Charis Vale
Sie saßen in der Falle. So ließ sich die Situation recht gut zusammenfassen, wie Charis mit der grausamen Härte der Realität feststellte. Die Drohne hatte sie entdeckt, ehe die Asari und Kathy ihr den Garaus machen konnten. „Das war’s dann wohl mit der Heimlichkeit“, fluchte Charis und stampfte untermalend einmal heftig auf. Dass sich dieser Verdacht bewahrheiten würde, bewiesen die alarmierten Roboter-Gegner, die sich nur kurze Zeit später an dem einzigen leiterlosen Zugang zu schaffen machten. „…ich würde dann versuchen mit den anderen eventuell auftretende Geth zu beschäftigen.“ Charis hob eine tätowierte Augenbraue. Irgendwo knallte es heftig worauf der Sender leicht schaukelte. Jemand übergab sich. „Sie wissen was das bedeutet, oder? Sie sind tot! Und ich vermutlich dann auch bald…“, rief Charis gegen das akustische Gemisch aus Schüssen und einem kotzenden Batarianer. Kathy ignorierte Charis, sie war zu sehr damit beschäftigt eine Salve Projektile auf einen blauen Lampenkopf abzufeuern. „Drauf geschissen“, murrte Charis. Besser bei dem Versuch sterben von diesem Planeten zu verschwinden, als es überhaupt nicht versuchen. „Kommen Sie, Mig! Mig?“ Charis schaute sich um. Der Salarianer hing halb gegen die Außenwand des Senders gelehnt, der Stahl hinter ihm war mit dickem, grünem Blut beschmiert. „Ich glaub, mich hat’s erwischt“, stammelte er und sank vollends zu Boden. Charis war sofort bei ihm, stützte seinen zusammenbrechenden Körper. „Geta!“, schrie sie. Die Turianerin feuerte gerade, warf einen Blick zu der Asari und verstand sofort. Sie eilte zur knienden Charis und Mig. „Schusswunde“, erklärte Charis das offensichtliche. „Halten Sie durch“, sprach die Turianerin routiniert auf den Salarianer ein. „Ich gebe Ihnen jetzt eine Dosis Medigel zum Stabilisieren, dann schaue ich mir die Wunde mal an. Das könnte jetzt etwas kalt werden.“ Mig zischte zwischen zusammengebissenen Zähnen, als Geta ihn versorgte. Der Salarianer hob einen schwach zitternden Arm gen Turmspitze. „Ich muss den Sender starten“, brabbelte er schwächlich und machte sogar den Versuch, sich aufzurichten. „Ich würde Sie in Ihrem Zustand nicht einmal einen Quasar-Automaten starten lassen“, gab Charis zurück und drückte den Salarianer sanft nieder. „Bleiben Sie hier.“ Dann wandte sie sich selbst zum Ende des Senders, der wie ein eiserner Dorn in den Himmel stach. „Ich mach den Scheiß selbst.“
Stufe um Stufe hing es aufwärts. Der Brenner, den Arden ihr gegeben hatte wog schwer auf ihrem Rücken, das Modul des Salarianers baumelte gefährlich lose an ihrer Seite. Charis presste sich so dicht an die Leiter wie möglich. Gefühlte einhundert freischwebende Stufen später erreichte Charis die Plattform, Charis zog sich seufzend hinauf, wobei Metallteile heftig gegen den ihr viel zu schmal erscheinenden Rand donnerten. „Bei der Göttin“, keuchte sie, legte sich auf den Bauch und atmete kurz durch. Ein merkwürdig hydraulisches Geräusch ließ sie aufschauen – und erstarren. Direkt vor ihr flackerte sie ein Geth an, ein schmales agil wirkendes Wesen mit einer langen, an ein Scharfschützengewehr erinnernden Waffe in der Hand. Der Schein trog nicht, es war ein Sniper, der die Mitglieder des Angriffstrupps von weiter Oben unter Beschuss genommen hatte. Schwarz-verbrannte Einschusslöcher im Blech hinter ihm verrieten, dass jemand das Feuer erwidert hatte. Der Geth „sah“ sie an, einen Moment geschah nichts. Dann bewegten sich die Glieder und die Waffe richteten sich aus. Auf Charis. Die Asari stieß einen lauten Schrei aus, reckte die Hand nach Vorne und verwandte so viel biotische Energie wie ihr durch den Aufstieg gemarterter Körper zu entbehrten vermochte in den Wurf. Es riss den Geth glattweg von den Füßen, schleuderte ihn im hohen Bogen von der Plattform und ließ ihn krachend im Geäst einiger Bäume verschwinden. „Herrje! Nie wieder!“, fluchte Charis, heftig atmend. Sie rollte sich auf den Rücken, ignorierte den ihr ins Kreuz stechenden Apparat. Scheiß oder Tränen bahnten sich einen Weg von ihren Augenwinkeln hinab und zogen nasse Schlieren durch die blaue Haut. Ihr Brustkorb hob und senkte sich im raschen Takt der Schüsse unter ihr. Irgendwo in ihrem peripheren Blickwinkel nahm sie verschwommen einen brennenden Baum wahr. Nach ein paar Minuten egoistischen Durchschnaufens rappelte sie sich auf, legte die Gerätschaften ab und begann damit, sich das Metall anzuschauen. Mig hatte ihr gesagt, worauf sie achten müsste. Die Einschusslöcher in der Wand nahmen ihr die Arbeit aber ab. Sie hatten das Blech durchschlagen und waren dick genug, als dass Charis einen Finger hindurch schieben und die Stärke des Metalls prüfen konnte. „Super“, murmelte sie und begann damit, den Brenner anzufeuern und an einer Stelle, die sie für geeignet hielt, anzusetzen. Nach kurzer Arbeit legte sie die Kabel frei und staunte nicht schlecht. Die Geth hatten es geschafft, diesem chaotischen Planeten Ordnung aufzuzwingen. Sämtliche Kabel lagen einwandfrei sortiert vor ihr, genau wie es sein sollte. „Ideal!“, freute sich Charis, nun vollends in ihrem Element. Sie begann damit, die Isolierung der Hauptkabel zu entfernen und die Drähte freizulegen. Mit den provisorischen Verbindungen klinkte sie sich ins Netzwerk und warf den Sender an.
Es war ein kleiner Kasten, kaum größer als ein Handterminal. Er flimmerte in dem tiefen blau von Wasser während sich Zahlen, Schriften und Symbole in weißer Farbe von ihm abhoben. Er ratterte hörbar, was Charis die Befürchtung aufnötigte, er würde den Prozess nicht überstehen. „Komm schon, komm schon“, murmelte sie, die Finger knetend. „Ja!“ Der Gerät zeigte genau den Bildschirm und den Modus, den Mig ihr in aller Ausführlichkeit beschrieben hatte – mehrmals. Sie hatte es für eine Macke des Salarianers gehalten, nun verstand sie, dass er diesen Moment zumindest vorausgeahnt hatte. „Danke, Mig“, flüsterte sie und nahm sich vor, den Salarianer auch nach gelungener Rettung – so sie denn kommen sollte – nicht aus ihrem Leben zu streichen. Der Kerl war clever, engagiert und unterwürfig genug, um ein guter Co-Pilot zu sein. Charis tippte einen Code ein, bestätigte ihn und begann dann zu schreiben: „Mayday, Mayday, Mayday. Hier ist die Crew des Frachters Menetekel. Wir sind auf einem unbekannten Planeten abgestürzt und brauchen dringend Rettung. Koordinaten folgen.“ Charis tippte die ungefähr ermittelte Position ihres Lagers ein, dann schrieb sie weiter. „Dies ist ein automatischer Notruf. Benötigen sofortige Evakuierung von Zivilpersonen des Frachters Menetekel. Helft uns. Ihr seid unsere letzte Hoffnung.“ Mehr konnte sie im Moment nicht tun. Den Sender und den Brenner ließ die Asari oben. Sollte sich Arden doch einen neuen kaufen. Der Abstieg begann und Charis hoffte, dass unten nicht der Tod wartete…
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Hanna Ilias
Irgendwie wirkte die Szene, die sich im Separee abspielte paradox auf Hanna. Pläne wurden geschmiedete und wieder verworfen und generell schien jeder irgendwie mit jedem verbandelt zu sein. „Ist ja wie ein Orgie“, dachte sie, griff in ihre Tasche und fummelte die Zigarettenschachtel hervor. Das Klicken des Feuerzeugs unterbrach den Wortschwall nicht, dessen Urheber mit texanischem Akzent sprach und der ihren Vorschlag weitestgehend deckte. Hanna sog an der Zigarette und blies den sich kräuselnden Rauch über den Tisch. Ihre nonchalante Art legte nahe, was nicht wahr nämlich, dass ihr das Ganze egal wäre. Tatsächlich aber hörte sie sehr genau zu und entschied, dass van Zan sowohl Recht hatte als auch mit einem so gefährlich scharfen – kriminellen – Verstand ausgestattet war, dass eine verirrte Kugel im Kampf der Galaxie sicherlich einen Gefallen tun würde. Aber das würde Hanna nicht tun. So war sie nicht. Nicht mehr. Hannas Omnitool piepste. Die Prüfungen der Datenbanken von C-Sicherheit waren abgeschlossen und ließen Hanna gewahr werden, dass sie sich tatsächlich in denkbar ungünstiger Gesellschaft befand. Van Zan wurde von der Behörde beobachtet, agierte scheinbar als Infobroker und schreckte unbestätigten Berichten auch nicht vor Handgreiflichkeiten und mehr zurück. Hanna warf ihm einen kurzen Blick zu. Sie spürte, wie die Muskeln in ihrem Kiefer zuckten und überspielte es, indem sie die Zigarette an die Lippen führte. Inzwischen hatten Beyo Vhan, Saenia Sorax und der Mann in Schwarz ihr Intermezzo des gegenseitigen Abtastens beendet und sich auf Hannas Plan eingeschossen. Ein Indiz, dass sie es hier nicht ausschließlich mit Vollidioten zu tun hatte. Es wunderte Hanna, dass auch die Turianerin beschloss, mit ihnen zu gehen. „Entweder ist sie die bedingungslos-loyale Puppe ihre Auftraggebers, wahnsinnig oder extrem kompetent“, überlegte die Blondine. Natürlich konnten auch alle drei Faktoren gleichzeitig zutreffen, auch wenn sie das beinahe vollkommen ausschloss. Den Wahnsinnigen traute sie da eher Beyo zu, der von seinem defensiven Plan in hemmungslosen Aktionismus verfiel und zum sofortigen Aufbruch blies. „Gooott“, stöhnte Hanna und drückte die Zigarette am Boden eines Glases aus. „Mister Vhan, Sie haben so wenig von einem Turianer, wenn ich es nicht besser wüsste, ich würde sagen Sie haben salarianisches Blut in den Adern. ‚Ohne Aufschub‘ – ernsthaft? Wir haben die Adresse. Punkt. Wir wissen nichts über das Gelände, nichts über die Kräfte vor Ort, nichts über irgendetwas. Sie da, Miss Sorax, wie ist es um Ihre Bewaffnung bestimmt? Und Sie, Mister van Zan, machen Sie sich überhaupt die Hände schmutzig oder schicken Sie uns einen dieser Gorillas mit?“, fragte sie und nickte in Richtung der Türsteher, die bei der Turianerin geradezu spektakulär versagt hatten. Hanna klopfte auf den Boden ihrer Zigarettenschachtel und förderte einen zweiten Glimmstengel zum Mund. „Fertigungsstraßen, Lagerhäusern und einigen leerstehenden Gebäuden? Soll ich das übersetzen?“, spottet sie. Die Tabakrolle verzerrte die Vollmundigkeit ihrer Sprache. Hanna zündete die Zigarette an, nahm einen Zug und setzte ab. „Das heißt: Fluchtmöglichkeiten, die wir gar nicht alle sichern können, wenn wir nicht wissen, wo genau es heraus geht. Das heißt weiter: ideales Feld für Scharfschützen. Und das heißt im schlimmsten Fall: Minen und Sprengfallen. Wir schwimmen hier in einem trüben Sumpf.“ Sie ließ den Blick schweifen, sah in die verschiedenen Augenpaare, allesamt blau. „Ich weiß, dass ich irgendwann sterben werde. Aber ich wäre sehr verärgert, wenn das heute wegen übereiltem Agieren passieren würde.“ Etwas entspannter fuhr sie fort: „Wie heißt es so schön: ‚Glück ist das Ergebnis von Planung‘. Und auch, wenn wir nur wenig Zeit haben, sollten wir zumindest ein wenig in Erfahrung bringen und uns mit dem Nötigsten ausrüsten. Schließlich haben wir einen erklärten Kampf vor uns, oder?“ Die Wahrheit ließ Hannas Herz höher schlagen. Sie spürte, wie sie lächelte. „Wie in alten Zeiten“, drängte sich ihr ein Gedanke auf. Sie heftete den Blick auf van Zan. „Ich würde sagen, Mister van Zan, wir bedienen uns ihrem Netzwerk.“ Zweifellos würde es ihre Chance, die Mission zu überleben kaum fördern, wenn sie offenbarte, dass sie von seinen Aktivitäten wusste. Andererseits standen ihre Chancen seit dem Betreten des Separees schlecht. „Und wenn Sie noch ein paar Thermomagazine übrig haben…“