Little Palaven, so nannten die Menschen diesen Bezirk, immer allzeit bereit Orte mit Begriffen aus ihrer Vergangenheit zu benennen. Hort der Erinnerungen war die Bezeichnung der Asari für diesen Ort, wie immer mit ihrer Vorliebe für Esoterik und Mystik. Den üblichen Namen der nüchternen Salarianer konnte man im „Almanach der Citadel-Bezirke“ von Prof. Arzok Solus finden: Bezirk T213.4/10. Die Turianer, die den größten Teil des Bezirks bewohnten, hatten sich in der Vergangenheit das Ziel gesetzt den Bezirk in eine Art Mini-Präsidium zu verwandeln, aber mit einer turianischen Note. Die Wahl für diesen Bezirk lag vor allem an den großen Wassertanks die in diesem Bereich zu finden waren und einen Teil der Grundwasserversorgung des Tayseri-Arms lieferten. Die Tanks wurden in drei Seen umfunktioniert und hinterher pflanzten sie Gräser, Bäume, Büsche, Blumen und allerhand andere Vegetation an, die auf Palaven heimisch war. Green Meadows kam ihnen immer in den Sinn, wenn sie diesen Bezirk betraten, weswegen er bis heute diesen Namen trägt.
Vor zwei Jahren war es noch üblich gewesen für turianische Einwanderer die Green Meadows zu besuchen, wenn sie unter Heimweh gelitten haben. Kein Platz auf der Citadel erinnerte so sehr an Palaven wie dieser Bezirk. Dann kam aber der Geth-Angriff und die Green Meadows gehörten zu den am stärksten betroffenen Gegenden des Tayseri-Arms. Große Teile der Grünanlagen wurden Opfer der Querschläger, niedergehenden Trümmern und Feuer, das aufgrund dessen auftrat. Selbst die Statue von Lyndax Kassix, Held des Wiedervereinigungskriegs, Zentrum vieler Kulturfeste, wurde durch ein fehlgeleitetes Projektil in Stücke zerrissen.
Der Wiederaufbau dauerte noch an. Experten schätzten, dass es noch Jahrzehnte dauern würde bis die Green Meadows wieder im alten Glanz erstrahlen würden. Desto trotz ohne für immer verlorene Kostbarkeiten: die Augen der Geister zum Beispiel, Edelsteine von alten Hochkulturen auf Palaven in Form von Tieren gehauen, gingen bei der Zerstörung des lokalen Museums verloren. Gerüchte besagten, dass die Augen nicht zerstört worden sind – da niemals Einzelteile geborgen werden konnten – sondern inmitten des Chaos von ein paar findigen Dieben gestohlen wurden. Auch wenn das Ganze nicht mehr als ein Gerücht war, gab es immer wieder vereinzelte C-Sec Beamten vor Ort, die Untersuchungen gestartet hatten – bis jetzt ohne Erfolg.
Die dunkelblaue Limousine landete in einem entlegenden Bereich des Bezirks, geschützt durch diverse Citadel-Wände vor etwaigen neugierigen Blicken. Syren stieg als erster aus, wartete aber bis Saenia auch draußen war. Hier im künstlichen Licht des Bezirks konnte der Turianer auch Saenias eher dunkel geratene Kleidung begutachten, die mit diversen Rottönen versehen war und sehr gut zu ihrer Gesichtsmarkierung passte. Aufgrund dieser Farbgebung stach Syren in seiner eher helleren Kleidung deutlich stärker hervor.
„Haben wir jemanden vor Ort?“, fragte der Politiker als sich die Fahrzeug-Tür schloss und die beiden sich auf den Weg machten. Sein Gesicht war zwar bekannt, aber der Turianer kannte das Spiel gut: solange du nicht auffällst, beachten die Leute dich nicht. Das hatte er in seinen ersten Jahren auf der Citadel gelernt.
„Eine Person…“, erklärte die Turianerin und aktivierte ihr Omni-Tool nur um dort eine Nachricht abzulesen.
„Wer ist es? Kenne ich sie?“, fragte Syren neugierig, immer gerade aus blickend. Sie erreichten nun einen Weg der von diversen Leuten genutzt wurde und folgten ihm.
Die Turianerin tippte ein bisschen auf ihrem Omni-Tool herum, aber nach einer Weile wurde klar, dass sie auf Zeit spielte.
„Saenia…“, der Ton des Turianers wurde strenger, „Wer ist es?“
Die Turianerin deaktivierte ihr Tool, drehte ihren Kopf zu ihm um, bewegte die beiden Kiefermandibel ein bisschen und wirkte alles im allen sehr unbehaglich. „Sam…“, gestand die Turianerin schlussendlich, „…Sir.“
Zunächst blickte der Turianer sie sprachlos an, dann seufzte er. „Sie sollte in der Schule sein und nicht für uns den Ausguck spielen.“, belehrte er sie, während die beiden unter einem Baugerüst hindurchgingen.
„Sie wollte helfen…“, antwortete Saenia und sah dies als einen guten Grund an, „Sie wissen doch Captain, seit…damals, möchte sie sich dankbar zeigen.“
„Sie ist erst 12.“, antwortete der Turianer und obwohl er keineswegs erfreut über diese Entwicklung war, klang er nicht wütend, „Sie hat ihr ganzes Leben noch vor sich – eine gute Ausbildung kann ihr dabei weitaus mehr helfen, als mit einem Politiker und seiner Leibgarde zusammenzuarbeiten.“
„Sie können es ihr erklären, Captain.“, klärte Saenia ihn auf, „Aber sie wird es vermutlich wie die 1000 Male vorher nicht beherzigen.“
Syren seufzte erneut.
„Dann sag mir zumindest was sie schreibt.“, kapitulierte der Turianer. Die Geräuschkulisse vor den beiden wurde lauter als sie das Baugerüst hinter sich ließen.
„Das wir einen Umweg machen sollten.“, antwortete Saenia und lotste Syren in eine kleine Nebenstraße, die weg von der Geräuschkulisse führte. Genauso wie bei den meisten Teilen des Bezirks konnte man auch hier diverse kleinere Risse sehen, die entweder geflickt worden sind oder nicht.
Das Gesicht des Turianers wurde grimmig. „Martin ist da?“, fragte er, obwohl er sich die Antwort denken konnte.
„Er und ein paar seiner Freunde.“, erwiderte Saenia nickend, „C-Sec musste ein Teil des Platzes absperren, damit es nicht zu Ausschreitungen kommt.“
Syren pustete Luft aus seinen Nasenlöchern, offenkundig verärgert. „In den Akten stand, dass er Kontakte zu einigen extremistischen Gruppierungen hat.“, erklärte er, „Wie viele Beamte sind vor Ort?“
„Hoffentlich genügend.“, antwortete Saenia hoffend und die beiden bogen wieder in Richtung der lauteren Geräuschkulisse ab. Nach einer Weile konnte man hören, dass es vor allem sprechende Leute zu sein schienen.
Als Syren auf den Platz vor der Eingangstür des Waisenhauses trat, fand er eine halbwegs große Menge vor sich. Mit einem kurzen Blick erkannte er, dass Reporter unter ihnen waren, aber auch Schaulustige konnte man sehen. Die Reporter repräsentierten die wichtigsten Medien des Tayseri-Arms: CNN, ANN, CBC – Citadel Broadcasting Center – Tfacts – Tayseri Facts – waren die größten, GM Journal und Tayseri Wochenblatt eher die kleineren, aber auch die Regenbogenpresse war vertreten durch YNC – Yellow News Channel. Die Schaulustigen bestanden zumeist aus Leuten aus der näheren Umgebung, auch wenn es unverhältnismäßig viele gab, die wie junge Pärchen aussahen.
Als Syren die erste Stufe hoch zum Eingang hin nahm, wurden die Reporter auf ihn aufmerksam. Schnell wurden ihre Kameradrohnen in seine Richtung geschickt und ein kleines Blitzgewitter begann, während die Reporter anfingen ihn mit Fragen zu löchern. Der Turianer ignorierte diese, während Saenia die besonders aufdringlichen zurückschob. Oben angekommen begrüßte ihn ein C-Sec Beamter, wie auch ein Volus, der der Architekt des Waisenhauses war. Im Hintergrund standen auch zwei Asari, die die Leitung des Waisenhauses übernehmen würden.
Syren grüßte die beiden ersteren höflich – ein Constable Ordos und Harka Nis – leicht distanziert, wie es nun mal nötig war, während er mit den beiden Damen anfing scherzhaft zu plaudern.
„Heute ist ein großer Tag.“, erklärte er lächelnd, „Ich hoffe sie sind bereit.“
„Für sowas ist man nie bereit.“, antwortete eine der beiden, offenkundig eine Matrone, „Man kann nur sein bestes tun und hoffen, dass es gut ausgeht.“
„Wir werden alles tun…“, schaltete sich die andere Asari eine, eine Jungfrau, „…dass die Kinder eine glückliche Familie finden werden.“
„Dann nehme ich sie beim Wort.“, scherzte der Turianer weiterhin lächelnd, bevor er sich nun umdrehte und einen kurzen Blick auf die Menge warf: die Reporter drängten sich am weitesten nach vorne, von C-Sec Beamten aufgehalten, während die Zivilisten, meist Turianer, leicht neugierig, leicht begeistert zu ihm aufblickten. Hierbei bemerkte er am Rande der Menge einige weitere C-Sec Beamte, die einen Sperrlinie aufgebaut haben und eine größere Gruppen von Menschen mit wütenden Gesichtern von den anderen fernhielten. Die meisten von ihnen schienen jung und männlich zu sein, aber ganz vorne stand der Drahtzieher dieses kleinen Trubels: Martin Trumbo, Politiker der Terra Firma-Partei. Er trug einen feinen, dunkelblauen Anzug und seine volle braune Haarpracht, in einen Scheitel gekämmt, sah aus, als wäre sie chirurgisch implantiert worden. Sein Gesicht sah grimmig aus, mit dicken Backen, leicht gerötet, als wäre er leicht zu reizen. Seine Augen waren zusammengekniffen, sein Gesicht glattrasiert und verschwitzt und sein Mund bereit jederzeit die übelste Hasstriade loszuwerden – und genau das war das, was Martin Trumbo seit seiner verlorenen Wahl gegen Syren immer wieder tat, öffentlich und lautstark.
Auch jetzt wieder konnte man ihn trotz der lauteren Geräuschkulisse hören:„Nieder mit dem Tyrannen!“, und kaum einen Moment später skandierten es seine Anhänger ebenfalls: „Nieder mit dem Tyrannen! Nieder mit dem Tyrannen!“
Syrens Blick wendete sich ab von dieser Menge und er drehte sich zum sprechenden Constable um, einen Turianer: „Einfach unmöglich diese Mistkerle.“, nun drehte der Beamte sich auch zu Syren um, „Entschuldigung sie, Sir.“
„Entschuldigung angenommen.“, antwortete der Turianer prompt, „…falls sie sich bitte hier hinstellen würden.“, und er zeigte auf einen Platz vor sich.
„Natürlich.“, antwortete Ordos leicht verwirrt und bemerkte nicht, dass er genau zwischen Syren und der Menge stehen geblieben ist, wodurch der Turianer sich nun ungestört umschauen konnte.
Er suchte offenkundig etwas. Oder jemanden. Es dauerte nicht lange bis er die Person am anderen Ende des Platzes gefunden hatte: ein kleines, menschliches Mädchen, selbst für ihre 12 Jahre verhältnismäßig kleingewachsen. Sie trug ein dunkelblaues Shirt auf dem das Konterfei von Syren zu sehen war – ein Wahlshirt von vor zwei Jahren – und einen enganliegenden Rock mit grün-lila Streifen, während ihre glatten, roten Haare bis zu ihren Schultern reichten. Syren konnte ihr Gesicht aus dieser Entfernung nicht genau erkennen, aber er könnte schwören, dass sie ihn frech angrinste.
Er aktivierte sein Omni-Tool und baute eine Verbindung zu ihrem auf. Als das fertig war, hörte er ihre glucksende Stimmung: „Oh Captain, mein Captain! Was kann ich für dich tun?“
Der Turianer legte das Omni-Tool nah an seinen Mund und flüsterte hinein: „Sam…“, seine Stimme klang drohend, „Wenn ich hier fertig bin, bist du dran – du weißt doch noch was ich mit dir nach Sky Jump gemacht habe, oder?“
Er brauchte ihre erschreckte Stimme im Tool nicht zu hören, um zu wissen wie sie jetzt reagierte: die Verbindung brach sofort ab und schon war sie um die nächste Ecke verschwunden.
Syren drehte sich zufrieden zu Saenia um, die nur mit dem Kopf schüttelte. „Sie ist eine unsere besten Informanten.“, erklärte sie unzufrieden seufzend.
„Und trotzdem bleibt sie ein Kind.“, entgegnete der Turianer und tippte wieder auf seinem Omni-Tool herum, „Nächstes Mal wenn sie bittet, sagst du nein – Etwas was ihre Eltern auch öfter tun sollten.“, er hatte das Menu gefunden was er wollte, „Wird Zeit das zu tun warum wir hier sind.“
Das Tool wurde nun auf Mikrofon eingestellt und der Turianer wandte sich der Menge zu: „Herzlich Willkommen…“, er blickte immer wieder einzeln einige Leute an, „…Vertreter der Presse, Freunde, die sich um das Wohlergehen derer sorgen, die niemanden haben…und natürlich werte Vertreter der ungeladenen Gäste.“, womit er die Menschenmenge um Trumbo meinte, sie dabei anstarrend, „Heute ist ein großer Tag…“, er fing an auf und ab zu gehen, „Heute vor zwei Jahren erlebte die Citadel eine ihrer größten Tragödien.“, sein Stimme klang traurig und er fühlte sich auch so, sich an die damaligen Ereignisse erinnernd, „Die Geth griffen an und töteten viele. Viele verloren ihr Heim, ihre Karriere, ihre Zukunft.“, er trat näher an die Menge heran, blickte nun ein junges turianisches Päärchen an, „Aber diesen Tag überlebten auch viele und nicht wenige von ihnen waren Kinder. Kinder die keinen Platz mehr hatten. Kinder, die nicht mehr wussten wohin.“, er blickte auf zu einem älteren menschlichen Paar, das sich umarmte, „Wir sahen sie alle und konnten doch kaum was dagegen tun.“, er blickte herunter, bevor er seine freie Hand in Richtung der Tür herumschwenkte, „Bis heute…“
Und dann hörte man den Schuss. Er war laut, hallte an den Wänden wieder und verwirrte alle anwesenden genauso wie er sie erschreckte. Saenia schnellte sofort vor Syren, der sich bereits umschaute und schnell den Ursprung des Schusses lokalisiert hatte: die Menschenmenge am Rande.
„Sie haben auf mich geschossen!“, schrie Trumbo, sich an seinem blutigen Arm festhaltend, „C-Sec schießt auf Zivilisten!“
Keiner wusste, was wirklich los war. Verwirrte Blicke wurden ausgetaucht und Syren erkannte bereits die ersten verängstigten Gesichter. Schnell hob er seinen freien Arm, rief: „Bewahren sie die Ruhe! Ich wette das können wir aufklär-!“
Und dann erfolgte ein weitere Schuss und Syren sah wie ein C-Sec Beamte fiel. „Verdammt Nein!“, schrie der Ordos zu seiner Seite und lief zu seinen Leuten hin, „Wer hat hier geschossen?!“
Die Beamten bei der Absperrlinie reagierten genauso verwirrt wie die Zivilisten, hoben aber ihre Waffen in Richtung der Menschenmenge um Trumbo. „Verdammt wer war das?!“, schrie einer von ihnen, ein Salarianer.
Ein weiterer Schuss fiel und dieses Mal ging ein Zivilist runter. „Nicht schießen!“, schrie Syren die prekäre Lage erkennend, aber viel zu spät: die ersten Menschen bei Trumbo verließen fluchtartig ihre Stellungen, laut schreiend: „C-Sec schießt auf Zivilisten!“
Das ganze Sache wurde obendrein von den Reportern aufgenommen, auf zig Kameradrohnen, und Syren erkannte wie einige der menschlichen Zivilisten anfingen Steine auf C-Sec zu werfen, laut „Mörder!“, schreiend.
Syren erreichte den Beamten von vorhin, der versuchte seine Leute zu beruhigen, die immer noch verwirrt dreinblickten, aber sich bereit machten sich zu verteidigen. „Nicht schießen!“, wiederholte er und sah dann den gefallenen Beamten: ein Mensch, der dabei war zu verbluten. Schnell packte er sich den nächstgelegenen Beamten, drückte dessen Waffe weg und schrie ihn an: „Rufen sie einen Krankenwagen!“, er zeigte auf den Verletzen, „Sonst stirbt er!“
Der Beamte nickte mehrmals, immer noch nicht bewusst was hier gerade passierte, aber er machte sich schnell daran einen Anruf zu tätigen. Syren ging inzwischen zu den anderen Beamten, versuchte sie daran zu hindern gewaltsam zu reagieren: „Nicht schießen! Bleiben sie hier – bewahren sie die Ruhe!“, er blickte zu der fliehenden Menschenmenge, von der kaum noch jemand hier war.
Als das klar wurde, beruhigte sich die Situation langsam wieder, aber Syren sah immer noch verärgert aus. Saenia, die auch versucht hatte die Lage zu beruhigen, erreichte ihn und er sprach sein Ärger laut aus: „Was zum Teufel ist hier gerade passiert?!“