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Justizreform in Polen

  1. #1 Zitieren
    Provinzheld
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    Hallo,


    es ist noch gar nicht so lange her das jemand hier im Forum die Frage gestellt hat, ob die Entwicklung in Polen denn auch hier beobachtet wird.
    Ich hoffe , das der User hier noch anwesend ist, denn mein aktueller Informationsstand lässt mich zweifeln, ob die Vorwürfe, welche wegen der angestrebten Justizreform gegen die amtierende, polnische Regierung von Seiten der EU erhoben werden, tatsächlich auch den Hintergrund haben könnten, dass das demokratische Kennzeichen der "Gewaltenteilung" aufgehoben wird.

    Die polnische Regierung sagt, der derzeitige Justizapparat sei noch unter dem Kommunismus installiert worden und müsse dringend reformiert werden. Im Detail soll sich die strittige Reform wohl auf ein Instrument beziehen, welches die Unabhängigkeit der Justiz von der Politik sichern soll.
    (Das so etwas dem Sowjetkommunismus zu verdanken sein sollte erscheint mir schon merkwürdig ).

    Für einen Vergleich habe ich mir mal angesehen wie das Bundesverfassungsgericht eigentlich so in die Welt getreten wird. Hier die Information:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_...ssungsgerichts

    Im Detail ließe sich hier noch anmerken, das Herr Lammert in 2012 der Ansicht gewesen ist, das es nicht richtig ist, wenn die Hälfte, der durch den Bundestag gewählten Bundesverfassungsrichter eben nicht durch das Plenum, sondern in geheimer Wahl, durch ein Gremium bestimmt würden. Was aber vielleicht nicht ganz so wichtig ist.

    Ich denke, die Informationen zeigen ganz klar, das die Politik auch hier in Deutschland natürlich Einfluss auf die Justiz nimmt. Der entscheidende Faktor ist für mich aber, das es keinerlei Handhabe für eine politische Führung gibt, den Richtern bindende Anweisungen geben zu können.

    Etwas anderes kann ich mit meinem derzeitigen Informationsstand allerdings aber auch für Polen nicht feststellen und muss mich fragen, aus welchen Gründen hier eine bunte Kuh durch Europa gejagt wird.

    Wenn jemand besser informiert sein sollte als ich - Bitte her damit. Ich bin ein deutscher Europäer und Europa ist sehr wichtig für mich .

    MfG
    Musketeer
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    Musketeer ist offline

  2. #2 Zitieren
    banned
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    Passend dazu dieser Telepolis-Beitrag:

    Kritik an polnischer Justizreform: Sitzt Deutschland im Glashaus?

    [...]

    Ein zentraler Punkt der Kritik an der geplanten polnischen Regelung ist nämlich, dass der Sejm zukünftig über die personelle Bestückung eines Landesrichterrats entscheiden soll, der Richter ernennt. Damit, so die Kritiker, entscheide das Parlament indirekt auch über Richterposten, was ein Verstoß gegen die Gewaltenteilung sei. Bezüglich der Sauberkeit dieser Trennung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative sind auch die geltenden deutschen Regelungen angreifbar: Über die Vorsitzenden der Bundesgerichte entscheiden beispielsweise Bundesministerien - und die Verfassungsrichter werden nach Artikel 94 Absatz 1 Satz 2 des deutschen Grundgesetzes "je zur Hälfte vom Bundestage und vom Bundesrate gewählt."

    Da der Bundestag dieses Recht an einen Wahlausschuss weiterreichte, der mit Zweidrittelmehrheit beschließt, entscheiden nur acht Personen. Faktisch können das den Parteihierarchien wegen sogar lediglich die Führer der beiden großen Volksparteien sein. Oder eine Kanzlerin, die eine Große Koalition anführt. Es ist auch möglich, dass sich eine Partei bei Koalitionsverhandlungen das Recht sichert, einen Richterkandidaten ihrer Wahl zu nominieren (vgl. Wenig transparent und der Bedeutung unangemessen). Juristische Kommentare halten diese Situation zum Teil für verfassungswidrig und fordern öffentlichen Anhörungen der Kandidaten, wie es sie beispielsweise in den USA gibt. Ob Verfassungsrichter wie die umstrittene und fragwürdig qualifizierte Susanne Baer nach solchen Anhörungen problemlos an ihre Posten gelangt wären, ist zumindest zweifelhaft.
    ulix ist offline

  3. #3 Zitieren
    Provinzheld
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    Hallo,

    nicht nur im Zusammenhang mit diesem Thema, möchte ich mal eine Quelle im Forum einführen, welche scheinbar weniger gelesen und so gut wie nie verlinkt wurde:

    http://derstandard.at/2000061739875/...halten?ref=rec

    Sie ist deutschsprachig und doch sehr informativ. Das Thema bleibt auch ohne wirkliche Resonanz hier im Forum für mich wichtig und ich werde weiter beobachten.

    MfG
    Musketeer
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  4. #4 Zitieren
    General Avatar von Harvald
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    Es ist richtig, das der Justizapparat in seiner jetzigen Form bereits zu Zeiten Kommunismus installiert wurde. Die Problematik hatte wir in Deutschland 2 mal. Zuerst bei der Entnazifizierung der Justiz und dann nach der Wiedervereinigung bei der Reinigung der Justiz von SED- und Stasi-Angehörigen.


    Unter den Kaczyński Brüdern ist so etwas in Polen auch versucht worden, aber aufgrund diverser politischer Einflussnahmen grandios gescheitert. Dies hat zur Folge das es noch mehr als in Deutschland eine einseitig politisierte Justiz gibt, die zudem sich teilweise zu Recht Korruptions- und Kadervorwürfen gegenüber sieht.


    Die jetzige Regierung geht mit ihren Gesetzen die diesen Zustand bekämpfen sollen eindeutig zu weit, jedoch ist die Tendenz in Anbetracht der Umstände richtig. Wenn es keinen anderen Weg gibt, die Geschichte aufzubrechen, muss man vielleicht zu solchen Maßnahmen greifen.
    Harvald ist offline

  5. #5 Zitieren
    Provinzheld
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    Zitat Zitat von Harvald Beitrag anzeigen
    Es ist richtig, das der Justizapparat in seiner jetzigen Form bereits zu Zeiten Kommunismus installiert wurde. Die Problematik hatte wir in Deutschland 2 mal. Zuerst bei der Entnazifizierung der Justiz und dann nach der Wiedervereinigung bei der Reinigung der Justiz von SED- und Stasi-Angehörigen.


    Unter den Kaczyński Brüdern ist so etwas in Polen auch versucht worden, aber aufgrund diverser politischer Einflussnahmen grandios gescheitert. Dies hat zur Folge das es noch mehr als in Deutschland eine einseitig politisierte Justiz gibt, die zudem sich teilweise zu Recht Korruptions- und Kadervorwürfen gegenüber sieht.


    Die jetzige Regierung geht mit ihren Gesetzen die diesen Zustand bekämpfen sollen eindeutig zu weit, jedoch ist die Tendenz in Anbetracht der Umstände richtig. Wenn es keinen anderen Weg gibt, die Geschichte aufzubrechen, muss man vielleicht zu solchen Maßnahmen greifen.
    Hallo Harvald ,

    wenn ich das richtig in Erinnerung habe, dann gehörst du zu den Juristen, welche auch auf dem internationalen Parkett nicht ohne Erfahrungen sind. Es würde mich freuen, wenn du die Zeit finden könntest einmal mitzuteilen, ob die angestrebten Reformen denn auch aus deiner Sicht tatsächlich die notwendige Gewaltenteilung in der polnischen Demokratie aushebeln würden.

    Der Berufsverband deutscher Richter hat ja auch schon seine Stimme erhoben. Ich weiß allerdings nicht wo ich diese Information (auch inhaltlich) einordnen soll.

    Aus meinem Blickwinkel kann Demokratie nicht überall gleich aussehen, eben, weil sie auch auf Entwicklung ausgelegt ist. Ohne eine Trennung der Gewalten würde allerdings auch ich nicht von einer Demokratie reden wollen.

    Es mag zwar üblich sein maximale Forderungen zu erheben um minimale Fortschritte zu erzielen, aber ich halte so ein Verhalten nicht für richtig. Vielleicht ist das genau der Punkt, welcher in Polen die Leute auf die Straße treibt.

    MfG
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  6. #6 Zitieren
    General Avatar von Harvald
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    Doch Musketeer nur ist die Demokratie dann kein Rechtsstaat. Ebenso kann ein Rechtsstaat unter idealen Bedingungen ohne Demokratie bestehen. Für letzteres ist Preussen ein gutes Beispiel, das im Bezug auf seine Zeit ein fortschrittlicher Rechtsstaat war, aber mit Sicherheit keine Demokratie.

    Das was der Deutsche Richterbund bzw sein Vorsitzender zum Ausdruck bringt, ist eine bedingte Sorge. Eine Auslieferungsersuchen einer politschen Justiz ist immer ein Problem. Mit der Türkei dürften die Probleme ähnlich sein, ebenso wie mit einer ganzen Anzahl von Staaten. Mehr Arbeit. Es betrifft nicht die innerstaatliche Problematik.

    Nach meiner Ansicht wurde die politische Justiz in Polen nicht hinreichend aufgearbeitet. Seit 1952 hatte das kommunistische Polen keinen Staatspräsidenten sondern einen fünfzehn bis knapp dreißig köpfigen Staatsrat – die Zahl schwankte bis 1989 – der kollektiv die Aufgaben des Staatsoberhauptes wahrnahm. U. a. ernannte der Staatsrat Richter, die alle zuvor gründlich hinsichtlich ihrer Loyalität zur kommunistischen Partei und dem Staat durchleuchtet worden waren. Nach 1989 fand in Polen keine Überprüfung der bis dahin ernannten Richter statt. Bis auf ganz wenige Ausnahmen verblieben alle, darunter viele ehemalige aktive Mitglieder der kommunistischen Partei, auf ihren Posten. Viele sind inzwischen aus Altersgründen ausgeschieden, viele sind aber auch aufgestiegen und haben noch heute leitende Positionen im Justizwesen inne. Durch den Landesjustizrat und andere hohe Ämter formen und bestimmen sie den Richternachwuchs.

    Was wir sehen ist das typische Problem nach dem Ende eines autoritären Systems und seiner Staatsdiener

    https://books.google.de/books?id=JO8...reform&f=false

    Auch die Opfer dieser Justiz hatten ein ganz erhebliches Problem sich zu rehabilitieren. Ein nicht unübliches Problem nach Diktaturen und so bekommt man eine Spaltung. Die Gruppe, die zu Zeiten der Diktatur nach jetziger Lesart verfolgt wurden und zu Recht oder Unrecht revanchistische Züge annimmt. Mit Amnestien und Freisprüchen hat die Justiz diesen Selbstreinigungsprozess in den 90er Jahren selbst diskreditiert. Auch Lech Walesa, der sich jetzt dem Protest angeschlossen hat, hat in der Vergangenheit Deals mit der Justiz gemacht und ist einige ziemlich faule Kompromisse eingegangen. Ich sehe die jetzige Regelung als Versuch dies im Wege eines Kahlschlages nachzuholen.


    Sicher, Herr Kaczyński hat seinen juristischen Dr. auch aus dem kommunistischen System und für mich persönlich wäre es in der aktuellen Krise ein wichtiges Symbol, wenn er auf diesen Titel verzichten würde.


    Das Problem in Polen ist, nach meiner Ansicht, damals wie jetzt, dass im Bereich der politischens Straftaten in den Jahren seit dem Ende der kommunistischen Herrschaft, aus politischen Gründen, mit dem Institut der Amestie und der Gnade in einen geordneten juristischen Prozess hineinregiert wurde. Diese wechselseitige Beeinflussung von Entscheidungen hat zu einer Verhärtung auf beiden Seiten geführt. Die politische wie juristische Aufarbeitung der Vergangenheit hätte aber ein vorrangiges Ziel sein müssen. Bei der Entnazifizierung hatten wir in Deutschland Hilfe durch die Siegermächte und bei der Überwindung der DDR konnten wir als Bundesdeutsche helfen.

    https://deutsche-einheit-1990.de/min...-justizwesens/

    Ich denke Polen benötigt keine Belehrungen von der EU oder Deutschland, sondern konkrete Hilfen wie die Aufarbeitung und Reorganisation zu leisten ist. Möglicherweise kann auch Tschechien helfen, das diesen Teil der Vergangenheitsbewältigung etwas besser gelöst hat. Ich denke hier geht es nicht um eine Entwicklung auf eine Zukunft hin sondern um Vergangenheitsbewältigung. die Risiken liegen jedoch auch darin, dass sich eine derartige Entwicklung in der anderen Richtung verfestigen könnte.
    Harvald ist offline Geändert von Harvald (02.08.2017 um 16:53 Uhr)

  7. #7 Zitieren
    Provinzheld
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    Hallo Harvald ,

    danke das du dir die Zeit genommen hast, deine Einschätzung vorzustellen.


    Wenn Demokratie im ursprünglichen Sinn nichts anderes als "Herrschaft des Staatsvolkes" bedeutet hat, dann stimmt es natürlich, das eine Gewaltentrennung nicht unbedingt dafür erforderlich ist.


    Was aber nichts daran ändert das ich in 2017 nicht geneigt bin eine Demokratie anzunehmen, wenn diese Trennung der Gewalten nicht erkennbar ist.


    So direkt kann ich die Frage ob die Gewaltenteilung in Polen überhaupt vorhanden, oder in Gefahr ist, aus deinen Informationen zwar nicht beantworten, aber da ist doch eine Fülle von beachtenswerten Input.


    Aus meinem Blickwinkel hat in Deutschland zur Zeit jemand das Recht die Richtlinien der Politik zu bestimmen, welcher das besser nicht hätte und das gilt für Europa insgesamt, nicht nur für Polen. Wenigstens indirekt stimme ich dir an dieser Stelle zu . Nur ist unter den Blinden bekanntlich der Einäugige ein König und daran wird auch die kommende Wahl leider nichts ändern können.


    MfG
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  8. #8 Zitieren
    General Avatar von Harvald
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    Es gehört auch in diesen Kontext, das es in Polen keine relevante Partei gibt die einen sozialistischen oder auch nur sozialdemokratischen Ansatz verfolgt. Das Parteienspektrum reicht lediglich von liberal bis extrem nationalistisch. In Deutschland haben wir Teile der Linken als SED-Nachfolgeorganisation geerbt und eine SPD hatten wir ohnehin.

    In Polen ist hingegen mit dem Untergang des sozialistischen Regimes die gesamte Politikrichtung offensichtlich diskreditiert und gestorben, ähnlich wie in Deutschland alle nationalistischen Tendenzen mit den Nazis diskreditiert wurden.

    Beides ist gesamtpolitisch gesehen in meinen Augen nicht wünschenswert, da es einen Staat in die falsche Richtung treibt.
    Harvald ist offline

  9. #9 Zitieren
    Provinzheld
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    Zitat Zitat von Harvald Beitrag anzeigen
    Es gehört auch in diesen Kontext, das es in Polen keine relevante Partei gibt die einen sozialistischen oder auch nur sozialdemokratischen Ansatz verfolgt. Das Parteienspektrum reicht lediglich von liberal bis extrem nationalistisch. In Deutschland haben wir Teile der Linken als SED-Nachfolgeorganisation geerbt und eine SPD hatten wir ohnehin.

    In Polen ist hingegen mit dem Untergang des sozialistischen Regimes die gesamte Politikrichtung offensichtlich diskreditiert und gestorben, ähnlich wie in Deutschland alle nationalistischen Tendenzen mit den Nazis diskreditiert wurden.

    Beides ist gesamtpolitisch gesehen in meinen Augen nicht wünschenswert, da es einen Staat in die falsche Richtung treibt.
    Hallo Harvald ,

    das deckt sich - aus meiner Erinnerung - mit der Aussage des ehemaligen Kanzleramtsminister Teltschick, das in Polen und Ungarn die Antwort auf den gewollten Kommunismus ein eher verstärkter Nationalismus gewesen sein soll.
    So menschlich erklärlich wie das auch wirkt, eigentlich müssen vor Eintritt in die europäische Union bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Ich sollte deshalb eigentlich davon ausgehen können, das die Trennung der Gewalten vorhanden oder doch mindestens als angestrebter Prozess erkennbar gewesen sein müssen.

    Thx für die Info.

    MfG
    Musketeer
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