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Die Faust des Schlägers traf den Soldaten unvorbereitet, ja völlig überraschend. Er konnte gerade so dem geschwungenen Knüppel eines anderen Halsabschneiders ausweichen, ehe sich zwei unbewaffnete, jedoch nicht minder gefährliche Schläger auf ihn stürzten und mit ihren Fäusten wie Felsbrocken traktierten. Isegrims Lippe platzte auf, aus der Nase floss Blut und ein Hieb, ungezielt und ungeschlacht, traf ihn auf dem Auge, sorgte alsbald für ein blühendes Veilchen.
"Es reicht, es reicht, bei Innos", unterbrach eine schnarrende Stimme das bunte Treiben. Grim wollte schon ein sarkastisches Dankeswort sprechen, als der Retter in sein Blickfeld trat. Der Würfelspieler vom Vorabend. Innerlich fluchte Isegrim, während er sich mit dem Handrücken über den Mund fuhr, Blut und Speichel verteilte. Einer der tumben Schläger sah die Bewegung als Grund, einen Tritt zu landen, wurde jedoch von dem erneuten Ton der Stimme des Mannes abgehalten. "Tritt ihn, Idiot, und du bist Futter für die Krautsüchtigen, kapiert?" Er trat an den Mann heran, der zwar zwei Köpfe größer und dreimal so breit war, jedoch unter den schwarzen Augen des Spielers schrumpfte. "Verstanden? Ich stopfe dich mit rotem Kraut voll und hänge dich im Armenviertel auf, dann bleibt nichts mehr übrig." Er stieß dem Schläger den Gehstock in die Magengegend. "Nichts!"
Dann wandte er sich um, sah zu Isegrim, der sich in eine bequemere Sitzposition aufrichtete. "Sieh an, sieh an", sprach er, "Der Soldat. Der Glücklose. Innos, den ganzen Sold verspielt? Pech oder Blödheit? Na, wohl beides." Der Mann schüttelte den Kopf. "Du schuldest mir Gold. Viel Gold."
Isegrim lachte verbittert auf. "So viel habe ich gar nicht verspielt", murmelte er.
"Nicht? Nein, hast du wohl nicht. Aber du warst arrogant, großkotzig wie der König selbst, hast auf die Kosten von mir und meinen Freunden getrunken, kein Dankeswort von dir gegeben und mich am Ende noch einen Falschspieler genannt." Das metallbeschlagene Ende des Gehstocks knallte auf Isegrims rechten Arm, dass er aufstöhnte und eine Verwünschung fluchte. "Ich habe Ehre, du Hund. Mehr als du und deine dreckigen nordmarischen Artgenossen. Du hast einen Monat, Soldat. Dann hast du ... eintausend Münzen. Dann sollte mein Ehre wiederhergestellt sein, mein Ruf wieder gut ... und dein Leben gerettet sein."
Nun lachte Grim wirklich auf. "Und wie soll ich das bewerkstelligen? Ich kriege nicht viel Sold, habe keine reichen Verwandten ..."
"Ist mir einerlei", der Mann machte eine Geste, die Schläger zogen sich zurück, "Ein Mond. Dann hast du das Gold oder schwimmst mit aufgeschlitzter Kehle im Hafenbecken. Ich werde dich zu gegebener Zeit finden. Flucht oder die Wache ... oh, oh ... mein Einfluss ist weitreichend, ich bin aus gutem Hause. Du kannst nur verlieren, Soldat. Wenn du dich mit mir messen willst, kannst du nur den Kürzeren ziehen."
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Das Händler- und Handwerkerviertel
"Das kann doch kein Zufall sein..." sagte Adalbert, als er beim Verlassen des Anwesens ernüchternd feststellte, dass es wieder einmal regnete. Dem Kammerdiener des Grafen war aufgetragen worden, umgehend einen wichtigen Botengang zu erledigen. So lief er also mitten in der Nacht zielstrebig vom Reichenviertel ausgehend zum Händler- und Handwerkerviertel. Dort wohnte und arbeitete Rorik, ein überaus erfolgreicher Jäger von Thorniara. Doch auch wenn der Aufstand im Armen- und im Hafenviertel die Wertschätzung für fähige Jäger erhöhte, so konnten die im Umgang mit dem Bogen geschulten Männer und Frauen nicht genügend Fleisch liefern. Noch immer streiften Echsenmenschen durch die Wälder von Argaan und scheuchten allerhand Wild auf. Es war für einen geübten Jäger zwar immer noch möglich, Rehe und Wildschweine aufzuspüren und zu erlegen. Doch die Jagd nahm immer mehr Zeit in Anspruch. Zeit, die die Männer und Frauen vor Allem dafür aufwenden mussten, um Echsenmenschen zu umgehen.
Die Straßen waren in der verregneten Nacht weitestgehend leer. Gelegentlich konnte man betrunkene Besucher der hiesigen Taverne erblicken, die mehr schwankend als gehend nach Hause liefen. Je weiter man sich vom Reichenviertel entfernte und sich stattdessen dem Hafenviertel näherte, desto mehr Soldaten waren zu sehen. Noch immer hatten sie die Zugänge abgesperrt. Noch immer warteten sie auf Einsatzbefehle des Ordens, auf eine Beendigung des Aufstandes und darauf, endlich eine wohlverdiente Pause einlegen zu können.
Viele Fackeln waren in Folge des Regens bereits erloschen und die wenigen, die die Soldaten vor der Nässe schützen konnten, reichten nicht aus, um sich in der Stadt vernünftig orientieren zu können. Es dauerte eine ganze Weile länger, um das bereits in die Jahre gekommene Haus des Jägers zu finden. Etwas unsicher klopfte der Kammerdiener an der Tür. Es war ihm unangenehm, zu solch später Stunde stören zu müssen. Er war sich sicher, dass der Jäger bereits tief und fest schlafen würde. Einige Momente später öffnete Rorik die Tür. Er blickte verschlafen in Adalberts Gesicht und fragte: "Herrje... was weckt Ihr mich mitten in der Nacht!?" Der Kammerdiener schaute sich um, konnte jedoch keine Personen auf der Straße entdecken. Aus der rechten Tasche seines Gewands zog Adalbert ein zusammengerolltes und versiegeltes Pergament hervor, zeigte es dem Jäger und erwiderte: "Ich komme im Auftrag des Grafen. Dieses Dokument muss unverzüglich zum Übergabepunkt gebracht werden." Ungläubig schaute Rorik auf das kleine, unscheinbare Pergament. Er rieb sich die Augen und sagte: "Es ist mitten in der Nacht! Wisst Ihr, wie gefährlich es da draußen ist!? Das kann doch gewiss bis morgen warten..." Adalbert drückte dem Jäger das Pergament in die Hand. "Der Graf verlangt, dass dieses Dokument unverzüglich zum Übergabepunkt gebracht wird. Ihr werdet sofort aufbrechen! Sofort!"
"Verflucht sei Euer Graf... ja ja ja, ich gehe ja schon. Lasst mich wenigstens meine Hose anziehen. Bei Innos', Ihr seid ja schlimmer, als mein Weib." erwiderte Rorik, als er wenig später und völlig genervt die Tür zuwarf. Adalbert hingegen nickte zufrieden. Er hatte die Aufgabe erledigt, die er mitten in der Nacht erhalten hatte. Nun lag es an Rorik, das kleine Pergament sicher zum Übergabepunkt zu bringen.
Maximus
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"Der Herr ist indisponiert."
"Mir ist einerlei, was er ist. Er verleiht, ich möchte leihen. Die Grundlage eines Geschäfts. Also sorgt dafür, dass es zustande kommt. Ich kann mir nicht denken, dass dein Herr sich das entgehen lassen will."
Der breitschultrige Mann trat vor, versetzte dem Bittsteller einen kräftigen Stoß auf die Brust, der die Luft aus den Lungen trieb und den Hintern in den Dreck warf. Isegrim funkelte den Schläger an, spielte einen kurzen Augenblick damit, ihm ein Messer ins Knie zu rammen, besann sich aber eines besseren. Der Haufdrauf hingegen überraschte den Soldaten. Er seufzte, streckte die Hand aus. Isegrim musterte sie einen Moment misstrauisch, dann griff er zu und ließ sich hoch helfen.
"Es geht manchmal mit mir durch", entschuldigte er sich, "Aber hab mal meine Statur, Kraft und Visage! Wen interessiert, dass dahinter das Genie eines Gelehrten, das Gemüt eines Dichters und Denkers schlummert. Niemanden. Da kann ich nur den Helfershelfer eines zweitklassigen Händlers und erstklassigen Kriminellen mimen."
Ein Seufzer, Kopfschütteln. Irgendwie überkam Isegrim schlechtes Gewissen. "Na, halb so wild. Ich weiß eh nicht, was ich mir gedacht habe ..."
Der Schläger nickte langsam. "Der Herr ist ein miserabler Halsabschneider", erklärte er, "Überhohe Zinsen, minimale Zeiträume, um das Geld zurückzuzahlen. Du willst Schulden abbezahlen und machst anderenorts welche. Ein Beliarskreis!"
Zum ersten Mal seit Ewigkeiten ließ der Soldat ernsthaft die Schultern hängen und sah zur Zitadelle hin. Der Hüne folgte seinem Blick.
"Du bist Soldat", schloss er verflucht schnell.
"Ja."
"Und hast hohe, hm, lass mich raten, Spielschulden?", folgte er der Spur weiter.
"Ja, verflucht."
Der Mann nickte. "Bitter. Steht sicherlich deiner Beförderung im Weg, nicht?"
Isegrim lachte bitter auf. "Iwo", murmelte er, "mehr oder minder frisch befördert."
Nun lachte der Schläger. "Und prompt den ersten Sold verzockt. Ein Klassiker, behaupte ich. Aber das Problem bleibt bestehen ... wobei es eine Lösung gibt. Betrachte doch einmal die besondere Stellung, die dir als, hm, Milizsoldat, ja? Nun, die dir als Milizsoldat des Ordens zusteht. Du kannst befehlen, die Bürger müssen deinen Weisungen folgen. Verstehst du, worauf ich hinaus will?", fragte er langsam.
"Befugnisse ausnutzen?"
"Jetzt tu nicht so empört, Soldat. Wenn du solch einen Diensteifer besitzen würdest, wärst du nicht in dieser Lage."
"Stimmt wohl. Gibt es denn ... Götter, kennst du einen Hehler? Händler für, nennen wir sie beschlagnahmte Ware?"
Der Schläger grinste verschwörerisch. "Natürlich kenne ich einen. Ich erkläre dir, wo du ihn findest."
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Zitadelle
"Innos zum Gruße, mein Kind. In Ordnung, ich folge dir gern!"
Leichthin hatte der Greis das Angebot Marys angenommen und ließ sich von ihr zum Gemach der obersten Feuermagierin führen, wenngleich er den Weg freilich ohnehin kannte. Diese Einladung war überraschend gekommen, aber keineswegs unwillkommen. Schließlich hatte Vicktar ohnehin mit der Obersten seines Ordens sprechen wollen, nachdem er nun wieder zurückgekehrt war - zu viele Dinge in dieser Stadt verliefen nicht recht, wie es sein sollte, und er wollte wissen, ob Françoise ihm einen bestimmten Part in der Bewältigung der Probleme zugedachte, oder ob er seinen Teil nach eigenem Gutdünken beitragen sollte.
Innos hatte einen Teil seines Gebetes offenbar recht schnell erhört, wenn er dieses Gespräch so schnell geschehen ließ, dass er sogar gerufen wurde. Vicktar wünschte sich nur, dass der Rest seiner Gebete genauso schnell in Erfüllung gehen mochte. Dann würden den guten Menschen Thorniaras friedliche und fruchtbare Zeiten bevorstehen.
Sie erreichten die Zitadelle, und auf dem Weg hinauf über die steinernen Treppen stellte Vicktar wieder einmal fest, dass das Alter doch nicht völlig spurlos an ihm vorüber ging, wenngleich andere in seinem Alter schon wesentlich gebrechlicher sein mochten.
"Ein klein wenig langsamer, bitte. Meine Knie bereiten mir seit kurzem einige Probleme."
Leise lachte er über sein eigenes Klagen - Schwäche, die konnte man sich dieser Tage nicht erlauben, wenn man für die gerechte Sache stritt. Sie mussten unverrückbar für das Gute einstehen und dabei tun, was getan werden musste. Es war nicht die Zeit des Zauderns, wenn man nicht untergehen wollte.
Vicktar blieb kurz stehen, straffte sich und atmete zweimal tief durch, bevor er den Schmerz ausblendend weiter ging.
"Hat die Herrin denn gesagt, in welcher Angelegenheit sie mich sprechen möchte?"
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Als der Feuermagier sich über Schmerzen im Knie beklagte, hielt Mary kurz an und wartete. Vicktar war ein alter Mann und längst nicht in der körperlichen Verfassung wie beispielsweise Françoise. Die oberste Feuermagierin flog die Treppen immer geradezu hinauf, ohne ein Zeichen der Anstrengung dabei zu zeigen. So gesehen war es der Novizin ganz recht, wenn Vicktar etwas länger brauchte. Auf diese Weise käme sie zumindest nicht völlig aus der Puste oben an.
Dann ging es weiter und Vicktar fragte, weshalb er vor die Priesterin zitiert wurde. Tatsächliche wusste Mary die Antwort auf diese Frage auch nicht. Als Françoise ihre Meisterschülerin losgeschickt hatte, beschlich Mary ein ungutes Gefühl. Die oberste Feuermagierin ließ sich nicht in die Karten gucken, wenn sie es nicht wollte. Inzwischen kannte Mary sie aber gut genug, um zu erkennen, wenn ihre Mentorin ungehalten über etwas war. Nun, es war nur ein Bauchgefühl und deshalb entschied sich die Novizin dafür, es dem Feuermagier nicht zu erzählen.
»Tut mir Leid, das weiß ich nicht. Sie sagte nur, dass sie dich umgehend sehen möchte.«, erwiderte die Novizin auf die Frage. Bald danach erreichten sie bereits die Tür der obersten Feuermagierin. Davor stand Samuel und hielt Wache. Mary lächelte und winkte dem Paladin zu.
»Schon zurück? Das ging schnell. Innos zum Gruß, Magier.«
»Ist sie noch da?«
»Ja, geh gleich rein.«
Mary klopfte an die schwere Tür und von innen kam ein klares 'Herein'.
»Meisterin. Ich habe Vicktar mitgebracht.«
»Danke Mary. Schick ihn bitte herein.«
Die Novizin nickte dem Feuermagier neben sich kurz zu und machte ihm dann Platz, um eintreten zu können. Als er die Tür hinter sich schloss, konnte Mary noch hören wie Françoise den alten Mann begrüßte.
»Magie zu Ehren, Vicktar. Es ist schön, dich wieder unter uns zu wissen.«
Dann fiel die Tür ins Schloss und lediglich ein dumpfes Murmeln war zu vernehmen. Die Novizin blickte zu Samuel und lächelte wieder.
»Ich muss jetzt die Lämmer füttern.«
»Bis später und lass dich nicht beißen.«
Françoise
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Sterne tanzten vor Redlefs Augen, während er verzweifelt versuchte Luft in seine brennenden Lungen zu ziehen. Doch seine Bemühungen waren vergeblich. Die Klauen des Dämon schlossen sich unnachgiebig fester um seinen Hals. Seine Finger glitten wirkungslos an der groben, schuppigen Haut des Ungeheuers ab und er hatte keine Chance sich aus dem Griff zu befreien.
Der Luftmangel ließ sein Herz rasen, doch gleichzeitig fiel es ihm zunehmend schwerer sich auf das Geschehende zu konzentrieren. Die Kämpfer um sich herum nahm er nur noch als verschwommene Schatten, unter all den tanzenden Lichtern vor seinen Augen war. Das Gebrüll der Männer wurde von dem Rauschen in seinen Ohren übertönt und nun erstarben auch langsam seine verzweifelten Versuche der Gegenwehr. Seine Entschlossenheit heute hier nicht in den Klauen eines Dämons zu sterben wurde ersetzt von Erinnerungen an seine Kindheit. Das Lächeln seiner lieben Mutter und das Raufen im Stroh der Ställe mit seinem Bruder zu einer Zeit, als jeder Tag noch von Glück und Leichtigkeit erfüllt war.
Kraftlos ließ er seine Arme hinabsinken. Ein heller Schein zog an ihm vorbei. War dies nun der Einzug in die Anderswelt. Sollte Innos ihn nun zu sich gerufen haben?
Ein schwaches Lächeln erschien auf seinen bläulichen Lippen, dann löste sich der Druck um seinen Hals. Reflexartig sogen seine Lungen die nun wieder zur Verfügung stehende Luft ein. Der Schmerz kehrte mit einer unerwarteten Heftigkeit zurück, doch um selben Moment schlug sein Körper in die zähe Brühe der Kanalisation. Sein Rücken schlug auf den Grund des Kanals und das stinkende Wasser brach über seinem Gesicht zusammen.
Wieder Dunkelheit.
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Kajetan Rabenweil, Kanalisation, unter dem Reichenviertel
Als die Fackel auf Rabenweils Schoß viel brüllte er auf vor entsetzten und Zorn und versuchte das Pergament in seinen Händen vor dem verzehrenden Feuer zu retten. Die Schulter, in der immer noch der Bolzen steckte protestierte vor Schmerz, doch es war ihm egal. Er wusste, dass die Konsequenzen, die ihn ereilten, wenn die Schriftrolle zerstört wurde weitaus schlimmer waren als alles, was ihm die Soldaten oder Priester Innos‘ je antuen konnten.
Er hatte einen Dämon gewaltsam aus der Sphäre Belias gerissen und ihn gegen seinen Willen unter seine Kontrolle gebracht. Er beherrschte den Willen dieser Kreatur, und wenn er seine Beherrschung über das Monster verlor würde es bestenfalls einfach wieder verschwinden und ihn schutzlos seinen Häschen überlassen.
Doch heute war einfach nicht einer von diesen guten Tagen….
Die Flammen ergriffen die Schriftrolle und zerstörten sie augenblicklich. Der ohrenbetäubende Aufschrei des Dämons donnerte durch den engen Schacht. Die steinernen Wände verstärkten die Kraft des Gebrülls noch.
Die Kreatur ließ seine Beute fallen und wandte sich mit zornesverzerrter Fratze seinem Beschwörer zu. Kajetan riss voll Schrecken die Augen auf. Der Dämon hatte sein Ziel fixiert und Nichts und Niemand konnte ihn nun davon abhalten seine Rache zu verüben.
Er ignorierte die schwelenden Stellen auf seiner Robe, griff nach seinem Hausdiener und warf ihn in die Arme des heranstürmenden Dämons. Der gellende, ängstliche Schrei des Jungen erfüllte erneut den gesamten Schacht, als der Dämon über ihn herfiel. Doch sein Opfer ermöglichte es Rabenweil eine weitere Schriftrolle aus seinem Mantel hervor zu suchen um das Wesen aus dem Reich seines Herren wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Dann gäbe es keine Gnade mehr. Dieser Ansatz war von Anfang an ein Fehler gewesen. Er hätte diesen Hauptmann vor den Augen seiner Kameraden von dem Dämon zerreißen lassen sollen. Er hätte es besser wissen müssen. Die Myrtaner verstanden das Prinzip der Gnade nicht. Sie waren so viele, das Leben des Einzelnen zählte da nichts. Jeder war ersetzbar! Sie kannten nicht die Herausforderungen der Wüste, wo es auf jeden in der Karawane ankam, auch wenn man ihn vielleicht nicht mochte. Hier in den Reihen des Ordens zählten nur der Mut und die Ehre des Einzelnen. Und der Kerl, der ihm am nächsten war, der das Leben seines Landsmannes auf‘s Spiel gesetzt hatte, als er die Fackel warf, hatte wahrscheinlich einzig und allein in diesem Kamp sein Schwert gezogen, um irgendjemandem zu beweisen, was für ein furchtloser Kämpfer er war.
Er und seine Soldaten sollten hier in all ihrer Furchtlosigkeit in der Scheiße sterben!
Redlef
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Zitadelle
Endlich erreichten sie das richtige Stockwerk und Vicktar fragte sich, ob seine jüngsten Abenteuer ihn nicht etwas zu viel an körperlicher Substanz gekostet hatten. Andererseits war es nicht die beste Zeit, um sich mit einem Wein und einem fetten Braten gemütlich zurückzulehnen und den Tag im Bett zu verbringen, um wieder Kräfte zu sammeln - ganz davon abgesehen, dass das ohnehin nicht der Stil des Feuermagiers war.
Mary lieferte ihn dienstbeflissen in der Kammer der obersten Feuermagierin ab und ließ die beiden dann allein.
"Magie zu Ehren, Vicktar. Es ist schön, dich wieder unter uns zu wissen," begrüßte Françoise ihn in einer Art, die keinen Aufschluss darüber zuließ, ob dieser Besuch erfreulicher oder unerfreulicher Natur sein würde. Vermutlich weder das Eine, noch das Andere, beschloss der Alte. Es war eine Zeit des Handelns, und die Notwendigkeit für Taten war weder gut noch schlecht, sie war ein natürlicher Bestandteil ihrer Existenz. Dies war sicher eine Zuweisung von Aufgaben, was sollte es sonst sein?
"Innos mit Euch, Herrin", erwiderte Vicktar die Begrüßung mit außerordentlicher Höflichkeit, so wie er es gegenüber der Obersten seines Ordens auch nun noch für angemessen hielt, da er selbst die Robe der Magier trug.
"Es freut mich auch, wieder hier zu sein, nachdem man mich auf meine unfreiwillige Irrfahrt gen Festland geschickt hat. Leider hat es Mühen und Zeit gekostet, bis ich den Weg zurück gefunden habe, doch ich bin nun umso entschlossener, meinen Teil für die Belange des Ordens zu leisten."
Seine bis dahin feierliche Miene wurde ernster.
"Doch ich war erstaunt, als ich den Zustand der Stadt vor allem im Hafen erblickte. Es scheint, als hätte sich in dem Jahr, das ich fort war, nichts geändert und die Krise sei immer noch so gegenwärtig wie damals. Drücken Hunger und die Gefahr durch den Drachen und seine Schergen den Leuten immer noch so aufs Gemüt wie damals?", fragte er frei heraus. Wie sollte er auch wissen, dass sich in diesem Jahr etwas anderes als diese Begleitumstände als das eigentliche Übel in der Stadt erwiesen hatte und der Drache längst nicht mehr war?
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Nachdem der Feuermagier eingetreten war, deute Françoise ihm an sich auf den Stuhl vor ihrem leicht erhöht stehenden Sessel zu setzen. Der alte Mann schien noch älter geworden zu sein. Was für sich genommen nichts verwunderliches war. Doch auf Françoise machte er den Eindruck, als hätte die Reise an seiner Substanz gezehrt. Womöglich lag es auch einfach an den Treppen.
»Wie ich sehe bist du nach deiner Heimkehr noch nicht wieder vertraut mit der Lage der Stadt.«
Die Priesterin lehnte sich auf ihrem hohen Sessel zurück. Ihr wurde bewusst, wie viel in diesem vergangenen Jahrgeschehen war. Natürlich hatte sie die Geschehnisse alle miterlebt, doch stolperten sie von einer Katastrophe in die nächste. Dabei blieb keine Zeit, sich wahrhaftig mit den einzelnen Vorfällen auseinanderzusetzen.
»Nun, die Stadt befindet sich nach wie vor in Gefahr. In einer neuen Gefahr. Es wundert mich, dass dir das nicht bekannt ist. Alle Seefahrer und Händler wissen davon und meiden Thorniara. Was nur zur Verschlimmerung der Lage führt. Jedenfalls hat ein Schwarzmagier es geschafft, magisch verderbtes Sumpfkraut unter unserer Bevölkerung zu verteilen. Am schlimmsten betroffen davon ist das Hafenviertel. Dass du ohne Probleme bis zum Stadtkern vordringen konntest, grenzt an ein Wunder. Ein Feuermagier muss aber mehr Weitsicht besitzen, Vicktar. Die betroffenen Bürger verhalten sich nämlich unberechenbar und hätten sie dich entdeckt hätte das ein grausiges Ende nehmen können. Zumindest ist es gut, dass du wieder da bist. Wir können jede helfende Hand gebrauchen.«
Geändert von Françoise (08.12.2017 um 19:39 Uhr)
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Paladin Udar, Kanalisation, unter dem Reichenviertel
Die Überwindung des Fensters hatte ihn länger Aufgehalten, als es ihm lieb gewesen war. Udars Füße landeten auf dem harten Steinboden. Der Raum des Hauses war leer. Doch da nur eine Tür offen stand war es für ihn ein leichtes nachzuvollziehen welchen Weg er einschlagen musste. Beim Durchqueren der Halle, warf er einen Blick über die Schulterm nachdem er sich versichert hatte, dass keine weiteren Angreifer in dem Eingangsbereich auf ihn lauerten. Auf der Innenseite der Eingangstür hatte er die Zeichen entdeckt. Magische Glyphen, die kein Werkzeug, keine Waffe und nicht einmal die Macht der Obersten Feuermagierin brechen können würde. Diese Tür war versiegelt.
Der Weg in den Keller jedoch war frei. Mit schnellen Schritten war er die schmale Stiege heruntergestürmt. Der Keller war, ausgenommen von den Kisten, leer. Lediglich ein dunkles Loch klaffte in der Wand. Ein weiterer Durchgang. Neben einem üblen Gestank und Schreien kam von dort unten auch noch etwas anderes aus der Kanalisation herauf. Das üble Gefühl der Anwesenheit des Bösen!
Alarmiert zog er seine Waffe und zog das Schild vom Rücken. Angekommen auf dem schmalen Gang der Kanalisation brauchte er nur einen Augenblick um sich zu orientieren. Sofort hatte er den Dämon erspäht. Die wiederwertige Kreatur hatte gerade eine Person zerrissen. Es war nicht mehr festzustellen ob es sich um einen Mann, eine Frau, Freund oder Feind gehandelt hatte. Doch am Ende spielte es auch keine Rolle mehr. Das Böse hatte Einzug in Thorniara gehalten und es was seine Aufgabe es zu vernichten.
»Für Innos!« Udar war stark im Glauben, Innos Feuer brannte in seiner Brust. Und dieses schien auch der Dämon zu spüren. Er ließ von einem älteren Mann ab, der er gerade mit einem mächtigen Schlag an die gegenüberliegende Schachtwand geschmettert hatte. Als der Alte die Wand hinab rutschte und in der Abwasserbrühe benommen sitzen blieb hatte sich Udar schon gegen das Monster geschmissen. Es war keine Zeit nachzudenken oder Rücksicht auf die anderen Männer zu nehmen, die sich ebenfalls in der Kanalisation befanden. Seine gänzliche Aufmerksamkeit galt dem Ungeheuer, um den Rest mussten sich die restlichen Kämpfer kümmern. Irdischem waren sie gewachsen, dämonischen nicht.
Der wütende Dämon kämpfte wie ein Berserker. Er wich nicht einen Fußbreit auf dem schmalen Stieg zurück. Der Stand, den er hatte, war schlecht und der Gang viel zu schmal um seine Stärke voll auszuspielen. Doch er hatte das Schild, welches die tödlichen Schläge der Kreatur vorerst noch abhielt. »Oh Innos«, rief er mit fester Stimme den Flammenden an. Sein laut gesprochenes Gebet fachte den Zorn des Dämons noch weiter an. Udar konnte sich nun sicher sein, die volle Aufmerksamkeit des Feindes auf sich hatte.
Ein paar weitere Hiebe teilte er auf oder fing sie mit dem Schild ab. Über die Schulter wagte er einen kurzen Blick. »Na Los, Männer. Räumt den Gang und verschwindet hier. Gegen diesen Dämon könnt ihr nichts ausrichten!«
Er brauchte Platz um seine ganzen Kräfte abrufen zu können. In der viel zu engen Umgebung wollte er im Kampf nicht unnötig jemand verletzten. Seine ganze Kampfeswut sollte sich ausschließlich auf diese Dämonenkreatur richten.
Redlef
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Ein alter Weinkeller war der Treffpunkt. Seufzend trat Isegrim durch die niedrige, jedoch breite Tür und schalt sich selbst einen Idioten, hier einfach hinein zu marschieren. Im besten Falle würde er sich nur an einem rostigen Nagel verletzen und an Wundbrand sterben, oder er würde von einigen dunklen Gestalten überfallen und abgestochen, um seine magere Börse zu plündern. Er fluchte lautlos, als er an jeden hart ersparten Groschen darin dachte. Verfluchtes Würfelspiel, verfluchte Kriminelle! Eine Bewegung ließ ihn aufschrecken, zum Kurzschwert greifen, ehe ihm wieder einfiel, dass er wahrscheinlich mit einem ungezielt geworfenen Stein mehr Schaden als mit der Klinge anrichten würde.
"Ho, ruhig, mein Freund", kam eine Stimme zwischen den Weinfässern hervor, "Grüße vom Türsteher, unserem gemeinsamen Bekannten. Das sollte gleichwohl für Frieden und Eintracht sorgen, die obligatorischen Grüße gemeinsamer Freunde."
Freunde, dachte Grim, würde ich uns nicht nennen. "Sehr erfreut", sagte er nur und deutete eine linkische Verbeugung an. "Isegrim, Kunde."
"Damien", stellte sich der Mann, der aus dem Schatten trat, vor, "Hehler."
"Schön. Wie kann ich zu Geld kommen?", fragte der Soldat, "Hm?"
"Verdiene dir es. Du bist Soldat" - Isegrim sog überrascht die Luft ein - "aber das wird nicht hinhauen. Dafür ist euer Sold zu mager. Ich kenne dich jedoch, Isegrim. Sagen wir, dein Name ist in bestimmten Kreisen bekannt. Grüße von den Ratten von Geldern."
Nun lachte Grim. "Grüße zurück vom Eisenwolf. Leben die immer noch im Dreck?"
Damien schüttelte den Kopf. "Nee, die haben es geschafft. Dank eines schwarzen Vogels."
"Die Krähe", murmelte Isegrim, "War ja klar."
Der Hehler hob die Schultern. "Er hilft seinen Freunden. Natürlich stets mit Hintergedanken."
"Natürlich."
"Von dem erwartete dir aber kein Gold, seinen berühmten Patriotismus hin oder her. Mach dich selbstständig.", erklärte Damien und trat ins dämmrige Licht. Mittelgroß, schwarze Haare in einem Zopf, der auf seiner Schulter lag. Einige graue Strähnen, ein abgekämpftes Gesicht und ein ständiges schiefes Grinsen auf den Lippen. Augen, die nicht lächelten. "Werde selber zum Dieb. Wieder. Der Eisenwolf ist noch heute einigen Verbrechern in Myrtana bekannt. Der selbstlose Schurke, der den Reichen nimmt und den Armen gibt. Freund und Helfer von Bettlern und Vagabunden. Schöne Geschichten, nicht wahr?"
Isegrim lächelte schwach."Ja, schön aber erlogen. Ich war nicht ansatzweise so altruistisch wie du mich darstellst. Ganz im Gegenteil ..."
Damien hob die Arme. "Was reden wir uns den Mund fusselig, der Eisenwolf ist seit Jahren verschwunden, angeblich tot, sitzt vielleicht in irgendeinem Kerker und sabbert vor sich hin. Du weißt jedoch, was ich meine. Du warst einst ein guter Dieb, werde es wieder." Er deutete fast abfällig auf Isegrims Wappenrock. "Das? Nur Maskerade. Niemand wird den Hüter des Gesetzes als Brecher dessen bezichtigen."
"Unglaublich einfallsreich", murmelte Grim, "Das gab es noch nie."
"Wie auch immer. Du brauchst schnell eine Menge Gold. Ich kann dir zeigen, wie du dazu kommst."
"Ohne Gegenleistung? Als geistiger Nachfolger des selbstlosen Eisenwolfs?", fragte Isegrim spöttisch.
"Natürlich nicht. Ich bin ziemlich egoistisch, tue nichts ohne Hintergedanken übers eigene Vorankommen, den Profit, der mich erwartet. Das habe ich in meinem Leben gelernt. Dinge, die du klaust, verkaufe ich. Großer Anteil für mich, logischerweise. Allen voran ist da natürlich der Schaden, der der Krähe entsteht, wenn der Eisenwolf wieder im Geschäft mitmischt."
Langsam wurde Isegrim wütend. "Übertreibe es nicht, Damien. Ich bitte dich darum." Dann seufzte er. "Aber ich komme wohl nicht drumherum. Kannst du das alte Wissen, welches noch irgendwo in mir schlummert, wieder aufwärmen? Mich zum Dieb machen?"
Der Hehler lachte auf. "Du wärst nicht der Erste, Isegrim. Garantiert nicht. Ich helfe dir."
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Dieses Mal saßen sie in der Marktschänke. Kein Ort, den Isegrim für dubiose Ausbildungen im Diebeshandwerk gewählt hatte. Aber Damien war der felsenfesten Überzeugung, da in Tagen wie diesen, da die allgemeine Stimmung in der Stadt am Tiefpunkt angelangt war, belebte, laute Orte wie dieser nahezu perfekt waren. Er hatte ein seltsames Spiel mitgebracht, etwas, wie er sagte, vom Östlichen Archipel. Es waren dutzende bunter Stäbchen und Stöckchen, die kreuz und quer über- und untereinanderlagen, wild durcheinander und ohne erkennbares Muster.
"Was", stieß Isegrim hervor, "Bei Innos, ist das?"
"Ein altes Geschicklichkeitsspiel des Ostens", antwortete der Hehler, "Damit vergnügen sich dort die Kinder. Du weißt doch, wie es heißt ... dort sind manch Halbwüchsige weiser als unsere Gelehrten." Er hob die Schultern, griff seinen Krug und trank einen Schluck. "Wie auch immer, du siehst die Stöckchen mit den goldenen Ringen? Die ziehst du dort heraus. Vorsichtig. So vorsichtig, dass du die anderen nicht berührst. Überlege, denke im Voraus. Was passiert, wenn du den richtigen Stab weg nimmst, wie verändert sich die Struktur des Haufens." Er grinste. "Verstanden, was ich meine?"
"Ordnung im Chaos entdecken", antwortete Grim langsam, "Fast schon philosophisch."
"Pfeife auf die Philosophen. Ich will dass du deinen Grips und dein Fingerspitzengefühl anstrengst und verbesserst. Was bringt es mir, wenn ich dir gleich Dietriche in die Hand drücke und du sie alle zerbrichst beim Versuch, damit ein Truhenschloss aufzuprügeln? Nein, du brauchst mehr Geschick und Geduld." Er deutete auf das Durcheinander. "So lernst du beides."
Es vergingen einige Stunden, in denen Damien sich sichtlich amüsierte und dem Alkohol zusprach, ehe er irgendwann die laienhaften Versuche seines Schülers unterbrach.
"Götter, Isegrim. Nimm die Teile mit und probe. Ohne Unterlass, bitte. Dann wird das sicherlich auch was. Aber hier und so? Niemals. Übe weiter und wenn du der Meinung bist, dass du es gemeistert hast, kommst du in den Weinkeller. Dann überzeuge ich mich, wie gut du bist. Achso, Isegrim, du zahlst. Danke dir!"
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Zitadelle
Argwöhnisch hob sich eine grau melierte Augenbraue bis zu einem Grad, der fast schon unnatürlich aussah. Was angesichts der Tatsache, dass er der Obersten des Ordens gegenüber stand, vielleicht unhöflich wirken mochte, war ganz und gar der Absurdität dieser Situation geschuldet.
"Magisch... verderbtes Sumpfkraut... aha..."
Die Falten auf seiner Stirn vertieften sich. Das alte Hirn versuchte, kürzliche Geschehnisse in neuen Kontext zu stellen. Das klang zu merkwürdig, um tatsächlich die Ursache für all den Aufruhr zu sein. Ganz so, als hätte jemand sich eine Gruselgeschichte für experimentierfreudige Halbstarke ersponnen - Wehe, du versuchst Sumpfkraut zu probieren! Manche Schwarzmagier füllen es mit ihrer Magie an, und du wirst ein unberechenbares, rasendes Tier und verlierst dich selbst!
"Ich danke für die Aufklärung. Das heißt, es gibt wieder Essen für die Hungrigen? Hat der Drache die Stadt in den letzten Monden wieder attackiert? Und die Höfe im Umland - immer noch durch die Echsen bedroht?"Vicktar musste zugeben, dass er über die Lage vieler Dinge nicht bescheid wusste. Den Vorwurf, nicht weitsichtig genug gehandelt zu haben, hielt er allerdings für unbegründet. Woher hätte er über die Lage hier denn wissen sollen? Nein, das ließ er sich nicht ankreiden.
"Dieses verdammte Schwarzmagierpack und seine absurden Versuche, unsere Gemeinschaft zu zerstören! Wie lange existiert diese Krise denn schon, und wurden die Verantwortlichen bereits gefunden und bestraft?", fragte er forsch, obgleich nicht fordernd. Doch die Situation ließ seinen Puls ordentlich in die Höhe schießen.
"Ich möchte meinen Teil tun. Die Menschen müssen doch irgendwie zur Vernunft gebracht werden können!"
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»Die Versorungslage der Stadt bleibt weiterhin angespannt. Wie ich bereits sagte, meiden Händler Thorniara zur Zeit. Da sich das ganze Geschehen im Hafenviertel konzentriert, haben wir außerdem einiges an Vorräten eingebüßt. Besonders kritisch sieht es natürlich für die Betroffenen des Krautwahns aus.
Was die anderen Sachen angeht, hat sich nur das Problem mit dem Drachen gelöst. Wir erschlugen ihn in Setarrif. Es war ein Zusammenschluss der mächtigsten Magier der Insel - ausgenommen die Schwarzmagier. Leider stellen die Echsenmenschen aber auch nach dem Tod des Drachen eine Bedrohung da. Wir verfügen nicht über genügend Truppen, um sie ein für alle Mal zu schlagen.«
Françoise erhob sich von ihrem Sessel auf und ging zum Tisch herüber. Eine Kanne mit schwarzem Tee stand dort, von dem sich die Priesterin eine Tasse einschenkte.
»Bitte, bedien dich.«, sagte sie zu Vicktar und trank einen Schluck. »Diese ganze Angelegenheit begann vor vielen Monaten. Zumindest traten dann die ersten spürbaren Auswirkungen auf. Seitdem arbeitet der Orden und die Miliz an der Aufklärung. Vor nicht allzu langer Zeit informierte mich Redlef darüber, dass jemand, der sich selbst rotgesichtiger Priester nennt, für das Kraut verantwortlich ist. Zwar konnte er mir keine Beweise liefern, allerdings hält er einen Mann namens Kajetan Rabenweil für den Schuldigen. Die Händlergilde hatte er ebenfalls in Verdacht. Spekulationen genügen mir aber nicht. Er sollte jetzt damit beschäftigt sein, wirklich stichhaltige Beweise zu finden. Da dich anbietest; die Hilfe eines Feuermagiers wäre ihm bestimmt willkommen.«
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Tor der Stadt
Ein gespielt geduldiges Grinsen umspielte die Züge des Bärtigen als die Stadtwachen ihn mit aller militärischer Unfreundlichkeit musterten, einen nickenden Seitenblick wechselten und kurzerhand beschlossen, die Untersuchung an ihm besonders sorgfältig vorzunehmen. Amüsiert streckte Slicer bereitwillig die Arme aus, lies sich den kratzigen Dolch aus dem Gürtel ziehen und seinen Umhang von den Wachen grobschlächtig abklopfen. Nach und nach kamen die beiden Lederbeutel und Lukars Schreiben an diese Händlergilde zum Vorschein. Slicer bekam beides widerwillig von den Wachen wieder ausgehändigt. Das Misstrauen stand in ihren Gesichtern, doch konnten sie ihm nicht nachweisen das er das Gold widerrechtlich erworben hätte.
"Die Geschäfte laufen scheinbar gut." Brummte einer der beiden mit offenkundigem Zynismus. Sein Kamerad schnaubte belustigt und grinste Slicer verächtlich an Der Gauner war keineswegs schäbig gekleidet, doch die Zweckmäßigkeit seiner Aufmachung konnte nur auf einen der irren Waldbewohner oder einen Strauchdieb hindeuten. Slicer wusste um diese Wirkung seiner Klamotten nur zu gut. Aber sollange ihm nichts nachzuweisen war, gab es keinen Grund für eine lächerliche Maskerade als bürgerlicher Clown.
"Das tun sie in der Tat." Erwiderte Slicer das falsche Lächeln, gesalzen mit einer nichtssagenden Antwort. Die Wachen machten mit einer einlagenden, wenn auch widerwilligen Geste deutlich, dass er die Stadt passieren durfte. Slicer setzte sich gemächlich in Bewegung, doch als er an dem linken Wachmann vorbeischlenderte, streckte dieser ihm seinen muskelbepackten Arm in den Weg.
"Nicht so eilig, du Landstreicher."Bevor du schnurrstracks auf die Hafentaverne zuhälst, um deinen höchstwahrscheinlich unverdienten Reichtum zu versaufen, solltest du eines wissen: Der Hafen ist Tabu. Für jeden. Solltest du auch nur in der Nähe des Hafenviertels herumlungern, Kontakt mit der dortigen Bevölkerung aufnehmen oder sogar unerlaubt Waren ein und ausbringen, wird der Orden dieses Verhalten ohne zu zögern ahnden. Wir haben bei Innos schon genug Unruhen in der Stadt. Solltest du also gegen die Gesetze verstoßen..."
Der Soldat zog den Arm wieder weg und vollführte mit dem Finger eine mehr als offensichtliche Bewegung an seiner Kehle.
Schlechte Nachrichten. Lukar hatte ihm berichtet wie es um die Stadt stehen musste, doch diese Maßnahmen waren selbst für den Orden eine gewaltige Nummer. Slicer kannte die Stadt, die ja im Grunde seine ursprüngliche Heimat war, wie seine Westentasche. Aber so eine Aktion hatte er nicht erwartet. Er musste sich offenbar einen geschickten Weg überlegen, mit den Gebrüdern Althoff in Kontakt zu treten. Wenn die beiden Kerle sowieso die Stadt verlassen und Lukar treffen wollten, mussten die auch irgendwie aus dem Hafenviertel entkommen. Falls sie die Zeichen nicht schon vorher gerochen und sich rechtzeitig aus dem Staub gemacht hatten.
"Glaubt ihr im Ernst, ein Mann wie Ich würde sich im Hafen niederlassen?" Sein Lachen klang ehrlich. "Bei dem was ich verdient habe? Bei Innos, nein, diese schwarzen Zeiten sind für mich vorbei."
Die Antwort war ein mehr oder weniger zufriedenes Schnauben. Nickend passierte Slicer das Tor im Tempo eines wohlhabenden Schlendrians. Sein Blick schweifte dabei rein zufällig über die Mauer am Tor entlang und offenbarte ihm eine ehrliche Überraschung.
Unter dem schäbigen Sammelsorium an Steckbriefen und Notizen sprang ihn ein Gesicht entgegen, dass, obwohl es erschreckend schlecht getroffen war, nur einem Mann gehören konnte. Interessiert ging er hinüber und riss das grimmige Bild von Joe Black ab. Man hatte ihm den knallharten Blick eines wahnsinnigen Killers verpasst. Eine erstaunliche Untertreibung von Joes wahrer Natur, dachte sich Slicer zynisch. Er überflog den Zettel grob und war beinahe überrascht, so ein lasches Verbrechen wie 'Mord und Entführung' zu lesen.
"...In einem Akt der Widerwärtigkeit massakrierte der schwarze Priester des frevelhaften Todesgottes in Begleitung eines Komplizen eine unschuldige Frau und entführte die Tochter des angesehen Kajetan Rabenweil..."
Erstaunlich. Slicer faltete den Steckbrief und lies ihn in seine Tasche gleiten. Eigentlich hatte Joe auf ihn nicht wie der Typ Mann gewirkt, der sich seine nächtlichen Liebschaften mit Gewalt heranschafften musste. Aber die Menschen steckten bekanntlich voller Überraschungen...
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Unter dem Rabenweilanwesen, Kanalisation, Reichenviertel
Yared stand erst einen Moment versteinert da. Er hatte sich abwenden müssen, als Rabenweil die Panik im zur Fratze verzogenen Gesicht seinen Dienstboten den Klauen des Dämon geopfert hatte. Über vergangene Winter hatte der Veteran vieler Schlachten und Scharmützel Unvorstellbares an Grausamkeiten erlebt. Er konnte sich kaum erklären, warum er mittlerweile nicht abgestumpft genug war, um den Anblick zu ertragen, wie der Dämon den Jungen zerfetzte. Aber er konnte es einfach nicht.
Die durch intensives Training in Fleisch und Blut übergegangene Verteidigungshaltung hatten Yared unterbewusst beibehalten, auch wenn ihm der Gegner keinerlei Beachtung mehr zu schenken schien. Jetzt ließ er das Schild etwas sinken, als er sich aus seiner Starre löste und wieder hinsah.
Der Dämon konzentrierte sich ganz auf seinen Beschwörer. Der hatte es vermutlich verdient. Yareds Gefühl brüllte diese offensichtliche Wahrheit heraus, wenngleich sein Geist ihn zur Zurückhaltung mahnte. Er kannte Rabenweil schließlich nicht wirklich. Nur eins wurde ihm unmissverständlich vor Augen geführt. Kajetan Rabenweil war wohl die ehrloseste Person, die Yared in letzter Zeit untergekommen war. Rabenweil achtete kein anderes Leben als sein eigenes, schien stets bereit andere für sich und sein Fortkommen zu opfern. Vermutlich sah er es sogar als Geschenk seiner eigenen unendlichen Gnade an, wenn er jemanden, der gegen seinen Wahnsinn aufbegehrte und nur den geringsten Widerstand leistete am leben ließ - zumindest vorerst. Yared hätte lange nachdenken müssen, bis er auf einen ehrloseren Zeitgenossen gekommen wäre. Aber diese Zeit hatte er jetzt nicht.
Dann war auch schon Sir Udar durch die Geheimtür zum Keller getreten. Der Kammerjäger war da, um sich um das Ungeziefer zu kümmern.
"Na Los, Männer. Räumt den Gang und verschwindet hier. Gegen diesen Dämon könnt ihr nichts ausrichten!", ordnete der Paladin an, während er die Aufmerksamkeit des Dämons an sich band.
"Tut, was er sagt! Raus hier!", befahl Yared seinen Männern. Er selbst machte nicht die geringsten Anstalten, ihnen zu folgen. Stattdessen legte er Schild und Falchion beiseite und schälte sich aus ledernem Offiziersmantel und Kettenhemd.
Kaldrin, der neben den Steigeisen des Einstiegsschachtes zur Gasse darauf wartete, dass alle Seesoldaten den Kanal verlassen hatten, sah zu ihm herüber.
"Ich komme nach!", rief ihm Yared zu.
Dann sprang er Redlef hinterher in die Brühe.
Geändert von Yared (10.12.2017 um 18:22 Uhr)
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Im geistigen Dämmerzustand gefangen, befand sich Redlefs Körper in einer angenehmen Schwerelosigkeit, auch wenn ihn die vollgesogene Kleidung und die eisernen Rüstungsteile an der Stelle hielten. Er fühlte sich ungewohnt frei und leicht. Alles um ihn herum war ihm Fluss, der sanfte Strohm spülte seine Sorgen davon. Gerne wollte er sich tiefer in diesen Traum versenken, ohne dabei zu wissen, dass dieser wunderbare Zustand der Sorglosigkeit, lediglich von dem Mangel an Sauerstoff ausgelöst wurde.
Seine letzten Gedanken galten der Obersten Feuermagiern. Françoise…! Was für ein wunderschöner, zarter Name für eine wunderschöne, zarte Person. Er sah sie vor sich, gehüllt in eine prachtvolle, rubinbesetzte Robe. Jeder Stein auf ihrem Gewand schimmerte und funkelte, als ob das Feuer Innos selbst in ihm brannte, doch selbst diese Großartigkeit verblasste hinter ihrer Schönheit, ihrer Aureole der Erhabenheit. Sie strahlte wie ein Leuchtfeuer, das ihm den Weg zu ihr durch die Dunkelheit zeigte. Sie lächelte ihn warmherzig an und Redlef wusste, dass nun seine Suche ein Ende hatte, als er vor ihr stand.
Demütig sank er vor ihr auf die Knie, sehnte sich nach einer Berührung von ihr und verzehrte sich danach von ihr hereingelassen zu werden.
Und dann, er wagte es fast nicht zu glauben, legte sich ihre feine Hand auf seine Brust. Er spürte den sanften Druck und sah hoffnungsvoll zu ihr auf. Ihre Augen strahlten wie die schönsten Sterne und ihre leise Stimme war wie Sphärensang in seinen Ohren. »Redlef, mein Krieger.« Ihr Gesicht kam dem seinen so nah. Sein Herz setzte einen Schlag lang aus. »Tapfer hast du gestritten, doch deine Zeit für das Ende ist noch nicht gekommen. Du wirst deine Schlachten erst noch schlagen müssen.«
Sie wies ihn ab? Entsetzen stieg in Ihm auf und es war, als ob er keine Luft mehr bekam, da ihm die Verzweiflung den Hals zu schnürte.
»Beweise dich, kämpfe für die Menschen unter deiner Verantwortung und dann, in vielen, vielen Jahren, tritt wieder vor mich…«
Ein gewaltiger Ruck riss ihn zurück. Kräftige Hände am Wams auf seiner Brust und am Arm zogen seinen Oberkörper über die Wasseroberfläche des Kanals. Dem ursprünglichen aller Reflexe folgend zog der Kommandant Luft und auch noch einen guten Teil der stinkenden Brühe in seine Lungen. Diese brannten wie das unheilige Schwarzfeuer Beliars. Für einen kurzen Moment fragte er sich, ob er nun doch dem Dämon anheimgefallen war, an den er sich nun schwach erinnerte.
Nein! Durch verschmierte Augen sah er einen Mann, der seinen Körper an den Rand des Kanals wuchtete. Es war der Kapitän, der ihm gerade das Leben rettete.
Ein weiterer Atemzug ließ ihn jedoch zweifeln, ob seine Zurückweisung aus dem Jenseits nun Gnade oder eine Strafe gewesen war. Denn nun rebellierten seine Lungen gegen die Schlammbrühe, die er eingeatmet hatte und er begann zu husten, ohne dabei Luft bekommen zu können. Dem Ersticken nahe, krallte er seine Hände in Yareds Arme. Doch es half nicht. Hals und Brust schmerzten höllisch und erst als Yared ihn auf den schmalen Steg neben der Abwasserrinne gehievt hatte konnte er sich röchelnd zu Seite rollen und den braunen Schleim heraushusten, der ihm so viel Pein bereitete.
Der Kapitän aber ließ ihm keine Zeit zu verschnaufen. Er redete ihm zu, machte weitere Anstalten, ihn auf die Füße zu ziehen, doch die Worte verstand Red nicht. In nicht allzu weiter Entfernung herrschte ein ohrenbetäubendes Gebrüll.
Im schwachen Licht zweier heruntergefallener Fackeln erkannte Red seinen Ordensbruder Udar, der mit einem schwarzen Schatten rang. Der Dämon! Seine gewaltigen Klauen schlugen ohne Unterlass auf das schwere Schild des Paladins. Dieser hielt stand und donnerte dem Wesen Worte des Zornes Innos entgegen. Diese quittierte die Kreatur mit unmenschlichem Gebrüll, das einem das Blut in den Adern gefrieren ließen…
… Blut! Rabenweil! Er musste noch irgendwo in diesem Kanalsystem stecken, wenn ihm trotz seiner schweren Verletzung nicht die Flucht gelungen war.
Unwirsch und verärgert über seine eigene Schwäche und Nutzlosigkeit, schob Redlef Yareds helfende Hände zur Seite. Stattdessen zeigte er mit zitterndem Arm in Richtung des Kampfes, hinter dem er ihre Zielperson vermutete. »Raben…weil«, seine Stimme war nicht viel mehr als ein heiseres Krächzten. Sicherlich verstand man es unter dem Getöse innerhalb der Kanalisation überhaupt nicht. Dennoch war Red wild entschlossen diesen Auftrag zu Ende zu bringen. Mit der anderen Hand fasste er nach den magischen Handschellen, die, wie durch Innos Fügung, immer noch an seinem Gürtel befestigt waren. Er zog sie hervor und hielt sie dem Seemann entgegen. Er musste es nun zum Abschluss bringen und diesen Abschaum fangen.
»Greift ihn Euch… Jetzt!«
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Es war gegen späteren Nachmittag als die Glaubensgeschwister die Tore Thorniaras erreichten.
Die Expedition hatte deutliche Spuren an ihnen hinterlassen. Ihre Gesichter wirkten müde und ihre Leiber, die sich durch den verdreckten Stoff abhoben, kraftlos. Dennoch, ihre Arbeit fand hier noch kein Ende. Erst, wenn Bruder Theodorus die in weißen Leinen eingepackten Zutaten dem Hohen Feuermagier Kalthar übergeben hatte, galt ihr Auftrag vorerst als erledigt. Und dann fehlte noch der Kronstöckel und die anschließende Weisung ihrer Meister. Der Soldat Ernst warf einen bedenklichen Blick über seine Schulter auf das sich fern abzeichnende Weissaugengebirge. Zu seinem stillen Unmut gefiel es ihm nicht, dass er sich dem Primus zum Trotz nicht angeschlossen hatte. Eigentlich sollte es ihm gleich sein, denn er war Soldat durch und durch und arbeitete einfach und konsequent nach Auftrag. Doch mitlerweile fühlte er, stand er zu dem Alten irgendwie anders gegenüber als dem Rest der Menschheit. Das verwunderte ihn irgendwie selbst... "Kommt ihr? Ernst! Wir müssen Meldung machen.", bellte Ordensbruder Odyr.
Kalthar würde wie aufgegeben durch Bruder Theodorus die Nachricht des Primus und die benötigten Ingredienzien erhalten.
Und Odyr und Ernst erstatteten ihren Bericht an ihren Zuständigkeiten.
Shakuras
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Die frühe Nacht verschlang Thorniara.
Doch egal wie lang die Schatten wurden, egal wie viele Sackgassen und Dreckshütten sie einnahmen und verzehrten, haftete der Ordensstadt stets etwas standhaftes, geordnetes an. Selbst das Chaos im abgeriegelten Hafenviertel war zu dieser späten Stunde wie ein grußeliges aber harmloses Märchen das man Kindern erzählte. Wo Fackeln und offene Plätze nicht langsam wieder Licht ins Dunkel brachten, stapften die loyalen Soldaten des Königs. Slicer kam den Rockträgern nicht zu nahe, aber hielt auch nicht zu viel Abstand. Mit dem angebissenen, grünen Apfel in der Hand stapfte er leise wie ein Insekt duch die Straßen und verfluchte die unverschämten Händler. Es war unglaublich was der feiste Obsthändler für diesen einen Apfel verlangt hatte. Lukar wäre dem Mann in all seinem Geiz vermutlich an die Kehle gesprungen.
Natürlich wusste Slicer, das die Preise nicht von ungefähr kamen. Zerstörte Farmen und tote Bauern trieben die Kosten in die Höhe, und um es dem Bürger erst recht so unbequem wie möglich zu machen, gab es mittlerweile über sämtliche Waren am öffentlichen Markt ein ausländisches Monopol. Slicer war versucht gewesen, sich den Apfel auf die 'übliche Tour' zu beschaffen und dem Händler somit eine Lektion in Sachen Aufmerksamkeit zu erteilen, doch seine Zeit der kindischen Gaunereien und Trickdiebstähle lag Jahre zurück. Viele Jahre. Er hatte es nicht mehr nötig und seine jetzige Aufgabe hielt ihn zudem dazu an, den Ball flach und ein respektables Bild aufrecht zu erhalten.
Safzig knirschte der Apfel als sich Slicers Zähne in das saure Fleisch gruben. Er sog den Saft zwischen den Zähnen ein und kaute dann genüsslich auf dem Stück herum. Immerhin war die Ware noch angemessen. Wenn auch nicht so gut, wie er sie aus Setariff in Erinnerung hatte.
Den halben Apfel noch in der Hand stampfte er einige Zeit später durch die Tür in die Marktschänke. Da der Abend klar und trocken war, hatte sich eine wahre Herrschaft an Gästen eingefunden. Wortwörtlich, den einige der Gäste trugen den Rotrock der Miliz. Die Stoppelköpfe saßen meist in kleinen Grüppchen an ihren Stammtischen, unterhielten sich über störrische Bürger die ihnen Tagsüber den Dienst sauer machten, oder spielten sichtlich angetrunken sogar Karten. Natürlich war in dieser Taverne nicht mit den selben inoffizielen Regeln zu rechnen wie in der Hafenschänke, die Slicer wesentlich lieber aufgesucht hätte. Hier war nach außen hin alles sauber und ehrlich. Es gab hier und da gezinkte Würzel oder Spielkarten, aber es hielt sich doch in Grenzen. Nicht die Art von Vergnügen, die Slicer angenehm fand. Wo blieb den die Spannung wenn niemand sich traute einen geflunkerten Einsatz zu wagen?
Schnaubend wand Slicer den Blick ab und hielt auf die Theke zu. Lukars Geld hatte ihm bereits ein ordentliches Zimmer und ein behagliches Bett beschert, nun kam auch noch ein erlesener Wein dazu. Nach dem teuren Apfel machte der edle Tropfen den Kohl auch nicht mehr fett. Den Apfel entgültig vernichtend schlenderte er zu dem erst beliebigen Tisch den er vorfand und pflanzte sich zu zwei korrekt aussehenden Bürgern. Wortlos stellte er die Flasche auf den Tisch. Die beiden Männer hoben den Blick als Slicer die Flasche öffnete und ohne Aufforderung drei Becher füllte. Dies war eine Sprache, die zu dieser Stunde jeder Verstand...
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Isegrim fluchte lautlos, während eine unvorsichtige Bewegung das ganze offensichtlich chaotische, jedoch merkwürdig geordnete Stäbchengefüge derartig zerschlug, dass er die Hölzer wieder aufnahm, wie Reisig zusammenfasste und dann losließ, damit sie wieder ihr ordentliches Chaos oder ihre chaotische Ordnung erhielten. Er hatte in den letzten Tagen durchaus Fortschritte gemacht, was die Fingerfertigkeit anging, aber die Geduld? Innos, das war schwer. Sehr schwer. Dazu war er zu sehr Nordmann. Sicherlich hatte er in manchen Situationen fast gottgleiche Geduld und Gleichmut aufbringen können, aber da war es in der Regel um sein Leben gegangen. Hier jedoch? Das war schwieriger. Seinen Kameraden verheimlichte er natürlich den Grund, warum er dieses Spiel spielte, seine Geschicklichkeit steigerte. Er antwortete ihnen nur kurz angebunden, er wollte seine Fähigkeiten verbessern um so ein besserer Soldat zu werden, mit dem Vorwand, er würde irgendwann gerne der Elite der Roten Adler angehören. Da nickten die meisten nur und scherten sich weiter um ihren Kram. Würden sie oder gar einer der Vorgesetzten erfahren, worum es eigentlich ginge ... nun, vielleicht würde Isegrim nicht unbedingt die Uniform an den Nagel hängen, aber er dürfte mit einigen Strafen rechnen.
"Unteroffizier Isegrim!", bellte die Stimme eines Offiziers durch die Unterkunft. Der Genannte sprang auf, nahm Haltung an, salutierte dem Vorgesetzten.
"Ich habe Post für dich. Einen Brief, genauer gesagt", der Mann schlug ihm das Papier gegen die Brust, fixierte ihn, "Ich bin nicht dein Kurier. In Zukunft holst du deine Briefe alleine ab, kapiert? Sonst lasse ich dich Latrinen schrubben bis du nicht mehr zwischen deinen Händen und dem Schiss unterscheiden kannst, verstanden?"
"Jawohl!"
Wortlos zog der Offizier ab. Isegrim seufzte, öffnete den Brief. Las ihn. Seufzte erneut. Der Schrieb war von Damien, signiert mit dem Zeichen ... eines Hundekopfes. Seltsame Wahl. Es ging darin um ein Ziel, wie der Hehler es beschrieb, um einen Keller im Reichenviertel. Isegrim seufzte. Damien wollte ihn dort treffen, um mit ihm sein erstes großes Ding durchzuziehen.
Götter, dachte Isegrim, hoffentlich knüpfe ich hier nicht an meinem eigenen Strick.
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