Dieses kleine Machwerk ist für einen Adventskalender auf FanFiktion.de entstanden. Da es dort bereits erschienen ist, lade ich es jetzt mal hier hoch.

*

In einem fremden Land

Schnee.
Nichts als Schnee.
Wohin das Auge blickte war kaum ein dunkler Fleck zu erkennen und immer noch waren die Götter der Meinung, weiteren Schnee vom Himmel schmeißen zu müssen.
Missmutig setzte Leshahani einen Fuß vor den anderen, hinterließ tiefe Spuren, die sich schon bald mit neuen Flocken füllten, als wollten sie verbergen woher sie kam.
Dazu hätte es noch Jahre schneien müssen.
Leshahani sah sich nicht um. Sie wusste, dass hinter dem Vorhang aus Weiß weit im Osten das Inferno tobte. Sie hatte es gesehen, hatte die Druckwelle gespürt, mit der der Rote Berg ihre Heimat unter Asche und Lava begrub. Sie sah sich nicht um, denn es gab nichts zu sehen. Nichts außer Tod und Verlust.

Fröstelnd zog sie den viel zu dünnen Umhang enger um ihren mageren Leib. Dieses Land, in das sie geflohen war, war so grundsätzlich anders als Morrowind. Kalt und hart wie das Eis der gefrorenen Flüsse waren die Herzen seiner Bewohner, schneidend wie der Sturmwind die Stimmen der Wachen, die sie erst verhöhnt und dann weitergejagd hatten. Elfen waren hier nicht erwünscht.
Nach den ersten Todesfällen, sie waren nachts auf der Straße erfroren, hatte sich der Flüchtlingszug aufgeteilt. Die meisten wollten es weiter südlich versuchen, in Windhelm vielleicht, oder noch weiter gehen bis in wärmere Gegenden. Leshahani nicht. Sie hatte den anderen Weg gewählt, nach Norden, mitten hinein in die weiße Hölle.
Und nun war sie hier, stapfte seit Tagen durch den Schnee, immer weiter, immer höher hinauf. Etwas zog sie an, ein vages Gefühl, eine leise Stimme, die flüsternd zu ihr sprach und die sie doch nicht verstand. "Leshahani, túl-enni. Aista lá!"

Der Vorhang aus wehenden Flocken verschwand so abrupt, dass sie beinahe gegen die Felswand gelaufen wäre. Erschrocken sah sie sich um, benötigte ein paar Augenblicke um zu begreifen wo sie sich befand. Und dann sah sie die Höhle.
Es war kaum mehr als ein Spalt im dunklen, nassen Fels, der sich wenige Schritte neben ihr auftat, und Leshahani hätte ihn womöglich übersehen, wenn da nicht dieses Licht gewesen wäre, dieses schwache Leuchten ohne erkennbare Quelle, das genau über dem Eingang hing. Etwas zögernd schritt sie darauf zu, verharrte noch einen Moment und trat dann in die Finsternis.
Leshahani verspürte keine Angst. Nach den Erlebnissen auf ihrer Flucht gab es nicht viel, was sie noch schrecken konnte und außer ihrem Leben besaß sie nichts, das einen Überfall gelohnt hätte.
Ob in dieser Höhle jemand lebte? Wilde Tiere vielleicht? Über das Gesicht der Dunmer huschte ein kurzes Lächeln. Es hatte jedoch nichts mit Fröhlichkeit zu tun. Sie war sich recht sicher, dass das Knurren ihres Magens allein schon Wölfe in die Flucht schlagen würde.
Banditen? Nun, auch mit Banditen konnte man reden, sofern man nichts besaß was deren Begehr wecken konnte. Und wer wurde denn Bandit? Doch nur jemand, dem das "normale" Leben nichts mehr zu bieten hatte, Verstoßene der Gesellschaft wie Leshahani selbst. Banditen wären ihr sogar willkommen, denn entweder hatten sie einen warmen Schlafplatz für sie oder ein scharfes Schwert. Es beunruhigte Leshahani nicht einmal, dass ihr die Alternativen gleichgültig waren.

Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das Dämmerlicht fluoreszierender Pilze, die grüppchenweise an den rauen Wände wucherten. Vereinzelte Spinnweben hingen in den Gang, doch ließ die daran haftende dicke Staubschicht darauf schließen, dass sie bereits vor langer Zeit von ihren Bewohnern aufgegeben worden waren.
Schließlich erweiterte sich der Gang, die Wände verschwanden im Schatten und Leshahani betrat eine Grotte, deren Anblick ihr die Sprache verschlug. Vor ihr lag ein kleiner See, nur wenige Schritte breit aber kristallklar. Unzählige winzige blaue Punkte spiegelten sich darin, reines Licht, gebrochen von Kristallen, die die hohe Decke über ihr durchzogen. Wieder hörte sie ein Flüstern, glaubte sogar, die Richtung bestimmen können, aus der es kam.
Schritt für Schritt hielt sie darauf zu, umrundete den kleinen See zur Hälfte und näherte sich der Wand dahinter.

Ein jäher Schreck durchfuhr sie, als zwei Feuerschalen rechts und links von ihr unversehens aufflammten. Kurz schloss sie geblendet die Augen.
Als sie sie wieder öffnete, gewahrte die Dunmer vor sich eine Tür aus glänzendem Metall. Schatten tanzten darüber hin. Leshahani war stehen geblieben, sah ihnen stumm zu und wartete. Wo war sie hier? War das noch Himmelsrand? Die ganze Umgebung wirkte auf einmal unwirklich, wie aus einem Traum.
"Leshahani, túl-enni. Aista lá!", hörte sie die Stimme wieder und diesmal verstand sie: "Leshahani, komm' zu mir. Fürchte dich nicht!" Die Schatten auf der Tür verdichteten sich, strebten aufeinander zu und erschufen die Form einer Rose. Langsam öffnete sich der Durchgang, mildes warmes Licht drang daraus hervor und Leshahani wusste, dass sie zuhause war.

*

"Schon wieder eine." Aranea Ienith schüttelte traurig den Kopf. Sie zog ein Tuch aus den Taschen ihrer Robe und bedeckte damit das Gesicht der Dunmer, die sie nicht weit vom Schrein im Schnee gefunden hatte. Später würde sie jemanden schicken, um die Verstorbene in der Nähe Azuras zur Ruhe zu betten.
"Sie sieht glücklich aus", sprach sie zu sich selbst, "so als würde sie sich freuen, in die Arme unserer Mutter gelangt zu sein. Ich hoffe, es ist so. Mutter der Rose, Königin des Nachthimmels, ich bitte dich: nimm ihre Seele gnädig im Zwielicht auf."