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    Deus Avatar von John Irenicus
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    Mit zitternden Armen, aber dennoch präzise, lehnst Du Dich etwas nach links, um der Ritterrüstung möglichst geräuschlos das Schwert zu entwinden. Als Du am Schwertgriff ziehst, schleift zwar ein bisschen Metall auf Metall, aber der bullige Mann am anderen Ende des Raumes scheint es nicht gehört zu haben. An seinen Bewegungen erkennst Du allerdings, dass er drauf und dran ist, sich umzudrehen, weshalb Du Dein Bemühen, das Schwert zu erlangen, intensivierst. Endlich hast Du es der Umklammerung dieses leiblosen Ritters entwunden. Du hast nicht viel Erfahrung mit Schwertern, glaubst aber, dass diese Waffe wohl schon erheblich bessere Tage, und vor allem viele Tage, gesehen haben muss. Aber das ist Dir in diesem Moment egal – denn jetzt schmeißt Du die Fackel in Deiner anderen Hand weg und rennst los.
    Deine Füße knallen Deinem Empfinden nach geradezu auf den Steinboden auf, doch der muskulöse Hüne reagiert spät, zu spät. Noch bevor er sich auch nur zur Hälfte umgedreht hat, erreichst Du ihn – und stößt ihm das Schwert unumwunden in den Rücken. Du hast Glück, dass Deine Schrittfolge wirklich optimal war, um richtig viel Schwung dabei zu haben. Es ist ein widerwärtig-angenehmes Gefühl, wie Du die Klinge tief in das Fleisch dieses Mannes treiben kannst, bis ins Mark, bis sie von alleine in seinem Körper stecken bleibst und Du den Griff loslassen kannst. Ein abgehackter Schrei und ein atemloses Stöhnen, sowie rasch jede Menge Blut quittieren Dir den Erfolg Deiner Attacke. Der Hüne fällt nach vorne auf die Knie, sein Kopf sackt langsam ein, bis er unsanft an der Kante eines Tisches direkt vor ihm zum Erliegen kommt. Das war ein Volltreffer.
    Du hast das soeben Erlebte noch gar nicht richtig verarbeitet, da beginnt es plötzlich im Sack zu Deinen Füßen zu rascheln, und wenig später lugt ein Kopf aus dem Bündel hervor, welchen Du als den Kopf des Hausdieners dieses Anwesens identifizierst.
    „Was ist hier los?“, ruft er aus, und zeigt dabei seine blanken Zähne. Sie sind spitz. Zu spitz. „Was habt Ihr nur getan?“
    Seine Augen sind rot, aber sie kommen Dir nicht blutunterlaufen vor. Die Zähne, die Augen, die fahle Haut, der Sarkophag – all das lässt für Dich in Deiner Panik nur einen Schluss zu: Dieser Mann ist kein Mensch mehr, er ist ein Vampir. Ein Vampir, der drauf und dran ist, sich aus diesem Sack zu befreien. Du zögerst nicht weiter, verpasst ihm einen Tritt, der ihm den Atem raubt. Du nutzt diese Zeit, um das Schwert wieder aus dem Körper des reglosen Hünen herauszuziehen. Es schmatzt einmal laut, aber es gelingt Dir.
    „Nein, tut es nicht! Ihr wisst nicht was Ihr tut! Es ist doch alles…“
    Die Worte des Vampirs verstummen, als Du ihm Dein neu gewonnenes Schwert direkt in die Brust rammst. Du weißt nicht, wie Du es geschafft hast. Es wird die Angst gewesen sein, die Dich dazu getrieben hat, Dich selbst zu verteidigen, solange es noch geht. Ein letztes Ächzen ertönt aus dem Leib des nun noch fahler wirkenden Mannes, dann rollen seine Augen krampfartig nach hinten, er beginnt heftig zu zucken – und kommt dann still zum Erliegen. In diesem Moment hast Du Deinen ersten Vampir getötet – und Du weißt nicht, was Du davon halten sollst.
    Du hast allerdings auch keine Zeit, länger darüber nachzudenken, denn Du hörst Schritte hinter Dir – und nur einen Augenblick darauf einen schrillen Schrei.
    „Was hast du… RIFAS! RIFAS, SCHNELL!“
    Du drehst Dich um und siehst die Frau, die Du rasch als das Hausmädchen identifizierst. In ihrer Hand hält sie eine Art Morgenstern – weiß Innos, wo sie den her hat. Sie sieht verängstigt aus, aber gleichzeitig bereit, sich selbst zu verteidigen. Und was Dich besonders gewiss macht, dass Sie nicht das schwache Püppchen ist, welches sie vorgibt, zu sein: Ihre Augen. Sie sind rot. Das erkennst Du ganz genau.
    Sie hält den Morgenstern drohend vor sich, kommt Dir näher. Ihre Lippen beben, machen es ihr schwer, zu sprechen.
    „Du… du hast sie umgebracht? Warum? Warum hast du das getan? Ich… wir… wollten doch nur…“
    „Ich werde auch den Rest eurer Brut umbringen, wenn es nur dazu dient, weitere Morde zu verhindern!“, platzt es aus Dir heraus. „Was habt ihr mit Lord Kastaroth gemacht?“
    „Lord Kastaroth?“, fragt die junge Frau entgeistert. „Die Frage ist doch eher… er liegt doch dort, hinter dir! Du hast ihn… und Theo auch… was bist du nur für ein Monster?“
    Erschrocken wendest Du Dich um und blickst noch einmal auf den ältlichen Hausdiener, wie er halb in einer dunklen Blutlache, halb im Sack leblos daliegt. Du bist Dir nicht sicher, es richtig verstanden zu haben, aber wenn es stimmt, was diese junge Frau sagt… soll das Lord Kastaroth sein. Mit einem Mal kehren die Worte des Briefs in Dein Gedächtnis zurück. Lord Kastaroth hat erklärt, dass seine Ermordung unausweichlich sein würde. Dir schwirrt der Kopf. Hat er etwa geahnt…?
    Du kannst nicht weiter überlegen, denn nun macht die Frau vor Dir einen ungeahnt heftigen Ausfallschritt zu Dir nach vorne hin, den Morgenstern erhoben. Du weißt nicht was Du tust, schließt die Augen – und als Du sie wieder öffnest, steckt die Spitze Deines Schwertes in ihrer Kehle. Ungläubig blickst Du sie an, wie sie wiederum Dich ungläubig anblickt, bis ihr Gesicht in einer Blutfontäne aus ihrem Hals untergeht. Es dauert nicht lange, da sinkt sie gurgelnd zu Boden. Im nächsten Moment hörst Du Schritte.
    „Was bei Beliar ist… MELANIE!“
    „Melanie? Ist etwas…
    Durch die Tür zum Gang kommen zwei Gestalten geeilt. Eine ältere Dame und ein junger Mann mit dunklen Haaren. Du zweifelst keine Sekunde daran, dass auch diese beiden Hausbewohner mit den anderen Vampiren unter einer Decke stecken.
    Der junge Mann ruft etwas, und Du glaubst für einen Moment, Deinen Namen gehört zu haben, aber Du weißt, dass Du Dich solchen Gedankentricks von Vampiren nicht hingeben darfst. In blinder Panik, aber auch mit einem Anflug von Zorn, reißt Du Dein Schwert hoch und stürmst nach vorne. Du merkst noch einmal sehr deutlich, dass Du kein Schwertkämpfer bist, aber für diesen Moment reichen Deine kampfeswutgetriebenen Fähigkeiten aus. Die alte Dame ist die erste, die fällt, nachdem Du die Klinge in ihre nur durch ein dünnes Stoffkleid geschützte Seite gestoßen hast. Sie schreit, doch ihre unartikulierten Laute dringen kaum durch das mächtige Rauschen durch, das Deine Ohren erfüllt. Erst den Aufprall ihres Kopfes auf dem Steinboden nimmst Du als eindeutiges Knacken wahr. Und in diesem Moment weißt Du, dass Du es schaffen kannst. Dass Du den Vampiren in diesem Anwesen ein Ende bereiten kannst. Dass sie nicht so stark sind, wie sie vielleicht dachten.
    Du siehst, dass der junge Mann vor Dir einen Dolch gezogen hat, und an seinen Bewegungen erkennst Du, dass er damit umzugehen weiß. Doch Deinen wuchtigen Schwerthieben hat er außer flinken Ausweichbewegungen nicht viel entgegenzusetzen. Irgendwann drängst Du ihn an die Wand, blickst in seine schreckgeweiteten Augen. Sein Mund öffnet und schließt sich beständig, er scheint Dir etwas zu sagen, Dich anzuflehen, doch das Rauschen in Deinen Ohren ist zu einem wahren Meer angeschwollen, welches keine anderen Geräusche mehr durchlässt. Du spürst nur noch, wie der junge Mann Dir in einer Verzweiflungstat einen Stich in den Oberschenkel versetzt, doch Deinen letzten und entscheidenden Schwerthieb kann er damit auch nicht mehr verhindern. Blut spritzt, ein roter Schleier legt sich vor Deine Augen, und erst nach einigem Gewische in Deinem Gesicht kannst Du Deine Tat begutachten. Du hast den Mann direkt an der Kehle getroffen, ihn zwar nicht enthauptet, aber den Hals weit genug durchtrennt, dass dieses Scheusal langsam ausbluten wird.
    Du stolperst ein paar Schritte zurück, um nicht weiter in all diesem Blut zu stehen – da macht der Vampir plötzlich doch noch eine schnelle Bewegung mit seiner Hand. Du weißt zunächst nicht, was geschehen ist, doch als Du Dir reflexhaft an Deinen eigenen Hals packst, der plötzlich ganz wulstig wirkt, erkennst Du es. Du spürst den Dolch in Deiner Kehle stecken, weit genug, um Deine Luftröhre anzuritzen. Du ahnst, was das bedeutet, und willst in einem letzten Racheakt diesen vermaledeiten Vampir dafür bestrafen, doch er selbst ist nun schon vollkommen in sich zusammengesunken und kauert leblos am Boden. Du willst ihm noch einen abschließenden Tritt gegen den Kopf versetzen, doch fühlst Du Dich bereits zu schwach dafür. Schwindel und Krämpfe attackieren Dich, während Du nach Luft röchelst. Du packst Dir noch einmal an den Hals, setzt Dir beim Tasten selber Schmerzen von höllischster Art zu, bis Du endlich den Griff dieser verfluchten Waffe gefunden hast. Mit einem Ruck ziehst Du sie Dir aus Deinem Fleisch heraus, doch als sie draußen ist, erkennst Du allein am Blutverlust, dass es zu spät ist.
    Mühsam schleppst Du Dich in irgendeine Richtung, aus dem Raum heraus, bis hinein in den Gang, zu den Kristallen, die so schön gesummt haben. Doch Du hörst ihr Summen nicht mehr. Du lässt Dich an der Wand des Ganges nieder und sitzt bald nur noch in Deinem eigenen Blut. Der Lebenssaft rinnt so schnell aus Deinem Hals wie Deine letzte Lebenszeit durch die Sanduhr. Die vergangenen Minuten waren zu verworren, um sie jetzt in Deinen letzten rasselnden Atemzügen noch richtig einordnen zu können. Du weißt nur, dass Lord Folken Kastaroth wohl recht hatte, irgendwie, auf seine Weise… aus Gründen, die Ihr vermutlich erst verstehen werdet, wenn Ihr den Fall aufnehmt.
    Es ist soweit. Dir wird auf einmal ganz kalt, du siehst noch einmal grellstes Licht – und dann wird es dunkel. Mit Dir stirbt das Geheimnis von Haus Kastaroth.

    ~ Ende ~

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    „Hey, Ihr!“
    Der muskulöse Hüne stockt, richtet sich vollends auf, und dreht sich zu Dir um. Seine schwarze Maske trägt auch von vorne nicht gerade zu Deiner Beruhigung bei.
    „Was zum Henk… ich meine, was bei Beliar geht hier eigentlich vor sich? Was habt Ihr da in diesem Sack? Wo steckt Lord Folken Kastaroth? Habt Ihr ihn ermordet? Sprecht!“
    „Du bist früher hier, als wir erwarteten“, brummt der Muskelberg unter dem Stoff der Maske hervor. „Aber umso besser, dann muss ich hier nicht noch länger ausharren.“
    Er geht einen Schritt auf Dich zu. Reflexhaft zuckst Du zurück. Das bringt den Kerl zum Lachen.
    „Keine Sorge, ich tue dir nichts. Ich schätze, es ist vorbei.“
    Ungläubig blickst Du ihn an. Du weißt zwar nicht mehr genau, was Du ihn in Deinem plötzlich hervorgeschossenen Schwall aus Wörtern gefragt hast. Du kannst Dir aber jedenfalls nicht vorstellen, dass ihn das irgendwie beeindruckt haben könnte.
    „Es… es ist in der Tat vorbei“, sagst Du. „Einfach… vorbei.“
    Du stehst ein bisschen unschlüssig herum, die Fackel noch immer in Deinen Händen. Die entspannten Körperpartien und das aufrichtig klingende Lachen von vorher lassen den riesigen Mann vor Dir harmlos wirken. Du willst Dich davon aber nicht einlullen lassen, denn gerade solche Verhaltensmuster werden üblicherweise den größten Psychopathen zugeschrieben.
    „Willst du nicht schauen, was in dem Sack hier ist? Dafür bist du doch eigentlich hier, oder?“
    „Was… ich verstehe nicht.“
    „Nun komm, du willst doch so kurz vor dem Ziel nicht aufgeben, oder? Oder hast du doch zu viel Angst bekommen? Ich tue dir nichts, Ehrenwort. Ich gehe auch ein paar Schritte zur Seite.“
    Der Hüne hebt eine Hand, und Du kannst gerade so Deinen erneuten Reflex, zurückzuweichen, unterdrücken. Dann fährt er sich ins Gesicht und zieht sich mit einer langen Bewegung die Maske vom Haupt. Zum Vorschein kommt ein wettergegerbtes Gesicht eines dann doch eher älteren Herren, was der durchtrainierte bullige Körper nicht vermuten lassen konnte – und ein Goldzahngrinsen.
    „Was ist in dem Sack?“, fragst Du, während Du Dich langsam näherst.
    Der Mann lacht wieder. „Nun sieh doch schon selbst nach!“
    Du gehst ein wenig weiter an den Hünen und den Sack heran, zögerst dann noch ein wenig. Die treuherzigen Augen des Mannes wirken vertrauensvoll. Es sind aber nicht sie, die Dich schlussendlich doch davon überzeugen, Dich zum Sack herunterzubeugen. Vielmehr ist es die Überlegung, dass Du dem Kerl, wenn er Dir Böses will, so oder so nichts Wirksames entgegenzusetzen hast. Ob er Dich nun überrascht oder Dir im offenen Kampf begegnet – Du hast keine Chance. Hätte er Dich umbringen wollen, er hätte es schon längst getan. Und selbst wenn er Dich noch umbringen wollte, so würde er das so oder so tun. Nicht zuletzt ist es eine Art Neugier auf das Grauen, die Dich schließlich dazu treibt, den Sack zu öffnen.
    Zum Vorschein kommt das fahle Gesicht eines Mannes. Du erschrickst Dich, aber weniger, als Du befürchtet hast. Vermutlich hast Du im Vorhinein zu sehr damit gerechnet, in diesem Sack eine Leiche zu finden. Du erkennst den Mann sofort wieder.
    „Das ist…“
    „Lord Folken Kastaroth, ganz genau“, sagt der Hüne neben Dir mit zufriedenem Tonfall.
    „Lord Folken Kastaroth?“, fragst Du verwirrt. „Ich dachte, das sei… der Hausdiener.“
    Der Hüne lacht wieder. Spätestens jetzt hältst Du ihn tatsächlich für einen Psychopathen. „Das solltest du ja auch denken“, sagt er.
    Und dann erleidest Du den Schock deines Lebens.
    „Ich gratuliere!“, ruft der eigentlich tote Mann im Sack plötzlich und reißt seine Augen auf, mit denen er Dich förmlich anstrahlt.
    Du lässt einen viel zu hohen Schrei ertönen, während Du entsetzt zurückweichst. Der Hüne neben Dir quittiert dies wiederum mit einem weiteren Lachen. Im Nu hat sich der drahtige Mann aus dem Sack befreit, wenige Augenblicke steht er aufrecht vor Dir und streckt Dir seine Hand aus.
    „Gestatten: Lord Folken Kastaroth, in der Rolle des Hausdieners Iason. Habe die Ehre. Ihr habt Euch wirklich gut geschlagen. Und Ihr wart wirklich fix! Wir hatten sogar noch viel mehr für Euch geplant, aber letzten Endes hat uns einfach die Zeit dafür gefehlt. Wir haben den Zeitaufwand bei der ganzen Sache dann doch etwas unterschätzt.“
    „In… in der Rolle des Hausdieners? Ich… ich verstehe nicht.“
    Nun stimmt auch der alte Mann, der sich als Lord Folken Kastaroth vorgestellt hat, in das Lachen des Hünen ein. „Natürlich tut Ihr das nicht“, sagt er. „Deshalb habe ich mich auf diesen Moment ja auch schon so lange vorher gefreut!“
    Du ringst um Fassung. „Ihr seid Lord Kastaroth? Dann kam der Brief also von Euch? Aber Ihr seid ja gar nicht… also, ich meine…“
    „Natürlich bin ich nicht tot“, sagt der Herr und zieht nun endlich seine Hand wieder zurück, die zu ergreifen Du einfach nicht in der Lage warst. „Ach Mensch, jetzt tut Ihr mir ja fast schon leid, wie Ihr da so verwirrt herumsteht. Es war alles ein Spiel, wisst Ihr?“
    Mit jovialer Geste weist der Mann auf den Hünen neben Dir. „Darf ich vorstellen? Theo, in der Rolle des… nunja, Theo! Wir hielten es nicht für nötig, uns extra einen weiteren Namen auszudenken, wo dieser doch schon so gut passte. Er ist der Gärtner auf unserem Anwesen, aber als Henker macht er auch eine gute Figur, findet Ihr nicht? Ich war überrascht, wie gut er seine Rolle schon bei unseren Proben gespielt hat.“
    „Hatte mal vor Jahren etwas Schauspielunterricht, drüben in Geldern“, brummt der Hüne und grinst verlegen.
    „Und dann wären da noch die weiteren Rollen“, sagt der ältere Mann nun, packt Dich an der Schulter und dreht Dich zurück zum Ausgang, ohne dass Du in Deiner Überraschung groß etwas dagegen machen könntest. Während Du mit ihm und dem Hünen gesprochen hast, sind offenbar heimlich einige Personen in den Raum gekommen – und die Gesichter kommen Dir erstaunlich bekannt vor. Ein junges, ansehnliches Mädchen, eine alte, stark geschminkte Dame, und ein junger, dunkelhaariger Mann.
    Der Herr, der angibt, Lord Folken Kastaroth zu sein, deutet zuerst auf die alte Dame.
    „Mir ist es eine Freude, Euch mit ihr bekannt zu machen: Hildegard Kastaroth in der Rolle meiner angeblichen Schwester, Hildegard von Trautenstein! Von Trautenstein ist ihr Geburtsname, müsst Ihr wissen. Bis sie mich dann geheiratet hat.“
    Sie macht einen kleinen Knicks vor Dir und lächelt mit gekräuselten Mundwinkeln in sich hinein.
    „Auch… auch Schauspielunterricht?“, fragst Du verwirrt, mehr, um Deine Kinnlade am Herunterklappen zu hindern.
    „Nein“, sagt sie mit großem Ernst. „Ich habe mich gar nicht verstellt.“
    „Aha…“
    „Direkt daneben“, fährt der vermeintliche Lord mit großer Begeisterung fort, „Melanie! In der Rolle des Hausmädchens, welches wir wirklich sehr gerne hätten, uns aber nun wirklich nicht leisten können.“
    Sie zwinkert Dir zu und macht einen Knicks, der Dir auf Anhieb viel besser gefällt, als der Knicks der alten Dame zuvor. „Und bevor du fragst: Ja, auch Schauspielschule!“, sagt sie dann noch mit heller Stimme.
    „Und außerdem die Cousine des letzten hier im Bunde“, fügt der Lord hinzu und deutet auf den jungen Mann mit den dunklen Haaren. „Aber den“, sagt er nun mit etwas gedämpftem Tonfall, „den könntet Ihr vielleicht sogar selbst erkennen.“
    Du trittst etwas näher an den Mann heran. Er ist in etwa in Deinem Alter. Zudem glaubst Du, irgendetwas an seinem Lächeln wiederzuerkennen.
    „Na, Kumpel?“, fragt er Dich herausfordernd, mit nun breitestem Grinsen. „Wie damals bei der Schnitzeljagd der Vengarder Jugend. Klingelt’s?“
    Du brauchst noch einen Moment, aber dann klingelt es wirklich.
    „Rifas… ja kann das denn sein? Rifas, bist du das?“
    „Und auch das Geheimnis hat er gelöst, das ist ja großartig!“, ruft der Lord hinter Dir nun, so laut, dass es durch den ganzen Raum schallt. „Rifas, in der Rolle nicht nur des – in Wahrheit leider nicht existierenden – Faris Kastaroth, sondern auch des Planers vom Ganzen!“
    „Rifas… was geht hier vor? Was hat das zu bedeuten?“
    Du gehst ein paar Schritte auf ihn zu, spürst langsam Wut in Dir hochsteigen, denn Du kommst Dir gewaltig veralbert vor.
    „Ruhig Blut, alter Kumpel! Bin ja fast erstaunt, dass Du mich doch noch wiedererkannt hast. Hast aber ganz schön gebraucht, was?“
    „Ja, du warst mal… dicker. Und bärtiger.“
    Rifas lacht zufrieden. „Abgenommen hatte ich schon vorher, so ist es nicht. Aber es war natürlich ideal. Ich dachte, wenn ich mir jetzt noch den Vollbart abrasiere, dann erkennt er mich im Leben nicht wieder. Hat ja offenbar geklappt, zumindest für eine gewisse Zeit. Aber im Werwolfskostüm hättest Du mich garantiert nicht erkannt, was?“
    „Rifas, wenn du mir nicht sofort eine Erklärung…“
    „Schon gut, schon gut“, sagt der junge Mann und macht eine aufrichtige Geste. „Das bin ich dir wirklich schuldig. Also…“
    Er holt einmal tief Luft.
    „Wie du ja vielleicht weißt, habe ich da diesen Posten bei der Armee.“
    Du nickst. „Das weiß ich vor allem wegen der ganzen Briefe, in denen du mir davon erzählt hast. Kasernist in der Friedenszeit, dann auch noch auf gehobenem Posten. Ruhige Kugel bis ans Lebensende bei stattlichem Lohn. Ich fand das alles ja immer ziemlich angeberisch, deswegen habe ich dir irgendwann auch nicht mehr geantwortet.“
    „Dafür hast du dir das alles aber ziemlich gut gemerkt“, lacht Rifas. „Ja, es stimmt. Und wie das so ist, wenn man jede Menge Geld und jede Menge Langeweile hat…“
    „…was ich ja leider nicht beurteilen kann“, ätzt Du dazwischen. Rifas fährt seinen Tonfall etwas herunter, offenbar will er Dich wirklich nicht weiter kränken.
    „Ich hatte zufällig von dieser Grafschaft und dem Anwesen hier erfahren, weil ich ständig diese langweiligen und echt komplett ereignislosen Manöver auf den Ebenen von Siegin hatte. Da habe ich unseren Hausherrn hier irgendwann einfach mal besucht, um so zu schauen, was er für ein Mensch ist.“
    Der ältere Herr winkt Dir zu, als hättet Ihr Euch gerade erst zum ersten Mal gesehen.
    „Dann seid Ihr also wirklich Lord Folken Kastaroth?“
    „So wahr ich hier stehe“, antwortet der Herr, und nimmt nun noch mehr Haltung an, als er schon zuvor hatte. „Ich traf mich mit Eurem alten Freund Rifas immer wieder mal, und wir kamen ins Plaudern, wurden fast so etwas wie Freunde, wenn ich das so sagen darf. Und sprachen über dies und das. Und kamen so irgendwann auf meine Vorliebe für gewisse Geschichten. Geschichten, in denen es darum geht, das Geschehen irgendwie selbst mitzuerleben, sogar in die Hand zu nehmen. Entscheidungsgeschichten, könnte man sagen.“
    „Im speziellen Detektivgeschichten, um genau zu sein“, ergänzt Rifas. „Denn eine solche, so klagte mir Lord Folken ohne besondere Hintergedanken, die habe er noch nie so richtig gelesen. Und beim Wort Detektiv, da fielst mir natürlich sofort du ein.“
    „Und so kamen wir noch weiter ins Plaudern“, nimmt Lord Kastaroth den Faden wieder auf. „Er erzählte mir von Euch, von Eurer, mit Verlaub, Erfolglosigkeit, die Rifas, so viel darf ich wohl sagen, irgendwie für unverdient hielt. Und schließlich schmiedete er, zuerst mehr aus Jux, den Plan.“
    „Den Plan, eine solche Entscheidungsgeschichte mit Dir zu schreiben“, fällt Rifas wieder ein. „Nicht nur zu schreiben, sondern zu inszenieren. Den Tod des Lord Kastaroth vorzutäuschen, und Dich Dein Glück bei den Ermittlungen versuchen zu lassen. Dich vor Entscheidungen zu stellen, die jeweils Dein Fortkommen, oder das Aus des Spiels bedeuten können. Natürlich, ohne Dich jemals wirklich zu gefährden. Ein Spiel eben. Vielleicht noch nicht ganz ausgereift – aber bis zum Ende bist Du ja gekommen!
    „Ein Schauspiel, könnte man sagen“, fährt Lord Kastaroth fort. „Und auch da kam wieder eins zum anderen. Schauspielerisches Talent, das war in Grundzügen vorhanden. Und der Wille meinerseits, mich mal von den täglichen Zwängen der Verwaltung dieses Anwesens zu befreien, ebenso. Und dann wurde aus dem Jux nach und nach Ernst.“
    „Als erstes hatte ich mir dieses Werwolfskostüm besorgt“, sagt Rifas. „Aber das war uns nicht genug. Und so haben wir immer mehr Leute eingespannt – wie du hier siehst. Bis hin zu Ronald.“
    „Ronald hat auch mitgemacht?“
    „Er hat sich bereiterklärt, den entscheidenden Brief persönlich bei dir vorbei zu bringen. Er wusste alles. Naja, nicht im Detail. Aber er wusste, dass wir dieses Spiel mit dir vorhaben.“
    Du ballst unwillkürlich die Fäuste. „Ein wirklich tolles Spiel“, grummelst Du.
    „Hey, du hast es immerhin gewonnen“, sagt Rifas, offenbar ernstlich bemüht, Dich aufzuheitern. „Im Übrigen war das Ganze nicht nur auf dem Mist gewachsen, dass wir uns prächtig amüsieren können.“
    „Sondern?“, fragst Du skeptisch.
    „Sondern auch, um Eurem Selbstvertrauen etwas auf die Sprünge zu helfen“, übernimmt Lord Folken Kastaroth nun wieder das Wort. „Seht Ihr, Rifas ist nicht ins Detail gegangen, aber er hat schon hinreichend angedeutet, dass Eure aktuelle Lebenssituation eher Anlass zu Trübsinn als zu Lebenslust ist. Da dachten wir, so ein kleines Spiel, um Euch zu beweisen, dass Ihr sicherlich als Detektiv taugt, das wäre doch etwas. Und in aller Bescheidenheit müssen wir feststellen: Auch das hat voll hingehauen.“
    „Meint Ihr also, ja?“, gibst Du Dich immer noch grummelig, obwohl Du nicht umhin kommst, Dich bei den Worten des Lords wieder etwas zu entspannen.
    „Absolut, ja. Ihr könnt mir glauben, im Laufe meiner Stellung, zumindest als sie noch nicht darin bestand, mich beständig mit finanziellen Problemen auseinanderzusetzen, habe ich viele Leute kennengelernt, darunter auch einige Detektive. Ich mag selbst ein Freund des Wortes sein, aber das waren alles ausgewachsene Schwätzer. Kein Funken kriminalistischer Spürsinn vorhanden. Ihr habt gezeigt, dass Ihr aus ganz anderem Holz geschnitzt seid. Genug andere Detektive wären der Sache nicht einmal ansatzweise gewachsen gewesen. Selbst, wenn Ihr nicht ausschließlich mit Spürsinn geglänzt habt: Ihr habt hierhin gefunden, Ihr habt den Zugang zu diesem Keller gefunden.“ Lord Kastaroth macht eine kurze Sprechpause. „Zumindest einen von vielen“, fügt er dann zwinkernd hinzu.
    Du schweigst eine ganze Weile. Die aufgeregte Stimmung kühlt sich etwas ab, aber das tut Dir nur gut. Es gibt Dir Gelegenheit, die Erleichterung zu spüren, die sich zunächst unbemerkt in Dir breit gemacht hat. Alles nur ein Spiel. Alles. Kein besonders tolles. Aber Du hast gewonnen.
    „Und ich hab gewonnen…“, murmelst Du Deine Gedanken nochmal.
    „Aber wie!“, ruft Rifas begeistert aus.
    „Und was ist mein Gewinn?“, fragst Du dann nach einer weiteren kurzen Pause.
    „Nun“, sagt Lord Kastaroth bedächtig. „Man könnte sagen, der Gewinn ist das, was Ihr wollt.“
    Du schüttelst den Kopf, lässt Deinen Blick zu Lord Kastaroth, und dann wieder über die Runde hinter Dir schweifen. Du bleibst dabei etwas zu lange beim vermeintlichen Hausmädchen Melanie hängen – und das nicht auf Höhe ihres Gesichts.
    „Oh nein“, sagt sie in einem empörten Tonfall, der Dir nicht ganz gespielt erscheint. „Ganz sicher nicht. Die Frau als Belohnung für die Heldentaten des Mannes. Das hättest du wohl gerne, was? Ha! Nicht mit mir, Freundchen. Nicht mit mir. Und schon gar nicht mit dir.“
    Du spürst, wie Du schamesrot wirst, willst zu einer Erklärung ansetzen, aber sie geht im milden Gelächter der umstehenden Runde unter. Lord Folken Kastaroth räuspert sich.
    „Was ich damit eigentlich meinte: Ihr habt Euch selbst bewiesen, dass Ihr kein schlechter Detektiv seid. Und das ist doch sicher etwas, was Ihr wolltet, oder?“
    Du nickst, sehr langsam, bedächtig, weil Du im Moment gar nicht so genau weißt, was Du willst, wolltest, oder mal wollen wirst. „Scheint so, ja“, fügst Du noch leise hinzu, und hast auf einmal das Bedürfnis, Dich zu setzen. Weil kein Stuhl in der Nähe ist, begnügst Du Dich damit, unsicher durch die Gegend zu schauen. Du spürst dabei die Blicke der anderen. Offenbar erwarten sie noch ein paar abschließende Worte.
    „Ich… ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, beginnst Du unsicher. „Ich weiß ja nicht einmal, ob ich sauer sein soll. Ich glaube… ich bin es nicht. Nicht viel, zumindest. Ich muss das Ganze wirklich erst einmal sacken lassen. Aber eins kann ich schon sagen: Irgendwie spektakulär war das schon, auch wenn es sich für mich nicht so gut angefühlt hat. Sage ich mal so. Und so richtig ermitteln konnte ich ja auch nicht. Einige Sachen kommen mir noch so seltsam vor, da müsstet ihr mir mal erklären, wie ihr das gemacht habt. Wie gewisse Sachen zusammenpassen, meine ich. Ach, ich weiß auch nicht. Ich bin verwirrt.“ Du schließt Deine Rede mit einem leicht nervösen Lachen, und kommst Dir dabei so doof vor wie schon seit Jahren nicht mehr. In den Blicken der anderen erkennst Du jedoch Wohlwollen.
    „Das ist ja nur verständlich!“, sagt Lord Folken Kastaroth aufmunternd. „Ich denke, Ihr habt zunächst einmal eine Mütze Schlaf nötig. Oder vorher vielleicht noch ein Abendmahl? Ihr seid selbstverständlich mein Gast. Und dieses Mal richtig, ganz ohne Spielchen.“
    Du atmest tief ein. Du fühlst Dich schon irgendwie müde. Aber Du bist auch hungrig. Normalerweise hättest Du jetzt eine Entscheidung treffen müssen, wie es weitergehen soll. Aber Du hast das Gefühl, dass damit jetzt wirklich Schluss ist.
    „Naja, vielleicht… beides?“
    „Essen ans Bett?“, fragt Lord Kastaroth grinsend und entblößt dabei spitze Eckzähne. „Wird für Euch gemacht!“
    „Danke“, murmelst Du, ohne zu wissen, wie ernst der Lord seine Worte gemeint hat.
    „Dann ist das Spiel jetzt wohl zu Ende“, sagt Lord Folken Kastaroth dann, mit etwas mehr Feierlichkeit in der Stimme. „Aber eines, eines würde mich noch interessieren.“
    „Ja?“
    „Wer von uns war denn nun der Mörder?“
    Geändert von John Irenicus (05.11.2016 um 22:05 Uhr)

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