Das sturmgraue Shuttle hob sich nur undeutlich von dem merkwürdig sandfarbenen Himmel, der in ständiger Bewegung zu sein schien, ab. Die Wolken griffen wie mit gespenstischen, langsamen Tentakel-Armen nach dem blitzenden Objekt. Sie wirbelten auf, als der Flitzer sie durchstieß. Fast unmerklich. Hanna sah in den Himmel auf. Sie hatte die Bewegung wahrgenommen und hob nun eine Hand, um die Sonne, die in einem schrägen Winkel in ihr Gesicht fiel, abzuschirmen. Sie nahm die Fliegerbrille mit den schwarzen Gläsern von der schmutzigen Metallkiste, auf der sie saß, klappte die Bügel auseinander und drapierte die Brille mit pedantischer Genauigkeit auf ihrem Nasenbein. Ihr war heiß. Das schwarze T-Shirt einer Deathmetal-Band, deren Namen „
Reign in Hell“ in blutroten Lettern auf ihrem Rücken stand und vorne einen Satansstern zeigte, klebte an ihrem Körper. Es war vor Schweiß und Staub völlig verdreckt. Auf Aratoth gab es keine Sauberkeit. „Sergeant.“ Hanna blickte zur Seite und erkannte die verdunkelte Gestalt ihres direkten Vorgesetzten. Lieutenant Horatio Cooper war fast ebenso schmutzig wie sie, doch sein markantestes Merkmal war sein Bart. Ob aus Trotz oder der Gelegenheit wegen ließ er ihn seit ihrer Ankunft vor etwa vier Wochen unkontrolliert wachsen. „
Unsere Gäste kommen also, Coop?“, fragte Hanna und verschränkte die Arme aus Bequemlichkeit vor der Brust. Cooper nickte. „Dachtest schon, man hätte uns vergessen, was?“, sagte er. Im Gegensatz zu Hanna, die eine Camouflage-Hose trug, hatte Cooper eine Jeansmit Löchern an den Knien an und dazu ein schwarzes Hemd, aufgeknöpft bis zur Mitte. Er wirkte nicht einmal entfernt wie ein Soldat. Cooper zog eine Schachtel Zigaretten aus der Hosentasche, steckte sich eine an und hielt die Packung dann Hanna hin. Sie lächelte und schüttelte den Kopf. „Immer noch nicht?“ Cooper lachte. „Wie sollst du auf dem Schlachtfeld jemals Karriere machen, wenn du nicht rauchst?“ „
Ich dachte, das mache ich bereits“, sagte Hanna. Schweiß perlte ihr von der Stirn. „Vielleicht irrst du?!“ Hanna hatte keine Zeit, über das für und wider einer Antwort nachzudenken, denn in diesem Moment erstarb das kontinuierliche Rauschen der Triebwerke, des in einiger Entfernung aufsitzenden Shuttles. Hanna und Cooper machten ein paar Schritte auf das Fahrzeug zu. Inmitten der scharfkantigen Felsen und schleimig-grünen Moospflanzen wäre es dem zufälligen Beobachter nicht weiter ins Auge gefallen. Die Tür glitt auf und ein paar Leute traten mit unsicherem Schritt heraus. Die Art, wie sie sich bewegten, zeigte Hanna, dass es sich nicht um Allianz-Personal handelte, dass häufig in schnellem und steilem Landewinkel zu Boden kam. „Oh man“, stöhnte Cooper, als drei Männer in blankpolierter Panzerung und schwer beladen mit stahlverkleideten Koffern und Seesäcken auf die beiden zu stolperten. Die Helme baumelten von einer Schnalle ihrer Gürtel, wo eigentlich mindestens eine Waffe hängen sollte. „
Du sagst es“, stimmte Hanna ihm zu, als sie den Ernst der Lage erkannte. Unsicher, ob sie die richtigen Ansprechpartner vor sich hatten, traten die Männer näher. Sie waren alle noch jung, kaum älter als Hanna, wenn überhaupt. Ihr augenscheinlicher Anführer mochte sogar noch jünger sein, denn sein jungenhaftes Gesicht mit den treuherzigen braunen Augen blickte sie etwas hilflos an. Schließlich entschied er sich zu handeln, stellte den Koffer ab und trat auf die beiden zu. Seine Kameraden blieben im Hintergrund. Verwirrt schaute er erst Hanna, dann Cooper und dann wieder Hanna an. Da sie mit der Tarnhose und der Waffe im Tiefziehholster als die militärischere der beiden aussah, nahm er Haltung an und salutierte. „Lieutenant Ken Cross, Ma’am!“ Hanna prustete los und Lieutenant Ken Cross lief augenblicklich rot an. „
Ken Cross – klingt wie ein Porno-Name“, sagte Hanna an Cooper gewandt, der wiederum die Fassung eines Profis wahrte und Cross anherrschte: „Herrje, sofort die Hand runter, Soldat! Sie sind hier in feindlichem Gebiet und nicht einmal offiziell als Vertreter der Allianz hier, verstanden! Solange Sie hier auf Aratoth sind, sind sie kein Specialist und salutiert wird hier auch nicht. Verstanden?“ „Ja Sir! Ich meine nicht Sir, ich meine…“ Cross verstummte und starrte auf seine Zehen. „Gut. Sie sind von dem Aufklärungsteam, nehme ich an?“ „Jawohl, S… Jawohl.“ Cross senkte seine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. „Allianz Aufklärung und Informationsbeschaffung. Wir gehören zum Forschungsteam. Ich nehme an, Sie kennen unseren Auftrag?“ „Nein, tue ich nicht. Übersteigt meine Soldgruppe. Aber mein Vorgesetzter weiß es.“ Cooper nickte in Richtung Osten. Etwa einhundert Meter von ihnen entfernt duckte sich ein metallener Komplex aus Barracken und Containern in die Fauna, beschmiert und der Umgebung nach Möglichkeit angepasst. „Nur damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben: Ich bin Lieutenant Horatio Cooper und das ist Master Sergeant Hanna Ilias.“ Hanna nickte den drei Typen knapp zu. Die Männer schienen von der Geste überfordert zu sein und schauten stattdessen lieber wieder zu Cooper. „Ich bringe Sie zum Leiter der Operation hier auf Aratoth: Captain Korbin Sánchez. Mit ihm müssen Sie sich dann kurzschließen.“ Die Fünf setzten sich in Marsch. „
Wir haben schon ein nettes Quartier für euch eingerichtet“, sagte Hanna und grinste angesichts der Aussicht, diese weichgespülten Orgelpfeifen in einen schmutzigen Spint ähnlichen Raum zusammengepfercht zu sehen. „Lieutenant… ich meine: Mister Cooper, was ist, wenn wir bei unseren Forschungen Unterstützung benötigen?“ „Sie meinen durch die Gegend laufen und Dinge scannen? Keine Chance! Für so einen Kram sind wir nicht zu haben. Gehen Sie Ihrer Arbeit nach und geben Sie mir und meinen Jungs etwas, worauf wir schießen können.“ Das plötzliche und heftige Rascheln in einem Busch in der Umgebung ließ Hanna aufhorchen. Die Blätter knackten so laut, als wäre die Lautstärke in ihrer Intensität um ein hundertfaches erhöht worden. Hanna griff zur Pistole und wandte sich um. Doch da war kein Busch und sie Szene erstarrte.
Hanna öffnete die Augen. Sie brauchten eine Weile, um sich an die von spärlichem Licht durchdrungene Dunkelheit zu gewöhnen. Das Knistern, welches sie fälschlicherweise Blättern zugeordnet hatte, kam von der weißen Decke und der blauen Gestalt, die sich im Schlaf darin drehte. Hanna schaute einen Moment konzentriert auf den nackten Rücken der Person und versuchte sich zwanghaft an die letzte Bilder auf ihrem Traum und dann an die Situation in der Realität zu erinnern. Echtheit und Erinnerung verschwammen in einem Strudel aus zu viel Alkohol, sich überschlagenden Ereignissen und Fantasie. „
Was habe ich da geträumt?“, fragte sie sich selbst. Es erschien ihr wichtig gewesen zu sein. „
Oder ist das hier ein Traum?“ Hanna hielt sich im schimärischen Halbdunkel des Raumes die Hand vor die Augen. Sie wirkte merkwürdig hell pigmentiert und entfernt fremdartig. Neben ihr bewegte sich die Asari und gab ein leises, zufriedenes Murmeln von sich. Hanna beachtete sie nicht weiter sondern setzte sich im Bett auf und ließ den Kopf hängen. Bilder flammten vor ihrem geistigen Auge auf. Bilder eines unwirklichen Planeten. Bilder aus ihrer Vergangenheit. Sie stand auf und verließ das Schlafzimmer. Vor dem Panoramafenster blieb sie stehen. Sie rauchte schon wieder, hatte gar nicht mitbekommen, wie sie sich die Zigarette angesteckt hatte. Hanna schaute auf den nie abreißenden Strahl an Licht, den die Shuttles bildeten. In der Nacht schien der Streifen sich jedoch zu verjüngen. Sie spürte, wie die Glücksgefühle in ihrem Magen langsam ihre Wirkung verloren. Und erst jetzt wurde ihr bewusst, dass ihr der Traum ein Gefühl der absoluten Lebendigkeit gegeben hatte.