Die Citadel war eigentlich vor allem zwei Dinge: eine riesige Stadt und ein riesiger Weltraumhafen. Der größte Weltraumhafen der Galaxie sogar, wo Waren und Leute von überall herkamen. Vor allem wegen des Ratsturmes wurde dieser in erster Linie wirtschaftliche Aspekt der Station völlig vergessen – die Citadel war Handelszentrum und Knotenpunkt der meisten Handelsrouten der Galaxie, ob nun real oder digital. Milliarden und Abermilliarden an Credits wurden hier stündlich umgeschlagen.
Das der Politik diese Bedeutung klar war, erkannte man an der ganzen Absicherung: nicht nur besaß die Citadel eine eigene Flotte, bestehend aus den Schiffen der mächtigsten Völker der Galaxie, sondern die Station besaß mit C-Sec auch eine der größten und umfangreichsten Polizeibehörden der ganzen Galaxie. Obendrein war die Citadel Hauptquartier der Spectres, der stärksten Ein-Mann-Armeen, die die Galaxie jemals gesehen hat – bis Commander Shepard auf die Bühne trat.
Die Citadel-Flotte besaß einen eigenen Hafen, direkt am Präsidium gelegen. Die meisten Schiffe patrollierten durch den Zwischenraum der Station, aber einige wenige fanden sich jetzt angedockt. Und diese Docks waren von allen Armen einsehbar.
Dras befand sich gerade in einem breiteren Gang im Tayseri-Arm, dessen eine Seite verglast war und den die Leute aufgrund der Uhrzeit aktuell kaum benutzten – eigentlich gab es auf der Citadel keine festen Arbeitszeiten, da es ja auch keinen Tag-Nacht-Zyklus gab, aber dieser Teil des Tayseri-Arms hatte immer eine sehr ruhige Phase, so zwischen 2 und 3 Uhr morgens, wo alle die arbeiten mussten, arbeiteten, und alle die nicht mehr arbeiten mussten, zu Hause waren. Der Batarianer hatte dieses kleine Zeitfenster bereits in seinen ersten Tagen auf der Citadel bemerkt und es ausgenutzt um sich die angedockten Schiffe anzuschauen.
Vor allem die turianischen Kreuzer haben es ihm angetan. Aktuell befanden sich zwei Kreuzer in den Docks, einer wurde vom anderen überdeckt, weswegen Dras nur auf den vorderen starren konnte. Turianische Schiffe erinnerten, egal welchen Typs, immer noch am stärksten an die Vergangenheit als Flugzeuge: der Bug war in die Länge gezogen, während der Heck in die Breite ging und schräg anliegende Flügel an beiden Seiten angebracht waren; der Antrieb wurde durch zwei Triebwerke am Heck repräsentiert, während die Flügel und der Bug mit allerlei Waffen bestückt waren. Die Hauptfarbe war – wie typisch für Hierarchie-Schiffe – silbern, hier und da sah man aber auch blaue Streifen.
Der Batarianer betrachtete das Schiff noch für eine Weile, bevor er sich abwendete. Irgendwann werde ich eines von diesen Babies haben…dachte er sich, während er seinen Platz verließ und in Richtung der nächsten Bahnlinie ging Auch wenn ich noch herausfinden muss wie…
Er hörte ein Schluchzen. Der gesenkte Kopf des Batarianers fuhr hoch und er blickte vorwärts wo eine Sitzbank vor eines der gläsernen Wände aufgestellt worden war. Auf dieser Bank saß eine kleine, eingerollte Gestalt und blickte auf die beiden Kreuzer. Noch jemand der interessiert ist? überlegte Dras und kam näher. Erst jetzt bemerkte er, dass die Gestalt ein Turianer war: die sehr blasse Plattenhaut und der spitzzulaufende Hinterkopf verrieten ihn. Was aber überhaupt nicht zu einem Turianer passte, war der Umstand, dass er wieder anfing zu schluchzen.
„Hallo?“, fragte der Batarianer mehr aus Neugierde einen zahnlosen Varren getroffen zu haben, anstatt echter Fürsorge, „Geht’s dir gut?“
Der Kopf des Turianers wirbelte auf der Stelle herum und zeigte, dass selbst sein Gesicht alles andere als normal aussah: seine kalten Augen waren größer als normal, seine weißen Gesichtsmarkierungen bei seinen blassen Plattenhaut kaum zu erkennen und über seinen Kopf hatte er eine Kapuze aufgesetzt, die eigentlich nur den mittleren Bereich des Kopfes bedeckte, während sie alles vorne und hinten frei ließ. Die Augen des Turianers waren obendrein völlig durchnässt, ein Zeichen dafür, dass er weinte – Ich wusste gar nicht, dass Turianer weinen können…dachte sich der überraschte Batarianer.
Schnell versuchte der Turianer seine Tränen wegzuwischen und er erhob sich dabei – dadurch überraschte er Dras ein weiteres Mal: er war kleiner als der Batarianer und zwar um mindestens einen ganzen Kopf. Heute scheint die Nacht der Wunder zu sein…stellte Dras grinsend fest und bemerkte, dass das einzig normale an diesem Turianer seine graue Crew-Uniform war.
„Das ist nicht das was du denkst!“, erwiderte der Turianer mit einer gebrochenen Stimme, die irgendeinen Akzent hatte, „Mir geht’s gut!“
„Wirklich?“, erwiderte der Batarianer skeptisch klingend und blickte rüber zur Glaswand, wo man den Kreuzer von vorhin sehr gut begutachten konnte, „Hat dein Geweine etwas mit dem da zu tun?“, wobei er einen Daumen so ausstreckte, der er auf den Kreuzer verwies.
„Ich habe nicht geweint!“, erwiderte der Turianer heftig, „Ich…ich…ich hatte etwas im Auge…“, und er blickte rüber zum Kreuzer – nur um auf seine Knie zu fallen und wieder loszuheulen, lauter als vorher.
Dras musste über dieses Kuriosum kichern. Und ich dachte ich habe schon alles gesehen…dachte er amüsiert, aber entschied sich dafür, das Ganze sein zu lassen. „Von mir aus.“, gab er sich mit der vorher gegebenen Erklärung zufrieden, „Mach’s gut, Kleiner.“
„Meine Pera, meine liebe Pera…“, wimmerte der Turianer, „Wieso mussten sie mich von dir verstoßen?“
Und damit habe ich alles gehört, was ich hören wollte…eine missglückte Liebesgeschichte, pah! dachte sich Dras und ging weiter, an dem Turianer vorbei.
„Ich vermisse deine riesigen Thanix-Kanonen bereits jetzt!“, schrie der Turianer verzweifelt, „Deinen E-Zero Kern Typ Lynax, von mir stündlich gewartet; deine verstärkte Panzerung, die ich immer blinz blank geschruppt habe; deine undurchdringbaren Schilde, selbst von mir auf Perfektion kalibriert! Der Pilotensitz wo ich mich von dir habe treiben lassen!“
Dras blieb stehen. Der Kerl wimmert wirklich über ein Schiff!?! Und ich dachte es ginge um irgendeine Frau auf dem Schiff! Er blickte wieder rüber zu ihm und sah wie der Turianer immer noch vor der Glaswand kniete und sich sogar mit der Brust gegen das Glas presste. Und er beweinte dabei das Schiff, dass sich Dras die ganze Zeit angeschaut hatte.
Und genau hier kam ihm eine Idee. „Hey, du…“, sprach er den Turianer an, der aber viel zu laut wimmerte, „Hey, ich spreche mit dir, Turianer!“ Das zeigte Wirkung, denn der Turianer drehte seinen Kopf in Richtung Dras, versuchte aber dieses Mal nicht seine Tränen zu verbergen, „Hör mal zu: wie heißt du?“
Der wimmernde Turianer blickte den neugierigen Batarianer an. „Was geht dich das an?!“, schrie er Dras fast an und wäre fast wieder in Tränen ausgebrochen.
„Dann behalt deinen Namen für dich.“, entgegnete Dras gereizt über dieses Gejammer, „Mich interessiert eigentlich nur, ob du auf diesem Schiff dienst?“, und dabei zeigte er auf den Kreuzer.
Als der Turianer wieder zum Kreuzer blickte, fing er wieder lautstark an zu weinen. Langsam verliere ich die Geduld, dachte sich Dras recht irre grinsend, während eine Hand zu seiner Pistole ging, Entweder sagt mir der Turianer endlich etwas oder ich bring ihn um…
Das war aber nicht notwendig, denn der Turianer gab schniefend zu: „Ich bin Letho und ich hab…hab…“, er wimmerte wieder, „…hab auf Pera gedient…“, und schon wieder fing er an zu weinen.
„Das heißt du dienst nicht mehr auf dem Schiff?“, fragte Dras eigentlich nur um das Gejammer zu unterbinden, „Was ist passiert?“
„Die!“, schrie der Turianer und klang zum ersten Mal nicht traurig, sondern wütend, „Dieser verfluchte Kommandostab und der Captain erst!! Sie haben mir doch wirklich unterstellt, dass meine Beziehung zum Schiff krank wäre und ich mich behandeln sollte! Pah! Ich und krank! Sie haben mich auf unbestimmte Zeit beurlaubt, bis ein Psychiater zugestimmt hat, dass ich tauglich bin!!“
Selbst ohne die Details zu wissen, weiß ich, dass du die wahnsinnigste Person bist, der ich je begegnen durfte…dachte sich Dras insgeheim, sagte es aber nicht. „Das heißt das Schiff fliegt ohne dich ab?“, fragte er stattdessen.
„Hah, nicht so schnell!“, widersprach der Turianer und Dras gefiel sein wütendes Auftreten deutlich mehr als sein Gejammer, „Pera wird den nächsten Monat nirgendwo hinfliegen, solange die Wartung stattfindet!“
„Wartung?“, fragte der Batarianer und war eindeutig hellhörig geworden. Er hatte gehofft, dass er etwas von diesem Turianer erfahren würde, aber das klang besser als in seinen kühnsten Träumen.
„Ja, Pera wird für einen Monat, wenn nicht sogar die nächsten zwei Monate gewartet.“, erklärte Letho die unerklärliche Neugier des Batarianers ignorierend, „Nicht, dass sie das benötigen würde, dank meiner Pflege, aber das ist Anordnung von oben.“
„Und wo ist die Crew bis dahin?“, fragte Dras auf den Kreuzer starrend und möglichst sachlich klingend um seine Aufregung nicht zu verraten.
„Landurlaub, alle von ihnen…“, erklärte der Turianer und seine Miene wurde wieder traurig, „Alle bis auf mir – ich muss diesen Psychiater besuchen und schon der erste Besuch hat mir gezeigt, dass er…dass er…“, er schluchzte wieder, „…mir verbieten wird Pera jemals wiederzusehen.“
Diese Informationen sind Gold wert, dachte sich der Batarianer, Vor kurzem wusste ich noch nicht wie ich dieses Schiff kapern könnte, aber wenn das Schiff wirklich nur von Technikern bevölkert ist für die nächsten zwei Monate…Dras grinste breit als ihm klar wurde, was das bedeutet, Eine Chance! Eine völlig unerwartete, aber eine einmalige dazu! Die beste Chance sich einen turianischen Kreuzer zu besorgen! er blickte rüber zum Turianer, der wieder zu seiner Pera hinstarrte, Selbst wenn er weinerlich ist, könnte er dabei eine große Hilfe sein, falls…
„Sind deine Codes schon ungültig?“, fragte Dras schlussendlich, „Damit du auf das Schiff…eh ich meine auf Pera kommen kannst?“
Der Turianer schüttelte zur Freude des Batarianers seinen Kopf. „Nein, aber ich komm trotzdem nicht auf sie.“, erklärte er traurig, „Der Captain hat der Dockverwaltung befohlen mich nicht auf das Schiff zu lassen.“, und er schluchzte wieder.
Das ist unerheblich…kommentierte Dras diese Informationen. „Mein Name ist Dras Erash.“, stellte er sich dem Turianer vor, „Und dich dabei zu sehen wie du Pera so beweinst, hat mein Herz erweichen lassen.“, er blickte zu Letho, der ihn nun neugierig anstarrte, „Was würdest du davon halten, wenn ich dir helfe auf deine Pera zu kommen und dafür sorge, dass du sie nie wieder wirst verlassen müssen?“
„Das kannst du?“, fragte der Turianer mit völlig überraschter Stimme, was irgendwie komisch klang aufgrund seines seltsamen Akzents, „Du kannst mich mit Pera vereinen, bis das der Tod uns scheidet?! Wie?!“
Dras trat näher an den Turianer und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Natürlich nicht mit den Mitteln, die der Captain benutzt hat, um dich von ihr fernzuhalten.“, erklärte er schlicht, wissend, dass diese Informationen eh nicht weitergetragen werden würden, „Mit Mitteln, die eher…im grauen Bereich des Gesetzes liegen…“
Der Turianer blickte zu den vier Augen seines Gegenübers auf. „Du willst sie stehlen?“, schlussfolgerte er richtig. Er ist nicht so dumm, wie er aussieht…dachte sich Dras.
„Nein, nein…“, erklärte Letho, die Hand abschüttelnd, „Ich kann doch Pera nicht stehlen! Das ist…Das ist verboten!!“, er fasste sich an den Kopf, „Wenn Mutter das hören würde…!“
Dras blickte ihn gelassen an. „Was ist dir wichtiger: deine Mutter oder Pera?“, fragte er die ewige Frage, die sich jeder Bräutigam irgendwann stellen musste.
Letho blickte auf. „Pera, ganz eindeutig Pera!“, erwiderte er heftig, „Aber wenn Mutter davon erfährt…dann wird sie….“, und dann blieb er reglos stehen.
Der Batarianer blickte ihn verwirrt an, bis er feststellte, dass der Genitalbereich des Turianers sich färbte, weil eine Flüssigkeit darauf ausgelaufen ist. „Du hast dir in die Hosen gemacht?!“, fragte Dras entsetzt.
„Meine Mutter ist ein Drache…“, versuchte sich Letho zu erklären, „Ein leibhaftiger, nicht ein metaphorischer. Sie wird mich in Stücke reißen, wenn sie erfährt, was du mir gerade vorgeschlagen hast!“
Irgendwie tut mir der Kerl jetzt schon Leid…dachte sich Dras fassungslos, Er muss eine schrecklichere Kindheit gehabt haben, als ich…Aber egal, wird Zeit ihn davon zu überzeugen. „Hör zu, Letho…“, fing er ruhig an, „Du willst nicht von deiner Pera getrennt werden, oder?“
„Natürlich nicht!“, entgegnete der Turianer heftig.
„Und der Kommandostab und der Captain verhindern, dass du Pera jemals wieder wirst betreten können, nicht?“
„Ja…“, antwortete der Turianer deutlich niedergeschlagener.
„Das heißt, auf legalen Wege wirst du Pera nie wieder sehen, außer aus der Ferne wie jetzt…“, erklärte Dras schlicht, während der Turianer zum Kreuzer starrte, „Der einzige Weg für dich bei Pera zu bleiben ist sie denen zu entreißen, die sie von dir fernhalten.“, und gedanklich fügte er hinzu, Oder beim Psychiater als geheilt diagnostiziert zu werden, aber ich glaub dieser Zug ist abgefahren…
„Sie zu entreißen?“, fragte Letho nach, „Wie ein Held die Maid?“
Der Typ hat offenkundig zu viele Kindergeschichten im Kopf, aber was soll’s…dachte sich Dras, sagte aber laut: „Ja wie ein Held seine Maid.“, er blickte rüber zum Kreuzer, „Stell dir den Diebstahl der Pera wie die Rettung einer Maid vor dem bösen Drachen vor…nur dass du dieses Mal nicht davon rennst oder deine Hosen bepisst, sondern dich ihm mutig stellst…“
„Wie?!“, schrie der Turianer ihn an, „Wie kann ich das tun…?“
Hab ich dich! dachte der Batarianer zufrieden, sagte aber laut: „Ganz einfach: ich helfe dir…“