-
Ferum war in Gedanken vertieft als er die Sumpfratte zerlegte, sein Messer glitt durch die Haut und löste sich vom Fleisch, er hatte sich sowohl einiges von Dumak abgeschaut als auch einiges selber gelernt wie er die Anatomie unter Esteban studierte und so manche Ratte zuvor obduzierte. Riesenratten waren hier in der Gegend ja zu hauf vorhanden und im Gegensatz zu seinen früheren Reisegefährten störte ihm der Geschmack nicht sonderlich. Auch das Blut das aus dem Kadaver rannte störte ihm nicht, ganz im Gegenteil es faszinierte ihm. So warm wie dieser Saft des Lebens war, es ist ein essenzieller Bestandteil von Lebewesen und er hatte so seine Vermutungen das man auch damit interessante Experimente anstellen konnte. Der junge Alchemist schüttelte denn Kopf, momentan hatte er andere Dinge zu erledigen. Es war an er Zeit nach Tooshoo zurückzukehren und dafür müsste er zunächst wieder in die Stadt um ein Schiff zu finden. Nachdem er nun alleine war musste er vorsichtig sein den es gab genügend Gefahren auf der Insel denen er nicht gewachsen war.
Doch hatte er eine Idee wie er seine Rückreise erleichtern wenn nicht gar Beschleunigen konnte. Im Sumpf gab es ja reichlich an Pflanzen und Kräutern unter anderem auch Snapperkraut. Also machte sich Ferum nach dem er die zerlegte Ratte über die heißen Kohlen Aufgespießt hatte auf den Weg um diese zu finden. Es dauerte nicht lange das benötigte Kraut zu finden immerhin ist dieser Sumpf ihm nun doch schon sehr Vertraut und er wusste wo er sich Problemlos herumtreiben konnte und welche Gebiete er besser fern blieb.
Mit den Pflanzen zurück im Lager machte er sich auch gleich daran sie zu verarbeiten gemischt mit etwas Feldknötterich um die Wirkung zu stabilisieren und unter einfließen kleiner Mengen von Magie in das Extrakt, wie er es auch schon zuvor getan hatte sollte daraus schon bald der Trank entstehen und hoffentlich auch die erwartete Wirkung besitzen.
-
Hafenstadt
»Wahr gesprochen«, stimmte Saraliel der obersten Magierin zu. Draco musste wirklich aufpassen, dass er so langsam seine alten Gewohnheiten dort vergrub wo sie hingehörten. Es mochte sicherlich in Varant anders zugegangen sein, doch in Midland und im myrtanischen Reich galten nun einmal andere Regeln und dass er sie einfach so für sich bog, wie es ihm passte, konnte ja nun wirklich nicht sein. »Vater hätte es nicht gut geheißen«, ergänzte er pikiert und erntete einen mehr als missbilligenden Blick seines Bruders. Das war sicherlich Daelons schlechter Einfluss. Der Hüne hatte gleich gewusst, dass ihm nicht zu trauen war. Dass die Beiden jetzt im Geheimen sich darüber unterhielten was gut für das Reich war, bereitete ihm ernsthafte Sorgen. Er wollte noch einmal nachsetzen, doch dann ertönte von Oben: »Land in Sicht!«. Saraliel fuhr herum und schaute vorne übers Schiff. Erst konnte er nichts erkennen, doch es dauerte nicht gar so lange, dann konnte auch er die Hafenstadt sehen. Khorinis lag vor Ihnen.
Die Stadt sah schlimm aus. Ganz anders als er sie in Erinnerung gehabt hatte. Der Magier fühlte wie sich ein Kloß in seinem Hals bildete und wenn er zu seinen Beiden Gefährten herüberschaute, schien es Ihnen ähnlich zu gehen. Der Glanz schien von der Hafenstadt abgefallen zu sein. Die Häuser wirkten marode und die Menschen die sie von hier aus erkennen konnten, waren meist schlecht gekleidet und die Last der Ungewissheit schien auf Ihnen zu lasten. Er wusste nicht genau, was er erwartet hatte, doch in dem Moment wo er das Bild hier sah, wurde ihm bewusst wie Recht Françoise hatte. Es gab erst viel zu tun, bevor irgendein Denken daran sein konnte zu so etwas wie einem Alltag überzugehen. »Viel zu tun«, meinte der Weißhaarige Bruder als er sich die Stadt von Ferne betrachtete. Saraliel stimmte zu. »So ist es«
Einige Zeit später legten sie an. Menschen schauten neugierig herüber, trauten sich aber nicht näher zu kommen. Was auch immer sie von dem Tag heute erwartet hatten, es dämmerte Ihnen wohl, dass der Tag heute anders verlaufen würde als geplant. »Wir sehen uns«, meinte DraconiZ unvermittelt an seine beiden Gefährten und war dann bald vom Schiff und verschwunden. Zumindest nahm er seine Aufträge ernst. »Nun dann wollen wir mal schauen, dass wir unserer Verantwortung gerecht werden. Ich denke ich werde meine Kenntnisse der Heilung und Alchimie gerne an die Bevölkerung weitergeben, um Linderung zu verschaffen«, meinte er zu Françoise. Natürlich malte er sich kaum aus, dass das vielleicht nicht so einfach werden würde, wie sich das in seinem Kopf anhörte. Noch einmal schaute er herüber zu dem Punkt wo Draco verschwunden war. Hoffentlich wusste er was er tat. Hoffentlich.
-
Hafenstadt
»Du siehst aus, als hättest du eine ganze Horde Geister gesehen«, begrüßte Alenya ihn, als er den W eg in das abgelegene Hafenhaus gefunden hatte. Wenn man dieses Gebäude denn so bezeichnen konnte. Es standen nicht viel mehr als die Grundmauern. Regen dran langsam durch die marode Decke und hier und da war Ungeziefer wie Käfer, Ratten und anderes zu erkennen. Bedauerlicherweise fügte sich dieses Haus in den allgemeinen Zustand der Stadt ein. Bevor er mit einer Armee Orks im Hintergrund hierher gekommen war, war es eine schöne Stadt gewesen. Am Hafen gelegen und mit einer rosigen Zukunft. Jetzt verweilte sie im scheinbar endlosen Schlaf alten Glanzes. Sicherlich konnte er versuchen sich damit zu trösten, dass es auch ohne sein Zutun so gekommen wäre. Das das Chaos nur mehr Leben gefordert hätte. Doch so recht mochte es ihm nicht gelingen sich selbst zu überzeugen. Dies hier war sein Werk. Der Tiefpunkt seines bisherigen Daseins. Jeder von den Göttern verfluchte Moment hier in dieser Stadt würde ihn dazu bringen wieder und wieder zu durchleben, was er getan hatte.
»Es fühlt sich so an als hätte ich das«, meinte DraconiZ zurück. Sah sich selbst wie er vom Hafen aus auf die nichts ahnende Stadt zukam und die Wachen wegschickte. Vor seinem inneren Auge loderten die Flammen des Angriffs. Er hörte orkisches Kriegsgebrüll und menschliche Schreie in seinem Kopf. »Was konntest du in Erfahrung bringen?«, meinte er keuchend und tonlos.
»Nun hier ist wenig los. Für eine Hafenstadt kein Handel, keine florierende Wirtschaft. Die Menschen hier sind frustriert und wütend. Haben Elvritch, einen von Ihnen zum Bürgermeister erklärt. Ist aber nicht viel mehr als ein Trottel, der gerade deswegen dort sitzt, weil es keinen Anderen gab der sich mit der Aufgabe abmühen wollte. Keine Bewaffnung. Die Stadt einzunehmen ist der reinste Spaziergang«. Der Assassine schluckte hörbar.
»Ich habe gute Vorarbeit dafür geleistet«. Alenya zog eine Augenbraue hoch.
»Was gibt es noch zu wissen?«, seufzte der Weißhaarige zur Antwort.
»Das Umland ist kaum anders als hier. Die Bauerhöfe sind bis auf Onars Hof unbestellt und Keiner hat sich die Mühe gemacht dort irgendetwas zu tun. Ins Minental hat sich schon lange Keiner mehr getraut. Dort werden wir selbst erkunden müssen schätze ich. Ich habe bereits zwei von uns vorgeschickt«.
»Das ist gut. Weiter?«
»Ich nahm an du wirst mit Jemandem von hier reden wollen«
»In der Tat. Wer bietet sich an?«
»Nun der Bürgermeister wird von Hagen selbst verhört werden. Er ist naheliegend und wenig ertragreich, wenn du deinen Kopf behalten willst«
Der Paladin nickte. Damit brauchte er bei Hagen nicht anzukommen.
»Hier ist und war noch die Diebesgilde aktiv. Nun im Rahmen der Möglichkeiten heißt das«
»Ich erinnere mich«, steuerte der Assassine bei.
»Sie wäre bereit mit dir zu sprechen«
»Sie?«
»Ihre Sprecherin. Das heißt, wenn du bereit bist mehr als warme Wünsche mit ihr zu teilen«
Also genau das Territorium vor dem Françoise ihn gewarnt hatte.
»Ich werde sehr charmant sein«, versprach der Spion.
-
Khorinis.
Lord Hagen stand an der Reling der Victoria und ließ seinen Blick über die Dächer der Stadt schweifen. Was er sah, erschütterte ihn.
Das war nicht das Khorinis, das er in Erinnerung hatte. Damals war es eine blühende Handelsstadt gewesen, die zwar ihre allerbesten Tage vielleicht schon hinter sich gehabt hatte, aber nichtsdestotrotz vor Leben strotzte und ohne große Sorgen in die Zukunft blickte. Auf dem Marktplatz hatten die Händler nicht nur lokale, sondern auch exotische Waren angeboten, und dass die Stadtwache zu einem völlig verlotterten Haufen verkommen war, dem Lord André erst einmal wieder Disziplin hatte einbläuen müssen, war eher ein Zeichen dafür gewesen, wie sorglos und optimistisch man sich in Khorinis zu dieser Zeit fühlte.
Davon war nichts mehr übrig. Von drei Dächern wirkten zwei eingesunken und löchrig und Rauch war aus ihren Schornsteinen schon lange nicht mehr aufgestiegen. Die Menschenmenge, die sich am Hafen versammelt hatte, als die prächtige Flotte eingelaufen war, sah keineswegs so aus, als wäre ihr nach Jubeln zumute, und es war auch bemerkenswert still. Die Gesichter der Menschen waren ernst und verkniffen, sie murmelten untereinander und rätselten über die Bedeutung dessen, was hier geschah. Niemand feierte die Ankunft der Paladine, eher das Gegenteil war der Fall – Hagen war sich sicher, dass mehr als nur ein Augenpaar ihn voller Hass und Verachtung anstarrte.
Er seufzte und wandte sich ab. Wie sollte er es den Menschen verdenken? Ihrer Meinung nach hatte er sie wahrscheinlich im Stich gelassen – der König hatte sie verlassen, das Reich sie vergessen, ja, aber er, er selbst, Lord Hagen, hatte sie persönlich im Stich gelassen. Er und seine Männer hatten die Stadt übernommen, sich hier breitgemacht und ihre Ressourcen für ihre Mission beansprucht. Aber als dann die Orks gekommen waren, als die Menschen den Schutz der Paladine gebraucht hätten … da hatten sie versagt.
Und der Verräter ist jetzt auch wieder hier, dachte er düster. Was den König und vor allem Françoise geritten hatte, diesen verfluchten Draconiz mit einer wichtige Position in der Expedition zu betrauen, war ihm schleierhaft. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er den weißhaarigen Dämon noch in Thorniara am höchsten Turm der Zitadelle aufgeknüpft. Das wäre nur gerecht gewesen als Strafe für den unverzeihlichen Verrat, Khorinis an die Orks auszuliefern.
Und trotzdem, Verrat hin oder her – am Ende hatten er und seine Männer versagt. Die Paladine, die Streiter Innos‘, die Elite des Königreiches. Er konnte die Schuld nicht auf andere, auf die Umstände abwälzen. Das wäre der Ausweg eines Feiglings, der sich seiner Verantwortung nicht stellen wollte. Und er war kein Feigling. Er seufzte schwer, sein Griff um die Reling verhärtete sich: „Innos, gib mir Kraft!“
„Alles in Ordnung, Mylord?“
„Oh? Ja …“ Hagen drehte sich um. Er hatte gar nicht bemerkt, wie Sir Lothar an ihn herangetreten war. Der alte Ritter war wie Lord André, der in Thorniara zurückgeblieben war, um die dortigen Angelegenheiten in Hagens Abwesenheit zu verwalten, ein alter Kampfgefährte noch aus ihrer Zeit während der ersten Khorinis-Expedition. Und auch wenn er Lothar nicht so viel zutraute wie André, war Hagen doch froh, ihn an seiner Seite zu wissen. Er war phantasielos, aber pflichtbewusst und zuverlässig.
„Du wirkst nachdenklich“, stellte Lothar fest und zwischen seinen Augenbrauen bildete sich eine kleine Falte, als er seinen Kommandanten musterte.
„Sieh es dir doch an“, antwortete Hagen und deutete mit einer ausholenden Geste über die vor ihnen liegende Stadt. „Ist das das Khorinis, das wir kennen? Nein. Es ist … wir haben es so zurückgelassen, alter Freund! Sieh dir nur an, was aus der Stadt geworden ist. Es ist viel schlimmer, als ich mir hätte ausmalen können. Es wäre unsere Aufgabe gewesen, Khorinis zu beschützen! Stattdessen …“
„Es war der Wunsch des Königs, Khorinis sich selbst zu überlassen“, unterbrach ihn Lothar, „Wir haben nichts falsch gemacht!“
Hagen sah seinem Gegenüber in die Augen. Lothars Blick war hart und voller Selbstsicherheit. Er trug keine Zweifel in seinem Herzen, die ihn nachts um den Schlaf brachten. Er hatte die Befehle des Königs befolgt, und damit war die Sache für ihn erledigt. Und hatte er nicht irgendwie recht? Rhobar III. war schließlich nicht nur ihr König, er war der leibhaftige Avatar Innos‘, also welches Recht hatte ein Sterblicher, ein gewöhnlicher Krieger, seine Entscheidungen in Frage zu stellen? Und doch …
Selbst Götter können irren, dachte Hagen, sprach es aber nicht aus. Lothar würde es nicht verstehen, und selbst für ihn hatte dieser Gedanke allein schon den Beigeschmack von Häresie. Und doch war es ein Gedanke, der sich tiefer in ihm verankert hatte, als es ihm lieb war. Ein nagender, bohrender Zweifel …
Hagen stieß sich von der Reling ab und straffte sich. „Wie auch immer. Wir haben etwas zu erledigen – der Bürgermeister wartet sicherlich schon gespannt auf unseren Besuch! Sind die Männer bereit?“
„Ja, Mylord.“
„Gut. Gehen wir.“
Wenig später marschierte Hagen an der Spitze seiner Ritter und Paladine durch die heruntergekommenen Straßen von Khorinis. Der Kontrast konnte kaum größer sein: Auf der einen Seite die Streiter in ihren glänzenden, für den repräsentativen Anlass polierten Rüstungen und Waffen, wehenden Umhängen und dem blutroten Banner des Ordens, auf der anderen Seite die zur Hälfte aus unbewohnten Ruinen bestehende Stadt, deren verbliebene Bewohner größtenteils in abgerissene Lumpen gekleidet waren. Wer es sich hatte leisten können, der hatte Khorinis längst den Rücken gekehrt, um sich auf dem Festland oder sonst wo eine Existenz mit Zukunft aufzubauen – zurückgeblieben waren nur diejenigen, für die jeder Tag einen Kampf ums Überleben bedeutete, und für die eine Zukunft mit Perspektive nichts war als ein goldener Traum an einem unerreichbaren Horizont. Sie säumten den Straßenrand, ausgezehrte Gestalten mit verkniffenen Gesichtern und misstrauischen Blicken.
Selbst als sie das Oberviertel erreichten, war der Niedergang der Stadt nicht zu übersehen. Die Gebäude hier waren zwar größtenteils noch in Schuss – nur hier und da wirkte eine der Villen so, als wäre sie tatsächlich dem Verfall preisgegeben worden –, aber die meisten Fensterläden waren geschlossen und aus den Schornsteinen drang kein Rauch. Die Besitzer hielten sich vermutlich anderswo auf und ließen ihre Anwesen lediglich von einigen Bediensteten instandhalten.
Als sie das Rathaus erreichten, hatte ihnen der eher verlottert aussehende Stadtwächter mit glühend roter Schnapsnase in vorauseilendem Gehorsam schon das Tor geöffnet. Die schweren Stiefel der Paladine hallten auf den stumpfen Steinfliesen wider, als sie in der Vorhalle Aufstellung bezogen, und die Holztreppe, die zur Amtsstube des Bürgermeisters führte, knarrte und ächzte fast schon bedrohlich, als Hagen ihre Stufen erklomm. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn sie wurmstichig und unter seinem Gewicht zusammengebrochen wäre, und er machte sich eine geistige Notiz, dass er als erstes einen Schreinermeister mit der Restaurierung der Treppe beauftragen würde.
Als Hagen die Tür zur Amtsstube aufstieß – dass er sie selbst öffnen musste, musste er bereits als einen deutlichen Mangel an Respekt auffassen – saß der Bürgermeister hinter seinem Schreibtisch, hatte selbstgerecht sie Hände auf seinem Wanst verschränkt und machte nicht einmal die geringsten Anstalten, sich zu erheben. Hagen sog unwillkürlich die Luft ein. Bei allen Selbstzweifeln und Schuldgefühlen gegenüber der Stadt, bei allem Verständnis für die Ablehnende Haltung der Bewohner ihm und dem Orden gegenüber – seinen Rang derart missachtet zu sehen, das ging entschieden zu weit! Er blieb in der Tür stehen, seine Augen verengten sich zu Schlitzen: „Bürgermeister Elvritch?“
„Zu Diensten“, kam die süffisante Antwort, „Und mit wem habe ich die Ehre?“
„Mit einem Lord und Paladin des Königs, also frage ich mich, wieso du noch auf deinem Arsch sitzt!“
Elvritch hob die Augenbrauen, machte aber keine Anstalten, sich zu bewegen. „Des Königs, ja?“ Er neigte den Kopf ein wenig zur Seite. „Der König hat sich seit Jahrzehnten nicht mehr für uns interessiert, also warum sollten wir uns für den König interessieren. Kannst du mir das verraten, Mylord?“
„Du schmieriger kleiner Wurm wagst es …!!“, rief plötzlich Lothar und machte einen Schritt an Hagen vorbei, wobei seine Hand zum Griff seines Schwertes fuhr. Hagen packte den erbosten Ritter gerade noch am Arm, bevor er den Bürgermeister erreichte und ihn vielleicht tatsächlich direkt einen Kopf kürzer gemacht hätte für diese Unverfrorenheit. Elvritch zuckte zusammen, aber bei aller Nervosität hielt er seine Stellung. Er hatte Eier, das musste Hagen ihm lassen. Die Frage war nur, worauf seine Selbstsicherheit basierte – war er einfach nur dumm, oder glaubte er, ein Ass in der Hinterhand zu haben? Hagen fürchtete, dass letzteres zutraf. Und das würde ihre Mission hier nicht gerade vereinfachen.
„Der König interessiert sich jetzt für euch, und es wäre besser für alle hier, ihr würdet den Befehl des Königs nicht infrage stellen“, erklärte Hagen kühl und maß Elvritch mit seinem Blick. Er würde nicht anfangen sich zu erklären. Nicht jetzt. Dies war ein Machtkampf, nicht mehr und nicht weniger. „Ich übernehme ab sofort die Verwaltung der Stadt. Ich erwarte, dass ich umgehend von dir und deinen Beamten über die Lage und alle Vorgänge in Kenntnis gesetzt werde, ohne Wenn und Aber. Haben wir uns verstanden?“
Elvritch hielt noch einen Moment stand, doch dann wich er Hagens Blick aus und nickte mit offensichtlich gespielter Ergebenheit. „Natürlich, Mylord. Was auch immer Ihr wünscht, Mylord.“
„Gut“, knurrte Hagen und trat an den Schreibtisch heran. Er stützte sich auf der Tischplatte ab und beugte sich über Elvritch, der unter dem Blick des altgedienten Streiters doch langsam die Nerven zu verlieren begann und in sich zusammenzuschrumpfen schien. „Und jetzt, verschwinde aus meiner Amtsstube!“
Tak
-
Hafenstadt
»Der Verräter. Ihr seid es«, die Frau trat in das Zwielicht der alten Kaserne in der DraconiZ bereits auf ihre Ankunft wartete. Er hatte Valien auf den Amboss gelegt auf dem er die Klinge damals eigenhändig gefertigt hatte. Er konnte vor seinem inneren Ohr noch die Schläge widerhallen hören. Funken um Funken wie er fast mit Gewalt das magische Erz in Form gebracht hatte. Es waren Jahrzehnte vergangen. Jetzt lag das Schwert wieder in seiner Wiege, wenn man den Vergleich bemühen wollte. Als sie ihn sein Gesicht blickte ging die Frau unwillkürlich einen Schritt zurück und ihr Züge wirkten einen flackernden Augenblick lang unsicher. So als würde sie einem Dämon Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Vielleicht fühlte es sich für sie so an. »Euer Haar ist anders. Doch euer Gesicht vergesse ich nicht«. »DraconiZ nannte man Vater mich«, entgegnete der Assassine ruhig und drehte sich nur ganz langsam um, um keine Hektik in die angespannte Situation zu bringen. »Eine Ausgeburt aus Beliars Reich nennen wir euch«, spie sie ihm entgegen. »Ich wollte wissen ob es wahr ist und bei allen Pforten in die Unterwelt es ist wahr. Ihr seid zurück. Das kann nur Unheil bedeuten. Warum sollte ich jetzt meine Zeit hier verwenden?«. Sie untermalte ihre Worte mit wilden Gesten und zeigte anklagend mit dem Zeigefinger auf ihn. Sie war älter geworden. Die einstige Schönheit nur noch zu erahnen. Härte hatte den Platz eingenommen. Gepaart mit Entschlossenheit. Sie hatte schon zu Blütezeiten gewusst wie sie das Beste für sich herausholte. Anschließend hatte sie ihre Repertoire noch erweitern müssen. Der Paladin rührte sich immer noch nicht.
»Möglicherweise möchtest du dich lieber mit Hagen unterhalten Cassia«, schlug der Weißhaarige freundlich vor. »Alenya sagte mir, dass er sehr entgegenkommend mit dem Bürgermeister umgegangen ist. Wie viel Freundlichkeit er da für die nicht so treuen Schafe übrig hätte bliebe abzuwarten. Ich schätze nicht überaus viel bedauerlicherweise«. Er nickte Alenya zu, die sich in einiger Entfernung hielt, dann drehte er sich wieder um und ging zu einer Stelle an der er damals etwas positioniert hatte. Er fuhr mit seinen behandschuten Händen über den Stein und fand die Vertiefung die er in Erinnerung hatte. Der Streiter fühlte hinein, fand jedoch nicht mehr als Staub und Ungeziefer. Jemand war hier gewesen und hatte geplündert, was er damals hergestellt hatte. Ärgerlich. »Gut. Was wollt ihr?«, fauchte die Diebin und stampfe auf dem Boden auf.
»Dir helfen natürlich. Ich habe eine Vorliebe für Damen deiner Fasson«, er erlaubte sich den Anflug einen Anflug eines Lächelns. Cassia schnaubte ärgerlich.
»Ihr seit schon immer bedeutend für diese Stadt gewesen. Ihr habt auch Menschen Unterschlupf gewährt die anderswo keinen gefunden haben. Wie Mörtel der die Grundfesten zusammenhält. Was wäre es für eine Schande das wegzuwerfen, wenn die Stadt in neuem Glanz erblüht«
»Ich soll singen wie eine Nachtigall!«, donnerte sie zurück.
»Du kannst auch brennen wie ein Phönix, wenn es nach den anderen edlen Streitern geht«, entgegnete er ruhig.
»Und was willst du dieses Mal hier?«
»Aufbauen, was ich zerstört habe«, sagte er ehrlich und schaute ihr lange in die Augen. Sie schien zu versuchen in seine Seele zu schauen. Dann schnaubte sie und stellte die entscheidende Frage.
»Es gibt eine Frage. Nur eine einzige die relevant ist und bleiben wird!«, sie erhob die Stimme doch DraconiZ unterbrach sie.
»Was springt für dich raus?«
»So ist es. Damit bleibt unser Geschäft aktiv«
»Ich sorge dafür, dass ihr nicht aufgeknöpft werdet, solange ihr euch zumindest am Recht des Königs orientiert. Sobald ich starke Verletzungen oder Tote bemerke die auf eure Rechnung gehen oder ihr gegen die Interessen des Reiches handelt, haben wir ein Problem«
»Mit welcher Autorität willst du überhaupt sprechen? Woher weiß ich, dass du das überhaupt kannst?«, sie wechselte nun auf die vertraulichere Variante, was Draco als Fortschritt anerkannte.
»Ich spreche für Daca«.
»Über Daca gibt es nicht mehr als Gerüchte. Wahrscheinlich ist er oder sie nur ein Hirngespinst!«, sagte sie nach einigem Überlegen. Gehört hatte sie also von ihm.
»Das wird dir reichen müssen«
»Bei Beliar was willst du wissen?«, sagte sie nach einer Weile.
»Alles. Von Elvritch über alle wichtigen Personen und die Situation in der Stadt«.
»Könnte länger dauern«, meinte sie.
Geändert von DraconiZ (01.03.2025 um 21:17 Uhr)
-
Oberes Viertel, Rathaus
Hagen ließ sich seine Verwunderung nicht anmerken, als er die gefährlich quietschende Treppe von seiner Amtsstube herunterkam und die in der Vorhalle des Rathauses auf ihn wartenden Männer erblickte.
Es waren sechs, die sich in der Halle positioniert hatten, wobei einer von ihnen offensichtlich die Rolle ihres Anführers einnahm. Die anderen standen hinter ihm. Keiner der Männer sprach ein Wort, ihre Mienen waren steinern und ausdruckslos. Sie alle trugen Uniformen der Stadtwache, die deutliche Spuren von Gebrauch und Reparaturen aufwiesen, aber funktional gesehen tadellos in Schuss waren. Das Auffälligste an diesen sechs Männern war jedoch, dass ihre Köpfe kahlrasiert waren und sie alle Tätowierungen im Gesicht trugen. So etwas hatte Hagen noch nie gesehen.
Sir Lothar stand etwas abseits und nickte Hagen kurz zu, sagte aber nichts. Er behielt die sonderbaren Milizionäre genau im Auge, das Misstrauen in seinem Blick und seinem verkniffenen Gesichtsausdruck war unübersehbar. Hagen versuchte, eine neutrale Miene zu wahren, obwohl der die Gefühle seines Kameraden beim Anblick dieser Männer sehr gut nachvollziehen konnte. Sie strahlten eine Aura der in sich ruhenden Selbstsicherheit und Gefahr aus, wie sie nur erfahrenen Kämpfern zu eigen war, die sich ihrer eigenen Fähigkeiten bewusst waren. Um so wichtiger war es, herauszufinden, wer diese Männer eigentlich waren – und was ihr seltsames Aussehen zu bedeuten hatte.
„Innos zum Gruße“, eröffnete Hagen das Gespräch, „Ich bin Lord Hagen, Paladin des Ordens Innos‘, General Ihrer Majestät, Statthalter von Thorniara, und von heute an auf Geheiß König Rhobars III. persönlich darüber hinaus Kommandant und Verwalter von Khorinis. Und ihr, so heißt es, seid die Offiziere der Stadtwache seit über zehn Jahren?“
„Oder was von der Stadtwache übrig ist“, antwortete der Anführer ungerührt. Kein einziger Muskel in seinem Gesicht zuckte und verriet auch nur die leiseste Gefühlsregung, während seine kalten grauen Augen jeder noch so kleinen Bewegung Hagens folgten. Der alte Paladin erwiderte den Blick ohne zu blinzeln, und einen Moment lang war es, als würden zwei Raubtiere sich gegenseitig abschätzen, um dem jeweils anderen schließlich einen gewissen anerkennenden Respekt zu zollen, der nichts mit Unterwürfigkeit zu tun hatte.
Dann war der Moment vorüber, und Hagen nickte knapp. „Wie ist Euer Name?“
„Gor Na Kosh“, antwortete der Anführer, und sofort trat Sir Lothar einen Schritt nach vorn.
„Gor Na Kosh, Mylor-“, zischte der Ritter, doch Hagen hob die Hand und gebot ihm zu schweigen. Lothar atmete scharf ein und verschränkte die Arme vor der gepanzerten Brust, den Milizsoldaten mit einem finsteren Blick fixierend. Dieser ließ sich jedoch nicht im Geringsten davon beeindrucken.
„Gor Na Kosh?“, wiederholte Hagen langsam, als würde er die Silben auf seiner Zunge zergehen lassen. „Ein ungewöhnlicher Name, wenn ich das so sagen darf. Woher stammt Ihr?“
„Es ist ein Titel“, antwortete Gor Na Kosh knapp.
„Ein Titel?“ Hagen hob fragend die Augenbrauen, doch sein Gegenüber machte keinerlei Anstalten, weiter zu elaborieren, so dass der alte Paladin beschloss, das Thema zunächst auf sich beruhen zu lassen. Im Moment war es wichtiger, diese Männer zur Zusammenarbeit zu gewinnen, denn nach allem, was Hagen wusste, waren sie seit einer guten Dekade die inoffiziellen, aber von jedermann akzeptierten und vor allem: respektierten Anführer der Stadtwache. Die Wache mochte im Vergleich zu seiner eigenen Truppe keine nennenswerte Kampfkraft besitzen, aber Kampfkraft war eben nicht alles. Die Kenntnis der Stadt und der Insel und das Vertrauen der Bewohner, das die Miliz genoss, waren ein wertvolles Kapital. Wenn er das verspielte, würde es die vor ihm liegende Aufgabe nur unnötig verkomplizieren.
„Also gut, ein Titel also. Es sollte mich wohl nicht wundern, dass ihr eigene Hierarchien etabliert habt in den vergangenen Jahren, in denen das Reich … fern war. Ich habe auch nichts dagegen einzuwenden. Viel mehr würde mich interessieren, warum ihr diese Aufgabe überhaupt auf euch nehmt – soweit ich weiß, erhaltet ihr nicht einmal nennenswerten Sold? Warum stellen erfahrene und fähige Krieger wie ihr ihre Fähigkeiten in Elvritchs Dienste?“
„Wir dienen nicht Elvritch“, knurrte Gor Na Kosh, und zum ersten Mal verriet seine Stimme die Nuance einer Gefühlsregung: Verachtung. „Wir dienen der Stadt und den Menschen hier. Wir tun dies, weil es das Richtige ist, nicht um des Geldes Willen. Wir erhalten, was wir zum Leben benötigen, und beschützen die Menschen hinter diesen Mauern – so gut wir eben können.“
Hagen hob die Augenbrauen. Eine solche Antwort hatte er trotz allem nicht erwartet, aber er konnte keine Lüge in Gor Na Koshs Worten erkennen. Sein Gegenüber sprach aus voller Überzeugung und, ob absichtlich oder nicht, zitierte das Ideal des Rittertums.
„Das ist … höchst ehrenhaft. Ich respektiere das, und ich wünsche, euch bei eurer Arbeit zu unterstützen. Sagt, wie steht es um die Stadtwache?“
„Schlecht“, antwortete Gor Na Kosh knapp und legte eine Pause ein, so dass Hagen schon glaubte, das wäre alles, was der sonderbare Milizoffizier ihm über den Zustand seiner Truppe mitzuteilen gedachte, als er schließlich doch weitersprach: „Wir sind viel zu wenige, kaum fünf dutzend, und die meisten unserer Leute können froh sein, wenn die Klinge eines Schwertes vom Griff zu unterscheiden wissen. Versteht mich nicht falsch, sie sind gute Menschen, aufrichtig, sie wollen etwas bewirken – aber sie sind nicht das Material, aus dem man Soldaten macht. Wer halbwegs fähig ist und es sich nur irgendwie leisten kann, der verlässt Khorinis. Nach Gorthar, nach dem Festland, beim Schläfer, sogar nach Argaan. Überall, nur nicht Khorinis. Ihr könnt Euch sicher vorstellen, dass mit denen, die hierbleiben, kein Blumentopf zu gewinnen ist. Wir versuchen trotzdem, zumindest ein wenig für Sicherheit zu sorgen – patrouillieren die Straßen, halten auf dem Markt nach Taschendieben Ausschau, sorgen dafür, dass die wenigen Händler, die überhaupt noch hierherkommen, unbehelligt ihre Geschäfte machen können und sichern die Route zu den Höfen im Osten, um die Versorgung sicherzustellen. Die gefährlichen Aufgaben müssen aber ich und meine Brüder selbst in die Hand nehmen, die können wir kaum jemandem aus der Truppe anvertrauen, und auch sonst sind wir viel zu wenige, um das Verbrechen in der Stadt wirklich einzudämmen. Und selbst wenn wir mal wieder einen Taschendieb beim Klauen erwischen, was sollen wir groß machen? Ihn aufknüpfen? Wer früher gerade so über die Runden kam, ist inzwischen arm, und wer früher arm war, ist heute verzweifelt und hat kaum noch eine andere Wahl. Die Drahtzieher hinter schwereren Verbrechen nutzen diese Verzweiflung aus und halten sich geschickt Hintergrund, an sie kommen wir nicht heran. Tja, so sieht’s aus. Wir arbeiten mit dem, was wir haben, aber es ist nicht viel.“
Hagen hörte sich Gor Na Koshs Bericht schweigend an und nickte hin und wieder. „Danke. Ich danke euch im Namen des Königs, des Reiches und des Ordens für eure aufrichtigen Bemühungen…“
„Wir dienen nicht dem König, oder dem Reich, oder dem Orden“, fiel ihm Gor Na Kosh ins Wort, und Hagen stutzte. Der Milizoffizier verzog keine Miene, aber seine Augen funkelten herausfordernd. Hagen bemerkte, wie sich Lothars Haltung anspannte. Es war ein kritischer Moment. Ein Machtkampf – schon wieder. Doch Gor Na Kosh und seine Männer waren von anderem Kaliber als dieser schmierige Bürgermeister, und er brauchte sie.
„Ihr dient der Stadt und den Menschen hier“, stellte Hagen schließlich diplomatisch fest und nickte, „Das respektiere ich, vor allem, weil ihr damit für dieselben Ideale eintretet, für die auch ich geschworen haben, einzutreten – so wie jeder meiner Paladine, Ritter und Gardisten. Ich will eurer Arbeit nicht im Wege stehen, im Gegenteil – ich will euch mit den Ressourcen ausstatten, die ihr braucht, so dass ihr mit eurer Erfahrung und eurem Wissen um die Stadt und die Verhältnisse auf der Insel eine wirkliche Veränderung bewirken könnt. Mein Auftrag, direkt vom König, lautet, diese Stadt wiederaufzubauen, ihr wieder Leben einzuhauchen. Und dafür ist eine gut ausgebildete und ausgerüstete Stadtwache, die für die Sicherheit der Bürger sorgen kann, essenziell. Werdet ihr mich dabei unterstützen, Khorinis wieder zu altem Glanz zu führen?“
Hagen sah Gor Na Kosh fest in die Augen und streckte ihm die Hand entgegen. Der glatzköpfige Milizoffizier reagierte nicht sofort, doch schließlich ergriff er die Hand des Paladins: „Das werden wir.“
Nachdem Gor Na Kosh und seine Männer das Rathaus wieder verlassen hatten, saß Hagen an seinem Schreibtisch in der Amtsstube und tippte nachdenklich mit den Fingern auf die Tischplatte. Lothar stand neben der Tür, die Miene verkniffen, der Blick düster: „Ich sage es ganz offen, ich traue diesen Kerlen nicht! Nicht ein Stück!“
Hagen nickte bedächtig: „Ich bin mir nicht sicher. Ihre Motive scheinen rein zu sein. Zumindest nach dem, was ich bisher an Informationen habe, ist die Stadtwache zwar mit ihrer Aufgabe völlig überfordert, aber die Männer und Frauen, die diese Bürde auf sich nehmen, scheinen es aus Überzeugung und dem Wunsch zu tun, helfen zu wollen. Das allein ist schon sehr bemerkenswert. Und dieser … Gor Na Kosh und seine Männer befehligen die Wache seit gut zehn Jahren. Wobei ‚befehligen‘ vielleicht nicht einmal der richtige Ausdruck ist. Sie … leiten sie an. Sie führen durch ihr Vorbild.“
„Und dieses sonderbare Gehabe? Ihre Aufmachung? Ihre … Titel? Sie bezeichnen sich untereinander als Brüder! Was glauben diese Kerle, das sie darstellen? Einen Orden?!“ Lothar schnaubte abfällig.
„Ich weiß es nicht“, gab Hagen zu, „Und ja, das bereitet mir Kopfzerbrechen. Falls es dich beruhigt, ich traue ihnen auch nicht. Noch nicht. Sie sind zu undurchsichtig …“
„Und offen rebellisch gegenüber dem König!“
„Auch das, aber sei ehrlich, kannst du es ihnen verdenken? Sieh dir die Stadt an!“
„Das hat nichts damit zu tun! Es ist nicht an ihnen, irgendwelchen … Bauern und Söldnern, die Entscheidungen der Krone in Frage zu stellen!“
„Natürlich nicht“, seufzte Hagen, „Dennoch brauchen wir sie für den Moment.“
„Wirklich?“
„Mein königlicher Auftrag lautet, Khorinis wieder auf Vordermann zu bringen, und zwar so rasch wie möglich! Es ist nicht an dir, meine Methoden in Frage zu stellen!“ Hagens Miene verhärtete sich und Lothar nahm unwillkürlich Haltung an.
„Natürlich, Mylord. Verzeiht, Mylord.“
Hagen ließ die Worte ein paar Sekunden lang in der Luft hängen, dann nickte er nur und wandte den Blick aus dem Fenster: „Also, wir werden Gor Na Kosh und seine Leute so weit wie möglich einbinden. Damit machen wir uns ihre Expertise zunutze, und zugleich können wir sie auf diese Art im Auge behalten. Und in der zwischenzeit werden wir versuchen, so viel wie möglich über sie herauszufinden – ihre Vergangenheit, ihre seltsame Verbindung, ihre Motive. Sollte der Verräter nicht genau für sowas mitkommen? Spionage, Schnüfflerei und all das? Da kann er sich verdammt nochmal nützlich machen!“
Tak
-
Hafenstadt
Beinahe hätte die Oberste Feuermagierin die alte Stadt nicht wiedererkannt. Vieles hatte sich zum Schlechten verändert. Sowohl die Menschen als auch ihre Heime zeugten von miserablen Jahren. Wer nicht hatte fliehen können, musste zusehen, wie er sich tagtäglich über dem Wasser hielt. Ohne den Handel mit den anderen Teilen des Reiches gab es hier nichts. Da half weder Fleiß noch Hartnäckigkeit.
Es schmerzte Françoise, Khorinis in diesem Zustand zu sehen. Die Stadt glich einem dahinsiechenden Patienten. Es wäre Aufgabe des Königreichs gewesen, sich um sie zu kümmern. Sich um ihre Bewohner zu kümmern. Auch sich selbst sah die Priesterin in der Verantwortung. So viel Zeit und Kraft hatte sie andernorts investiert, die Khorinis ebenso gebraucht hätte. Das ließ sich jedoch nicht mehr rückgängig machen. Es galt im Hier und Jetzt die Schäden zu beheben und den Bedürftigen zu helfen.
Die kleine Schar von Novizen, die die Priesterin auf ihrer Reise begleiteten, erhielten Weisung, den Zustand der Stadt zu dokumentieren. Was wurde wo gebraucht, hieß die Frage. Sobald sie sich einen Überblick geschafft hätten, konnten sie die Herausforderungen gezielt bewältigen. Unterdessen ging Françoise begleitet von Gorax und Saraliel durch die Straßen und Gassen der Stadt. Konstantin folgte mit wachsamen Augen. Die Anwesenheit von Feuermagiern sollte den Menschen Hoffnung spenden. Leider hielten die Bewohner gebührenden Abstand zu der kleinen Gruppe und beäugten sie scheu aus Fenstern und Türen. Niemand richtete das Wort an die Erwählten. Eine Mischung aus Ehrfurcht und Resignation, mutmaßte die Oberste Feuermagierin. Gewiss spielte auch das allgegenwärtige Scheppern von stählernen Rüstungen eine beträchtliche Rolle. Wer wusste schon, was die Paladine mit all jenen anstellten, die es mit den Gesetzen des Reiches in den letzten Jahren nicht so genau genommen hatten? Eine wohl nicht ganz unbegründete Angst.
Schließlich gelangten die vier zum Tempelplatz. Efeu hatte von der großen, weißen Kuppel und den Säulen Besitz ergriffen und Risse hatte sich im Stein gebildet. Hier hatte es lange keine Gottesdienste mehr gegeben. Auch bezweifelte Françoise, dass den Bürgern danach der Sinn stand. Sie hatten ganz andere Sorgen.
»Gorax.«
»Ja, Schwester?«
»Ich möchte, dass du hier am Tempel die Stellung hältst. Du musst nicht predigen. Jedenfalls jetzt nicht. Im Augenblick müssen wir für die Menschen einfach da sein.«
»Das sollte kein Problem sein! Ich werde ein, zwei Novizen damit beauftragen, den Tempel wieder auf Vordermann zu bringen. Ich werden den Leuten mit Rat und Segen zur Verfügung stehen. Vielleicht hätte Daron uns begleiten sollen. Immerhin ist das seine Spezialität.«
»Ich vertraue darauf, dass du dieser Aufgabe mehr als gewachsen bist. Und du, Saraliel. Nun, du hast dich ja schon als Heiler angeboten. Ein kleines Lazarett lässt sich hier bestimmt irgendwo einrichten.«
Eine kleine Gruppe von Männern zog an ihnen vorbei. Sie trugen abgenutzte Uniformen der Stadtwache, nur passte weder ihr Gang noch ihre restliche Aufmachung zu den typischen Soldaten des Königs. Der vorderste Mann warf einen flüchtigen Blick zu den Feuermagiern, marschierte dann aber ohne viel Federlesens mit seinen Kameraden weiter.
»Adanos zum Gruße.«, krächzte eine Stimme und ein alter Mann mit einem Krückstock erschien. Ihm nickten die seltsamen Soldaten im Vorbeigehen zu, bevor sie hinter der nächsten Ecke verschwanden. Der Greis hielt unterdessen geradewegs auf die Feuermagier zu.
»Und euch natürlich Innos zum Gruß.«, sagte der Alte.
»Innos zum Gruß.«, erwiderte Françoise und lächelte sanft.
»Ich bin Constantino, der Alchemist. Lange ist es her, dass ich hier einen Feuermagier zu sehen bekomme. Jetzt sind es gleich drei.«
»Mein Name lautet Françoise. Dies ist Gorax, Saraliel und dort mein Leibwächter Konstantin. Wir haben Khorinis zu lange sich selbst überlassen. Das werden wir jetzt ändern.«
»Löblich, löblich.«
Constantino blickte die Priesterin argwöhnisch an.
»Dein Gesicht kommt mir bekannt vor.«, sagte der Alchemist schließlich.
»Wir sind uns früher schon begegnet. Ich habe im Kloster gelebt und dann und wann bei dir eingekauft.«
»Richtig. Eine Frau, die Feuermagierin geworden ist. Daran kann ich mich erinnern! Hm, du siehst mir nicht viel älter aus als damals.«
»Schon möglich.«
»Wie auch immer. Mich freut es, dass die Erwählten und die Streiter wieder in Khorinis sind. Die Stadt kann etwas Ordnung wahrlich gut gebrauchen. Ich hoffe, ihr bleibt dieses Mal länger hier.«
»Wir sind hier, um zu bleiben.«
-
Am Tempelplatz, Hafenstadt
»Ihr habt ein voll ausgerüstet Labor«, stellte Saraliel das Offensichtliche fest und der Mann den die oberste Magierin Constantino genannt hatte, schaute ihn so an als wollte er sagen Was du nicht sagst. Der Hüne lies sich natürlich nicht beirren. »Eure Freude wird noch viel größer werden, wenn ihr erfahrt, dass wir jetzt zusammen arbeiten. Es wird großartig. Diese Stadt wird zu neuem Glanze erstrahlen!«, verkündete er enthusiastisch. Er malte es sich schon aus wie er helfen würde. Wir er die Kranken heilen würde, den Verirrten nach Hause half und den Schurken keine Angriffsfläche mehr bot. »Innos schickt euch als Zeichen!«, meinte er und klopfte dem Greis zaghaft auf die Schulter. Er sah in der Tat so alt aus, dass der Magus fast fürchtete er konnte unter der bloßen Last einer seiner Hände zusammenbrechen. Das wollte er nun nicht wirklich in Kauf nehmen. »Wie sieht es mit Vorräten aus?«, fragte der Magier neugierig. »Schlecht«, antwortete der Greis prompt. Saraliel hatte ihn direkt ins Herz geschlossen. Ohne große Umschweife direkt zum Thema. So wie es sein sollte. »Gut. Ich schaue nach einem geeigneten Ort für ein Lazarett. Irgendwo hier finden wir sicherlich ein paar Burschen die uns die Notwendigen Ingredienzen beschaffen. Ich denke wir machen einen Aushang«. Er nickte um sich selbst zu bestätigen. Zu Francoise hin sagte er: »Mach dir keine Sorgen. Ich habe das hier völlig unter Kontrolle.«
Schnell war ein Haus gefunden, was unweit des Tempels leer stand. So wie zu viele andere Häuser. Mit der Hilfe des Alchemisten war auch schnell eruiert, dass das Haus wirklich leer stand und ein Besitzer nicht zurückkehren würde. »Gut gut. Dann lasst uns schauen, dass wir es einigermaßen herrichten«. »Wir Beide?«. Saraliel schaute ihn entrückt an. »Natürli..«, er blickte den alten Mann an und selbst ihm wurde bewusst, dass das vielleicht im Alter von Constantino ambitioniert war. »Äh«, machte der Magus dann und fuhr sich entschuldigend durch die schwarzen Haare. »Nun erm. Ich denke ich organisiere einige Männer des Königs«, meinte er dann, während der Greis sich bereits auf den Weg irgendwo anders hin machte. Netter Kerl. Wirklich.
-
Hafenstadt, Spelunke
Der Weißhaarige setze sich in eine Ecke der Taverne Zum einbeinigen Klabauter , wobei Taverne wohl drastisch gelobt war, sogar als es Khorinis noch gut gegangen war. Damals und jetzt erst recht wäre der Name Spelunke wohl angemessener. Es tropfte von der Decke, es roch nach Moder und er war sich sehr sicher, dass das Tuch mit dem der Wirt die Gläser reinigte dieselben eher schmutziger machte, denn reinigte. Kardif hieß er, erinnerte er sich dunkel.
»Meine Dame Cassia, meine Herren Nagur und Halvor«, meinte DraconiZ grinsend und schaute in die Augen der Personen die ihn eingeladen hatten. Nagur der Mann, dem man nachsagte er sei kaltblütig und nur im Sinne hatte das beste Geschäft für sich herauszuschlagen. Musterte man seine Züge, so war das nicht weit davon entfernt. Cassia, die Herrin der illustren Gesellschaft. Sie entschied und schien noch immer mit eiserner Faust über die ihren zu herrschen. Ihre Schönheit war verblasst, doch ihre Entschlossenheit machte dies mehr als wett. Der letzte der am Tisch saß war Halvor der Fischhändler. Er stank nach seinem Tagewerk und auch er war deutlich älter und ausgemergelter als der Paladin das in Erinnerung hatte. Er wusste, dass es noch mehr gab oder gegeben hatte. Die beiden die hier mit am Tisch saßen und Kardif der Wirt waren also die drei denen Cassia genug traute, dass sie hier ihr Gespräch fortsetzen konnten. Scheinbar war der Anführerin nicht wohl dabei gewesen in der alten Kaserne zu sprechen. Ein Haus, dass sie unter Kontrolle hatte, schien ihr wohl besser geeignet. Alenya hatte draußen warten müssen, was für den Assassinen keine große Rolle spielte. Er würde nachher mit ihr teilen, was er hier erfuhr. »Wir kennen uns ja bereits unter anderen Umständen«, fuhr der Streiter immer noch grinsend fort. Damals hatte er versucht sie dingfest zu machen und sie waren ihm immer wieder durch die Finger geglitten wie Sand. Jetzt brauchte er sie und glücklicherweise auch umgekehrt.
»Was hat der Trubel zu bedeuten?«, fragte Halvor als erster.
»Ihr habt demnächst mehr Kunden«, gab der Klingenmeister zurück. »und das Gesetz des Königs kehrt zurück. Das myrtanische Reich hat wieder Interesse an der Insel entwickelt«
»Eure Freunde verhalten sich wie die Axt im Walde«, knurrte Nagur. Sein Ton gefiel ihm nicht. Doch er lies es zunächst auf sich beruhen.
»Ich habe mich amüsiert«, steuerte Cassia bei und stellte ihre Schadenfreude zur Schau. Das war gut.
»Teilt die allgemeine Bevölkerung eure Freunde?«, fragte der Weißhaarige und betrachtete einen Moment argwöhnisch den Humpen der vor ihm hingestellt wurde und aus dem er definitiv nicht trinken würde.
»Die meisten nicht. Ist eigentlich ganz okay der Kerl«, meinte Halvor nachdenklich, während er einen tiefen Schluck von der Brühe nahm, den sie hier mit Bier betitelten.
»Die meisten sind ihm nicht abgeneigt. Es hat für Rumoren gesorgt, dass euer Lord ihn öffentlich brüskiert hat«, ergänzte Cassia nun ernster.
»Davon war auszugehen«, meinte DraconiZ nachdenkend. »Es heißt jedoch für euch erst einmal nichts. Ich denke ich kann euch weit genug davon abschirmen, wenn ihr mich lasst«
»Und das macht ihr wie?«
»Nun ich sage z.B. nicht öffentlich eure Namen und lasse nicht in Hagens Beisein meine Kenntnisse aus meiner Zeit in der Miliz fallen«
»Er meinte er spricht für Daca«, sprach Cassia und brachte ihn damit in den Fokus der drei Herren.
»Ein Geist vom Festland. Heißt er weiß fast alles und hat überall seine Hand mit drin«, knurrte Nagur
»Nicht mehr als Seemannsgarn«, konstatierte Halvor.
»Beweise es!«, forderte Cassia. »Jeder von uns muss sich beweisen«. Der Assassine nickte. Dann zog er eine Flasche hervor und stellte sie langsam auf den Tisch. Daelon hatte sich selbst übertroffen daran gedacht zu haben. Wenn er in seine Fußstapfen treten wollte, musste er noch sicherlich viel lernen und viel bedenken.
»Was soll das sein?«, fragte Nagur skeptisch.
»Viele Grüße von Jesper.«, meinte der Paladin grinsend.
Halvor nahm die Flasche in Augenschein und musterte sie. Dann reichte er sie an Cassia, die sie ebenfalls musterte. Beide brauchten einen Moment, dann nickten sie.
»Sie ist echt«, entschied die Anführerin.
»Woher hast du sie?«. DraconiZ lachte nun offen.
»Ich spreche für Daca«, sagte er wieder.
»Das reicht nicht«, meinte Nagur, als auch er sich die Flasche betrachtete.
»Schaut genauer hin«, forderte der Weißhaarige und die drei betrachteten das Gefäß genauer. Als sie es gegen das Licht hielten, wurde weiter offensichtlich, dass eine weitere Nachricht in das Gefäß eingebrannt worden war.
»Er bürgt für euch. Aus Kap Dun. Das ist sein Machwerk«, meinte Cassia atemlos. Vielleicht wollte der Klingenmeister gar nicht so genau wissen, was Lord Lomín mit dem Armen getan hatte.
»Das und meine Anwesenheit hier als der, der ich nun einmal bin werden euch reichen, um eine Vereinbarung zu treffen«, entschied er und die drei widersprachen nicht.
»Wir haben eine Vereinbarung«, meinte Cassia dann.
Es wurde noch ein langer Abend.
-
Hafenstadt, neues Lazarett
»Oh doch nicht DORTHIN«, meinte Saraliel und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Nein nein nein. Das geht so nicht«, fuhr er mit erhobenem Zeigefinger fort. Eigentlich sah der Raum schon deutlich besser aus als vorher, aber man durfte die Helfer nicht so einfach von der Stange lassen. Was die sich wohl erlaubten. »Wir müssen Vertrauen wiederherstellen meine Damen und Herren. Vertrauen. Da muss es hier wirklich gut aussehen«, fuhr er genervt fort. Wenn er hier nicht den Überblick behielt, würde es nachher hier wie in einer Schänke aussehen und nicht wie in einem Lazarett. Bei Innos’ diese Stadt und diese ganze Reise war eine wirkliche Herausforderung. »Das ist ein Bett. Das kann man auch sanft abstellen!«, fuhr er die nächstbesten an, die gerade unter großer körperlicher Anstrengung das Möbelstück transportieren. Er war einigermaßen erfreut, dass eigentlich alle helfenden sich mehr oder minder freiwillig gemeldet hatten. Nur mit dem was sie hier an Ausführung darboten, konnte man nun wirklich nicht zufrieden sein. So ging es hin und her und der Raum begann mehr und mehr Form anzunehmen.
Einige Zeit später wurde noch immer viel gewerkelt und der Heiler fand es nach und nach ganz angemessen, so dass er sich nur noch hier und da erlaubte telekinetisch nachzuhelfen, wenn ihm etwas gar nicht in den Kram passte. Die Kommentare unter vorgehaltener Hand, dass er das früher schon hätte machen können, ignorierte er gekonnte. Seine Magie war heilig und ein großes Geschenk. Es würde sie für höheres nutzen und so wie er es für richtig hielt. Da lies er sich wohl nicht von profanem Volk hineinreden.
»Seid ihr der Mann, den sie Saraliel nennen? Ein erm Magier?«, fragte eine Frau plötzlich und zupfte sanft an seiner Robe. Scheinbar bemühte sie sich schon eine Weile um seine Aufmerksamkeit und hatte beschlossen, dass sie drastischere Schritte einleiten musste. »Der bin ich«, meinte der Hüne und blickte hinein. Eine Frau mittleren Alters. Freundliche Gesichtszüge. Ausgemergelte Gestalt und mit eher Lumpen bekleidet als wirklicher Kleidung. Sie sah aus wie die meisten hier leider aussahen. »Wie darf ich helfen?«. Sie deutete auf einen Mann mit kurzen braunen Haaren und einem Bart, der wirklich mal wieder geschoren werden musste. Auf dem Arm hatte er ein kleines in sich zusammen gesunkenes Bündel, was Saraliel erst nach mehreren Blicken als Kind identifizierte. Er war mit schnellen Schritten da. »Legt es auf den Tisch dort«, meinte er nachdenklich. Sobald der Junge lag begann er seine magischen Fühler auszustrecken. Keine oberflächlichen Verletzungen. Seine Augen und seine Magie wanderten gleichermaßen. »Auffällig?«, fragte er an die Eltern gerichtet. »Erm ein guter Junge«, meinte die Frau hastig und der Magus seufzte. Na das konnte ja was werden. »Der Zustand. Ist etwas Auffälliges passiert?«, fragte er so beherrscht er konnte. »Wir haben ihn so im Bett gefunden. Hat.. hat nichts verbotenes getan. Nicht mit schwarzen Mächten oder irgendetwas in der Richtung!«, versprach der Vater fast feierlich. Saraliel biss sich fast auf die Zunge. »Sieht nicht nach Dämonologie aus«, pflichtete Saraliel bei und der Vater schien erleichtert zu sein. Aus denen war nichts rauszubekommen. Musste er selbst suchen.
»Herz normal, Atmung schnell, er ist noch jung, Zähne schlecht. Nicht ungewöhnlich. Haare und Form zeigen Mangelernährung«, der Junge zitterte ein bisschen unter seinen Berührungen und Saraliel beruhigte ihn: »Du bist in guten Händen. Wir finden heraus was dir fehlt Kleiner«. Abgesehen von gescheiter Nahrung und Bildung. Beides würde wohl kommen, wenn es Khorinis besser ging. Von dem Jungen kamen nur Stöhnlaute. »Keine Standardsymptomatik. Interessant«. »Interessant?«, fragte die Mutter etwas verwirrt. »Meine Neugier fördernd, nicht alltäglich, meiner persönlichen Neigung förderlich«, schmückte er das Wort weiter aus in der Hoffnung die Frau würde nicht weiter nachfragen, wenn sie schon nichts zweckdienliches beisteuern konnte. Sie schaute nur verwirrter drein, was Saraliel nicht mitbekam. »Fehlfunktion des Darms. Kann seine Körpersäfte nicht absetzen. Da ist was«, meinte er dann plötzlich und fühlte mit der Hand über den Gedärmen des Jungen. »Stark sein. Gleich vorbei«, meinte er und fuhr dann mit seiner Magie ins Innere hinein.
»Beliar was war das?«, fragte die Mutter als sie den Radius der Exkremente betrachtete die sich vor dem Jungen aufgetan hatten. »Beliar hat da nichts mit zu tun«, meinte der Magier belehrend. »Euer Sohn hat Dunkelpilze gegessen. In irgendeiner Höhle gefunden. Nun im Zweifel kann man sie in einer Kost schon berücksichtigen. Nur er scheint den Hals nicht voll bekommen zu haben«, meinte er dann und schaute auf das Ergebnis. Ja definitiv Dunkelpilze. »Wir danken euch Herr. Von ganzem Herzen!«, verkündete die Frau und drückte ihn. Schon irgendwie unpassend. Auch etwas nett. »Sagt es gerne weiter. Ich bin hier«, meinte er achselzuckend.
-
Hafenstadt, ein verlassenes Haus nahe der Kaserne
„Ist doch nett hier!“, kommentierte Jacques mit überschwänglichem Enthusiasmus, wobei er krampfhaft versuchte, den Hustenreiz zu unterdrücken, den die verstaubte Luft auszulösen drohte.
„Ja, nett wie in ‚nett ist der kleine Bruder von Scheiße‘“, kommentierte Redlef, gut gelaunt wie immer. „Wenn die Stallungen genauso heruntergekommen sind …“
„Achwas, ein bisschen durchfegen, dann wird das schon wieder!“ Wenn Jacques gewusst hätte, welcher Blick sich von Redlefs Seite gerade in seinen Rücken bohrte, wäre er wahrscheinlich direkt tot umgefallen. Zum Glück war er damit beschäftigt, ihr neues Zuhause zu bewundern.
Das Haus unweit der Kaserne, in dem die zukünftige Elite der zukünftigen Kavallerie von Khorinis in Person von Redlef, Calan und Jacques untergebracht war, unterschied sich von den anderen Ruinen der Nachbarschaft lediglich darin, dass es immerhin noch ein halbes Dach hatte. So mehr oder weniger. Es war löchrig wie ein Nordmarer Bergkäse und würde bei Regen kaum Schutz bieten, aber zumindest stellenweise waren noch ein paar Ziegel vorhanden. Auch das Gebälk schien noch in akzeptablem Zustand zu sein. Davon abgesehen aber schaffte es das Haus, zugleich muffig und abgestanden zu riechen, während es zog wie Hechtsuppe. Der einzige Lichtblick: Es gab einen Kamin, der aus Feldsteinen errichtet war und einen stabilen Eindruck machte, und daneben eine Kochstelle. Jacques hoffte nur, dass der Schornstein nicht verstopft war. Töpfe und Geschirr würden sie sich problemlos von einem der Schiffe besorgen können.
„Als erstes ordentlich durchkehren, dann das Dach flicken, und dann lässt es sich hier schon wieder aushalten“, beendete Jacques seine Bestandsaufnahme und stellte sein Bündel ab. Eigentlich war das Haus tatsächlich nicht übel – es war geräumig und verfügte über mehrere Zimmer neben dem Hauptraum, so dass jeder von ihnen seine private Kammer einrichten konnte. Gut, die vermoderten Türen mit den komplett zu unförmigen Klumpen verrosteten Scharnieren würde man austauschen müssen, aber die Möglichkeit bestand. Zumindest waren sie nicht gezwungen, mit einer Horde Milizsoldaten in einem der überfüllten Gemeinschaftssäle der Kaserne zu schlafen. Und tatsächlich glaubte Jacques dem Paladin Lothar, wenn dieser erklärte, er habe schon die besten Unterkünfte für die Truppe heraussuchen lassen, die er eben hatte auftreiben können – das Haus spiegelte einfach den Zustand der ganzen Stadt wider.
„Na wenn du so wild auf‘s kehren bist, fang doch am besten schonmal damit an“, brummte Redlef, „ich muss mich darum kümmern, eine Stallung für die Pferde zu finden!“
„Klar!“, rief Jacques enthusiastisch, Redlefs sarkastischen Unterton gekonnt ignorierend (sofern er ihn denn überhaupt bemerkt hatte), „Ich sehe zu, dass ich die nötigen Utensilien besorge. Und vielleicht ein paar einfache Möbel. Irgendwas wird sich schon auftreiben lassen, da bin ich mir sicher!“
Ohne eine Sekunde Zeit zu verlieren, wandte sich Jacques zum Gehen und wollte gerade aus der Tür treten, als er abrupt innehielt – eine Speerspitze direkt unter seiner Nase nötigte ihn dazu: „Halt! Wer seid ihr und … oh … ihr gehört zu den Leuten des Königs, oder?“
Jacques hob beschwichtigend die Hände und schielte nach unten, von wo die erstaunlich hohe Stimme kam. Die Besitzerin des Speers, der noch immer auf seine Nasenspitze gerichtet war, reichte ihm kaum bis zur Brust. Das Mädchen mit den streng zurückgebundenen blonden Haaren machte mit ihren zusammengekniffenen blauen Augen und den aufeinandergepressten Lippen einen entschlossenen Eindruck. Zu Jacques‘ Überraschung trug sie einen Waffenrock der Stadtwache, der von offensichtlich nicht sehr fachmännischen Händen halbwegs auf ihren zierlichen Körperbau zugeschnitten worden war.
„Äh, ja, wir sind Männer des Königs“, antwortete Jacques und drückte vorsichtig mit zwei Fingern die Speerspitze zur Seite, „Mein Name ist Jacques, mein Kamerad dort heißt Calan, wir sind Gardisten. Und der freundliche Herr da mit den roten Haaren ist Redlef, ein ehrenwerter Ritter des Ordens Innos‘! Und … mit wem haben wir die Ehre?“
Das Mädchen hielt kurz dagegen, stellte aber schließlich den Speer ab und baute sich zu ihrer ganzen, nicht sehr beeindruckenden Größe auf, wobei sie Jacques kritisch von Kopf bis Fuß musterte. Falls sie eingeschüchtert oder beeindruckt war, ließ sie es sich jedenfalls nichts anmerken.
„Ich bin Léa, Soldatin der Stadtwache von Khorinis!“, erklärte sie selbstbewusst, „Ich habe Bewegung hier im Haus bemerkt und weil ich nicht wusste, wer das sein könnte, habe ich nachgesehen!“
Jacques runzelte die Stirn. Léa sah nicht so aus, als wäre sie viel älter als vielleicht fünfzehn, und bei aller offensichtlichen Entschlossenheit wäre sie bei ihrer Statur kein ernsthafter Gegner für jemanden, der auch nur die leiseste Ahnung vom Kämpfen hatte. Was, wenn sie tatsächlich eine Gruppe Plünderer oder sonstige Halsabschneider aufgescheucht hätte?
„Hör mal …“, begann Jacques vorsichtig, „Du solltest vielleicht etwas anderes spielen, auch wenn du dir echt Mühe gegeben hast mit deinem Kostüm …“
Zack, hatte er wieder die Speerspitze vor der Nase. Léa funkelte ihn böse an: „Spielen? Ich spiele nicht, Herr Gardist! Irgendwer muss schließlich die Ordnung in der Stadt aufrecht erhalten, wenn die Herren des Königs sich mal wieder jahrzehntelang zu fein dafür sind!“
In ihrer Stimme schwang eine so unverhohlene Wut und Verachtung mit, dass Jacques vorsichtshalber einen Schritt nach hinten machte und beschwichtigend die Hände hob: „Äh, okay, verstanden! Aber jetzt nimm bitte die Waffe runter, wir sind nicht die Bösen …“
„Ach ja? Das wird sich noch zeigen“, erwiderte Léa naserümpfend, stellte den Speer aber wieder ab. „Ich werde euch im Auge behalten!“ Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und stolzierte davon.
Jacques kratzte sich am Hinterkopf und warf Calan und Redlef einen etwas ratlosen Blick zu: „Willkommen in Khorinis, schätze ich?“
-
Hafenstadt
»Wie bezwingt man mächtige Männer?«, frage der Weißhaarige aus seiner Position auf dem ledernen Sessel im Arbeitszimmer des Privathauses des in Ungnade gefallenen Bürgermeisters. Eben jener war vor wenigen Augenblicken in das gleiche Zimmer getreten, hatte zielsicher den Griff zum Sumpfkrautstengel gefunden und wollte ihn gerade entzünden, als er die Worte hörte und hastig an einer Schublade kramte um dann mit zitternden Händen einen Dolch zu ziehen und vor sich zu halten. Er sah das Gesicht seines Gegenübers im Lichte des gehenden Tages ängstlich und verwirrt drein blicken. »Keiner kommt ohne Routine aus. Es ist so einfach wie einleuchtend. Wer Erfolg haben will muss Pläne entwickeln, Ideale und Ziele. Diese muss er mit Konsistenz jeden Tag auf das Neue verfolgen. Sonst wird es nichts mit Erfolg«, fuhr DraconiZ ungerührt fort. »Das ist die Schwachstelle, die Jeder irgendwo hat. Man kann Jeden besiegen. Man muss nur die Ziele, Ideale und Werte kennen und die Routinen die sich daraus ergeben. So wie der Bürgermeister der jedes Mal nach dem Abendessen in dieses Zimmer geht um zu Kiffen«, ergänzte der Assassine süffisant.
»W-w-wer seid ihr? W-w-was wollt ihr? Sprecht!«, forderte der Mann der langsam so etwas wie Fassung zurückzuerlangen schien. »Euch wieder an den Platz setzen an den ihr gehört«, entgegnete der Streiter. »Eine Schande wie mit euch umgegangen worden ist. Weggeworfen wie eine zerbrochene Klinge nach der Schlacht. Unwürdig möchte ich sagen.«. Elvritch gucke verdutzt und war einen Moment sprachlos. »Genau«, sagte er dann fast fragend. »Wir wissen um eure große Bedeutung für diese Stadt. Wie ihr all die Jahre die Fäden zusammengehalten habt. Ohne euch wäre Khorinis jetzt eine Totenstätte ohne Leben. Euch gebührt deutlich mehr Dank als ihr erhalten habt«. Der Bürgermeister nickte. Das sah er schnell ein. »Hagen ist ein eitler Mann. Ein Mann der glaubt viele Dinge besser zu wissen. Wenn ihr euren Platz zurückwollt und das solltet ihr, dann werdet ihr euch mit der neuen Situation auseinandersetzen und letztlich abfinden müssen«. Elvritch nickte wieder. So wie DraconiZ seinen Blick deutete, war ihm das natürlich auch schon in den Sinn gekommen. Es schmeckte bitter. Und wer wollte es dem Mann verdenken? »Und wie soll ich das machen? Auf die Knie fallen und seine beschissenen Füße lecken?«, fuhr es aus ihm hervor. Der Assassine nickte.
»Ich fürchte ja. Nun nicht sprichwörtlich natürlich. Ohne eine vollständige Akzeptanz der neuen Gegebenheiten wird es nicht gehen«, meinte der Weißhaarige ernst und der Bürgermeister lachte. »Das wird nicht passieren!«, donnerte er und verlor nun jedes Gefühl von Angst. »Wenn ihr gekommen seid mir das zu sagen, dann verpisst euch!«, schalt er den Spion. Der wischte die Bemerkung mit einer Geste weg. »Ihr wollt einfach so Rang und Namen verspielen?«, fragte er leichthin. »Das geht dich gar nichts an Bursche. Ich lecke diesen myrtanischen Besatzern nicht wieder ihre Hintern!«
Der Paladin erhob sich ganz langsam und Elvritch wich intuitiv zurück. Die Hand wurde weiß um seinen Dolch. Kein Krieger. Große Worte und nichts dahinter. »Ich wollte es eigentlich nicht sagen, weil ich so etwas doch sehr unschön finde«, meinte er seufzend. »Cassia schickt mich. Sie wollte eigentlich Rengaru schicken. Nach einigem Nachdenken kam sie zu dem Schluss, dass es vielleicht doch besser wäre Jemand Neues zu schicken. Ihr wisst schon. Wegen der emotionalen Komponente«. Der Bürgermeister erbleichte. Die Anführerin hatte nur grob umrissen, dass sie etwas gegen den Bürgermeister in der Hand hatte und dass er Ihnen noch etwas schuldete. Es reichte als Argument völlig. »Das hier sind eure Instruktionen«, meinte der Klingenmeister sanft. »Ihr werdet um Milde und um Dienst bitten und in der grenzenlosen Gnade des Königs wird das myrtanische Reich euch erhören. Ihr bekommt was ihr vorher hattet und ansonsten haltet ihr schön euer vorlautes Mundwerk oder das nächste Mal besucht euch Rengaru«, schloss der Streiter seinen Monolog. Dann wandte er sich zum gehen. »Und wer wollt ihr sein?«. »Ich diene dem Reich. Irgendjemand muss es ja tun«
»Hast du den Brief an Hagen geschickt?«, fragte DraconiZ einige Zeit später an Alenya gewandt. »Habe ich. Auch wenn ich mich frage, warum es erst einmal nur um Elvritch gehen sollte.«. »Das ist das Wichtigste erst einmal. Elvritch muss Bürgermeister bleiben um Unruhen zu vermeiden. Außerdem habe ich auch geschrieben, dass es sich bei der Garde wahrscheinlich um Templer handelt und, dass die Diebesgilde sich kooperativ zeigt. Ich finde das ist nicht nichts. Beim Rest brauchen wir noch mehr Informationen. « Alenya nickte. »Wie geht es weiter?«. »Als nächstes nehmen wir uns das einfache Volk vor. Wir brauchen eine konsistente Geschichte«.
-
Rittmeisters Abschürfung verheilte gut. Der Wallach hatte sich während der Überfahrt verletzt. Die Tage im Bauch des Schiffes hatte der Braune nicht gut vertragen. Beinahe die gesamte Überfahrt hatte Redlef bei den Pferden verbracht, nur zum Kotzen hatte er sich die frische Seeluft an Deck um die Nase streichen lassen.
Doch es hatte sich gelohnt. Er hatte sich die Hände aufgerissen, als er versuchte das Pferd, am Halfter haltend, daran zu hindern sich loszureißen, hatte sich in einsamen Stunden die Stimme heiser gesungen, um das Knarren des Schiffs und den Wellenschlag auflockern und wäre bei starten Wellengang fast von dem schweren Körper zerdrückt worden, als er, seine eigene Anweisung, die er den Rekruten gegeben hatte, missachtend, in den hölzernen Verschlag geklettert war, um einen eingeklemmten Huf zu befreien.
Dabei hatte sich das Tier die Abschürfung am Röhrbein zugezogen, Redlef einen blau-grünen Oberkörper. Aber es hatte sich gelohnt! Die Sehnen am Bein waren nicht verletzt worden.
Redlef tätschelte Rittmeister den Hals und sah sich in dem flachen Anbau um.
Jaques hatte dahingehend Recht behalten, dass Durchfegen einiges gebracht hatte. Dieses Gebäude hatte wohl vor vielen Jahren die Karren beherbergt, mit denen das Erz zum Übergabepunkt gebracht wurden. Bestenfalls konnte man es also als Stellmacherei bezeichnen, da sie viele verrostete Werkzeuge in dem Schutt und Dreck gefunden hatten, die für die Reparatur und Instandhaltung genutzt werden konnten. Calan könnte die Tage den Schott noch einmal durchsehen, vielleicht konnte er etwas gebrauchen.
Glücklicherweise hatte er darauf bestanden, Zeltbahnen, Baumaterial und Seile mitzunehmen. Bei der notdürftigen Reparatur zahlte es sich aus. Die Werkstatt bot nun ungewöhnlich große Boxen für die Pferde, das Dach des Stalls hatten sie vorgestern mit den Zeltbahnen schließen können.
Beim kurzen Weg über den kleinen Hof zum Haupthaus warf er inzwischen routinemäßig einen Blick auf die andere Straßenseite. Dort lungerte wieder einmal diese alberne Soldatin der Wache mit ihrem Kameraden unter einem halb zusammengefallenen Vordach herum.
»Jaques ist nicht da!«, rief Redlef schlecht gelaunt zu den beiden Kindern hinüber. Da es aber in der schwierigen Stimmung auf der Insel selbstverständlich war, ein gutes Betragen zu zeigen (und Redlef hier nun leider nicht mehr der Hauptmann der Wache war), verzichtete er darauf die Beiden zurück zu ihrer Mutter zu prügeln. »Sollte es nicht das Ziel einer Stadtwache sein, die ganze Stadt im Auge zu behalten? Verzieht euch!«
Ob sie es wirklich taten, prüfte er nicht mehr, denn er hatte die Tür des Haupthauses erreicht. Die Sonne stand bereits hoch, damit war er spät dran fürs Mittagessen. Calan als Schmied war für die Ausrüstung der Unternehmung verantwortlich, nicht nur für die Reiterei, sondern auch alle anderen fanden sich immer wieder andere Männer bei ihnen ein, um nach Calan zu Fragen. Jaques hatte sich als erstaunlich geschickt herausgestellt die Reparaturarbeiten am Haus aufzuführen. Daher hatte er von Redlef diese Arbeiten zugeordnet bekommen. Also blieb für ihn – den Krüppel – das Kochen, Reinemachen und Pferde versorgen.
Er begann zu schnippeln.
Es klopfte an der immer noch schief in den Angeln hängenden Tür. Jaques sollte sich schnellstmöglich darum kümmern.
»Essen dauert noch!« rief er genervt. Jaques fütterte für zwei. Wenn das so weiter ging, dann musste die Zuteilung der Rationen für ihr Haus erhöht werden. »So lange solltest du besser endlich diese Tür reparieren!«
»Eure Tür könnt ihr schön selbst reparieren.«
Redlef stockte. Das war nicht Calans oder Jaques Stimme. Überhaupt, es war keine Männerstimme. Er lies die Karotte sinken und schloss die Finger fester um das Messer.
Sein Blick traf diese Göre, die nun, mit einem Kerl in ihrem Rücken, in der Türöffnung stand.
Im Gegenlicht bemerkte Red, wie sie einen prüfenden Blick durch den Raum warf. Er, und nun auch sie, wussten nun, dass der Krüppel allein zu Haus war.
Ungebeten betraten die beiden Stadtwachen den Raum.
»Wir müssen reden!«, eröffnete sie großspurig. »Wo ist denn der Rest?«
»Weg.«
»Ihr seid ein Ordensritter?« Ihre Augen verengten sich und ein skeptischer Unterton lag in der Frage.
»Ordensbruder.«
»Aber ihr führt das Kommando?«
»Ja.«
»Verdammt, seid ihr auch in der Lage etwas auskunftstfreundlicher zu sein?« Ihre Hände ballten sich, sie funkelte ihn genervt an.
»Denke nicht«, antworte er kühl und war von ihrer langsam immer wütender werdenden Art genauso genervt, wie sie von seiner.
»Arrg!«
Geändert von Redlef (12.03.2025 um 23:59 Uhr)
-
Lehrling
Khorinis, Hafenviertel, Kate von Hugol
„Ho, Junge, ruhig liegen bleiben, versuch nicht …“
Das Gefühl eines bleiernen Gewichtes auf der Brust, der Geruch von Schweiß, Salz und dem bestialischen Gestank frischen und nicht mehr allzu frischen Fisches. Stimmen drangen an sein Ohr, mal Gemurmel, mal Geschrei. Mal mischten sich Möwen ein und trugen ihren Teil zu dieser Kakophonie bei, die den Titel „Ein Tag am Hafen“ verdient hätte. Der Körper fühlte sich malträtiert an. Alles schien zu brennen. Die Augen … waren offen, sahen aber nichts. Panik, Schweißausbruch. Das Öffnen des Mundes, der Versuch, Worte zu artikulieren und das klägliche Scheitern, da nicht mehr als ein Krächzen herauskam. Der Körper fiel wieder auf die weiche Oberfläche im Rücken, ein Bett.
„Schlaf, ruh dich aus …“
Die Stimme gehörte einem älteren Mann, war sanft und freundlich, wenn auch kratzig. Sie weckte den Geist später. Minuten? Stunden? Tage? Später jedenfalls, denn der Lärm war verebbt, nur das gleichmäßige Geräusch der Wellen, die auf die Kaimauer trafen, waren zu hören und hatten eine verführerisch einschläfernde Wirkung.
„Ich habe Essen, Junge.“, sprach der Alte. Er machte sich an dem Kopf zu schaffen, löste Stoffbahnen um Stoffbahnen, die das Gesicht verhüllt hatten. Alles brannte unterschwellig, war aber auch … taub. Kiefermuskeln bewegten sich, brachen eine Schicht auf, die auf die Haut aufgetragen war.
„Eine Salbe, Bursche. Gegen das Salz und gut für die Kratzer, die du dir zugezogen hast.“, erklärte der Mann. Das Geräusch eines Lappens, der in einer Wasserschale eingetaucht wurde, Plätschern, dann wurde die trockene Salbe weggewischt. Vorsichtig, bedächtig, fachmännisch. „Sehr gut. Sie hat gewirkt. Du bist jung, dein Körper regeneriert sich wesentlich besser als der eines älteren Mannes. Nun … und du hast Glück gehabt.“
Langsam öffneten sich die Augen, das schummrige Licht der Hütte stach in ihnen wie der Sonnenschein zur Mittagszeit in Varant. Schnell gewöhnten sie sich an das Licht, waren die Tränen fortgeblinzelt.
Mühsam sahen sie zu der Schüssel, die der Alte in knorrigen Händen hielt. Hölzern, aber mit einem Inhalt, der dampfte und erstaunlich lecker roch.
„Eintopf. Frag nicht, was drin ist. Satt macht er auf jeden Fall“ – ein kurzes Grinsen – „ich füttere dich.“
Der Verstand wollte protestieren, der Körper nickte jedoch nur. Gemächlich fütterte ihn der Mann. Dann bot er Wasser aus einem nicht mehr ganz so neuen Becher an, das vorsichtig getrunken wurde.
„Du bist hart im Nehmen.“
Die Kehle – nun wieder geschmiert – räusperte sich schmerzhaft. „Danke“, krähte der junge Mann und richtete sie mit zitternden Armen auf, drückte den Rücken gegen die Lehne des schmalen Bettes. Der alte Mann sah ihn freundlich an. Ein Gesicht, wettergegerbt, gezeichnet von Jahren auf See bei Sturm oder Sonnenschein.
„Keine Ursache …“
„Heric“, krächzte dieser langsam, „Ich heiße Heric … wo …“
Der Alte sah, wie sich der junge Mann mit aufkommender Unruhe umsah.
„… das Schiff, Ragnar … die anderen … Qarrah …“
Ein schwerer Seufzer. „Wie ich vermutet habe, Heric“, murmelte er, „Du bist mir entweder irgendwo über Bord gegangen oder ein Überlebender eines Piratenüberfalls. Freunde von mir – Fischer, die weit hinausfahren – haben von Sturmkrähen erzählt, die fette Beute gejagt haben.“
Ein schwaches Nicken. Langsam und schmerzhaft kehrten die Erinnerungen zurück. Die Fahrt nach Gorthar, die Sturmkrähen in ihrem Rücken, der Kampf … die Reling und dann Schwärze. Schwach atmete Heric aus, sah mit leerem Blick in die Schüssel.
Der Alte räusperte sich. „Ich bin Hugol“, stellte er sich vor und wirkte etwas verloren in der Situation. „Du bist in Khorinis. Im Hafenviertel. Bei den Fischern. Nun, den wenigen, die noch rausfahren.“ Er hob die Schultern. „Ich zumindest nicht mehr, hab mir mal das Bein auf See gebrochen und seitdem, na ja … hab beim alten Ignaz früher etwas Heilkunde gelernt, genug, damit ich meine Freunde versorgen kann, wenn sie sich wieder die Pfoten aufreißen oder die Scheißerei haben.“
„Khorinis?“, wiederholte Heric.
„Ja, die einstige Perle Myrtanas. Jetzt nur noch … nun ja, eine alte, vergammelte Muschel am Meeresgrund. Aber nachdem der Orden Seiner Majestät und Innos‘ wieder eingekehrt ist, kann es nur besser werden. Man spürt … es liegt was in der Luft.“
Khorinis, dachte der Dieb, natürlich. Die Schiffe sind aufgebrochen. Ich werde einige Tage bettlägerig gewesen sein und davor sicher ein paar Tage schiffbrüchig, weiß der Beliar wo und wie.
Der junge Mann betete im Stillen zu allen Göttern, dass es seine Freunde geschafft haben mochten. Aber … viel Hoffnung hatte er nicht. Er sah Hugol ernst an.
„Vielen Dank, Hugol. Für die Rettung, für die Pflege … ich werde es wieder gutmachen, das verspreche ich. Ich kann anpacken, ich kann etwas schreiben und bin gut im Zählen. Mein Vater war … mh … mal Zeugwart in einer Stadtwache.“
Dorfwache einer Schmugglersiedlung traf es zwar eher, aber das musste der Alte ja nicht wissen.
„Ho, Bursche, ruhig. Ein, zwei Tage hütest du mir noch das Bett. Dann sehen wir, wie du helfen kannst. Leg dich richtig hin, mach die Augen zu. Kein Grund, gegen das berühmte Futterkoma anzukämpfen, nicht wahr?“
Und tatsächlich, kaum das der Kopf wieder das muffige Kissen spürte, die Augen sich schlossen, umfing Heric ein angenehmer, traumloser Schlaf.
-
Hafenviertel - Hafenkneipe
Aus Khornis vertrieben – in Vengard gebranntmarkt – Varant verlassen – In Thorniara den letzten Sinn seines Daseins verloren. Und nun zurück in Khorinis. So schloss sich der Kreis.
Mit der Khornis Reisen mbH den Rückweg in eine längst zurück liegende Vergangenheit zurückgekehrt, genoss der Ergraute keineswegs eine Traumreise mit Vollpension, malerischer Küste, feinem Sandstrand und entspannendem „Die Seele baumeln lassen“. Eine Erlebnisreise vielleicht, aber keine Gute.
Dabei war die Stadt nicht einmal das eigentliche Ziel, neben den vielen kleinen Anderen, die es zu erreichen galt. Die verkackten Diener Innos und ihre hochnäsige Brut waren Schuld an der derzeitigen Zwangslage des Diebes sich einer Sache anschließen zu müssen, die ihm so sehr am Gesäß vorbei ging wie die Aussicht auf eine Apfelschorle.
Und dennoch blieb ihm noch die Wahl die Zeit anderweitig zu nutzen und sich auf das zu besinnen, was er konnte. Zunächst aber war da die Suche im Dreck nach etwas Brauchbarem – inhalierbar und berauschend – doch was sich hier fand, lud nicht einmal dazu ein, sich den Allerwertesten damit abzuwischen.
Der einstige Nomade strich sich über die triefende Nase und zog den Rotz einmal bis tief in die hintersten Gehirnwindungen, als er im Eingang einer, mehr als baufälligen Hütte etwas tierartiges erblickte. Die Tür der einzigen Behausung war nicht mehr vorhanden und gab den Blick auf das Innere frei, ohne das der Ergraute Hand anlegen musste. Und dennoch tastete die zitternde Hand nach einem länglichen Gegenstand, der direkt an der Häuserwand lehnte.
Die schleimigen Inhalte tief aus der Lunge heraus geröchelt streckte Bardasch die ruinierte Mistgabel nach vorne, vorsichtig und zaghaft, und dann forscher dem Unbekanntem entgegen. Tock tock. Holz scheinbar. Keine große fette Ratte, kein lebloser Hund, nur ein hölzernes Spielzeug aus längst besseren Zeiten. Der nähere Blick offenbarte das hölzerne Schaukelpferd, an dessem Hals sich tatsächlich noch ein Strang aus… Haar? befand.
Der Ergraute grunzte, packte mit seinen vom Leid gezeichneter Hand nach dem Ding um es murrig und unzufrieden hinter sich her zu ziehen.
Warum der Nichtnutz das Ding klappernd hinter sich her zog wusste er vermutlich selber nicht einmal. Und so rappelte es und lies gemeinsam mit der quitschenden Beinprothese ein rhytmisches Lied erklingen, während er, einige Zeit später durch die Türe der örtlichen Hafenkneipe trat. Einbeiniger Klabauter – dass passte ja.
-
Haus nahe der Kaserne
Ächzend und schnaufend schob sich Jacques zur Tür hinein, in den Armen einen Stapel Bretter, die er sich vom Schiffszimmermann der Gloriana hatte zurechtsägen und anschließend den ganzen Weg zu ihrem neuen Heim nahe der Kaserne geschleppt hatte. Mit ihnen würde er beginnen können, die Wände und das Dach ein wenig auszubessern. Eine neue Tür würde hoffentlich in den kommenden Tagen fertig sein – die Zimmerleute hatten rund um die Uhr zu tun, waren doch einige Häuser zumindest halbwegs instand zu setzen, damit die Truppen des Ordens sie nutzen konnten.
Jacques ließ die Bretter auf den Boden fallen und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Das sollte für den Anfang reichen! Dann kann ich heute Nachmittag anfangen … oh, hallo!“
Mit seiner Schlepperei beschäftigt, hatte Jacques noch gar nicht bemerkt, dass sie Besuch hatten. Die junge Stadtwächterin, Léa, sah ziemlich genervt aus. Hinter ihr stand ein hochgewachsener, aber schmächtiger Bursche, der die Arme vor der schmalen Brust verschränkt hatte und mit einem so gelangweilten Blick dreinschaute, als befände er sich in der schlechtesten Theateraufführung der Welt. Auch er trug die Uniform der Stadtwache, und an seinem Gürtel hing ein Schwert mit einem auffällig kunstfertig verzierten, goldgeschmückten Griff.
„Ja, hallo“, antwortete das blonde Mädchen kühl, „Endlich!“ Sie warf Redlef einen giftigen Blick zu, den dieser demonstrativ ignorierte. Jacques beschlich die leise Ahnung, dass die beiden sich nicht sonderlich gut leiden konnten, auch wenn er nicht wusste, wieso. Nun gut, er hatte auch da so eine gewisse Ahnung – wahrscheinlich war Redlef einfach Redlef gewesen …
„Wie kann ich euch helfen?“, fragte er also freundlich, um die Lage ein wenig zu entspannen.
„Ihr könnt mit uns kommen“, erklärte Léa und baute sich vor ihm auf.
„Mit euch…?“ Jacques blinzelte verwirrt.
„Yeeeeap“, sagte Bohnenstange, wobei er das Wort wie klebriges Harz in die Länge zog. Wenn Jacques auf eine Erklärung gehofft hatte, wurde er enttäuscht. Bohnenstange fuhr damit fort, gelangweilt auszusehen und pulte sich mit dem Finger irgendwelche Essensreste zwischen den Zähnen heraus.
„Befehl von eurem Chef“, verkündete Léa schließlich, „Diesem … Lothar. Es heißt, wir sollen die Ordensleute auf Patrouille mitnehmen. In der Stadt rumführen und so. Und du wurdest uns zugeteilt.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Frag mich nicht, warum, war wohl einfach Pech. Hier, der Befehl.“ Sie zog ein zusammengefaltetes Pergament hervor und reichte es Jacques. Und tatsächlich, da stand schwarz auf weiß sein Name. Und darunter die unverkennbare, zackige Unterschrift Sir Lothars.
Jacques seufzte. Scheinbar würden nicht nur die Reparaturen warten müssen, sondern er würde auch noch das Mittagessen verpassen. Aber das ließ sich wohl nicht ändern, wenn die Pflicht rief …
-
Khorinis - Stadt
»Das willst du schreiben?«, frage Alenya mit zugekniffenen Augen. »Das will ich schreiben«, bestätigte DraconiZ, nahm den Brief an Hagen sanft entgegen und faltete ihn sorgsam, bevor er ihn zu verschließen begann. »Lass mich noch einmal rekapitulieren«, meinte die Klingenmeisterin und der Streiter hielt inne, bevor er die Versiegelung beendete. »Deine Empfehlung ist erst die Stadt zu sichern, dann das Umland und die Höfe, anschließend das Kloster und zuletzt das Minental. Dem Kloster misst du besondere Bedeutung bei. Alles sehr nachvollziehbar. Nichts auf das er nicht auch selbst gekommen wäre«. Der Paladin ignorierte den Spott und schaute aus dem trüben Fenster nach draußen, während er schweigend wartete, dass die Dame weiteres hervorbringen würde. Als sie länger nachdenklich drein schaute sagte er: »Es ist angemessen ihm seine eigenen Gedanken in meiner Schrift vorzugeben. Das kann Sympathie schaffen«. Alenya nickte und schüttelte dann den Kopf. »Möglich und unwahrscheinlich. Nunja. Jedenfalls geht es weiter mit den Geschehnissen die hier vor kurzem in Khorinis vorgekommen sind. Jugendsünden von Elvritch, wie, dass er betrunken unter Zeugen den König von Myrtana einen hässlichen Ziegenbock genannt hat. Alles irgendwie hilfreich, aber nicht wirklich von Substanz«. »Wenn er einen Grund sucht ihn loszuwerden, hat er zumindest jetzt einen. Ob substantiell oder nicht ist nicht von Belang. Solange er denn recht hat, baumelt er gut vom Galgen, wenn das sein Wunsch wäre. Außerdem ist es ohnehin eher Teil der Verhandlungsmasse«, meinte der Spion ernst.
Alenya entwand ihm nochmal den Brief. »Das Minental ist nach unseren Recherchen Orkverseucht, muss aber noch weiter untersucht werden. Das Kloster scheint verlassen. Viele Höfe sind außer Betrieb und die Natur hat sie sich zurückgeholt. Bei einem Hofe scheint es wirklich Leben zu geben. Da war es unseren Leuten zu heiß dort zu lange zu verweilen. Unheimliche Dinge sollen da vor sich gehen an Onars altem Hofe. Sehr wenige sind noch in der Lage überhaupt etwas zu liefern«. DraconiZ zuckte mit den Schultern. »War nie mein Lieblingsort«, gab er zurück und schwelgte für einige Momente in der Vergangenheit. »Die bedeutenden Persönlichkeiten hier und die Empfehlungen wie mit Ihnen umgegangen werden kann, sind da schon hilfreicher«, meinte die Assassine und legte ihren Kopf schräg. »Du solltest etwas ergänzen, dass deutlich macht wie dankbar du für diese Gelegenheit bist und dass es dein großer Wunsch ist zu dienen. Das will er hören«. Der Weißhaarige seufzte. Einige Momente lang rang er mit sich und fragte sich ob er dem Unvermeidlichen entkommen konnte, dann griff er zu Tintenfass und Feder und ergänzte einige Worte. »Hier. Soll er bekommen«. Die Frau gegenüber nickte. »Gut gut. Ich überbringe die Nachricht«. »Gib sie Saraliel«, meinte der Streiter. Alenya schaute verwirrt. »Der soll sie einem seiner Leute geben. Das macht einen besseren Eindruck. Wir sollten erst einmal Distanz zu Hagen wahren, bevor wir Gelegenheit hatten uns näher einzubringen«. Die Frau aus Braga nickte. »So soll es geschen.«
Geändert von DraconiZ (15.03.2025 um 20:56 Uhr)
-
»Das kann doch nicht wahr sein!«, brummte Redlef, als er überrumpelt von diesem vermeintlichen Befehl Jacques das Schriftstück mit einem verärgerten Rück aus den Fingern zog, kaum dass dieser es gelesen hatte. Tatsächlich, die Unterschrift und das Pergament machten einen authentischen Eindruck. Doch warum um alles in der Welt war er, als Kommandant dieser kleinen Einheit, der Letzte, der davon erfuhr?
Noch einmal überflog er das ansonsten einfach und verständlich gehaltene Schreiben, während er Jacques mit einem knappen Nicken entließ.
Zusammen mit seinem Gardisten verließen auch diese Witzfiguren von Wachen das Gebäude.
Der Ordensbruder stopfte das Pergament in seine Tasche und nahm den Topf aus der Flamme. Das Mittagessen musste warten. Sollte Calan in der Zwischenzeit zurück in die Unterkunft kehren, musste er sich selbst darum kümmern.
Redlef griff sich seinen alten inzwischen ziemlich abgewetzten Hasenfellmantel, da hier an der Küste beinahe stetig ein kühler Wind pfiff und auch einen Stab, den er als Krücke auf längeren Wegen benutzte. Dann machte er sich auf direktem Weg zur Kaserne. Er hatte die letzte Überrumpelung durch undurchsichtige Befehle der Paladine noch zu gut in Erinnerung. Hatte Lothar von Oric gesteckt bekommen Redlef das Leben schwer zu machen? Worin sollte sonst der Sinn bestehen, seine kleine Truppe zu schwächen, indem sie ihm die wenigen Männer abzogen, die er überhaupt nur hatte?
Calan war praktisch andauernd für den restlichen Orden im Einsatz und nun sollte auch Jacques irgendwelche untergeordneten Wachgänge verrichten? Erwarteten sie von ihm, dass er allein, die Pferde versorgte, sie bewegte, den Stall reinigte, das Haus reparierte, Männer ausbildete, die stehts anderweitig gebunden waren und das Umland mit Patrouillenritten sicherte?
Natürlich war diese ganze Mission unter solchen Bedingungen zum Scheitern verurteilt! Redlef konnte sich nur zu gut vorstellen, wie dieser vermaledeite Oric dies eingefädelt hatte…
Entsprechend zornig zog er zur Kaserne und trat vor Sir Lothar. Wütend seine Beschwerde vorbringend, dass der Befehl hätte über ihn, als Kommandanten der Reiterei, weitergegeben werden müssen, nahm ihm der Paladin mit einer aufrichtigen Entschuldigung sofort den Wind aus den Segeln…
Der Befehl an Cast war in dem mehr als geschäftigen Treiben untergegangen. Lothar erklärte sich schlüssig und während er sprach, fiel Redlef sein müdes Gesicht auf. Unter dem Lärm des Kasernenhofs, der durch die zugigen Fenster hereinschwappte, sagte ihm der Paladin zu, einen Stallknecht für ihre Unterstützung zu bewilligen. Einen Vorfall, wie diese unterbrochene Kommunikation, solle es nicht mehr geben – sie gaben sich die Hand darauf.
Beim Verlassen der Kaserne händigte man ihm noch den Sold für ihn und die Männer aus. Damit bleib nun kein Grund übrig, an der Unterstützung seiner Mission durch den Orden zu zweifeln.
Zwar nicht gut gelaunt, doch immerhin etwas beruhigt machte sich Redlef auf den Rückweg.
Auf der Höhe des Hafens drang ihm ein Geruch in die Nase, der ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Kochfleisch – zwar nicht gerade seine Leibspeise, doch da er seit dem letzten Tag nichts gegessen hatte und sein eigenes Nahrungszubereitungsunterfangen unterbrochen wurde, überlegte er nur kurz, ob er sich eine Mahlzeit außer Haus leisten durfte. Mit dem Stock und im abgerissenen Mantel, dazu unrasiert, da sein Rasiermesser die Überfahrt nicht überstanden hatte, machte sich der Krüppel keine allzu großen Sorgen, dass er in der Kneipe großes Aufsehen erregen würde.
Warum also nicht? Den Eintopf konnte er auch morgen kochen. Calan war schlau genug sich bei anderen Truppenteilen durchfüttern zu lassen und Jaques mundeten seine Kochkünste sowieso nicht.
Für einen frühen Nachmittag war die Taverne erstaunlich voll besetzt. Redlef sah sich um und erkannte, dass vor allem Seemänner an den Tischen verteilt saßen. Vermutlich hatte es heute nicht nur für die Reiterei den Sold gegeben. Da er keine Lust auf die raue Gesellschaft der Matrosen hatte, blieb sein Blick an einem Tisch hängen, der nur von einem einzelnen Mann besetzt war. Dieser sah ebenso heruntergekommen aus, wie der Ordensbruder, und in Ermangelung von Alternativen versuchte Redlef sein Glück dort. Er humpelte zu dem Tisch herüber und zog sich mit dem Stab den freien Stuhl heraus. Dabei suchte er den Blick des Mannes, den er für einen Landreisenden hielt.
»Darf ich?«
Der Fremde hob den trüben Blick. Erst jetzt viel Redlef auf, dass er ein Schaukelpferd neben dem Tisch stehen hatte. Seien Hand klammerte sich um den aus Flachs geflochtenen Zügel des hölzernen Spielzeugs. Die Augenbraue des Ordensbruders wanderte nach oben, doch mit Ausnahme eines deutlichen Blickes, ersparte er sich jeglichen Kommentar.
»Ich möchte nur schnell eine Kleinigkeit essen und eine Pfeife rauchen. Dann muss ich zurück zu meinen Pferden…«
-
Der Ergraute brummte nur und packte den Strang in seiner Hand instinktiv fester. Alles, was er hervor brachte, war ein nervöses Grummeln, welches nicht nur seinem Hunger entsprach. Es war nur eine Frage der Zeit, wann der Wirt ihn vor die Türe setze.
Im Gegensatz zu dem nicht wirklich Fremden an seiner Seite fehlte es dem Ergrauten an den nötigen Mitteln sich etwas zu Essen oder Trinken zu ordern. Der Versuch das Schaukelpferd gegen einen Humpen Bier zu tauschen war leider kläglich gescheitert.
"Braucht Ihr noch eins?",nuschelte der Nichtsnutz, "für die lieben Kleinen vielleicht?". Mit den Worten ruckte er an dem Strang und zog das Schaukelpferd nach vorn, nur um es gleich wieder zurück zu ziehen. Denn es war seins und nichts, was er sich einfach stehlen lassen wollte.
-
Unverhohlen skeptisch zog Redlef die Augenbraue noch höher. Für einen Moment überlegte er, doch den Tisch zu wechseln, doch inzwischen hatte sich die Taverne weiter gefüllt und die Plätze wurden rarer.
»Nein Danke«, murmelte er mit einem kurzen mitleidvollen Blick auf das wurmstichige Pferdchen. Nicht weiter auf das ungewöhnliche Angebot eingehend zog er seine Pfeife aus dem Wams und stopfte seinen letzten Tabak hinein. »Soe ein Mist«, kommentierte er das nun leere Beutelchen, »ich brauche dringen neues Kraut. Ihr wisst nicht zufällig, wo es in dieser Stadt etwas Gutes zu kaufen gibt?«
Als er mit einem kleinen Spahn entzündete, und die kurz auflodernde Glut der Pfeife erhellte für einem Moment das Gesicht seines Gegenübers. Redlef runzelte die Stirn. »Ihr kommt mir bekannt vor… Kennen wir uns? Ich bin Redlef Cast und habe bis vor ein paar Jahren lange in Thorniara gedient.«
Berechtigungen
- Neue Themen erstellen: Nein
- Themen beantworten: Nein
- Anhänge hochladen: Nein
- Beiträge bearbeiten: Nein
|