Wieder folgte auf Luceijas Fragen lange Zeit nur dieses beunruhigende Rauschen der Funkstille, bevor Sergio dann endlich mit gesenkter Stimme antwortete:
"Ich würde mich immer für die Familie entscheiden. Nur leider sind die Dinge nicht immer schwarz und weiß. Oft weiß unsere Führung nicht, was gut für uns ist. Manchmal muss man jemandem schaden um der größeren Sache zu dienen. Und manchmal auch einem von uns... Ich bin dankbar für jeden Tag, an dem die Entscheidungen einmal eindeutig sind."
Er war sich sicher, dass seine Worte im Augenblick für Luceija, sein wichtigstes Projekt, nur wenig Sinn ergeben würden. Gerade weil er sie eben so erfolgreich mit den Grundwerten der Organisation geimpft hatte, war es oft schwer, die oft sehr vereinfachten Grundsätze wieder zu relativieren. Doch er war sich sicher, dass sie es mit den Jahren besser begreifen würde.
Lucies nächster Funkspruch unterbrach seine ethischen Überlegungen mit der Botschaft über Everetts Tod. Er nickte langsam, obwohl sie es nicht sehen konnte, warf einen Blick auf den Quader, dessen Kanten nun zu leuchten begannen, um die einsetzende Funktion anzuzeigen. 'Protokoll 989 eingeleitet', gab der Rechnermonitor nüchtern an, obwohl dieses Notfallverfahren nur im Todesfall des Besitzers eintrat und damit alles andere als trivial war. Der Minitor zeigte unmissverständlich Everetts flache, unbewegte EKG-Linie. Wie erwartet entsperrte das Programm die erste Verschlüsselungsebene der Daten, ehe es diese zum Quantenverschlüsselungssystem geleitet wurden. Hier griff Sergios Gerät die Daten ab, die nun eigentlich an einen sicheren Serverort im nirgendwo übertragen worden wären. Sein Aufbau funktionierte und meldete nach einigen Minuten die erfolgreiche Speicherung. Schon Sekunden später fuhr der Rechner automatisch auf einen Fehlerbildschirm herunter, als er offensichtlich seine eigenen Daten komplett entfernt hatte. C-Sec würde bei der Wohnungsdurchsuchung nie erfahren, was der schrullige Eigentümer in diesem Labor all die Jahre erforscht hatte.
Nachdem der Doktor die Spuren seines Zugriffs beseitigt und das Labor wieder versiegelt hatte, ging er bedächtig die Treppe zu Luceija hinunter, die irgendwo zwischen Beunruhigung und Genugtuung Everetts leblosen, ehrlos verkrümmten Körper anstarrte. Er legte eine Hand auf ihre Schulter, um sie aus ihren Gedanken zu holen und zeigte ihr mit einem kurzen befriedigten Schmunzeln das Speichermedium in seiner Hand. Es war ein eigenartiges Gefühl, einerseits triumphiert zu haben und endlich wieder Licht zu sehen, auf der anderen Seite jedoch mit dem desillusionierenden Nachhall der Schuld oder zumindest der Beklemmung des Todes konfrontiert zu werden. Dennoch überwog im Augenblick die Erleichterung und er konnte nicht anders, als Luceija kurzerhand die Finger ins Nackenhaar zu legen und ihren Kopf sacht an seiner Schulter zu ziehen. Er wusste nicht, ob er sie mit dieser halbseitigen Umarmung loben wollte oder selbst einfach Nähe suchte, doch schon im nächsten Moment löste er sein Mädchen wieder von sich und konzentrierte sich auf die noch nicht ganz gelöste Situation.
"Okay... Als nächstes müssen wir noch Goda hier raus schaffen. Am besten ist es, C-Sec erfährt nie, dass es sie überhaupt gab. Glücklicherweise wiegt sie nicht viel, also... Ich würde sagen wir schleppen Sie ins Skycar, laden sie ein paar Kilometer von hier im Industriegebiet in einem Lüftungsschacht ab und... Lassen den Lüftungsrotor den Rest machen. Nach den Duct Rats und ein paar ihrer Leichen in den Schächten fragt bei der C-Sec schon lange keiner mehr. Greif sie unter der rechten Schulter, ich unter der linken. Feiern können wir zu Hause... Nichts wie weg bevor wir noch nach dem alten Sack hier und seiner Snobwohnung zu riechen beginnen", bemerkte er noch abfällig, während er bereits Godas linken Arm anhob und sich an die Arbeit machte.