Vorwort:
Himmelsrand ist das Land der Nord. Starke, urwüchsige Männer und Frauen, die noch wissen, wie man ein Schwert schwingt und dem kargen Boden einer überwältigend schönen aber kalten Landschaft jeden Tag aufs neue ihren Lebensunterhalt abtrotzen.
Himmelsrand ist auch die Heimat der Drachen und der Helden, die man als Drachenblut kennt.
Zumindest war es das mal.
Heutzutage kann jeder Drachenblut werden. Ob Nord, Bretone, Ork oder Khajiit, es würde mich nicht mal wundern, wenn Riesen oder Trolle demnächst als angesehenes Drachenblut von Ort zu Ort ziehen ...
Die Idee zu der Geschichte um Doerthe kam mir eines Sonntags beim Haarewaschen. Aber lest selbst.

***

Doerthes erste Erinnerung war die an einen eisig kalten, schneidenden Wind. Obwohl es bereits spät im Frühjahr war hatten des nachts sogar ein paar Schneeflocken den Weg zu den kargen Äckern um Weißlauf gefunden. Auf dem Eisfurchenhof des alten Wilmuth schien es immer ein paar Grad kälter zu sein, als auf den anderen Höfen der Gegend. Es war auch der mit Abstand ärmste Hof. Wilmuth, seit langem Witwer und von recht mürrischer Natur, erhoffte sich nichts mehr vom Leben. Er tat seine Arbeit tagein tagaus, weil er es schon immer so gemacht hatte, aus keinem anderen Grund.
Es war ein armseliges Leben, aber weder Doerthe noch ihre Eltern Hanna und Jonathan hatten je etwas anderes gekannt und wenn man sie gefragt hätte, ob sie mit ihrem Leben zufrieden waren, so hätten sie den Fragenden nur merkwürdig angesehen und an dessen Verstand gezweifelt.

Die Zeit verging, Doerthe wuchs heran und lernte mit der Zeit alles, was sie zum Leben brauchen würde. Manchmal, wenn Wilmuth nicht aufpasste, konnte sie sich sogar in die Nähe des Kampf-Geborenen-Hofs schleichen, um einen Blick auf Wilhelm zu werfen, den wohl schönsten jungen Mann des ganzen Universums. Leider beachtete er sie nicht, doch das war Doerthe egal. Ihr genügte es, am Zaun zu stehen und sich auszumalen, was für ein schönes Paar sie abgeben würden.

Doch so schnell wie das Wetter in der großen Ebene wechselt, so schnell schlug auch das Schicksal um. Es war Spätsommer und Nacht. Der Wind drückte den noch nicht geernteten Weizen zu Boden, warf ganze Garben um und heulte durch die Ritzen des Verschlages, in den sich Doerthe und Jonathan zurückgezogen hatten. Oder war das gar nicht der Sturm? Das Heulen kam aus der Nähe der großen Stadt und es klang irgendwie unnatürlich.
Der Sturm legte sich am nächsten Tag, die Sonne stieg auf und tauchte den Hof in ihr strahlendes Licht. Doch Hanna kam nicht zurück.

Im Rhythmus der Monde vergingen die Tage. Für Doerthe wäre es an der Zeit endlich eine Familie zu gründen, doch die Umstände waren nicht gut. Gerüchte gingen um, erst hinter vorgehaltener Hand, dann öffentlich, sprach man über Königsmord. Ein Bürgerkrieg bahnte sich an.
Auch auf dem Eisfurchenhof wurden die Zeiten härter. Wilmuth war krank. Er hustete stark und schaffte kaum noch seine tägliche Arbeit.
Eines Tages kam Besuch auf den Hof.
Doerthe überkam ein ganz schlechtes Gefühl.

Nun heißt es ja, Sklaverei sei in Himmelsrand verboten. Das stimmt auch, offiziell gibt es keine Sklaven. Aber es gibt Schuldner, und wenn diese nicht zahlen können, dann müssen sie ihre Schulden eben beim Gläubiger abarbeiten. Das ist nur gerecht.
Wilmuth hatte Schulden und Wilmuth war zu alt und zu krank, um sie abzuarbeiten. Deswegen nahm Severio Pelagia Doerthe einfach mit.

Es hätte allerdings schlimmer kommen können. Gloth und Nimriel, die den Pelagiahof für den reichen Städter bewirtschafteten, waren sehr nett zu Doerthe, sodass sie sich schnell einlebte. Es dauerte nicht lange und Nimriel nahm sie sogar mit zum Markt in die Stadt.

Es war Doerthes erster Marktbesuch überhaupt. Sie war total begeistert. Alles war so groß, so bunt und so laut. Menschen und Tiere drängten sich bunt durcheinander. Einmal erschrak sie, als ihr ein großer, zotteliger Hund gefährlich nahe kam, doch Nimriel nahm sie schnell beiseite. Doerthe war wieder sicher.
Und dann sah sie ihn. Jonathan, ihr Vater, war auch auf dem Markt. Er war mit Gwendolyn vom Kampf-Geborenen-Hof hier, hatte also auch ein neues Zuhause gefunden. Doerthe freute sich so für ihn.
Es wurde sehr spät. Die Nacht brach gerade herein, als sich alle auf den Heimweg machten. Schon war das große Tor ganz nah, da brach der Tumult los. Vampire! Ein Vampirangriff am Stadttor! Und Doerthe hatte schreckliche Angst. Alles ging so schnell, drunter und drüber. Wachen brüllten Befehle, Pfeile flogen, Schwerter klirrten. Mitten drin im Getümmel schwang ein riesiger braunhäutiger Krieger seinen Zweihänder. Gnadenlos hieb er auf die Vampire ein. Nur einer hielt ihm länger stand, der Meistervampir, der mit seiner unheimlichen Magie um sich schlug. Dann holte der Rothwardone aus, legte alle Kraft in einen letzten Schlag. Das Schwert pfiff durch die Luft, traf den Hals des Vampirs und trennte ihn sauber ab. Doch dabei bleib es nicht. Der Schwung der Waffe war zu groß. Sie wurde weitergetragen, genau auf Jonathan zu. Er hatte keine Chance.

Unfähig sich zu rühren, starrte Doerthe den riesigen Krieger an.
Dieser sah auf ihren toten Vater herab, zuckte mit den Schultern und wandte sich den Wachen zu, die ihn mit lautem Jubel als Drachenblut und Retter der Stadt feierten.
"Mörder!"
Wie konnte man so kaltblütig sein? Sahen die anderen denn nicht, was er angerichtet hatte? Flehend wanderte Doerthes Blick von einem zum anderen, doch nicht einmal Gwendolyn nahm von Jonathans Tod Notiz. Wie im Rausch jubelte auch sie dem Drachenblut zu ...

... bis der Ruf "Drachen!" erschallte.
Weitere Wachen kamen angestürzt. Sie redeten kurz auf den Hünen ein. Doerthe verstand gerade noch "westlicher Wachturm", dann rannten alle los.
Sie folgte ihnen.
Sie machte sich keine Gedanken über den Drachen oder über mögliche Gefahren, die sonst noch auf dem Weg lauern konnten. Sie wollte nur dieses Drachenblut einholen, wollte, dass es ... dass ... Sie wollte doch nur Gerechtigkeit.

Als sie beim Wachturm ankam war schon alles vorbei. Wie ein Berg lag das riesige Ungetüm von Drachen am Boden. Daneben, in Siegerpose mit hoch erhobenem Schwert, stand das Drachenblut und wartete auf irgendetwas. Doerthe ging näher heran. Plötzlich begann die Luft um den Drachen zu flimmern, ein Wirbel aus goldenem Licht erhob sich, verharrte kurz über dem Drachen und raste dann auf den Krieger zu. Mit einem Triumphschrei nahm er ihn in sich auf.
Was keiner der Umstehenden mitbekam: Nicht die ganze Seele des Drachen ging auf den Rothwardonen über. Ein kleines Zipfelchen spaltete sich ab, um sich ein eigenes Ziel zu suchen.
Doerthe.
"FUS" erklang eine dumpfe, fremde Stimme in ihrem Kopf.

Wie Doerthe zum Hof zurückgekommen war, wusste sie nicht mehr. Vielleicht hatte sie den Weg selbst gefunden, aber wahrscheinlicher war, dass sie von Gloth oder Nimriel getragen wurde, da diese beiden ebenfalls aus sicherer Entfernung den Drachenkampf beobachtet hatten.
Das Drachenblut sah Doerthe niemals wieder. Es hatte die Gegend verlassen, um zum Hals der Welt zu pilgern, wohin es die Graubärte gerufen hatten.

Wieder wechselten die Monde. Das neue Jahr begann mit Kälte und Schnee. Sehr viel Schnee. Es war zu kalt für Doerthe, um auf den Feldern nach Nahrung zu suchen. Sie blieb im Stall bei den Tieren des Hofes, mit denen sie sich angefreundet hatte. Wenigstens hatte sie es hier warm.

Andere froren und hungerten. Vor allem die wilden Tiere in den kargen Bergen weiter südlich waren betroffen, auch die Bestien, die sich immer weiter den Ortschaften näherten, auf der Suche nach leichterer Beute.
Eine davon fand den Stall.
Zuerst hörte Doerthe nur schnelles Scharren, dann Knurrlaute, die immer aggressiver wurden und in ein heiseres Bellen übergingen. Schließlich schaffte es die Bestie, ihren Kopf durch die Lücke am Boden zu schieben, zog den Körper nach und stand im Stall. Es wurde schlagartig still. Pure Boshaftigkeit ging von dem ungebetenen Besucher aus. Das zottelige, rötliche Fell stank nach Tod und gelbliche Augen richteten sich gierig auf Doerthe.
Sie war vor Schreck wie erstarrt. Vor ihr eine tödliche Bestie, hinter ihr die Wand des Stalls, und Doerthe konnte sich nicht bewegen. Sie sah, wie sich das Maul öffnete, sah, wie spitze Zähne aufblitzten und Geifer zu Boden tropfte. Schritt für Schritt kam der Tod auf sie zu.
Und alles, was Doerthe noch denken konnte, war ein Wort:
"FUS!"

***

"Hast du das auch gesehen, Thyr?"
"Nein!"
"Aber das musst du gesehen haben ..."
"Nein!"
"Aber ..."
"Hör mal, Gunter, es ist arschkalt, meine Schicht ist gleich um und Molli wartet mit einem heißen Met auf mich. Glaubst du im Ernst, ich habe Lust, Kommandant Caius noch einen langen Bericht zu schreiben, nur weil ein verdammter Fuchs rückwärts aus einem Hühnerstall geflogen kommt? Nein, ich habe NICHTS gesehen! Und du besser auch nicht."

Diese Argumentation verstand Gunter. Wortlos setzten die beiden Wachen ihren Weg nach Weißlauf fort.