Die passierten Tomaten zischten feindselig auf, als sie zu den gekochten Kichererbsen und der Currypaste in die siedend heiße Pfanne gekippt wurden, konnten ihr Schicksal dadurch aber auch nicht mehr ändern. Wie die Seelen gefallener Soldaten stieg weißer Dampf auf und wurde gleich vom nimmersatten Dunstabzug aufgesogen. Vincent rührte nachdenklich im Gemüse herum und nahm etwas Hitze weg. Er ließ sich einmal pro Woche Lebensmittel ins Haus bringen und da die nächste Lieferung für morgen vormittag anstand, hatte er mit dem angefangen zu kochen, was er noch in den Schränken hatte finden können. Als er wieder auf die Citadel gekommen war, hatte er eine Gewohnhet daraus gemacht, regelmäßig essen zu gehen, doch war er irgendwann aus Bequemlichkeit dazu übergegangen, in der Regel selbst zu kochen anstatt sich jeden Abend zu fragen, wo er heute hinfahren wollte.
Während er den Reis vom Feuer nahm, der fröhlich auf dem benachbarten Kochfeld vor sich hin geköchelt hatte, schaute er mit einem Auge auf die Uhr. Marten und Walter hielten ihn regelmäßig auf dem Laufenden und berichteten stets pünktlich. Ihr nächster Anruf war zwölf Minuten überfällig und obwohl es nichts bedeuten mochte, wusste Vincent, dass es fast sicher etwas bedeutete; die beiden Brüder waren Pedanten der schlimmsten Art und jedes Abweichen von ihrer Routine musste einen sehr guten Grund haben. Der Mann in Schwarz horchte aufmerksamer auf eingehende Nachrichten und fing an, den Reis auf seinen Teller zu schaufeln.
Exakt 28 Minuten später als sonst rief Marten an. Vincent nahm den Anruf kauend entgegen und war auf alles gefasst. Der Beschatter sprach zügig und erstattete wie gewohnt einen exakten Bericht, der sich diesmal jedoch nicht auf die Alltagsaktivitäten von Vhan beschränkte. Der Mann in Schwarz hörte schweigend zu und machte sich vor seinem geistigen Auge ein Bild von der neuen Situation: Vhan war in seiner Wohnung angegriffen und vermutlich beinahe getötet worden. Nur das wahrscheinlich nicht ganz zufällige Erscheinen einer C-Sec-Agentin hatte den Killer in die Flucht geschlagen. Marten war sich nicht ganz sicher, glaubte die Agentin aber als Hanna Ilias erkannt zu haben. Vincent nickte und forderte ihn auf, weiter zu berichten. Wenn Leute wie Marten oder Walter sich "nicht ganz sicher" waren, bedeutete das immer noch eine Wahrscheinlichkeit oberhalb von 95%, die Brüder waren in manchen Aspekten Maschinen ähnlicher als Menschen. Walter war nach dem Zwischenfall unterwegs, herauszufinden, wohin der Killer floh, während Marten an der Wohnung versteckt in Stellung blieb und Kontakt zu seinem Auftraggeber aufnahm. Vincent rechnete nicht damit, dass Walter Erfolg haben würde, aber immerhin wusste er, dass sich sein Feind erneut aus der Deckung gewagt und es tatsächlich auf Vhan abgesehen hatte. Scheinbar hatte ihn die rasche Entlassung aus der Haft dazu bewegt, sein Opfer direkt anzugreifen.
Nachdem Marten seinen Bericht beendet hatte, legte Vincent auf, ohne ein Wort gesagt zu haben. Er schob etwas Reis und den Rest vom Gemüse mit dem Messer auf seine Gabel und führte sie zum Mund, wo seine Kiefer ebenso emsig waren, wie die Gedanken in seinem Kopf. Die Geschehnisse nahmen Fahrt auf. Irgendetwas schien den Killer zu treiben, aus irgendeinem Grund hatte er beschlossen, sich selbst der Gefahr von Gefangennahme und Tod auszusetzen um erst Vincent und dann Vhan einen Besuch abzustatten. Der Mann in Schwarz zweifelte nicht daran, dass der Killer Vhan ebenso überrumpelt hatte wie zuvor ihn, doch erneut war die schattenhafte Gestalt nicht vollends erfolgreich gewesen und hatte diesmal sogar die Flucht antreten müssen. Vielleicht war es an der Zeit, nun selbst den Einsatz zu erhöhen und das Momentum zu nutzen.
Vincent stellte seinen Teller in die Spülmaschine und ging auf dem Weg zum Schreibtisch an der Garderobe vorbei, um eine seiner Karten aus der Innentasche seines Mantels zu fischen. Mit dem weißen Stift, den er auch zur Gala mitgenommen hatte, schrieb er zwei Sätze auf die Rückseite.
Code:
Ich jage den, der Sie jagt.
Der Feind meines Feindes ist mein Freund.
Natürlich würden er und Beyo Vhan niemals Freunde werden, aber Vincent hoffte weitere Informationen aus dem Turianer bekommen zu können. Sollte er ruhig glauben, dass der Mann in Schwarz ihm helfen würde. Sobald er von der Echse hatte, was er brauchte, konnte der Killer mit ihr machen, was er wollte. Und danach würde Vincent mit ihm machen, was er wollte. Und er würde es nicht beim Auskugeln belassen.
Bevor er sich wieder an die Arbeit machte, schrieb er Marten eine Nachricht
,,Komm vorbei, Ihr müsst etwas ausliefern."
Sobald Vhan sich gemeldet hatte, würde Vincent ihn an einem geeigneten Ort persönlich treffen. Hoffentlich war der Turianer helle genug, um vorher C-Sec abzuschütteln.