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Der "Mein zuletzt gelesenes Buch" -Thread #5 [Sig aus]

  1. #521 Zitieren
    Bücherwolf  Avatar von HerrFenrisWolf
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    Liu Cixin - Die drei Sonnen

    Die drei Sonnen ist der erste Fall chinesischer Science-Fiction den ich bisher lesend wahrgenommen habe. Mehr als einmal hörte ich Menschen in meinem Bekanntenkreis darüber reden. Liu Cixins internationaler Erstling schlug wohl richtig ein und zauberte chinesischen SciFi ins Interesse der Leser. Für mich klang das Buch immer als sei es für Leute geschrieben, die beim Nachdenken über Mathe einen Halbsteifen bekommen. Zu diesem Kreis gehöre ich nicht. Allerdings habe ich das Buch auch völlig falsch eingeordnet. Aus eigenem Antrieb hätte ich mir Die drei Sonnen wahrscheinlich nicht gekauft. Ein Freund war so lieb mir sein überzähliges Exemplar zu schenken. Inzwischen habe ich es durch.

    Die Astrophysikerin Ye Wenjie muss während der Kulturrevolution in China mit ansehen wie ihrem Vater ein ideologisch geradezu berauschter Schauprozess gemacht wird. Im Zuge der gewaltvollen Befragung stirbt er und Ye wird ins Grenzgebiet zur Mongolei abgeschoben. Es sind Zeiten voller ideologischer Gewalt, antiintellektueller Stimmung und der Beginn massiver Umweltzerstörung zu Gunsten einer sich industrialisierenden Nation. Geradezu schicksalhaft gerät die ehemalige Astrophysikerin in die Mühlen der nahegelegenen geheimen Militärbasis "Rotes Ufer".

    In der Gegenwart wird Nanowissenschaftler Wang Miao in die Ermittlungen um die Tode führender chinesischer Wissenschaftler verwickelt. Für den ungehobelten Polizisten Shi Quiang soll er eine Clique Wissenschaftler infiltrieren, um das Mysterium der Selbstmorde aufzuklären. Dabei kommt Wang Miao mit dem VR-Multiplayer-Spiel "The Three Body Problem" in Berührung. Dieses Spiel erzählt vom Überlebenskampf einer Zivilisation, die völlig unvorhersehbare Wechsel der Lebensbedingungen auf ihrem Planeten durchmacht. Stabile Phasen, die das entstehen von Kultur begünstigen, wechseln sich mit dem Massensterben in chaotischen Phasen ab. Ziel ist es, den Wechsel diese Phasen auf 10.000 Jahre vorherzusagen.

    Diese zwei bzw. drei Plotlines verwebt Liu Cixin zu einem sehr interessanten Gedankenspiel. Kern der Sache ist das Spiel Three-Body-Problem, nachdem das Buch in der englischen Übersetzung auch benannt ist. In der Art und Weise wie Liu Cixin tatsächliche Grundprobleme der Naturwissenschaften aufnimmt und daraus eine Art ScFi-Thriller konstruiert, erinnert stark an Stanislaw Lems Erzählkunst in Solaris. Wobei der Leser eine gewisse Bereitschaft mitbringen muss das Gedankenspiel als solches auch anzunehmen.

    Das Buch liest sich unheimlich schnell weg. Bei zwei Gelegenheiten lief die Handlung Gefahr mich zu verlieren, weil ich die Auflösung mancher Mysterien als dröge empfand, nur um sie mir kurz darauf mit ihrer Tragweite für das Narrativ wieder schmackhaft werden zu lassen. Stellenweise wirkt das Buch ein wenig flapsig geschrieben. Speziell bei Figuren wie Polizist Shi Quiang, der quasi stereotype dreckige Bulle mit goldenem Herz und Bauernschläue, illustrierte meine Fantasie die Handlung wie ein groteske Physik-Komödie.

    Wer bei Die drei Sonnen eine vollständige Geschichte erwartet, wird enttäuscht. Das Buch ist "nur" der Auftakt zu einer Trilogie, die inzwischen auch vollständig vorliegt. Es war interessant genug, dass ich mir gut vorstellen kann, auch die anderen beiden Bücher noch zu lesen, aber entwickelte nicht den Sog, dass ich losgestürmt wäre um diese Bücher sofort zu kaufen.
    HerrFenrisWolf ist offline

  2. #522 Zitieren
    Legende Avatar von Ajanna
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    Ich lese gerade:
    Luther - Lehrmeister des Widerstands: von Uwe Siemon-Netto
    Mit einem Vorwort von Peter L. Berger


    ... und ich hasse jedes einzelne Wort dieses Buches. Er ist wirklich erstaunlich, wie man direkt aus dem geistigen Hintergrund ausgerechnet der gescheiterten Hitler-Attentäter eine antidemokratische, fast faschistoide Ideologie aufbauen kann.

    Trotzdem ist es für mich sehr wichtig, denn ich erkenne in ihm den Masterplan für das, was in der evangelischen Kirche seit den spätern Achziger Jahren so schief läuft:
    - Ideologische Überhöhung der Familenväter, besonders aus den alten Offiziers- und Adelsfamilien
    - Abwertung des Rests der Menschheit und eine der wirklichen Demokratie völlig abgewandten Sicht auf die Welt
    - Frauenfeindlichkeit, Feindlichkeit gegenüber queeren Menschen und anderen Kulturen und Religionen
    - eine der Moderne abgewandte Sicht, die auch die Reformen des BGB oder anderer Gesetze völlig ausblendet.

    Ein Buch für den Giftschrank, wenn wir sowas hätten.

    Ajanna ist offline

  3. #523 Zitieren
    Bücherwolf  Avatar von HerrFenrisWolf
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    Die vergangenen Ereignisse erzwingen ein Patt zwischen dem Laconischen Reich und dem Untergrund. Naomi Nagata versucht den Sterne umspannenden Widerstand sinnvoll zu lenken. Der kommissarische Oberbefehlshaber der laconischen Streitkräfte hält so gut es geht die Projektion von Macht aufrecht. Beides erweckt den Eindruck von Ruderern, denen langsam die Finger ausgehen, um sie in die Löcher ihrer leckgeschlagenen Boote zu stecken. Boote die sich zu allem Überfluss beide in einen reißenden Mahlstrom bewegen. Denn die Menschheit hat es sich zu gemütlich in den Ruinen der Schöpfer des Protomoleküls gemacht. Was die einst so fortschrittliche Alienrasse ausgelöscht hat, wird dasselbe bald mit der Menschheit wiederholen. Um in der Sprache der Bücher zu bleiben: Rom ist gefallen und die Goten sind noch da.

    Leviathan fällt ist der abschließende Band der Romanreihe The Expanse. In diesem Buch stehen die Autoren vor der schweren Aufgabe, ihre nun neunbändige Erzählung von der Kolonialisierung des Alls zu einem befriedigenden Ende zu bringen. Ihnen gelingt ein beachtliches Kunststück mit den Protagonisten, insbesondere der uns Lesern ans Herz gewachsenen Crew der Rosinante. Einerseits sind die Figuren mit einem greifbaren Konflikt auf Augenhöhe konfrontiert, andererseits haben sie dadurch gleichzeitig Anteil an der für sie kaum fassbaren drohenden Auslöschung ihrer Spezies. Alle dafür notwendigen Spielsteine sind in den Büchern davor gesetzt wurden. Wir erfahren gerade so viel Neues wie notwendig über die Natur der Römer und Goten. Erkenntnisse vorangegangener Bücher werden sinnvoll wieder aufgegriffen. Es gibt melancholische kleine Wiedersehen und nostalgische Erinnerungen, ohne je zu Fanservice zu verkommen. Darin liegt eine schreiberische Eleganz, die ich wertschätze. Einzig neu ist die mittelfristige menschliche Antagonistin der Crew.

    Colonel Alina Tanaka, vom lakonischen Marinechor, folgt der bereits etablierten Formel des Antagonisten, der Eigenschaften eines Protagonisten spiegelt wie ein Negativ. Sie entspricht der Mars-Marine Roberta "Bobby" Draper, ist aber eine zutiefst traumatisierte Frau. Ihre bevorzugten Bewältigungsmechanismen sind das Ausleben von Gewalt, Dominanz und das Ausfräßen geheimer Freiräume innerhalb der rigiden lakonischen Militärhierarchie. Eine Soldatin und Jägerin mag nicht die originellste Antagonistin sein, was das reine Konzept angeht. Ihr Innenleben ist jedoch so nachvollziehbar erzählt, dass ich sie in der Riege der The-Expanse Antagonisten weit vorne einordne.

    Das Buch hat die prinzipiellen Anlagen eines epischen Finales, die mich aber nicht in eine ebensolche Stimmung versetzten. Der Grund hierfür mag eher an meiner allgemeinen Grundmüdigkeit liegen, die ich zum Lesen mitbrachte, als am Buch selbst. Tatsächlich las sich der ca. 600-seitige Roman weg wie nichts. Es gab Momente, die mich emotional berührten und zwei Momente, geschickte diplomatischer Winkelzüge, mit denen sich Figuren gegenseitig ausspielten, dass ich wirklich begeistert war.

    Leviathan fällt ist ein gutes Finale, ein guter Abschied von so liebgewonnen Figuren. Es ist kein alle Erwartungen verkehrender Mindfuck, sondern eine völlig konsequente Auserzählung. Ich werde es vermissen mit der Rosinante und ihrer Besatzung das All zu erforschen. Nächsten Monat werde ich mich noch mit einer Kurzgeschichtensammlung aus dem The Expanse-Universum unter dem Titel "Das Protomolekül" trösten können. Doch danach heißt es: "Oyedeng beltalowda."
    HerrFenrisWolf ist offline

  4. #524 Zitieren
    Dea Avatar von Solitaire
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    Nachdem ich jetzt mit dem ersten Band endlich fertig bin (sind irgendwie immer andere Bücher dazwischen gekommen), hab ich jetzt auch gleich mit Teil 2 der Reihe begonnen und freue mich auf weitere Geschichten über die Willow Ranch und ihre Bewohner.
    Die Bücher lassen sich sehr leicht lesen und man kann der Story gut folgen. Es sind auch nicht zu viele Chars im Spiel, da hab ich immer Probleme, die Leute auseinander zu halten. Hier habe ich jedoch alles gut im Überblick und komme nicht durcheinander. Es sind die ersten Bücher der Autorin und sicher merkt man auch, dass sie von keinem Profi geschrieben wurden. Aber trotzdem versteht es die Autorin eine schöne Geschichte zu erzählen, Chars zu erschaffen die man lieben und hassen kann und einem zum Weiterlesen zu animieren.
    Solitaire ist offline

  5. #525 Zitieren
    Bücherwolf  Avatar von HerrFenrisWolf
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    Jack Vance - Die sterbende Erde

    Wenn ich zu meinem Hobby Pen & Paper recherchiere und mir in den Weiten des Internets Tipps von den Veteranen zusammensuche, fällt immer wieder der Name Jack Vance. Entweder wird darauf hingewiesen, dass der internationale P&P-Platzhirsch Dungeons & Dragons sein Magiesystem von diesem Mann übernommen hat und ihn im Gegenzug als Schurken Vecna verewigte oder sein kreativer Umgang mit dem Fantasy-Genre wird hochgehalten. Den Namen Vecna zumindest wird mancher gegenwärtig in der vierten Staffel Stranger Things gehört haben. Vecna ist die große Anspielung auf Vance, Jack Vance, Fantasy-Autor - Guten Tag. Wem so viel Ehre zuteil wird, den muss ich mal anlesen.

    Jack Vence schrieb seit den 50er Jahren Fantasy und SciFi Bücher. In Deutschland sind sie hauptsächlich antiquarisch zu haben, für ganz kleines Geld. Neuauflagen findet man hierzulande gerade mal in elektronischer Form. Eingestiegen ins vencesche Werk bin ich mit Die sterbende Erde. Der Name des Buches ist Programm. Unsere Sonne liegt in den letzten Zügen. Ihr verglühendes Licht färbt den Himmel orange. Auf dem Planeten Erde leben kaum noch Menschen. Gewaltige Metropolen sind so verwaist, dass ein jeder ein luxuriöses Herrenhaus für sich beanspruchen kann, ohne darum kämpfen zu müssen. Es ist die Endzeit nach der Magie. Besagte Magie mächtiger Zauber, die nur in begrenzter Anzahl für einmaligen Gebrauch verinnerlicht werden können, deren Konzept Dungeons und Dragons für sich übernahm.

    Einst gab es unzählige Zaubersprüche zur Manipulation der Realität, inzwischen sind vielleicht noch 100 davon bekannt. Wenige verbliebene Magier, verfügen wenn überhaupt über ein gutes Dutzend und gelten damit bereits als Meister. Das Buch beginnt mit dem Magier Turjan von Miir, der versucht auf magische Weise einen künstlichen Menschen zu erschaffen, doch stets scheitert. Nachdem uns das Buch einen misslungenen Versuch beschreibt, reist Turjan auch schon Mittels Zauberei in die Domäne eines anderen Magiers. Ob es sich dabei um einen anderen Planeten handelt, eine Taschendimension oder etwas völlig anderes, lässt das Buch offen, es ist jedenfalls nicht die Erde. Dort nimmt er einen gefährlichen Auftrag zum Entwenden eines Artefakts an, um im Gegenzug in die hohe Kunst des Erschaffens von Leben eingewiesen zu werden. Das alles passiert auf wenigen Seiten und ist genauso schnell aufgelöst, ohne größere Vorbereitung, reichhaltige Beschreibung oder besondere Wendung.

    Die Sprache ist meist schnörkellos und zweckdienlich. Dinge passieren unheimlich schnell. Jemand nimmt sich etwas vor, es wird getan, es ist fertig und gut. Das sorgt für ein rasantes Pacing der Ereignisse, macht aber auch klar, hier lesen wir keinen großen Epos, nichts was sich mit dem Herr der Ringe messen will oder darum buhlt den Leser auf ewig in seine Welt zu ziehen. Darum verwundert es kaum, dass sich das Buch auch nicht mit Turjan von Miir als Protagonisten begnügt. Noch oft wechselt die Figur, deren Geschicke wir folgen. Die sterbende Erde ist kein Roman (auch wenn der Umschlag das behauptet) im eigentlichen Sinne. Es ist eine Anthologie von Geschichten, die alle in eben jener Welt spielen und sich zügig liest.

    Das gibt dem Autor die Freiheit viele unterschiedliche Sachen in seiner Welt zu erproben und besagte Welt wirkt wie der eigentliche Kern dieser Geschichte. Doch war, außer dem Magiesystem, nichts dabei, dass mich nachhaltig beeindruckt hätte. Auch wenn ich an der Anthologie nichts auszusetzen weiß, wirkte sie jetzt nicht im eigentlichen Sinne rund auf mich. Keine Figur wirkt besonders tiefschürfend angelegt, ihre Abenteuer sind so knapp, dass sie eher Anekdoten sind. Die sterbende Erde bietet ein wenig altbackene Kurzweil, mit der man sich ein paar Abende mäßig unterhalten kann. Für jemanden, der selbst an solchen Welten bastelt kann das Buch als Inspirationsquelle herhalten.
    HerrFenrisWolf ist offline

  6. #526 Zitieren
    Drachentöter Avatar von Weltenschmerz
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    Zitat Zitat von HerrFenrisWolf Beitrag anzeigen
    Liu Cixin - Die drei Sonnen
    Würde dir den 2. Teil auf jeden Fall noch empfehlen, der 3. war ganz ok.
    Für mich lebt die ganze Serie eher von den Gedankenspielen (die dafür sehr stark sind) als von der Handlung. Im ersten Teil fand ich den Einblick in die chinesische Kultur recht spannend.
    Weltenschmerz ist offline Geändert von HerrFenrisWolf (02.08.2022 um 15:58 Uhr) Grund: Signatur hier ist aus

  7. #527 Zitieren
    Bücherwolf  Avatar von HerrFenrisWolf
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    Zitat Zitat von Weltenschmerz Beitrag anzeigen
    Würde dir den 2. Teil auf jeden Fall noch empfehlen, der 3. war ganz ok.
    Für mich lebt die ganze Serie eher von den Gedankenspielen (die dafür sehr stark sind) als von der Handlung. Im ersten Teil fand ich den Einblick in die chinesische Kultur recht spannend.
    Mein Kumpel meinte, die erste Hälfte von Teil 2 sei sterbenslangweilig, das zahle sich aber in der zweiten Hälfte aus. Würdest du das bestätigen?
    HerrFenrisWolf ist offline

  8. #528 Zitieren
    Drachentöter Avatar von Weltenschmerz
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    Sterbenslangweilig halte ich für etwas übertrieben, aber ja soweit ich mich erinnern kann tröpfelt da alles nur so dahin. In der 2. Hälfte und am Schluss ist das Niveau deutlich besser.
    Weltenschmerz ist offline

  9. #529 Zitieren
    Bücherwolf  Avatar von HerrFenrisWolf
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    Zitat Zitat von Weltenschmerz Beitrag anzeigen
    Sterbenslangweilig halte ich für etwas übertrieben, aber ja soweit ich mich erinnern kann tröpfelt da alles nur so dahin. In der 2. Hälfte und am Schluss ist das Niveau deutlich besser.
    Werde die beiden anderen Bücher wahrscheinlich irgendwann nachlegen.
    HerrFenrisWolf ist offline

  10. #530 Zitieren
    Bücherwolf  Avatar von HerrFenrisWolf
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    Charles Bukowski- Der Mann mit der Ledertasche

    Eigentlich bin ich damit schon vor Wochen fertig geworden, aber seither nicht dazu gekommen meine Gedanken niederzuschreiben. Es ist bestimmt schon über 10 Jahre her, dass ich mit Faktotum den ersten Charles Bukowski Roman in meinem Leben verschlang. Wahrscheinlich schwärme ich jedes Mal von diesem ersten Mal, wenn ich wieder einen Bukowski hinter mir habe. Warum ich das erwähne? Der Mann mit der Ledertasche ist der erste Roman von Charles Bukowski und gemeinsam mit Faktotum und Liebesleben der Hyäne bildet er eine lose Trilogie. Lose, denn es spielt keine Rolle für das Leseverständnis in welcher Reinfolge man sie liest. An seinem Alter-Ego Henry Chinaski handelt Bukowski Phasen seines eigenen Lebens mit künstlerischer Freiheit ab. Während Faktotum die Zeit seines Entdecktwerdens als Autor und das Liebesleben seine Zeit als müßiggehender Künstler abdecken, behandelt die Ledertasche sein Schaffen im Postamt.

    Es ist Weihnachten und im Winter hat die Post immer Appetit auf Aushilfskräfte. Die regulären Austräger melden sich vielfach krank. Henry braucht ein paar schnelle Dollar um den Suff für sich und seine Geliebte zu finanzieren, also tritt er an. Der Job über die Feiertage lässt sich gut aushalten. Es geht ruhig zu. Wer mehr schafft, schafft mehr. Wer bummelt, der bummelt eben. Dabei könnte man ja bleiben, denkt sich Henry und tut das. Schwerer Fehler... Nach den Feiertagen hat sein Stammpostamt keinen Bedarf mehr an ihm und man versetzt ihn in einen Nachbarbezirk, wo ganz andere Verhältnisse herrschen. Vorarbeiter Mr. Jonstone ist ein Schinder und hat Henry ganz besonders gefressen. Er lässt keine Gelegenheit aus unseren Protagonisten in die Pfanne zu hauen. Lohnabzüge, unmögliche Routen, Abmahnungen, Überstunden und bissige Kommentare, alles lässt Chinaski über sich ergehen. Sein Vorarbeiter kann ihm den Buckel runterrutschen. Denn nach Feierabend wartet der Alkohol und der warme Arsch seiner Frau auf ihn.

    Charles Bukowski beschreibt in Der Mann mit der Ledertasche einen Knochenjob, den seine Figur mehr als einmal hinwirft, der sie aber immer wieder einfängt. Ein Mann muss doch schließlich arbeiten, selbst wenn er Geld hat, selbst wenn er eine Frau hat, die Geld hat. Das Postamt steht stellvertretend für alle Jobs da draußen, die ihre Arbeiter auffressen. In denen Individuen mit sinnlosen Vorgaben erst gleich gehobelt und dann unter der Last des anerkennungslosen Dienst nach Vorschrift krumm gedrückt werden. Noch der vorbildlichste Arbeiter hat Dreck am Stecken, noch der freundlichste Mensch wird ohne Wertschätzung wieder ausgespuckt und der beste Kollege wird irgendwann "einer von denen".

    Wer jemals Frustration über die Arbeitswelt oder die sinnlosen Seiten mancher Berufe fühlte, der wird sich in der Mann mit der Ledertasche wiedererkennen. Chinaskis Formel damit umzugehen ist einfach: man braucht eine Menge Galgenhumor, Alkohol in rauen Mengen und hin und wieder einen guten Fick.
    HerrFenrisWolf ist offline Geändert von HerrFenrisWolf (18.08.2022 um 08:33 Uhr)

  11. #531 Zitieren
    Bücherwolf  Avatar von HerrFenrisWolf
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    Erich Maria Remarque - Im Westen nichts Neues

    "Man kann von einem 14jährigen nicht verlangen, sich in den Schützengraben zu fühlen." sagte einst ein Freund zu mir, mit dem ich es von Schulliteratur hatte. Er bezog sich auf genau dieses Buch, welches ich bisher nicht gelesen hatte, sondern nur in seiner Verfilmung kannte. Damals gab ich ihm recht. Eigentlich ein unmöglicher Gedanke, eine unmögliche Erwartungshaltung an Teenager - dieses Buch zu lesen und zu verstehen. Inzwischen habe ich es gelesen und denke das noch immer. Ich denke aber auch, vielleicht ist das gerade wichtig hier das Unmögliche mit Schülern wenigstens zu versuchen.

    In Remarques Buch Im Westen nichts Neues arbeitet sich der Autor an seiner eigenen Erfahrung als deutscher Soldat im Ersten Weltkrieg ab. Die ersten Gehversuche dieses generationsüberspannende Trauma in Worte zu fassen, unternahm er schon im Feldlazarett. Er versuchte sich an etwas, an dem er scheitern musste: Den Krieg in ein ehrliches Bild zu bannen und schuf damit den besten Zugang zum Thema, den ich je gesehen habe.

    Paul Bäumer ist unser Protagonist und unser Ich-Erzähler. Wir begegnen ihm im Feld. Er ist nicht an der Front, sondern erholt sich mit der Kompanie irgendwo hinter den eigenen Linien in Frankreich. Die Soldaten genießen die Zeit abseits der Gräben. Sie freuen sich darüber in Ruhe Skat spielen und scheißen zu können. Außerdem gibt es doppelte Portionen für alle, weil nämlich nur noch die Hälfte der Kompanie am Leben ist. Fette Zeiten nach dem Sterben. Paul ist gerade einmal 20 Jahre alt. Mit 18, kurz vor den Abschlussprüfungen, hat er sich gemeinsam mit dem Rest seiner Klasse freiwillig für den Krieg gemeldet. Dazu hat ihr Klassenlehrer sie angestiftet.

    Seit dem hat sich ihr Leben zweimal radikal verändert. Die Grundausbildung und das Kasernenleben waren völlig anders als die Schulzeit und der Krieg hat mit beiden nichts gemein. Weder Schule noch Kaserne konnten die jungen Männer, die bis dahin eigentlich nur Kinder waren, auf den Horror der Vernichtung sonderlich vorbereiten. An der Front ist keine Zeit zu denken. Wer denkt wird verrückt. Wie bösartige Tiere oder emotionslose Automaten müssen sie töten, rennen, fliehen, kriechen und Deckung beziehen. Denn der Sensenmann steht ihnen in 100 verschiedenen Formen gegenüber: als fremder Soldat, als Mine, als Stacheldraht, als Splitter, als Krankheit, als Hunger, als menschliche Regung im falschen Moment. Abseits der Front müssen sie sofort verdrängen was an der Front passiert ist. Dürfen nicht über gefallene Kameraden und amputierte Mitschüler nachdenken. Müssen alles Leid versenken wie schwere Steinen in einem tiefen See. Denn wer denkt wird verrückt.

    Sie sind 20, müssten eigentlich studieren oder einen Beruf ergreifen und kennen nur das. Der Gedanke, die bloße Fantasie an ein Leben im Frieden, an die Rückkehr in ein Leben ohne Krieg, ist undenkbar, ist lächerlich. Sie sind Menschen, die dem Leben verloren gegangen sind, die sich aber mit aller Gewalt an das Leben in ihnen selbst krallen.

    Erich Maria Remarques Erzählung aus den Augen Paul Bäumers ist episodenhaft. Sie schwankt zwischen dem Grauen, das jedem Soldaten permanent das Nervenkostüm zerkratzt und einem unmenschlichen, würdelosen Pragmatismus. Ruhephasen lösen Frontphasen ab, lösen einander auf. Heimaturlaub ist auf absurde Weise das Schlimmste. Es ist keine Erzählung die einer klaren Handlung folgen würde. Es ist ein ineinandergreifendes Stückwerk. Sachen passieren. Es gibt keine Linie, keinen erkennbaren Sinn weder für den Leser noch für den Soldaten. Für politische Diskussion ist keine Zeit. Es muss überlebt werden, irgendwie zusammengehalten werden. Wenn auch klar ist, keiner, der hier stirbt hat für sich genommen an dieser Katastrophe Schuld.

    Als Leser lernt man aus Im Westen nichts Neues weder warum der 1. WK stattfand, noch wie er sich abspielte, noch irgendwas über die Länder die darin kämpften. Wir erfahren aber gefühlt alles was in einem jungen Menschen vorgegangen ist, der darin kämpfte. Auch wenn es eigentlich unmöglich ist ihn nachzufühlen, so ist die Annäherung an den Schrecken des Krieges enorm. Insofern ist Remarques Buch ein zeitloses Werk, das jeder irgendwann gelesen haben sollte.
    HerrFenrisWolf ist offline Geändert von HerrFenrisWolf (23.08.2022 um 09:59 Uhr)

  12. #532 Zitieren
    Drachentöter Avatar von numberten
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    [Bild: 66568915583828378966_lar.jpg]

    Der Wüstenplanet

    Habe es endlich mal geschafft zu lesen (das Bild ist obligatorisch, weil ich es mir von meinem Vater ausgeliehen habe).
    Habe auch recht lange dafür gebraucht, was ich aber nicht unbedingt auf den Roman schieben will. Irgendwie werde ich im Alter immer lesefauler, mein jüngeres Ich würde mich hassen.
    Auch wenn es etwas zäher ist, hat es mir gut gefallen. Hervorragendes Worldbuilding und obwohl der Charakter quasi alles kann hat es mich nicht gelangweilt. Werde mir vermutlich mal die anderen Bücher (zumindestens bis zum Gottkaiser) besorgen und auch noch lesen. Irgendwann.

    [Bild: 51QFAG6j9SL._SX327_BO1,204,203,200_.jpg]

    Die Brücke der Vögel

    Auch von meinem Vater geliehen (auch wenn es da 2018 endlich mal eine neue Auflage gab und ich mir sie mal selbst besorgen kann. Wenn auch ohne die schönen Cover-Artworks).
    Schon oft gelesen, eines meiner Lieblingsbücher und außerdem auch eine Super Trilogie. (Gut der dritte lässt etwas nach).
    Nach Dune auf jedenfall leichtere Kost. Sehr gutes Buch, hat mit die unterhaltsamsten Dialoge die ich kenne (Achtung Humor ist subjektiv), welche toll geschrieben sind. Symphatische Hauptcharaktere in einer chinesisch angehauchten Fantasy Welt, was man hier ja eher selten liest.
    Lese ich jedes Mal gerne, lache dabei und kann es nur empfehlen.

    Jetzt muss ich mir nur entweder den zweiten Teil beim nächsten Familienbesuch ausleihen, oder selbst besorgen.
    numberten ist gerade online Geändert von numberten (26.08.2022 um 16:36 Uhr)

  13. #533 Zitieren
    Bücherwolf  Avatar von HerrFenrisWolf
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    Worum geht es in die Brücke der Vögel?
    HerrFenrisWolf ist offline

  14. #534 Zitieren
    Drachentöter Avatar von numberten
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    Der Roman spielt in einem antiken China das es nie so gegeben hat. Der Hauptprotagonist Nummer Zehn der Ochse (falls du dich mal gefragt hast was mein User Name soll, da ist die Antwort.), welcher im Dorf Ku-fu lebt.
    Durch ein Verbrechen werden alle Kinder des Dorfes vergiftet weswegen man Nummer Zehn nach Peking schickt, wo er einen Gelehrten anheuern soll der die Kinder heilen kann. Dort findet er den Meisten Li Kao, einen Gelehrten mit einer kleinen Charakterschwäche.
    Dieser findet heraus das man zur Heilung die Große Wurzel der Macht finden muss, woraufhin die beiden sich auf die Suche nach der Ginsengpflanze machen.
    Diese Suche führt sie durch ganz China, treffen auf verschiedene Verbündete und Gegner, begegnen fantastischen Phänomen und geraten dabei in eine Geschichte deren Ursprung sich bis die alten Mythen wiederfinden lässt.

    Man kann es am ehesten in den Bereich Heldenreise, Abenteuerroman oder viellleicht Roadtrip/Buddytrip einordnen. Die beiden Hauptcharaktere ergänzen sich gut, die Nebencharaktere sind sehr gut ausgearbeitet und die Ereignisse von der chinesischen Mythologie inspiriert.
    Ich will jetzt auch nicht zu sehr ins Detail gehen, weil es ein paar nette Wendungen gibt die ich nicht verraten will.

    Hoffe das hilft ein wenig.
    numberten ist gerade online

  15. #535 Zitieren
    Veteran Avatar von Kiyan
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    Steven Erikson - Memories of Ice

    [Bild: 41hqLKbnNbS._SY346_.jpg]

    Robert Jordan - Die Rückkehr des Drachen

    [Bild: 519YIPdKUML._SY346_.jpg]


    Zwei große Namen der Fantasy-Literatur. Habe mich jetzt mal durchgerungen, erst das eine und dann das andere Buch stoisch zuende zu lesen. Hab in der Elternzeit zu viele Romane angefangen und dann immer mal wieder hier und da etwas gelesen, aber nicht mit der nötigen Ruhe, um es zuende zu bringen. Das ändert sich jetzt, angefangen mit den beiden Büchern.
    Kiyan ist offline

  16. #536 Zitieren
    Drachentöter Avatar von numberten
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    William Gibson: Neuromancer

    Man stelle sich vor man redet mit einer Arbeitskollegin über Cyberpunk und diese schenkt einem die Neuromancer Trilogie zum Geburtstag. Dann steht das Buch über vier Jahre im Regal, während der Besitzer fleißig weiter Cyberpunk PnP spielt.
    Der besagte Typ ist ein Trottel und selbstverständlich ich!

    Aus den obigen Gründen habe ich mich im ersten Buch direkt heimisch gefühlt. Ich meine, niemand hat wohl das Cyberpunk Genre so geprägt wie Gibson (Phillip K. Dick steht noch aus).
    Die gängigen PnP Systeme sind nach der Lektüre für mich gefühlt Gibsons Werk wo sich jemand Regeln für ausgedacht. (Okay, Shadowrun hat noch Fantasy Kram zugefügt um sich abzuheben)

    Inhaltlich geht es um den abgefuckten Hacker (oder Decker, bzw. Cyberspace Cowboy) Case der nach einer ziemlich dummen Idee seinen Zugang zur Matrix verloren hat (womit man als Decker sein Geld verdient) und sein leben langsam in den Abgrund fährt.
    Bis jemand vorbei kommt und ihn anbietet seine Fähigkeiten zurück zu erhalten wenn er dafür einen Run durchführt. Das Befreien einer KI aus einem Konzern Sicherheitssystem.

    Die Welt ist super geschrieben, der Matrix Kram überraschenderweise spannend und die Charaktere detailliert und überzeugend. Wer Cyberpunk mag kommt wirklich nicht darum.
    Sobald sich mein Handgelenk erholt hat, lese ich das zweite Buch. Drei Bücher in einem Band sind doch ein wenig anstrengend auf Dauer wie ich durch die Zugfahrt feststellte. ^^

    Es ist schön mal wieder endlich ein paar Bücher zu lesen. Der Pile of Shame ist groß genug geworden.
    numberten ist gerade online

  17. #537 Zitieren
    Bücherwolf  Avatar von HerrFenrisWolf
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    William Gibson: Neuromancer

    Man stelle sich vor man redet mit einer Arbeitskollegin über Cyberpunk und diese schenkt einem die Neuromancer Trilogie zum Geburtstag. Dann steht das Buch über vier Jahre im Regal, während der Besitzer fleißig weiter Cyberpunk PnP spielt.
    Der besagte Typ ist ein Trottel und selbstverständlich ich!

    Aus den obigen Gründen habe ich mich im ersten Buch direkt heimisch gefühlt. Ich meine, niemand hat wohl das Cyberpunk Genre so geprägt wie Gibson (Phillip K. Dick steht noch aus).
    Die gängigen PnP Systeme sind nach der Lektüre für mich gefühlt Gibsons Werk wo sich jemand Regeln für ausgedacht. (Okay, Shadowrun hat noch Fantasy Kram zugefügt um sich abzuheben)

    Inhaltlich geht es um den abgefuckten Hacker (oder Decker, bzw. Cyberspace Cowboy) Case der nach einer ziemlich dummen Idee seinen Zugang zur Matrix verloren hat (womit man als Decker sein Geld verdient) und sein leben langsam in den Abgrund fährt.
    Bis jemand vorbei kommt und ihn anbietet seine Fähigkeiten zurück zu erhalten wenn er dafür einen Run durchführt. Das Befreien einer KI aus einem Konzern Sicherheitssystem.

    Die Welt ist super geschrieben, der Matrix Kram überraschenderweise spannend und die Charaktere detailliert und überzeugend. Wer Cyberpunk mag kommt wirklich nicht darum.
    Sobald sich mein Handgelenk erholt hat, lese ich das zweite Buch. Drei Bücher in einem Band sind doch ein wenig anstrengend auf Dauer wie ich durch die Zugfahrt feststellte. ^^

    Es ist schön mal wieder endlich ein paar Bücher zu lesen. Der Pile of Shame ist groß genug geworden.
    Ich hab ganz ähnliches über Neuromancer geschrieben nachdem ich es gelesen hatte.
    HerrFenrisWolf ist offline

  18. #538 Zitieren
    Dea Avatar von Solitaire
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    Steven Erikson - Memories of Ice

    [Bild: 41hqLKbnNbS._SY346_.jpg]

    Robert Jordan - Die Rückkehr des Drachen

    [Bild: 519YIPdKUML._SY346_.jpg]


    Zwei große Namen der Fantasy-Literatur. Habe mich jetzt mal durchgerungen, erst das eine und dann das andere Buch stoisch zuende zu lesen. Hab in der Elternzeit zu viele Romane angefangen und dann immer mal wieder hier und da etwas gelesen, aber nicht mit der nötigen Ruhe, um es zuende zu bringen. Das ändert sich jetzt, angefangen mit den beiden Büchern.
    Könntest du bitte mal eine kurze Zusammenfassung des Inhalts in deinen Worten geben und vielleicht auch eine Einschätzung, wie sie dir gefallen haben? Ich bin immer auf der Suche nach neuen Fantasy-Romanen.
    Solitaire ist offline Geändert von Solitaire (14.09.2022 um 17:09 Uhr)

  19. #539 Zitieren
    Bücherwolf  Avatar von HerrFenrisWolf
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    Auf dem Kanal LITERATUR IST ALLES habe ich von John William erfahren. Ein Autor, der nur eine begrenzte Zahl von Büchern geschrieben hat, bei dem sich jedes Werk liest als sei es aus der Feder eines völlig anderen Menschen entstanden. Damit wird William ein großes Talent nachgesagt. Zwei seiner Titel klangen tatsächlich interessant und auf Butcher's Crossing fiel schließlich meine Wahl.

    Irgendwann um 1870 herum erreicht eine wackelige Kutsche die kleine Stadt Butcher's Crossing. Zwischen wenigen Gebäude aus Holz, wie dem Saloon oder dem Hotel, ducken sich Zelte. Die Stadt ist noch im Werden. Von der Wackelkutsche steigt ein junger Mann, anfang Zwanzig, Der Neuankömmling, Will Andrews ist unser Protagonist. Will hat sein Studium in Harvard geschmissen und ist mit einem kleinen Erbe nun auf den Weg in die Wildnis, um herauszufinden wer er selbst eigentlich ist. Dafür schließt er sich bald und entgegen der Warnungen eines wohlmeinenden Unternehmers, dem Büffeljäger Miller an.

    Gemeinsam mit Miller, dessen einhändigen Kumpel Charlie Hudson und einem angeheuerten deutschen Häuter namens Schneider, fährt Will Andrews auf eine große, beinahe das gesamte Buch überspannende Büffeljagd. Sein Erbe finanziert diesen Trip und ob am Ende wirklich die Beute wartet, die Miller verspricht, bleibt lange unklar.

    Butcher's Crossing ist eine Geschichte über die große, noch beinahe unberührte Natur der USA. Doch der Zeitpunkt ist interessant gewählt. Die new-frontier Stimmung schleicht sich bereits aus, denn das Land wächst an Eisenbahnschienen bereits zusammen. Die großen Büffeljagden sind die legendären Geschichten der Jäger von einst. Unlängst ist der Büffel ein aussterbendes Tier geworden. John William beschreibt die Natur in gewaltigen Bildern, in Anblicken, in denen sich die Betrachter verlieren, einfach vom Horizont aufgezehrt werden. Der Leser erfährt jede Meile der Reise, wie ein Reiter den dumpfen Schmerz in Schenkeln und Hintern am zweite Tag des Ritts.

    Weder gibt es besonders viele Figuren, noch reden diese viel miteinander. Von Andrews, Hodge, Miller und Schneider erfährt man nur das bitter nötigste. Dennoch bietet der Roman eine Zwischenmenschlichkeit, die keiner Worte bedarf. Über weite Teile fand ich das Buch langweilig. Naturromantische Beschreibungen und das harte, vermeintlich echte(re) Leben sind nur bedingt unterhaltsam. Ihr Reiz nutzte sich schnell für mich ab. Doch speziell gegen Ende zieht William seine Erzählung an.

    Erst passiert alles wie erwartet, dann überrascht der Autor doch noch einmal kräftig. Die letzten Kapitel waren für mich persönlich die stärksten. Es könnte sie nicht geben, ohne die Reise davor. Irgendwo zwischen den menschenleeren Landschaften Amerika, dem mechanischen Abschlachten und Häuten von Büffeln und all den Unbillen der Jagd, ist William Andrews ein anderer geworden. Die Unbeantwortbarkeit, die Unbenennbarkeit, die damit einhergeht ist der Geist dieses Buches.
    HerrFenrisWolf ist offline

  20. #540 Zitieren
    Bücherwolf  Avatar von HerrFenrisWolf
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    Ein guter Freund hat mir dieses Buch als eines seiner persönlichen Favoriten geschenkt. Die Besonderheit für mich, es war die englische Originalausgabe. Bisher habe ich noch nie einen Roman in einer anderen Sprache als Deutsch gelesen. Mit dem Lesen von Blood Meridian auf Englisch (im dt. verfügbar unter "Die Abendröte im Westen") ging also manch neue Erfahrung einher. Ich habe z.B. nun eine Vorstellung davon was das Prädikat "unübersetzbar" bedeutet. Gemeint ist davon nicht eine kryptische Unentschlüsselbarkeit, sondern schwere Übertragbarkeit von Sprachgewalt und interpretationsbedürftiger Bedeutungsvielfalt.

    Blood Meridian beginnt im Jahre 1849 und erzählt das Heranwachsen des vierzehnjährigen Protagonisten bis Ende Zwanzig. Der vom Erzähler schlicht als "the kid" bezeichnete Junge bereist dabei den größtenteils unerschlossenen Südwesten der USA und Mexiko. Was wir über the kid erfahren ist spärlich bis hin zur scheinbaren Abwesenheit der Figur. Neben dem Namen wird dem Leser auch jede Form von inneren Dialog oder Gedankengang vorenthalten. Oft scheint the kid nicht mehr zu sein als ein vages Kreuz auf der Landkarte, damit wir zumindest den Ort bestimmen können von dem McCarthy erzählt. Es ist allgemein die Art des Autors, in diesem Buch, Figuren bzw. ihren Verbleib überhaupt nur dann zu erwähnen, wenn sie tatsächlich in Aktion treten. McCarthy sagt uns nicht wer diese Figuren sind, sondern zeigt es uns. Das ist ein Stilmittel, welches eine gesunde Distanz des Lesers zu sich zutragenden Ungeheuerlichkeiten schafft. Was wir jedoch mit absoluter Sicherheit über the kid wissen, ist dass der Junge einen großen Hang zu Gewalt hat. Beginnt er seine Reise allein und mit Kneipenschlägereien, schließt er sich bald Gruppen an, deren Ziel die Ausübung von Gewalt ist.

    So wird er in Mexiko bald zum Teil der Glanton Gang, einer Gruppe von staatlich angeheuerten Skalp-Jägern. Schon das bloße Äußere der Gruppe unterstreicht um welchen Menschenschlag es sich handelt. Für diesen Haufen Ex-Soldaten, gebrandmarkte Kriminelle und gestrauchelte Existenzen findet McCarthy Worte, nach denen man sie auch für dämonische Reiter eines Fantasy-Romans halten könnte. Es ist eine Gruppe deren zwischenmenschliche Bande eher Komplizenschaft als Kameradschaft oder gar Freundschaft kennzeichnet. Geradezu lächerlich opportun bahnen sie sich ihren Weg zu flüchtigen Reichtümern. Ihre entgrenzte Gewalt entpuppt sich vielfach als bloßer Selbstzweck.

    Aus ihren Reihen hebt sich eine Personalie ganz besonders ab, Judge Holden. Beinahe mehr als die Geschichte von the kid scheint Blood Meridian die Geschichte von Judge Holden zu sein. So besteht ein zentraler Reiz des Buches darin, herauszufinden was es mit diesem "Richter" Holden auf sich hat. Als massiger Albino von beeindruckender Körpergröße ist er rein physisch schon eine kuriose Gestalt. Darüber hinaus fällt er als Polyglott, Silberzunge und Sadist auf.

    Früh stand für mich die Vermutung im Raum, dass es sich bei dieser Figur um den leibhaftigen Teufel handelt. Andere Leser sehen in ihm einen Archonten, des aus der Gnosis bekannten bösen Schöpfergottes, des Demiurgen. Persönlich hat sich meine Deutung der Figur gewandelt. Einerseits betrachte ich ihn als Allegorie für den weißen Kolonialismus, denn gleich einer Personifizierung findet er für jede Form unterdrückerischer Gewalt eine scholastische halbgare Rechtfertigung. Andererseits erscheint er mir als gänzlich menschlicher Verbrecher, der einen Gottkomplex hegend, sich selbst im Nimbus seines Rufes verliert. Blood Meridian liefert Stoff für manche Interpretation und das Rätseln über Judge Holden treibt Figuren wie Leser gleichermaßen an.

    Insbesondere sein Sprachvermögen hebt ihn aus dem Rest der Bande heraus. Sprache allgemein ist in Blood Meridian ein gewichtiger Punkt. McCarthy bedient sich ihr als Stilmittel schwergewichtiger Eleganz. Während fast alle Figuren in ihren Dialogen durch kaum zu übersetzende sprachliche Fehlleistungen, bis zu dreifacher Verneinung und Slang als ungebildete Menschen auffallen, malt McCarthy seine überbordenden Naturbeschreibungen in geradezu arkanen Bildern. Dadurch entsteht ein völlig stimmiger Kontrast. Die Umwelt, durch die sich Mensch und Tier bewegen, ist etwas ganz und gar fremdes. Anders als z.B. in John Williams Butchers Crossing ist die Natur kein unberührtes Paradies, in dem der Mensch sich selbst finden will. Vielmehr erscheint sie als ähnlich unbarmherziger, indifferenter Killer wie die Bande selbst. Der Überlebenskampf gegen die Natur ist endlos. Beinahe jeder Ort, den die Figuren aufsuchen, ist im Niedergang begriffen oder gekennzeichnet durch Lebensfeindlichkeit. In Blood Meridian ist nicht nur der Mensch, dem Mensch ein Wolf, richtige Wölfe gibt es auch, vom Wetter ganz zu schweigen.

    Die Unzugänglichkeit mancher von McCarthys Naturbeschreibungen zwang mich ein ums andere Mal inne zu halten, nachzugrübeln, ganze Seiten nochmal zu lesen. Seine Sprache ist durchaus poetisch, doch vielfach hatte ich das Gefühl, geradeso nur die Essenz dessen zu erfassen, was er da eigentlich schreibt. An einer Übersetzung würde ich scheitern. Problematisch ist dabei weniger, dass ich kein Englisch-Muttersprachler bin, sondern dass bedingt durch Zeit und Region vielfach Eigenbegriffe auftauchen, die wahrscheinlich auch ein Muttersprachler nachschlagen muss. Im Umgang mit Mexikanern oder Ureinwohnern wird in der Regel Spanisch gesprochen. Das sind dann Situationen, in denen sich ein des Spanisch nicht mächtigen Leser fühlen darf wie das Gro der Glanton-Bande, im guten Gefühl, dass die auch kein Wort verstehen. Cormack McCarthy hält auch nichts von Satzzeichen wie Kommas oder der Markierung wörtlicher Rede. Sofern man ihn also im Original liest, erfährt man ob, wann, was und wer etwas sagt, entweder aus dem Kontext, dem Sprach-Rhythmus im Text oder eben hinterher. Der Verzicht auf Kommas bereitete mir an mindestens einer Stelle ein Verständnisproblem, weil sich der vorgesehene Rhythmus nicht einstellen wollte.

    Blood Meridian ist ein großes Werk. Nicht umsonst gilt es als ein Hauptwerk McCarthys. Ich bin dem Buch inzwischen selbst sehr zugetan. Auch wenn ich es gegen Ende hin etwas redundant fand, hielt es mich durchgängig bei der Stange. Schon nach dem ersten Drittel des Buches konnte ich mich über eine Reihe wirklich großartiger Stellen mit dem Schenkenden austauschen. Das gern romantisch verklärte Setting des wilden Westens bekommt hier den Spiegel ebenso menschlicher wie unmenschlicher Grausamkeit vorgehalten. Ich halte das für einen nötigen Gegenzauber, der aber dieser Rechtfertigung gar nicht bedarf.
    HerrFenrisWolf ist offline Geändert von HerrFenrisWolf (02.11.2022 um 11:52 Uhr)

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