Ein Knacken in der Leitung. Die Verbindung stand.
"Sì?" Ja?, meldete sich eine weibliche Stimme, die den Anruf entgegennahm. Luceija hatte wie üblich wenig Interesse daran direkt ihren Namen zu nennen und ein noch kleineres, anders darauf zu antworten als auf Italienisch. Es war üblich, geschah aus dem Bauch heraus. Zwar war sie durchaus, wie sie oft genug zeigen konnte, des (britischen) Englischs mächtig, aber entschied sie wie sonst auch über jeden Kopf hinweg, dass sie gefälligst Italienisch zu lernen hatten wenn sie mit ihr sprechen wollten. Mit dieser milden Ansage und einem deutlich schnippischen Unterton in der kurzen Begrüßung führte sie dieses Gespräch, welches auch immer es sein würde, direkt in eine ganz eigene Richtung, die nicht mehr hätte 'Lass mich in Ruhe' vermitteln können.
"Luceija Natalicia", kam die heitere Antwort über das Comm und sie wusste direkt, schon ab der ersten Silbe, wer es war.
"Vigilio Gaius", antwortete sie tadelnd und spielte das Spiel mit, dass er hier begann. Noch ehe er eine Konversation beginnen konnte, drückte Luci einen kleinen Knopf an besagtem Armband, welches eine unscheinbare Klappe mit einem Knopf darin öffnete, den sie sich ähnlich der teureren Modelle eines CommLinks, ins Ohr setzen konnte und das Gespräch damit nicht für Jedermann öffentlich machte, dem ebenso wie ihr der Sinn nach einer ausgiebigen Dusche stand.
Luceija lachte heiser und ihr Ton wurde zunehmend herzlicher. Nach wie vor sprach sie Italienisch - da gab es mit ihrem Bruder keine Komplikationen, auch, wenn sein Dialekt auf Grund ihrer verschiedenen Wohnorte in der Kindheit ein Neapolitanischer war und der von Luceija Sizilianisch verstanden Sie sich ausgesprochen gut und für beide fühlte es sich natürlicher an, sich auf der Sprache zu verständigen, die sie am stärksten miteinander verband.
"Ehi, stavo proprio pensando a te quando ho visto troppo a lungo lo scarico della doccia viscido." Hey, ich hatte gerade an dich gedacht als ich zu lange in den schleimigen Abfluss der Dusche gesehen habe. "Un caloroso come sempre." Herzlich wie immer. "Si guarda per i periodi migliori per chiamare qui."
Du suchst dir auch die besten Zeiten aus um hier anzurufen. "C'è qualcosa di nuovo?" Gibts was neues?
Noch während sie sprach verlies sie den hallenden Bereich der Duschen, nahm einhändig den Beutel wieder mit, lies das Handtuch außer Acht und trat aus einer von Feuchtigkeit übersättigten Wolke heraus in den eindeutig angenehmeren Bereich, in welchem die blankpolierten Waschbecken auf Benutzer warteten. Luci räusperte sich leicht um den Hals zu befreien. Sie hatte keine Bedenken, dass ihre Stimmlage irgendetwas von ihrem vorherigen Drogenkonsum verraten würde. Nichtmal mit Bildübertragung hätte man der Halbitalienerin etwas wirklich verdächtiges angesehen. Nun, zumindest wenn sie sich nicht drehte und entsprechend vernarbtes Gewebe um ihren Nacken entblößen würde.
"Uhm ... niente di particolarmente entusiasmante" Uhm...nichts besonders aufregendes, gab sie preis, als sie einhändig ihre nassen Haare sammelte um sie kurz zu zwirbeln und sich diese über die linke Schulter zu legen, die nicht von den strammen Riemen des Beutels überdeckt wurde.
"..fatta eccezione per una nave da carico abbattuto sopra la pianta, forse." ...außer einem abgeschossenen Frachter über der Anlage vielleicht. Die Ironie triefte regelrecht aus ihren Worten und Vigilio musste sich ernsthaft fragen, ob er sich gerade verhört hatte.
"Non qualcosa che si deve preoccupare. Sto bene." Nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest. Mir geht's gut.
Das sah ihr Bruder, der in einer Hand das Tablet hielt, auf welchem ihre übermittelten Daten aufgelistet waren, deutlich anders. Er machte sich schnelle Notizen und wirkte daher eher konzentriert als direkt aufgebracht.
"Una nave da carico. A proposito di C-Darwin? Che cosa hai preso tutto con voi nelle ultime 24 ore?" Ein Frachter. Über C-Darwin? Was hast du in den letzten 24 Stunden alles zu dir genommen?
"Ha ha.", konterte sie freudlos.
"Nulla mi può vedere cose sbagliate - la relazione è stata anche perdere a tutti. Quindi nessuna idea di quello che sta succedendo. È piuttosto tranquillo ora hanno isolato la complessa e apparentemente tirato qualche infortunio dal fondo. Qui nessuno sa che cosa - bene, aspetta - c'è nessuno SO nulla, ma può speculare il magazzino ricambi qui abbastanza bene. Più di stronzate che ho finora non sentito." Nichts was mich falsche Dinge sehen lässt - der Knall war auch garnicht zu überhören. Also keine Ahnung was hier vor sich geht. Ist ziemlich ruhig jetzt, die haben die Anlage abgeriegelt und offenbar ein paar Verletzte aus dem Sumpf gezogen. Hier weiss auch niemand was - na, halt - es WEISS niemand irgendwas, aber spekulieren können die Ersatzteillager hier ziemlich gut. Mehr als Bullshit hab ich bislang aber nicht gehört.
Dass sie ein ungutes Gefühl bei der Sache hatte verschwieg sie. Nicht, weil sie Vigilio anlügen oder ihm absichtlich etwas verschweigen wollte...sie wollte nur um jeden Preis vermeiden, dass er sich a) unnötige Sorgen machen würde und er b) das Gefühl bekommen würde, sie bekäme das hier nicht auf die Reihe. Sie bekam das hin.
"Devo dire anche cercare di scoprire qualcosa e inviare a voi ciò che ho. E si è veramente buono? Hai avuto la data di intervento chirurgico già?" Ich werd' versuchen darüber etwas rauszufinden und schicke dir zu, was ich kriege. Und dir geht es WIRKLICH gut? Hattest du den OP-Termin schon?
"Jaah..", bestätigte sie und wollte dabei erfolgversprechend klingen. In ihrer ganzen Erzählung hatte sie die Duschen der oberen Patientenunterkünfte verlassen und war den ganz entlang stolziert, zurück zu ihrem Zimmer, an dessen Modul sie die Karte anlegte bis das Panel grün aufleuchtete und sie hinein konnte.
"...sono state alcune complicazioni durante la rimozione del vecchio modulo." ...gab ein paar Komplikationen beim Herausnehmen des alten Moduls., log sie in diesem Fall nicht.
"Ma ascoltare voi preoccupare Gil. Io vengo con le cose chiare qui. Sono venuto chiaro prima senza di te come babysitter e lo farò anche adesso." Aber hör auf dir Sorgen zu machen Gil. Ich komm mit den Sachen hier klar. Ich bin vorher ohne dich als Babysitter klar gekommen und ich tu's auch jetzt.
Innerhalb einer recht kurzen Zeitspanne geschahen viele Dinge auf einmal, die Luceija im aktuellen Zustand garnicht so richtig wahrnahm: Sie hatte den Beutel zurück aufs Bett geworfen, noch einmal ihr Haar mit einer Hand über den Kopf hinweggeschoben, wo es nicht stören würde wenn sie sich zum Nachttisch herunterbeugte um alle Keycards zu ordnen und nur die in die Hosentasche zu stecken, die sie brauchen würde und war schon wieder im Begriff das Zimmer zu verlassen, als sie wissen wollte:
"Ma non è l'unico motivo per cui si sta chiamando, giusto?" Aber das ist nicht der einzige Grund weswegen du anrufst, richtig? "Ad eccezione di quella per me essere insegnato da?" Außer dem, mich von der belehren zu lassen? "Gil." "No - Ho appena permesso di informarmi di mia sorella, che non ho visto per settimane. Scherzi a Luci, mi manchi. E io sono sempre preoccupato per te." Nein - ich habe mir einfach erlaubt mich über meine Schwester zu informieren, die ich seit Wochen nicht mehr gesehen habe. Im Ernst Luci, du fehlst mir. Und ich mache mir immer Sorgen um dich.
Sie seufzte tief, aber zugegeben auch ein bisschen gerührt. Es war noch immer ungewohnt für die heute Neunundzwanzigjährige ihren Bruder wieder zu haben, den sie, von allen, die scheinbar leiblich mit ihr verwandt waren, wirklich liebte und als Familie betrachtete. Dennoch war es eigenartig. Auch so etwas zu hören.
"Te-.." Du-..., begann sie, kam aber nicht weiter.
"Uff!"
In ihrer Diskussion und den Überlegungen die sie damit einhergehend hatte, übersah sie komplett das im Dunkel liegende Hinternis zwischen einer Topf-Pflanze und einem Sessel, dass ihr den halben Weg versperrte - ebenso wie eine lange, gezogene Blutlache, die sich den Gang entlangschlängelte. Ohne erst zu registrieren, WAS da war, stolperte sie schwer, strauchelte und konnte sich, der guten Sohle ihrer Magnetsohlenstiefel sei dank, gerade so noch auf den Beinen halten.
"Ciò che in-" Was in-
Es platschte, als sie vollkommen verwirrt in der sich weiter ausbreitenden Blutlache eines Wachmannes stand, der - anders konnte man es nicht beschreiben - regelrecht zerfetzt wurde und heftig aus Höhe der Hauptschlagader herzschlagähnliche Fontänen sprühte, die rasch an Höhe und Intensität abnahmen. Er bewegte sich nicht mehr. Kein Stück.
"Luci? Luci cosa sta succedendo ..?" Luci? Luci, was ist los..?!, stellte der nun deutlich verwirrte Italiener am anderen Ende der Leitung die Frage. Er bekam keine Antwort.
Luci hatte sie langsam niedergekniet und mit skeptischem Blick die Leiche des Sicherheitsmannes ein wenig zu ihr umgedreht. Und alles was sie im ersten Moment denken konnte war nicht etwa, wie schlimm das war, wie sehr er blutete oder wer das nur getan haben konnte - sondern ausschließlich
'Ich hoffe du warst der Wichser aus der Zelle.' Sie packte dem Mann am Kinn und drehte es so, dass sie sich die Wunde genau ansehen konnte. Ihre Finger erfühlten dabei das noch körperwarme Blut. Es sah aus wie ein grausam verrissener Biss, dessen Ursprung sie sich nicht erklären konnte. Kannibalen? Wahnsinnige? Falsche Medizin?
"Merda dannatamente..." Scheiße verdammt... Sie wagte sogar den Gedanken in Richtung unerklärlicher Gestalten, die sie auf der Citadel gesehen und mit ihnen gerungen hatte, nur einen Moment bevor sie beinahe Opfer von diesen sich selbst ausfahrenden Spießen geworden wäre, die die Nachrichten als 'Drachenzähne' betitelt hatten. Was waren das hier dann, die "Sanchez" auf dem Gewissen hatten? 'Husks'? Hier auf Proteus?
Sie würde lügen wenn sie behaupten würde, niemals eine Leiche gesehen zu haben - verdammt sie hatte oft genug sogar selbst abgedrückt um zu wissen, wie ein Mord aussah, aber das bedeutete auf einer ohnehin schon vom Schicksal gebeutelten Anlage wie C-Darwin definitiv NIEMALS etwas Gutes.
Und da war es wieder, ihr gefeiertes, schlechtes Gefühl in ihrem Magen. Das drückte, presste und stach - so fest wie niemals zuvor. So fest, dass ihr unweigerliche Übelkeit aufstieg und sie sich zusammenreißen musste, nicht über die Leiche zu kotzen.
"COSA SUCCEDE Luci?! DISCORSO con me!" WAS ist PASSIERT, Luci?! REDE mit mir! "Non posso- Cadaveri." Ich kann nicht-. Leichen., antwortete sie wie betäubt. Ohne Atem.
"Ti chiamo indietro." Ich ruf dich zurück.
"No, non riagganciare Luci, dire me- Luci? LUCI!" Nein, leg nicht auf Luci, sag- Luci? LUCI!
Duuuuut....duuuuut.....duuuuut...
"Was für eine verfluchte - beschissene - Scheiße - ist DAS nun wieder...", fluchte sie und ärgerte sich zunehmend darüber, dass sie wieder inmitten einer verdammt heiklen Sache gelandet war, die sie nicht in der Lage war zu kontrollieren. Schnell überlegte sie, was sie tun konnte und würde. Ging ihre Optionen durch, lies das Gesicht des Mannes los und verschmierte nur grob die Blutflecken an ihrer ohnehin schon mit Blut verschmierten Hose, ehe sie vor Anspannung zittrige Finger gegen ihr Armband hämmern lies und es mehrere Anläufe brauchte, weil der rote Film die Sensoren blockierte.
"Na komm schon.."
Luci wählte gleich mehrere Geräte aus, auf der sie die Chance hatte eventuell Leif zu erreichen. Omni-Tool, Communicator, Anschluss im Apartment, eben alles, was irgendwie klingeln oder ihn erreichbar machen konnte. Alles.
"Bitte Leif, geh ran, geh verdammt nochmal ran.."
Sie taumelte rückwärts aus der Blutlache und versuchte ihre Sohlen von der roten Suppe zu befreien... . Vergeblich.