4. Unforseen Consequences
Citadel, 22.04.2183, abends
"Komm schon, Rayla. Willst du wirklich nicht tanzen?" Die Asari schüttelte den Kopf. "Ganz sicher nicht. Du hast mich heute schon genug malträtiert."
"Naja..." Narissa biss sich verlegen auf die Unterlippe. "Du weißt, dass mir das leid tut." "Jetzt hör auf damit.", meinte Rayla mit einem beruhigenden Lächeln. "Wir wissen beide, dass du nichts dafür konntest. Du hattest keine andere Wahl." Narissa zuckte halbwegs erleichtert mit den Schultern. Vollständig beruhigt war sie allerdings nicht, denn hätte sie nicht darauf bestanden, sofort in die Halle zu gehen, wäre es womöglich nicht so weit gekommen. Offenbar sah man ihr die Zweifel auch an, denn ihre Partnerin klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter und sagte: "Na los, hol mir lieber noch was zu trinken. Schließlich haben wir ja was zu feiern."
Narissa stand von der bequem gepolsterten, halbrunden Sitzbank auf, die in ihrer Nische um den runden Tisch herumlief, und machte sich auf den Weg zur Bar. Nach dem geglückten Attentat hatten sich die beiden mit dem Hacker Jacob Howard im Schlepptau so schnell wie möglich davongemacht. Howard hatte daraufhin Kontakt zu Reijk Mal, dem Volus aufgenommen, und nur eine Stunde später war der Auftrag auch schon abgeschlossen. Während sie sich am Rand der Tanzfläche durch die Menge an Clubbesuchern verschiedenster Spezies quetschte, dachte Narissa daran, wie merkwürdig angespannt ihre Auftraggeber trotzdem noch gewesen waren. Wahrscheinlich hatten sie Angst, die Sache könnte irgendwie an C-Sec durchsickern. Narissa schnaubte verächtlich, und schob sich zwischen zwei offenbar ziemlich angetrunkenen Turianern hindurch, die sich beide an die selbe Asari heranzumachen versuchten. Auf diese Art und Weise würde keiner der beiden bei der blauen Schönheit landen - allerdings war Narissa ja selbst keine Referenz auf dem Gebiet, wie ihr dauerhaft erfolgloses Flirten mit Rayla bewies.
Unter vielfachem Ellbogeneinsatz erreichte sie schließlich die Bar, und bestellte die Drinks für Rayla und sich selbst. Nur um dann festzustellen, dass es beinahe unmöglich sein würde, zurück an ihren Tisch zu gelangen, ohne alles zu verschütten. "Das kannst du vergessen.", hörte sie eine weibliche Stimme hinter sich sagen. Als sie sich umdrehte, erkannte sie die Asari wieder, die eben noch von den beiden betrunkenen Turianern angeflirtet worden war. "Tja, sieht nicht gut aus.", meinte Narissa, und setzte mit einem Augenzwinkern hinzu: "Ganz im Gegensatz zu dir." Wenn sie schon bei Rayla nichts erreichen konnte... "Danke.", erwiderte die Blaue mit einem verführerischen Augenaufschlag. Offenbar war Narissa eher ihr Typ als betrunkene Turianer. "Wollen wir vielleicht einen Moment vor die Tür gehen? Da gibt es etwas frische Luft... oder vielmehr, überhaupt Luft." Als sie Narissas unsicheren Blick bemerkte, fügte die Asari hinzu: "Wer auch immer auf dich wartet wird doch verstehen, dass es ein bisschen dauern kann, hier was zu trinken zu bekommen... Und noch länger, die Drinks heile wieder zurück zu bekommen."
Naja, schaden kann es nicht. "Okay, lass uns gehen." "Sehr gut.", erwiderte die Asari mit einem strahlenden Lächeln, und nahm Narissa den eigentlich für Rayla bestimmten Drink aus der Hand.
Außerhalb des Clubs war es tatsächlich um einiges ruhiger. Hier trieben sich nur wenige Betrunkene herum, und so fanden Narissa und ihre neue Begleiterin schnell eine ruhige Ecke. "Also, zur Sache.", sagte die Asari, und Narissa stellte überrascht fest, dass jede Fröhlichkeit und erst recht jede Spur eines Flirtens aus ihrer Stimme verschwunden waren. "Ich habe einen Auftrag, der erledigt werden muss." "Ich... was?" Narissa war vollkommen überrumpelt.
"Ach komm, stell dich nicht dumm.", meinte die Asari ungeduldig. "Ich stelle mich nicht... ich meine, ich habe nur nicht damit gerechnet." Die Asari lachte freudlos auf.
"Tut mir leid, Schätzchen... aber du interessierst mich eher weniger. Also, was ist jetzt?" "Naja, ich meine..." Narissa leckte sich nervös die Lippen. "Ich hatte gerade erst einen..."
"Na und? Mein Auftrag ist nicht schwer und überaus lukrativ, versprochen. Und du musst nicht einmal jemanden töten." "Nein?", fragte Narissa. "Das ist merkwürdig, denn normalerweise..."
"Das ist mir völlig egal, was du normalerweise machst.", schnitt die Asari ihr das Wort ab. "Du gehst zu deinen letzten Auftraggebern - ich bin mir sicher, dass ich dein Gedächtnis nicht auffrischen muss - und bringst sie an einen Ort, dessen Koordinaten ich dir zuschicken werde. 25000 Credits. Keinerlei Risiko. Ja oder nein?"
"Ich..." 25000 Credits! Narissa musste einmal tief durchatmen. "Ja. Aber..." "Kein aber. Morgen um Elf habe ich beide - also Mr. Howard und Mr. Mal - am vereinbarten Ort. Du bekommst deine Credits und wir gehen getrennter Wege. Verstanden?"
"Verstanden. Aber wie..." "Gut." Ohne ein weiteres Wort wandte die Asari sich ab und ging davon, während Narissa aufging, dass sie nicht einmal ihren Namen erfahren hatte.
"Ein Auftrag? Bist du eigentlich vollkommen verrückt geworden, Nissa?" Rayla schien überhaupt nicht begeistert von dem zu sein, was Narissa ihr erzählt hatte. "Unsere vorherigen Auftraggeber entführen? Für jemanden, der überhaupt nicht darüber Bescheid wissen dürfte?" Sie lehnte sich resignierend zurück. "Die Sache stinkt doch."
"Mag sein... aber denk doch mal nach, Rayla. 25000 Credits! Das ist mehr, als der Volus uns gezahlt hat, und wir müssten nicht mal den Großteil an die Blue Suns abgeben." Ihre Partnerin blickte immer noch skeptisch. "Eben deshalb mache ich mir ja Sorgen. So viel Geld für eine einfache Entführung?" Narissa beugte sich vor und faltete die Hände auf dem Tisch. "Eine Entführung kann deutlich mehr Ärger machen als ein einfacher Abschuss... und es ist ja nicht nur eine Person, sondern gleich zwei. Das verdoppelt den Preis natürlich." "Ich finde immer noch, dass die Sache merkwürdig ist... aber wenn es so ist, wie du sagst..."
Narissa ergriff Raylas Hand und erwiderte fröhlich: "Ich wusste, dass du mich nicht hängen lässt." Rayla seufzte, hatte sich aber offenbar in ihr Schicksal ergeben. "Du wusstest ganz genau, dass ich dich das nicht alleine machen lasse. Und außerdem... mit 25000 Credits kann man auch mich locken."
Citadel, 23.04.2183, 11:00
"So allmählich sollten sie doch aber hier sein." Dieses Mal war Rayla diejenige, die sich ungeduldig umsah. Allerdings war die Situation auch eine andere als noch am gestrigen Morgen: Dieses Mal saßen sie nicht gemütlich in einem Café, sondern warteten an einer um diese Zeit beinahe verlassenen Skycar-Station ganz am Ende des Zakera-Bezirks. Und dieses Mal warteten sie auf einen Auftraggeber, über den sie nichts wussten, und nicht auf einen Volus und seinen Privat-Hacker - die beiden saßen mit auf den Rücken gefesselten Händen auf der Rückbank ihres Skycars und schienen ganz und gar nicht amüsiert zu sein. Die beiden gefangen zu nehmen hatte sich als beinahe beleidigend einfach erwiesen. Narissa hatte ein Treffen mit dem Volus vereinbart, nachdem sie herausgefunden hatte, dass er als Bankier arbeitete. Als Grund hatte sie angegeben, ein Konto bei ihm eröffnen zu wollen. Zu ihrem großen Glück hatte sich auch Jacob Howard gerade in Mal's Geschäftsräume aufgehalten, und zwar als einzige weitere Person. So hatte es ihr und Rayla keine Schwierigkeiten bereitet, die beiden mit vorgehaltener Waffe in ein nahes Skycar zu befördern und sofort zum Treffpunkt aufzubrechen.
"Beruhige dich. Sie hat gesagt, Punkt Elf. Und außerdem, da kommen sie schon.", erwiderte Narissa, als zwei Skycars zur Landung neben ihnen ansetzten. "Na dann, raus mit euch." Rayla zog den Volus aus dem Skycar, während Narissa den Hacker am Arm packte und ohne viel Federlesens hinaus beförderte. Sie stellten sich nebeneinander und Narissa atmete tief durch. Zwei Skycars waren eins mehr als sie erwartet hatte, und sie hoffte, dass die Übergabe glatt verlaufen würde.
Die Neuankömmlinge stiegen aus, der Volus ächzte vor Entsetzen Rayla zog überrascht die Luft ein. Angeführt wurden ihre Gegenüber von der Asari, der Narissa am Abend zuvor begegnet war - diesmal allerdings war sie schwer bewaffnet. Begleitet wurde sie von einem vernarbten Menschen, einem Batarianer, zwei Vorcha und einem großgewachsenen Turianer. Komplettiert wurde die Gruppe von einem massigen Kroganer, der sich allerdings im Augenblick noch im Hintergrund hielt.
Mit einem Blick auf das böse Lächeln der Asari legte Narissa hinter Howards Rücken für die anderen unsichtbar die Hand auf die Carnifex und sah aus dem Augenwinkel, wie Rayla das gleiche tun wollte. Allerdings hatte diese nicht bedacht, dass der Volus, den sie festhielt, deutlich zu klein war, um ihre Bewegung zu verbergen.
"Na, na. Finger weg von der Waffe.", sagte die Asari-Anführerin gelassen. "Das ihr wirklich so dumm seid, hätten wir nicht gedacht, was Jungs?" Der vernarbte Mann neben ihr brach in wieherndes Gelächter aus. "Habt ihr wirklich nicht gewusst, mit wem ihr euch anlegt?" Sie ließ einen Blick über die Gruppe schweifen, die allesamt wie angewurzelt stehen blieben. "Nein, ihr zwei offenbar nicht. Aber du, kleiner Volus... du wusstest es genau. Und hast keinen Ton gesagt." Der Volus erwiderte nichts.
"Na gut, Jungs. Schnappt sie euch alle." "Nicht so schnell.", rief Narissa, als die anderen vorrückten. Sie hatte heimlich die Fesseln des Hackers gelöst und jetzt blitzschnell die Carnifex gezogen und auf die Asari gerichtet. Die schien davon nicht sonderlich beeindruckt zu sein, und zuckte nur mit den Schultern. "Na gut... dann wird's eben lustig."