Ursprünglich war diese kleine Geschichte nicht für in Forum gedacht. Aber was soll's, so habe ich wenigstens was zu Weihnachten für euch.

Für Titel und Schlusssatz habe ich den Übersetzer des Ta'agra-Projektes genutzt.

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Purna'a di ro'purniit
(Stories of the storyteller / Die Geschichten der Geschichtenerzählerin)

Die Gluthitze des vergangenen Tages war lauer Nachtluft gewichen. Zarte Wolkenschleier schoben sich vor die Monde. Sie machten Hoffnung auf ein paar Regentropfen, nach denen die ausgedörrte Steppe Anequinas lechzte. Insekten zirpten ihre Lieder und ganz in der Ferne fiel mit langgezogenem Heulen ein Kojote ein.
Vor dem namenlosen Dorf brannte ein großes Feuer im Sand. Eine Karawane lagerte hier auf ihrem langen Weg von Corinth nach Düne und das ganze Dorf hatte sich bei den Zelten versammelt. Man tauschte Neuigkeiten aus, saß bei einem Becher Tee zusammen, um die abgeschlossenen Geschäfte zu feiern oder tanzte nach den Klängen des Lautenspielers. Die Kinder des Dorfes jedoch hatten ein anderes, kleineres Feuer in Beschlag genommen. Dicht gedrängt lauschten sie den Worten des alten Khajiit. Hazur der Geschichtenerzähler war gekommen.

"Du erzählst das ganz falsch", schallte plötzlich die Stimme des kleinen Ma'Sirdar über den Platz. "Das waren gar nicht acht Banditen. Das waren mindestens ... zwölfzehn. Und Apashi und Sharrani haben sie auch nur ganz leicht gehauen, weil sie sie nicht verletzen wollten und und ..."
"Ma'Sirdar", mischte sich ein kräftiger Mann aus der hintersten Reihe ein, "es ist unhöflich, einen Geschichtenerzähler zu unterbrechen."
"Aber Papa, wenn es doch nicht stimmt. Rakizna hat immer gesagt ..."
"Genug Ma'Sirdar! Entschuldige dich jetzt bei Ra'Hazur!"
"Entschuldigung," nuschelte der Kleine, wobei man deutlich spüren konnte, wie wenig ernst gemeint diese Entschuldigung war. Er hatte doch Recht, auch wenn die Erwachsenen das nicht wahrhaben wollten.
Hazur nickte ihm freundlich zu. Er nahm dem Kleinen die Unterbrechung nicht übel. Vielmehr wandte er sich direkt an ihn: "Es ist immer schön, solche aufmerksamen Zuhörer zu haben, kleiner Herr. Vielleicht werde ich langsam alt und habe wirklich etwas durcheinandergebracht. Ja, so wird es sein. Jetzt erinnere ich mich wieder: Es waren genau zwölf Banditen in der Höhle und dazu noch deren Anführer, ein finsterer Magier. "Pass auf", sagte Sharrani gerade ..."

Als Hazur die Geschichte zuende erzählt hatte war es höchste Zeit, die müden kleinen Kätzchen in den Hütten zu verstauen. Auch Ma'Sirdar und sein Vater kehrten ins Dorf zurück. Dabei mussten sie an Hazur vorbei.
"Papa", flüsterte Ma'Sirdar, "ich hatte mich so auf Rakizna gefreut."
Hazurs leises Seufzen bekam er nicht mehr mit.

***

"Setzt Euch ruhig zu mir."
Mit einer freundlichen Geste lud Hazur Atarro, den Vater des kleinen Ma'Sirdar ein, ihm am Feuer Gesellschaft zu leisten. Er hatte gerade ein paar Holzscheite nachgelegt, die jetzt prasselnd zu brennen begannen. Ohne sich daran zu stören, dass die aufstiebenden Funken zwei neue kleine Löcher in sein abgetragenes Budi brannten, nahm er die Teekanne aus den Flammen, goss das aromatische Gebräu in einen Becher, den er Atarro reichte, und schenkte sich dann selbst nach. All das geschah in völliger Stille, nur untermalt von den Geräuschen der nächtlichen Steppe.

Da Hazur immer noch keine Anstalten machte etwas zu sagen, ergriff nun Atarro das Wort:
"Ich wollte mich noch einmal bei Euch entschuldigen, mein Herr", begann er. "Ma'Sirdar ist sonst ein folgsamer Junge. Nur wenn seiner Meinung nach etwas nicht richtig ist, dann kann er ziemlich vorlaut werden. Er wollte Euch aber sicher nicht in Schwierigkeiten bringen. Bitte verzeiht ihm."

"Das habe ich längst. Und wisst Ihr was?" Hazur schmunzelte. "Er hatte völlig Recht. Ich habe etwas verwechselt und manches absichtlich verändert, um es spannender zu machen oder ... realer. Aber vermutlich sollte ich das nicht. Ich sollte Rakiznas Geschichten genau so lassen, wie sie sie immer erzählt hat."
Atarro nickte. Er wirkte erleichtert, doch etwas schien ihm noch immer auf der Seele zu liegen.
"Was treibt Euch wirklich zum Feuer eines alten Mannes?" fragte Hazur. "Möchtet Ihr noch einen Tee?"
"Gern", antwortete Atarro auf den zweiten Teil der Frage zuerst. Er ließ sich nachschenken und nahm einen Schluck. Mild und beruhigend füllte die Flüssigkeit seinen Magen. Dabei war es nicht einmal ein hochwertiger Tee, eher eine Mischung aus Kräutern, die man entlang der Karawanenwege fand. Die Mehrzahl der Händler hätten ihn mit Sicherheit verschmäht. Doch hier am Rande der Wildnis war er das perfekte Getränk, weil er ursprünglich war, einfach und vielfältig in einem, so wie das Land selbst.
Als ihm bewusst wurde, dass Hazurs Blicke immer noch wartend auf ihm ruhten, atmete Atarro tief durch: "Es ist so ...", begann er, " ... dass ich leichtfertig ein Versprechen gegeben habe. Ich hörte von der Karawane, hörte, dass ein Geschichtenerzähler mit ihr reist, und da dachte ich ..."
"Da dachtet Ihr, es wäre Rakizna, ja?"
"Ja ... und nein." Noch leiser fuhr er fort: "Ma'Sirdar dachte das sofort, und mir kam gar nicht der Gedanke, dass es jemand anders ... Entschuldigt."
"Ihr entschuldigt Euch ziemlich oft", warf Hazur ein. "Nun ja, dann bin ich wohl der zweitrangige Ersatz."
Auf Atarros entsetzten Blick hin grinste er nur, wurde aber sofort wieder ernst. "Euer Sohn wird sich leider mit dem Ersatz begnügen müssen."
Beide starrten den Tee in ihren Bechern an
"Hazur, wird sie jemals wieder unser Dorf besuchen?"
"Ich weiß es nicht."
"Aber Ihr wisst, wo sie ist?"
"Nein." Und nach einer Pause: "Nur so ungefähr. ... Morrowind."

Morrowind. Es klang wie das Ende der Welt. Ein Land, über das stinkende Aschestürme hinwegfegten, dessen Gras hart und schneidend war und wo statt der Schirmakazien riesige Pilze in den Himmel wuchsen. Geflügelte Echsen zogen am grauen Himmel ihre Kreise, auf alles herabstürzend, was ihnen fressbar erschien. Das Schlimmste jedoch waren die Bewohner des Landes selbst. Dunkelelfen, die jeden verachteten, der nicht ihrem eigenen Volk angehörte. Beinahe jeder alte Khajiit konnte sich noch an die Zeiten erinnern, als große Gruppen von Sklavenjägern durch die Steppen und Wüsten Elsweyrs gezogen waren, immer auf der Suche nach neuer Beute für die unersättlichen Plantagenbesitzer. Wer einmal nach Morrowind gebracht wurde, kehrte niemals zurück.
Doch Rakizna? Das konnte nicht sein, oder? Sklavenbesitz war längst in allen Teilen Tamriels verboten. Und wenn sich auch nicht alle der weit verstreuten Güter Morrowinds daran hielten – und Kontrollen äußerst lasch gehandhabt wurden – so waren doch wenigstens die großen Märkte in den Grenzstädten geschlossen worden. Die früheren Sklavenjäger hatten sich entweder mit ihrem bisher erworbenen Reichtum zur Ruhe gesetzt oder waren gewöhnliche Banditen geworden, immer noch eine Landplage aber jetzt zumindest nicht mehr von der Obrigkeit toleriert. Rakizna war im gesamten Norden Elsweyrs bekannt und beliebt. Kein Bandit hätte sie unbemerkt bis nach Morrowind entführen können.

"Mögt Ihr?"
Atarro, plötzlich aus seinen Gedanken gerissen, zuckte zusammen. Vor seiner Nase war ein Teller mit Dörrobst aufgetaucht. Hazur hielt ihn in der Hand.
Dankend griff der Khajiit zu.
"Erzählt Ihr es mir?" fragte er zwischen zwei Bissen.
"Was?"
"Alles."
"Nun", Hazur wandte den Kopf zum Himmel, der mittlerweile wieder wolkenfrei war. ""Alles" ist ein sehr großer Begriff." Seine Augen fixierten einen Stern am Südhimmel, kleiner als die anderen aber etwas heller. Er hob sich von der Menge ab, so wie sie es getan hatte. "Aber wenn Ihr Zeit habt, dann werde ich es versuchen."

"Alles begann vor etwa vier Jahren in Corinth.
Ich war damals noch Lederhändler, hatte einen festen Stand am Markt und einen kleinen Lagerschuppen gleich ein paar Gassen weiter. Aber die Geschäfte gingen schlecht. Kaum Bedarf an gutem Leder und jede Menge Konkurrenz. Eines Abends, die Einnahmen des Tages reichten wieder einmal gerade so zum Überleben und meine Laune war nicht die beste, da hatte ich bereits das Lager verschlossen und befand mich auf dem Heimweg. Wie immer kam ich am Waisenhaus vorbei. Ein trauriger Ort, der eher dazu diente, verwahrloste Kinder vor der Öffentlichkeit zu verbergen, als ihnen ein Zuhause zu geben. Diesmal jedoch war etwas anders. Es wurde gelacht.
"Rakizna, erzähl bitte noch mal, wie Apashi unsichtbar war und dem ollen Goblin auf die Nase gehauen hat", rief eine helle Mädchenstimme hinter der Mauer. "OH JAAA!!!" schlossen sich mehrere brüllend an.
Ich trat dichter an die Mauer heran und fand nach kurzem Suchen einen Riss, durch den ich in den Garten schauen konnte. Da saß sie, inmitten der ganzen Schar schmuddeliger Kinder und erzählte ihnen Geschichten.
Ich fand es so spannend, dass ich am nächsten Tag wieder an der selben Stelle stand und lauschte und am darauffolgenden Tag ebenfalls."
Hazur kratzte sich verlegen hinter dem rechten Ohr, und Atarro nutzte die kurze Pause, um eine Zwischenfrage loszuwerden: "Habt Ihr Euch in sie verliebt?"
"Ob ich ... ? Nein." Hazur lachte. "Nein, das war es nicht. Außerdem war ich schon lange verheiratet und liebte meine Frau. Rakizna ... bewunderte ich für das was sie tat. Was sonst niemand tat. Sie war für andere da ohne gleich nach Bezahlung zu fragen. Und sie schaffte es mit ihren Geschichten, selbst dem traurigsten Kind ein Lächeln zu entlocken. Das fand ich großartig. Das wollte ich auch tun.
Die nächsten zwei Monde kam ich fast jeden Tag zu der Stelle. Ich hatte mir Pergament besorgt und begonnen, Rakiznas Geschichten aufzuschreiben. Vor allem die Abenteuer ihrer beiden Heldinnen Apashi und Sharrani füllten bald neun Notizbücher. Da kann man schon mal mit der Anzahl der Banditen in einer Höhle durcheinanderkommen, nicht wahr?" Er zwinkerte Atarro zu und erzählte weiter:
"Längst war ich in ganz Corinth als der Verrückte bekannt, der jeden Abend an der Waisenhausmauer hockte und dabei stapelweise Pergament vollkritzelte. Alle wusste davon, nur ich selbst hatte es noch nicht bemerkt, und meine Gattin, die zu dieser Zeit ihre kranken Eltern in Düne pflegte. Manchmal schaute mich ein Kunde auf dem Markt so merkwürdig an, doch ich dachte mir nichts dabei, bediente ihn wie früher auch und war in Gedanken schon wieder bei Rakiznas Geschichten. Und dann kam dieser denkwürdige Abend ...
"Du, Rakizna? Darf der Mann deine Geschichten aufschreiben? M'Joto hat gesagt, er will sie an die Elfen verkaufen."
"Habe ich gar nicht! Er verkauft sie an die Kaiserlichen. Das weiß ich von Howesh, dem Straßenkehrer."
Daraufhin wurde wild durcheinander spekuliert, wem ich alles die gestohlenen Geschichten verkaufen könnte. Es wurde immer lauter im Hof, bis den meisten Kindern die Ideen ausgingen. Dann, als kurz Ruhe eingekehrt war, meldete sich die Kleinste, ich glaube ihr Name war Ma'Lussi, zu Wort: "Wenn du möchtest, male ich ein Bild für Apashi. Dann kommt sie her und nimmt dem bösen Mann die Geschichte wieder weg.""

Hazur grinste vor sich hin. Die Begebenheit spielte sich noch einmal in seinen Gedanken ab, als ob sie gerade erst geschehen wäre. Natürlich ohne den Schreck, den er damals bekommen hatte.
Diesmal übernahm es Atarro, ihre Becher mit neuem Tee zu füllen. Ein weiteres dickes Holzscheit wanderte in die Flammen, Hazur rückte etwas dichter ans Feuer, da die Nachtluft bereits empfindlich kühl wurde, streckte seine Füße der Wärme entgegen und fuhr fort:

"Rakizna gelang es irgendwann, die ganze Rasselbande wieder zu beruhigen, indem sie einfach sagte, dass sie es mir erlaubt hätte. "Meine Geschichten", so sprach sie, "gehören nicht mir allein. So wie der Sand und die Luft niemandem allein gehören können. Sie sind für alle da, die sie hören wollen, und für alle, die sie weitererzählen. Ra'Hazur wird die Geschichten nicht den Elfen verkaufen und auch nicht den Menschen. Aber wenn er einmal eine weite Reise macht, dann werden ihm seine Notizen helfen, anderen Kindern von Apashi und Sharrani zu erzählen, und diese anderen Kinder werden ihm zuhören und glücklich sein."

Ich stand noch immer an der Mauer und hätte am liebsten meinen Kopf dagegengeschlagen. War es nicht peinlich genug, dass die Kinder mich bemerkt hatten? Nein, auch Rakizna wusste seit langem von meiner "heimlichen" Tätigkeit, kannte sogar meinen Namen. Was ja nicht schwer herauszufinden war. Beschämt schlich ich heim und nahm von da an einen anderen Weg zum Markt.

Einige Tage später, es war kurz nach Mittag und der Marktplatz wegen der brütenden Hitze kaum besucht, da steuerte ein Straßenjunge auf meinen Stand zu. Ich erhob mich aus dem Schatten, wo ich etwas geruht hatte. Die kleinen Lümmel waren schnell. Ruckzuck hatten sie sich etwas vom Ladentisch stibitzt und tauchten in den Gassen unter. Da behielt man sie besser gleich im Blick.
Doch heute schien er etwas anderes vorzuhaben.
"Seid Ihr Ra'Hazur?", fragte er vorsichtig.
"Der bin ich."
"Hm ... ich hätte mir Euch jünger vorgestellt ... und stattlicher. ... Hier."
Während mir gerade die Worte fehlten, um dem frechen Kerl zu antworten, warf er mir ein kleines Bündel auf den Tisch, lachte und rannte davon.
Zuerst hatte ich vor ihm nachzusetzen, ließ es aber sein. Es war viel zu heiß für eine Verfolgungsjagd und er hatte ja nichts gestohlen. Im schlimmsten Fall konnte es eine Ablenkung sein, ein Versuch, mich von meinem Stand wegzulocken, damit seine Freunde leichtes Spiel hatten.

Mein Blick fiel auf das Bündel. Eingeschlagen in ein Tuch von undefinierbarer Grundfarbe und sorgsam verschnürt konnte es alles mögliche beeinhalten. Nein, nicht alles. Flaschen schieden schon einmal aus, womit es sich nicht um eine Lieferung verbotenen Skoomas handeln konnte, wie man sie einmal einem Nachbarn untergeschoben hatte. Dem armen Mann hatte niemand glauben wollen, sodass er vermutlich heute noch im Gefängnis saß.
Ganz vorsichtig begann ich, die Verschnürung zu öffnen. Ich entfernte das Tuch und fand darin ein dünnes Notizbuch, dass ich sofort aufschlug und zu lesen begann:

"Werter Ra'Hazur,
habe ich Euch verschreckt? Dann versichere ich Euch, dass das nicht in meiner Absicht lag. Aber ich konnte auch nicht warten, bis Ihr wieder hinter der Mauer steht. Die Kleinen wollten die Geschichte zu Ende hören. Das versteht Ihr sicher.
Ich habe die letzten Seiten für Euch notiert. Nehmt es bitte und helft mir, die Botschaft darin zu verbreiten, wenn Ihr könnt.
Rakizna"

An diesem Abend wollte ich wieder zum Waisenhaus, um ihr zu danken und mich für mein heimliches Lauschen zu entschuldigen. Doch dazu kam es nicht.
Es war der Tag, an dem die verheerenden Brände in Corinths Unterstadt wüteten. Das Waisenhaus fiel als eines der ersten den Flammen zum Opfer. Viele, vielleicht sogar alle Kinder konnten zwar gerettet werden, doch nun gab es keinen Platz mehr für sie, und so wurden sie auf die umliegenden Ortschaften verteilt. Rakizna ging mit ihnen.

Mein Lagerhaus war ebenfalls abgebrannt, meine Waren zum größten Teil vernichtet. Was noch übrig war, ließ ich für die zurück, die alles verloren hatten, und zog nach Düne, ins Elternhaus meiner Gattin."

Hier unterbrach Hazur seine Erzählung. Der Rest des Tees war inzwischen kalt geworden, ebenso wie der Sand die Wärme des Tages längst abgegeben hatte. Die Nacht schien beinahe frostig werden zu wollen. Während Atarro sich um das Feuer kümmerte, ging Hazur zu den Zelten und kam mit zwei Decken zurück, von denen er eine seinem Gast überließ. Gut eingewickelt und nah am Feuer konnte die Geschichte dann weitergehen.

"Düne ist für ihre Tuchmacher bekannt und für ihre Teppichmanufakturen. Leder verarbeitete man hier nicht. Es wurde im Tausch gegen die Waren der Stadt aus Corinth und anderen Orten erworben, so wie es seit Jahrtausenden Tradition bei uns war. Auch die Clanmütter schienen kein Interesse an irgendwelchen Änderungen zu haben. Somit bekam ich keine Lizenz und musste mich nach einer neuen Tätigkeit umsehen.
Nach einigen weniger erfolgreichen Versuchen heuerte ich bei Dro'Bashos Karawane an. Tagsüber führte ich die Packtiere, abends machte ich mich in den Lagern nützlich.
Einmal rasteten wir in Helkarn, einem Örtchen nördlich von Corinth. Alle Waren waren sicher verstaut, die Tiere gut versorgt und Dro'Basho gab ein kleines Fest zu Ehren Khenarthis, deren Schutz er auf unseren Reisen regelmäßig erbat. Das ganze Dorf war eingeladen. Als dann die Feuer brannten und die Sonne hinter dem Horizont versunken war, fand ich mich inmitten einer munteren Kinderschar wieder. Ohne dass ich heute sagen kann, wie und warum es dazu kam, hatte ich begonnen eine Geschichte zu erzählen. Eine von Rakiznas Geschichten, die ich so sorgsam aufgeschrieben hatte. Nach und nach wurde es still und begeisterte Kinderaugen hingen an mir. Es war ... wunderbar.
Von diesem Tag an nutzte ich jede Gelegenheit, die sich mir zum Erzählen bot. Ich hatte meine neue Berufung gefunden.

Viele Monde später erreichte mich eine Nachricht aus Rimmen. Rakizna schrieb mir, dass sie von meinen Erfolgen gehört hätte und sich freue, dass ich ihr bei der Verbreitung ihrer Botschaft half. Ich fühlte mich ungeheuer geehrt.
Gerne hätte ich sie einmal in Rimmen besucht, wo sie ihre Arbeit im Waisenhaus wieder aufgenommen hatte. Doch leider ergab sich keine Gelegenheit dazu. Dro'Basho hatte jede Menge Aufträge angenommen, und Rimmen war zu weit, um schnell einmal vorbeizuschauen.
Dafür standen wir fortan über Boten ständig in Kontakt. Ma'Sahim, ein Junge, der im Corinther Waisenhaus aufgewachsen war, reiste beinahe nur für uns durch das Land, brachte meine Briefe nach Rimmen und Rakiznas Antworten zurück. Das ging so weit, dass wir begannen, uns gemeinsam neue Geschichten auszudenken. Immer abwechselnd reihte sich Kapitel an Kapitel. Es machte eine Menge Spaß.

Mit der Zeit jedoch dauerte es immer länger, bis die Nachrichten eintrafen. Ich sprach Ma'Sahim darauf an, fragte, ob es Schwierigkeiten auf dem Weg gäbe, ob er zu Umwegen gezwungen war. Er verneinte das. Doch woran lag es sonst?
Manchmal, berichtete er nach langem Zureden, war Rakizna für mehrere Tage verschwunden. Niemand wusste, wo sie war, was sie tat oder mit wem sie sich heimlich traf. Ihm blieb dann nichts übrig als zu warten. Sie war auch viel ernster geworden, lachte nicht mehr so oft, wie sie es noch in Corinth getan hatte. Und einmal, aber da war er sich nicht sicher, glaubte Ma'Sahim, Rakizna gesehen zu haben, wie sie sich mit zwei vermummten Gestalten traf. Von den Gesichtern war nicht viel zu erkennen, doch die roten Augen ließen keine Zweifel aufkommen: Dunmer."

"Sie hat sich mit Dunkelelfen getroffen?" Atarro starrte Hazur entsetzt an. "Das kann ich nicht glauben. Das hat sich doch als Irrtum herausgestellt, ja?"

Hazur schüttelte den Kopf. "Nein, es war kein Irrtum." Er seufzte kurz.
"Es dauerte noch eine ganze Weile bis sie diesen Verdacht von selbst bestätigte, ohne dass ich sie gefragt hatte. Rakizna schrieb mir, dass sie unsere gemeinsamen Geschichten sehr genossen hätte. Doch so wie ich eine neue Bestimmung gefunden habe, so gab es auch in ihrem Leben etwas, das noch wichtiger als die Arbeit im Waisenhaus war. Es gab eine geheime Organisation, die sich Zwillingsfackel nannte und im fernen Morrowind dafür eintrat, die Sklaverei endgültig zu beseitigen. Rakizna hatte sich diesen Leuten angeschlossen.

Damit endet die Geschichte auch schon.
Vor zwei Monden tauchte Ma'Sahim zum letzten mal bei mir auf. Mit Rakiznas Abschiedsbrief."

"Morrowind."
Atarro sagte nur dieses eine Wort. Beide starrten in die Flammen, jeder in seinen eigenen Gedanken versunken.
Schließlich erhob sich Atarro, um ins Dorf zu seiner Familie zurückzukehren.
"Ich danke Euch, Ra'Hazur", sagte er. "Ich werde Eure Worte in meinem Herzen behalten, doch mit Ma'Sirdar werde ich darüber erst reden, wenn er groß genug ist um sie zu verstehen. Bis dahin bitte ich Euch, so weiterzumachen wie bisher. Verbreitet Rakiznas Geschichten, zeigt den Kindern, dass in unserer Welt immer das Gute siegen sollte. Ihr gebt ihnen damit Hoffnung auf eine bessere Zeit, und das ist mehr als man für Gold kaufen kann. Mögen die Monde allzeit auf Euch herablächeln."

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Anmerkung:
Nach dem Erscheinen der Erstausgabe dieses Buches entbrannte ein heftiger Streit unter den Schriftgelehrten Tamriels. Die einen behaupteten, der Name "Rakizna" sei rein zufällig gewählt und habe keine weitere Bedeutung. Die anderen, vor allem Hochelfen und Verschwörungstheoretiker, sagten, "Rakizna" habe sehr wohl eine Bedeutung. In Ta'agra bedeutet es "Sieg" und somit sei die ganze Geschichte als gefährliche Botschaft zu betrachten, die die Sicherheit des Reiches bedrohe. Einige wenige vermuteten noch ganz andere Beweggründe des Autors, konnten diese aber nicht genauer erklären und wurden deshalb nicht gehört.
Der Autor selbst schwieg dazu.

Kha'jay siirithse jer wodro, Rakizna athraroliter.