Zitat von
Archol
Ja, Moment. Aber Ricciardo kann man das absprechen, obwohl er bislang die mit Abstand aussagekräftigsten Vergleichswerte hat, die in diesem Fall eindeutig für ihn sprechen? Leuchtet mir überhaupt nicht ein.
Ich hab ja nicht gesagt, streicht Vettel von der Liste der Leute, die gut sind. Es geht hier ausdrücklich um die Liste der Leute, die mutmaßlich eine reine Pace haben, die Ricciardo abgeht. Vettel auf diese Liste zu setzen, der Ricciardo im direkten Vergleich in allen Belangen unterlegen war, einschließlich des Qualifyings als Indikator für reine Pace, halte ich für eine offensichtliche Fehlentscheidung.
Was die 11 Saisons angeht, begibst du dich auf ein Terrain, das ich eigentlich bewusst nur gestreift hatte. Aber gut: Warum meinte ich, dass sein Ruf auf Sand gebaut sein könnte, obwohl er sich doch in 11 von 12 Saisons durchgesetzt hat? Weil er in der Zeit gerade einmal 3 Vollzeit-Teamkollegen hatte. Die anderen auf dieser Liste hatten da mit Verstappens Ausnahme im gleichen Zeitraum deutlich mehr: Hamilton 5 (Alonso, Kovalainen, Button, Rosberg, Bottas; Stand: 10:2), Alonso 5 (Hamilton, Piquet, Massa, Räikkönen, Button, Vandoorne; Stand: 10:2 [einschließlich eines Punktegleichstands gegen Hamilton und einer kaum zu bewertenden Saison 2015 mit 8 Ausfällen in 18 Rennen gegenüber 6 in 19 für Button]).
Vettel musste sich bislang an Sébastien Bourdais messen lassen, der damals schon Ende 20 und Quereinsteiger war. Dann 5 Jahre an Webber, der zwar ein Monster zu Zeiten des Einzelzeitfahren-Qualifyings war, aber ansonsten wenig Beeindruckendes vorzuweisen hatte. Dann gab es die krachende Niederlage gegen Ricciardo, gefolgt vom Teamwechsel. Dann wieder 4 Saisons am Stück gegen Räikkönen, der bei Ferrari im Wesentlichen übriggeblieben war. Gerade der Parallelismus zwischen Webber und Räikkönen, die trotz oder gerade wegen ihrer teilweise krachenden Niederlagen immer neue Verträge bekommen haben und zwar durch regelmäßiges Maulen, aber ansonsten relativ wenig Widerstand gegen die Behandlung als zweite Geige aufgefallen sind, ist der Hauptgrund für die wacklige Fundierung von Vettels Ruf. Von seinen bisher 10 vollständigen Saisons hat er 8 in diesen festen Konstellationen verbracht. Dazwischen: Prügel von Ricciardo und sofortiger Teamwechsel. Wenn man sich an das hält, was sichtbar ist, rechtfertigt diese Saison 2014 zumindest ein dickes Fragezeichen hinsichtlich Vettels Standing außerhalb dieser festen Partnerschaften.
Also komm, F1 ist doch nicht Malen nach Zahlen. Warum sollte man einen Ausfall als 22. Platz werten, was sagt das denn über Auto und Fahrer aus? Wenn man nur die Zielankünfte nimmt, war Vettels Durchschnittsplatzierung in den ersten 10 Rennen knapp 4,3 – Ricciardos exakt 4 (3,8 wenn man Australien mitzählt). In diesem Zeitraum wurden 6 Podestplätze in 5 Rennen erzielt (oder 7 in 6 inklusive Australien). Über die Saison gerechnet sogar 12 (13) Podestplätze in 10 (11) von 19 Rennen, am Ende gab es Rang 2 in der Konstrukteurs-WM. Wir reden also immer noch von einem Auto, das in mindestens jedem zweiten Rennen aufs Podest gefahren ist und nur von Mercedes geschlagen wurde, ergo nicht von einem etwas besseren Toro Rosso.
Vettels 2. Saisonhälfte belief sich dann auf eine durchschnittliche Zielankunft auf Rang 5,7 gegenüber 3,5 für Ricciardo (soviel zu den mathematischen Auswirkungen eines 22. Platzes für einen Ausfall in 9 Rennen – traue keiner Statistik, die du nicht selbst ...).
Und schwupps, kehrt sich die Aussage in ihr absolutes Gegenteil um. Vettels Saison begann halbwegs auf Ricciardos Niveau, schmierte aber in der zweiten Hälfte richtig ab. Von Gewöhnung keine Spur.
Oder nehmen wir ein anderes Maß: Wer war wie oft bei gemeinsamen Zielankünften vorne?
Erste 10 Rennen: Ricciardo-Vettel 5:1
Letzte 9 Rennen: Ricciardo-Vettel 6:2
Kann man da von einer Verbesserung sprechen? Hm...
Noch ein anderes Maß: Wie groß war der durchschnittliche Abstand in Positionen bei gemeinsamen Zielankünften?
Erste 10 Rennen: Ricciardo 5 Mal im Schnitt um 1,6 Plätze vorne, Vettel 1 Mal im Schnitt um 2 Plätze (Schnitt gesamt: Ricciardo um 1 Platz vorne)
Letzte 9 Rennen: Ricciardo 6 Mal im Schnitt um 3,3 Plätze vorne, Vettel 2 Mal im Schnitt um 1 Platz (Schnitt gesamt: Ricciardo um 2,25 Plätze vorne)
Die Tendenz ist jedenfalls klar: im Saisonverlauf abwärts. Was, wenn überhaupt, eher für Ricciardo spricht, der sich als Neuling im Team gegenüber Vettel in dessen 6. Saison bei Red Bull erst einmal richtig zurechtfinden musste.
Tue ich ja nicht. Ich sage, Vettel ist gut, aber ich finde es äußerst fragwürdig, ihn vor Ricciardo einzustufen. Eben weil der direkte Vergleich so eindeutig für Ricciardo ausgegangen ist und weil Vettels Teamkollegen anscheinend weniger nach Siegfähigkeit als nach Kuschelfaktor ausgewählt wurden. Natürlich muss man sich so eine Kuschligkeit auch irgendwie erarbeiten, und nicht jeder hätte Webber und Räikkönen als genauso kuschelig, oder zumindest: gerade stark genug, um den Anschein zu wahren, aber nicht so stark, dass es haarig wird, empfunden.
Und dann gibt es ja noch den indirekten Vergleich zwischen Vettel und Alonso über Räikkönen.
2014: Alonso fehlen 4 Punkte auf das Dreifache von Räikkönens Punktzahl (eigentlich 3, aber Abu Double ...), setzt sich im Quali 15:4 durch, in den Rennen 15:1 und kommt im Schnitt 3,6 Plätze weiter vorne an.
2015: Vettel fehlen 22 Punkte auf das Doppelte von Räikkönens Punktzahl, er setzt sich im Quali 15:4 durch, in den Rennen 10:5 und kommt im Schnitt 1,8 Plätze weiter vorne an.
Mit Ricciardo hat das nichts zu tun, aber auch das ist ein Vergleich, der Fragen aufwirft.
Und was das Argument mit dem "starken Auto" angeht, das hast du selbst eingeführt. Ich halte da nix von.
Okay, aber worauf basiert diese Sicherheit? Ausschließen kann ich's ja nicht, aber ich sehe darin kein Argument, weil's im Endeffekt ein reines Vorurteil ist. Die Fakten, die wir haben, sprechen jedenfalls eine andere Sprache.