Die eine Hand am Glas und die andere einen flotten Takt auf seinem rechten Oberschenkel klopfend saß Vincent an einem der vielen Tische im prächtig geschmückten Saal des Hotels. Bei aller Abneigung gegen die Gastgeber konnte er doch nicht bestreiten, dass es einen perfekten Ort für eine derartige Veranstaltung abgab: Das Ambiente war edel, aber nicht protzig und die allgegenwärtigen Kunstgegenstände waren in keiner Weise aufdringlich. Vincent ignorierte geflissentlich die horrenden Preise, die an manchen Ausstellungsstücken ausgewiesen waren und hätte sein Geld lieber in die Leere des Alls gepustet statt es einem turianischen Pseudo-Michelangelo in den Rachen zu schmeißen.
Während er den um ihn herum sitzenden Gästen gegenüber den Eindruck machte, sich nicht an der Einrichtung satt sehen zu können, scannte er mit dem Rand seines Blickfeldes unablässig das Kommen und Gehen der Leute. Die ganze Veranstaltung war ein einziges Sehen-und-Gesehen-werden und man konnte keine tote Katze werfen, ohne dabei jemanden zu treffen der wichtig war oder sich zumindest dafür hielt. Er entdeckte sogar einige andere Broker, größtenteils natürlich Turianer, die offenbar auch an Kontakten interessiert waren oder einfach den Wunsch hatten, sich tatsächlich für Green Meadows zu engagieren. Vincent hielt ersteres für logisch und zweiteres zumindest nicht für verwerflich, schließlich konnte er nicht der einzige Spieler auf dem Markt sein, der so etwas wie Patriotismus pflegte.
Mit einem raschen Blick auf seine Platzkarte rief er sich noch einmal den falschen Namen ins Gedächtnis, unter dem er auf der Gästeliste geführt wurde. Sein Anruf hatte zügig Früchte getragen und ihn in die Rolle eines Bankers schlüpfen lassen, der zwar tatsächlich über seine Firma eingeladen, heute abend aber "verhindert" war. Es war nie verkehrt, jemanden an der Börse zu kennen, der für Geld fast alles möglich machen konnte.
Zusätzlich zu der Einladung hatte ihm sein Kontakt auch die Gästeliste der Gala zukommen lassen und Vincent war nicht erstaunt gewesen, prakitsch alle Honorarien der turianischen Hierarchie wiederzufinden, die sich zur Zeit auf der Citadel befanden. Er hatte jedoch mit einem gewissen Groll feststellen müssen, dass auch erstaunlich viele gut betuchte Menschen Syren Vox ihre Aufwartung machten. Anbiederungen wie diese waren es, die die Menschheit eines Tages den Kopf kosten würden. Während seine Augen unauffällig durch die Menge streiften, glich er die wichtigesten Namen auf der Liste mit den Anwesenden ab. Es gab tatsächlich ein paar Personen, die seine Aufmerksamkeit erregt hatten und er hatte sich vorgenommen, sie im Auge zu behalten.
Am gegenüberligenden Ende der Halle konnte er den Ratsherr Sparatus erkennen, umringt von Speichelleckern und ernsthaft bemüht, entspannt und gelassen zu wirken. An einer nicht weit entfernten Bar konnte Vincent den Gastgeber des Abends erkennen, der sich grade eines etwas aufdringlichen Menschen erwehrte. Der Mann in Schwarz nahm verärgert einen Schluck aus seinem Glas und wandte sich von der abstoßenden Szene eines Menschen, der sich einer zweibeinigen Echse an den Hals warf, ab. Sein Blick brauchte nicht lange zu suchen, um die erste Person von Interesse zu finden, die er auf der Liste entdeckt hatte: Decius Vhan, ein alles andere als bedeutungsloser Patriarch war in Begleitung seines Sohns Beyo gekommen. Die Unterstützung der Vhans musste Vox viel wert sein und Vincent war sich sicher, dass sie nicht umsonst zu haben war. Er würde die Augen offen halten.
Ein Stück weiter weg und im Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit fand sich dann unvermeidlich Zeus. Der Mann an sich war eine einzige Landplage, aber Vincent kam nicht umher Befriedigung darüber zu verspüren, dass Vox offensichtlich verzweifelt genug war, Emporkömmlinge wie ihn einzuladen, um an das nötige Geld für Green Meadows zu kommen. Für seinen Teil war er froh, nichts mit Zeus zu tun haben zu müssen. Der Kerl war nicht nur ein neureicher Schnösel, sondern zudem auch noch das unlukrativste, was sich ein Informationbroker vorstellen konnte: Menschen wie Zeus hatten keine Geheimnisse, mit denen man Geld verdienen konnte. Alles, was es über sie zu wissen gab plärrten sie freiwillig und pausenlos in die Welt hinaus. Zeus' Profile in den gängigen sozialen Netzwerken des Extranets waren öffentlicher als die Toiletten am zentralen Raumhafen der Citadel. Wer etwas über Zeus wissen wollte, konnte ihn einfach fragen, er würde bereitwillig alles über sich preis geben, um ein bisschen Aufmerksamkeit zu bekommen. Vincent schüttelte sacht den Kopf und orderte mit einer Handbewegung ein weiteres Getränk.
Als der Abend voranschritt verteilten sich die Gäste zunehmend in kleinere Grüppchen und sein geschultes Auge verriet Vincent anhand der Konstellationen, was für Absprachen und Klüngel wohl getroffen werden würden. Natürlich wusste er nichts konkretes, bekam aber einige Ideen, wo es sich lohnen konnte, etwas tiefer zu graben. Vox hingegen führte keine verräterischen halböffentlichen Gespräche, sondern blieb ganz in seiner Rolle als bemühter Gastgeber, schüttelte Hände und ließ sich mit großzügigen Spendern ablichten. Wenn Vincent auf einen Hinweis in Sachen Burelian hoffte, musste er sich wohl eine Niederlage eingestehen. Mit verkniffener Miene stand er auf und suchte ein Spendenterminal auf. Auf dem Weg dorthin zog er eine seiner Visitenkarten aus der Innentasche seines Smokings: Ein kleines Stück pechschwarzen Papierkartons, auf dessen Vorderseite sein Name und eine mehrfach gesicherte Extranetadresse vermerkt waren. Beides war nicht auf die schwarze Unterlage geschrieben, sondern fein eingraviert, sodass man die Schrift nur erfühlen oder grade so lesen konnte, wenn man sie denn ins rechte Licht hielt. Vincent hatte für diese Spielerei deutlich weniger bezahlt, als sie ihm wert gewesen wäre und liebte jede einzelne dieser Karten. Auf der Rückseite notierte er mit weißem Lackstift einen einzigen Satz:
Code:
Wer ist Lucelius Burelian?
Kurz bevor er das Terminal erreichte, drückte er die Karte im Vorbeigehen einem Kellner in die Hand.
,,Bitte geben Sie das dem Gastgeber. Eine kleine Dankesnote für den herrlichen Abend." Die eiskalte Emotionslosigkeit seiner Stimme stand in starkem Gegensatz zum Inhalt der Worte und ließ den Kellner kurz verwirrt zurück, bevor er sich aufmachte, den Auftrag auszuführen. Vincent schaltete derweil mit seiner persönlichen Creditkarte das Spendenterminal frei und spendete genau 21,57 Credits, entsprechend dem Jahr des Erstkontaktkieges und des verteufelten Waffenstillstandes für Green Meadows.
Vincent hatte keine Ahnung, ob Vox ihn kannte oder wirklich etwas mit Burelian zu tun hatte, aber die kleine Nachricht und diese Spende auf seinen Namen sollten zumindest seine Aufmerksamkeit wecken. Der Jäger hatte auf den Busch geklopft und wartete, was herauskommen würde.