Ein beinharter Kerl


„Aufwachen! – Los jetzt, du hast nicht mehr viel Zeit!“
Ärgerlich murrend schob Fred die herumfuchtelnde Hand seines Zimmergenossen Dario aus dem Gesicht und drehte sich auf die andere Seite.
„Mensch, Fred!“, stöhnte Dario und zerrte an der Bettdecke, die Fred mit beiden Händen fest an seinen Hals drückte. „Jetzt komm schon raus aus der Kiste! Ich will nicht wissen, wie er diesmal austickt, wenn du schon wieder verschläfst. Das ist das dritte Mal diese Woche!“
„Geht doch gar nicht“, brummte Fred und kuschelte sich demonstrativ wohlig in sein flauschiges Kissen. „Ich hab nur zweimal die Woche Eskortdienst.“
„Ja, aber du hast auch schon zweimal diese Woche verschlafen, du Held! Du glaubst doch wohl nicht, dass du so einfach davonkommst, wenn du dich ständig von Basti oder mir vertreten lässt. Das musst du nachholen, und zwar genau jetzt!
„Ja ja...“, murmelte Fred und dachte dann noch einmal gründlich über seine Worte nach. „Das heißt: nein, auf gar keinen Fall!“
Seinem Mitbewohner entfuhr ein empörtes Japsen. „Das ist ja wohl hoffentlich nicht dein Ernst, Fred! Wir haben hier alle unsere Pflichten, und wegen dir hatten wir jetzt wirklich schon genug Ärger!“
„Ja, keine Sorge, ich hol das nach“, versprach Fred mit dem Gesicht im Kissen. „Aber doch nicht jetzt gleich. Er steht doch bestimmt schon unten und wartet, oder?“
„Ja eben!“, zischte Dario entgeistert. „Was meinst du, warum ich die ganze Zeit versuche, dich aus dem Bett zu kriegen?“
„Na also. So schnell komme ich jetzt sowieso nicht mehr aus dem Bett. Ich muss mich ja auch noch waschen und ankleiden und –“
„Du verlangst ernsthaft, dass ich schon wieder für dich einspringe? Du hast schon letzte Woche eine Schicht zu wenig absolviert, die müsstest du eigentlich auch mal nachholen!“
„Nur noch dieses eine Mal, okay? Wird nicht wieder vorkommen, ehrlich. Es ist bloß –“
„Spar dir deine Ausreden!“, fauchte Dario, doch Fred erkannte bereits am Klang seiner Stimme, dass er einwilligen würde. „Dieses eine Mal noch. Aber dafür übernimmst du die nächsten drei Schichten hintereinander, ist das klar?“
„Meinetwegen“, nuschelte Fred. „Alles was du sagst... Hauptsache du lässt mich jetzt schlafen.“
Zornig polterte Dario aus dem Zimmer, drehte sich aber auf dem Korridor noch einmal zu Fred um. „Morgen kommst du mir nicht schon wieder mit so einer Ausrede an, verstanden? Ist mir egal, ob er dir an den Kragen geht – das hast du dir dann selber eingebrockt!“
Fred sparte sich eine Antwort und lauschte den sich rasch entfernenden Schritten Darios. Er, damit war natürlich ihr gemeinsamer Meister Zeriphos gemeint – und Fred schätzte die Wahrscheinlichkeit, dass der alte Magier beim nächsten Wutanfall handgreiflich werden könnte, als gar nicht mal so gering ein. Die Vorstellung, ihn ein weiteres Mal bei seinen nicht enden wollenden Wanderungen durch die Wildnis der Insel begleiten zu müssen, schreckte ihn im Augenblick jedoch noch ein ganzes Stück mehr ab.
Als er sich damals dafür entschieden hatte, seine Ausbildung beim abtrünnigen Magier Zeriphos zu absolvieren, der für den weit über die Inselgrenzen hinaus bekannten Burgherren Patroscon arbeitete, da hatte er noch geglaubt, sich die üblichen Scherereien auf dem Weg zum mächtigen Zauberwirker gespart zu haben: Die Vulkanfestung war schließlich berüchtigt dafür, nicht bloß einige der gelehrtesten Männer der ganzen Südsee zu beherbergen, sondern darüber hinaus auch eine sehr unübersichtliche Menge an außerordentlich staub- und schmutzanfälligen Plätzen und Steinterrassen, die es zu hegen, pflegen und fegen galt. Man musste sich nicht erst bei den Novizen der Festung persönlich erkundigen, um zu begreifen, dass für diese Aufgaben ganz sicher nicht die schon ausgebildeten Magier zuständig waren. Fred war sich seiner Entscheidung gegen die Vulkanfestung also von Anfang an sehr sicher gewesen, worin ihn die verpatzte Aufnahmeprüfung bloß noch bestätigt hatte. Sicherlich hatte Zeriphos nicht den besten Ruf in der Magierwelt, seit er sich mit seinen Kollegen in der Festung überworfen und bei Patroscon angeheuert hatte, dem man wenig Liebe zur Wissenschaft nachsagte – doch an seinem Verständnis für die magischen Künste hatten, nach allem was Fred so gehört hatte, nicht einmal seine ärgsten Widersacher ernsthafte Zweifel angemeldet. Außerdem war es ja sicher gar keine schlechte Sache, einen Privatlehrer zu haben, der außer ihm bloß noch zwei weitere Novizen unterrichtete und der sich seinen Schützlingen und deren angestrebtem Aufstieg in die höheren Sphären der Macht daher mit großer Aufmerksamkeit widmen konnte. So jedenfalls hatte es sich Fred zurechtgelegt, als er vor ein paar Wochen in Patroscons Burg eingezogen und in Zeriphos’ Lehre eingetreten war – bis, ja, bis er begriffen hatte, was es wirklich bedeutete, der Lehrling des alten Magiers zu sein.
Laufen. In erster Linie nämlich bedeutete es nur das: Laufen, laufen, und dann noch einmal laufen. Und nicht einmal dann hatte es mit dem Laufen ein Ende, denn anschließend begann das Laufen schon wieder von vorne. So lief das die ganze Zeit, und so lief er die ganze Zeit – nämlich jetzt schon seit Wochen jeden dritten Tag außer sonntags von morgens bis abends seinem Meister hinterher, wenn der die Insel nach den seltenen Zutaten für seine alchemistischen Substanzen und selbst entwickelten Zauberrunen absuchte. Den Sinn dieser lästigen Pflicht hatte Fred bis heute nicht begriffen: Zwar behauptete Zeriphos, sich ganz auf seine Suche nach den erforderlichen Ingredienzen konzentrieren zu wollen und das gelegentliche Bekämpfen angriffslustiger Wildtiere daher dem ihn eskortierenden Novizen zu überlassen, doch in der Praxis griff der Magier dann doch meist zum Feuerballkristall, bevor sein Begleiter überhaupt die Gelegenheit hatte, zu reagieren. So hätte sich Fred nicht einmal dann auf ein kleines Kämpfchen zur Auflockerung zwischendurch freuen können, wenn er denn an Kämpfen grundsätzlich Gefallen gefunden hätte, was er nicht tat. Er hatte schließlich nicht den Pfad der Magie eingeschlagen, nur um dann wie ein Jäger durch die Wälder zu streifen und Stachelratten zu erlegen! Was er wirklich wollte, war lernen, und wenn sein Meister schon nicht gewillt war, ihm etwas beizubringen – denn abseits seiner ausschweifenden Streifzüge, also während der Nächte, schloss er sich meist in seinen Gemächern ein – dann würde er es eben aus eigener Kraft zum Magier schaffen.
Kaum waren Darios Schritte verhallt, stieß Fred die Decke von sich, hüpfte aus dem Bett und schlüpfte in seine wollenen Hausschuhe. Er war fest entschlossen, die zwei Stunden, die er hellwach im Bett gelegen und sich schlafend gestellt hatte, schleunigst wieder wettzumachen. Fred hasste es, wertvolle Zeit durch Nichtstun zu verplempern, aber angekleidet und gewaschen hätte er Dario natürlich niemals dazu überreden können, die Schicht für ihn zu übernehmen. Und zwei verplemperte Stunden, sagte er sich im Stillen, waren allemal besser als ein ganzer verplemperter Tag.

„Fred?“, schallte es von weiter oben zu ihm herab, als er die Bibliothekstür hinter sich zuschlug. „Was machst’n du hier? Solltest du nicht mit dem Meister draußen unterwegs sein?“
Fred konnte sich ein kleines, genervtes Seufzen nicht verkneifen. Es war natürlich abzusehen gewesen, dass er sich seinen Studien nicht ganz ungestört würde widmen können, aber er hatte doch insgeheim gehofft, Basti wäre womöglich im Labor mit dem Zusammenbrauen einer Mixtur beschäftigt.
„Achso, nein nein“, erwiderte Fred und schaute zum Novizen auf, der eines der hohen Bücherregale auf einer Leiter erklommen hatte und in der obersten Regalreihe nach etwas suchte. „Dario hat für mich übernommen.“
„Schon wieder?“ Die Leiter knirschte bedrohlich unter der Last des fülligen Lehrlings, und Fred glaubte zu erkennen, dass sich die oberste Sprosse leicht nach unten bog. Er fragte sich schon seit Anbeginn seiner Lehre, wie lange die Leiter Bastis Gewicht wohl noch aushalten würde – irgendwann musste es da einfach mal zu einem Unfall kommen.
„Was heißt denn Schon wieder?“, murrte Fred und setzte sich an einen der drei runden Tische, auf dem das Buch, mit welchem er sich zurzeit beschäftigte – ein basalmagisches Grundlagenwerk über das Element des Feuers –, noch vom gestrigen Tage aufgeschlagen lag. „Das ist doch erst das dritte Mal diese Woche. Und du hast dich vorletzte Woche ja auch mal vertreten lassen.“
„Da hatte ich auch schlimmes Fieber, Fred“, entgegnete Basti, der gerade das gesuchte Buch gefunden hatte und sich mit bedächtigen Schritten an den Abstieg machte. „Das ist was ganz anderes.“
„Und wenn schon. Wir müssen doch auch mal füreinander einstehen hier. Wir sind doch Kollegen, oder?“
„Hm“, machte Basti. „Dann nehm ich ja mal an, dass du dann auch die nächsten drei Tage am Stück übernimmst, wie’s sich gehört.“
Fred antwortete nicht und starrte sehr interessiert in das aufgeschlagene Buch hinein.
„Fred?!“
„Was? Ja... ja, wie auch immer...“
Basti, wieder am Boden angekommen, ging die paar Schritte auf Freds Tisch zu und machte ein ernstes Gesicht. „Fred, jetzt sei mal nicht so. Wir finden das alle nicht so toll, stundenlang blöde durch die Gegend zu stiefeln, aber es sind ja nur zwei Tage die Woche, und da müssen wir eben durch, ne?“
Nur zwei Tage? Siehst du das hier?“ Empört entledigte sich Fred seines rechten Pantoffels und zupfte sich den kurz zuvor erst angezogenen Strumpf vom Fuß. Er reckte das Bein in die Höhe und wies mit beiden Händen auf die roten Schwielen, die sich über die Fußsohle zogen. „Zwei Tage die Woche reichen, um sowas anzurichten!“
„Willste dich jetzt etwa über ein paar Blasen an den Füßen beschweren oder was?“ Basti verdrehte die Augen. „Guck mich doch mal an. Denkst du etwa, mir fällt das leicht? Bin ja nun auch nicht grade der Fitteste. Aber wenn ich das durchstehe, dann schaffst du das erst recht. Also stell dich mal nicht so an, du Weichei.“
Fred rümpfte die Nase und zog den Socken schleunigst wieder an. Ausgerechnet von diesem kugelrunden Fettsack als Weichei beschimpft zu werden, das passte ihm nun überhaupt nicht in den Kram.
„Ich stell mich ja gar nicht an, und ich bin auch kein Weichei“, bemühte er sich klarzustellen. „Ich bin ein... ein beinharter Kerl, jawohl. Es geht mir hier um was Grundsätzliches. Ums Prinzip, quasi.“
Genervt schüttelte Basti den Kopf und wandte sich ab. „Jetzt komm, Fred, lass mal gut sein. Die nächsten drei Tage machst du am Stück, klar? Da brauchst du jetzt gar nicht mit dem Diskutieren anfangen.“
Fred hob empört beide Hände. „Was denn? Ich hab doch gesagt, ich mach’s! Drei Tage am Stück, kein Problem. Komm schon, für wen hältst du mich? Wenn ich was verspreche, dann halte ich es auch!“
„Na sicher.“ Basti klang nicht besonders überzeugt.
„Oh ja, ganz sicher! So, und jetzt lass mich mal bitte in Ruhe lesen hier.“
Erst jetzt bemerkte Fred, dass Basti auf dem Weg zur Tür war, was ihm nur recht sein konnte.
„Keine Sorge, ich muss sowieso in die Werkstatt. Patroscon will so schnell wie möglich einen fertigen Golem haben. Er hätte wohl gerne einen als persönlichen Leibwächter, sagt der Meister – du siehst also, es ist ziemlich wichtig.“
„Wie, was – Werkstatt?“ Fred fühlte sich ein wenig vor den Kopf gestoßen. Schließlich hatte er selbst diesen Raum bislang erst zweimal für wenige Minuten betreten dürfen, und dann auch nur in Anwesenheit seines Meisters. „Wieso lässt dich Zeriphos auf einmal an den Golems arbeiten?“
„Er fand eben, dass ich gute Fortschritte gemacht habe. Bestimmt biste auch bald soweit, Fred. Also, wir sehen uns.“
Frustriert lauschte Fred der zuschlagenden Tür und den sich langsam entfernenden Schritten des Novizen. „Bestimmt biste auch bald soweit, Fred“, äffte er Bastis gönnerhaften Tonfall nach und funkelte das Buch vor seiner Nase böse an. „Na herzlichen Dank auch! In den nächsten drei Tagen aber schon mal nicht, so viel steht fest!“
Seine vergleichsweise gute Laune, die er zuvor noch zumindest in Ansätzen genossen hatte, war nach dem Gespräch mit Basti wie weggeblasen: Er konnte einfach nicht anders, als sich vorzustellen, wie der dicke Lehrling mit Feuereifer an den magischen Golems herumhantierte, während er selbst dem im Nautilustempo dahinschlurfenden Zeriphos nachdackeln durfte, der sich natürlich wieder die umständlichsten Umwege ausdenken würde, um dann am Ende des Tages mit ein paar Fasern irgendeines unscheinbaren Unkrauts in die Burg zurückzukehren. Drei verlorene Tage – und dann stand ja schon wieder die nächste Woche vor der Tür, in der er weitere zwei Tage aus dem Fenster werfen musste! An irgendwelche Fortschritte auf dem Weg zum mächtigen Magier war in dieser Zeit natürlich nicht zu denken, und wie seine Füße am – ja nur vorläufigen – Ende dieser Tortur aussehen würden, das wollte er sich lieber gar nicht erst ausmalen.
Nein, je länger er darüber nachdachte, desto stärker sträubte sich alles in ihm gegen die Vorstellung, all das tatsächlich willenlos über sich ergehen zu lassen. Diese ganze langweilige Schinderei war, wenn er es sich recht überlegte, eines in vielleicht nicht naher, aber doch absehbarer Zukunft mit Sicherheit sehr weisen und ehrwürdigen Magiers ja nun wirklich nicht würdig! Sein Entschluss stand fest: Er musste sich dringend etwas ausdenken, um der lästigen Pflicht aus dem Weg zu gehen, koste es was es wolle.
Kurz überlegte er, den alten Trick einfach noch etwas länger auszureizen und am nächsten Morgen erneut den Langschläfer zu spielen, verwarf den Gedanken aber rasch wieder. Das würde mit viel Glück noch ein oder zweimal funktionieren, aber mit Bastis und Darios kollegialer Aufopferungsbereitschaft würde es wohl leider eher früher als später ein Ende haben. Ein neuer Plan musste her – einer, bei der ihm später niemand einen Vorwurf machen konnte. Einer, der seine ganz eindeutige und objektiv feststellbare Unfähigkeit zur Teilnahme an den langwierigen Exkursionen zur Folge haben würde. Und plötzlich, während er sich all das durch den Kopf gehen ließ, kam ihm die rettende Idee in den Sinn.
Natürlich – genau das war es doch! Basti hatte es ihm ja schon vorgemacht: Alles was es brauchte, war eine Krankheit. Wer krank war, der konnte auf keinen Fall mehr durch die Wildnis streifen – aber er konnte durchaus noch, eingekuschelt in warme Wolldecken, in der Bibliothek sitzen und Bücher studieren. Auch das hatte Basti ja höchstselbst bewiesen, ohne dass dabei von irgendeiner Seite der Verdacht aufgekommen war, es hätte sich bei seinem Fieber um keine ernstzunehmende Krankheit gehandelt. Zwar war Bastis Fieber rasch wieder abgeklungen, aber das war ja bekanntermaßen nicht bei jedem Fieber so. Vielleicht würde Fred ein schlimmeres Fieber erwischen... eines, das ihn tage- oder gar wochenlang außer Gefecht setzte.
„Wochenlang...“ Verträumt ließ sich Fred das Wort auf der Zunge zergehen. Bei dem Gedanken an wochenlanges, ungestörtes Studieren hatte es sich mit seiner schlechten Laune auch schon wieder erledigt. Der Plan stand fest – jetzt brauchte er nur noch etwas, das für das nötige Fieber sorgte, oder zumindest doch für eine ausreichend erhöhte Körpertemperatur.
Ein breites Grinsen schlich sich auf sein Gesicht, als er begriff, auf welchem Buch sich seine Ellenbogen da gerade aufstützten: Konnte es eine bessere Wissensquelle über erhöhte Temperaturen geben als ein Nachschlagewerk über das Element Feuer?

Fred hatte der Alchemie bei seinen Studien bislang keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt, sah er im Alchemisten doch in erster Linie einen Handlanger, der bloß Hilfestellungen für die wahrhaft Mächtigen gab. Dennoch hatte er sich natürlich schon am Brauen von Tränken versucht, wie es Zeriphos auch zuweilen von seinen Lehrlingen verlangte, und dabei respektable Ergebnisse produziert. Daher war er sich seiner Sache recht sicher, als er sich mit dem Buch unter dem Arm in das Labor schlich. Der Raum befand sich im Erdgeschoss des Burgturmes, den er gemeinsam mit seinem Meister und den anderen beiden Novizen bewohnte, und daher natürlich denkbar weit entfernt von der Golemwerkstatt in der Turmspitze. Basti sollte also nichts von seinem kleinen Ausflug mitbekommen, und an eine Rückkehr von Zeriphos und Dario war ohnehin noch lange nicht zu denken.
Rasch entzündete Fred einige Kerzen im Raum, legte das Buch auf einer der wenigen freien Tischflächen im fast zur Gänze mit Apparaten, Glasbehältern und Schatullen vollgestellten Labor ab und überflog noch einmal die Beschreibung der Pflanze, die er suchte und die auf den Namen Sonnenflieder hörte.
„Große orangerote Blütenblätter mit vierspaltigen Lamellen... dünner, leicht behaarter dornenloser Stiel... Geruch nach frisch gepflücktem Blauflieder... hm.“
Der Geruch würde ihm nicht viel weiterhelfen, so viel war klar. Von Blauflieder hatte Fred noch nie gehört... wo wuchs so etwas denn überhaupt? Auf Faranga bestimmt nicht. Aber das schreckte ihn nicht ab, dann musste ihm eben die Beschreibung der äußerlichen Merkmale genügen.
Emsig machte er sich daran, eine Schatulle nach der anderen zu öffnen und die darin gelagerten Ingredienzen zu inspizieren. Dutzende, ja hunderte unterschiedlichster getrockneter Kräuter kamen ihm unter die Augen, bis er nach einer guten halben Stunde des Suchens endlich in einem kleinen verstaubten Kästchen, das halb unter einen Schrank gerutscht war, ein paar Pflänzchen vorfand, die perfekt auf die Schilderungen des Grundlagenwerks passten.
Ganz begeistert suchte sich Fred ein unbenutztes Glasbehältnis aus einem der Schränke und hielt nach Mörser und Stößel Ausschau, als sein Blick plötzlich auf das Einmachglas fiel, das etwas versteckt hinter dem Glasbehälter gestanden hatte. Die darin gelagerten Pflanzen sahen den Blumen, die er in dem Kästchen gefunden hatte, doch verdächtig ähnlich...
Misstrauisch nahm er sich das Einmachglas, schraubte mit einiger Mühe den Deckel ab und zog eine der getrockneten Pflanzen heraus. Der äußeren Erscheinung nach hätte es tatsächlich die gleiche Gattung sein können, doch der fürchterliche, schwere Gestank, der ihm direkt nach dem Öffnen in die Nasenflügel gestiegen war, der war mit dem sanften, lieblichen Geruch der ersten Blume überhaupt nicht zu vergleichen. Kein Zweifel – es musste sich um verschiedene Blumenarten handeln, und damit konnte auch nur eine der beiden Pflanzen der gesuchte Sonnenflieder sein. Ratlos und mit gerümpfter Nase schnüffelte Fred abwechselnd an den Blüten der beiden potentiellen Trankzutaten. Wenn er doch bloß gewusst hätte, wie Blauflieder roch!
Die Minuten verstrichen, und noch immer hatte Fred keine Lösung für sein Problem gefunden. Dem Buch waren keine zusätzlichen Informationen zu entlocken, und allmählich lief ihm die Zeit davon. Es war ja nicht auszuschließen, dass Basti aus unterschiedlichsten denkbaren Gründen doch noch einmal ins Labor musste, und dann würde er, nachdem er ihn mit Feuerenzyklopädie und Feuerpflanzen hier angetroffen hatte, bei anschließendem Fieber Freds sicher leicht die nötigen Schlüsse ziehen können, um ihm auf die Schliche zu kommen. Fred musste also schnell eine Entscheidung treffen – und er traf sie.
Die Pflanzen sahen sich so ähnlich, dachte er, dass sie wohl kaum allzu unterschiedliche Wirkungen haben konnten. Also nahm er sich Mörser und Stößel, zerstieß ein Exemplar jeder Pflanze und gab das so entstandene Pulver anschließend in das bereitgestellte Glasgefäß. Immerhin konnte er sich so sicher sein, dass auf jeden Fall das richtige Gewächs dabei war.
Die restliche Prozedur war auch für den wenig erfahrenen Fred längst reine Routine: er füllte das Glas zur Hälfte mit destilliertem Wasser und zur anderen Hälfte mit Weingeist auf und rührte das Gemisch anschließend mit einem Löffel ordentlich durch. Anschließend erhitzte er die hellrote und etwas trübe Flüssigkeit und ließ sie eine Viertelstunde lang köcheln, bevor er das Gebräu in drei Phiolen abfüllte. Natürlich musste er anschließend noch saubermachen und aufräumen, wobei er darauf achtete, alles möglichst so zu hinterlassen, wie er es vorgefunden hatte. Schließlich löschte er die Kerzen, verstaute die Phiolen zufrieden in der Innentasche seiner Novizenrobe und kehrte mit dem Buch in die Bibliothek zurück, um sich für den Rest des Tages wieder seinen Studien zu widmen.

„Aufwachen! Das darf ja wohl nicht wahr sein – du kommst jetzt auf der Stelle aus dem Bett, Fred!“
Murrend suchte Fred mit den Fingern nach der Bettdecke, die ihm irgendwie abhanden gekommen war, doch kaum hatte er sie gefunden und über seine Schulter gezogen, da schüttelte er sie auch schon wieder ab: Das Teil war ja viel zu warm!
Verwirrt begriff er, dass er tatsächlich gerade erst erwacht war. Die Nacht war ihm ziemlich kurz vorgekommen, und er erinnerte sich an verschwommene Einzelheiten mehrerer Träume, die alle noch nicht richtig abgeschlossen schienen. Als er die Hitze registrierte, die von seiner Stirn ausging, da erinnerte er sich plötzlich wieder an die Geschehnisse des vergangenen Tages. Er hatte am Abend zuvor aus Vorsicht nur ein kleines Schlückchen aus einer der Phiolen genommen, aber es hatte offensichtlich ausgereicht, um ihm ein ganz ordentliches Fieber zu verpassen. Leider schien das Sonnenfliederextrakt nicht bloß seine Temperatur erhöht, sondern ihn auch innerlich ein wenig aufgewühlt zu haben, doch soweit er es wenige Sekunden nach dem Erwachen feststellen konnte, waren seine Gedanken noch recht klar. Klar genug für einen gemütlichen Tag in der Bibliothek, so hoffte er.
„Hrmmm... meine Stirn...“
Aus zusammengekniffenen Augen beobachtete Fred, wie Dario entrüstet die Hände in die Seiten stemmte.
„Das ist jetzt nicht dein Ernst, Fred!“, empörte sich der Novize. „Du erwartest wirklich, dass ich schon wieder – vergiss es! Weißt du was? Diesmal kannst du das mal schön mit Zeriphos ausdiskutieren, ganz alleine!“
„Dario... hör mal...“, keuchte Fred und packte den Angesprochenen mit zittriger und zu seiner Freude auch tatsächlich etwas schwitziger Hand am Ärmel seiner Robe. „Ich hab... ich hab wirklich ein schlimmes Fieber... ehrlich jetzt... das fühlt sich gar nicht gut an...“
„Ja klar doch“, gab Dario patzig zurück. „Und morgen hat dich dann ein Rottwurm gebissen. Und übermorgen hat dir ein Gnom deine Wanderschuhe geklaut. Und überübermorgen –“
„Fühl doch selber!“, krächzte Fred hervor und drückte Darios Hand auf seine Stirn. „Ist ganz... heiß...“
Dario stutzte. „Hm, das ist ja wirklich ein bisschen warm.“
„Was heißt hier ein bisschen warm? Das ist verdammt heiß, Mensch!“ Etwas erschrocken begriff Fred, dass er ein wenig zu laut für seine schlimme Verfassung geworden war und bemühte sich, diesen Eindruck durch ein paar nachgeschobene, besonders wehleidige Ächzer wieder wettzumachen.
„Naja, leicht erhöhte Temperatur, sag ich mal“, befand Dario. „Basti ist damit vorletzte Woche noch einen Tag lang mit rausgegangen, bevor es so richtig ernst wurde.“
„Fühlt sich aber viel schlimmer an als nur... hrmm... eine leicht erhöhte Temperatur“, beteuerte Fred. „Komm schon, lass mich jetzt... bitte nicht da rausgehen, Dario... Ich klapp doch zusammen, ich... uff, mir ist schon beim Liegen ganz schwindelig...“
Dario starrte ihn ein paar Sekunden lang schweigend an, dann sackte er seufzend ein Stückchen zusammen und sagte: „Na gut, dieses eine Mal noch. Dafür übernimmst du dann die nächsten vier Tage, sobald du morgen wieder auf den Beinen bist.“
Wenn ich morgen wieder auf den Beinen bin“, korrigierte Fred und fügte angesichts Darios misstrauischem Blick rasch hinzu: „Also, ich meine... hrmmm... fühlt sich gerade ganz schön übel an, aber... das wird schon wieder, ganz bestimmt. Morgen kann ich sicher wieder raus.“
„Na hoffentlich“, erwiderte Dario. „Ich könnte mir auch schönere Sachen vorstellen, weißt du?“
„Tut mir... hngg... tut mir wirklich leid“, presste Fred hervor. „Aber wenn’s einen erwischt, dann... ja, du kennst das ja selber, nicht wahr? Da ist man dann einfach machtlos.“
„Ja, dann sieh mal zu, dass du wieder gesund wirst“, sagte der Novize, tätschelte ihm noch einmal etwas halbherzig den Arm und machte sich dann auf den Weg nach draußen.
Erleichtert wischte sich Fred den Schweiß von der Stirn. Es hatte zwar mehr Überzeugungsarbeit erfordert als erwartet, aber sein Plan war aufgegangen – die Bibliothek stand ihm offen!

Im Laufe des Morgens schwand Freds Enthusiasmus ein wenig dahin, denn die Nebenwirkungen des Extrakts waren doch leider ein Stück weit unangenehmer, als es sich ihr Erfinder vorgestellt hatte. Schon auf dem Weg in die Bibliothek fühlten sich seine Beine merkwürdig wackelig an, und später in der Bibliothek kreisten seine Gedanken immerzu um die sehr fragmentarischen Erinnerungen an die Träume der letzten Nacht. Vor allem aber war ihm so warm, dass er sich bald schon seiner Robe entledigt hatte und nun in Unterhose und mit nacktem Oberkörper bei seiner Lektüre saß. Zum Glück war niemand zugegen, der ihn so hätte sehen können – Basti verbrachte erneut den ganzen Tag in der Golemwerkstatt – doch besonders wohl fühlte er sich trotzdem nicht dabei. Für einen respektablen Magier, der er ja schließlich werden wollte, gehörte sich so ein Aufzug einfach nicht.
Erst am Nachmittag trat eine deutliche Linderung der unangenehmen Symptome ein, und die Wirkung des Tranks ließ zum Abend hin immer mehr nach. Als er schließlich zum Abendbrot in das gemeinsame Speisezimmer einkehrte, fühlte er sich wieder gesund und klar im Kopf, hatte allerdings auch eine nur mit viel gutem Willen allerhöchstens noch als lauwarm zu bezeichnende Stirn. Das entging natürlich auch Dario und Basti nicht.
„War wohl doch nicht so schlimm mit deinem Fieber, was?“, bemerkte Dario, nachdem er – sicherlich nicht ohne Hintergedanken – gleich nach der Begrüßung den Handrücken an seine Stirn gehalten hatte. „Alles wieder normal bei dir.“
„Hm, ja“, erwiderte Fred etwas zögerlich und drehte die Brotscheibe auf seinem Teller im Kreis. „Ich fühle mich schon etwas besser. Aber das ist ja bei einem Fieber öfter so, dass man sich abends besser fühlt, und morgens fängt’s dann wieder an. Ich meine, ich will’s ja nicht beschreien, aber... man muss da wohl auf alles gefasst sein.“
„Ach komm, Fred“, sagte Basti lautstark mampfend. „Du hoffst doch nur drauf, dass du morgen wieder nicht raus musst. Aber diesmal biste dran, Kumpel.“
„Hey – denkst du etwa, ich wäre lieber krank als meine Pflicht zu tun?“, gab Fred entrüstet zurück. „Ich hoffe doch selber, dass ich das Fieber überstanden habe. Aber man sollte halt den Tag nicht vor dem Abend loben, weißt du? So ein Fieber kann ganz schön hartnäckig sein!“
„Das war doch gar kein echtes Fieber“, behauptete Dario. „Du hättest auch ruhig heute rausgehen können. Hast doch bestimmt den ganzen Tag in der Bibliothek gesessen und gemütlich gelesen, oder etwa nicht?“
„Ja, nun, das hat Basti ja auch kürzlich, als er –“
„Jetzt wärm hier mal keine alten Kamellen auf.“ Dario warf ihm von der gegenüber liegenden Tischseite einen finsteren Blick zu. „Keine Ahnung, wieso ich mich ständig von dir bequatschen lasse. Aber damit ist jetzt endgültig Schluss: Ab sofort bleiben wir hart, hörst du, Basti?“
„Meine Rede, Dario!“ Basti nickte eifrig und richtete den butterverschmierten Zeigefinger auf Fred. „Ab morgen vier Tage am Stück – und keine Ausreden mehr!“
„Hey, Freunde“, bemühte sich Fred, die ihm etwas unangenehme Stimmung am Tisch in eine freundlichere Richtung zu kippen, „das ist doch selbstverständlich, dass ich das jetzt mache. Kein Grund, so mies drauf zu sein – ihr habt jetzt vier Tage frei, also freut euch doch mal ein bisschen!“
„Ich freu mich erst, wenn ich dich da unten hinter dem Meister her laufen sehe“, kommentierte Dario und deutete in Richtung des Fensters, durch das man hinunter auf den uneben gepflasterten Weg sehen konnte, der von der Burg ins Inselinnere führte. „Vorher glaub ich dir kein Wort!“
Fred setzte eine angemessen beleidigte Miene auf. „Jetzt seid doch nicht so. Jeder kann mal krank werden, oder? Aber ab morgen sieht die Welt bestimmt schon wieder ganz anders aus, und dann ist diese kleine Unannehmlichkeit schnell vergessen!“
Die anderen beiden Novizen murrten etwas mäßig Überzeugtes, und damit war das Thema vorerst vom Tisch. Fred hatte aber natürlich erkannt, dass sein Plan schon wieder kurz vor dem Scheitern stand und er mit einem weiteren leichten Fieber am nächsten Morgen nicht so einfach davon kommen würde. Er musste entweder in den sauren Apfel beißen und sich am nächsten Tag tatsächlich auf die leidige Wanderschaft mit Zeriphos einlassen, oder aber... ja, oder aber, er brauchte ein stärkeres Fieber. Natürlich bestand die Gefahr, dass er dann nicht mehr richtig denken konnte und ihm also ein ernsthaftes Studium nicht mehr möglich war, aber andererseits hatte er so zumindest noch die Chance auf ein solches Studium im Bibliothekszimmer. Er musste bloß die richtige Dosierung finden... nur ein paar Tröpfchen, nur ein ganz kleines Schlückchen mehr, und es mochte womöglich schon genügen. Unmöglich konnte er die drei fast randvoll gefüllten Phiolen einfach so in seinem Nachtschränkchen eingeschlossen lassen und sich widerstandslos in vier Tage voller anstrengender, zäher Langeweile ergeben – er musste es einfach riskieren!
Abends, als die anderen beiden Novizen bereits halb leise, halb alles andere als leise in ihren Betten schnarchten, öffnete Fred die Schublade seines Nachtschränkchen, holte die angebrochene Phiole heraus und nahm zwei beherzte Schlucke. Etwas nervös, aber guter Hoffnung mummelte er sich in sein weiches Bett und sah einem weiteren freien Tag entgegen.

„Aufwachen! – Basti, pack mit an!“
„Was... hrmmm... hey, das – das könnt ihr doch nicht...!“
Fred hatte gerade die letzten Reste eines sehr beunruhigenden Traumes abgeschüttelt, da fühlte er sich urplötzlich an beiden Beinen aus dem Bett gerissen und landete sehr unsanft mit dem Hintern auf dem harten, kalten Holzboden. Zumindest die Kälte aber war ihm direkt angenehm, denn sein ganzer Körper war gleichermaßen erhitzt wie verschwitzt.
„Hnggg... das... das geht nicht... bitte... ich hab... Fieber... schlimmes Fieber...“
„Fred!“, schnauzte ihn Dario an. „Denk dran, was du uns gestern versprochen hast! Keine Ausreden mehr!“
„Das... das ist keine Ausrede“, beteuerte Fred, und tatsächlich war es im Grunde keine, wie ihm plötzlich bewusst wurde. Ihm war wirklich enorm heiß, und ein Versuch, sich aufzurichten, scheiterte ziemlich kläglich an einem plötzlichen Schwindelanfall. „Fühlt doch mal... fühlt doch mal meine Stirn...“
Dario sah nicht so aus, als wollte er der Aufforderung nachkommen, doch Basti hielt ihm nach kurzem Zögern die Hand an die Stirn.
„Naja, also... es ist schon ziemlich heiß. Könnte schon sein, dass das ein leichtes Fieber ist.“
Dario schob Bastis Hand beiseite und fühlte selber nach. „Ach komm, das ist vielleicht ein bisschen wärmer als gestern – aber das war’s auch schon! Der soll sich mal nicht so anstellen. Hörst du, Fred? Stell dich nicht so an, los jetzt!“
„Es geht... aber... wirklich nicht...“, ächzte Fred, dem es heftig vor den Augen flimmerte. „Könnt ihr mir... bitte einen Schluck Wasser holen? Ich... ich fühl mich, als würd’ ich verdursten...“
„Spar dir deine Tricks, Fred“, knurrte Dario, wandte sich ab und öffnete die Tür. „Du kannst ja gerne da liegen bleiben, aber unser Meister wird darüber sicherlich nicht so erfreut sein. Diesmal springt nämlich niemand für dich ein, hörst du? Und er wartet bestimmt schon...“
„Aber...“
„Komm, Basti. Du wirst schon sehen, wie schnell der wieder auf den Beinen ist, wenn er erst mal begriffen hat, dass er mit seinem albernen Theater nichts mehr bei uns erreichen kann.“
Basti warf dem am Boden liegenden Fred noch einen kurzen Blick zu, dann nickte er und folgte Dario nach draußen.
„Aber... es ist... es ist wirklich... ein schlimmes Fieber...“
Es war zwecklos. Die beiden Novizen waren schon außer Hörweite und hatten sich ohnehin dazu entschlossen, ihm keinen Glauben mehr zu schenken. Fred konnte ihnen das zwar nicht verübeln, schließlich hatte er die beiden gerade zum ersten Mal seit geraumer Zeit nicht angelogen, doch für Selbstkritik hatte er gerade nun so gar keine Muße – er musste unbedingt einen Ausweg aus seiner misslichen Lage finden, und vor allem musste er es erst einmal schaffen, vom Boden wegzukommen.
Heftig schnaufend tastete er mit vor Schweiß ganz klebrigen Fingern nach der Oberkante des Bettes hinter seinem Rücken und zog sich daran empor, bis er darauf nach endlos langen Sekunden sitzend Platz nehmen konnte. Eine Weile lang kauerte er so auf der Bettkante und bemühte sich vergeblich, seine wild kreiselnden Gedanken zu kontrollieren. Alles um ihn herum drehte sich, und er fühlte sich, als würde er im nächsten Moment schon wieder vornüber zu Boden kippen, während ihm der Schweiß von seinem Kinn auf den nackten, triefend nassen und stark erröteten Oberkörper tropfte.
Stöhnend rieb sich Fred die Stirn und die Schläfen, versuchte wieder Klarheit in seine Gedanken zu bringen. Tatsächlich fühlte sich seine Haut von außen gar nicht so heiß an, wie er es erwartet hätte – von innen allerdings, da brodelte es geradezu in ihm. In diesem Zustand konnte er doch unmöglich einen viele Stunden langen Streifzug über die Insel unternehmen!
„Fred!“
Zunächst glaubte er, sich die Stimme nur eingebildet zu haben, doch dann drang sie erneut dumpf und leise, aber mit deutlich herauszuhörender Ungeduld zu ihm herauf.
Fred! Komm jetzt auf der Stelle zu mir runter!“
Es war unverkennbar Zeriphos’ Stimme, die ihn rief, und sie war ebenso unverkennbar sehr, sehr ungehalten. Plötzlich sah er es deutlich vor Augen, wie der Magier langsam die Wendeltreppe des Turms herauf schlurfte, in sein Zimmer trat und ihn bestrafte – ihn aus dem Turm verbannte, seine ganze mühsame Ausbildung für null und nichtig erklärte. War nicht genau das sein Traum gewesen? Hatte Zeriphos nicht sogar – hatte er nicht sogar einen Feuerball nach ihm geworfen, und war er nicht lichterloh aufgegangen in diesem Feuerball, der so schrecklich glühend heiß gewesen war, dass ihn die Hitze nicht einmal nach dem Erwachen losgelassen hatte?
Plötzlich bündelten sich all die ziellos schwärmenden Impulse in Freds Bewusstsein zu einem einzigen, klaren Gedanken: Zeriphos durfte ihn nicht herauswerfen. Er konnte seinen Meister nicht begleiten, dazu war er nicht in der Lage, also musste er ihm begreiflich machen, dass er wirklich schlimmes Fieber hatte, sehr schlimmes Fieber sogar – aber dazu musste sein Fieber noch schlimmer werden. So schlimm, dass es jeder erfühlen konnte. So schlimm, dass ihn niemand mehr für einen Lügner halten konnte. Es war riskant, das wusste Fred, aber es gab keine andere Möglichkeit. Und wenn sein Meister erst begriffen hatte, wie ernst die Lage war, dann würde er ihm mit seinen Heilzaubern helfen... dann hatte es bald ein Ende mit den Qualen... er musste jetzt nur noch kurz durchhalten, nur doch diese eine letzte schlimme Fieberphase überstehen...
Fred ließ sich hinterrücks auf das Bett fallen, drehte sich hastig auf den Bauch und robbte, so schnell er konnte, über die schweißverschmierte Matratze hin zu seinem Nachttischchen. Es dauerte eine Weile, bis er die Schublade geöffnet bekam und er die drei Phiolen herausgezogen hatte. Seine Finger waren viel zu kraftlos und wollten ihm ohnehin nicht mehr recht gehorchen, also zog er den Korken mit den Zähnen aus der ersten Phiole.
Fred!
Zeriphos’ Stimme klang schon näher. Er war wohl tatsächlich dabei, die Wendeltreppe heraufzugehen, und sehr bald schon würde er bei ihm sein... dann durfte er auf keinen Fall die Phiolen sehen, dann musste er schon getrunken haben!
Fred zögerte. Er fühlte sich ohnehin schon so übel, und ein heftiges Brennen hatte von seinen Nerven und seinen Muskeln Besitz ergriffen – er wollte nicht noch mehr von dem Zeug trinken. Es erfüllte ihn mit Abscheu und Schaudern, das Gebräu nur anzuschauen. Doch dieses letzte Fieber musste er noch bewältigen. Er war kein Weichei, er war ein beinharter Kerl – und das würde er sich beweisen!
Er nahm die Phiole, die noch gut zur Hälfte mit der rötlichen Flüssigkeit gefüllt war, kippte ihren Inhalt in einem Zug herunter und ließ das leere Glasgefäß auf die Matratze fallen.
„Wie lange willst du mich noch warten lassen, Fred? Glaubst du etwa, ich stehe gerne untätig in der Gegend herum? Ein wacher Geist will beschäftigt werden, Fred!“
Zeriphos musste schon ganz nah sein, bestimmt hatte er das Stockwerk bald erreicht. Das Extrakt zeigte jedoch noch keine Wirkung – Fred fühlte sich mies, sehr mies sogar, doch zu seinem großen Entsetzen leider kein bisschen mieser als zuvor. Hastig entkorkte er die zweite Phiole, kniff die Augen zusammen und trank das Gefäß in zwei, drei Schlücken leer.
„Du willst dich doch nicht etwa vor deinen Pflichten drücken? Ich hoffe für dich, du hast eine wirklich gute Erklärung für diese Verzögerung, Fred!“
Verzweifelt wartete Fred darauf, dass die Hitze in seinem Körper stärker wurde, fasste sich immer wieder an die Stirn und an die Wangen, doch seine Haut blieb bloß mäßig warm wie zuvor. Die Schritte seines Meisters waren jetzt deutlich zu hören. Behäbig, aber zielstrebig klapperten Zeriphos’ Schuhe über den Holzboden. Er hatte die Treppe bereits verlassen.
Fred überlegte nicht mehr lange: Er zerrte den viel zu fest sitzenden dritten Korken mit Gewalt aus der Phiole, gurgelte das rote Wässerchen darin herunter und verstaute die drei leeren Glasgefäße so schnell er konnte wieder in der Schublade seines Nachtschränkchens, die er anschließend hektisch wieder zustieß. Vor lauter Anstrengung wurde das Flimmern vor seinen Augen plötzlich wieder stärker, ganz weiß zog es sich vor seinem Sichtfeld zusammen und versetzte ihm einen entsetzlichen, stechenden Schmerz mitten in den dröhnenden Schädel hinein. Leise aufstöhnend fiel Fred in sich zusammen und versenkte den Kopf im Kissen seines Bettes, dessen erlösende Kälte leider nur wenige Sekunden lang Bestand hatte. Es war ihm auf einmal, als habe jemand ein Schmiedefeuer zwischen seinen Ohren entfacht.
„Das... das glaube ich ja wohl nicht!“
Zeriphos war direkt hinter ihm. Er musste wohl im Türrahmen stehen, aber Fred konnte sich nicht rühren, um nachzuschauen. Verzweifelt presste er seinen glühenden Kopf in das Kissen, das sich ebenfalls zunehmend erhitzte.
„Du liegst im Bett und schläfst, während dein Meister nach dir ruft?“, zischte der Magier. „Was glaubst du eigentlich, was du dir unter meinem Dach erlauben kannst, Fred? Ich verspreche dir, du undankbarer Nichtsnutz, das ist das letzte Mal, dass du in meinem Bett liegst! Bis heute Abend bist du aus diesem Hause verschwunden, oder ich werde Sebastian anweisen, den Prototypen des Golems an dir auszutesten!“
„Meister... Meister...“, jammerte Fred, während sich die brodelnde Hitze in sämtlichen Zellen seines Körpers staute. „Meister, bitte hört mir... hört mir zu...“
Doch Zeriphos’ Schritte waren schon wieder auf dem Holzboden des Korridors zu hören, und kurz darauf auf den steinernen Stufen der Wendeltreppe. Er war längst wieder auf dem Weg nach unten. Wahrscheinlich würde er die Wanderung ganz allein durchführen, dachte Fred, natürlich hatte er damit überhaupt kein Problem und quälte die Novizen seit jeher völlig grundlos – fast wurde er ein wenig wütend über den erbrachten Beweis dieses längst schon bekannten Gedankens, doch dann, schon im allernächsten Augenblick, standen sämtliche Gedanken in Flammen.
Freds Körper explodierte.
Es riss ihn von den Füßen, schreiend und kreischend stand er plötzlich wieder auf beiden Beinen, stürzte zur Wand und rammte den brennenden Kopf hinein, einmal, zweimal, bis ein schwarzes, dampfendes Loch darin klaffte. Brüllend taumelte er weiter, wollte sich die Flammen aus dem Gesicht schlagen, doch auf dem Weg dorthin entzündeten sich seine Finger. Erfasst von der sengenden Hitze, krümmten sich seine Fingernägel zusammen und schmolzen zu kleinen, schwarzen Klümpchen, die wie eitrige Auswüchse an seinen Fingerkuppeln klebten, bis sie nach und nach zu Boden fielen.
Vom Wahnsinn der Flammenhölle erfasst, stürmte er voran und durchstieß die Tür, die aus den Angeln flog und im gleichen Augenblick selbst Feuer fing. Er wollte ziellos voran rennen, die rettungslose Flucht vor sich selbst einschlagen, doch auf einmal war da inmitten des alles verzehrenden Infernos in seinem Kopf ein allerletzter Gedanke: Ein Gegenmittel – er brauchte ein Gegenmittel. Wenn es ein Buch über das Element Feuer gab, dann gab es auch ein Buch über das Element Wasser – dann gab es auch ein Kraut, eine Pflanze, irgendwas, das ihn heilen konnte, wenn er genug davon aß – es war die letzte Chance, und der einzige verbliebene Gedanke, also nahm er ihn auf und rannte, wie er nie hatte rennen wollen, über den Flammen schlagenden Korridor hin zur Bibliothek.
Mit seinem Flammenschädel voran fräste er ein Loch in die Bibliothekstür, hechtete in den Raum hinein und suchte mit vor Schmerz und Wahnsinn zuckenden Augen nach dem rettenden Buch. Aber er konnte nichts mehr lesen, die Schriftzeichen der Buchtitel waren ihm fremd und nichts als Brandflecken in seiner Augenrinde, und so blieben ihm bloß die Farben als einziger Anhaltspunkt, und somit die Farbe Blau als die Farbe des Wassers als die Farbe der Erlösung: Ein blaues Buch im blauen Einband in der obersten Regalreihe, aquamarinblau, kühlend blau.
Kaum hatte er es ins Auge gefasst, stürmte er voran, hielt auf die Leiter zu und nahm die erste Sprosse, dann die zweite, die dritte – eine neuerliche Explosion erschütterte seinen Körper, irgendwo in Brusthöhe, aber das konnte ihn nicht aufhalten – die vierte Sprosse, die fünfte, die sechste – bald hatte er es geschafft, bald war das Buch in Reichweite – und dann, die siebte Sprosse, die achte, neunte, zehnte, oberste – dann konnte er es erreichen und hatte es ergriffen, und es ging in Flammen auf und zerstieb zwischen seinen Fingern zu glühender Asche, in dem gleichen letzten Augenblick, in dem die Sprosse brach und er als rasender Flammenball hinab stürzte.

„Ach du meine Güte...“
„Das... das ist Fred?“
Bestürzt blickten Dario und Basti auf das schwarz verkohlte Skelett herab, das ihr Meister gerade unter den noch immer glimmenden Trümmern der Leiter hervor gezogen hatte. Auch zwei Bücherregale in der Nähe waren in Brand geraten, doch das schnelle Eingreifen des Magiers hatte schlimmere Schäden zum Glück verhindern können.
„Es sieht ganz danach aus“, konstatierte Zeriphos, beugte sich ein wenig herab und schnupperte. „Hm, dem sehr prägnanten Aschegeruch nach würde ich mutmaßen, dass wohl die Überdosis einer fatalen Kombination aus Sonnenflieder und Samtflöterich zu diesem bedauerlichen Unfall geführt hat. Was hat sich der dumme Junge bloß dabei gedacht?“
„Tja... sieht wohl so aus, als hätte er es jetzt endgültig geschafft, sich vor den vier überfälligen Schichten zu drücken“, kommentierte Dario und setzte nach einem strafenden Blick von Basti gleich darauf eine entschuldigende Miene auf. „Tut mir leid... ich mochte ihn ja auch, weißt du? Ich versuche doch bloß, mit ein bisschen Galgenhumor über den Schock hinweg zu kommen!“
„Das hat der arme Fred einfach nicht verdient“, murmelte Basti. „Er hatte ja auch seine guten Seiten. Und früher oder später hätte er seine vier Schichten schon noch nachgeholt, da bin ich mir sicher.“
Zeriphos war vor Freds Überresten in die Hocke gegangen und wischte mit dem Daumen eine dicke Rußschicht von seinem Schädel. Weißer Knochen kam dahinter zum Vorschein.
„Nun...“ Der Magier rieb sich grübelnd das Kinn. „Vielleicht bekommt unser Fred ja sogar noch die Gelegenheit dazu. Ich habe da so eine Idee...“

„So, dann bin ich ja mal gespannt.“
Burgherr Patroscon legte seine muskulösen Arme auf den beiden Lehnen des schönsten und flauschigsten Sessels ab, den die Novizen im Magierturm hatten auftreiben können, und lehnte sich erwartungsvoll lächelnd zurück. Es war kein spöttisches oder boshaftes Lächeln, aber es war das Lächeln eines Mundes, der auch lächelnd Todesurteile aussprach. Dementsprechend nervös waren Dario und Basti, als sie den Golem mit vereinten Kräften auf die Startposition trugen, noch einige letzte prüfende Blicke auf die Konstruktion warfen und ihrem Meister dann auffordernd zunickten.
Zeriphos hatte den Befehlskristall mit beiden Händen umfasst, starrte den Golem konzentriert an und sagte mit schneidender Stimme: „Attacke!“
Im Inneren der großen, klobigen Gestalt brummte und zischte es ein paar Sekunden lang, dann hob das magische Geschöpf den rechten Arm mit der riesigen Hellebarde ruckartig empor und stapfte mit großen, donnernden Schritten auf die durchaus liebevoll angekleidete Strohpuppe zu, die am anderen Ende des Raums aufgestellt worden war und in angriffslustiger Pose einen Holzsäbel in der Strohbüschelhand hielt.
Als der Golem sein Ziel erreicht hatte, blieb er polternd stehen und verbrachte einige Sekunden damit, seine Gliedmaßen neu auszurichten, während an den Gelenken kleine, magische Blitze zuckten. Ein schrilles Heulen war zu vernehmen, dann holte der Golem weit mit der Hellebarde aus und stieß sie mit großer Kraft in den Wandteppich, der ein paar Armlängen weiter rechts von der Strohpuppe und ein gutes Stück weiter oben hing. Beim Versuch, die Hand wieder zurückzuziehen, kam der Golem angesichts der in der Wand feststeckenden Waffe ein wenig aus dem Gleichgewicht, sodass er laut quietschend vornüber kippte, wobei sich der Holzsäbel der Puppe etwas unglücklich unter der linken Golemachsel verhakte. Nach ein paar hilflosen, ruckartigen Zappelbewegungen der massiven Arme kam das große Ungetüm schließlich dumpf dröhnend zum Stillstand.
Dario und Basti warfen erst ihrem Meister, dann dem Burgherren einen angsterfüllten Blick zu. Es war fast zu erwarten gewesen: Patroscon lächelte nicht mehr.
Dafür habe ich dich und deine Jungen ein geschlagenes Jahr lang durchgefüttert, Zeriphos?“
„Nun, wie ich schon sagte...“ In den Gesichtszügen des Magiers ließ sich zwar keinerlei Nervosität erkennen, der alte Mann zupfte aber doch auffallend ausdauernd am Saum seiner Robe herum. „Es handelt sich um einen ersten Prototypen. Gebt uns noch ein halbes Jahr, und...“
„Noch ein halbes Jahr?“, knurrte Patroscon. Seine Finger hatten sich beunruhigend energisch im Sesselpolster festgekrallt. „Und was dann? Kann das Ding dann vielleicht mit ein bisschen Glück gegen die Strohpuppe bestehen?“
„Ähm... ich will natürlich keine falschen Erwartungen wecken, aber wir werden selbstverständlich darauf hinarbeiten, dass...“
„Ich brauche diesen Unsinn nicht!“, unterbrach ihn der Burgherr ungehalten. „Was ich brauche, ist keine ungelenke Rappelmaschine, sondern eine echte Unterstützung im Kampf. Ich dachte, ich hätte mich da sehr klar ausgedrückt, Meister Zeriphos!“
„Natürlich, Herr“, bemühte sich der Magier zu versichern.
„Dann möchte ich doch hoffen, dass das, was du mir gerade vorgeführt hast, noch nicht alles war.“ Patroscon fixierte den Magier und seine beiden Lehrlinge nacheinander mit eisigen Blicken. „Ansonsten müsste ich doch sehr daran zweifeln, dass mein Gold und meine Gunst bei euch gut aufgehoben sind.“
Zeriphos sah einen kurzen Moment lang erschrockener aus, als es die beiden Novizen je für möglich gehalten hätten, dann entspannten sich seine Gesichtszüge plötzlich. Offenbar hatte er einen rettenden Einfall gehabt, oder zumindest etwas, das er dafür hielt.
„Es gibt da in der Tat etwas, das wir Euch noch nicht gezeigt haben.“ Er griff in seine Robentasche und kramte nach kurzem Suchen einen kleinen Runenstein daraus hervor. „Aus dem Blinkwinkel der magischen Wissenschaften ist diese Rune hier bloß eine kleine Spielerei, nicht weiter bemerkenswert, aber ich bin mir sicher, dass sie genau das ist, wonach Ihr gesucht habt – ein treuer Kampfgefährte, der sich während meiner Streifzüge zur Erlangung notwendiger Ingredienzen bereits als äußerst wertvolle Begleitung erwiesen hat. Darf ich vorstellen: Fred!“
Zeriphos aktivierte die Rune, und keine Sekunde später war aus dem Nichts ein gut erhaltenes, menschliches Skelett mit Schwert in der Knochenhand erschienen. Kaum hatte es sich ganz materialisiert, da wandte es sich auch schon seinem Beschwörer zu und beschwerte sich mit klappernden Kiefern: „Das ist ja wohl hoffentlich ein schlechter Scherz, oder? Jetzt soll ich auch noch dem blöden Burgherren nachlaufen? Zwölf verdammte Tage lang bin ich dir jetzt schon hinterher gedackelt, zwölf Tage! Am Stück! Und ich muss dich wohl kaum daran erinnern, dass ich nur vier Schichten im Verzug war, als ich gestorben bin – mit Gerechtigkeit hat das doch schon lange nichts mehr zu tun!“
Der Magier warf Patroscon einen entschuldigenden Blick zu. „Ähm, ich glaube, da ist noch eine kleine Anpassung notwendig...“
Er zog seinen magischen Griffel hinter dem rechten Ohr hervor und stocherte damit ein wenig in der Runengravur herum, bis Fred plötzlich mitten im Gezeter verstummte.
„Ah ja, schon viel besser so“, befand Zeriphos. „Fred, könntest du bitte die Strohpuppe dort drüben attackieren?“
Das Skelett gehorchte aufs Wort, machte einen geschickten Bogen um das Golemwrack und riss die Puppe anschließend mit ein paar rabiaten Schwerthieben in Stücke.
„Seht Ihr? Er ist der beste Begleiter, den Ihr euch nur wünschen könnt.“
„Höchst interessant, in der Tat.“ Der Burgherr nickte zufrieden. „Den nehme ich. Ich wusste doch, dass du mich nicht enttäuschen würdest.“
„Man tut, was man kann“, erwiderte Zeriphos und drückte seinem Herren die Rune in die Hand. „Die Bedienung ist ganz intuitiv. Ihr werdet den Dreh sicher schnell raus haben.“
„Mal schauen.“ Patroscon richtete sich auf, räusperte sich vernehmlich und sagte dann: „Fred! Komm her!“
Interessiert beobachtete er, wie sich das Skelett raschen Schrittes auf ihn zu bewegte und schließlich erwartungsvoll glotzend direkt vor ihm stehen blieb.
„Beeindruckende Arbeit, Zeriphos“, lobte Patroscon. „Ich glaube, unsere Zusammenarbeit wird noch so einige hübsche Früchte tragen. Wenn ich mir unseren Fred so anschaue, dann kommt mir da sogar schon eine sehr reizvolle Idee... aber das werden wir ein andermal besprechen. Bis auf Weiteres darfst du dich jetzt wieder mit deinem Golem beschäftigen.“
Zeriphos deutete eine Verbeugung an. „Sehr gern.“
„Also dann, zurück an die Arbeit.“ Der Burgherr erhob sich aus dem Sessel und gab dem Skelett ein Handzeichen. „Fred, komm mit. Wir gehen.“
Traurig schauten die beiden Novizen ihrem ehemaligen Mitbewohner hinterher, wie er hinter Patroscon den Raum verließ.
„Tja, ihr wisst ja, was das heißt, oder?“, wandte sich Zeriphos an seine Schüler. „Ab sofort seid ihr dann wieder an der Reihe. Dreimal die Woche Eskortdienst, bis ich einen neuen Lehrling gefunden habe.“
Basti entfuhr ein resigniertes Seufzen. „Ich werd’ ihn echt vermissen, glaub’ ich.“
„Meister Zeriphos?“, wandte sich Dario an den Magier. „Könntet Ihr nicht ganz eventuell... also ich meine, was spräche denn dagegen, noch eine Rune dieser Art herzustellen? Mit einem anderen Skelett?“
„Da möchte sich doch nicht etwa jemand vor der Pflicht drücken? Du wirst ja wohl hoffentlich nicht so schnell vergessen, wie so etwas enden kann.“
„Auf keinen Fall“, versicherte Dario hastig. „Ich... meinte ja nur...“
„Nun, selbst wenn ich es wollte: Ein derart gut erhaltenes Skelett finden wir wohl ohnehin nicht so schnell wieder.“
Zeriphos rieb sich versonnen den Nasenflügel, und zum ersten Mal seit geraumer Zeit schlich sich ein Lächeln auf die Lippen des alten Magiers.
„So einen Fred, den gibt es eben nur einmal.“