Körpermerkmale (vor allem Augen und Gesichtszüge) Charaktere zu erschaffen, die direkt beunruhigend wirken. Optisch spiegelt der Manga so gut wieder, dass in der Psyche der meisten Figuren einiges im Argen liegt. Auf der anderen Seite gibt es aber auch haufenweise Figuren – vor allem Frauen, die einen generischen übertrieben auf Schönheit/Ästhetik getrimmten Einheitslook haben. Das ist prinzipiell zwar nichts Schlimmes, nimmt dem Manga aber Originalität.
    Die Action-Sequenzen sind mäßig bis ordentlich dargestellt, wobei Jagan einer dieser Manga ist, der hässlicher wird, je mehr in einem einzelnen Panel drinsteckt.

    Für wen es sich lohnt
    Fans von Oku/Gantz & Co.
    Fans von Body-Horror
    Gorehounds
    Fans von Antihelden
    Leute, die Eulen süß finden(?)
    Chauvis?

    Wer sich fernhalten sollte
    Biedere Typen
    Leute, die konventionelle Stories suchen
    Leute, die Wert auf ein zeitgemäßes Frauenbild legen
    Leute mit schwachem Magen
    Leute, die Geschichten mit Tiefgang suchen

    Werde ich weiterlesen? Nein. Jagan ist im Wesentlichen ein splatteriger Action-Seinen mit skurrilen Ideen, der mit allerlei (zwischen-)menschlichen Abartigkeiten durchsetzt ist. Das Frauenbild (auch wenn es an 1-2 Stellen gar nicht mal so unklug subvertiert wird), ist Chauvi-Gold, ständig geschieht absehbar Kram, der nur für maximales Shock-Value hingezweckt wird usw. usf.
    Momentan ist der beste Grund, Jagan zu lesen, die einmalige Chance, später mal sagen zu können: "Ich habe diesen Manga gelesen, in dem Superhelden Vogelkot fressen".

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    Zetubal ist offline Geändert von Zetubal (01.09.2022 um 19:23 Uhr)

  15. #35 Zitieren
    Cult of Chillosophy  Avatar von one-cool
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    Damn. Jetzt habe ich promised Neverland angefangen und in einem Stück bis zum aktuellsten chapter gelesen. Ich bin beeindruckt.

    Bist du auch noch am lesen? Ich bin massiv überrascht worden. Also positivst überrascht.

    Auch wie sich die Story nach dem Waisenhaus entwickelt, ist immens beeindruckend, und ich Frage mich, wie du über den ersten großen plottwist dann aufgenommen hast.

    Auch das hxh artige umgehen mit den Charakteren finde ich klasse
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  16. #36 Zitieren
    Irregular  Avatar von Zetubal
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    Kann dir da nur zustimmen. Ich lese auch regelmäßig weiter und bin mittelschwer begeistert. Gerade bei den Charakteren hatte ich letztes Mal ja noch leise Zweifel geäußert und bin nun doch überrascht worden. Aber welchen der Twists meinst du denn genau? Gibt ja so einige.
    Zetubal ist offline

  17. #37 Zitieren
    Cult of Chillosophy  Avatar von one-cool
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    Alle Plotveränderungen rund um den Charakter Norman.
    Auch die beiden Erwachsenen Charaktere und deren Entwicklung fand ich immens schade.

    Das schöne ist auch, dass es mir lange Zeit unklar war, wo es hinging.

    und Jagaaaaaaan hab ich genauso effektiv gedropped wie du, und derzeit hängt Chainsawman am gleichen seidenen Faden
    one-cool ist offline

  18. #38 Zitieren
    Irregular  Avatar von Zetubal
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    *Abstaub* *Hust* ...Ähm, hallo alle miteinander zur heutigen Ausgabe von Thread-Nekromantie. Dieser Thread war zwar schon vor Jahren eingeschlafen, das lag allerdings nie daran, dass mein Interesse an Manga abgeebbt wäre. Im Gegenteil, ich lese weiterhin regelmäßig alte wie auch neue Reihen. Ich hatte eher zeitweise den Bezug zum Schreiben über meine Eindrücke verloren. Nun ist er aber wieder da () und die Gelegenheit mag ich gerne nutzen, um dieses Format wieder mal zu bedienen. Ob sich daraus nun darauffolgend noch weitere Impressionen ergeben ... schauen wir mal
    Für heute habe ich jedenfalls direkt einen wortwörtlich spannenden Manga "mitgebracht": Shinai naru Boku e Satsui wo komete oder wie er im internationalen Vertrieb heißt: My Dearest Self with Malice Aforethought. Ein Titel sperriger als der andere.

    Worum es geht:
    Es ist der 23. Oktober und Student Urashima Eiji hat es wieder einmal vergeigt: Trotz Gruppendate mit Unterstützung seiner Kumpels kehrt er nachts allein nach Hause zurück. Naja, irgendwann wird es schon mit den Frauen klappen, denkt er sich optimistisch, bevor er sich hinlegt, um seinen Rausch auszuschlafen. Als er am nächsten Morgen aufwacht, ist er jedoch nicht allein. Neben ihm liegt Yukimura Kyouka, eine Kommilitonin, mit der Eiji noch nie zuvor Kontakt hatte. Auf die Frage, was um Himmels Willen hier nun los sei, reagiert Kyouka perplex: Die beiden würden doch schon seit einiger Zeit daten...?
    Reichlich überrumpelt weiß Eiji nicht so recht mit der Situation umzugehen...und die Verwirrung steigt weiter als er kurz darauf am Campus seinen Saufkumpan vom Vorabend trifft. Denn der kommentiert nicht nur neidisch Eijis frische Beziehung mit Kyouka, sondern erwähnt auch eine Prügelei in die Eiji neulich verwickelt gewesen sei. Auch davon weiß Eiji nichts und so fragt er, wann das bitte alles passiert sein soll. "Vor drei Tagen" sagt sein Kumpel. Eiji beschleicht ein übles Gefühl. Denn wie es sich herausstellt, ist heute nicht der 24. Oktober, sondern der 27.

    Was ist in den vergangenen drei Tagen passiert und warum hat Eiji keinerlei Erinnerungen in diesem Zeitraum? Eine spannende Spurensuche beginnt.

    Eindrücke
    Eine Sache vorab, ich habe mir den Kopf zerbrochen, wie ich den Namen des Mangas abkürzen kann, um nicht jedes Mal direkt eine halbe Zeile damit vollzuschreiben. Meine unelegante Lösung: Ich nenne ihn fortan "Malice".
    Wie die kurze Inhaltsangabe vielleicht bereits andeutet, handelt es sich bei Malice in erster Linie um einen Mystery-Thriller. Der beginnt nicht ganz klischeefrei mit dem Trope der Gedächtnislücke, die rekonstruiert werden will, streut aber schon früh diverse weitere Themen ein, die die Geschichte in undurchsichtige, frischere Fahrwasser manövrieren. Schnell verdichten sich die Hinweise darauf, dass zur Klärung des Mysteriums (deutlich) früher angesetzt werden muss und so entspinnt der Manga Schritt für Schritt ein immer größer werdendes Geflecht in der Eijis eigene Vergangenheit aber auch die seiner Mitmenschen in stets neuem Licht zueinander enthüllt werden.
    Die Geschichte von Malice ist voll von Wendungen, Twists, die das bisherige Geschehen urplötzlich neu kontextualisieren. Hier sei auch erwähnt, dass trotz relativ seichtem Beginn rasch harte, explizite Gewaltthemen von (Selbst-)Mord über Folter bis hin zu Missbrauch Einzug in die Geschichte halten. Malice ist kein Manga für seichte Gemüter und sollte auf keinen Fall von Personen gelesen werden, die von derartigen Themen getriggert werden könnten.
    So oder so kann man Malice aber hoch anrechnen, dass selbst drastische, heikle Themen nicht ausschließlich exploitativ angegangen werden, sondern eigentlich immer der emotionale Effekt auf die Charaktere im Vordergrund steht. Hierdurch gewinnt die Handlung sowohl Gravitas, weil einem das Geschehen nahegeht, als auch eine gewisse Tragik.
    Getragen wird all das von den Figuren und die sind überwiegend hervorragend geschrieben. Das gilt einerseits für Eiji, dessen persönliche Geschichte über weite Strecken des Mangas Motor der Handlung ist. Aber auch andere Figuren wie Kyouka, Kumpelfreund Kawashigi oder die Polizistin Momoi bringen sich als facettenreiche Figuren in Malices Plot ein. Ein Wermutstropfen ist allerdings, dass auf der Suche nach neuen Wendungen im späteren Verlauf einige Charakterenthüllungen stattfinden, die relativ konstruiert wirken, bei mir bisweilen auch deswegen an der Glaubwürdigkeit des Ganzen gekratzt haben. Ohne zu viel zu spoilern, mag ich außerdem sagen, dass die Handlung einen Anime-Charaktertrope beinhaltet, den ich auf den Tod nicht ausstehen kann.
    Zuletzt noch ein paar Lobesworte für die Zeichnungen. Oberflächlich besticht Malice mit ästhetischen, realistischen Zeichnungen, in denen Umgebungen sowie vor allem die Gesichtsausdrücke der Figuren durch Detailreichtum und Ausdrucksstärke punkten. Meistens geschieht das im Dienst der Erzählung, etwa um die Emotionen der Charaktere abzubilden. Auffällig hier sind die häufig wortlosen Panels, in denen bestimmte Aspekte der Körpersprache eingefangen werden, um so mosaikartig die Reaktionen der Figuren einzufangen.
    Etwas seltener, dafür umso schöner, spielt der Manga mit poetischerer Bildsprache bzw. Bild-Metaphorik. Einige fantastische Splashpages mit Stillleben oder Naturpanoramen dienen hier als eindrucksvolle Beispiele für Inoryuu Hajimes fantastisches Gespür für Ästhetik.
    Shouta Itos wahre Stärke als Zeichner sticht jedoch an anderer Stelle hervor: Im Arrangement der Panels und Seiten vor und während Wendungen. Mit einem Gespür, das mich an Junji Ito oder Kakizaki Masasumi erinnert, schafft es der Mangaka, konsistent, durch „Reaction Shots“ in kleineren Panels auf einer Seite effektvoll Suspense aufzubauen, der sich dann in wuchtigen großen Panels auf der Folgeseite entlädt. Das ist in den Augen vieler Fans so etwas wie die „hohe Kunst“ des Manga-Thrillers: Das Format des Comics selbst als spannungsstiftendes Element ausnutzen. Und Shouta Ito macht das bändelang mit beeindruckender Selbverständlichkeit.

    Für wen es sich lohnt
    Fans von Mystery und Thrillern

    Wer sich fernhalten sollte
    Leute, die von Missbrauchsgeschichten und Gewalt (physisch wie auch psychisch) getriggert werden könnten

    Werde ich weiterlesen? Ja, auf jeden Fall. Auch wenn die Suspension of Disbelief mit der fortlaufenden Dauer etwas mehr strapaziert wird, als mir lieb ist, bleibt Malice bis zum aktuellen Stand eine sauspannende Geschichte, mit deren Hauptfiguren ich weiterhin mitfiebere.

    Googlebilder spare ich mir an dieser Stelle, einerseits wegen der expliziten Gewaltdarstellung einiger Panels, aber auch, weil (meine) Suchergebnisse direkt einige größere Wendungen spoilern würden.

    Wenn ihr dem Manga eine Chance geben möchtet: Lasst euch abseits von den o.g. Triggerwarnungen am besten so wenig wie möglich spoilern. Über Kindle/Comixology kann man derzeit die ersten 6 Bände auf Englisch erstehen, der 7. Band erscheint dort Anfang nächster Woche, am 3. August. In Japan ist der Manga bereits seit September letzten Jahres in 11 Bänden abgeschlossen.
    Zetubal ist offline Geändert von Zetubal (01.09.2022 um 19:23 Uhr) Grund: Typos

  19. #39 Zitieren
    Irregular  Avatar von Zetubal
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    Da bin ich auch "schon wieder". Seit dem letzten Update hier ist mehr als ein Jahr vergangen und ich muss gestehen, ich kam lange Zeit kaum zum Lesen. Durch ein paar glückliche Zufälle hat sich das allerdings seit ca. 2 Monaten geändert und ich habe einen kleinen Berg neuer Manga durchwühlt - manche davon absolut vergessenswerter Driss, der mir die motorischen Kleinschritte des Tippens nicht wert ist. Aber eben auch ein paar ganz nette Sachen - und trotz aller Meckerei vielleicht sogar 2 echte 'Geheimtipps'.
    Da ich allerdings etwas rostig im Impressionen-schildern bin, will ich mich nicht direkt mit etwas ganz Großartigem verheben. Stattdessen gibt es heute etwas heimeliges, unaufgeregtes, nämlich Ao no Hako.

    Worum es geht:
    Im Mittelpunkt der Serie stehen Taiki Inomata und seine Mitschülerin Chinatsu Kano, in die Taiki heimlich verliebt ist. Beide verbindet die große Leidenschaft zum Sport, für ihn Badminton, für sie Basketball. Da hören die Gemeinsamkeiten allerdings auch auf. Denn während Chinatsu die Star-Spielerin ihrer Mannschaft und auch ansonsten allseits beliebt ist, steht Taiki in der Hackordnung seines Clubs noch ganz unten...und auch ansonsten schenkt ihm kaum jemand Beachtung.
    Und doch begegnen sich die beiden immer wieder in der Trainingshalle und es kommt zu ersten, vorsichtigen Annäherungen. Kurz darauf erfährt Taiki jedoch, dass Chinatsu mit ihren Eltern ins Ausland ziehen soll. Hals über Kopf eilt er in die Trainingshalle und nimmt all seinen Mut zusammen, um sie zum Bleiben zu bewegen. Awkward, denn sie entgegnet nach seiner Shounen-Ansprache, dass sie gar nicht wegzieht, sondern bei Freunden ihrer Eltern unterkommt. Mit einer Mischung aus Erleichterung und Schamgefühlen (Cringe?) fällt Taiki am selben Abend ins Bett…und muss nicht schlecht staunen als Chinatsu am nächsten Morgen am Frühstückstisch seiner Eltern sitzt. Von heute an wohnt sie bei den Inomatas.

    Eindrücke
    Ao no Hako, auch bekannt als "Blue Box", ist ein seit 2021 in der Jump erscheinender Shounen, der in bisher 6 Bänden zusammengefasst ist - der siebte soll im Oktober in Japan erscheinen - und im selben Monat wird auch der erste Band auf Englisch in den internationalen Vertrieb kommen.

    Stilistisch verbindet der Manga zwei Genres, nämlich die einer Sportgeschichte und einer Romanze - und das auf gar nicht mal so unkluge Art und Weise. In den besten Momenten merzen die zwei Genres die typischen Schwächen des jeweiligen Gegenübers aus. Während sich in so mancher Manga-Romanze Charaktere 'einfach so' ineinander verlieben, ohne erkennbare Chemie, ist hier ganz klar, was die Figuren aneinander lieben lernen. Wenn beide von ihrem Sport schwärmen, sich dabei beäugen, wie der jeweils andere aufgeht, wenn er/sie davon redet, sie sich bei Misserfolg Mut machen und sich dabei ertappen, wie der eigene Ehrgeiz in der anderen Person widergespiegelt wird, dann ist es als Leser*in nicht schwer zu glauben, dass die beiden über kurz oder lang Gefühle zueinander entwickeln. Chinatsu und Taiki sind eben nicht 'füreinander bestimmt' oder haben 'magische Anziehungskraft', sondern sind, wie der Manga immer wieder deutlich macht, verbunden durch Charaktereigenschaften, die sie entweder teilen oder aneinander bewundern.
    Gleichzeitig peppen die romantischen Elemente auch die Sporthandlung auf. So mancher Sporty neigt auf Dauer dazu, monoton zu werden, wenn alles nur ein ewiges Wechselspiel aus Matches und Training ist. Hier schafft Ao no Hako gut Abhilfe, denn immer wieder geht es auch um das Privatleben parallel zum Sport. Taiki, Chinatsu und deren Freund*innen sind zwar weitgehend extreme Sportjunkies, haben aber eben auch außerhalb der Halle ein Leben, das der Manga regelmäßig beleuchtet.

    Bei all der Lobhudelei könnte man nun denken, dass Ao no Hako eine kleine Revolution zweier Genres ist - komplett frischer Wind...Und auch wenn ich's gern sagen würde, ist es leider nicht ganz so. Denn an sehr vielen Stellen bedient sich der Manga an Klischees, ist stellenweise durchzogen davon. So spult die Geschichte viele ‚obligatorische‘ Szenen jedes High School Mangas ab, wie eine kurze Strand-Episode, ein Schulfest, eine Theateraufführung, der Besuch beim Feuerwerksfest usw. Durch das Bedienen zweier Genres halst sich Ao no Hako so gesehen auch die doppelte Palette an Steckenpferden auf, die erwartbar abgehakt werden. Noch dazu hat Ao no Hako einen gewissen Hang zu Kitsch und so mancher Dialog ist derart corny, dass sich mir beim Lesen die Nägel aufrollen möchten. YMMV.
    Zur Verteidigung des Mangas möchte ich allerdings sagen, dass er nicht in Ecchi-Gefilde dringt. Die befürchteten low hanging fruits wie versehentliches Begrapschen, ins Bad platzen, wenn die andere Person nackt ist und solchen Shit meidet die Geschichte zum Glück.
    Ich sollte außerdem wohl erwähnen, dass die Geschichte sehr zahm, bisweilen sogar bieder ist. Hier ist das höchste der Gefühle, einander anzulächeln und dann direkt rot zu werden.
    Noch dazu gehen bei dem Spagat zwischen den Genres viele Details verloren, die lupenreine Genrewerke bieten. Über die Feinheiten von Badminton oder Basketball lernt man hier nicht viel und die meisten Matches werden nur fragmentarisch gezeigt (ein bisschen wie bei Free!). Für pure Romantiker*innen hingegen mag selbst das als zu viel Nebengeschehen durchgehen.

    Interessanterweise macht sich die Genre-Verschmelzung auch im Zeichenstil bemerkbar. Während die Sportszenen im Stile eines modernen Shounen gezeichnet sind: saubere, kontrastreiche Trennlinien, kinetische Posen und derlei Ästhetiken, sind dieselben Figuren in sozialen Interaktionen eher gezeichnet, wie man es in einem Shoujo erwarten würde: weichere, skizzenhaftere Konturen, größere Augen, viel Augenmerk darauf, die Charaktere als attraktiv, niedlich etc. zu porträtieren. Ao no Hako ist in jedem Fall kompetent gezeichnet, die Mühe, die in die Darstellung bestimmter Schlüsselszenen fließt, sieht man dem Manga definitiv an.

    So, und für eine Impression soll das nun auch reichen. In Ao no Hako werden gekonnt zwei Genres verschmolzen, ohne dass sie ihre jeweilige Identität verlieren. In den besten Momenten bereichern sich Romantik und Sportgeschichte, in den nicht so guten wird die Klischeehaftigkeit des einen mit der des anderen ergänzt. Im Kern ist es eine melodramatische, persönliche, etwas naive Geschichte über Teenie-Liebelei, also sicher nichts Weltbewegendes. Besonders schön ist allerdings, wie gut der Manga herausarbeitet, worauf die Gefühle der Figuren zueinander fußen.

    Für wen es sich lohnt
    Fans von Romanzen und Sportgeschichten (bzw. Personen, die wenigstens eins davon mögen und dem anderen zumindest eine Chance geben)
    Fans von unbeschwerten, kurzweiligen Geschichten
    Klischee-Liebhaber*innen

    Wer sich fernhalten sollte
    Leute die gegen Klischees allergisch sind
    Leute die eine erwachsenere, (körperlich) intimere oder dramatische Serie suchen
    Leute die entweder Romanzen oder Sportgeschichten partout nicht ausstehen können

    Werde ich weiterlesen? Wenn sich die Gelegenheit bietet, gut möglich. Ao no Hako ist durch seine kurzweilige, unbeschwerte Art genau die Sorte Manga, die man eigentlich immer mal für 20-30 Minuten lesen kann. Eine Feel-Good-Geschichte für Zwischendurch.
    Zetubal ist offline

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