Die Menschen im Hafenviertel atmeten auf angesichts der Lockerung der Patrouillen. Ein Schritt zur Normalität, die sich die meisten Bürger sehnlich wünschten. Dabei schien es ohne Bedeutung, dass der Auslöser des Ganzen – nämlich der Schwarzmagier – überhaupt noch nicht gefasst war. In den Augen vieler Bürger verursachten die Milizen weit mehr Unruhe und Chaos als irgendwer sonst. Das unbarmherzige Durchgreifen der Stadtwache tat den Rest, um diese Meinung zu festigen. Unfähige Büttel, die einem Phantom hinterherjagten.
Der Abgesandte hatte in den vergangenen Tagen immer wieder Gespräche von Bürgern mit angehört, die sich über diese Dinge ausließen. Ob am Marktplatz, bei den Handwerkern oder im Hafen; es herrschte Konsens. Jedenfalls, wenn sich gerade keine Miliz in Hörweite befand.
Dass die oberste Feuermagierin das Ganze überhaupt so lange gewähren ließ, hatte den Abgesandten ohnehin überrascht. Womöglich ein Zugeständnis an Hagen, schließlich teilten sie sich die Verantwortung über die Stadt. Für den Abgesandten war allerdings von Anfang an absehbar gewesen, worauf der Einsatz des Militärs hinausliefe. Es agierte im großen Stil, stellte alles auf den Kopf und griff hart durch. Die Natur des Militärs. Es mangelte ihm am nötigen Feingefühl und dem Blick für das Detail.
Und aus genau diesem Grund wanderte der Abgesandte nun seit Tagen durch die Straßen von Thorniara. Sein Auftrag hatte ihn in die verschiedenen Kneipen und Schenken geführt, zu Marktständen, zu Handwerkern, Arbeitern, Bauern. Nicht immer sprach er mit den Menschen. Oftmals redeten die Leute miteinander und er musste nur aufmerksam zuhören. Bei den misstrauischen Naturen und zwielichtigen Gestalten gab es auch noch andere Mittel, sich Informationen zu beschaffen.
Leider hatte die Miliz ganze Arbeit geleistet und es für den Abgesandten nahezu unmöglich gemacht, überhaupt eine heiße Spur zu finden. Nicht nur hielten sich die Leute sehr bedeckt, bei dem was sie sagten, es kursierten außerdem unzählige Gerüchte in der Stadt. Alles eine unmittelbare Folge der Durchsuchungen und Verordnungen. Denn so ein Aufgebot an Soldaten stachelte natürlich die Fantasie der Bürger an. Manche Gerüchte ließen sich leicht entlarven. Zum Beispiel, dass an Bord des schwarzen Schiffes der untote Geist von Zuben nach Thorniara gekommen sei, um sie alle zu unterjochen. Oder dass es sich gar nicht um einen Schwarzmagier, sondern um maskierte Banden von Wassermagiern handelte, die die Stadt plündern wollten, um Setarrif wieder aufzubauen. Erstaunlich hartnäckig hielt sich auch das absurde Gerücht, dass die vertriebenen Bewohner des Sumpflandes all ihr Kraut nach Thorniara schmuggelten, um die Stadt in einer gewaltigen Wolke von Sumpfkraut zu betäuben und anschließend zu überschwemmen. Um ein neues Sumpfland zu erschaffen, versteht sich.
In diesem Wirrwarr einen brauchbaren Anhaltspunkt zu finden, war selbst für den talentiertesten Spurensucher so gut wie aussichtslos. Doch der Abgesandte würde nicht so leichtfertig aufgeben. Zwar hatte er bisher noch nichts konkretes, doch konnte er die ungefähre Richtung deuten, aus der das Unheil kam. Und das war wie schon so oft in der Vergangenheit im Hafen.
Der Kerkermeister, der mit der obersten Feuermagierin eine Unterredung gehabt hatte, war offensichtlich zu einem ähnlichen Schluss gelangt. Insbesondere eines der Schiffe schien das Interesse des Soldaten geweckt zu haben. Womöglich hatte er dabei den richtigen Riecher. Vorerst behielt der Absandte darum den Hafen und die Schiffe im Auge. Mit dem Rückgang der Patrouillen und der Aufhebung der Hafensperre, gab es nun die erste brauchbare Gelegenheit, die Stadt zu verlassen. Fragte sich nur, ob sie auch ergriffen wurde.

Françoise