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Der Abend dämmerte und die verschiedenen Charaktere die diese Truppe formten waren allesamt mehr oder weniger ruhig geworden. Es schien, dass die Nacht selbst die Stimmung etwas herunterdrückte. Die Sinne wurden schärfer und die Ausgelassenheit lies nach. So wie es sein sollte. Gefahr lag fast greifbar in der Luft und die untergehende Sonne kündete davon, dass die Schwärze bald die Szenerie gänzlich gefangen halten würde.
»Deine Aufgabe steht weiterhin«, murmelte der Weißhaarige zu Chala die zufälligerweise gerade neben ihm lief und machte damit deutlich, dass auch wenn die Gelegenheiten sich ändern, doch die Ambition bleiben sollte. Bald würde alle neuen Schüler sich vielleicht beweisen müssen. Im Kampf gegen etwas, dass noch obskur blieb. Zumindest für den Moment. DraconiZ ging nach einer Weile etwas vor den Anderen. Er konnte auch durch die Dunkelheit hindurch genauso gut sehen und so war man sich schnell einig, dass es Sinn ergab wenn er spähte. Die Finsternis offenbarte ihm ihre Geheimnisse. Doch die waren in der ersten Zeit wo sie möglichst leise durch das Gebirge zogen nicht sonderlich spannend. Die meisten der Gefährten schafften es sich lautlos zu bewegen oder bemühten sich zumindest redlich so wie Chala. Manche so wie Jacques ernteten allerdings zwischenzeitlich nicht zu unrecht einen erbosten Blick, wenn sie wieder auf einen Stein traten der sich löste und damit potentiell preisgab, dass sie hier waren. Die Initiative zu behalten war wichtig. Was auch immer hier war, war schwerer beizukommen, wenn sie die Initiative verloren.
Dann hörte er sie. Erst ein sehr dumpfes undefinierbares Geräusch. Dann lauter. Sie marschierten. Eine große Trommel die die Grundfesten von Argaan zu erzittern schien. »Ich schaue mir das an. Die Gefahr ist für euch deutlich größer als für mich. Ich finde euch«, sagte er nach einem schnellen Blickwechsel zu Ulrich und den anderen. Es brauchte nicht viel um sich zu verständigen. Sie waren eingespielt und die die es nicht waren orientierten sich an den erfahrenen Kämpfern.
Orks. Bis an die Zähne bewaffnet. Aschgraue und dunkelrote Kriegsbemalung. Erinnerten eher an die Orks in Khorinis als diejenigen die Myrtana in ihrer Gewalt gehalten hatten fand er. Rohe Gewalt sprach aus ihrem Gang und den angespannten Muskeln. Nicht viele. Späher wahrscheinlich. Sie suchten die Umgebung ab in der Hoffnung etwas zu finden. DraconiZ konnte von seiner Erhöhten Position mittlerweile einen sehr guten Überblick gewinnen. Was hatten sie vor? Wo war das eigentliche Heer? Immerhin war es kein Drache und keine Armee von Echsenmenschen. Mit Orks konnte man reden. Nunja grundsätzlich zumindest. Er näherte sich weiter und hielt nach etwas Ausschau das er wiedererkennen konnte. Mit Schaudern hoffte er fast die Faust der Urkma zu sehen. Das Banner was Shagrash einst geführt hatte.
Geändert von DraconiZ (22.07.2024 um 10:17 Uhr)
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„Kesh tar, Darknar! Über den Felsen und halt deine verdammten Augen offen, Welpe!“, knurrte Zargul seinen Sohn an, mit dem er die nördliche Flanke des Okrzuges abdeckte.
Seit langem zogen mehr als drei Dutzend Krieger und sogar die Schamanin gemeinsam los, um zu sehen, was diese neuen Orks auf ihrer Insel wollten. Der Weg übers Gebirge war der schnellste, aber auch für die Karreks barg es seine Gefahren. Die widerlichen Drachendiener lauerten noch immer in den Höhlen und Spalten. Die Trommeln sorgten dafür, dass jeder wusste, dass sie marschierten und dass man sich besser verkroch, doch die dummen Echsen mochten die Warnung missachten.
Darknar knurrte eine Bestätigung und erklomm geschickt einige große Felsen, die bei einem Erdrutsch eine hohe natürliche Treppe gebildet hatten.
Etwas langsamer folgte Zargul ihm, achtete darauf, wie sich sein Welpe bewegte und nahm sich vor ihm später einige Dinge einzubläuen, die er zu verbessern hatte, wenn er als Späher weiterhin eingesetzt werden wollte.
Oben angekommen – Darknar wartete auf seinen Vater – hob der Alte die Nase, versuchte im frischen Wind des Gebirges eine Fährte aufzunehmen, die mögliches Vieh versprach, was sie zur Verpflegung jagen konnten. Stattdessen nahm er etwas ganz anders wahr.
Ein tiefes Grollen entkam seiner Kehle, was den jungen Orak dazu verleitete, seine Schleuder bereit zu machen. Guter Junge.
„Morras“, knurrte er und nahm seinerseits den großen Orkspeer zur Hand, den er mit den Trophäen seiner erfolgreichen Jagden verziert hatte, es war eine beachtliche Anzahl.
„Hier oben? Sind die verrückt?“, wollte Darknar wissen und schaute sich angespannt um.
„Alle Morras sind verrückt, Welpe. Merk dir das!“
Aber der Junge hatte schon recht. Wenn sich hier oben Morras befanden, dann weil sie entweder erfahren genug waren, um den Gefahren zu trotzen oder in so großer Zahl unterwegs waren, dass sich selbst die Echsen vor ihnen in Acht nahmen. Was wollten sie im Wizzka?
Die Haare des alten Spähers stellten sich auf, als er um eine Felsformation schritt, die den direkten Blick auf den Pfad verbarg, dem die Karrek folgten. Doch noch ehe er das Gestein umrunden konnte, hörte er eine Stimme – über ihm!
„Jabarth! Zeig dich, Morra!“
Hektisch suchte Zargul nach dem Ursprung der Stimme, als ein hellhaariger Mann, gekleidet in silbriges Metall und scheinbar unnützen Stoffen an den Rand des Felsens trat. Er wirkte nicht eingeschüchtert, nicht einmal besorgt, dass er zwei Orks gegenübertrat. Viel mehr schien er sie treffen zu wollen.
„Karrek marschieren! Verschwinden und kommen uns nicht in Weg, Morra!“, bellte der Alte und hob drohend den schweren Speer, die Zähne und Klauen daran klapperten.
Wenn sie sich direkt gegenüberstehen würden, wäre er ein Wicht. Er trug keine offensichtlichen Waffen und war auch ansonsten nicht von imposanter Statur. Er hätte wohl dreimal in Gorbag gepasst.
Proya Anuot
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»Ich bin nicht hier um zu kämpfen«, meinte der Streiter beschwichtigend und hob beide Arme, so dass sie sehen konnten, dass er unbewaffnet war. Nun zumindest für den Moment. Durch die Dunkelheit konnten sie ihn wohl kaum sehen. Er sah sie allerdings sehr gut. Ein nicht zu verachtender Vorteil, auch wenn ihre Körperkraft die seine natürlich deutlichst übertraf. Er erkannte das Banner nicht unter dem sie marschierten. Ihre Rüstungen und ihr Auftreten schienen ihm nicht vertraut. Nicht so wie die Orks in Khorinis. Nicht so wie Shagrash und die seinen gewesen waren. Sie schienen rauer als ihre Verwandten die Myrtana regiert hatten. Doch mit denen hatte er auch Erfahrung. Damals in Khorinis, als er seine Brüder verraten hatte.
»Ich bin hier für eine gute Gelegenheit, ein gutes Geschäft«, meinte er gewieft. »Mein Name ist DraconiZ von Bakaresh aus der großen Wüste Varant. Klingenmeister und Assassine«. Er verbeugte sich theatralisch. »Ich habe euch bemerkt und ich dachte vielleicht könnten wir voneinander profitieren. Schließlich ergab es sich doch oft genug in der Vergangenheit, dass wir zu einer Einigung gekommen sind nicht wahr? Die Assassinen und die Orks meine ich«. Er verließ sich auf die Rhetorik der Diebeskunst und seine Erfahrung. Das war wohl alles was ihn von einem Gefecht mit den beiden trennte. »Also was bringt euch hierher? Kann ich zu Diensten sein?«, fragte er mit ungerührter Miene in der Hoffnung, dass sie darauf einsteigen würden. Die Chancen standen nicht so schlecht. Vielleicht hatten sie seinen Namen zumindest schon einmal gehört. Fern aber doch nah genug um damit etwas zu verbinden. Schließlich war er der Verräter von Khorinis. Der Gehasste. Sollte es nicht einmal in seinem Leben für etwas gut sein?
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Dieser Mensch war vorlaut und offensichtlich sehr von sich und seinem Ruf überzeugt. Darknar stampfte mit dem massigen Fuß auf und knurrte so laut, dass sich wohl ein Snapper in Acht genommen hätte. Doch der Welpe verstand die Sprache der Morras nicht und so war es an Zargul ihn zurückzuhalten.
„Khrotak, Welpe! Wir reden erst, sonst verzögern wir nur unseren Vormarsch!“, wies er seinen Sohn zurecht, der sogleich ruhiger wurde, wenn auch nicht weniger aufmerksam.
Die Schleuder war bereits geladen und es brauchte nur einen Moment um ihre verheerende Wirkung zu entfalten. Die Worte waren wie eine Verlockung, selbst wenn er sie nicht alle einzuordnen wusste. Diese weichen Silben hatten ihm nie gelegen, es fehlte dieser Sprache jegliche Textur.
„Zargul kennen Name von Morra. Aber lang her. Keine Freunde mehr“, knurrte er und machte unmissverständlich klar, dass selbst wenn dieser Kerl einst zusammen mit ihnen gegen die Lichtmorras gekämpft hat, dies keine Bedeutung mehr hatte, „Kein Ulu-Mulu, kein Orak!“
„Was du anbieten, eh? Geschäft? Wir nicht brauchen dich!“
„Orak Tshaga!“, brüllte Darknar angriffslustig und hatte wohl den Tonfall seines Vaters missverstanden.
Dieser gab ihm einen Hieb mit der Unterseite seines Speeres, damit er still war.
„Gehen zurück auf Nef’Ka, wo hergekommen!“, forderte der erfahrene Späher ihn auf und hob nun seinerseits drohend die Waffe.
Wenn dieser Morra sie angreifen oder nur ablenken sollte, dann würden sie nicht darauf hereinfallen. In jedem Fall würden sie Bericht beim Häuptling erstatten und dafür sorgen, dass sie aufmerksamer durch die zerklüfteten Berge ziehen. Morras waren wie Ratten, wo eine war, waren meist viele und sie waren auf Argaan nicht mehr in der Überzahl wie damals, als sie von Faring aus Midland kontrollierten. Darknar hatte das alles nie erlebt, war er doch hier geboren von einer der Silberseeweibchen, die Zargul niedergerungen hatte.
Proya Anuot
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»Ich bin entrüstet«, meinte der Assassine und legte sich die Hand auf die Brust, während er etwas im Stand zusammensank um den verbalen Schlag zu verdeutlichen den er gerade erhalten hatte. Die gezogene Waffe ignorierte er gekonnt. Das würde nur die Bestätigung dafür geben, dass es sich hier um eine Gefahrensituation handelte und die würde er freiwillig nicht geben. Schließlich waren sie doch so etwas wie alte Freunde nicht wahr? »Ich habe der flammenden Faust, dem ehrenhaften Clan der Urkma gedient. Ich kämpfte Seite an Seite mit Shagrash dem Eroberer von Khorinis! Welch ein Frevel mich nicht mehr Freund zu nennen!«. Er wartete einen Moment, dann packte er die Orks da wo er erwartete, dass sie am empfindlichsten waren. »Welche Ehre habt ihr im Leib solche Worte auszustoßen. Wie könnt ihr es wagen die Stärke die ich zeigte geringschätzig zu halten!«
Er schüttelte verbitternd und mit bitterlicher Enttäuschung den Kopf. »Wenn selbst das Volk der Orks keine Ehre mehr kennt...«, er hielt in Erschütterung der Grundfesten der Welt inne. »Was ist nur aus dieser Welt geworden..«. Er ging – weiter gekonnt die Waffen ignorierend - »Mein Name ist ein Ulumulu! Oder brauchst du eines, damit deine Brüder dich schätzen?«. Dann wandte er sich von den Orks ab. »Aber wenn es das ist, was die Freundschaft der Orks ist, dann gehen wir eben unserer Wege...«. Dann wandte er sich zum Gehen. Nicht ohne zu hoffen, dass sie die Kränkung als Anlass genug nehmen würden auf ein weiteres Gespräch einzugehen. Wenn nicht, dann würde er zumindest von den Spähern berichten können, die sich hier herumtrieben.
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Abfälliges Gelächter dröhnte aus Zarguls Kehle, als er hörte, was dieser Morra da von sich gab, ehe es abrupt abstarb und durch einen tödlichen Blick abgelöst wurde.
„Du sprechen als wären Orak, aber du nur Made. Wagen nicht zu kennen Oruk!“, geiferte der alte Späher, „Oraks nicht leben in Vergangenheit. Große Kriegsfürsten von damals nicht Kriegsfürsten von heute!“
Es war eine ungeahnte Anmaßung dieses Morras sich als gleichwertig ihnen gegenüber darzustellen, so als wäre er einer der ihren. Es juckte Zargul in den Fingern seine Pranken um den dürren Hals dieses Wichtigtuers zu schließen und ihm den Kopf vom Körper zu reißen. Am schlimmsten jedoch war, dass er sich selbst als Ulu-Mulu bezeichnete, ein Zeichen von Stärke, Mut und Ehre. Er jedoch bot nichts davon, nur Überheblichkeit!
„Karrek geben Dreck, was war früher! Heute stark, heute groß! Komm runter und ich werde zeigen, was meinen! Beleidigen Zeichen von Schwäche und Angst, Morra“, forderte der Späher den spitzohrigen Menschen heraus.
Seine Haltung veränderte sich und er baute sich kampfbereit auf, wohlwissend, dass er nicht ohne Weiteres zu ihm heraufkommen konnte. Darknar deutete diesmal richtig, was das Gespräch beinhaltete und begann seine Schleuder zu wirbeln.
„Grak’thar!“, brüllte er seinen Sohn an, der im nächsten Augenblick den Stein schleuderte, der geradewegs auf den Morra zuschoss.
Dieser wich jedoch in schier unmöglicher Geschwindigkeit aus, gab ihnen einen bedauernden Blick und verschwand eilige aus ihrem Blickfeld.
„Du nicht kommen in Quere von Karrek! Wir töten alle Morras, die sehen wir! Viele Krieger hier mit Waffen so groß wie ihr! Schamanen euch verfluchen!“
Die Stimme Zarguls hallte durch die zerklüfteten Berge und er war sich sicher, dass sie die Ohren dieses Wurms erreichten. Sollte er sich wieder blicken, würden sie ihn erwischen, doch für den Moment reichte es, dass sie ihn und alle, die vermutlich mit ihm hier waren, vertrieben hatten. Das jedenfalls glaubte der Späher.
„Komm, Welpe. Wir berichten dem Häuptling, was geschehen ist“, befahl er seinem Sohn, der hektisch atmete und wild die Zähne fletschte, während er auf die Stelle starrte, wo sein Geschoss eingeschlagen war, „Du musst noch lernen besser zu treffen, Darknar!“, verurteilte er ihn und packte ihn im nächsten Moment im Nacken und zog ihn fort.
Er war sehr gespannt, was der Schwarze dazu sagen würde und ob die Schamanin die Morras mithilfe der Geister aufspüren konnte.
Proya Anuot
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Lehrling
„Ja lauf nur, du mieser, verräterischer Bastard!“, murmelte Lares bitter, als er den Mann mit den weißen Haaren in der Nacht verschwinden sah. Früher waren sie schwarz gewesen, und auch sein Gesicht trug die Spuren der Zeit, doch Lares zweifelte keinen Herzschlag lang daran, dass es sich bei ihm um genau jenen Mann handelte, den er damals am Hafen von Khorinis gesehen hatte, als die Stadt fiel. Damals, als er sich unter Halvors Fischstand verkrochen und beobachtet hatte, wie dieser Mann eine Armee von Orks mitten in das Herz der Stadt führte. Das Schicksal hatte wahrhaft einen fürchterlichen Sinn für Humor, dass es Lares nach beinahe 18 Jahren auf den legendären Verräter der Stadt treffen ließ – und das ausgerechnet, während er mit den durch das Gebirge ziehenden Orks anzubandeln versuchte!
Diesmal aber schien der Mistkerl auf wenig Gegenliebe bei den Grünfellen zu stoßen. Gut so! Den Gefallen, das Verräterschwein in Stücke zu reißen, taten ihm die Orks zwar nicht, aber es schenkte Lares eine grimmige Genugtuung, dass der Kerl nach seinem Verrat selbst bei seinen damaligen Herren keine Freunde mehr fand.
Nun stand er vor einer schwierigen Entscheidung. Folgte er weiter dem großen Tross der Orks durch die Berge, oder brachte er in Erfahrung, wohin es diesen elenden Verräter trieb? Von seinem eigentlichen Auftrag, das Archiv der Burg Silbersee zu erkunden, war er ohnehin schon abgewichen, als er die Orktrommeln gehört hatte. Er hatte Gilthor eine Liste von Namen und Dingen genannt, die der Kastellan in der Zwischenzeit heraussuchen sollte, und war Hals über Kopf aufgebrochen, um den Orks zu folgen.
Schließlich hatte er sich oberhalb des Hauptzugs gehalten, um die Orks aus sicherer Entfernung im Blick zu behalten. Doch die Orks ließen ihre Späher breiter ausschwärmen, als er es bei einem so offenen Kriegszug erwartet hätte. Und dass er hier, am Arsch der Welt, mitten in diesen von allen Göttern verlassenen Bergen, ausgerechnet den Verräter von Khorinis finden würde, machte die Sache nur noch etwas verzwickter.
„Ach, Scheiß drauf“, knurrte Lares. Er würde dem Verräter nachsetzen, um herauszufinden, wer hier oben zu ihm gehörte. Die Orks waren so laut, dass er die Spur danach problemlos wiederaufnehmen konnte. Doch auch wenn er dem Mistkerl folgte, würde er einen gehörigen Sicherheitsabstand einhalten und zunächst lieber nur seinen Spuren folgen, solange es noch stockdunkel war. Er traute dem Braten nicht, und wer wusste schon, welche miesen Tricks der Kerl auf Lager hatte?
„Mann, Lee, da hast du mich ja in eine schöne Scheiße rein manövriert …“
Wenn er zurück war, musste er definitiv eine bessere Bezahlung verlangen.
Johanna
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»Orks«, sprach Draco geradewegs an die Gruppe gewandt, als er wieder aus der Situation mit den Spähern zurückgekehrt war. Vor wenigen Momenten war er erst aus dem Schatten getreten. Er schaute von Ulrich über zu den Anderen, die momentan sich auf einem Felsplateau befanden und eine kurze Rast eingelegt hatten. »Ich konnte mich rudimentär mit ihnen unterhalten, bevor sie das Gespräch gewaltsam beendeten. Ihrer Aussage nach waren sie Teil einer größeren Gruppe mit magischer Unterstützung«, fuhr er mit seinem Bericht fort. »Sie machten auf mich eher den Eindruck der Stammeskrieger von Khorinis als die der Kultur, welche Myrtana regiert hat«. Der Streiter schaute einmal in die Runde. »Wir sollten auf der Hut sein. Sie wissen, dass ich hier bin, aber sie werden mich noch nicht in Verbindung mit Myrtana bringen. Nichts desto trotz halte ich es für essentiell zu beobachten, was sie weiter Vorhaben. Wenn er vielleicht sogar ein Heer ist, dann ist es wohl zwingend notwendig, dass wir Bericht schicken«. Die vielen Unklarheiten gefielen ihm gar nicht. Doch es war nun einmal wie es war. Die genauen Details mussten sich einfach noch herausstellen.
»Habt ihr hier noch etwas herausfinden können? Irgendwelche Anzeichen von Echsen oder anderen Dingen von denen ich wissen sollte?«, er schaute fragend in die Runde und dann auch zu Chala. Sah noch nicht so aus, als wäre ein Diebstahl begangen worden, denn sie winkte unmerklich ab. Sie würde das schon noch hinbekommen. Dessen war er sicher.
Einen Moment dachte er noch über die Späher nach. Hätte er sie aufhalten sollen? Sie würden bestimmt das Wissen um den Vorfall teilen. Andererseits konnten sie die Verunsicherung vielleicht auch zu ihrem Vorteil nutzen. Die Zeit würde zeigen, ob es die richtige Entscheidung gewesen war.
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Irgendwo im Gebirge
Mit verschränkten Armen hörten der Häuptling und seine Elitekrieger den Worten von Zargul zu, während sein Sohn Darknar hinter diesem schon fast beschämt stand.
“Wir jagen den Morra doch nicht?”, fragte Rasaff, der Älteste seiner Krieger.
“Ich hole mir seinen Kopf und komme nach”, bot sein Sohn Menki an, schlug mit dem Ripperspieß auf den felsigen Untergrund.
“Er könnte Verstärkung bei sich haben. Allein sind sie selten.”, warf Gorbag, der einstige Shak, ein.
“Wir kümmern uns nicht um diesen Morra. Mir egal, was er war und wo er ist. Mich kümmern diese Maden nicht. Wir konzentrieren uns auf die Oraks im Osten. Sagt das allen. Wir wissen noch nicht, was sie sind. Freunde oder Feinde. Wir wissen nur, dass sie dem Imperium angehören. Wenn das Imperium Brosh dar Urkma hingerichtet hat, wird es mit uns dasselbe tun. Wir müssen bereit sein, unsere volle Kampfkraft einzusetzen. - Zargul! Du kundschaftest wieder. Menki geht mit euch mit. Er wird seine Orkhunde los lassen. Der Rest geht weiter. Ich will schnell über den Pass auf die andere Seite. Erst dann wird gelagert. Und Gargo soll den Rhythmus erhöhen. Sie sollen ruhig wissen, wo wir sind und wer da kommt.”, befahl der Häuptling und löste die Versammlung auf.
“Darknar!”, rief er dann den jungen Späher.
“Rok'Tar!”, grüßte der junge Orak und schlug sich auf die Brust.
“Ein Orak lässt sich nicht von gescheiterten Taten klein machen. Er macht es das nächste Mal einfach besser. Ich erwarte, dass deine Schleuder das nächste Mal trifft oder deine Varok zu Einsatz kommt. Steh nie wieder da wie der Schatten deines Vaters! Zeig dich und zeig dass du Darknar von den Karrek bist!”, befahl Tat'ank'ka und der Späher gab sein Wort darauf.
Dann blickte er gen Bergspitzen und richtete das Büffelfell auf seinen Schultern.
Der Orkberserker war gespannt was sie auf der anderen Seite in der alten Stadt erwarten würde.
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Sich im Hintergrund haltend lehnte Chala an einem Felsen, als Draco von seiner Erkundungstour zurückkehrte. Sie hatte nicht feststellen können von wo er gekommen war. Irgendetwas war seltsam an diesem Mann, aber auch unglaublich reizvoll. Ob er ihr wirklich verraten würde, wie er vor einigen Tagen wie aus dem Nichts vor ihr aufgetaucht war und sie beinahe zu Tode erschreckt hatte?
Sein Blick ging zu ihr, doch sie wedelte unauffällig mit der rechten Hand als Antwort auf seine ungestellte Frage. Die Streiter waren alle sehr aufmerksam, während sie den Spuren folgten, die die beiden Jäger entdeckt hatten. Bis zu einer Höhle waren sie ihnen gefolgt und die Nachricht des Silberhaars brachte weitere Probleme mit sich.
Die schweren Trommelschläge gehörten also zu den Orks. Die Aranisaani hatte sofort das Bild des rothaarigen Ungetüms vor Augen, welches ihr vermutlich unbewusst den Weg nach Stewark blockiert hatte. Nie im Leben hätte sich Chala Chancen gegen so ein Monster ausgerechnet und Draco hatte mit ihnen gesprochen? Sie hätte nicht mal gewusst, dass man mit den Orks reden kann, geschweige denn, dass sie einen nicht sofort bei Blickkontakt angriffen. Unweigerlich fühlte sie Bewunderung in ihr aufsteigen, während sie beobachtete, wie er sich mit dem Kommandanten besprach.
Sie hoffte, dass die Entscheidung, welche gefällt werden würde, eine kluge war, denn die Kriegerin war keinesfalls bereit ihr Leben aufs Spiel zu setzen, wenn es sich vermeiden ließ. Ein Kampf mit den Orks schien ihr ein törichter Plan zu sein. Da wären die Chancen besser sich auf eigene Faust durchs Gebirge zu schlagen.
Den rhythmischen Schlägen nach zu urteilen näherte sich die Gruppe der Wilden ihrer Position, doch vermutlich würden sie nicht genau an dieser Stelle vorbeikommen, wenn sie Dracos nähere Erklärungen korrekt verstand. Wie es schien würden sie ihnen in sicherer Entfernung folgen, um herauszufinden, was die Orks planten. Offenbar war die allgemeine Ansicht, dass eine größere Gruppe dieser Monster nicht unbedarft über die Insel streifen durfte, ohne dass man wusste, was sie vorhatten.
Der Befehl folgte kurze Zeit später und sie alle zogen sich für den Moment in die Höhle zurück, um sich vor weiteren Spähern zu verbergen, die eventuell ausgesandt wurden, vielleicht sogar um Draco zu finden, der wohl ihren Zorn geweckt hatte.
Wie sicher die Höhle selbst war blieb bisher noch ein Rätsel, doch es wurde entschieden, dass einige der Streiter tiefer in den Felsengang eindringen sollten, um zu schauen, ob die alten Spuren der Echsen zu lebenden Exemplaren gehörten, welche sich hier verbargen. Fackeln wurden entzündet und man einigte sich, dass man nicht in die tiefsten Tiefen der Höhle vordringen würde, nur soweit, dass man sich sicher genug fühlen konnte abzuwarten, bis die heranmarschierende Orkhorde vorbeigezogen war. Sie wiederzufinden dürfte dank der lauten Marschtrommel kein Problem sein.
Chala überlegte, ob die Dunkelheit der Höhle eine gute Gelegenheit bieten würde, um Dracos Auftrag zu erfüllen. Es hätte den Nachteil, dass sie keinen sicheren Ort finden konnte für was auch immer sie zu stehlen im Stande war, doch wenn es klein genug war, dann könnte sie es eine Weile an ihrem Körper verborgen halten.
Bei ihrer Gruppenstärke würden sich nicht viele Tiere heranwagen, doch wer wusste schon was so tief im Gebirge lebte, wo es trotz des Sommers kühl und unwirtlich war. Die Höhle war zudem feucht der Boden war von widerspenstigen Pilzen bevölkert, die sich dem einzigartigen Klima angepasst hatten.
„Hier drüben!“, hallte eine bemessene Stimme durch den steinernen Gang.
Sie sammelten sich und staunten ob der Entdeckung. Einige aufgebrochene Eierschalen in der Größe einer kleinen Molerat. Jemand ließ einen leisen, erstaunten Pfiff hören.
„Echseneier“, brummte jemand.
Geändert von Chala Vered (25.07.2024 um 19:21 Uhr)
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Nachdem die Truppe auf ein verlassenes Echsennest gestoßen war, ließ der Kommandant von Cenfar, Sarit und die Jäger, die beiden abgehenden Gängen erkunden. Den Spuren nach zu urteilen, war es eher unwahrscheinlich, in dieser Höhle auf lebende Echsenmenschen zu stoßen, aber Ulrich wollte auf Nummer sicher gehen. Derweil sollten Jörg und Luthger vor der Höhle Stellung beziehen und die Gegend im Auge behalten, für alle Fälle, mehr konnte man in dieser Situation nicht tun.., mehr musste man auch nicht tun. Der Kommandant ließ sich auf einem kleinen Felsbrocken nieder und lud die Anderen per Handzeichen dazu ein, sich ebenfalls ein gemütliches Plätzchen zu suchen.
Wie sollte es nun weitergehen, fragte sich der Paladin, der die günstige Gelegenheit nutzen wollte, um sich darüber klar zu werden. Weiter nach Echsenwesen suchen?, oder besser die Orks im Auge behalten?, beides erschien Ulrich wichtig zu sein, aber er musste wohl Prioritäten setzen. Die bisherige Verfolgung von Echsenspuren war nicht von Erfolg gekrönt, stellte Ulrich nüchtern fest.Alle Spuren waren so alt, das man kaum noch etwas daraus lesen konnte, schon gar nicht ob es noch lebende Echsemmenschen gab, eher das Gegenteil war der Fall. Das verlassene Echsennest passte da genau ins Bild, insgesamt deutete also alles eher darauf hin, das die weitere Suche nach Echsen nicht wirklich Sinn machte. Zumindest war eine akute Bedrohung ausgeschlossen, sinnierte der Kommandant.
So gesehen war es sinniger die Orks im Auge zu behalten, schlussfolgerte der Paladin, der sich noch keinen Reim darauf machen konnte, was die Orks im Schilde führten. Dem Lärm nach zu urteilen befanden sich sich vermutlich auf Kriegspfad, aber was war ihr Ziel?, eine Stadt angreifen? Dazu waren es eigentlich zu Wenige, da käme höchstens die Silberseeburg in Frage, das müsste dann aber schon ein Überraschungsangriff sein, der gut durchdacht ist, analysierte der Paladin strategisch. In diesem Moment kam der Erkundungstrupp zurück und berichtete, das die Höhle sauber ist, eine gute Nachricht. „Also gut Männer, wir harren die Nacht hier aus..., bei Tagesanbruch ziehen wir weiter Richtung Norden“ verkündete der Kommandant kurzerhand, verschwieg aber vorerst, was das nächste Ziel ist...
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Unterdessen im Kriegstrupp der Orks ...
„Naga shutta, muss dieses verdammte Getrommel die ganze Zeit wirklich sein? Mir tut langsam der Kopf weh von dem Krach!“, moserte Ska’ri und kickte missmutig einen Kiesel bei Seite, der das Pech hatte, ihr im Weg zu liegen. Sie sah zu, wie das Steinchen an einem Felsen abprallte, ein Stück durch die Luft segelte und schließlich den Abhang neben der Marschroute der Orks hinunterrollte. Zugleich stellte sie sich vor, dass es sich dabei um den Kopf des Trommlers handelte, der ihr mit seinem Enthusiasmus, so viel Lärm zu machen, dass man es von einem Ende der Insel zum anderen hören musste, den letzten Nerv raubte.
Er’esh zuckte mit den massigen Schultern. „Ist eben Tradition“, stellte er mit seiner üblichen teilnahmslosen Gleichgültigkeit fest. Wie immer ließ er sich durch nichts aus der Ruhe bringen, was Ska’ris Laune nur noch weiter verschlechterte. Gerade wäre ihr Krul mit seiner Verachtung und seinem Hass, der scheinbar die ganze Welt einschloss, lieber gewesen als der unerschütterliche Er’esh, der einfach alles – verflucht, wirklich alles! – mit stoischer Gelassenheit hinnahm.
„Soll ich dir das Bündel wirklich nicht abnehmen?“, bot er ihr zum wiederholten Mal an.
„Scheiße, nein!“, fauchte Ska’ri und ruckte sich den schweren Sack, gefüllt mit Proviant und Waffen, auf den Schultern zurecht, „Ich komm‘ klar!“
Er’esh runzelte die Stirn und schaute zu ihr herunter. Sie erwiderte seinen Blick säuerlich.
„Was?“
„Na gut … aber wenn es dir zu schwer wird …“
„Beim Schöpfer, Er’esh, hör auf, mich wie ein Kind zu behandeln!“
„Du bist meine kleine Schwester“, stellte Er’esh fest.
„Ziehschwester!“
„Macht keinen Unterschied.“
Ska’ri seufzte. Manchmal hasste sie Er’esh für seine verdammte Loyalität. So wie jetzt. Warum tat er sich das an? Er hätte vorne im Zug mit den Kriegern marschieren können, den massigen Körper mit den Farben des Krieges bemalt, eine unaufhaltsame Urgewalt mit seinem Orth-Kar, seinem Kriegshammer, der so schwer war, dass Ska’ri ihn kaum heben, geschweige denn führen konnte – aber stattdessen hatte er darauf bestanden, an ihrer Seite zu bleiben und einen auf Packesel zu machen. Uzgosh – sein leiblicher Vater und ihr Ziehvater, ein stolzer, alter Krieger – hatte nicht einmal mehr versucht, seinen Sohn umzustimmen und nur resignierend mit dem Kopf geschüttelt. Seine Enttäuschung war ihm deutlich anzusehen gewesen. Ska’ri machte das nichts mehr aus (redete sie sich ein), sie war es gewohnt, dass Uzgosh sie als verlorenen Fall betrachtete, aber dass Er’esh wegen ihr seine eigene Stellung im Clan sabotierte, versetzte ihr einen Stich. Sie wusste allerdings genauso gut wie Uzgosh, dass Er’esh sich nicht würde umstimmen lassen, solange er das Gefühl hatte, dass sie ihn brauchte. Also musste sie zumindest versuchen, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Ein Vorhaben, bei dem sie gerade grandios scheiterte.
Denn, verflucht, sie brauchte ihn – seit Kruls Verschwinden mehr als je zuvor! Er war der einzige Freund und Verbündete, der ihr noch blieb, seit sie als alleinige Überlebende von Chrors Kriegstrupp wieder ins Lager zurückgekehrt war. Sie hatte eine beeindruckende Jagdtrophäe mitgebracht, um nicht direkt für ihre Feigheit und ihr Versagen, im Kampf zu sterben, hingerichtet zu werden: Den Kopf eines Drachensnappers! Ihre Behauptung, das gefährliche Raubtier eigenhändig erlegt zu haben, war technisch gesehen nicht falsch, auch wenn sie den Teil der Geschichte, in dem sie den Snapper mit gebrochenem Hinterlauf und bereits halb verendet am Boden einer Schlucht gefunden hatte, geflissentlich verschwieg …
Ihre ‚Jagdbeute‘, deren Zähne sie an einer Lederkordel um den Hals trug, hatte Ska‘ri zwar wieder die Tore des Lagers geöffnet, aber man begegnete ihr dennoch mit Misstrauen und Geringschätzung. Immerhin war sie die Einzige aus Chrors Trupp, die das Gefecht gegen die Morra-Banditen überlebt hatte, und das warf Fragen auf, die Ska’ri mit vagen Andeutungen und reichlich Phantasie zu umgehen versuchte. Es war genug, dass man ihr keine direkten Vorwürfe machen konnte, aber der Verdacht wog dennoch zu schwer, als dass man ihr noch Achtung und Vertrauen entgegenbrachte. War ihr Ruf im Clan schon vorher nicht gerade der beste gewesen, jetzt war er endgültig im Eimer, und das äußerte sich auf verschiedene Arten – unter anderem darin, dass sie nur noch zu den niedrigsten Arbeiten verdonnert wurde, wie die Zwinger der Hunde zu säubern, die Latrinen zu leeren oder zu den beschissensten Stunden mitten in der Nacht Wache schieben zu müssen. Oder jetzt eben Packesel zu spielen und Proviant und Ausrüstung für die Krieger schleppen zu müssen, statt mit einem der Spähtrupps unterwegs zu sein.
Und diese verfluchte Ausrüstung war schwer! Ska’ri wusste nicht genau, was sich alles in dem sperrigen Sack befand, den sie an einer rauen Hanfkordel über ihre Schultern geschlungen hatte, aber es fühlte sich an, als wäre er bis zum Rand mit Steinen gefüllt. Ihr ganzer Körper protestierte schmerzhaft bei jedem Schritt und ihre Haare klebten ihr schweißnass im Gesicht, während ihre Schultern von dem Hanfseil wundgescheuert waren. Natürlich entging Er’esh nicht, wie sie sich abmühte, und so hatte er ihr schon mehrmals angeboten, ihr die Last zumindest für eine Weile abzunehmen. Dabei trug er ohnehin schon zwei Säcke auf dem Rücken! Nur, dass ihm das nicht das Geringste auszumachen schien …
Nunja, er überragte sie auch um mindestens zwei Köpfe und seine Unterarme hatten schon beinahe den Durchmesser ihrer Oberschenkel. Es gab kaum einen Orak im Lager, der es an roher Kraft mit Er’esh aufnehmen konnte. Um so mehr fiel er mit seiner ruhigen, passiven Art aus dem Rahmen. Er legte keinen großen Wert darauf, sich mit anderen jungen Kriegern zu messen, und die wiederum wussten es besser, als sich mit ihm anzulegen. ‚Fettsack‘ nannten sie ihn nur hinter seinem Rücken (nicht, dass Er’esh es groß gekümmert hätte).
„Ich frag‘ mich, was diese … neuen Oraks wollen“, brach Ska’ri das Schweigen, als sie für eine Weile wortlos weitermarschiert waren, „Die nächsten Eroberer?“
„Wenn ja … schmeißen wir sie zurück ins Meer!“, stellte Er’esh selbstsicher fest. Ska’ri hob abschätzlig eine Augenbraue.
„Ach ja? Mit dieser … äh … Armee?“, sagte sie mit vor Sarkasmus triefender Stimme und deutete auf den Zug der Krieger vor ihnen. „Wie viele sind wir? Drei dutzend? Das ist ein verdammter Witz! Wir haben Glück, dass die Morras noch nicht beschlossen haben, uns einfach auszurotten. Aber wer weiß, vielleicht kommt ihnen ja jetzt die Idee, immerhin haben wir ja nichts Besseres zu tun als die ganze Insel aufzuscheuchen! Ein paar ihrer Späher haben wir wohl eh schon am Hacken …“
„Und wenn schon. So ein paar kleine Morras–“
„Haben Chror und seinen ganzen Trupp erledigt!“, rief Ska’ri aufgebracht, „Und du weißt selbst, was Chror für ein Monstrum war!“
„Hm“, war alles, was Er‘esh dazu einfiel. Ska’ri hatte die Bilder dieser Nacht vor Augen. Allein mochte so ein Morra keine große Bedrohung für einen erfahrenen Orakkrieger darstellen, aber es war ihre Zusammenarbeit, die sie gefährlich machte. Die meisten Oraks versuchten, im Kampf für sich selbst die größte Ehre zu gewinnen, so dass ein Gefecht genauso ein Wettstreit der Krieger untereinander war wie ein Kampf gegen einen Feind. Manchmal ging das so weit, dass man meinen konnte, die Krieger sähen eher ihre eigenen Kampfgefährten als den wahren Gegner in einer Schlacht.
Diese Morras hingegen, die Chror und den Rest des Trupps niedergemacht hatten – sie hatten als Einheit gekämpft, in der jeder seinen Teil beigetragen hatte, um ihr Ziel zu erreichen. Persönliche Ambitionen hatten keine Rolle gespielt. Natürlich waren sie auch jeder für sich erfahrene Kämpfer gewesen, das war offensichtlich, aber das allein hätte ihnen nicht zum Sieg gereicht. Aber durch ihre Kooperation waren sie in der Lage gewesen, Chror zu bezwingen. Nein, man durfte die Morras nicht unterschätzen …
„Ich werde auf uns aufpassen“, versprach Er’esh und legte eine Hand auf den Kriegshammer an seinem Gürtel.
Ska’ri rollte mit den Augen. „Natürlich wirst du das“, seufzte sie. Ein wenig beneidete sie ihn für seine Geisteshaltung – für Er’esh war immer alles so unkompliziert!
„Und ich soll dir den Sack wirklich nicht abnehmen …?“
Geändert von Ska'ri (26.07.2024 um 23:37 Uhr)
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Etwas erstaunt über die Entscheidung in der Höhle die Nacht auszuharren, suchte sich Chala einen Platz im hinteren Teil. Ein Feuer brannte bereits in der Mitte des breiten, natürlichen Ganges und warf große Schatten an die Wände, die mit etwas Fantasie ebenfalls zu den Orks gehören konnten, die sich draußen im Gebirge fortbewegten. Die Kriegstrommel war noch immer dumpf zu hören und sie fragte sich, ob diese Wilden kein Lager für die Nacht aufschlagen würden.
Noch immer dachte sie daran, dass Draco erwähnte, dass er mit ihnen gesprochen hatte. War er so überzeugt von sich, dass er riskierte in der Luft zerrissen zu werden? Immerhin hatte er es in einem Stück zurückgeschafft und wirkte nicht sonderlich besorgt, was die Orks betraf, doch seit Chala die rothaarige Orkin erblickt hatte, war ihr nicht Wohl bei dem Gedanken, dass sich noch mehr dieser Wesen ganz in der Nähe aufhielten. Ab sofort würde sie wohl zweimal überlegen, ehe sie unbedarft durch den Orkwald wanderte. Aber welche Wahl blieb den Menschen, die in und um Tooshoo lebten, wenn sie eine der Städte aufsuchen wollten? Im Osten gab es nichts, außer Dschungel und zerklüfteten schwarzen Felsen, an dem sie vor mehr als zehn Jahren selbst mit ihrem Boot gelandet war. Von dort aus nach Norden würde man irgendwann auf die Ruinen Setarrifs treffen, die keinen Besuch wert waren soweit es die Aranisaani betraf. Und offenbar war das Gebirge ebenso unsicher wie der Orkwald. Man hatte also die Qual der Wahl zwischen drei Wegen, die allesamt tödlich enden konnten, wäre man unachtsam oder vom Pech verfolgt.
Einen tiefen Schluck aus dem Wasserschlauch nehmend, beobachtete Chala wie die Soldaten ihre Bettstätten herrichteten. Jörg und Luthger hatten ihre bereits vorbereitet, bevor sie vom Kommandanten nach draußen geschickt worden waren. Ihr leichtes Gepäck stand bereit für den Fall, dass ein schneller Aufbruch nötig wurde. Die anderen hielten es ebenso, denn neben den Nachtlagern stand auch immer in Kopfnähe ein Bündel oder eine Tasche. Einige größer und schwerer, als andere, je nach zugewiesener Aufgabe. Jacques beispielsweise schien einige Kochutensilien mit sich zu führen, die er im Moment hervorholte, um das abendliche Mahl vorzubereiten.
Man hatte das Feuer zum Eingang der Höhle hin aus zweierlei Gründen abgeschirmt. Zum einen hielt man so den unberechenbaren Wind zurück, der hier hoch oben in den Bergen sehr schnell sehr stark auffrischen konnte. Zum anderen wollte man so viel es verräterischen Flackerns verbergen wie möglich, um keine ungebetenen Gäste auf den Plan zu rufen.
Ihr Blick wanderte zum Kommandanten, der nachdenklich dreinblickte. Er war ein deutlich schweigsamerer Mann, als Chala angenommen hatte, als er ihr die Regeln, an die sie sich zu halten, und Bedingungen, unter denen sie bleiben durfte, erklärt hatte. Viel Zeit schien er damit zu verbringen zu planen wie sie weitervorgehen würden und ließ lieber einmal mehr Informationen einholen, als eine Kleinigkeit zu übersehen, die wichtig sein könnte. Eine Expedition wie diese zu leiten schien einiges an Arbeit zu sein, insbesondere wohl, wenn man zwei Rekruten – halt, einen Rekruten und eine junge Frau, die der Truppe uneingeladen gefolgt war – dabeihatte und einer Fremden erlaubte zu bleiben. Letzteres ließ darauf schließen, dass der Grund für ihr hier sein nicht geheim war. Oder aber sie machten sich keine Sorgen darum, dass Informationen nach außen gerieten, immerhin hatte die Aranisaani beteuert, dass sie nach Thorniara müsste. Genug Zeit also, um ihr einzuschärfen, was geschehen würde, wenn sie Details ausplauderte, sollte sie derartige zu Gesicht oder Ohren bekommen.
In ihrer Nähe hatte Draco sich niedergelassen und kümmerte sich um den langen Dolch, mit dem er bisher bei den Übungen angetreten war, wenn er etwas demonstrieren wollte oder sich als Trainingspartner anbot. Ihre Augen fielen auf die spitzen Ohren, welche durch sein helles Haar stachen. Chala war sich sicher, dass sie nie zuvor jemanden mit solchen einzigartigen Merkmalen getroffen hatte. Allerdings waren seine Ohren nicht das Ungewöhnlichste an diesem Mann. Viel mehr war es seine Ausstrahlung, diese Aura, die ihn stets begleitet und immer wieder die Frage bei ihr aufrief, nicht wer, sondern was er war. Dann auch noch die für einen Streiter Innos unkonventionelle Herangehensweise an so ziemlich alles. Nicht, dass die Aranisaani viel über die Ritter des Ordens wusste, doch in ihren Vorstellungen agierten sie nicht aus den Schatten und trugen einem Lehrling auch nicht auf etwas zu stehlen, um zu beweisen, was sie gelernt haben. Insbesondere nicht, wenn es sich bei den Opfern um Mitstreiter handelte.
Unweigerlich begann sie auf der Innenseite ihrer Wange zu kauen, denn wieder einmal fragte sie sich, wie sie diese Aufgabe lösen sollte. Das Stehlen an sich machte ihr keine Sorgen oder stellte sie vor ein moralisches Problem. Allerdings bestand immer die Möglichkeit, dass man erwischt wurde und wenn das passieren sollte – es waren eben keine Bauern, die sich hier mit ihr im Gebirge aufhielten – würde man entsprechend mit ihr verfahren, da war sie sich sicher. Die Hand zu verlieren wäre da noch eine der weniger fatalen Konsequenzen, die sich auszumalen im Stande war.
Dennoch würde sie es heute Nacht angehen, sobald das Abendmahl vertilgt und die Nachtwache draußen auf Position war. Der ein oder andere blieb meist länger wach, so auch Draco und der Kommandant. Ersterer wäre kein Problem, doch Letzterer musste unbedingt im Reich der Träume sein, ehe sie sich an ihr Werk machte.
Was sie jedoch jetzt bereits tun konnte war, sich zu überlegen, wem sie etwas nahm und wo sie es schlussendlich verstecken würde. Im hinteren Teil der Höhle wäre eine valide Option, doch sie würde es bevorzugen, wenn sie einen Ort draußen finden konnte, an dem sie im Bestfall am nächsten Tag vorbeikommen würden. Also irgendwo nördlich von hier, denn das war die Richtung, die der Kommandant ihnen für Tagesanbruch vorgegeben hatte. Alles, was sie tun musste, war vorzugeben Pinkeln zu müssen – oder es einfach tatsächlich damit zu verbinden. Vorher wollte sie jedoch sondieren, wem sie das Gepäck erleichtern konnte.
Jacques kam ihr als erstes in den Sinn. Ihn hatte sie seit dem ersten Tag gefressen und sein Geschwafel ging ihr jeden Tag mehr gegen den Strich. Zudem wirkte er nicht so, als hätte er den erforderlichen Grips sofort zu bemerken, wenn etwas fehlte. Ähnliches galt für Mina, auch wenn Chala die junge Frau erträglicher fand, als den blonden Möchtegernritter. Cenfar, der hünenhafte Nordmarer war ebenfalls weit oben auf ihrer Liste seit er sich abfällig nach der ersten Übung über sie geäußert hatte. Vermutlich hatte er sie alle gemeint – Jacques, Mina und Chala – doch das änderte nichts an ihrem Groll.
Tatsächlich hatte sie auch überlegt Draco selbst etwas zu stehlen. Es wirkte dumm, weil er wusste, dass sie jemandem etwas nehmen würde und deswegen wohl aufmerksamer sein würde, als die meisten anderen. Allerdings hatte es auch Vorteile, denn er rechnete sicher nicht damit, dass sie ihn als Ziel auswählen würde und sollte er sie erwischen, wären die Chancen besser aus der Nummer wieder herauszukommen, weil er womöglich nachsichtiger wäre. Immerhin wuchs der Diebstahl auf seinem Mist.
Ansonsten durfte es nichts zu großes sein, was sie sich ungefragt und unbefristet auslieh. Immerhin würde sie an den Nachtwachen vorbeimüssen und da wären sperrige Dinge schwieriger zu verbergen. Ihr war aufgefallen, dass Jacques stets eine Armbrust mit sich trug, die scheinbar dem Kommandanten gehörte – ein Grinsen stahl sich ungewollt auf ihr Gesicht, als sie sich in ihrer Annahme, dass er nur ein Handlanger war, bestätigt fühlte – aber einfach zu unpraktisch als potentielle Beute war. Was sollte es also dann werden? Gold wäre am simpelsten, besaß Wert und war leicht zu verbergen, fiel aber auch schnell auf, wenn es fehlte. Proviant war ebenfalls kostbar, würde aber im schlimmsten Fall die Truppe schwächen, auf deren Schutz Chala derzeit angewiesen war, auch wenn sie diesen Umstand gern von sich weisen würde. Am besten wäre wohl Kleinod wie eine Halskette oder ein Ring, doch etwas derartiges war ihr bisher weder bei den Männern, noch bei Mina aufgefallen.
Einige Zeit später, alle waren durch Jacques Kochkünste versorgt, gingen einige zu Bett. Je mehr sich hinlegten, desto schneller schlug das Herz der Aranisaani, die den Zeitpunkt näher rücken sah, an dem sich zeigen würde, ob sie als Diebin noch etwas taugte oder nicht. Wie sehr sie sich in diesem Moment nach einem Stängel Sumpfkraut sehnte. Wieso hatte sie darauf verzichtet sich bei Mama Hooqua neu einzudecken? Jetzt gerade könnte sie einige Züge gut gebrauchen, um ihre zu Drahtseilen gespannten Nerven zu beruhigen. Langsam und tief atmete Chala ein, ehe sie nach und nach die Luft wieder entweichen ließ. Sie stellte sich vor, wie sie den grünen Rauch ausstieß und sich das Gefühl der angenehmen Schwere in ihr ausbreitete, welches Sumpfkraut mit sich brachte. Mehrere Male wiederholte sie es, unbemerkt von den anderen.
Nach und nach hatte sie sich weiter in den Schatten begeben, während sie immer wieder durchgegangen war, wie sie vorgehen wollte. Schlussendlich hatte sie sich dagegen entschieden einen sicheren Ort für ihre potentielle Beute zu finden, denn die Ausrede, die sie sich zurechtgelegt hatte, wäre nur einmal wirklich effektiv, ein zweites Mal eher verdächtig. Dummerweise musste sie mittlerweile wirklich Pinkeln, was ihrer Konzentration nicht sonderlich zuträglich war.
Endlich, nach einer gefühlt halben Ewigkeit legte sich auch der Kommandant endlich hin, den es noch eine ganze Weile wachgehalten hatte. Was er sich wohl für Gedanken machte, dass er sich noch so lange umtrieb?
Vergiss das jetzt, forderte sie sich selbst auf und zwang sich einige weitere Minuten abzuwarten, damit sie sicher war, dass alle schliefen.
Mehr als einer schnarchte so laut, dass es an ein Wunder grenzte, dass die Orks sie nicht hörten und überraschten, doch es gereichte ihr zum Vorteil. Langsam erhob sie sich, stark darauf bedacht kein Geräusch zu machen. Das Leder ihrer Rüstung quietsche etwas, doch das korrigierte sie im nächsten Augenblick.
Wie sie es etliche Stunden geübt hatte, setzte sie mit gebeugten Knien ein Fuß vor den anderen, rollte über die Seite der Sohle ab und näherte sich ihrem Ziel. Gleichmäßig hob sich seine Brust, die Lider geschlossen. Mit viel Fingerspitzengefühl machte sie sich an seiner Tasche zu schaffen, löste die Schnallen mit geschickten Handgriffen und offenbarte den Inhalt, der sich als äußerst ernüchternd herausstellte. Ein wenig Proviant, ein gefüllter Wasserschlauch und einige weitere Gegenstände, die man auf Reisen üblicherweise bei sich trug. Feuerstahl, Zunder, Garn und andere alltägliche Gegenstände.
Kurz mit sich hadernd, ob sie sich an der Tasche eines anderen zu schaffen machen sollte, entschied sie sich dagegen und griff nach dem Trinkschlauch. Entweder war es Ersatz für den, den er ohnehin bei sich trug oder er enthielt Alkohol, was Chala ein Grinsen entlockte. So gesehen, war Alkohol durchaus wertvoll und sie hoffte einfach, dass es Draco reichte, wenn sie es ihm am nächsten Tag präsentierte.
Jetzt jedoch folgte etwas, was sie nicht ausgiebig durchdacht hatte. Ganz hinten in der Höhle zu sein bedeutete auch, dass sie sich an den schlafenden Gestalten aller anderen vorbeischleichen musste und teilweise würde sie auch über ihre schlafenden Leiber steigen müssen. Doch es war zu spät sich darüber zu ärgern und machte sich stoisch ans Werk. Zunächst jedoch schloss sie die Tasche wieder, sodass sie wie unberührt wirkte. Wenigstens das konnte sie ihren Diebesfähigkeiten zuschreiben.
Behutsam schlich sie zwischen den ersten Soldaten hindurch, von denen einer wohl Innos mit seinem Schnarchen anzurufen versuchte. Zumindest ging sie davon aus, dass selbst die Götter nicht von diesem Lärm verschont blieben.
Kurz wollte sie einen Blick in die Bettrolle riskieren, um sicherzugehen, dass derjenige nicht nur so tat, doch wäre sie in diesem Moment beinahe auf die Hand von Cenfar getreten, den sie gerade direkt vor sich hatte. Mit einem ungewollt schnellen Seitenschritt, der ihre Balance auf die Probe stellte, wich sie noch aus und hielt kurz inne. All ihre Muskeln waren angespannt, während sie abwartete, ob sie den Nordmann geweckt hatte. Sie traute sich nicht zu atmen und erst nachdem sie sicher war, dass er noch immer schlief, entspannte sie sich und setzte ihren Weg über das Feld aus menschlichen Stolperfallen fort.
„Schlafprobleme?“, fragte sie Jörg, der in der Nähe des Höhleneingangs saß und über die in Dunkelheit gehüllte Felsenlandschaft spähte.
Luthger war nicht zu sehen, vermutlich hatte er an einer anderen Position Stellung bezogen oder machte einen Rundgang.
„Muss pinkeln“, gab Chala zurück und lächelte schwach.
Den Trinkschlauch hatte sie an ihrem Gürtel auf der linken Seite befestigt, ehe sie aus der Höhle getreten war und zeigte dem Nachtwächter nun lediglich ihre rechte.
„Na, dann verlauf dich besser nicht.“
„Keine Sorge.“
Tatsächlich hatte die Dunkelhäutige vermutet, dass er ihr anbieten würde sie zu begleiten und sich eine entsprechend bissige Antwort zurechtgelegt, die ihr jetzt im Hals stecken blieb. So war es jedoch einfacher und sie wandte sich bewusst nach Norden, um etwas Abstand zu gewinnen. Der Mond wirkte so viel Näher als unten in den Tälern und erhellte die Umgebung deutlich besser, als sie angenommen hatte. Allerdings war in unmittelbarer Nähe zur Höhle kein geeigneter Felsen, hinter dem sie verschwinden konnte, weswegen sie etwas weiterlaufen musste, als ihr lieb war.
Gegen das silbrige Licht erhob sich ein schmaler, fast säulenartiger Stein, auf dessen Krone etwas war, dass von unten wie ein Nest aussah.
„Das wäre doch ein geeigneter Platz“, dachte sie und trat um den Felsen herum, um im Schein des Mondes nach möglichen Griffen zu schauen.
Das Gebilde war nicht sonderlich hoch, erforderte aber dennoch, dass sie einige Schritte kletterte. Vorsichtig ging sie im Kopf den Weg durch, den sie nehmen würde und begann schließlich damit drei ihrer Gliedmaßen an die Wand zu bringen, ehe sie sich an den kurzen aber intensiven Aufstieg machte. Ein Schatten, der von unten wie eine geeignete Ausbuchtung ausgesehen hatte, stellte sich als Flechte heraus, die ihr keinen Halt bieten konnte. Die Pflanze riss ab, als sie ihr Körpergewicht tragen sollte und beinahe wäre Chala gestürzt.
„Scheiße“, fluchte sie erschrocken in die Nacht hinein und bekam im letzten Moment noch eine alternative Stelle zu fassen.
Oben angekommen stellte sie erleichtert fest, dass das Nest leer war. Es war riesig und sie fragte sich, was für ein Vogel hier genistet haben könnte. Hier oben war genug Platz, dass sie sich hinknien konnte, während sie den Wasserschlauch von ihrem Gürtel löste. Doch ehe sie ihn hier verstaute, packte sie die Neugier. War es nun Wasser oder doch Alkohol? Sie musste es wissen und so öffnete sie das Gefäß. Ein metallener Geruch schlug ihr entgegen und sie fühlte sich unangenehm an Blut erinnert.
„Was zum…“
Sollte sie es probieren? Oder ausschütten, um zu sehen, ob es wirklich Blut war? Nein, besser nicht. Wer wusste schon, was es damit auf sich hatte. Es war nur ein weiterer Grund, weshalb Draco so schwer einzuschätzen war. Wer hatte bitte Blut in einem Trinkschlauch bei sich und wieso?
Nachdem sie ihre Beute versteckt, sich selbst erleichtert und den Rückweg hinter sich gebracht hatte, war sie deutlich weniger vorsichtig beim Übersteigen der Schlafenden. Aufwachen tat dennoch keiner und selbst Jörg hatte ihr nur einen Seitenblick zugeworfen und etwas von „ganz schön lange weg“ und dann noch etwas anderes gemurmelt, was sie gekonnt überhört hatte. An Schlaf war bei ihr jedoch noch nicht zu denken. Viel zu sehr beschäftigte sie der Inhalt des Wasserschlauchs, den sie aus Dracos Tasche genommen hatte.
Sie trat an seine Schlafstätte und beugte sich zu ihm herab. Er wirkte so friedlich, obwohl sie sich sogar vorstellen konnte, dass er gar nicht schlief, sondern sie insgeheim beobachtet hatte. Immerhin konnte er sich vor allen Blicken verbergen, besser als jeder, den Chala kannte. Wieder betrachtete sie seine Ohren und ihr kam eine Idee. Vielleicht würde es ihn eher dafür öffnen zu reden.
Vorsichtig strich sie mit ihren Fingern über seine Ohren, achtete darauf zärtlich zu sein.
„Mal sehen, ob das für dich unter Spaß fällt“, flüsterte sie seiner schlafenden Gestalt zu und grinste diebisch.
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»Das tut es in der Tat«, meinte er verschlafen und noch etwas weg von dieser Welt zu Chala. Er brauchte einige Momente um die Situation einzuschätzen und tastete nach seinen Sachen. War er ihr Opfer gewesen? Erst war er nicht sicher. Den ersten paar Augenblicken nach schien alles da zu sein. Dann aber wurde er gewahr, dass etwas fehlte. Der Schlauch mit dem Drachenblut, welches Claw und er dem Drachenjungen abgezapft hatten. Das war schon eine Ewigkeit her. Hielt sich das Blut überhaupt so lange? War ja schließlich von einem magischen Wesen. Allerdings war es sich wirklich nicht sicher wie lange so etwas haltbar war. Abgesehen davon, dass er überhaupt auch sonst nicht wusste wozu man das verwenden könnte. »Folge mir«, meinte er als er sich aufrappelte und mehr oder weniger aus der Höhle taumelte.
Sie kamen an den säulenartigen Stein, auf dem oben der Trinkschlauch lag. Wie passend. Das Blut eines fliegenden Wesens auf einem hohen Stein. Das Schicksal war doch immer wieder für eine ironische Begebenheit gut. Er schaute sich in der Umgebung um. Sonst war nichts zu sehen. Auch Jörg der den Eingang bewachte war zu weit weg um irgendetwas von dem zu erkennen, was sie hier taten. Langsam hatte er sich wieder gefasst. »Nun sieht ganz danach aus als hättest du alles mit Bravour vollbracht, was ich dir aufgetragen hatte. Ich bin beeindruckt. Einen Assassinen, der eigentlich wachsam sein sollte, zu bestehlen und danach an allen Streitern unbemerkt vorbei zu kommen ist wahrlich eine Kunst. Du hast meinen Respekt in dieser Sache«. Er neigte anerkennend zu Kopf. »Betrachte deine Grundausbildung in der Körperbeherrschung hiermit für beendet. Letztendlich denke doch daran: Wir bleiben alle für immer Schüler«. Er sah ein nickendes und erfreutes Gesicht. Doch es würde nicht lange halten. Er strich nun ihr sanft über die Wange.
»Bedauerlicherweise hast du allerdings mit dem Pfad den du eingeschlagen hast gegen die Gesetze des Herrn Innos’ verstoßen. Du hast dich eines triftigen Verbrechens schuldig gemacht«, meinte er und brachte einige Meter zwischen sich und Chala die ihn entsetzt ansah. »Wie könnte ich dir diese moralische Übertretung einfach so durchgehen lassen? Dies fällt sicherlich nicht unter Spaß«, meinte er nun entschlossen und löste das Kris von seiner Position. Noch während er es zog spürte er seine noch etwas angeschlagene Schulter. Die Verletzung dauerte nun schon länger als ihm lieb war. »Chala du wirst nicht abstreiten können, dass du dich vor Innos’ versündigt hast. Da es hier draußen keine Gerichtsbarkeit gibt und dieses Verbrechen nach Sühne verlangt, fordere ich Gottesurteil durch Zweikampf!«, sagte er leise und drohend. Er ging in Position und beobachtete wie Chala das Schwert zog. Der Kampf erschien ihm fair genug. »Verteidige dich!«
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Das konnte er doch unmöglich ernst meinen, oder? Erst lobte er sie, strich ihr sogar sanft über die Wange, so als wollte er dort anknüpfen, wo sie ihn geweckt hatte. Doch dann wechselte seine Mimik und Gestik, wurde anklagend und predigte von Moral, deren sie sich nicht unterworfen sah. Denn wer war Innos, dass sie nach seinem Gutdünken leben sollte?
Und was war das Gerade über Assassinen gewesen? Hatte Draco sich tatsächlich als einen solchen bezeichnet? Meinte er damit jene Gruppe von Menschen, zu denen auch Joe gehört hatte oder war er lediglich ein Meuchelmörder, der im Namen Innos die Verfehlten erdolchte, wenn ein offener Kampf Probleme hervorrief, egal ob politischer oder kämpferischer Natur?
So oder so ging er just in diesem Moment mit seinem Kris auf sie los, schlug hart zu, härter als in jedem vorherigen Kampf, den sie während der Übungen bestritten hatten. Stahl schlug auf Stahl und der Klang hallte über die zerklüfteten Felsen, sodass sie sich für den Bruchteil einer Sekunde fragte, ob Jörg oder Luthger auf sie aufmerksam werden würden. Das könnte ihre Rettung sein oder der letzte Nagel in ihrem Sarg. Denn die Chancen standen schlecht und vermutlich würden sie sich auf die Seite des Silberhaars schlagen.
„Was soll das?“, fauchte sie zornig und versuchte Abstand zu gewinnen.
Er war zu nah, viel zu nah, um ihr Schwert wirkungsvoll schwingen zu können. Zwar hatte Wildkatze keine sonderlich lange Klinge, doch der Dolch bot mehr Möglichkeiten zum Angriff, wenn sich nur ein oder zwei Schritte zwischen ihnen befanden. Draco ließ nicht locker, setzte sie weiterhin unter Druck und stach scheinbar ohne jegliche Zurückhaltung zu. Jedes Mal waren es nur Augenblicke, in denen sie ihn parieren konnte. Es ergab sich keine Möglichkeit ihn zu entwaffnen oder für einen Gegenangriff, denn trotz der kürzeren Waffe besaß er deutlich mehr Kraft als sie und bestimmte den Fluss des Kampfes. Wieder prallten die Klingen aneinander und Chala gelang es ihn für einen Moment zu binden, indem sie die zweite Hand an den Knauf legte, um mehr Druck aufbauen zu können.
„Ein Assassine, der Innos folgt?“, spie sie ihm entgegen und bekam einen Tritt gegen ihre Hüfte als Antwort, der sie einige Schritte zurücktaumeln ließ.
Eine bessere Position als zuvor, doch der Treffer hatte es in sich gehabt. Die Aranisaani nahm die zweite Hand vom Knauf und hielt sich die getroffene Stelle, während sie Draco anfunkelte, dessen Haar im Schein des Mondes silbrig glänzte. Seine prominenten Ohren wirkten nun mehr wie Dolche, als jemals zuvor.
„Oder ein Assassine der Kasbah?“, fragte sie spitz und ging nun ihrerseits zum Angriff über.
Ihr Schwert fuhr mit einem gezielten Hieb nieder. Sie hielt ihren Körper seitlich, bot so weniger Blößen. Wie erwartet empfing er den Schlag mit Leichtigkeit, doch Chala hatte damit gerechnet und setzte zu einem schnellen zweiten Angriff an, der an seinem Kris vorbeischnellte, um seine Schulter zu treffen. Doch wie bereits während des Trainings drehte er sich mit schier übermenschlichen Reflexen zur Seite und nutzte ihren gestreckten Arm für sich, in dem er den Abstand wieder verringerte und mit seinem Langdolch auf sie losging.
Ein Keuchen entwich der Kriegerin, als sie im letzten Moment zurückweichen konnte, doch er griff mit seiner freien Hand nach ihrem flüchtenden Körper und beförderte sie mit einem kräftigen Stoß auf den Boden. Ihre Muskeln reagierten und sie nutzte den Schwung, um sich rückwärts abzurollen und wieder auf die Beine zu kommen. Beinahe entglitt ihr Wildkatze bei diesem übereifrigen Manöver, doch die Waffe blieb treu in ihrer Hand wie schon all die Jahre zuvor.
„Du kämpfst wie Joe Black“, knurrte sie ihm entgegen und besann sich auf ihren Reichweitenvorteil.
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Sie kämpfte brilliant. Leidenschaftlich, schnell und geschickt. Sie war hier in diesem Moment. Ihre Sinne gespannt und er musste alle seine Sinne zusammen halten um ihren teils wilden Angriffen standhalten zu können. Ihre Klinge vibrierte in ihrer Hand und er konnte sehen, dass sie sie fast verloren hatte. Er ging in eine kreisförmige Bewegung über und musterte sie wie ein Tiger, der seine Beute begutachtete. »Ich würde sagen Joe Black kämpfte wie ich«, meinte er ruhig. Da war der Moment. Eine kurze Ablenkung, eine Bewegung der Augen. Er nutzte sie, indem er auf sie zusprang. Ihre Klinge zuckte wie sie es musste. Er manövrierte das Kris in den Pfad des Schwertes, welches an dem Dolch abglitt. Der Klingenmeister nutzte den Moment und das Kris zuckte in Richtung der Seite seiner Schülerin. Sie merkte seine Finte und drehte ihren Körper so zur Seite, dass der Stich ins Leere ging. Er kam wieder näher um den Reichweitenvorteil auszugleichen, doch sie schlug mit dem Schwertknauf auf seine Schulter. Er stöhnte auf und brachte wieder etwas Distanz zwischen sich. Was ein dumpfes Pochen in der Schulter gewesen war, war nun handfester Schmerz. Er würde die Zähne zusammenbeißen müssen.
»Was willst du von der Kasbah wissen?«, meinte er als er wieder in das Mustern übergangen war und eine Situation suchte. Eine Blöße die sie zeigen würde. »Innos und Beliar liegen näher beieinander als manch einer wohl zugeben will. Es gibt kein Licht ohne Schatten, kein Leben ohne Tod und keine Liebe ohne Hass. Es sind zwei Seiten eines Schwertes. Das Eine kann nicht ohne das Andere sein. Es braucht keine Balance. Es braucht Annahme«. Seine Augen funkelten. Dann trat er gegen einen Stein der vor seinem Stiefel lag und sah ihm zu wie er in die Richtung von Chala flog. Wenn sie ihm keine Situation bot, dann würde er eben eine schaffen.
Sie sah den Stein fliegen und sie unternahm das Richtige. Wich aus und brachte sich vor dem schnell geführten Angriff in Sicherheit. Klinge traf auf Klinge und es klirrte. Beide stöhnten. Schweiß tropfte der Stirn des Weißhaarigen. Er kam näher, doch sie entwand sich ihm. Je näher er kommen wollte, desto mehr wich sie zurück. Bis sie kurz vor dem säulenartigen Stein zum Stehen kam. Ihre Klingen verhakten sich und es ging nicht vor und zurück. »Du kannst stolz sein Chala. Du hast länger überlebt als die meisten vor dir gegen einen Klingenmeister von Varant«. Er führte eine ruckartige Bewegung aus und versuchte die Klingen zu lösen, doch er spürte Widerstand.
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„Was hatte es dann für einen Sinn für mich vor dem Kommandanten zu bürgen?“, verlangte sie mit zusammengebissenen Zähnen zu wissen.
Der Schweiß rann ihr das Gesicht herab, einige dunkle Strähnen klebten ihr an der Stirn, während sie Draco mit einer Mischung aus Wut und Unverständnis anblickte. Anstatt einer Antwort spürte sie einen Ruck durch ihren Waffenarm gehen, als er seinen Kris um ihr Schwert winden wollte, doch sie hielt stand, drückte ihrerseits gegen seine Klinge, um ihm keine Gelegenheit zu bieten es zu beenden. Sie war nicht bereit hier zu sterben, nicht, ehe sie nicht verstand, was diesen Mann dazu trieb sie derartig vorzuführen. Und selbst dann würde sie ihr Leben nicht hier lassen.
„Scheiß auf das, was die Götter wollen!“, spuckte sie aus und nutzte die Felssäule hinter sich, um sich abzustoßen und ihrem Ausbruch mehr Wucht zu verleihen.
Draco stolperte zurück, geriet jedoch nicht so sehr aus dem Gleichgewicht, dass sie erfolgreich hätte nachsetzen können. Dennoch versuchte sie es und schlug mit der Kraft der Wut zu. Seine Bewegungen wurden langsamer, ruckartiger und er fing ihren rohen Angriffe nur noch mit Mühe ab.
Jetzt!
Die Zähne gebleckt zielte sie nach einer Reihe kunstloser Hiebe auf seine Schwerthand, die ihm einige Finger kosten würde. Doch wie zuvor bestach er mit unvergleichlichen Reflexen und ließ tatsächlich die Waffe los, sodass sie nur das Heft des Kris traf und es mit einem lauten Klirren auf den Steinboden schmetterte.
Mit einem wilden Blick schaute sie noch auf, als seine Faust sie traf. Zwar neigte sie ihren Kopf noch aus dem Weg, dennoch traf er ihre Wange und riss ihren Kopf damit um. Doch sie durfte jetzt nicht nachlassen, sonst würde er seinen Dolch aufheben und sie hätte nichts gewonnen. Mit einem frustrierten Schrei biss sie sich durch den Schmerz in ihrem Wangenknochen und hieb blind auf ihn los. Draco brachte sich mit einem Satz nach hinten aus ihrer Reichweite und Chala nutzte die Gelegenheit und richtete ihr Schwert auf ihn, während sie einen Fuß auf den Kris stellte.
„Klingenmeister von Varant“, wandte sie wieder das Wort, statt der Waffe an ihn, wobei sie keinerlei Häme oder Verachtung in ihrer Stimme hegte, „So hat sich Joe auch genannt.“
Erinnerungen kamen auf, die sie in diesem Moment absolut nicht brauchte. Mit purer Willenskraft verbannte sie die störenden Gedanken und fokussierte sich auf den gefährlichen Mann, der sich in diesem Moment vor ihr in Acht nahm.
„Ich habe nicht das Bedürfnis nach der Laune der Götter zu tanzen. Sie bestimmen nicht, was ich bin und das sollten sie auch bei dir nicht tun. Also, sag mir warum!“
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»Die Antwort ist so einfach wie einleuchtend«, meinte er und jetzt erschien wieder das gewohnte nicht zu deutende Grinsen auf seinem Gesicht. »Wie soll ich wissen, ob du wirklich kämpfen kannst, wenn auch nur der geringste Zweifel bei dir besteht, dass ich es ernst meine? Wie sollst du wirklich an deine Grenzen gehen, wenn du denkst, ich würde im Zweifel abbremsen. Nein das wäre kein geeigneter Weg gewesen«. Er lies seine vorher erhobenen Hände wieder sinken und schaute anerkennend an. »Du warst bevor wir uns kennenlernten schon eine gute Kämpferin, doch jetzt bin ich der Überzeugung, dass du noch eine viel bessere geworden bist. Ich verneige mich vor dir Chala. Du hast wahrlich alles gezeigt, was ich erwarten konnte. Du solltest wirklich stolz auf dich sein«. Dann verneigte er sich wirklich und reichte ihr die Hand herüber.
Einige Zeit später gingen sie wieder zurück zur Höhle. Neuen Aufgaben zugewandt. »Ich war tatsächlich Assassine des alten Bundes von Bakaresh«, meinte er leise zu Chala. »Doch zuvor war ich Paladin des Ordens Innos’. Jetzt bin ich nicht mehr so sicher, als was ich mich wohl bezeichnen soll. Khorinis ist gefallen und Bakaresh auch. Ich stimme aber mit dir überein. Es sind nicht die Götter alleine nach denen wir uns richten sollten. Unser Weg wird von uns bestimmt. Ich denke es sind die Menschen denen wir uns verpflichten sollten«, meinte er leise. Dann lenkte er vom Thema ab: »Nach dem Sieg in Bakaresh habe ich keinen alten Kameraden mehr getroffen. Es würde mich wirklich interessieren, was aus Ihnen allen wurde. Ob der Krieg sie mitgeschleift hat oder ob sie eine neue Idee davon gefunden haben, was sie sein wollen. Denn vielleicht würde das ja mir helfen«. Er zuckte mit den Schultern. »Ich hoffe du kannst mir meine schroffe Art dich zu Testen irgendwann verzeihen«, meinte er. Dann gingen sahen sie den Wachposten, der noch immer Ausschau nach Feinden hielt.
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Fühlte es sich so an, wenn man Anerkennung erfuhr und Stolz die Brust schwellen ließ? Nein, nicht wirklich. Sie hatte gegen Draco gewonnen, schmeckte aber einen unangenehmen Beigeschmack auf den vollen Lippen, die sie auf dem ganzen Rückweg zur Höhle geschürzt hatte. Die Art, wie er seine Schulter rotieren ließ, verriet ihr, dass sie ihm Probleme machte und der Kris, welches wieder an seinem angestammten Platz steckte, war nicht die Waffe gewesen, mit der er ihr einen wahrlich ebenbürtigen Kampf hätte liefern können. Sie war nicht so dumm zu glauben, dass sie das vorgetäuschte Gottesurteil für sich hatte entscheiden können, weil sie die bessere Kriegerin war. Viel mehr waren es eine Vielzahl von Umständen, die die Waagschale des Schicksals zu ihren Gunsten hatte sinken lassen. Es wäre noch ein weiter Weg, wenn sie zu hoffen wagen wollte Draco oder vergleichbar versierte Kämpfer im Zweikampf übertrumpfen zu können.
Als er sich vor ihr verneigt hatte, war eine Euphorie durch sie gedrungen, die mit wenigen anderen Hochgefühlen mithalten konnten, sei es Sex oder das Sühnen eines tiefsitzenden Verrates. Und doch hatte dieses Gefühl nur wenige Augenblicke angehalten bis es von all den sehr realen Faktoren getrübt worden war, wegen denen es soweit gekommen war.
Seine Worte gingen ihr noch immer durch den Kopf. Ein Paladin, der sich Beliar zuwandte und schlussendlich wieder in den Reihen der Innosgläubigen endete, die ihn als Ketzer und Verräter ansehen mussten. Zu gerne hätte sie Dracos Lebensgeschichte gehört, denn es waren jene Erzählungen, die ihr Blut in Wallungen brachten. Einzig das Körperliche, sei es auf dem Schlachtfeld oder in den Laken übertrumpfte diese Leidenschaft. Doch heute Nacht würde sie ihn nicht mehr fragen, denn…
„Ob ich dir verzeihe, hängt ganz davon ab, wie viel Wert Vertrauen für dich hat“, antwortete sie im Flüsterton, während sie über die noch immer schlafenden Soldaten schritten.
Dass sie beide im hinteren Teil der Höhle ihre Bettstatt aufgeschlagen hatten, war kein Zufall gewesen und nun gab es ihnen die Gelegenheit im leisen Zwiegespräch einige wichtige Punkte klarzustellen.
„Lass mich den ersten Schritt machen, als Zeichen des guten Willens, selbst wenn ich mich gerade verraten fühle. Allerdings werde ich es dir nicht leicht machen. Drei Geschichten, eine ist wahr“, sagte sie und hob den ersten Finger, „Ich bin in Wahrheit nicht von Torgaan, sondern eine Klinge der Akademie von Argaan, die damals mit Setarrif untergegangen ist. Ich bin hier auf Geheiß des Königs und werde ihm Bericht erstatten, sobald ich herausgefunden habe, was eure Mission ist.“
Sie machte eine Pause, ließ die Bedeutung ihrer Worte sacken und vergewisserte sich erneut, dass alle anderen noch schliefen. Der Wachwechsel musste bald folgen, doch zuvor würden sie ihr Gespräch hoffentlich beendet haben.
Der Mittelfinger gesellte sich zum Zeigefinger.
„Ich bin nicht von Torgaan, sondern von Aranisa, einer kleinen Vulkaninsel noch weiter südlich. Ich bin derzeit auf dem Weg nach Stewark, aber nicht, um König Ethorn oder wem auch immer irgendwas über irgendwen zu verraten, sondern aus persönlichen Gründen. Die Wassermagier haben Heiler, deren Expertise mir helfen soll.“
Die Wahrheit, doch würde er sie erkennen? Es wäre nicht einfach für jemanden, der kein erfahrener Seemann war und die südlichen Meere durchschifft hatte von ihrer Heimat zu wissen und ihr Äußeres sowie die Sprache und ihr Akzent sprachen stark für eine torgaanische Abstammung.
Ihr Ringfinger komplettierte das Trio.
„Ich bin von Torgaan und ich war tatsächlich auf der Suche nach jemanden aus meinem Volk, der Berichten zufolge in den Sümpfen im Süden Argaans Unterschlupf gesucht hat. Er hat etwas von unseren Ältesten gestohlen und für derartige Fälle sendet man meistens mich aus, weil ich zum einen die Gemeinsprache fließend beherrsche und zum anderen ein Händchen für…allerlei Situationen besitze.“
Die originale Geschichte, mit der sie zu dieser Truppe gestoßen war. Vielleicht würde er sich fragen, warum sie überhaupt zwei alternative Geschichten anbot, wenn die ursprüngliche bereits die wahre war, doch das war Berechnung ihrerseits.
„Es ist an dir zu wählen, von mir aus auch erst am Morgen. Das ist mein Angebot und Zeugnis, dass ich bereit bin zu vergeben“, schloss sie ab.
Dass Ornlu dasselbe mit ihr gemacht hatte, war der Grund, weshalb sie sich dieser Methode nun bediente. Es hatte ihr imponiert und bot viel Freiraum zum eigenständigen Denken. Sie vermutete jedoch, dass Draco auf die Lösung kommen würde.
„Und noch etwas. Ich vertraue Männern, die sich bewiesen haben oder solchen, die ich“, sie hielt kurz inne und ein freches Grinsen kroch über ihr Gesicht, „nackt gesehen habe. Mtu uchi hana siri. Ein nackter Mann hat keine Geheimnisse.”
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»Deine Zunge ist so flink wie dein Körper«, meinte der Assassine neckisch und anerkennend. Sie hatte die Situation genutzt und war durch die Türe gelaufen die er ihr geöffnet hatte. Sie war eine besondere Frau. Das lag außer Frage. Man mochte ihr Spiel frech nennen, doch er spielte gerne mit. Hier in dieser Höhle gefiel ihm das Spiel. Er hörte das Schnarchen und als seine Augen durch die Dunkelheit spähten sah er auch die anderen tief im Schlaf versunken. Jörg würde schon aufpassen. Alles andere konnte warten.
Er verschwand kurz in den Schatten, um dann wieder hinter ihr aufzutauchen. Seine Rüstung lag noch da, wo er zuvor gewesen war. Sie erzitterte kurz als er von hinten beide Hände auf ihre Schultern legte. »Vertrauen ist etwas sehr kostbares für mich. Hatte ich es, wusste ich es oft nicht zu schätzen. Als ich es in Khorinis verloren hatte brach meine Welt auseinander. Der König war für mich so etwas wie der Messias. Als mir klar wurde, dass er besiegt worden war hatte ich keine Orientierung mehr. Keine Hoffnung. Also wenn du mich fragst, dann ist Vertrauen nicht alles, wenn wir miteinander umgehen. Doch ohne Vertrauen hat es keine Bewandnis mehr«. Ihr Haar roch gut. Fast fragte er sich ob ihn das wundern sollte. »Nun ich habe deine Bedingungen erfüllt denke ich. Schließlich habe ich mich hunderte Male bewiesen und meine Rüstung liegt da drüben«, meinte er leicht spöttisch, leicht erheitert. Sie wollte den Kopf drehen, doch er fuhr ihr sanft mit der rechten über die Wange. Er konnte trotzdem das freche Grinsen erahnen. Doch noch war es nicht so weit. Er musste schließlich die Frage beantworten. Man sollte ihm wohl nicht im Nachhinein unterstellen er würde sich nicht an die Regeln des Liebesspiels halten.
»Ich schließe einfach die erste Variante aus. Die Akademie ist ja immer noch bestehend, wie die roten Adler sagen und wenn du schon lange hier auf Argaan wärst, dann wärst du vielleicht nicht gerade ins Gebirge gelaufen oder aber würdest dich besser auskennen«, meinte er schulterzuckend. Da war er sich recht sicher. Bei den Anderen nicht mehr. Trotzdem ging er entschlossen vor:
»Nun die dritte Geschichte ist Unsinn«, meinte er entschieden und ihr Blick verriet ihm schnell, dass er Recht behielt. »Du besitzt zwar ein Händchen für allerlei Situationen«, er machte einen vielsagenden Blick, »Aber du suchst hier Niemanden. Du hast niemals nach irgendwelchen Informationen gefragt. Du hast auch nicht gefragt ob wir unseren Weg ändern könnten und wir haben lange Zeit hier verbracht. Dafür Jemanden zu suchen bist du viel zu entspannt unterwegs. Wenn es irgendeine zeitliche Dringlichkeit gäbe, dann wärst du die schlechteste Jägerin die ich jemals getroffen hätte und das bist du nicht«, sagte er entschieden. Unsicherheit blieb natürlich, aber die blieb immer. Die Wahrscheinlichkeit schien ihm doch sehr gering.
»Und nun Chala von Aranisa habe ich dein Vertrauen wiederhergestellt? Erzählst du mir irgendwann woran genau du leidest? Körperlich scheinst du doch recht stark zu sein«, fragte der Weißhaarige, während sie sich umdrehte und ihn neugierig betrachtete. Dann streckte er die rechte Hand aus und strich ihr übers Haar. »Mir ist während des Trainings aufgefallen, dass dein Bodenkampf miserabel schlecht ist. Ich denke du brauchst dringend Nachhilfe«, feixte er und lud sie mit einer Bewegung zum Übungskampf ein. »Das heißt natürlich nur, wenn du dafür nicht zu krank bist«
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