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Es war ein gutes Gefühl endlich wieder auf den Beinen zu stehen, das lange Sitzen an der Felswand hatte den Körper Sentinels richtig betäubt. Außer der Armbewegung zum Essen und Trinken hatte er auf jegliche Bewegung verzichtet. Und jetzt stand er, gerüstet und zum Weitergehen bereit. Er reckte sich und klopfte sich den Staub von den Schultern.
Dann ging er festen Schrittes auf den Höhleneingang zu, in welchem Frost stand. Die Gruppe würde aufbrechen, das stand fest. Was für Sentinel nicht feststand war, ob er ihr folgen würde. Ein Gespräch mit Frost sollte das klären; jetzt sofort.
„Ich muss mit euch sprechen“, sagte der Gardist beim Höhleneingang angekommen.
„Ich bin Redsonja bis hierher gefolgt, nur einer Sache wegen. Ich wollte mich von euch unterrichten lassen.“
Schweigen.
„Ich habe euch angesprochen, doch keine klärende Antwort bekommen. Meine Weiterreise hängt von euch ab. Werdet ihr mich unterrichten, so werde ich euch folgen.“
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„Der einzige Unterricht, den ich Euch geben kann, ist das Leben.“
Ein Donnerschlag zerfetzte die Stille. Laut genug, um die Umstehenden kollektiv zusammenzucken zu lassen.
„Frost!“
Shilendras ausgestreckter Arm wies auf den Turm am Horizont. Das Bild hatte sich schlagartig verändert. War die Sicht vorher noch klar gewesen, so war nun vor der Stadt ein grauer Vorhang niedergegangen. Zuerst sah es aus wie Regen. Dann sog sich das Grau mit Schwärze voll, wurde dunkler und dichter. Den Wolken über Rynthal erging es nicht anders.
Frost glaubte winzige Schatten zu erkennen, die vom Turm aus über den Wolken in alle Himmelsrichtungen davonhuschten. Der Himmel über der Stadt sah aus wie ein Geschwür, wie ein schimmliges Pilzgeflecht. Und es breitete sich aus. Der schwarze Vorhang glitt wie ein Schatten über das Land. Wenn es sich dabei um einen Sturm handelte, dann um einen verdammt gewaltigen.
„Los“, sagte Frost. „Worauf wartet ihr noch?!“
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Der Krieger preschte voran, mit schnellen Schritten brach er durch niedere Büsche und Sträucher. Direkt hinter ihm lief Sentinel, was ihn selbst erstaunte. Wieder hatte er nur eine Antwort in Form eines Rätsels bekommen, wobei ihm dieses deutlich leichter schien als das letztere. Wenn er glaube es richtig zu deuten, so war sein Entschluss Frost zu folgen der richtige.
Weitere Donnerschläge durchbrachen die Luft unter dem schwarzem Himmel, der Abstand zwischen ihnen wurde immer geringer. Wie zu erwarten setzte nun auch Regen ein. Anfangs noch vereinzelte Tropfen, die ab und an auf Sentinels Kapuze zerplatzten, wurden sie binnen weniger Sekunden zu einer unzähligen Masse.
Die Sicht zu seinem Vordermann wurde immer schlechter, nur ab und zu konnte Sentinel ein Glänzen von regennassen Panzerplatten ausmachen. Aber auch nur dann wenn einer der Blitze für eine Sekunde die Dunkelheit vor ihm auflöste. Der Sturm, welcher mittlerweile vollkommen eingesetzt hatte, verlieh dem Marsch etwas Dramatisches.
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Fünf Gestalten waren es, die sich ihm zuwandten, sich sogleich hektisch aufrappelten und von ihrem Platz rund um das in der Mitte der Höhle brennende Feuer erhoben. Der flackernde Schein der Flammen erhellte dabei die Höhle nur spärlich, warf große Schatten an den Wänden derselbigen. Während der Söldner mit gezogener Waffe noch etwas überrascht am Eingang verharrte, waren die fünf Gestalten bereits in rege Betriebsamkeit geraten und griffen laut kreischend zu ihren Waffen. Zwei von ihnen hoben sich von den restlichen dreien ab, war ihre runzlige Haut farblich doch nicht von mattem schwarz, vielmehr weiß ihre Haut eine grau-grüne Färbung auf, die Ferol leicht schimmern zu sehen glaubte. Goblins. Er kannte sie, sowohl aus Erzählungen und Geschichten, die in etlichen Tavernen und Spelunken kursierten und von den diebischen kleinen Lebewesen erzählten, als auch von früheren Begegnungen. Eine Erinnerung, die ihn an eine Höhle in Jarkhendar im Norden der Insel Kohrinis führte, in welche er ebenso nichts ahnend hineingeplatzt war um sich vor Regen zu schützen und einen Haufen Goblins vorgefunden hatte, verdrängte er schnell, um sich auf das Bevorstehende zu konzentrieren. Er kannte sie bisher nur in harmloser, grüner Form, die schwarzen ihrer Gattung hatte er noch nie gesehen, geschweige denn die grauen, außergewöhnlich kräftig scheinenden. Krieger der Goblins, fiel es ihm ein. Jemand im Schankraum der Taverne auf Onars Hof hatte einmal etwas erwähnt und sie als noch hinterlistiger und gefährlicher beschrieben als alle anderen ihrer Artgenossen.
Ferol wich etwas zurück, packte den Knauf seiner Waffe fester. Zum Rückzug blieb ihm wohl keine Zeit mehr, die fünf Goblins hatten schon zu ihren Waffen gegriffen, deren mindere Qualität selbst bei dem Zwielicht in der Höhle für das Auge Ferols, eines früheren Schmieds, erkennbar war. Dennoch hatte er einigen Respekt vor den Goblins, ihre fehlende Kampfkraft machten sie oft durch zahlenmäßige Überlegenheit und unglaubliche Wendigkeit wett, zumindest wenn er dem glaubte, was viele von ihnen berichteten und sich an die bisherigen Scharmützel mit ihnen erinnerte. Dieses Mal war er allein. Gegen fünf. Er wich nicht weiter zurück, drängte im Gegenteil schnell wieder in die kleine Höhle und preschte voran, den wartenden Goblins entgegen. Wenn es ihm gelingen würde, die Höhlenwand im Rücken zu haben, würden seine Chancen wohl um einiges besser aussehen, hätten sie dann nämlich nicht die Möglichkeit, ihn von allen Seiten gleichzeitig zu attackieren. Etwas blitzte in seinen Augen auf, während er mit Mut den ersten Schlag seitlich führte, um die Goblins zurückzudrängen. Seine das rötliche Licht der Flammen reflektierende Klinge prallte an der schartigen eines der Krieger ab. Sogleich versuchten die übrigen vier, nachzusetzen und den ungebetenen Eindringling in Bedrängnis zu bringen. Doch Ferol bemerkte es rechtzeitig, stoppte ihren Vorstoß durch eine halb Drehung seines Körpers, der er die Klinge nachfolgen ließ und somit die Goblins auf Diatanz hielt.
Seine anfängliche hell lodernde Flamme der Hoffnung und des Mutes verlor schnell die Nahrung und schrumpfte zusammen, um bald nur noch glimmen zu scheinen. Er hatte die Kampfkraft der Goblinkrieger unterschätzt, zudem setzte ihre Überzahl ihm arg zu. Er hatte es zwar geschafft, zwei der Goblins mit der schwarzfarbigen Haut eine Wunde zuzufügen, aus der dunkles Blut rann und sie erhebliche einzuschränken schien, dennoch wurde es immer brenzliger. Er hatte soeben bereits einen Schlag auf die Brust bekommen, dessen verheerende Folgen das eiserne Kettenhemd zum Glück zu verhindern gewusste hatte. Doch er merkte, wie sein rechter Arm langsam schwerer wurde, wie die Luft, die impulsartig seine Lungen füllte, nicht mehr auszureichen schien. Keuchend wehrte er einen weiteren Schlag eines der Krieger ab, die nicht zu unrecht ihren Beinamen und Titel trugen, wie er festgestellt hatte. Ihre Kraft reichte beinahe an die eines Menschen heran, obgleich sie nur etwas über hüftgroß waren. Ferol hatte es indes ebenso geschafft, die kahle, schroffe Höhlenwand aus blankem Fels hinter sich zu bringen, so dass er es erheblich leichter als zuvor, dennoch immer noch schwer als genug hatte, die Hiebe der fünf Goblins alle abzuwehren. Mit größter Not schaffte er es, einen Schlag eines der Krieger abzuwehren, als der andere vorpreschte und einen Hieb ansetzte, den Ferol nicht mehr parieren konnte. Nicht tief, aber dennoch schmerzhaft fuhr die schartige Klinge in seinen linken Oberarm, knapp unter dem Rand, an welchen das Kettenhemd abschloss. Er fluchte lauthals, schleuderte den Goblin mit einem Tritt, den dieser nicht erwartet hatte, von sich und versuchte, den Schmerz weitgehend zu ignorieren, der in seinem linken Arm zu pulsieren schien. Gerade geriet er wieder in Bedrängnis, nachdem er einem der schwarzen Goblins endgültig den Lebendfaden durchgeschnitten hatte und hatte mühe, die auf ihn einprasselnden Schläge abzuwehren, da hechtete er vor und preschte ungeachtet seiner Deckung auf den verbliebenen Goblinkrieger zu. Dieser war zu überrascht, al dass er einen Gegenangriff hätte versuchen können und wenige Augenblicke später wurde er durch die Wucht von Ferols Fußtritt an die nahe Höhlenwand geschleudert. Zerbrochen wirkend sank er zu Boden, Ferol blickte ihm nur kurz nach. Er atmete hörbar auf, die anfangs aussichtslose Situation schien sich zum besseren wenden zu wollen.
Er wandte sich den übrigen Goblins mit erhobenem Schwert zu, da grollte ein tiefer Donnerschlag laut auf und erschütterte die Höhle. Verdutzt verharrte Ferol, das Grollen des Schlages hallte immer noch nach und war in den Ohren des Söldners zu hören. Er blickte zum Höhleneingang. Ein Schemen. Eine Gestalt? Den bis eben gefochtenen Kampf außer Acht lassend hechtete er zum Ausgang der Höhle, stand wenige Augenblicke im Freien. Kühle, klare Luft schlug ihm entgegen und ließ ihn augenblicklich frösteln. Misstrauisch und hastig blickte er um sich, nichts ließ sich erkennen. Und doch war er etwas anders. Er warf einen Blick gen des Himmels und stutzte erneut. Der zuvor graue, wolkenbehangene Himmel schien sich schlagartig zu verdunkeln, rasch wurde auch die Landschaft um ihn herum dunkler. Er stand einen kurzen Moment fassungslos da, dann folgte er einer inneren Eingebung, dass dies alles mit seinen Gefährten, insbesondere den drei verschlossenen Sheyra, Shilendra und zuletzt Frost zu tun hatte, und setzte sich in Bewegung. Die Goblins vergessen hechtete er los, rannte in die Richtung, von der Grollen und die plötzliche Verdunkelung des Himmels über Rynthal auszugehen schien davon und verschwand Augenblicke später, während Regen, der sich aus den schwarzen Wolken ergoss, einsetzte und in großen Tropfen auf die Erde zu trommeln begann...
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Narya blinzelte in das gleißende Sonnenlicht. Sie stand neben den anderen Gladiatoren inmitten der Arena Maraks und sah in die vollbesetzten Ränge. Nie in ihrem ganzen Leben hatte sich ihr ein solch imposantes Schauspiel geboten.
Einhundertfünfzigtausend.
Sie konnte sich diese Zahl kaum vorstellen und doch schien sie wahr zu sein. Einhundertfünfzigtausend Plätze fasste die Arena und sie war wegen der Festspiele restlos ausverkauft. Tausende Menschen waren noch auf den Strassen versammelt und versuchten verzweifelt Zugang zubekommen, was allerdings die aufgeweckten Sicherheitskräfte zu verhindern wussten. Angeblich gab es noch auf dem Schwarzmarkt Zugangsmünzen, doch diese wurden zu horrenden Preisen angeboten (was freilich selten jemanden davon abhielt dennoch nach Anbietern solcher Münzen zu suchen und mit einigen wirksamen, aber nur bedingt legalen Mitteln abzunehmen). So sah sich die einfache Banditin des Lee nun einem Publikum von einhundertfünfzigtausend Menschen aus allen Teilen der Al Scharim gegenüber, die alle große Erwartungen an die kommenden drei Tage hatten.
Dorkov hatte ihr kurz vor dem glanzvollen Einmarsch in die Arena gesagt, dass beinahe jedes Wüstenvolk vertreten war. Die Sippschaft Zergans sollte angeblich schon vor drei Wochen angereist sein (um die besten Plätze im Lebenden Stadtteil dem verhassten Stamm Dawins wegzuschnappen, welcher angeblich einst eine Oase, die den Zergans gehörte, ohne deren Erlaubnis genutzt hatte – was die Beschuldigten natürlich bestritten und wiederum den Zergans vorwarfen, bei der Vermählung der zerganischen Garlin mit dem Dawin Donolin die Mitgift gestohlen zu haben…) und die Herbergen der Stadt wurden dem Ansturm der Obdachsuchenden nicht mehr her, sodass die Ansässigen Maraks Fremden Schlafplätze anbieten mussten.
Am Beeindruckendsten war wohl die Atmosphäre im Lebenden Stadtteil. Dieser wurde der Kriegerin als vollkommen überfüllt beschrieben und mit einem bunten Flickenteppich aus tausenden Zelten verglichen. Hunderte Pferde und tausende Kamele weideten derweil vor der Stadt auf den schmalen Grünsteifen an den Ufern des Al Brandi. Selbstverständlich reichte das Gras und Futter für diese immense Anzahl der Reit- und Lastentiere nicht aus, weswegen die oberen Stadträte Maraks alsbald den Befehl gegeben hatten, dass die umliegenden Oasen einen Teil der Tiere aufnehmen sollten. Zudem hatte man ein neues, ausgeklügeltes Wasserpump – und transportsystem eingeweiht, das eine ausreichende Versorgung der Stadt mit dem knappen und dementsprechende kostbaren Gut gewährleistete. Selbstverständlich war dies auch eine Stärkedemonstration gegenüber anderen Stadtstaaten wie Kazir, die in ständiger Konkurrenz zu Marak standen.
Prestige gewinnen, lautete die Hauptdivise der blühenden Handelsstadt und daher hatte man die ganze Stadt herausgeputzt – Strassen durch Kolonnen von Tagelöhner reinigen lassen, die Bettler vertrieben und beinahe aus jedem Haus und an jedem Fahnenmasten hangen bunte Banner und Wimpeln. Hier und da waren ganze Strassenzüge mit Palmzweigen, den Symbolen des Friedens, bedeckt.
Diejenigen, die besserer Herkunft waren, bekamen sogar Führungen durch die blühenden Gärten im Reichenstadtteil (und nicht wenige gaben diesem Teil der Stadt seitdem dem Namen „Paradies“), doch dieses Privileg vermochten meist nur besonders gutbetuchte Kaufleute aus dem fernen Danreen zu bezahlen. Angeblich hatte die wohlhabende Stadt, deren Ruhm die besten Kaufleute der Welt zu beherbergen nur noch durch den zweifelhaften Ruf Sklaven in die berüchtigten Diamantenminen zu schicken übertroffen wurde, sogar eine Gladiatorenmannschaft gesandt.
Den einfachen Leuten, die sich den Zutritt ins "Paradies" nicht erkaufen konnte, wurden hingegen, neben ungeheuren Mengen Dattelschnaps, bunte Basare und Auftritte diverser Musikantengruppen geboten, die man am häufigsten im Lebenden Stadtteil antraf.
Die meisten Clans feierten dort nachts in friedlichem Zusammensein rauschende Feste, doch mehr als einmal war es schon zu handfesten Auseinandersetzungen gekommen. Besonders betroffen waren die verfehdeten Clans und so kam es, dass die Stadtgarde öfter einschreiten musste um Blutbäder zu verhindern. Seit Tagen brodelte also die Atmosphäre in der Stadt und in dem Moment, als die Posaunen und Fanfaren grüßend den Gladiatoren entgegenschallten und sich die breiten Tore zu den Katakomben geöffnet hatten, entlud sich die spannungsgeladene Atmosphäre wie ein Gewitter an einem schwülen Sommertag.
Donnernder Applaus regnete von den Rängen auf sie herab, während sie Schulter an Schulter mit den anderen Gladiatoren aus Kazir einmarschierte. Vor ihnen gingen die Kämpfer Maraks, hinter ihnen kam eine kleine Delegation aus Zsarks, einer entlegenen, dafür großen, jedoch kaum besiedelten und ziemlich armen Provinz aus dem Süden der Wüste, deren Ausläufer sanft die Hohen Berge und die dahinterliegenden, unbekannten Länder berührten.
Die bunten Fahnen der vertretenden Verbände flatterten im sanften Wind und bildeten einen starken Kontrast zu dem azurblauen, wolkenlosen Himmel über ihnen. Verflucht, dachte sie. Denn die Sonnenstrahlen stachen der Lee wie kleine Nadeln in die Augen und sie wusste, dass die ersten zwei Stunden in der prallen Sonne die unangenehmsten werden würden.
Das Publikum hatte es da besser, denn die Verantwortlichen hatten breite, weiße Sonnensegel über den Tribünen spannen lassen und boten ausreichend Getränke und Nahrung an. Dennoch war die Ungeduld während des schier endlos dauernden Vorprogramms (das die Gladiatoren wartend in den – den Götter sei Dank – kühlen Katakomben verbracht hatten und das die Lee zum Aufwärmen genutzt hatte) ins schier Unermessliche gestiegen und wenn sie sich nicht völlig täuschte, dann schwappte von den Zuschauern jetzt schon eine alles andere als kühlende Welle der Aggressionen herüber.
Der Grund war ihnen auf der langen Schiffsfahrt hierher eingehämmert worden, als seien ihre Köpfe aus Stein und Dorkov ein Bildhauer: Der Sieg bei den Gladiatorenfestspielen bedeutete hohes Ansehen, die Demütigung der Rivalen (und unter Wüstenvölkern gab es unzählige Rivalitäten und Feindschaften, da Kleinigkeiten ausreichten um diese stolzen Menschen zu beleidigen und viele blutige Jahre ins Land zogen ehe Streitereien vergeben wurde – falls sie vergeben wurden, versteht sich) und hatte somit sogar nicht unerhebliche Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen den Stämmen. Dementsprechend angespannt war die Atmosphäre (vor allem wenn man bedachte, welche Hassduelle auf den geneigten Zuschauer warteten) und daher war die Ungeduld besonders groß.
Endlich verstummte das Donnern der Trommeln, die den Einmarsch der Gladiatoren unüberhörbar angekündigt und dann auch rhythmisch begleitetet hatten. Nun stand Reihe um Reihe der Kämpfer still und nur ein laues Lüftchen huschte durch die Arena und streichelte beinahe liebevoll über den Sand, unter dem sich tödliche Fallen verbargen, die auf ihre Opfer lauerten.
Auf der Ehrentribüne stand nun der Statthalter Maraks auf und breitete die bereiften Arme aus. Er war ein gedrungener, dicklicher und doch kräftiger Mann mit Bart und kahlrasiertem Schädel, der sich ganz in weiße Gewänder hüllte und seinen gebräunten Körper mit allerhand Goldschmuck verzierte. Einzig und allein der rote Umhang und die breite, purpurne Schärpe unterschied ihn vom Kleidungsstil her vom Hohepriester Maraks, der das Blut der Lee seinem Gott Hustran geopfert hatte. Es war vollkommen still in der Arena, so wie es das Protokoll verlangte. „Liebe Freunde“, sprach er mit feierlicher Stimme und genoss die Aufmerksamkeit in vollen Zügen. Seine dunklen Augen huschten über die bunte Menge, die Menschen verschiedener Rassen, verschiedener Hautfarben, Kulturen und Religionen, die sich hier in seiner Stadt eingefunden hatten.
„Seit Jahrhunderten ist es die stolze Tradition unserer glorreichen Wüstenvölker ihre besten Kämpfer und Kämpferinnen in die Arena zu schicken und sie gegeneinander antreten zu lassen.“ Schon seine anfänglichen Worte bekamen euphorischen Beifall. „Die einen hatten mehr, die anderen weniger Erfolg.“ Er konnte sich einen leichten Seitenblick auf Hu Basan, den Vertreter Kazirs, der in seiner schwarzen Rüstung kerzengerade direkt neben ihm saß, nicht verkneifen. Die Reaktion der Mitgereisten aus Kazir ließ nicht lange auf sich warten – Buhrufe und faules Obst segelten in Richtung Ehrentribüne, verfehlten ihr Ziel jedoch um Längen (was sich in Anbetracht der wütend umherschauenden Wachmannschaften wohl als Glücksfall für die Werfer herausstellte). Der Statthalter ließ sich von solchen Reaktionen jedoch nicht einschüchtern und auch Hu Basan ließ sich nicht mit einem Wimpernzucken seinen Ärger über die Äußerungen Gastgeber anmerken.
Da haben sie den Richtigen geschickt, dachte die junge Frau und lächelte sanft bei dem Gedanken an ihren stets besonnen agierenden Mentor aus Kazir, der ihr beim Einzug freundlich und zugleich mutmachend zugewinkt hatte.
Der Statthalter fuhr derweil unbeirrt fort. „Was immer uns auch trennen mag – die Liebe zu unserer Wüste und zu dieser Form des Wettkampfes wird uns immer einen. Seit wenigen Tagen und hoffentlich auch für die kommenden Tage sind wir alle Brüder und Schwestern, wir die Kinder der Al Scharim. Lasst uns hoffen, dass weiterhin alles friedlich bleibt und gemeinsam unsere Tradition der Gladiatorenfestspiele fortleben. Marak ist stolz endlich wieder Gastgeber sein zu dürfen und heißt jeden unserer Gäste herzlich willkommen. Möge es uns allen diesmal gelingen, gemeinsam und voll Friede und Freude zu feiern und einen Grundstein der Verständigung, Liebe und des Friedens zu legen– auf das alle Völker der Wüste wieder zu einem großen Volke werden, das wir einst waren. Vergesst nicht: Wir alle sind Kinder derselben Mutter, der Al Scharim.“
Stürmischer Beifall brandete auf, dem sich jedoch ein ganzer Teil enthielt. Der Wunsch nach Frieden und Einheit war zwar tief in den Völkern verwurzelt (nur eben die Feindschaften noch ein wenig tiefer) und solche Reden wurden stets als gut gemeintes Symbol und Aufbruchssignal verstanden. In Wahrheit waren die Gräben zwischen den Stämmen jedoch viel zu tief, um einfach durch Festspiele oder warme Worte überwunden zu werden (und genau genommen hegten die meisten Führer die Befürchtung, dass ihre Machtpositionen durch einen Frieden und Einheit zwischen den Völkern gefährdet würden).
Dann endlich, als der Jubel verebbte, sprach der Statthalter die heiß ersehnten Worte: „So möge denn am Ende der beste Gladiator gewinnen. Doch dafür müssen wir erst einmal anfangen. Drum erkläre ich die Gladiatorenfestspiele von Marak für eröffnet.“ Diesmal fielen alle Zuschauer in den Beifall ein und tausende Menschen erhoben sich um die kurze Rede zu honorieren.
Zunächst wurden die ersten Begegnungen ausgelost. Kazir gegen Zsarks lautete die erste Begegnung der ersten Runde, in der zwanzig der insgesamt vierzig angereisten Mannschaften ausschieden. Nichts war schlimmer als die Schande eine derart frühe Niederlage, das wusste die Lee. Während die anderen Stammesvertreter auf einer wackligen Sondertribüne innerhalb der Arena Platz nahmen, standen sich die ausgelosten Gegner gegenüber. Knackend ließ die junge Frau den Kopf kreisen und grinste den ihr gegenüberstehenden Mann breit an. Dieser zuckte kaum merklich zusammen. Naryas Grinsen wurde breiter. Die Männer und Frauen, die Zsarks geschickt hatte, waren halb verhungerte Bauern und keine Krieger. Sie hatten sich freiwillig gemeldet, um ihrer Armut zu entrinnen. In ihren Augen stand Furcht und ihre Körpersprache verriet, dass Angst sie lähmte. Sie waren vielleicht dem Hunger und Zsarks entronnen, doch nun stand ihnen ein schier aussichtsloser Kampf bevor. Die Flucht sollte nun ein Ende haben. Die Gladiatorin Kazirs erschrak nicht einmal bei dem Gedanken.
Als ein lauter Paukenschlag endlich die erste Runde eröffnete, seufzten die Zuschauer erleichtert auf. Bruchteile von Sekunden später trafen die Klingen klirrend aufeinander. Es war kein schöner Kampf und auch keine fairer Kampf, den die gegnerische Mannschaft war ihnen heillos unterlegen. Dann und wann ging ein Raunen durch die Menge der Zuschauer, wenn Narya z.B. gegen zwei Männer gleichzeitig antrat – und entgegen aller Erwartungen gewann. Doch die großen Jubelarien blieben aus, weil jedem im Publikum klar war, dass es fast schon um eine rein formelle Angelegenheit ging. Dort standen keine gleichwertigen Gegner, sondern Opfer und Beute sich gegenüber. Das wurde jedem bewusst, der diese Begegnung sah.
Irgendwann während des Kampfes sank einer der Gegner vor ihr zu Boden und reckte ihr die verstümmelten Hände entgegen. „Gnade“, bat er in gebrochenem Usarisch und musste sich wüste Beschimpfungen vonseiten des Publikums gefallen lassen, das solche Szenarien gar nicht liebte.„Feigling“ oder „Schande“ waren noch die harmloseste Bezeichnungen für den blutüberströmten Mann, den sie zuvor mit einem Überkopfangriff, der seinen rechten Arm vom Körper abtrennte, überrascht und kampfunfähig gemacht hatte. Als er nun vor ihr kniete, stiegen Erinnerungen an eine ähnliche Situation in ihr hoch, die sie in der Arena Kazirs erlebt hatte.
Narya sah ihm daraufhin in die dunklen Augen und lächelte. „Früher hätte ich nun um dein Leben gebeten.“, antwortete sie ihm ehrlich und senkte einen Moment das Schwert gen Boden, was ihrem Gegenüber Hoffnung schenkte. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie sie für ihren damaligen Kontrahenten Gnade gefordert hatte – und was es ihr damals gebracht hatte „Menschen ändern sich jedoch. Das Leben ist eine harte Schule. Ich war in der härtesten Schule dieser Welt- in Kazir.“, brach es dann aus ihr hervor und mit diesem Wort schlug sie ihm ohne mit der Wimper zu zucken den Kopf ab. Sie hatte den Verrat des früheren Gegners, der sie beinahe getötet hatte, nicht vergessen. Fehler zu begehen, wäre menschlich, hatte Dorkov ihr damals gesagt, aber es sei dumm nicht aus ihnen zu lernen und denselben Fehler noch einmal zu machen. Sie hatte sich seine Worte zu Herzen genommen. Und wenn bedachte, wie sie den hinterhältigen Gladiator für sein Vergehen unter den Augen des johlenden Publikums grausam zu Tode gefoltert hatte, dann konnte man durchaus sagen, dass diese Enthauptung ein Akt der Gnade war.
Warmer Beifall brandete bei der Hinrichtung des Schwächeren auf und einige Augenblicke später war der Kampf auch schon beendet. Den Zuschauer war nichts Besonderes geboten worden. Im Prinzip hatten sie allerdings auch nichts anderes erwartet: Kazir hatte seine erwartete Stärke demonstriert, war beinahe ohne jeden Fehler geblieben und hatte dennoch nicht zuviel von sich preisgegeben oder sich gar verausgabt. Die gegnerische Mannschaft war komplett ausgelöscht worden, eine Menge Blut war geflossen und dabei hatte sich nur einer der Gladiatoren der überlegenen Mannschaft eine Bauchwunde zugezogen. „Dummkopf“, schalt Dorkov ihn Augenblicke später in den kühlen Katakomben und zeichnete dem Unglücksraben dezidiert jeden seiner Fehler auf.
Während der anderen Begegnungen unterrichtete sie Dorkov über die anderen Mannschaft (oder besser die aussichtsreichen Kandidaten für die nächste Runde). Gegen Nachmittag war es dann wieder soweit. Wieder stand die Banditin Lees in der Arena. Diesmal sollten ihnen die Gesandten eines kleinen, wehrhaften Nomadenvolkes namens Gartz gegenüberstehen.
"Das wird eine Numer härter", flüsterte sie Odie zu mit dem sie während der Wartezeit gekuschelt hatte und erinnerte sich während sie sprach daran, dass der Sprung in die letzten zehn Mannschaften von großer Bedeutung war. Genau genommen forderte man in Kazir nichts anderes als den Sieg von ihnen.
Der Dattelschnapspegel im Publikum hatte während der letzten zwanzig Begegnungen dramatisch zugenommen und dementsprechend laut ging es auf den immernoch vollbesetzten Rängen zu. Ein paar Jugendliche hatten es geschafft ohne Zugangsmünzen in die Arena zu gelangen und sassen nun auf den Treppen um dem blutigen Spektakel beiwohnen zu können. Sie mussten jedoch gleichzeitig auf der Hut vor den Sicherheitskräften sein, die immer wieder nach ihnen suchten.
Ein Paukenschlag signalisierte ihr schließlich, dass der Kampf begann und sie die genau Betrachtung des Publikums auf später verschieben sollte. Die gegnerische Mannschaft hatte sich nämlich etwas Besonderes einfallen lassen gegen diesen angeblich haushoch überlegenen Gegner. Sie bildeten einen Kreis und streckten Speere vor sich, um die Mannschaft aus der Schwarzen Stadt auf Distanz zu halten. Einige Augenblicke lang tänzelten die Männer und Frauen scheinbar ratlos um ihre Gegner herum. Das Publikum belohnte diesen klugen Schachzug von Gartz mit viel Applaus.
"Schade, dass wir keine Fernkampfwaffen einsetzen dürfen", sagte einer der Gladiatoren neben ihr und wusste nicht, dass er seiner Kameradin auf eine Idee gebracht hatte.
Mit breitem Grinsen wechselte sie den Schwertarm und umfasste einen ihrer Wurfdolche mit der rechten Hand. Dann rannte sie - Feuersturm zur Ablenkung wild schwingend - auf den Kreis zu. Einer der Männer senkte seinen Speer direkt auf ihre Bauchhöhe und verfolgte jeden Haken, jede rasche Richtungsänderung der Banditin galant mit.
Sehr aufmerksam aber nicht genug, erkannte sie und als sie nur noch drei Meter von der tödlichen Speerspitze entfernt war, steckte sie Feuersturm blitzartig weg, holte aus und schleuderte ihren Wurfdolch mit voller Wucht dem Mann entgegen.
Er, der sich ganz auf die Abwehr durch den Speer verlassen und den Blick auf die rechte Hand der Gladiatorin vollkommen vernachlässigt hatte, konnte das Wurfgeschoss nicht abwehren. Knackend frass sich der Dolch in sein Gesicht. Blut spritzte und dennoch war der Angriff nicht vorbei.
In dem Moment, als das Geschoss sein Ziel traf, war Narya am Speer angekommen, hielt kurz, riss das rechte Bein in einem Bogen um die Speerspitze in die Höhe und ließ den Fuss heruntersausen. Ihr Stiefel traf die Speerspitze und lenkte sie nach unten.
Innerhalb weniger Wimpernschläge sausten zwei Speere der Männer neben dem Verwundeten auf sie zu - und verfehlten sie. Sie hatte mit nichts anderem gerechnet und stieß sich daher zuvor schon kraftvoll vom Boden ab. Die Beine zog sie im Sprung an den Körper, sodass die gegnerischen Speere in die Luft unter ihr trafen.
Entgegen aller Erwartungen sprang sie jedoch nicht zurück, sondern nach vorn. Ihe Füsse trafen die Brust des schwer im Gesicht verwundeten Mannes, der schon zuvor bedrohlich wankte und nun durch den Tritt gegen den Brustkorb gänzlich zu Boden sackte. Noch im Sprung riss sie in Windeseile ihre Dolche hervor, kreuzte die Arme schützend vor der Brust und riss sie erst auseinander, als sie sich mitten zwischen den beiden Gladiatoren befand.
Deren Waffenwahl, die eben noch nützlich gewesen war, stellte sich nun als Nachteil heraus. Sie hatten es zwar geschafft die Gladiatoren aus Kazir auf Distanz zu halten, doch nun, da die einfache Banditin mit einer List diese Distanz überwunden hatte, waren die Waffen zu sperrig. Narya nutzte dies gnadenlos aus und stieß ihre beiden Dolche gegen die Hälse der beiden Männer. Brülllend brachen auch sie zusammen, als die Waffen ihre Halsschlagadern durchtrennten.
Nun war sie mitten im Kreis der gegnerischen Gladiatoren, von denen einige mitbekommen hatten, was vor sich ging und ihre Schwerter gezückt hatten. Diese Situation wäre sicherlich böse für die Lee geendet, wenn nicht Odie verstanden hätte, worauf seine Freundin mit diesem Himmelfahrtskommandoeinsatz hinaus wollte. Als sie es geschafft hatte einen der gegnerischer Gladiatoren zu treffen, war er schon losgerannt und als Narya es geschafft hatte eine im wahrsten Sinne des Wortes drei Mann große Lücke in den Kreis zu schlagen, war Odie zur Stelle. Er führte sein Schwert kraftvoll gegen jeden, der Narya in den Rücken fallen wollte und so standen sie letztendlich Rücken an Rücken in dem feindlichen Kreis, parierten verzweifelt jeden Angriff und konnten sich mit Mühe und Not vor starken Blessuren bewahren.
Die anderen Gladiatoren nutzten derweil die mehr oder minder stabile feindliche Formation und bildeten ihrerseits einen äußeren Kreis. Gartzer um Gartzer fiel durch diese Taktik Kazirs, denn sie wurden zwischen dem äußeren Ring und den beiden besessen kämpfenden Gladiatoren in ihrem Innern brutal aufgerieben.
Am Ende, als Narya kaum mehr ihren Schwertarm heben konnte und Odie ihr einmal, als sie unter einem Tritt in die Magengegend zu Boden gegangen war, ihr Leben durch eine Drehung mit weit von sich gestrecktem Schwert, das dadurch einen tödlichen Kreis beschrieb, rettet, kamen ihre Kameraden zu ihnen durch.
Schweratmend dankte Narya Odie mit einem Kuss und konnte sich nur mit Mühe auf den zitternden Beinen halten. Tosender Applaus grüßte die Banditin, als das Publikum gewahrte, dass sie ihre heldenhafte Attacke in dem Getümmel lebend und beinahe unverletzt überstanden hatte. Der Boden unter ihren Füssen war vom Blut der Gartzer Gladiatoren getränkt.
Artig mit der zittrigen Hand winkend dankte sie den johlenden Zuschauern für ihren Beifall. Die Mienen auf der Gladiatorentribüne waren hingegen versteinert. Kazir hatte den berüchtigten Gartzerkreis geknackt. Und es war offensichtlich, dass die Mannschaft der Schwarzen Stadt nicht nur aus hervorragenden Kriegern bestand, sondern auch wirklich eine eingespielte Einheit war. "Danke", sagte Narya abermals zu Odie und küsste ihn sanft auf die Wange. Sie war froh in seinen Armen den Applaus genießen zu können und schenkte ihm einen langen, sanften Blick.
Dorkov rieb sich derweil mit glitzerndem Blick die Hände. Seine Mannschaft hatte die letzten Zehn erreicht und war dem kritischen Publikum dabei durch ihre Brillianz und ihren Mut aufgefallen. Er hörte im Gegensatz zu seinen Gladiatoren, wie oft das Wort Kazir beim Tipp auf den Sieger genannt wurde und er bekam hautnah mit, wie die Namen Narya und Odie, die diesen tollkühnen Angriff gestartet und sich mit immensem Kraftaufwand für Kazir eingesetzt hatten, überall verbreitet wurden. Nicht einmal Hu Basan, den besonnen Kriegsherren, hatte es bei dieser tollkühnen Attacke auf den Sitzen gehalten. Er ballte die Faust gen Himmel uns strahlte vor Freude ob des Sieges seiner Mannschaft.
Die Lobeshymnen begleiteten sie schließlich sogar bis in die Katakomben. "Wir sind also unter den besten zehn Mannschaften", resümierte Dorkov den Tag, seufzte und machte ein griesgrämiges Gesicht. "Das reicht nicht. Kazir braucht die Krone. Ihr habt die Worte dieses fetten Statthalters gehört." Es folgte eine Monolog mit allerlei wilden Beschimpfungen Maraks, den die Lee gar nicht mehr hörte. Sie war völlig erschöpf in den Armen Odies eingeschlafen und ruhte sich von dem anstregenden Kampf aus.
Als sie am nächsten Tag wach wurde, stand ihr nur ein einziger Kampf bevor - und das war wohl auch der Härteste. Denn den Regeln der Gladiatorenfestspiel nach gab es am zweiten Tag nur zwei Gruppen mit jeweils fünf Mannschaften und eben diese fünf Gesandschaften mussten gleichzeitig gegeneinander antreten.
Kazir befand sich in der zweiten Gruppe.Zuvor hatte das favoursierte Marak - wenn auch unter dem Verlust von vier Gladiatoren und erst nach knapp zwei Stunden erbitterten Kampfes- vor heimischen Publikum das Finale erreicht. Der frenetische Jubel der Marakaner war selbst noch in den Tiefen der Katakomben deutlich zu hören. Selbst Dorkov schien sich zu freuen: "Wenn wir gewinnen, dann kommt es zum Duell der Erzrivalen", beschwor er immer wieder "seine tapferen Gladiatoren".
Nun stand sie also selbst vier anderen Mannschaften gegenüber und fühlte zum ersten Mal soetwas wie Angst. Als der Kampf offiziell eröffnet wurde, begannen die Mannschaften Zergans und Dawins sich untereinander zu zerfleischen. Sicherlich war die Tatsache, dass solch verfeindete Clans sich in ihrer Gruppe befanden, ein immenser Vorteil, doch Kazir, das auf Vorschlag Odies sich zu einer Speerspitze formierte und unter lautem Rufen "Für Kazir" gnadenlos unter seine Gegner fuhr, kam in arge Bedrängnis, als die beiden übrigen Mannschaften sich überraschenderweise gegen sie verbündeten. So standen sie also mehr als doppelt sovielen Gegnern gegenüber, der Blitzangriff kam ins Stocken und alsbald wurden sie zurückgedrängt. Drei ihrer Krieger fielen binnen der ersten Attacken ihrer Kontrahenten und schon bald standen sie mit dem Rücken an der Arenawand.
Schweiß strömte über ihren gesamten Körper und ihre Muskeln zitterten vor Anstrengung, doch verbissen parierte sie die Attacken ihrer beiden direkten Gegner, deren Angriffe wie ein heftiger Regenschauer beinahe pausenlos auf sie niederprasselten. Einmal vermochte die Lee nach oben zu spähen und konnte das Gesicht eines kleinen Jungen ausmachen - genau genommen war es DER kleine Junge, den sie am Tag ihrer Ankunft einem verwöhnten Kind aus wohlhabenden Hause vorgezogen und auf den Schultern durch Marak getragen hatte. Das Schlitzohr hatte es irgendwie geschafft sich durch die Absperrungen zu drängeln ohne auch nur eine Münze für die Festspiele zu bezahlen.
"Da", rief er ihr warnend zu und bewahrte die Banditin vor einem frühzeitigen Ausscheiden, als sie einen Überkopfangriff ihres Gegners im letzten Moment parierte. Alle kraft zusammennehmend, drehte sie sich rasendschnell unterhalb der aufeinandergeprallten Schwerter und stieß ihm die linke, freie Faust in den Magen, während sie ihren linken Fuss zwischen die Beine des anderen Gegners hakte und ihn mit einer Hebelbewegung zu Fall brachte. Dabei schnitt seine Waffe tief in ihren Oberschenkel ein. Ein Stöhnen ging durch die Zuschauermasse, als Publikumsliebling Narya vor Schmerz laut aufbrüllte. Sie fühlte, wie zugleich kalte Wut in ihr hochstieg.
"Das wirst du büßen", rief sie hasserfüllt, verengte ihre nahezu funkensprühenden Augen zu Schlitzen und donnerte dem ersten Kontrahenten Feuersturms Knauf gegen den Adamsapfel. Anschließend machte sich über den Mann her, der sie noch im Fallen verwundet hatte. Wie eine Berserkerin schlug sie ihm mit Feuersturm schmerzhafte und dennoch nicht tödliche Wunden. Er sollte leiden, so wie sie unter ihrer oberflächlichen, aber schmerzenden Wunde litt. Dabei vergass sie alles um sich herum und so rettet Odie ihr zum zweiten Mal das Leben, indem er mit einem blitzschnellen Schwertstreich einen Wurfdolch, der auf den Rücken seiner Gefährtin zielt , aus der Luft fischte.
"Beruhig Dich", bat sie jemand - aller Wahrscheinlichkeit nach Odie selbst - und Narya kam dieser Bitte nach weiteren Folterungen des zuckenden Mannes nach. Ihr Schwert suchte ein letztes Mal den Körper des Mannes, der sie verwundet hatte und fand sein Herz. Tötlich bohrte sich der Stahl durch den Brustkorb und beendete das Leben des Mannes Sekunden später.
Genau genommen konnte man nicht mehr recht sagen, dass dort vor ihr ein Mensch lag - so sehr hatte sie diesen zugerichtet. Ein abscheuliches, kaltes Lächeln stand in ihrem blutbespritzten Gesicht und ließ einen nahestehenden Krieger der beiden anderen Mannschaften sichtlich zusammenzucken. Den Zuschauern war der Blutrausch der Banditin nicht entgangen und euphorisch hatten sie jeder Attacke Respekt gezollt. "Möge Hustran diesen Menschen auf ewig verdammen", schrie sie laut und stieß ihre blutige Klinge in den Himmel. Euphorischer Jubel brach von den Rängen aus, auf denen die Usaren sassen, die nicht müde wurden ihre Helden mit ausgefallenen Ideen anzufeuern.
Für die Mannschaft aus Kazir sah es derweil jedoch schlecht aus. Fünf Krieger waren übrig geblieben und immerhin acht andere kämpften weiter im Verband gegen sie. Odie hatte angeblich zeitweilig einen Ausflug ans andere Ende der Arena gemacht und den Zwist zwischen Zerganern und Dawinnen beendet - die beiden letzten Krieger der beiden verfehdeten Clans, die bei seiner Ankunft gestanden und sich verbissen duelliert hatten, lagen nunmehr mit abgetrennten Häuptern im Sand. Er hatte kurzen Prozess mit ihnen gemacht, hieß es nach einem Bericht eines kazirischen Gladiators, der Seite an Seite mit Narya kämpfte.
Nun hielt Odie und eine andere Gladiatorin der Lee den Rücken frei - für jegliche Angriffe gegen ihre Herausforderer. Leider fiel der jungen Frau nicht allzuschnell eine Lösung ein und so nahm sie es mit drei Kriegern gleichzeitig auf. Wütend blockte sie die Angriff der Männer und fand doch keine Lücke. Als einer dann einen wenig plazierten Schwertstreich gegen sie führte, drehte sie sich rasch zur Seite, sodass ihr Kontrahent ins Leere hieb und sein Schwert statt sich in Naryas Magen zu bohren, nur Sand aufwirbelte. Den Schwung nutzend vollführte Narya einen Pirouette inmitten den Halbkreis ihrer Gegner und ließ Feuersturm kreisen. Zwei Männer reagierten sofort und sprangen behende zurück, heraus aus dem tötlichen Kreis, doch einer war zu langsam.
Gellende Schreie hallten durch die Arena, als das Schwert des Feuers seine Bauchdecke aufschlitzte. Entsetzt starrte er auf seine Wunde und versuchte sie mit den Händen zu verschließen - vergeblich. Narya hatte nicht jedoch nicht genug und vollführte einen erneuten Angriff. Ihr Schwert trennte des Mannes Hände ab und verfing sich in seinem Bauch. Mit einem kräftigen Ruck riss sie ihr Schwert hervor.
Ekelhaft, dachte sie und kämpfte gegen Übelkeit, während hingegen auf den Rängen tosender Jubel ausbrach und die Zuschauer lautstark ihren Namen skandierten. Sie lächelte und hob die Hand zum Gruße, was das Publikum nur noch mehr anstachelte.
Eigentlich sie sich längst ihrem nächsten Opfer zuwenden wollen, doch sie hatte den todgeweihten, schwerblutende Mann arg unterschätzt. Mit letzter Kraft sprang dieser nämlich vorwärts und riss sie mit seinem Gewicht zu Boden.
"Hustran, verfluche Dich", spuckte die Lee aus und stemmte den mittlerweile toten Mann in die Höhe, um unter ihm hinwegzurobben. Keine Sekunde später donnerte der erste Schwertstreich auf sie herab, den sie nur mit Mühe parieren konnte. Die beiden Männer, die sich eben gerettet und bei der Folterung ihres Kameraden ohnmächtig vor Entsetzen zugesehen hatten, wollten die letzte Heldentat ihres Verbündeten nicht nutzlos sein lassen.
So gingen sie nun gegen die Gladiatorin der Schwarzen Stadt vor, die sich in einer denkbar ungünstigen Lage befand. Auf dem Boden liegend war sie mehr damit beschäftigt den Attacken ihrer Gegner durch kraftraubende Manöver auszuweichen, denn einen ernsthaften Entlastungsangriff zu starten.
So robbte sie durch den Sand ohne in dem Schwerthagel, der auf ihr niederprasselte, auch nur den Hauch einer Chance zum Erheben zu haben. Mehr als einmal rettet ein reiner Reflex ihre Leben, indem sie beispielsweise die Beine anzog, wenn einen Atemzug später das tödliche Schwert eines Gegners wie das Beil eines Henkers auf diese Stelle niedersauste.
Meter um Meter robbte sie durch den heißen Wüstensand, schweißüberströmt blockte sie die Attacken ihrer Kontrahenten. Einmal schaffte sie es einem der Männer mit dem linken Fuss einen gezielten Tritt gegen sein Handgelenk zu führen, sodass der Lauf seiner Waffe in den Arenasand abgelenkt wurde und er mit schmerzverzerrtem Gesicht seine getroffene Hand untersuchte, die immernoch das Schwert umklammerte. Währenddessen blockte Feuersturm die Attacke des Verbündeten. Bruchteile von Sekunden später führte sie ihr Schwert gegen die immernoch im Sand befindliche Waffe. Ein ungewöhnlicher heller Ton erklang, als Feuersturm das Schwert des Gegners in zwei Hälften teilte. Tosender Jubel brach unter den Zuschauern aus und hunderte erhoben sich, um er verzweifelten Gegenwehr der Banditin Respekt zu zollen.
Diese hatte jedoch nicht die Zeit den Jubel zu genießen, denn während einer ihrer Gegner sich eine neue Waffe suchte und schließlich bei einem Gefallenen fündig wurde, brachte sein Gefährte die Lee mit seinen sagenhaft schnellen Angriffen arg in Bedrängnis. Einmal schaffte sie es sich mit einer schwungvollen Rückwärtsrolle aus dem unmittelbaren Angriffskreis ihres Kontrahenten zu manövrieren, doch dieser setzte ihre mit einem solch gekonnten Überkopfangriff hinterher, dass die sich in der Hocke befindliche Banditin zurück in den Sand geschleudert wurde.
Das Publikum beklatschte eifrig die Attacke des Mannes und brach in Jubel aus, als der andere Angreifer endlich mit einem Kurzschwert zurückkam. Verzweifelt robbte die Lee weiter nach hinten - und kam nicht weiter. Sie war an der Wand der Arena angekommen und lag ihm Schatten eines der Eisenzähne, die man am Rand der Publikumstribünen befestigt hatte, um Tiere der Arena davon abzuhalten in die Menge zu springen. Ihren Gegner stand die glitzernde Freude ob des bevorstehenden Sieges schon in den Augen. Das war ihr Ende, wusste sie und sah mit Wehmut, dass Odie inmitten der Kämpfe am anderen Ende der Arena verwickelt war. Es war der Moment, als sie gewahrte, dass alles zu Ende war und sie ihren Freund nie wieder sehen würde, dass sie nichts mehr um sie herum wahrnahm. Keine Zwischenrufe, keinen Applaus, nicht einmal mehr das Klatschen der blutrünstigen Zuschauer über ihnen, deren Hunger nach Elend, Gewalt und Leid immernoch nicht gestillt war. Nur das leichte Vibrieren im Sand unter ihr. Was war das?, fragte sie sich und wurde durch ihre Gegner einen Augenblick von dieser Frage abgelenkt.
"Du bist so gut wie tot", stellte einer von ihnen fest und ging zu einem gnadenlosen Angriff über. Narya, die unsäglich erschöpft war, wurde langsamer in den Blöcken, ihre Arme zitterten und so kam, was kommen musste. Ein wuchtiger Angriff prellte ihr Feuersturm aus der Hand und entwaffnete sie. Ein Raunen ging durch das Publikum, denn man hatte diese Gladiatorin nach den letzten Kämpfen als unbesiegbar eingestuft.
Mit glitzerden Augen sah der Kontrahent zu ihr herunter und spuckte ihr ins Gesicht. Angeekelt wischte sie sich den Speichel aus dem Gesicht und erneut brodelte die Wut in ihr. Es schien, als bebte selbst die Erde vor Zorn über diese Demütigung. Dann holte der Mann aus, um dem Leben der jungen Frau einen Schlussstrich zu setzen. Wieder bebte die Erde und erst in diesem Moment realisierte die Lee, was dort wirklich vor sich ging.
Sie spannte sich kaum merklich und sammelte ihre letzten Kräfte. Dann ging alles ganz schnell. Als der Mann direkt über ihr stand, schoss ihre Linke in den Stiefel, befördete ihren letzten verbliebenen Wurfdolch hervor und schleuderte das Geschoss direkt gegen die Kehle des vermeintlichen Siegers. Gurgelnd taumelte dieser zurück. Zeitgleich drang tiefes, drohendes Grollen aus dem Erdreich hervor.
Sein Kamerad hörte diese Warnung im Gegensatz zu Narya nicht, stob wutschnaubend wie ein Drachensnapper heran und führte den tödlichen Schlag gegen die Banditin aus. Diese wich nicht aus, sonder sprang unter Aufegbot ihrer all ihrer Kräfte nach oben und somit der tödlichen Waffenspitze entgegen. Kreischend schrammte das Schwert über ihren Brustpanzer und zertrennte ihn. Gleichzeitig bekam sie mit den Händen den Eisenzahn direkt über ihr und trat mit den Füssen nach ihrem Gegner.
Augenblicke später riss der Boden unter seinen Füssen weg und er fiel gemeinsam mit seinem Kameraden schreiend in eine gähnende Grube. Die heimtückische Falle der Arenamaschinerie, die ihr schon einmal das Leben im Kampf gegen eine Grauhaut gerettet hatte, half ihr auch dieses Mal erneut.
Sie hang direkt über der mit Wasser aufgefüllten Falle und konnte das grausige Schauspiel mit eigenen Augen verfolgen. In der Wassergrube befand sich nichts anderes als drei der Flusstiere mit dem graugrünen Schuppenpanzer, die Narya auf ihrer Schiffsfahrt über den Al Brandi gesehen hatte. Die Tiere machten sich nun mit ihren langen, weit aufgeöffneten Mäulern, die jede Menge scharfer Reisszähne entblössten, über ihre Opfer her. Die Männer, die sie eben noch beinahe ins Reich des Todes gesandt hatte, wurden bei lebendigem Leibe zerfleischt.
Der Jubel auf den Rängen hinsichtlich dieses Usarenritts von Narya kannte keine Grenzen. Zumal es Odie und den anderen am anderen Ende der Arena ebenfalls gelang die Gegner zu besiegen. Als der Arenaboden sich unter ihr wieder schloss, ließ die Lee los und sank innerlich weinend im Sand zusammen , während jeder Zuschauer auf der Tribüne sich erhob und laut jubelnd applaudierte. Sie hatten es in das Finale geschafft. Am morgigen Tag stieg der Hassgipfel zwischen Kazir und Marak bei den Gladiatorenfestspielen der Al Scharim.
Geändert von Narya (11.12.2006 um 17:13 Uhr)
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Es war wieder einer jener Tage an denen Bloody der Bandit vor Langeweile fast verging. Er saß in einer Taverne in Gorthar und wusste mit sich und der Welt absolut gar nichts anzufangen. Sie war für ihn quasi ein Ort lauwarmer Ödenei geworden.
Das Einzige was nun noch half war ein guter Traumruf. Denn vom vielen Bier musste man nur viel Pinkeln und bei dem Wetter wollte Bloody nicht dauernd nach draußen rennen.
Der Bandit suchte sich jemanden mit dem er gemütlich den Stengel weghecheln konnte und verschwand kurz danach auch schon in die weiten Traumwelten des Sumpfkrauts. Die Zeit verging, aber die Zeit spielte für Bloody in diesem Zustand sowieso keine Rolle. Sie könnte auch nicht vergehen, der Bandit würde es sicher nicht mitkriegen!
Wie dem auch sei, plötzlich weckte etwas das Interesse des bekifften Bloody. An einem der Tische war tatsächlich etwas entstanden, das entfernt an ein Gespräch erinnerte.
Bloody erhob sich aus der dunklen Ecke, in die er sich zurückgezogen hatte und wankte durch den Schankraum. Er umrundete einmal unfreiwillig den besagten Tisch und schnappte die für ihn wichtigen Gesprächsfetzen auf:
"… wenn ich es dir doch sage, bewusstseinserweiternde Pilze sind der Grund warum wir Menschen uns weiterentwickelt haben."
Eine gewagte Theorie, die glatt von Bloody selbst hätte stammen können. Wahrscheinlich hatte sich ein Gelehrter in die Taverne verirrt, um den Unwissenden die Weisheit mit Löffeln oral einzuführen.
Bloody hatte schon seinen gefürchteten Zeigefinger erhoben und wollte ins Gespräch einsteigen, doch niemand beachtete den Banditen. Es herrschte eher großes Durcheinander am Tisch, einige stimmten dem Sprecher zu, andere schüttelten heftig den Kopf und widersprachen. Ein äußerst ungünstiger Zeitpunkt also, um sich mit einem seriösen Beitrag zu beteiligen. Vor allem da niemand wusste das Bloody auch wirklich einen seriösen Beitrag parat hatte. Bei seinem Anblick könnte man meinen, er wäre nur einer von vielen Tavernenschwätzern. Dabei bewegte sich Bloody's Verstand ständig zwischen einem zuckerfreien Vollkornkeks und intellektueller Zuckerwatte. Wenn die Sterne günstig standen, dann erreichte Bloody's Verstand sogar beide Pole zur gleichen Zeit(war dies so ein Moment?). Was dann dabei herauskam vermochte allerdings niemand zu sagen, das konnte der Bandit nicht mal selbst.
Bloodflowers wankte und taumelte, denn der noch immer erhobene Zeigefinger fehlte ihm dringend bei der Haltung des Gleichgewichts. Der Bandit drehte sich ein paar mal um seine eigene Achse und plumpste, noch immer den Zeigefinger hoch haltend, bäuchlings auf die Tischplatte.
Seriöser konnte man sich nun wirklich nicht Gehör verschaffen. Auffallend unkoordinierte Bewegungen und fehlender Gleichgewichtssinn. Bravo Bloody, bravo!
Die Aufmerksamkeit die ihm zuteil wurde, nutzte der Bandit auch sofort aus:
"… euer Kamerad hat gar nicht so unrecht. Alles Leben stammt ja aus dem Meer… so auch wir Menschen. Das heisst für mich: Unsere affenähnlichen Vorfahren schwammen früher allesamt fröhlich und unbeschwert im Meer herum." Bloody machte jetzt zur Veranschaulichung auf dem Tisch Schwimmbewegungen, sozusagen Trockenübungen.
"… und so wäre das auch bis ans Ende der Zeit weitergegangen, wenn nicht eines Tages einer mit erhobenen Zeigefinger daher geschwommen wäre und: 'Guckt mal Leute, da an Land gibt's Pilze!' gesagt hätte. Also gingen die Affen geschwind an Land und sammelten die Pilze ein!!! Jawohl, so und nicht anders ist es gewesen!!!"
Bloody machte jetzt eine kurze Sprechpause um seine Ausführungen sacken zu lassen, schließlich waren seine hanebüchenen Argumentationsketten oftmals so lang, dass sie mehrere Male um den Erdball reichten:
"… ob das jetzt bewusstseinserweiternde Pilze waren oder nicht, ist freilich eine schwierig zu beantwortende Frage. Allerdings behaupte ich: Es ist völlig gleich! Es spielt keine Rolle, da sich sowieso durch den Landgang einige völlig neue Perspektiven für unsere Ahnen eröffneten. Ja man kann sagen… die bewusstseinserweiternden Pilze, im weitesten Sinne, haben die Menschheit zu neuen Ufern geführt!"
Es entbrannte eine Diskussion, die Bloody aber nicht mehr weiter beachtete, er lag zwar noch mitten auf dem Tisch, rauchte aber schon wieder den nächsten Traumruf und sinnierte über völlig andere Dinge:
Die Rindviecher wissen so lange nicht,
dass sie welche sind, bis es ihnen jemand sagt.
Dann aber glauben sie es ja doch nicht! …
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Sie hatte ihn tatsächlich aus den Augen verloren gehabt. Erst nach kurzer, verzweifelte Suche, hatte sie seine letzten Versuche beobachten können, sich einiger Gobblins zu erwehren. Dann hatte der Knall die Erde erschüttert. Von da weg war sie hinter ihrem Schüler hergelaufen und hatte ihn nun endlich eingeholt. Mit einem behänden Sprung war sie bei ihm. Sie prallte voll gegen ihn, riss ihn mit sich in einen Graben und bedeutete ihm sich ruhig zu verhalten.
Dann schaute sie sich kurz besorgt seine Wunden an, deutete fragend darauf. Ohne Worte gab er ihr zu verstehen, dass es schon gehen würde. Wieder deutete Redsonja ihrem Schüler an, dass er ihr folgen solle, wobei sie kurz darauf erleichtert feststellte, dass er dies trotz seiner letzten Erfahrung ohne zu fragen tat.
Sie hetzte wahrlich voran. Hatte beinahe Angst, dass ihr Herz irgendwann nicht mehr mit Pumpen und die Lungen nicht mehr mit saugen nachkommen würden, doch sie mussten die anderen abpassen. Redsonja kannte einen Weg, wo sie ihnen mit ziemlicher Sicherheit auf ihre Gefährten stossen würden. Wenn sie nur schnell genug waren. Alles andere könnte ungemütlich für Lehrmeisterin und Schüler enden. Oder würde es sie viel mehr vor Unannehmlichkeiten bewahren?
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Sentinel wusste nicht genau, wie weit sie sich nun schon vom Zentrum Rynthals entfernt hatten, so wie seine Glieder schmerzten und seine Muskeln schrieen, musste es aber eine ganze Menge sein. Immer noch stieß er Zweige zur Seite und sprang über am Boden liegende Äste, nur um Frost nicht aus seinem Sichtfeld zu verlieren. Dieser hatte bisher keine Anstalten einer Rast gemacht; nur weit genug weg von Rynthal.
Der Regen prasselte immer noch auf Umhang und Rüstung des Gardisten und erweichte den Boden bis auf äußerste. Der Wald durch den sie flohen, glich mittlerweile mehr einem Moor. Bei jedem Schritt sank Sentinels Stiefel zentimetertief in den Morast. Ihn mit einem schmatzenden Geräusch wieder raus zuziehen, erforderte jedes Mal nur unnötig Kraft. Wie lange sein Körper das noch mitmachen würde, konnte er schlecht einschätzen. Doch vielleicht war es die erste Bewährungsprobe …
„Der einzige Unterricht, den ich Euch geben kann, ist das Leben.“
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Wolken wälzten sich schwer und grau über ihre Köpfe hinweg. War es zuvor trüb gewesen, so hatte nun ein seltsames Zwielicht die Sonne ersetzt. Die Wolken drängten wie in Panik geratene Rinder dicht aneinander vorbei. Gab es doch mal eine Lücke, so lag dahinter kein lichtdurchfluteter Kanal, sondern Finsternis.
Während sie flüchteten, behielt Frost die Wolkendecke im Auge. Er konnte Schatten sehen. Keine winzigen, kaum sichtbaren Fetzen mehr. Große, dunkle Teppiche, die von oben auf die Wolken drückten.
Der Regen nahm zu. Kein einfacher Wolkenbruch mehr, kein Platzregen. Dies war eine Sintflut. Jemand wollte einen neuen Ozean erschaffen und dafür musste er zuerst das Land ersäufen. Die Tropfen kamen in Massen, dick und mit beachtlicher Wucht. Das Blattwerk bot keinerlei Schutz mehr, der Waldboden verwandelte sich in zähen Morast, auf dem Blätter und verfaulte Äste trieben.
Laufen? Unvorstellbar. Nein, dies war Schwimmen.
„Frost!“
Shilendra begann wild zu winken. Der Schlamm stand ihr bis über die Kniekehlen. Zuvor rehbraun, klebte ihr Haar nun nass und dunkel an ihren Wangen.
„Wir können unmöglich weiter!“
„Wir müssen!“, brüllte Frost. Der Sturm machte normale Kommunikation unmöglich.
„Wir werden sterben, wenn wir hierbleiben!“
„Das werden wir auch, wenn wir weitergehen! Das ist Wahnsinn!“
„Wir können uns nicht verstecken!“, beharrte Frost, „Dies ist kein -“
Wieder ein gewaltiger Donnerschlag. Als das Klingeln aus Frosts Ohren verschwand, hatte sich das Prasseln zu einem gewaltigen Getrommel gesteigert. Neben ihm schlug etwas in den Schlamm und ließ den Morast in einer meterhohen Fontäne explodieren. Shilendra rief noch etwas, doch waren die Worte unmöglich zu verstehen. Wieder war aus seiner unmittelbaren Nähe ein deutliches Fluomp! zu hören.
Hagelkörner, realisierte Frost. Groß wie Hühnereier!
Ein Korn traf ihn hart an der Schulter und zerplatzte an dem Hornpanzer. Rasch löste er den Mantel und spannte ihn über dem Kopf zu einer improvisierten Plane. Eines dieser Monsterkörner auf den Fingerknöchel und das war's. Shilendra hat Recht. Dies ist Wahnsinn.
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Mit keuchendem Atem folgte Ferol der voraneilenden Lehrmeisterin. Längst schien sein Blick verschwommen, das einzige, was er noch wahrnahm, war ihre verschwommene Gestalt im Regen, die er mit den Augen fixierte, um den Abstand zwischen ihnen nicht größer werden zu lassen. Er verfluchte innerlich seine Ausdauer, die trotz aller Verbesserungen in der letzten Zeit immer noch nicht die Beste war. Als das Gelände wieder etwas anstieg, fand er Zeit, sich die nassen Haare, welche am Kopf kleben zu schienen, aus dem Gesicht zu streifen mit der Hand. Mittlerweile spürte er, wie die Regentropfen der dunklen Wolkenformationen, die sich mittlerweile am Himmel auftürmten und ihn vollständig zu verdunkeln drohten, größer und schwerer wurden. War es anfangs nur subtiler Nieselregen gewesen, hatte er sich binnen weniger Zeit zu einem wahren Wolkenbruch gewandelt, der umso mehr an Heftigkeit dazu zu erlangen schien, je mehr Zeit verstrich, und das ungewöhnlich schnell. Längst war der ohnehin vom Wetter der Vortage aufgeweichte Boden matschig und schlammig geworden, rutschig und mühsam begehbar. Mit einem Schmatzen, das beinahe in dem tiefen Donnergrollen unterging, das den scheinbar ständig vom Himmel zuckenden Blitzen nachfolgte, lösten sich die ledernen Sohlen aus dem morastartigen Untergrund bei jedem neuen Schritt, was es umso anstrengender machte, der Lehrmeisterin in ihrem Eiltempo zu folgen. Doch die abgelaufenen Schuhe des Söldners waren nicht das einzige, was schon vollkommen durchweicht und durchnässt war. Längst spürte er, wie das Wasser seine Kleider durchdrungen hatte und zusätzliches Gewicht auf seinen Schultern zu lasten schien, welches ihn halb stolpernd vorankommen ließ. Er spürte schon das durchnässte Leinenhemd unter dem Kettengeflecht, was er darüber trug und merkte, wie letzteres immer unangenehmer zu drücken begann und sich langsam immer steifer zu bewegen schien. Kettenhemden pflegt man mit Öl, das schlimmste, was einem passieren kann, ist das der Schutz eines Kriegers einrostet, kamen ihm die Worte in den Sinn, die einst sein Lehrmeister zu ihm gesprochen hatte, als er noch als angehender Schmied sein Dasein im Hafenviertel von Kohrinis gefristet hatte. Doch im Prinzip war es ihm in diesem Moment egal, er versuchte, seine Aufmerksamkeit voll und ganz auf Redsonja zu lenken, die immer noch mit schier unerschöpfbarer Kraft voraneilte, sodass Ferol nun doch etwas zurückfiel, während sie einen Waldrand passierten und sich kurze Zeit später zwischen lichten Baumreihen wiederfanden.
Ferol ächzte und sog tief die feuchte Luft ein, als Redsonja ihre Geschwindigkeit zu seiner Erleichterung etwas verlangsamte. Ihm war bisher keine Zeit geblieben, sie zu fragen, was es mit dem nächtlichen Ausflug und ihrem abrupten, unerwarteten Verschwinden auf sich gehabt hatte. Auch hatte es ihn gewundert, dass sie auf einmal wieder hinter ihm aufgetaucht war und ihn kurz angehalten hatte. Was diese Dinge zu bedeuten hatten, würde er an anderer Stelle fragen, erst einmal galt es, ihr weiter zu folgen, denn sie schien zu wissen, wohin sie lief, und dabei vertraute der Söldner ihr voll und ganz, obgleich er nach ihrem nächtlichen Verschwinden auch anderes hätte tun können. Doch einen Vorwurf machte er der Rothaarigen noch immer nicht. Sie würde ihre Gründe haben. Und dieses Mal wird sie mir sie vielleicht auch offenbaren, schoss es ihm durch den Kopf, während er ihr wieder nachlief und durch am Boden kauernde Büsche und Sträucher brach.
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Nach den vergangen Stunden hätte man wirklich meinen können, es gäbe keine Steigerung mehr. Die Eiergroßen Hagelkörner aber bewiesen das Gegenteil, binnen weniger Sekunden mischten sich immer mehr weiß-silberne Flecken in den bisher grau-braunen Schleier vor Sentinels Augen. Ohne viel Zeit zu verlieren tat er es Frost gleich und spannte seinen Kapuzenumhang wie eine Plane über den Kopf.
Den Blick noch weiter gesenkt als sonst, starrte er auf seine Füße die ihn so schnell es bei dem weichen Grund möglich war von dannen trugen. Monotonie stellte sich bei der Betrachtung nie ein: Einmal wurde ein Blatt in den Schlamm gestampft, ein andermal zerbrach ein dürrer Ast an seinem Schienbein; und über ihm das stetige Wummern der Hagelkörner, die auf die Plane prasselten.
Minutenlang hetzte der Gardist so hinter Frost her, nur ab und zu hob er den Blick um nach seinem Vordermann zu schauen. Gerade als er wieder nach unten blickte geschah es: Er sah den Ast kommen, dick und ziemlich stabil. Dennoch war Sentinel nicht mehr im Stande, rechtzeitig die Beine anzuheben. Er biss die Zähne zusammen, kurz darauf knallte er mit dem Schienbein dagegen. Strauchelnd und nach vorn stolpernd lies Sentinel den Umhang los um sich abzustützen. Noch im Fallen spürte er einen heftigen Schlag gegen den Kopf, an seiner Schläfe machte sich ein taubes Gefühl breit. Dann kamen seine Hände am Boden auf, der Morast wich zur Seite und er klatschte mit dem Gesicht in den Schlamm. Wasser, zersetzt mit Dreck drang in seinen Mund und ließ ihn ausspucken. Langsam stemmte sich Sentinel hoch und versuchte sich den Schlamm aus dem Gesicht zu schütteln. Neben ihm Schlugen weitere Hagelkörner ein und in eine Pfütze direkt vor ihm tropfte Blut. Eins der eisigen Geschosse hatte ihn am Kopf erwischt. Wirklicher Wahnsinn …
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Gesteinigt durch Hagelkörner. Was für ein glorreiches Ende für diese Reise.
Sheyra hatte ihre Decke ausgerollt, um sich vor dem Hagel zu schützen. Selbst durch den Stoff hindurch waren die Aufschläge verdammt schmerzhaft. Das würde blaue Flecken geben. Eine Menge blauer Flecken. Wenn sie den nächsten Morgen überhaupt erlebten.
Sie sah, wie Sentinel zu Boden ging und stürzte zu ihm.
„Alles in Ordnung?“
Blöde Frage – das Blut war Antwort genug. Sheyra half ihm beim Aufstehen – ein Hagelkorn erwischte sie am Handrücken – und versuchte ihn zu stützen. Bockmist, dachte sie, die Hand schüttelnd. Es prickelte und die Hand fühlte sich taub an, doch ihre Finger bewegten sich noch. Zähne zusammenbeißen. Das konnte doch nicht ewig so weitergehen.
“Vater!“
Shilendra hatte sich zu Frost durchgekämpft. Um sie herum zischte und dampfte die Luft: Körner zerplatzten wenige Zentimeter von ihr entfernt zu Wasser oder lösten sich plötzlich in Dampf auf.
„Bist du wahnsinnig?!“
Sie packte Frost an der Schulter.
„Wir werden hier alle sterben! Deine eigene Tochter wird umkommen!“
Frost riss sich los. Sein rechtes Auge flackerte grell.
„Und was schlägst du vor?! Was, verdammt nochmal?! Jede verschwendete Sekunde senkt unsere Chancen!“
Götter, bitte steht uns bei, schützt uns durch euren Segen, lasst uns diesen verdammten Tag überleben...
„... es gibt eine Ruine, nicht weit von hier. Eine alte Burg – vielleicht finden wir dort Schutz.“
„Dann führt uns dorthin, aber macht es verdammt nochmal schnell!“
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Lehrling
"Feuer!", hallte es durch die Gassen.
"Feeeeuuuuuuuuuueeeeeeeeeeeeeeeer!"
Hinter Buck wurden Fenster aufgeschlagen, Passanten blieben verwundert stehen, Kinder bekamen Panik und hochschwangere Frauen Frühgeburten.
Von Rauch keine Spur.
"Feeeeuuuuuuuuuueeeeeeeeeeeeeeeer!"
Dort, am Kai sitzend: Humm. Die Rettung. Buck sammelte seine Kräfte, griff noch einmal weiter aus und...
Humm saß geistesabwesend vor sich hinhummend am Kai und ließ die Beine baumeln, als hinter ihm lautes Geschrei und polternde Stiefel zu hören waren. Ohne geistesgegenwärtiger zu werden, schob er einen gefüllten Wassereimer in Richtung des Lärms.
Buck sah den Wassereimer, atmete innerlich auf und versenkte den hochroten Kopf im kühlen Nass. Nach einigen Sekunden tauchte er luftschnappend wieder auf.
"Die neue Soße hat's in sich, hm?", meinte Humm.
"Ja", prustete Buck, "Die hat's in sich."
Er warf seinem Kollegen einen misstrauischen Blick zu.
"Warum hast du beim Mittagessen nicht auf mich gewartet? Du hättest mich warnen können."
Humm ließ weiter die Beine und vieles andere baumeln.
"Heute ist der zwölfte Tag des zwölften Monats", antwortete er vielsagend.
"Ah", sagte Buck, "Soso."
Bestimmt wieder was mit seinen ehrenwerten Vorfahren, dachte er sich. Humm ist immer so. Manchmal, an bestimmten Tagen.
"Und was machst du hier so?"
Humm seufzte lang und tief.
"Ich muss nachdenken."
"Ah", sagte Buck, "Soso."
Bestimmt wieder was Wichtiges, dachte er sich. Das ist typisch Humm. Manchmal, zumindest. Der weiß was.
"Hmm", sagte Humm und fuhr sich durch den Bart.
Vierzig Sekunden später hob er den Kopf.
"Weißt du was?", fragte er Buck. "Ist nicht so wichtig."
Das freute Buck.
"Das heißt, du hast jetzt gar nichts zu tun?"
"Hmm", meinte Humm, strich sich durch den Bart, nickte schließlich und sagte: "Genau."
"Toll", sagte Buck und setzte sich neben seinen Freund. "Ich nämlich auch nicht."
Dann starrten sie gemeinsam auf das Meer hinaus.
Irgendwo, tief in den Schatten des Standes eines Fischhändlers verborgen, glitzerte es bösartig aus winzigen, blassblauen Äuglein. Diese Spinner, dachte sich Tschaggy, die Händchen reibend, Diese blöden Idioten. Warum er das dachte, wusste er selbst nicht, doch es erschien richtig. Diese großen, plumpen Tölpel. Wenn die wüssten...
Taten sie aber nicht.
Der Moment war günstig, die Luft war rein und das Messer gewetzt. Hämisch grinsend trippelte Tschaggy aus seinem Versteck. Seine flinken Beinchen trugen ihn lautlos und dennoch mit beachtlicher Geschwindigkeit auf die beiden ahnungslosen Gardisten zu.
Diese elenden Vollhorste...
Grinsend hob Tschaggy das Messer.
"Boah, wo hast du denn die her?", rief Buck auf einmal, eine kleine, struppelige Puppe in der Hand haltend.
"Hmm", machte Buck, "Die gehört mir nicht."
"Ich wusste gar nicht, dass du sowas noch hast", meinte Buck, mit großen Augen die Puppe begutachtend.
"Das ist nicht meine", wehrte sich Buck, "Die gehört bestimmt einem dieser Khorisianer."
Nimm deine Pfoten da weg!, fluchte Tschaggy. Verdammt – irgendein Mistkerl hatte sein schönes Messer durch Billigware made in Myrchana ersetzt. Wenn er den in die Finger bekommen würde...
"Schau mal!", rief Buck voller Begeisterung, "Da kann man sogar die Arme bewegen!"
Aaarrgh!, dachte sich Tschaggy, Du kugelst mir den Arm aus, du Arschgeige! Der Schmerz, DER SCHMERZ!
"Zeig mal her", sagte Humm, nach der Puppe greifend. Erfüllt von wissenschaftlichem Tatendrang drehte er zuerst den linken Arm einmal im Kreis, bevor er die Beine im 180° Winkel auseinanderdrückte. "Hmm. Das ist ja toll."
Das war's, dachte Tschaggy. Aus, vorbei, der Traum vom Nachwuchs. Hinter seinen Glasäuglein zerplatzten die Träume von Hunderten schnuckeliger Babymörderpüppchen wie Seifenblasen.
"Ah!", sagte Humm auf einmal, "Ich weiß, was das ist."
"Was denn?", wollte Buck sofort wissen.
"Wuhduh", sagte Humm.
"Wuh-duh", wiederholte Buck.
"Wuhduh", bestätigte Humm. "Das ist eine Wuhduh-Puppe."
"Das ist ja interessant", meinte Buck. "Und was bringt so ein Ding?"
"Das ist quasi wie Ma-Gie", erklärte Humm. "Es heißt, dass man mithilfe dieser Puppen Macht über denjenigen ausüben kann, den sie verkörpern."
Buck reckte den Kopf nach vorn, damit er die Puppe besser sehen konnte. Schön war sie ja nicht gerade...
"Und wen stellt sie da?"
Sekundenlang starrten Humm und Buck auf die Puppe. Dann wechselten sie einen Blick und grinsten.
"Monsieur LeChuck!"
"Bingo!", schnippte Buck. "Los, erzähl, wie funktioniert das?"
"Also", begann Humm, "Zu allererst brauchen wir irgendeinen persönlichen Gegenstand von LeChuck. Ein Haar oder sowas würde bereits reichen."
"Na so ein Zufall – schau mal, was ich heut morgen in seinem Bett gefunden hab."
Zwischen Bucks Fingern kringelte sich ein langes, dunkles Haar. Humm wollte besser gar nicht wissen, wo genau dieses Haar gelegen hatte.
"Toll", sagte er stattdessen, "Das sollte reichen."
Was hast du mit dem Ding vor, dachte Tschaggy voller Panik, Weg mit dem Ekelding! Nein, nicht anfassen, weg, Aus, Pfui!
"So, und jetzt?"
"Jetzt nehmen wir diese Nadel", Humm zauberte eine lange, gefährlich spitz blitzende Nadel hervor, "Uuuuuund..."
Naaaaaaaaaiiiiiiiiiin! Aufhören, Aufhören, Aufhöööööööören! Das ist Folter, Missbrauch von unbelebten belebten Gegenständen, Verstoß gegen die – Yeaaaaaaaaaaargh!
Irgendwo aus Richtung Kaserne erscholl ein gellender, langgezogener Schrei. Humm und Buck begannen zu kichern. Buck riss die Puppe wieder an sich.
"Lass mich auch mal!", meinte er.
Mittels seinem Feuerzeug (TM) hatte er binnen weniger Sekunden den Hintern der Puppe in Flammen gesteckt.
Au, ist das heiß! Heiß, heiß, autsch, Flammen, Feuer – ich brenne!
"Feeeeuuuuuuuuuueeeeeeeeeeeeeeeer!", gellte es diesmal aus Richtung der Kaserne.
Hinter den beiden Gardisten blieben zwei Passanten kopfschüttelnd stehen.
"Was ist denn heut mit der Garde los?", fragte der eine.
"Keine Ahnung", meinte der andere, "Muss an der neuen Soße liegen."
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Erst, als sie die Ruinen erreicht hatten setzten die wahren Schmerzen ein. Redsonja blickte Ferol leicht benebelt an. Ein Hagelballen hatte sie am Kopf getroffen und hatte bewiesen, dass ihr Schädel doch nicht ganz so hart war, wie sie einst geglaubt hatte. Zu allem Übel hatten sie jetzt Zeit. Denn sofern der Hagel nicht plötzlich von der Seite her auf die Beiden zugeflogen kam, waren sie vorerst sicher. Allerdings hütete sich Redsonja davor diese Möglichkeit völlig auszuschliessen, denn es konnte ihr keiner weismachen, dass dieses Unwetter einen natürlichen Ursprung hatte.
„Eigentlich wollte ich dich ja auf die Probe stellen.“ Begann die ehemalige Söldnerin mit der Stimme gegen das Toben anzukämpfen. „Dies hier war jedoch nicht ganz geplant.“
Sie lächelte leicht verlegen und dennoch konnte ein wachsamer Beobachter ein spitzbübisches Leuchten in ihren Augen erkennen.
„Wenn wir hier heil rauskommen...“ Sie brach ab. Sollte sie jetzt schon voreilige Versprechungen machen. Dies war wohl noch unvorsichtiger, als sich jetzt nochmals der Wucht dieser Himmelsgeschosse auszusetzen.
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Mit jedem Schritt, den Sentinel auf dem weichen Boden machte, schien sein Kopf weiter aufgepumpt zu werden. Jedenfalls die Stelle an seiner rechten Schläfe. Bei jedem Aufsetzten des Fußes breitete sich ein dumpfes Pochen kreisförmig davon aus. Wirklich stark blutete es zwar nicht, der Regen vermischte sich mit dem roten Lebenssaft und milderte so den äußeren Eindruck. Trotzdem sehnte er den Unterschlupf – die Burgruine – herbei. Einfach nur im trockenen sitzen und einen des der Hagelkörner gegen die Platzwunde drücken, dass war es was Sentinel wollte.
Es dauerte nicht mehr lange, dann sollte das Flehen des Gardisten erhört werden. Die Gruppe war in den vergangen Minuten stetig berauf gelaufen was das Vorankommen zwar noch weiter erschwerte, sie aber hoffen lies. Burgen wurden ja für gewöhnlich in erhöhter Position errichtet. Und tatsächlich, Frost dessen glänzender Panzer Sentinel stetig vor sich gesehen hatte, verschwand urplötzlich. Er war verschluckt worden, von Schwärze. Ein paar Schritte später fand sich auch der Gardist im Schatten wieder – und im trockenen. Ringsum grob gehauene Steinblöcke.
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Fröstelnd drückte sich der Söldner in den Schutz der kahlen, kalten Mauer, die alt und stellenweise mit feuchtem Moos bewachsen schien. Schneidender Wind wehte mit beständiger Heftigkeit durch Ritzen in dem alten Gemäuer, in welchem Redsonja und er vorerst Zuflucht gesucht hatten vor dem Unwetter, das immer heftiger zu werden schien. Die Regengüsse, die immer mehr Wassermassen mit sich gebracht hatten und den Boden des umliegenden Geländes in einen morastartigen Untergrund verwandelt hatten, waren letztendlich sogar von regelrechtem Hagel abgelöst worden. Die Eisigen Körner, die dabei mit beinahe tödlicher Wucht immer schneller auf die durchweichte Erde zu treffen schienen, hatten eine für Ferol schier unglaubliche Größe. Noch nie hatte der Söldner Hagelkörner von dieser Größe, nämlich fast der eines durchschnittlichen Apfels, zu Gesicht bekommen. Und mit Bedenken an seine noch immer schmerzenden Glieder wünschte er sich fast, dies auch niemals getan zu haben. Sie hatten ihn einige Male erwischt, und noch immer zeugte pochender Schmerz der Stellen, an denen sie ihn getroffen hatte, von ihrer Wucht, mit der sie aus den sich am Himmel auftürmenden, schwarzen Wolkenformationen stürzten. Sein Kopf war dabei verschont geblieben, die Folgen eines solchen Treffers an der falschen Stelle mochte er sich erst gar nicht ausmalen. Glücklich schätzte er sich da, daß sich Redsonja bei Erkennung der drohenden Gefahr an diese alten Mauern erinnert hatte, die laut ihr näher als die Höhle lag, aus der sie drei Nächte zuvor aufgebrochen waren, und in der sich wohl noch die anderen fünf aufhalten mußten.
Er sah auf zu der Gildenlosen, die mit leerem Blick in das wilde Treiben außerhalb ihrer Zuflucht zu starren schien. Vorhin hatte sie etwas sagen wollen, wohl eine Erklärung für die Ereignisse seitdem sie Ferol aus der Höhle geführt hatte. Doch etwas hatte sie davon abgehalten. Ihn kümmerte es wenig. Er stellte es ihr nach wie vor frei, ihn über Dinge zu informieren, die um ihn herum geschahen, auch wenn es ihn manchmal brennden interessierte und er der Rothaarigen zu gern alle Fragen auf einmal entgegenwerfen würde, die sich in seinen Gedanken angestaut hatten. Doch er erinnerte sich flüchtig an einen Moment während ihres vorigen Marsches, als Redsonja mit etwas Abstand voraus geeilt war und abrupt inne gehalten hatte, um wenig später, nachdem Ferol wieder aufgeschlossen hatte, weiterzueilen. Nur ein Warten oder...
„Hat dich vorhin eines der Hagelkörner am Kopf getroffen?“, fragte er laut um das monotone Trommeln des Hagels zu übertönen und sprach damit die schlimme Vermutung aus, die ihm soeben vorgeschwebt war. Langsam drehte sie sich ihm nun zu.
„Du hast es nicht mitbekommen? Ja, eines dieser übergroßen Hagelkörner hat mich tatsächlich getroffen und läßt mir noch immer den Kopf brummen. Aber dieses Unwetter ist mir sowieso suspekt, es scheint...“, sie verstummte, blickte flüchtig zu Boden.
...keinen natürlichen Ursprung zu haben, ergänzte Ferol in Gedanken und wußte nach einem Blick in ihre grünen Augen, daß er richtig gelegen hatte. Schon beim ersten Anblick der pechschwarzen Wolken am Himmel hatte sich ihm die Frage gestellt, wie die Natur etwas derartiges vollbringen konnte. Er lehnte sich zurück an die Mauer und lauschte dem außergewöhnlich lauten Trommeln des Hagels. Doch wenn nicht sie es war, wer dann?
Geändert von Ferol (13.12.2006 um 21:28 Uhr)
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Die Burg war eingesunken. Zuerst ein Stück nach rechts und dann in die Felsklippe, auf die sie gebaut war. Vielleicht hatten die Erbauer zu tief gegraben. Vielleicht hatte sich der Fels nach ein paar Jahren als nicht so stabil wie ursprünglich gedacht erwiesen. Vielleicht hatte auch irgendein Gott die Kernburg aufgehoben und dann achtlos fallengelassen, da etwas anderes nach seinem Augenmerk verlangte. Ein Erdrutsch war es jedenfalls nicht gewesen.
Einst war es eine große Festung, ein festes, stabiles Bollwerk gewesen. Der Wald war im weitem Umkreis gerodet und die Überreste einer zweiten Mauer warfen ihren Schatten auf den Berghang. Der Weg auf die Klippe führte über steil ansteigende Steinstufen, die manchem Angreifer zum Verhängnis geworden waren. Das Haupthaus selbst saß auf seinem Felsenthron wie ein König, der dem Untergang seines Landes beiwohnte.
Dies war eine Burg der Geister und schlechten Träume, denn sie war nicht freiwillig aufgegeben und verlassen worden. Die zerfallenen Gebäude erzählten eine andere Geschichte. Zwischen den verkohlten Balken einer Schmiede lag der Rost auf blanken Klingen, die noch halb im toten Feuer lagen. Aus dem Loch der Ställe drang der Moder und im verfaultem Stroh schliefen die Gebeine stolzer Rösser. Von einem Wachturm, dessen holzgedecktes Dach eingefallen war, wehte ein Leichentuch von einem Banner, dessen ursprüngliche Farbe unmöglich zu erkennen war. Selbst die Geister von Krähen, die im Sommer zwischen den halbverfaulten Balken nisteten, schienen aus den Ritzen und Löchern im Mauerwerk zu starren.
„Dieser Ort hat böse Erinnerungen“, sagte Sheyra, den Blick über die Kadaver verblichener Wandteppiche und niemals zu Grabe getragener Stelltische wandern lassend.
Draußen schlug der Hagel gegen die Mauern des Palas. Der gesamte Hauptkorridor war ein gutes Stück nach rechts geneigt. Bilder, deren Motive schon vor Jahrzehnten gestorben waren, hingen wie kaputte Fensterläden von den Wänden. Das Laufen wurde zu einer Wanderung über ein Schiff mit starker Schlagseite.
„Wie lange ist diese Ruine bereits verlassen?“, fragte Frost.
„Ein paar Jahrzehnte“, antwortete Shilendra, „Ich weiß es nicht genau. Kannte sie nie anders.“
„Sheyra“, wandte sich Frost an seine Tochter, „Sucht einen Platz, an dem wir ein Lager aufschlagen können, ohne Richtung Tal zu rutschen. Sentinel – könnt ihr laufen? Wir brauchen genug Holz, um ein ordentliches Feuer zu machen. Anderenfalls holen wir uns in den nassen Kleidern noch den Tod.“
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Laufen konnte er noch, fürwahr. Nur war es immer mit dem dumpfen Schmerz an der Schläfe verbunden.
„Ich werde uns Holz besorgen“, sagte er kurz angebunden. Er machte auf dem Absatz kehrt und lief den Korridor zurück. Ein warmer und trockener Raum war nun bedeutend wichtiger, als über eine lächerliche Platzwunde zu nörgeln. Außerdem konnte er bei der Gelegenheit gleich etwas Eis zum kühlen mitnehmen.
Während er den breiten Gang wieder Richtung Ausgang stapfte, lauschte er dem Hallen seiner Stiefel, diese übertönten das gepolter des Regens und des Hagels zur Verwunderung Sentinels. Sein Blick schweifte zu den Seiten und blieb ab und zu kurz an einem Bild hängen. Mindestens die Hälfte war nicht mehr zu erkennen; nur noch vergilbtes, weißes Pergament innerhalb eines morschen hölzernen Rahmens. In manchen jedoch konnte man noch Portraits, Wappen oder alte Landschaftsbilder erkennen. Durch das Abschälen der oberen Pergamentschichten, wirkten die Gesichter der Herrschaften absurd gruselig. Wie Untote, die noch mitten im Verwesungsprozess waren.
„Argh“, Sentinel stöhnte und schüttelte den Kopf. Dumme Idee, sofort fing sein Kopf wieder das Anschwellen an. Er sollte froh sein mit Frost und Sheyra den Unterschlupf gefunden zu haben, sie würden die Nacht über hier bleiben und morgen einfach wieder verschwinden. Kein langer Aufenthalt, ein Kommen und Gehen in der verlassenen Ruine.
Der Gardist hatte das Ende des Koridors erreicht, wenig später drückten seine Hände ein schweres, eisenbeschlagenes und löchriges Tor auf. Sein Blick schweifte über den Burghof, auf den Pflastersteinen zerplatzten immer noch Hagelkörnen und Regentropfen – wenn auch nicht mehr so zahlreich wie noch vor ein paar Minuten. Zurück in den Wald, aus dem sie gekommen waren, wollte Sentinel nicht mehr gehen. Stattdessen würde er sich am Felsmassiv umsehen, in das die Burg eingelassen war. An ihm sollten einige Bäume wuchern, deren Äste er einsammeln würde. Die Hände über den Kopf schlagend hastete er über den Hof auf die Felswand zu, dort angekommen musste er feststellen, dass im Schatten des Steines doch keine Bäume zu finden waren. Fluchend blickte er sich um, rechts von ihm war ein großes Stück aus einem Wall heraus gebrochen, dahinter konnte er die Spitzen einiger Tannen erkennen.
„Na toll, jetzt geh ich doch wieder in den verdammten Wald, nur von einer anderen Seite aus“, dachte er sich, während er über durch das Loch in der Mauer kletterte. Er konnte von Glück reden, dass er ob seiner Wunde nicht allzu schnell voranging. Direkt hinter dem Wall ging es einen steilen, grasigen Hang hinab. Vorsichtig und an Wurzeln und Ästen festhaltend glitt der Gardist hinab ins Unterholz. Dort angekommen fand er sofort, weshalb er überhaupt hier war. Unzählige Äste, Zweige und Baumrinden überzogen den feuchten Waldboden. Rasch klemmte er sich dutzende der Teile in die Ellbeuge, danach machte er sich wieder an den Anstieg. Trotz einiger Rückschläge – verursacht durch Ausrutscher auf dem Gras und einem weiteren Treffer eines Hagelkorns – kam Sentiel wieder im Burghof an. Schnell überquerte er selbigen und fand sich an den Treppen des Haupthauses wieder.
„Aah“, Sentinel rief aus. Kurz bevor er die Stufen emporstieg, fiel ihm der zweite Grund seines kurzen Ausfluges in die Natur ein. Lächelnd bückte er sich und griff nach den Überresten eines Hagelkorns. Dieses in der einen und das Feuerholz in der anderen schritt er durch das Portal.
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„Wollen wir nicht nach...“ Mitten im Satz erstarrte Redsonja. Ihr Gesicht verlor sämtliche Farbe. Ferol schien es nicht anders zu gehen. Wie von Geisterhand hatte sich die morsche Tür des Hintereingangs zu diesem Schloss geöffnet. Kein Knarren war zu hören, nur das Pfeifen des Windes, als er sich in den Gang presste.
Die ehemalige Söldnerin brauchte einen Moment, um die Fassung wieder zu gewinnen.
„Nach drinnen gehen, wollte ich eigentlich sagen. In Anbetracht der Tatsache, dass hier irgendetwas nicht zu stimmen scheint, bin ich mir jedoch nicht mehr ganz sicher, ob das eine gute Idee ist.“
Ferol schaute sie kurz an und entgegnete schlussendlich: „Wenn wir hier draussen bleiben und die Temperatur weiterhin so rasant sinkt, werden wir erfrieren.“
Redsonja nickte. Er hatte Recht. So zog sie Shadowsong aus seiner Halterung und ging voran. Bald waren sie jedoch von Dunkelheit umgeben und die junge Frau begann eine Fackel aus ihrem Beutel zu kramen. Der Zunder wirkte feucht und sie brauchte mehrere Anläufe, bis er endlich die Funken auffing und zu glimmen begann.
Im Schein der Fackeln durchforsteten die beiden die zum Teil noch erstaunlich gut erhaltenen Gemäuer der Schlossruine und gelangten schliesslich in einen Raum, der wohl einst das Aufenthaltszimmer gewesen war. Ein einladender Kamin überzeugte sowohl Schüler, als auch Lehrmeisterin hier vorerst zu verweilen. Da sogar noch Scheite daneben aufgestapelt waren, liess sich Redsonja auf den Knien in der Asche nieder und machte sich daran ein wärmendes Feuer zu entfachen.
Als es endlich knackend vor sich hinbrannte, schaute sie sich etwas genauer um. An der Wand hinter ihr hing ein Spiegel – oder besser gesagt noch einige Teile davon. Der Rest lag am Boden verteilt. Spinnweben verliehen dem ganzen noch etwas mehr Atmosphäre. Plötzlich hörte die Waldläuferin ein seltsames Geräusch. Es erinnerte so sehr an zusammenschlagendes Besteck. Sie war Ferol einen fragenden Blick zu, doch dieser schien ebenso ratlos.
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Der Speisesaal sah aus, als hätte dort eine Orgie stattgefunden. Stühle, Teller, Krüge und Geschirr lagen frei über den Hallenboden verteilt oder sammelten sich in einem dichten Pulk auf der abwärtsgeneigten Längsseite des Saals. Die große Tafel stand quer und hatte sich am Kamin verkantet. Wie ein Ruderboot, das auf Grund gelaufen war, ragte das andere Ende bis in die Mitte des Raumes. Kommoden, Schränke und Regale waren aufgrund der Schräglage teils durch den gesamten Raum geschlittert, um an der Wand zu zerschellen. In der Mitte des Saals pendelte ein Kronleuchter an einer Kette, an deren oberen Drittel der Rost saß. Die Kerzen auf seinen Armen hatten sich lange Bärte wachsen lassen, zwischen denen ab und an Glas blitzte. Obwohl Frost keinen Luftzug spürte, schwankte der Leuchter sanft hin und her. Manchmal, nach einer etwas heftigeren Bewegung, klimperte das Glas leise.
Die einzigen Ruinenbewohner, die sich nicht an der beachtlichen Schräglage des Palas störten, waren die Spinnen, die unter der Decke und in den Ecken des Saales große Seidenteppiche gesponnen hatten.
Frost trug seinen eigenen Teil zur Restauration der Burg bei: Mit seinem Schwert kürzte er zwei der Tischbeine und rückte die große Tafel mit Sheyras Hilfe in eine Ecke, damit sie eine zumindest fast waagrechte Fläche bildete. Kurze Zeit später kehrte Sentinel zurück und trug unter einem Arm Feuerholz, während er sich eines der Hagelkörner an den Kopf drückte.
Frost schüttelte den Kopf.
„Sentinel“, seufzte er. „Ich fürchte, Ihr müsst erst einmal lernen, Euren Kopf richtig einzusetzen. Was bringt es, wenn Ihr kämpfen könnt, aber gleichzeitig nicht wisst, wie Ihr am Leben bleiben sollt? Seht Euch um: Die ganze Burg ist voll mit Holz, das schon beim kleinsten Funken in Flammen aufgehen wird. Ihr sollt denken, nicht blind irgendwelchen Befehlen folgen.“
Immer dasselbe mit diesen Jungspunden, dachte er sich. Er erinnerte sich noch gut an Lehna und Estaron, die sich tatsächlich mit einem Luzkan anlegten, nur weil sie ihren Auftrag fehlinterpretiert hatten. Keinen Respekt vorm eigenem Leben...
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