Was mag der Blick einer Witwe wohl zu bedeuten haben, fragte ich mich. Starr war ihr Blick auf mich gerichtet. Kühl und unnahbar, und doch zu stechend, als dass ich ihn lange zu erwidern vermochte. Hoch oben saß die Witwe in ihrem Netz und blickte durch ein Fenster aus bruchsicheren Aluminium auf mich herab. Die Bezirke breiteten sich in endloser Nacht vor mir aus und schummerten im blauen Licht des Giganten, der über sie wachte.
Jemand betätigte den Türsummer. Ich nahm einen letzten Zug aus meiner elektronischen Zigarre und stieß dann den Rauch aus. "Herein."
Schritte klapperten. Als ich mich umwendete, stand eine Frau auf der Türschwelle meines Büros.
"Mister Morris?"
"Steht vor Ihnen." Ich nahm sie in Augenschein. Ihr Haar war wellig und so dunkel wie das Kleid, welches sie zum Kontrast ihrer Haut trug. Sie hatte sich für eine gehobene Veranstaltung fein gemacht, oder sie trug bloß Abendgarderobe, weil es auf der Citadell niemals morgen wird.
Madame spitzte die fein getünchten Lippen. "Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen?"
"Nicht hier. Bitte, kommen Sie rein. Setzen sie sich." Ich schaltete meine Zigarre aus und legte sie an den Rand meines Schreibtisches, der vor der wandhohen Fensterfront Wache hielt. "Kann ich Ihnen etwas zu Trinken anbieten?"
"Ich trinke, was Sie trinken." Sie ließ sich auf dem Ledersessel nieder. Ihre Haut schien im Licht der Witwe zu Eis abzukühlen.
Ich nahm zwei Gläser und einen Dekanter Scotch aus der untersten Schublade meines Schreibtisches und schenkte zuerst ihr ein, dann mir. "Sie hätten auch eine Nachricht schicken können. Dann wäre ich zu Ihnen gekommen, anstatt, dass sie sich hierher hinunterbemühen."
Sie verstand die Andeutung. "Ich komme gerade von einem Empfang. Ich wollte keine Zeit verschwenden."
Ich schob ihr das Glas rüber. "Womit kann ich Ihnen also in aller Eile dienen, Miss?"
"Misses ... Doktor" Ihr Blick flackerte kurz, als sie mich korrigierte. Sie stärkte sich mit einem Schluck Scotch. "Dr. Joanne Wellins. Ein Kollege von mir ist entführt worden."
"Sie kommen direkt zur Sache. Ihr Mann?"
"Nein." Sie wirkte nervös genug, um tatsächlich in Sorge zu sein.
Ich parkte mein Hinterteil in meinem Ledersessel ihr gegenüber, und lehnte mich zurück. "Dann beginnen Sie am Anfang, Dr. Wellins. Ich bin ganz Ohr."
"Wir waren auf einer Konferenz eingeladen, oben im Präsidiumsring." Sie drehte das Glas Scotch zwischen ihren manikürten Fingern, trank aber nicht weiter. "Ausgerichtet von SynTech. Geladen waren Genetiker, Kybernetiker, Implantologen und andere Biowissenschaftler aus dem Ratssektor."
"Dann sind Sie und ihr Kollege Wissenschaftler?"

Sie nickte. "Angewandte Bioaugmentierung."
Ich griff nach meiner Zigarre. "Es stört Sie doch nicht?"
Sie legte eine Hand in den Schoß ihres Kleides. "Nein, bitte."
Ich nickte, klemmte mir die Zigarre in den Mundwinkel und paffte daran. Die Spitze begann, bläulich zu glimmen; das untrügliche Zeichen eines Masseneffektfeldes. Sie scheinen sowas in alles einzubauen. "Erzählen sie weiter."

"Heute ist der zweite Tag der Konferenz. Vor drei Stunden hätte mein Kollege sein neustes Projekt vorstellen sollen, doch er erschien nicht."
"Und sie glauben, dass er entführt wurde?"
Sie sog an ihrer Unterlippe. "Wir haben noch eine halbe Stunde zuvor in der Lounge zusammen einen Kaffee getrunken. Dann bekam er eine Nachricht und sagte, er müsse noch einmal weg."
"Und er erschien nicht zu seinem Vortrag."
"Nein, das tat er nicht."
Ich atmete Rauch aus und blickte nachdenklich drein.
Frau Doktor biss sich auf die Unterlippe und lehnte sich zu mir vor. "Der Vortrag war sehr wichtig für ihn. Er hat ihn den ganzen Monat vorbereitet und an den Feinheiten gearbeitet. Er würde ihn nicht einfach verpassen."
"Worum ging es in dem Vortrag?"
Sie zog sich zurück. "Um sein Projekt. Mehr weiß ich nicht. Er wollte nicht darüber reden."
"Sie arbeiten nicht am selben Projekt?"
Sie zog eine ihrer fein geschwungenen Brauen hoch. "Nein. Ist das wichtig?"
"Vermutlich nicht. Sind sie sich sicher, dass er verschwunden ist?"
"Er war nicht in seinem Hotelzimmer. Ich habe nachgesehen."
"Hat er Ihnen den Zugang gegeben?"
Ihr Blick flackerte. "Das hat er."
Ich schnaufte etwas Nikotindampf aus. "Ich bin nicht die Sittenpolizei. Aber Sie wissen, dass das nicht ausreicht, um ihren Kollegen offiziell als vermisst zu melden, sollten Sie zu den Behörden gehen."
"Deswegen bin ich bei Ihnen." Ihr Blick funkelte mich unter verlängerten Wimpern heraus an. Sie trank ihren Scotch aus.
Ich nippte an meinem. "In Ordnung. Ich nehme einen Tagessatz von dreihundert Credits, selbst, wenn sich herausstellt, dass er sich bloß auf dem Weg zum Vortrag verlaufen haben sollte."
Sie nickte einvernehmlich. "Sein Name ist Roy Miller. Ich kann Ihnen eine Holographie zukommen lassen."
Ich steckte die Zigarre weg und trank aus. "Geben Sie mir die Schlüsselkarte. Ich muss mir sein Hotelzimmer ansehen."