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    Ehrengarde Avatar von Gorr
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    Details waren schwerlich auszumachen, doch langsam, ganz langsam gewöhnte sich sein Auge an das wenige Licht, das ihn erreichte, das sich jedoch gleißend hell ausnahm, wenn man gefühlte tausend Jahre in Finsternis verbracht hatte. So erschien es ihm. Sein Körper war vollkommen steif, als wäre er in Blei gegossen, auf einem eisernen Thron, der ihn in seiner Umklammerung hielt - und tatsächlich saß er. Als hätte er sich gerade erst vor ein paar Augenblicken zu seiner Familie an den Mittagstisch gesetzt. Die Ellenbogen vor sich auf den Tisch gestützt, die Hände wie zum Tischgebet vor dem Mund gefaltet. Moment. Familie? Welche Familie? Er war allein in der kühlen, finsteren Stille.
    Sein Rückgrat war steif als hätte man ihm einen stählernen Speer durch den Leib getrieben und ihn festgepinnt wie einen gefangenen Schmetterling hinter Glas. Er spürte keinen Schmerz. Er spürte gar nichts, außer der Kälte, die ihn von unten durchdrang. Das wenige Bisschen, das er erkennen konnte, ergab zudem keinen Sinn. Die gewaltige Struktur vor ihm, die in der Tat ein Tisch sein mochte, schien aus dunklem, glänzenden Stein geschlagen. Er sah seine in sich verschlungenen Hände, seine massiven, venigen Unterarme, die eine gerade Linie zu dieser lithischen Tischplatte bildeten - und er sah seinen Bart, der durch seine Hände, sich an seinen Armen herabrankankelt, wie eine Schlange sich windend, auf den Tisch hernieder ging und sich von dort wie Efeu in sämtliche Richtungen ausbreitete. Und ... im Tisch verschwand? Aus Tisch bestand? Zu seinem Entsetzen stellte er fest, dass all dies, was er sah, aus dem selben schimmernden Material geschlagen zu sein schien. Der Tisch. Der Efeu, der sein Bart war. Seine Unterarme. Selbst die feinsten Härchen auf seiner Haut. Die Haut selbst, glatt und unnachgiebig. Aus Stein. Alles aus Stein.

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    Ehrengarde Avatar von Gorr
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    Das wollte erstmal verdaut werden. Er war aus Stein. Aber war er das? Wirklich? Wie sollte er dann sehen können? Mit dem rechten Auge zu zwinkern war unangenehm, aber etwas bröckelte von ihm ab, wenn er es trotzdem versuchte. Das linke Auge rührte sich kein Stück.
    Obwohl er seine Gliedmaßen nicht spürte, probierte er es mit den Fingern. Er schloß das rechte Auge um sich auf das Gefühl zu konzentrieren, seine Gedanken in die richtigen Bahnen zu lenken. Es kribbelte - und Wärme schien in die Spitze seines rechten kleinen Fingers zu steigen. Wie ein Stein, der den gesamten Tag der direkten Sonneneinstrahlung ausgesetzt gewesen war und diese Energie nun selbst verströmte. Eine Wärme die er scheinbar schon seit Äonen nicht verspürt hatte.
    Er setzte alles daran, sich diese Energie zunutze zu machen. Sein Finger zuckte, zitterte und brach sich Bahn. Winzige Haarrisse entstanden und pulsierten, öffneten und schlossen sich kaum merklich bei jeder Regung. Die Risse wurden länger, verästelten und verzweigten sich, vertieften sich. Dann endlich brach der Stein. Etwas fiel von ihm ab. Er öffnete das Auge und sah nun das verletzliche Fleisch seines kleinen Fingers aus der steinernen Umarmung seiner Hände ragen. Wie ein Würstchen im Teigmantel sah der Finger aus - aber er rührte sich und setzte neue Energien frei. Er war nicht aus Stein - er war nur von einer Schicht Stein ummantelt! Das gab ihm neuen Mut. Seine Finger krümmten und streckten sich, so weit es eben ging. Die Handflächen presste er ineinander als wollte er das Gestein zwischen ihnen zerreiben - und gewissermaßen gelang ihm das. Mehr und mehr Risse zeigten sich. Mehr und mehr Steinmasse fiel von ihm ab, wie loser Putz von einer feuchten Wand. Er ballte die ineinander verschränkten Hände zu einer gemeinsamen Faust - und sprengte schließlich seine Fesseln.

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    Ehrengarde Avatar von Gorr
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    Jetzt, wo seine Hände frei waren, sah die Sache doch schon ganz anders aus. Er drehte die Handgelenke und brach mehr und mehr von der ihn ummantelnden Gesteinsschicht weg. Es knirschte und platzte und bröckelte, das es eine wahre Freude war. Bald waren seine massiven Unterarme frei und er konnte endlich sein Gesicht fassen, auch wenn seine Ellenbogen noch immer fest mit dem Tisch vor ihm verbunden waren. Sein Gesicht fühlte sich kalt und glatt wie Marmor an. Doch da sein rechtes Auge schon ein wenig frei lag, hatte er wenigstens etwas, woran er sich buchstäblich festhalten konnte - so begann er mit den Fingern nach und nach das Loch um sein Auge immer mehr frei zu prökeln und je weiter er kam, desto größer wurden die Stückchen, die er mit einem Mal abbrechen konnte. Was für eine Erleichterung. Im wahrsten Sinne. Das Gestein war schwergewichtig und hatte ihn geradezu in seiner sitzenden Position niedergedrückt. Festgehalten. Doch nicht für alle Zeit. Nicht ihn.
    Vom Gesteine befreit waren Stirn und Fläche, frei die Augen, was für ein belebendes Glück. In die Finsternis ging hinaus sein Blick.
    Das Szenario, das sich ihm bot, war andersweltlich. Phantastisch und grausig zugleich. Wie ein antikes Gemälde oder Mosaik, das nur für ihn, vor ihm, in Szene gesetzt worden war.
    Ruckartig knickte er seinen Kopf, erst links, dann rechts, und brach damit den Nacken frei. Doch sein Bart war weiterhin fest mit dem Tisch verbunden. Er folgte den versteinerten Strängen, die sich wie Efeu herabwanden und über den Tisch verliefen. Um den Tisch. In den Tisch? Sein Bart musste, solange er hier war, weitergewachsen sein und hatte sich in liebender Umklammerung mit seiner steinernen Umgebung vereint. Wo das eine begann und das andere aufhörte, war nicht auszumachen. Doch das war noch nicht das Wunderlichste, was seine Augen ihm preisgaben.

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    Ehrengarde Avatar von Gorr
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    Irgendwie traute er seinen Augen nicht, doch von wirklicher Bedeutung war jetzt, sich endlich zu befreien. Sonst würde er hier in dieser verfluchten Höhle womöglich noch verhungern - oder vor Langeweile sterben. Er sammelte alle Kraft, die er noch in sich spüren konnte und spannte sämtliche Muskeln auf einmal an. Seine Brust schwoll genauso an wie seine Arme und Beine, der Rücken wurde breit und spannte sich gleichzeitig wie ein Bogen, seine Hinterbacken waren gerade so fest, dass man Nüsse damit hätte knacken können.
    Und dann schließlich entlud sich alle Anspannung in einer Explosion aus einem wutentbrannten Schrei, davonfliegenden Steinscherben und einer gewaltigen Staubwolke, als er es schaffte, in einer singulären Bewegung die Arme hochzureißen, aufzuspringen und den Kopf in den Nacken zu reißen. Als der Staub sich legte, stand er immer noch so da, der gesamte Körper wie aus dem Stein gemeißelt, jede Muskelfaser unter der Haut definiert und hart. Splitterfasernackt. Wie aus dem Ei gepellt.
    Seine Kleidung, wie auch seine Rüstung, waren zu Stein geworden - und nun gesprengt. Als der gellende Schrei aus seinem bärtigen Mund schließlich versiegte und sämtliche Luft aus seinen Lungen entwichen war, klappte der bärige Mann nach vorn über zurück auf den Tisch, mit dem sein Bart noch immer verwachsen war. Doch auf dem Tisch lag eine zweischneidige, reich verzierte Axt, überzogen mit Spinnweben und Staubschwaden sah sie aus, als hätte sie schon hunderte Jahre an diesem Ort gelegen. Doch als seine kräftige, aderige Hand mit den langen, breiten Fingern den lederumwickelten Griff umschloss, konnte er spüren, dass es seine war. Wie lange war es her?
    Entschlossen hob er die Axt über seinen Kopf hinaus und ließ sie auf den Tisch niedersausen, wo sein Bart darin wurzelte. Sie grub sich mit einer Kerbe in den Stein und zerbarst dabei das versteinerte Haar. Er taumelte, die schwere Axt brachte ihn aus dem Gleichgewicht, das er so lange schon nicht mehr benötigt hatte.
    Plötzlich stand er mitten in der kühlen Luft der sich um ihn ausbreitenden Dunkelheit der Höhle. Die Haare in seinem Nacken stellten sich auf. Es herrschte vollkommene Stille.
    Die Szenerie, die sich ihm bot, beleuchtet durch das kleine Loch irgendwo über ihm, war absurd - und er hatte keine Erklärung dafür. Es standen drei Gestalten vor ihm. Zwei davon, links und rechts, waren in in schwere, klobige Rüstungen gehüllt. Die Schultern bedeckt mit Schattenläuferfellen, eine Schulter mit schweren Panzerplatten umschlossen, auf der Brust ein kreisrunder Metallpanzer mit ähnlich ornamentalen Verzierungen wie auf seiner Axt. Es sah beinah wie die gleiche Handschrift aus - wenn man bei solchen Schmiedearbeiten von Handschrift reden konnte. Die beiden Männer, Söldner womöglich, waren versteinert. In Ihren Bewegungen eingefroren. Der Linke hatte versucht, seine Augen mit dem Arm gegen etwas abzuschirmen, als wäre er bedroht, von einem durchdringenden Licht geblendet zu werden. Der Rechte stand da mit erhobenem Schwert, weit ausholend in einem breiten Stand, als hätte er alle Kraft, die er aufzubringen vermochte, versucht in diesen Schlag hineinzulegen. Sein Schwert wiederum steckte im Hals der dritten, mittleren Gestalt. Deren Augen waren eigenartigerweise auf die polierte, glänzende Schwertklinge gerichtet, während sich ihre vier Arme abwehrend in beide Richtungen zu den Männern links und rechts von ihr streckten. Offensichtlich war es zum Kampf gekommen. Und niemand hatte dabei gewonnen.
    Durch die Versteinerung konnte man noch immer ihre Hautstruktur erkennen, die in der Körpermitte von großen Schuppen bedeckt und dann nach außen hin von immer kleineren Schuppen gesäumt war. Die Hüfte lief nach unten in einen schlangenhaften Schwanz aus, wo eigentlich Beine hätten sein sollen. Das Ende des Schwanzes war nicht zu sehen. Er war gewaltig. Ebenso gewaltig waren die 6 Brüste, die prall und forsch aus ihrem Torso hervorsprangen. Die Paare wurden größer, je höher der Blick wanderte und die versteinerten Brustwarzen waren lang und ersteift wie Fingerspitzen, die noch immer auf ihn zu zeigen schienen, nach all der Zeit. Er wünschte, er hätte sich im ersten Augenblick der Begegnung mit dieser Kreatur mehr mit diesem Anblick auseinandergesetzt. Denn er fürchtete, dass sein Blick eher auf das Gesicht der Schlangenfrau gerichtet gewesen war, deren Haare aus kleineren, aufgeregt in sämtliche Himmelsrichtungen gestreckten Schlangen bestand, die mit weit aufgerissenen Mäulern von ihrem Haupt abstanden. Als wollten sie entfliehen. Als wären sie ebenso erschrocken, wie die versteinerten Männer um sie herum, als die Vier aufeinandergetroffen waren.
    Er schien der einzige zu sein, der die Begegnung überlebt hatte. Wenn auch nicht, ohne Verluste. Von seiner Kleidung abgesehen waren seine Erinnerungen daran, wo er war, was er hier getan hatte und wer er überhaupt sein mochte sehr verschwommen. Wenn nicht abhanden gekommen. Doch Eines stand für ihn fest: diese Höhle würde er nun hinter sich lassen.
    Mit festem Griff umklammerte er seine Axt und begab sich in die Richtung, aus der ein frischer Hauch in die Höhle wehte.

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    Ehrengarde Avatar von Gorr
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    Die Sonne strahlte und hüllte ihn in wohlige Wärme, als Gorr aus dem Höhleneingang heraustrat. Was er damals hier gesucht hatte oder was ihn hergeführt hatte - er wusste es nicht mehr. Wie lange es her war? Keine Erinnerung. Er warf sich die schwere Streitaxt über die rechte Schulter und stellte sich breitbeinig vor dem Eingang auf, um sich zu sammeln, und sah dabei wieder beinahe wie eine sorgfältig positionierte Statue aus. In Wirklichkeit ging er tief in sich. Versuchte sich zu erinnern.

    Das stärkste Bild, das in ihm aufstieg, als die Sonne sein Gesicht küsste, war diese Frau. Diese wunderschöne, üppige Frau, mit vollem, dichtem Haar das teilweise wie dicke Hefezöpfe geflochten war. Ihre runden, rötlichen Backen und ihre dunklen Rehaugen erschienen vor seinem geistigen Auge. Er konnte festen, schweren Teig zwischen seinen Fingern spüren. Große, runde, wohlgeformte Brotlaibe. Beinah zu groß, um sie mit zwei Händen zu fassen. Goldbraun und warm und duftend und lecker. Helle, saftige Brötchen mit herrlich glatter Oberfläche. Und dieser unglaublich herrliche Duft nach Mehlstaub, Puderzucker und Zimt. Noten von Vanille, Nelken und Ingwer in der Luft. Es war eine belebende Erinnerung, die nicht nur seine Muskeln straffte.

    Keine Frage. Das war seine Frau. Und wenn es nicht seine Frau war, dann musste sie es werden. Er musste sie finden. Und plötzlich wusste er, was zu tun war. Er musste in den Süden. So marschierte er los. Im Adamskostüm über den Feldweg, die Axt auf der Schulter, beschwungenen Schrittes. Jetzt hatte er ein Ziel vor Augen und die Müdigkeit und Trägheit seines steinernen Gefängnisses fiel nach und nach von ihm ab. Er kostete die letzten Strahlen der untergehenden Sonne aus und freute sich kindisch über jedes Zeichen gedeihenden Lebens um ihn herum.

    Er sog den harzig-würzigen Duft der Nadelbäume tief in sich auf. Beobachtete flauschige Kaninchen, die über Wiesen tollten und sah die wundervollsten Frühlingsblumen blühen. Er beugte sich hinab und griff in das bunte Getümmel, um eine davon zu pflücken. In seiner groben Hand nahm sich das zierliche Pflänzchen winzig aus und überstrahlte mit seiner Schönheit doch alles was er seit langem gesehen hatte. Er hob es an seine Nase um daran zu riechen - und heraus flog ein pummeliges, flauschiges Wesen, der dicke Hintern mit Blütenstaub gepudert, die Flügel im Vergleich zum rundlichen Körper so winzig, dass man sich wunderte, dass es überhaupt zu fliegen vermochte. All dies nahm er in einem einzelnen Wimpernschlag wahr. Er folgte dem drolligen Wesen mit seinem Blick. Betrachtete, wie es gemächlich davon flog. Dann fokussierten seine Augen ein Objekt in der Ferne. Ein steil aufragendes Gebäude im Südosten. Ein merkwürdig aussehender Turm.
    Und so marschierte er entschlossen weiter in diese Richtung.

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    Ehrengarde Avatar von Gorr
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    Gorr war die ganze Nacht lang durchmarschiert. Nach all der Zeit im Sitzen war es, als ächzte und sehnte sich sein Körper nur so nach Bewegung. Der Turm war im Mondlicht immer zu sehen gewesen. Irgendwie umgab ihn ein gewisses... Etwas. So richtig konnte er es nicht fassen.

    Sein Geist drehte sich aber auch um etwas ganz anderes. Diese Frau. Diese unfassbar schöne, faszinierende Frau. Er musste bei ihr sein. Er wollte sich an ihrem süßen Duft laben, seine kräftigen Hände in ihre Hüften graben und sie über sich erheben, wie es einer Königin seines Herzens gebührte. Sein ganzer Körper war durchströmt von Optimismus und Glücksgefühlen und Frohsinn. Auch das trieb ihn mächtig an, voranzukommen.

    Diese Frau war ein Geschenk der Götter - und sie nur aus Erinnerung heraus zu betrachten, sie nicht in den Arm schließen, nicht mit ihr reden zu können, schmerzte ihn beinah körperlich. Das ganze Glück, das er verspürte wollte aus ihm heraus. Er wollte es mit ihr teilen. Er wollte sie in Komplimenten baden. Und konnte es nicht.

    Dann wurden seine Gedanken abrupt beendet. Er war da. Nicht am Turm, direkt. Sondern am Fuße einer steil aufragenden Klippe, die sich halsbrecherisch über das Meer erhob - und darauf stand wiederum der Turm. Gorr wurde schwindelig als er an den Aufstieg dachte. Plötzlich wich alle Kraft, die er eben noch so überdeutlich gespürt hatte, aus seinem Körper. Und er wurde furchtbar müde. So entschied er, hier an dieser Stelle erst einmal Rast zu machen, bevor er den Aufstieg wagte.

    Am Wegesrand fand er einen von Büschen zugewucherten Karren, aus dessen hölzernen Eingeweiden noch Pfeilschäfte herausragten. Auf der Ladefläche lag eine halb verrottete, bemoste Plane, mit der wohl einst die transportierten Waren abgedeckt worden waren, von denen ansonsten keine Spur mehr übrig war. Er kletterte auf die hölzerne Ladefläche und rollte ein Stück herunter, da eines der Räden gebrochen war und der Wagen nun ein wenig abschüssig da stand. Er drapierte die morsche Plane über sich, so gut er konnte, umklammerte mit beiden Armen seine Streitaxt und fiel sofort in einen tiefen, festen Schlaf.

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    Kämpfer Avatar von Thara
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    Der Zirkel um Xardas im Forenrollenspiel
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    Etwas grunzte. Thara schlug verschlafen die Augen auf und blinzelte. Das Grunzen ertönte noch einmal. Lauter diesmal. Näher. Thara setzte sich auf, drehte sich um… und starrte genau in das Gesicht einer unförmigen, haarlosen Monstrosität, kaum eine Armeslänge von ihr entfernt. Ein breiter Kopf mit einem ebenso breiten Maul voller gelber, spitzer Zähne saß auf einem gedrungenen Körper, der von kurzen, kräftigen Beinen getragen wurde. Die Haut der Kreatur war faltig und unter einer Dreckschicht aus Erde und totem Laub von einem sonderbar rosig wirkenden Farbton. Kleine schwarze Augen in tiefliegenden, von Knochenwülsten geschützten Augenhöhlen waren auf Thara gerichtet und schienen sie zu taxieren.
    Einen Moment lang starrten sie sich beide nur an, als wüssten sie nicht, was sie von dem jeweils anderen halten sollten.
    Dann senkte die Kreatur drohend den Kopf und stieß ein heiseres Quieken aus. Das Geräusch riss Thara aus ihrer Schreckstarre. Ohne nachzudenken, trat sie panisch nach dem Vieh. Ihr nackter Fuß traf es genau auf die Nase.
    Obwohl es kein kräftiger Treffer war, war das Tier für einen Moment überrascht und zog sich einen Schritt zurück. Thara nutzte die Gelegenheit, um sich aufzurappeln. Das Vieh quiekte erneut und hopste auf Thara zu. Es schnappte nach ihr. Das Mädchen sprang gerade noch zur Seite, um den kräftigen Kiefern zu entgehen, und brachte ein wenig Abstand zwischen sich und die Kreatur.
    Thara sah sich panisch um. Sie befand sich in einer kleinen Höhle, nicht groß, kaum mehr als ein Spalt, der ein paar Meter in den Fels hinein reichte. Nach ihrer Flucht aus der Stadt war sie blindlings in den Wald gelaufen. Sie hatte weder auf den Weg noch auf die Zeit geachtet, hatte sich einfach nur durch das Unterholz gekämpft, weiter, immer weiter, bis bereits der rötliche Schimmer des ersten Morgengrauens über dem Horizont aufgetaucht war. Es hatte leicht zu nieseln begonnen und ihre Glieder waren bleischwer gewesen, als sie sich schließlich dazu entschied, eine Rast einzulegen. Sie hatte diesen Felsspalt gefunden, war hineingekrochen, hatte sich einfach auf dem Boden zusammengerollt und war fast augenblicklich eingeschlafen.
    Wie sich herausstellte, hatte sie es sich, ohne es zu ahnen, in der Wohnstatt dieser Kreatur gemütlich gemacht. Jetzt erst bemerke sie zwischen dem Laub und den Ästen am Boden die Knochen, Federn und Fellreste kleinerer Tiere. Der Bewohner der Höhle war kein Vegetarier. Und er stand nicht nur genau zwischen Thara und dem rettenden Ausgang, sondern zu allem Überfluss lag auch noch ihre Tasche, an der auch ihr Messer befestigt war, so, dass sie erst an dem Tier vorbeimusste, um sie erreichen zu können.
    Die Kreatur stieß erneut ein drohendes Quieken aus und kam langsam näher. Thara wich zurück, aber sie hatte nicht mehr viel Raum. Fieberhaft suchte sie den Boden nach irgendetwas ab, womit sich verteidigen konnte, und entdeckte einen langen Ast, halb bedeckt von totem Laub und Moos. Sie zerrte daran, aber die Rinde war glitschig und löste sich, so dass sie kaum Halt fand. Die Kreatur kam indessen immer näher. Verzweifelt verdoppelte Thara ihre Anstrengungen, und endlich gelang es ihr, den Ast unter den Steinen hervorzuziehen, die ihn eingeklemmt hatten. Es war alles andere als eine überzeugende Waffe, krumm und morsch, wie er war, aber sie hatte kaum eine andere Wahl – mit einem eher verängstigt als tapfer klingenden Kampfschrei stürzte sich Thara auf ihren Gegner und ließ den Ast in hohem Bogen auf seinen Kopf niedersausen. Die Kreatur quiekte überrascht auf und hopste einen Schritt nach hinten, schien sonst aber nicht sonderlich beeindruckt zu sein. Thara holte erneut aus, aber diesmal reagierte die Kreatur mit einer Schnelligkeit, mit der sie nicht gerechnet hatte – die Kiefer schnappten zu und schlossen sich um den Ast. Mit einem kräftigen Ruck seines massigen Schädels riss das Tier Thara die Waffe aus der Hand und brachte sie zudem aus dem Gleichgewicht. Noch vom Schwung ihres Angriffs getragen, taumelte Thara nach vorn, stolperte an ihrem Gegner vorbei und landete unsanft bäuchlings auf dem Erdboden.
    Das Biest grunzte, fast als wäre es belustigt, und ließ es Ast fallen. Thara rappelte sich panisch auf alle Viere und versuchte, kriechend aus der Reichweite der muskulösen Kiefer zu kommen. Ihr Gegner setzte ihr nach. Hatte das Vieh bisher noch eher ein wenig unschlüssig gewirkt, so schien es jetzt beschlossen zu haben, dass der Eindringling wohl keine große Gefahr darstellte und ein nettes Frühstück abgeben würde, auch wenn da vielleicht nicht viel Fleisch auf den Knochen war.
    Thara schlug sich die Knie auf den kantigen Steinen auf, aber sie achtete nicht auf die Schmerzen und krabbelte weiter. Durch ihren misslungenen Angriff stand das Vieh jetzt zumindest nicht mehr zwischen ihr und dem rettenden Höhlenausgang. Nur, das würde ihr alles nichts bringen, wenn sie den Ausgang nicht erreichte, weil sie zu langsam war. Und das war sie. Das Biest war schon fast bei ihr. Noch zwei oder drei Sprünge, und es würde nach ihren Knöcheln schnappen!
    Verzweifelt vergrub Thara ihre Hände im steinigen Erdboden, packte so viel Erde, Laub und Steinchen, wie sie konnte, und schleuderte sie dem Tier entgegen. Es funktionierte – das Vieh hielt kurz inne und schüttelte den breiten Kopf. Thara zögerte keine Sekunde. Sie rappelte sich unbeholfen auf und stürzte aus der Höhle, im Vorbeirennen griff sie sich noch ihre Tasche. Sie hörte das empörte Quieken und Grunzen der Kreatur hinter sich, drehte sich aber nicht um. Sie rannte, so schnell sie ihre Beine trugen, achtete nicht darauf, wie dorniges Gestrüpp ihre Haut aufriss und ihre Haare immer wieder im Geäst eines Baumes hängen blieben. Ihr Denken existierte kaum noch. Alles, was zählte, war die Flucht...

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    Kämpfer Avatar von Thara
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    Der Zirkel um Xardas im Forenrollenspiel
    Thara ist offline
    Thara rannte, bis ihre Lungen brannten und sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Erst, als ihr Körper die weitere Zusammenarbeit verweigerte, blieb sie stehen und stützte sich schwer keuchend an einem Baumstamm ab. Furchtsam spähte sie in die Richtung, aus der sie gekommen war, ob sie das Biest aus der Höhle nicht etwa verfolgte, aber es war nichts zu sehen. Oder zu hören. Lediglich die Vögel zwitscherten im Geäst der Bäume und der Wind rauschte in den Wipfeln.
    Langsam beruhigte sich Thara und ließ sich erschöpft auf den Boden sinken. Sie lehnte sich gegen den Baumstamm und schloss kurz die Augen. Was war das für ein Ding gewesen? Sie hatte so etwas noch nie zuvor gesehen, aber das war nicht weiter verwunderlich – sie hatte in ihrem Leben die Grenzen der Stadtmauern bislang vielleicht ein knappes dutzend Mal verlassen, und dann nur in Orins Begleitung, wenn er sie am Waldrand Reisig für den Kamin sammeln ließ. Im Wald selbst war sie noch nie gewesen. Alles, was sie kannte, waren die Geschichten der Ammen aus dem Waisenhaus. Und diese Geschichten waren ganz offensichtlich vor allem dazu gedacht gewesen, die Kinder davon abzuhalten, in den Wald zu laufen.
    Trotzdem waren sie, wie Thara realisieren musste, ihre einzige Wissensquelle. Sie hatte kaum einen Anhaltspunkt, welche der Kreaturen und Monster, die in den Geschichten der Ammen vorgekommen waren, wirklich existierten und welche nicht. Aber das Biest in der Höhle war echt gewesen. Sie dachte nach, ob sie es aus den Beschreibungen wiedererkannte, und nach einer Weile fielen ihr tatsächlich einige Geschichten ein, in denen ähnliche Tiere eine Rolle gespielt hatten. Nur, dass sie in diesen Geschichten stets als harmlos dargestellt worden waren, sie verspeisten allenfalls die unvorsichtigen Helden der Geschichte, nachdem diese von größeren, weit gefährlicheren Bestien zu Tode gebracht worden waren, und dienten sonst eher selbst als Beute für Jäger. Molerats, erinnerte sich Thara – so lautete die Bezeichnung…
    Sie zog die Beine an den Körper und legte den Kopf auf ihre Knie. Sie kam sich verloren vor. Alles um sie herum war so fremd, so unbekannt… Sie wusste nichts über den Wald. Nichts! Und wenn dieses Biest von vorhin, diese Molerat, wirklich so harmlos war im Vergleich zu anderen Dingen, die zwischen den Bäumen vielleicht noch lauerten? Welche Chance hatte sie da überhaupt, jemals lebend wieder herauszukommen?
    „Scheiße…“, murmelte Thara und vergrub die Hände in ihren Haaren, zog an ihnen, bis es schmerzte. Tränen traten ihr in die Augen. „Scheiße, scheiße, scheiße!“
    Verflucht, konzentrier dich!, forderte sie sich selbst auf. Sie ließ ihre Haare los und atmete tief ein und aus. Ruhig bleiben… Ich muss ruhig bleiben!
    Sie musste heraus aus dem Wald. Vielleicht nicht gleich in die nächste Siedlung, aber… zumindest irgendwo hin, wo nicht so viele unbekannte Gefahren lauerten. Mühsam überredete Thara ihre erschöpften Beine dazu, aufzustehen, und sah sich um. Es musste doch einen Weg geben… Irgendeinen Hinweis, der ihr sagte, welche Richtung sie einschlagen musste? Doch egal wohin sie schaute, alles, was sie sah, waren Bäume, Bäume und noch mehr Bäume. Es sah alles gleich aus.
    „Scheiße…“
    Was sollte sie tun? Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wo sie war und wie sie sich zurechtfinden konnte. Wohin sollte sie gehen? Wenn sie die falsche Richtung einschlug und nur noch tiefer in den Wald geriet… oder zurück nach Thorniara… auf der anderen Seite, wo wollte sie überhaupt hin? Sie hatte nicht einmal ein Ziel!
    Sie schloss erneut die Augen.
    „Bist du da?“, fragte sie leise. Aber es antwortete nicht. Jedenfalls nicht direkt. Thara hatte plötzlich den Eindruck, irgendwie spüren zu können, in welche Richtung sie sich wenden musste. War das tatsächlich der Fall, oder spielte ihr überreizter Geist ihr nur einen Streich, um sie davon abzuhalten, völlig durchzudrehen? Einerlei. In irgendeine Richtung musste sie gehen, und nachdem sich sonst keine der Richtungen irgendwie von den anderen Unterschied, konnte sie auch einfach auf ihre Intuition vertrauen.
    Thara atmete noch einmal tief durch, schulterte ihre Tasche und machte sich auf den Weg.

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    Kämpfer Avatar von Thara
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    Der Zirkel um Xardas im Forenrollenspiel
    Thara ist offline
    Thara nagte an den letzten Resten der Käserinde, die neben dem steinharten Kanten Brot ihren einzigen Proviant darstellte, und versuchte, einfach an nichts zu denken. Die Strahlen der Sonne fielen warm und angenehm auf ihre nackte Haut. Ihre Wanderung hatte sie auf eine kleine Lichtung geführt, an der ein Bach entlangplätscherte, und sie war einfach erschöpft zusammengebrochen. Sie hatte sich einfach dort hingelegt, wo die Sonnenstrahlen einen Weg durch das Blätterdach fanden, und war in einen tiefen, traumlosen Schlaf versunken. Als sie irgendwann wieder aufgewacht war – die Sonne war inzwischen weitergewandert, Thara lag im Schatten und frohr – hatte sie versucht, sich im Bachlauf ein wenig zu waschen und auch ihr Kleid zu säubern. Ihr einziges Kleidungsstück starrte vor Dreck (genau wie sie selbst). Ein Großteil davon war noch immer Orins Blut, das halb getrocknet die ganze Vorderseite des Kleides besudelte. Das Wasser des Baches war jedoch eiskalt und ihr taten bald die Hände weh, als sie versuchte, den Dreck aus dem Stoff zu reiben. Totzdem, zumindest ein wenig sauberer als vorher war ihr Kleid jetzt und lag nun zum trocknen in der Sonne.

    Thara nutzte die Zeit, sich noch ein wenig auszuruhen und etwas zu essen. Sie hatte hunger… Vor ihrer Rast hatte sie kaum bemerkt, wie hungrig sie eigentlich war, aber jetzt fühlte sie sich, als könnte sie ein ganzes Schwein verspeisen. Oder eine ganze Molerat, dachte sie, wenn die nicht mich fressen würde… Sie musste sogar kurz lächeln bei dem Gedanken.
    Trotzdem war ihr bewusst, dass sie bald etwas zu essen würde auftreiben müssen. Die Käserinde, deren letzte Brösel sie gerade herunterschluckte, und das Brot, das sie, um es genießbar zu machen, im Bachlauf einweichen lassen musste, würden sie nicht weit bringen. Thara wusste, dass es jede Menge essbare Dinge im Wald gab. Genauso, wie es jede Menge Dinge im Wald gab, die einen umbrachten, wenn man sie verspeiste. Und sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie das Eine vom Anderen unterscheiden konnte…

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    Kämpfer Avatar von Thara
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    Der Zirkel um Xardas im Forenrollenspiel
    Thara ist offline
    Thara pustete vorsichtig in die winzige Flamme, die in dem Zunder emporzüngelte, und legte ein paar halbwegs trockene Stöckchen darauf, in der Hoffnung, dass sie endlich Feuer fingen. Es fühlte sich an, als würde sie schon seit Stunden versuchen, das Lagerfeuer in Gang zu bringen, aber sie brachte nur Qualm hervor. Das Holz war einfach zu nass!
    Den ganzen Tag über hatte die Sonne geschienen, aber jetzt, gegen Abend, war es immer schwüler geworden, dunkle Wolken hatten sich vor die Sonne getürmt und schließlich hatte sich die Spannung in einem Gewitter entladen, bei dem es in Strömen geregnet hatte. Der Platzregen hatte nur wenige Minuten angehalten, aber er hatte ausgereicht, um Thara von Kopf bis Fuß zu durchnässen. Und jetzt, wo die Sonne dabei war, hinter dem Horizont zu verschwinden, fror sie erbärmlich.
    Sie hatte Unterschlupf unter einem überhängenden Felsen gesucht – wobei sie darauf geachtet hatte, nach eventuellen Spuren von Raubtieren Ausschau zu halten – und probierte nun, ein Feuer zu entfachen. Bislang vergeblich. Der Regen hatte alles durchtränkt, sie konnte kaum trockenes Holz oder Laub finden, um die Flammen damit zu nähren. Und mittlerweile ging auch ihr Zundervorrat zur Neige, nach so vielen erfolglosen Versuchen…
    Das Flämmchen züngelte um die dünnen Äste, die Thara ihm hinhielt, aber sonst nichts. Sie schob noch ein trockenes Blatt nach, um das Feuer ein wenig länger am Leben zu halten, aber es schien nicht zu helfen. Die Äste wollten einfach nicht…
    Doch! Endlich! Thara wagte kaum zu atmen und hielt so still wie möglich – gar nicht so einfach, wenn man vor Kälte zitterte wie Espenlaub –, als die Flammen endlich auf einen der Äste übersprangen. Nach ein paar weiteren Sekunden brannte auch der zweite Ast. Mit aller Vorsicht, die sie aufbringen konnte, legte Thara die beiden Ästchen auf die vorbereitete Feuerstelle und schichtete nach und nach weiteres Brennmaterial auf. Angespannt biss sie dabei auf ihrer Unterlippe herum, jede Sekunde rechnete sie damit, dass das Feuer wieder ausgehen würde.
    Aber das Feuer ging nicht aus. Es dauerte eine Weile, aber irgendwann, indem sie behutsam nach und nach das trockenste Material verbrannte, das sie hatte finden können, war die Feuchtigkeit so weit aus den größeren Ästen gezogen, dass sie anfingen zu brennen. Thara tat etwas, dass sie sonst so gut wie nie tat: Sie sprach ein kurzes Dankgebet zu Innos, einen kindlichen Vers, den sie im Waisenhaus gelernt hatte und eigentlich genau deshalb hasste.

    Als das Feuer loderte, rutschte Thara so nah heran, dass die Hitze ihr schon fast die Haut zu versengen drohte. Aber es war ihr gerade recht. Um sie herum versank der Wald in Finsternis, als die Sonne endgültig unterging. Das kalte Licht des Mondes vermochte kaum durch die dichten Baumkronen zu dringen. Aber Thara saß im Schein ihres Feuers, das sie wärmte und schützte.
    Zumindest hoffte sie, dass es sie schützte.
    Das Flackern der Flammen ließ die Silhouetten der Bäume und Sträucher wie gespenstische Schatten tanzen. Immer wieder glaubte Thara, aus dem Augenwinkel etwas sich bewegen zu sehen und fuhr unwillkürlich herum, nur um festzustellen, dass es sich um nichts anderes als Äste oder Blätter handelte. Die Geräuschkulisse änderte sich, als der Gesang der Vögel nach und nach verstummte. Es wurde still.
    Zu still.
    Irgendwann konnte Thara nur noch das leise Knistern des Feuers und das Rascheln des Windes in den Baumkronen hören. Sonst nichts…
    Sie zog das Messer aus der Tülle und presste es eng an ihre Brust. Nervös und ängstlich spähte sie angestrengt in den Wald hinein, aber da war nichts.
    Zumindest nichts, was sie sehen konnte.

    Plötzlich knackte ein Ast ganz in der Nähe. Thara stieß einen kurzen Schrei aus vor Schreck, sprang auf und hielt das Messer in abwehrender Haltung vor sich. Ihre Hände zitterten. Es war ein großer, stabiler Ast gewesen, der Lautstärke des Geräusches nach zu urteilen. Was einen solchen Ast zerbrechen konnte, musste selbst groß sein. Thara starrte in die Finsternis und rechnete jeden Augenblick damit, dass etwas Gewaltiges mit rotglühenden Augen und Klauen wie Fleischermessern auf dem Unterholz brechen würde. Ungebeten kamen ihr wieder die Geschichten aus dem Waisenhaus in den Sinn, von Bestien groß wie zehn Männer, dreiköpfig mit bluttriefenden Schnauzen und dornengespickten, peitschenartigen Schwänzen, mit denen sie ihre Opfer langsam zu Tode malträtierten, bevor sie ihre Schädel aufbissen, um das weiche Gehirn aus der Hirnschale zu lecken. Und die Reste ihres Mahls dann den Molerats zu überlassen…
    Es knackte wieder. Aus einer anderen Richtung diesmal. Thara fuhr herum. War es nähergekommen? Ihr Herz hämmerte gegen ihren Brustkorb und sie umklammerte den Griff des Messers so fest, dass ihr fast die Finger verkrampften. Ihre Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. Irgendetwas war da draußen! Irgendetwas schlich um ihr Lager herum, lauernd, abwartend. Thara konnte es nicht sehen, aber sie spürte es. Sie spürte es mit jeder Faser ihres Körpers. Es war dort draußen, und es labte sich an ihrer Angst. Es war nicht zufällig auf die Äste getreten. Ein solcher Jäger trat nicht unvorsichtig auf einen Ast. Es hatte gewollt, dass Thara wusste, dass es da war…
    Sie schluchzte vor Angst. Das Messer würde nichts ausrichten. Das Feuer würde sie nicht beschützen. Wenn die Bestie angriff, wenn die glühenden Augen aus der Dunkelheit kamen, wenn sich die Kiefer um ihren Schädel schlossen, um ihn zu knacken wie eine Walnuss… Tharas Beine versagten ihr den Dienst und sie sackte kraftlos zu Boden. Das Messer glitt ihr aus der Hand. Welchen Nutzen sollte es auch haben? Sie schloss die Augen, senkte den Kopf und weinte leise. Wartete, dass es passierte.
    Wartete auf das Ende.

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    Doch das Ende kam nicht.
    Thara hatte jedes Zeitgefühlt verloren, während sie völlig verängstigt auf dem Boden kauerte. Neben ihr brannte das Feuer langsam herunter, die Dunkelheit kam Stück für Stück näher. Die Schatten der Bäume streckten sich wie Klauen nach dem Mädchen aus. Thara hörte nichts außer dem Schlagen ihres eigenen Herzens, das panisch wie ein Kaninchen in einem viel zu engen Käfig in ihrem Brustkorb auf und ab sprang, und dem Geräusch ihres Atems, das ihr viel zu laut vorkam. Um sie herum… Stille. Als würde der Wald selbst auf etwas warten…

    Irgendwann – Tharas Feuer war schon fast zur Gänze heruntergebrannt, nur noch eine kleine Flamme züngelte noch in der Glut auf und erhellte kaum noch die nähere Umgebung – rief ein Käuzchen. Es war ein einsamer, klagender Laut, und er verstummte bald wieder. Erneut – Stille. Dann begann eine Grille zu zirpen. Eine zweite antwortete. Eine dritte. Der Ruf eines Vogels, hoch und schrill, den Thara noch nie vernommen hatte. Irgendwo in einem Tümpel begannen Frösche zu quaken.
    Die Geräusche kehrten zurück. Es war, als würde der Wald selbst erleichtert aufatmen. Die Luft schien wärmer zu werden, ja sogar die Dunkelheit weniger dunkel, obwohl der Sonnenaufgang noch Stunden entfernt war und das Mondlicht kaum durch das Dach der Baumkronen gelangte. Thara spürte die Veränderung.
    Es war weg.
    Was auch immer es war…

    Thara wollte fast losheulen vor Erleichterung. Sie biss sich auf den Daumen, um ruhig zu bleiben. Was, wenn sie es sonst wieder anlockte? Sie konnte sich nicht erklären, warum es sie nicht gefressen hatte. Aber eines war sicher – sie musste raus aus dem Wald! Sie gehörte nicht hierher. Der Wald war wie ein lebender, atmender Organismus, und sie war ein Fremdkörper, den es abzustoßen galt. Sie konnte es fühlen
    Thara schichtete vorsichtig neues Brennmaterial in die Glut und fachte ihr Feuer wieder an. Das Feuer war vielleicht das Einzige, was sie heute am Leben erhalten hatte. Wenn das, was dort draußen gewesen war, nicht in den Feuerschein hatte treten können? Sie hatte keine Ahnung, ob das stimmte, aber eine andere Erklärung hatte sie nicht. Und der Gedanke beruhigte sie sogar ein wenig. Er gab ihr ein Minimum an Kontrolle zurück. Sie wollte glauben, dass es so war.
    Thara warf noch einen weiteren Ast in die Glut. Funken stoben. Das Feuer war der Schlüssel.
    Sie musste das Feuer am Leben halten, damit es sie am Leben hielt. Sie hockte sich so dicht an die Flammen, wie die Hitze es zuließ. Bis zum Sonnenaufgang würden noch Stunden vergehen.
    Stunden, in denen sie das Feuer hüten musste…

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    Erschöpft setzte Thara mehr oder weniger mechanisch einen Fuß vor den anderen. Nachdem sie in der vergangenen Nacht kein Auge zugetan hatte, fühlten sich ihre Glieder bleiern an vor Müdigkeit. Sie hatte zwar tagsüber hin und wieder eine kleine Pause eingelegt und kurz geschlafen, aber es hatte nie lange gedauert, bis sie wieder aufgewacht war. Trotz ihrer Müdigkeit war ihr Schlaf nur leicht und unruhig. Zu angespannt waren ihre Nerven wegen der unbekannten Gefahren um sie herum, jedes noch so kleine, fremdartige Geräusch ließ sie hochfahren. Und wenn es kein Geräusch war, dann waren es die Träume. Träume von einer Bestie in der Finsternis, gestaltlos, lauernd, sie umkreisend…

    Sie hatte versucht, so viel Boden gutzumachen, wie möglich. Dabei folgte sie so gut sie konnte der Richtung, die sie eingeschlagen hatte: So, dass die Sonne links von ihr aufging und rechts unter. Sie wusste nicht, wie man diese Himmelsrichtung nannte, aber sie wusste, dass man sich anhand der Sonne orientieren konnte. Eine andere Möglichkeit hatte sie nicht – zumindest nicht, solange sie im Wald gewesen war. Tatsächlich war der Baumbestand nach einer Weile lichter geworden, der Boden rauer und steiniger. Sie musste viel bergauf gehen, was die Reise nicht gerade einfacher machte. Jetzt konnte sie linker Hand das Meer sehen, und zu ihrer Rechten erhoben sich die majestätischen Gipfel des Weißaugengebirges.

    Thara hatte jedoch keinen Sinn für die raue Schönheit der Natur, die sich um sie herum entfaltete. Ihre Füße schmerzten, die bloßen Fußsohlen wund vom Laufen über spitzes Geäst und scharfkantige Steine, sie konnte kaum die Augen offenhalten vor Müdigkeit und sie hatte solchen Hunger, dass sie das Gefühl hatte, ihr Magen würde sich zusammenziehen. Im Wald hatte sie an einem Strauch ein paar rote Beeren gefunden, die sie zu kennen geglaubt und kurzerhand gegessen hatte, aber das war nur ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen. Zumindest hatte sie sich wohl nicht vergiftet. Noch nicht…

    Ihr unmittelbarstes Problem war jedoch, dass sie einen Platz für die Nacht finden musste. Die Sonne war bereits hinter den schneebedeckten Bergrücken verschwunden und das letzte Licht des Abends tauchte die Welt in ein blutiges Rot. Es würde nicht mehr lange dauern, bis es vollkommen dunkel war, und bis dahin musste sie ein Feuer entfacht haben, sonst würde die Bestie sie holen. Der Jäger in der Finsternis.
    Thara wusste, dass er ihr gefolgt war. Woher diese Gewissheit kam, konnte sie nicht sagen – aber das spielte auch überhaupt keine Rolle. Sie hatte gelernt, ihrer Intuition zu vertrauen. Ihrer, oder der ihres ‚Begleiters‘, auch wenn der sich seit ihrer Flucht aus der Stadt nicht mehr zu Wort gemeldet hatte.
    Manchmal glaubte sie, er zog sich mit Absicht zurück, ließ sie aus einer bösartigen Laune heraus im Stich, um sich an ihrer wachsenden Verzweiflung zu ergötzen. Aber, auf der anderen Seite, ohne ihn wäre sie niemals überhaupt so weit gekommen. Wahrscheinlich würden ihre von den Fischen abgenagten Knochen irgendwo am Grund des Hafenbeckens liegen, nachdem ihr Vater sie letzten Endes totgeschlagen oder sie in den Selbstmord getrieben hätte. Vielleicht waren die zeitweiligen Abwesenheiten ihres einzigen Freundes der Preis für seine Hilfe. Oder es gab andere Gründe, wieso er nicht dauerhaft bei ihr sein konnte. Was wusste sie schon über ihn, oder… es? Eigentlich gar nichts.

    Sie erklomm eine Anhöhe und blieb erschöpft stehen, um wieder zu Atem zu kommen – der kleinste Aufstieg kostete sie inzwischen fast mehr Kraft, als sie noch aufbringen konnte – und sich umzusehen. Felsen, Bäume, noch mehr Felsen… Aber nichts sah nach einem guten Lagerplatz aus. Hatte der Wald sie geängstigt, weil er so dicht gewesen war, so uneinsehbar, dann beunruhigte sie jetzt die Offenheit des Geländes. Die wenigen Bäume und Sträucher boten keine Deckung, kein Versteck. Der Jäger würde sie zwar so oder so finden, aber da gab es auch noch andere Gefahren. Profaner, aber dennoch gefährlich. Wölfe vielleicht. Oder Molerats.

    Aber halt – was war das? Thara kniff ihr sehendes Auge zusammen und spähte in den Schatten hinter einer kleinen Baumgruppe ein paar hundert Schritte entfernt. Ja, das sah aus wie die Überreste eines Gebäudes! Eine Ruine, das war klar erkennbar, aber die Mauern standen zumindest noch zum Teil. Vielleicht würde sie dort einen geeigneten Unterschlupf finden können.
    Vorsichtig näherte sie sich. Es stellte sich als ein verfallenes Gehöft heraus, vielleicht die Überreste des Hofes eines Bergbauern. Thara erkannte die Umrisse dreier Gebäude, zwei davon waren aus Holz gewesen und längst völlig in sich zusammengebrochen, das größte aber, das Haupthaus, hatte gemauerte Wände, die noch immer standen, überwuchert von wildem Efeu, aber stabil. Nur das Dach war größtenteils eingestürzt. Die Tür war längst aus den Angeln gerissen und verrottete wohl irgendwo unter dem dichten Bodenbewuchs, aber der Türstock hielt, wenn auch etwas schief. Thara streckte vorsichtig den Kopf hinein und sah sich um – nicht, dass schon irgend etwas das Haus bewohnte. Sie entdeckte jedoch nichts außer den Überresten alter Möbel und durch den Boden wachsende Sträucher. Einen besseren Rastplatz hätte sie sich kaum wünschen können. In einer Ecke hielt noch ein Stück des Daches, so dass sie dort sogar vor Regen geschützt wäre, falls es in der Nacht zu solchem kommen sollte. Die alten Möbel boten sicherlich vorzügliches Feuerholz. Sie trat ein.
    Es war erstaunlich, wie allein die Aussicht darauf, die Nacht in einem verfallenen Gebäude zu verbringen, ihr inzwischen wie das größte Geschenk vorkam. Es beseelte sie mit neuer Energie, und Thara ging daran, ihr Lager vorzubereiten. Sie schichtete Äste und Bretter zu einer Feuerstelle auf und suchte Moos, Efeu und anderes weiches Material zusammen, um es sich halbwegs gemütlich zu machen.

    Als sie eine morsche Tischplatte bei Seite räumen wollte, entdeckte sie das Skelett. Es war nicht sehr groß, der Mensch mochte einst kleiner gewesen sein als sie selbst – ein Kind vielleicht? – und lag verkrümmt zwischen den Überresten der zerstörten Möbel. Die leeren Augenhöhlen starrten Thara an. Sie starrte zurück.
    „Wer bist du?“, fragte sie plötzlich. Natürlich erhielt sie keine Antwort. Trotzdem konnte Thara ihren Blick nicht von dem Skelett abwenden. Wer war es gewesen? Wie war er oder sie gestorben? Thara hockte sich neben den Toten und strich ihm zärtlich über die glatte Stirn. Sie bemerkte etwas im Bereich der Halswirbel und zog es hervor – ein Amulett, bereits vom Grünspan eingefärbt, aber noch als Schutzamulett mit den Symbolen der Götter Innos und Adanos erkennbar. Auf der Rückseite waren Buchstaben eingeritzt, vielleicht der Name des Toten, aber Thara hatte nie zu lesen gelernt.
    „Die Götter, sie… sie haben dich nicht beschützt“, flüsterte sie mitleidig. Einem plötzlichen Impuls folgend, hob sie den Schädel vorsichtig auf. Eine Wurzel, die durch die Halswirbel gewachsen war, musste sie dabei herausziehen wie einen widerspenstigen Nervenstrang. Thara trug den Schädel zu ihrem Lager und platzierte ihn auf einem Ziegelstein neben ihrer Feuerstelle. Der Schädel grinste sie an. Thara lächelte schwach: „Zumindest sind wir heute Nacht nicht allein.“

    Nachts. Das Feuer loderte, seine Wärme und sein Licht gaben Thara Sicherheit. Sie saß gegen die Wand gelehnt und schaute ab und zu auf zu den Sternen, dann wieder zu dem Schädel, der ihr gegenüber lag. Im flackernden Widerschein des Feuers tanzten die Schatten in seinen Augenhöhlen und es wirkte fast, als würde er sich umsehen oder blinzeln. Sein lippenloses Grinsen hatte nichts Bösartiges an sich, fand Thara. Es wirkte eher traurig. Verlassen.
    „Du dachtest, sie würden dich beschützen, hm?“, fragte sie sanft und strich mit der Hand über das Amulett. Sie lachte kurz auf. „Das haben sie uns im Waisenhaus auch immer erzählt, weiß du? Bete zu den Göttern, haben sie gesagt, bete zu den Göttern, sei artig, sei brav, und sie werden dich Schützen und leiten und… und… und diese ganze verlogene Scheiße eben.“
    Thara hob das Amulett an der rissigen Kette und ließ es vor ihrem Gesicht herabhängen. Es drehte sich langsam hin und her. Der Feuerschein beleuchtete mal die eine, mal die andere Hälfte. Innos. Adanos. Gott des Lichts. Gott des Ausgleichs.
    „Wo wart ihr?“, fragte sie verbittert, „Wo war dein Licht, Innos, als mein Vater das Licht in unserer Hütte löschte und zu mir kam? Jedes Mal… habe ich dich angefleht, und du… du… Wo war dein Ausgleich, Adanos, für das, was er mir angetan hat… mir immer noch antut, jede Nacht aufs Neue, wenn ich träumen muss? Ich habe um Gerechtigkeit gebetet, du weißt, das habe ich.“ Sie ließ das Amulett wieder sinken und sah den Schädel an. „Wo waren sie, als man dich getötet hat? Deine Familie… liegt sie auch hier? Habt ihr gebetet, als sie kamen, um euch abzuschlachten? Habt ihr um Rettung gebetet zu Innos und zu Adanos?“
    Thara atmete tief durch und lächelte traurig. Sie spürte Tränen in ihren Augenwinkeln. Nein, die Götter hatten sich nie auch nur einen Dreck um sie geschert. Von ihnen brauchte sie keine Hilfe zu erwarten. Nicht von Innos und nicht von Adanos…
    „Ich habe meinen Vater getötet, weißt du?“, erklärte sie dem Schädel plötzlich, „Und Orin, den fetten Fischhändler. Nicht ganz das, was Innos und Adanos lehren, was?“ Thara lachte schrill auf. „Aber es war Gerechtigkeit! Es war Rettung! Aber nicht durch sie. Ich hatte ein bisschen Hilfe, das ist wahr, aber von keinem von… von den beiden. Aber sie sind… ja nicht die einzigen Götter, nicht wahr? Du musst es doch wissen, du bist bei ihm. Am Ende sind wir alle bei ihm…“
    Sie schloss die Faust um das Amulett, so fest, dass es schmerzte, und sah dem Schädel unverwandt in die leeren Augenhöhlen. Der Schädel blieb stumm, aber Thara fühlte sich, als würde sie in der Dunkelheit, dort, wo einst seine Augen waren, versinken. Es hatte nichts Bedrohliches an sich. Es war eine Dunkelheit, die sich schützend um sie legte wie ein Mantel aus Schatten, der sie vor der Welt verborgen hielt. Eine Ruhe erfüllte sie, wie sie sie noch nie gekannt hatte.
    „Beliar“, hauchte sie…

    Sie war schwerelos. Körperlos. Etwas zog sie hinfort, unter ihr glitten die Berge und Wälder in einer aberwitzigen Geschwindigkeit dahin. Sie wollte schreien, doch ihre körperlose Form hatte keine Lunge, um Luft zu holen, und keine Stimme, um einen Ton zu erzeugen. Am Himmel über ihr türmten sich brodelnde Gewitterwolken und unter ihr wich das Grün der Baumkronen einer pockennarbigen Landschaft aus Asche und schwarzem, geschmolzenem Gestein. Weiter flog sie, bis zu einer Klippe, dahinter der tosende Ozean, der gegen das Steilufer brandete, als ob Adanos‘ Zorn den aufragenden Fels zerschmettern und in den Tiefen des Abyss versenken wollte. Doch die Wut des Meeres würde vergebens sein, denn auf der Klippe thronte der Turm, schwarz, mächtig, zeitlos, wie eine Klaue hob er sich in den Himmel und trotze den Elementen, wie er es schon immer getan hatte und tun würde bis zu dem Tag, an dem sich das letzte Schweigen über alles senkte. Ihr blieb nicht viel Zeit. Ihr wurde nur ein kurzer Blick gewährt, ein Lidschlag nur. Aber sie wusste, was der Turm bedeutete:
    Erlösung.

    Thara schrie und prallte mit dem Hinterkopf gegen die Wand, an der sie sich angelehnt hatte. Der Schädel zersprang mit einem Mal in tausend Teile, das Feuer loderte wütend auf, zischte drohend, und wurde plötzlich kleiner, flackerte nur noch ängstlich, als wäre es ein Hund, den man getreten hatte, nachdem er einen ankläffte. Mit vor Schreck geweiteten Augen öffnete Thara die Faust. Das Amulett war verbogen und mit Blut beschmiert – sie hatte es so fest zusammengepresst, dass sie sich an den scharfen Kanten geschnitten hatte. Die Symbole der beiden Götter waren nicht mehr zu erkennen. Thara lächelte und schleuderte das wertlose Ding verächtlich von sich. Zur Hölle mit den verlogenen Göttern!
    Der Turm.
    Endlich kannte sie ihr Ziel.

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    Kämpfer Avatar von Thara
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    Die Vegetation wurde wieder dichter. Der Weg führte inzwischen die meiste Zeit bergab, und je weiter Thara hinabstieg, umso mehr veränderte sich das Klima. Die Luft wurde wärmer, schwerer… feuchter. Ihr Kleid klebte ihr schweißnass am Körper und sie stützte sich auf einen langen Ast, den sie gefunden hatte und seither als Wanderstab nutzte. Es war gut, etwas zusätzliche Stabilität zu haben, wenn ihr mal wieder kurzzeitig schwindlig wurde. Sie war am Rande ihrer Kräfte, aber sie hatte nicht vor, aufzugeben.

    Die seltsame Vision der vergangenen Nacht hatte Thara neuen Mut, neue Kraft gegeben, um gegen ihre Erschöpfung anzukämpfen. Sie hatte sogar ein paar Stunden geschlafen, auch wenn es nicht ihre Absicht gewesen war – aber als sie wieder aufwachte, brannte das Feuer zwar etwas niedriger, aber es brannte. Der Jäger hatte sich nicht bemerkbar gemacht, obwohl Thara sich sicher war, dass er ihr noch immer folgte. Vielleicht ein Werk ihres… neuen Gottes?

    Sie war aufgebrochen, sobald die ersten Sonnenstrahlen über dem Meer aufgetaucht waren. Es hatte keinen Sinn, zu warten. Die Zeit war gegen sie. Sie hatte zwar vielleicht ein Ziel vor Augen, aber es war alles andere als sicher, dass sie es erreichen würde. Der Hunger, die Strapazen des Marsches und die Ängste, die sie des Nachts durchstehen musste, zehrten an ihren letzten Kraftreserven, und sie hatte keine Möglichkeit, abzuschätzen, wie weit der Weg noch sein würde. Ein Tagesmarsch? Fünf? Zehn? Sie konnte es sich nicht leisten, zu zögern. Sie musste den Turm erreichen, bevor sie zu schwach war, um weiterzugehen.
    Viel Zeit hatte sie nicht mehr.

    Auf einer Anhöhe blieb Thara stehen. Vor ihr lag wieder ein Wald. Die Bäume standen dicht an dicht, ihre Kronen bildeten einen dunkelgrünen Ozean, von dem dampfende Nebelschwaden aufstiegen. Ein Urwald, dunkler und undurchdringlicher als der Wald, den sie bereits durchquert hatte. Thara seufzte resigniert. Sich durch einen weiteren dichten Wald schlagen zu müssen war nicht, was sie sich erhofft hatte. Wenn sie allerdings die verschwommenen, unscharfen Bilder aus ihrer Vision noch richtig in Erinnerung hatte, dann lag hinter diesem Wald die Aschewüste… und auf einer Steilklippe der Turm.
    Entschlossen setzte sie einen Fuß vor den anderen.

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    Mühsam kämpfte sich Thara durch das dichte Unterholz. Seit sie den Urwald betreten hatte, war ihr Vorankommen zu einem Kriechen verlangsamt worden, das ihr schnell ihre letzte noch verbleibende Kraft raubte. Immer wieder musste sie stehen bleiben, weil ihr schwarz vor Augen wurde. Etwas zu essen… sie brauchte unbedingt etwas zu essen! Sonst war sie sich nicht sicher, ob sie das nächste Mal, wenn sie wieder über einen Ast stolperte, noch in der Lage sein würde, wieder aufzustehen.
    Sie sah sich um. So viele Pflanzen… und sie kannte praktisch keine einzige davon. Wie viele mochten wohl essbar sein? Wie viele ungenießbar oder gar giftig?
    Aus einem plötzlichen Impuls heraus, den sie nicht mehr unterdrücken konnte, riss Thara kurzerhand ein paar junge, hellgrüne Blätter von einem Farn und stopfte sie sich in den Mund. Sie stellten sich als zäher heraus, als sie ausgesehen hatten, und schmeckten bitter. Und sie würden ihren Hunger nicht stillen.
    Hinter einem umgestürzten Baum entdeckte sie die Kappen einiger Pilze. Essbar? Sie waren ganz weiß, hatten flach ausgebreitete Hüte mit Lamellen auf der Unterseite und an den schlanken Stängeln so etwas wie kleine Kragen oder Manschetten. Thara überlegte, ob sie solche Pilze vielleicht schon einmal irgendwo gesehen hatte, als Teil des Eintopfes, mit dem die Kinder im Waisenhaus abgespeist wurden, oder zu sonst einer Gelegenheit. Sie konnte sich aber an nichts dergleichen erinnern. Unschlüssig zog sie einen der Pilze aus der Erde. Er hatte eine Art Knolle am unteren Ende, die in der Erde verborgen gewesen war, und verströmte schwach einen süßlichen, nicht unangenehmen Geruch. Ihr Magen rumorte und ihr lief bereits das Wasser im Mund zusammen. Sollte sie es riskieren?
    Bevor sie zu einer Entscheidung gelangen konnte, riss das Krachen von Geäst und das Rascheln von totem Laub sie aus ihren Gedanken. Erschrocken ließ sie den Pilz fallen und suchte kriechend hinter einigen Sträuchern Deckung, während der Lärm anhielt.
    Etwas bewegte sich durch den Wald. Etwas Großes.
    Und es kam näher!

    Thara hielt den Atem an und spähte durch die Äste in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Nach einer Weile brach eine massige vierbeinige Gestalt durch das Unterholz. Das Biest war riesig, bestimmt größer als selbst die größten Männer, die Thara je gesehen hatte. Sein muskulöser Körper war von einem dichten, dunkelgrauen Fell bedeckt und die Vorderläufe waren auffällig länger und kräftiger als die Hinterbeine. Auf seinem massiven Hals saß ein Kopf mit einer gedrungenen Schnauze, dessen hervorstechendstes Merkmal ein langes, dolchartiges Horn war, das zwischen den kleinen gelben Augen hervorragte. Thara erkannte das Wesen aus den Geschichten wieder – das musste ein Schattenläufer sein! Eine der Kreaturen, die eine wirklich tödliche Gefahr darstellten…
    Ängstlich duckte sich das Mädchen noch tiefer ins Gebüsch. Wenn der Schattenläufer sie bemerkten sollte, hätte sie keine Chance. Zu Tharas Glück allerdings achtete das riesige Raubtier nicht weiter auf seine Umgebung. Es machte auch keinerlei Anstalten, seine eigene Anwesenheit zu verbergen, sondern pflügte einfach mit Hilfe seiner schieren Masse und Muskelkraft durch das Unterholz. Der Schattenläufer bewegte sich mit der Selbstverständlichkeit eines Wesens, das keinen Gegner zu fürchten brauchte, weil es niemanden gab, der sich mit ihm hätte messen können. Er war wohl auch nicht auf der Jagd, sondern schien ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben. Der Grund dafür offenbarte sich Thara, als der Schattenläufer noch ein wenig näher herangekommen war: Er hielt den bluttriefenden Kadaver eines kleineren Tieres im Maul, offensichtlich frische Beute. Eine Molerat, wie Thara anhand der kurzen, kräftigen Beine und des breiten Schädels des Beutetieres erkennen konnte. Natürlich, was auch sonst?
    Während der Schattenläufer ohne Eile seinen Weg fortsetzte und dabei nur wenige Meter an Tharas Versteck vorbei trottete, hing ihr Blick an dem Moleratkadaver in seinem Maul, als würde er magisch angezogen werden. Fleisch… frisches Fleisch! Ihr Magen schien sich zu einem steinharten Klumpen zusammenzuziehen und sie befürchtete schon, dass sein Knurren den Schattenläufer auf sie aufmerksam machen würde, während sie allein bei dem Gedanken an etwas gebratenes Fleisch beinahe zu sabbern anfing. Wenn sie nur irgendwie an den Kadaver herankommen könnte…

    Als der Schattenläufer sich langsam von ihr entfernte, überlegte sie nicht lange. Sie wartete, bis er außer Sichtweite war, und folgte ihm – die Spur, die er durchs Unterholz getrampelt hatte, war nicht zu übersehen, nicht einmal für jemanden wie Thara.
    Der Schattenläufer führte sie schließlich zu einer moosüberwucherten Felsformation. In einer Senke unterhalb der Felsen machte er es sich bequem. Thara versteckte sich hinter einem Baum und beobachtete ihn. Das musste sein Lager sein… auf dem Boden lagen die Knochen von dutzenden, vielleicht hunderten von Beutetieren, die meisten schon gänzlich fleischlos und ausgebleicht, andere noch mit verrottenden Fleischresten daran.
    Das riesige Raubtier hatte sich hingelegt und vergrub nun seine Schnauze in dem Moleratkadaver. Es fraß langsam, ohne Eile. Jedes Mal, wenn der Schattenläufer wieder einen Fetzen Fleisch verschlang, rebellierte Tharas Magen – nicht wegen des Anblicks, sondern weil sie fürchtete, dass nichts mehr von der Molerat übrigbleiben würde!
    Trotzdem blieb sie. Es war vielleicht dumm – selbst wenn der Schattenläufer seine Beute nicht gänzlich auffraß, musste sie dann auch noch irgendwie darankommen, und das würde alles andere als ungefährlich, wenn nicht gar unmöglich sein –, aber sie konnte nicht anders. Ihr Hunger ließ es nicht zu, dass sie diese Chance, so aberwitzig gering sie auch sein mochte, verstreichen ließ. Egal was ihr Verstand sagte, ihr Magen war lauter.

    Und vielleicht sollte er recht behalten! Der Schattenläufer fraß nicht den ganzen Kadaver. Tatsächlich ließ er sogar ein gutes Stück seiner Beute übrig, bevor er offenbar satt war. Er begann, in der Mulde herumzugraben, in der er es sich bequem gemacht hatte, rieb sich am Fels, leckte mit einer nervenaufreibenden Ausdauer seine Pfoten sauber – nur schlafen wollte er einfach nicht! Die ganze Zeit haftete Tharas Blick auf dem köstlichen, roten Fleisch der Molerat. Es war wie eine Karotte, die an einem Stock vor ihrer Nase hing, aber unerreichbar blieb.
    Die Zeit, die sie in ihrem Versteck verbrachte und dem Schattenläufer zusah, wie er Schattenläuferdinge tat, während ihre Eingeweide vor Hunger schmerzten, kam Thara wie eine Ewigkeit vor. Mittlerweile war die Sonne auch schon wieder ein ganzes Stück weitergewandert und hatte den Zenit überschritten. Und sie musste noch einen Platz für die Nacht finden…

    Endlich legte das Biest sich hin. Den massigen Schädel auf die Vorderpfoten gebettet, schloss es die kleinen gelben Augen und gähnte noch einmal herzhaft. Thara zwang sich, noch ein wenig länger zu warten, bis sich die Brust des Schattenläufers in einem langsamen, gleichmäßigen Rhythmus hob und senkte. Dann setzte sie alles auf eine Karte. Entweder sie hatte heute Abend etwas zu essen – oder sie würde selbst als Abendessen enden.
    Sie zog ihr Messer und schlich sich so vorsichtig wie möglich in die Senke hinab. Sie wagte kaum zu atmen. Der Moleratkadaver lag kaum zwei oder drei Schritte vom Kopf des schlafendes Schattenläufers entfernt. Falls das Raubtier aufwachte, wäre es vorbei.
    Als sie einen Fuß auf einen flachen Stein setzte, rutschte dieser plötzlich unter ihr weg; er hatte nur auf einem glitschigen Mooskissen gelegen. Thara verlor fast das Gleichgewicht. Im letzten Moment fing sie sich und schlug dabei die Hände vor den Mund. Der Schattenläufer grummelte ein wenig und verlagerte sein Gewicht, während das Mädchen wie zur Salzsäule erstarrt wenige Schritte vor seiner Schnauze dastand. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und Thara fühlte, wie das Adrenalin durch ihre Adern schoss. Noch ein solcher kleiner Fehler…
    Thara wartete, bis der Atem des Schattenläufers wieder so ruhig und gleichmäßig ging wie zuvor, bevor sie sich mit allergrößter Vorsicht weiterbewegte. Sie ging beim Moleratkadaver in die Hocke und fing an, behutsam Stück für Stück möglichst große Fleischfetzen von den angenagten Kochen zu lösen, wobei sie den Schattenläufer keine Sekunde aus den Augen ließ. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt und jedes noch so leise Schaben ihres Messers auf den Rippen der Molerat kam ihr laut wie ein Donnerschlag vor, bei dem sie jedes Mal zusammenzuckte. Zugleich konnte sie sich kaum davon abhalten, sich direkt ein Stück Fleisch in den Mund zu schieben, roh und blutig, völlig egal, Hauptsache etwas zu essen!

    Gerade, als sie dabei war, ein besonders großes Stück aus der Hinterkeule der Molerat zu schneiden, regte sich der Schattenläufer plötzlich. Ob er etwas gehört hatte, oder ob ihn irgendetwas juckte – jedenfalls kratzte er sich mit der mächtigen Vorderpranke hinter dem Ohr. Thara erstarrte. Der Schattenläufer öffnete nicht die Augen, atmete aber lange und schnaubend aus. Er schien sich wieder zu beruhigen, aber Thara hatte das Gefühl, dass er nicht mehr so tief schlief wie noch gerade eben. Was sie vor die Wahl stellte – sollte sie zusehen, dass sie wegkam, oder noch versuchen, das letzte Fleischstück aus dem Kadaver zu lösen?
    Ihr Magen traf die Entscheidung für sie. Wissend, dass es eine ziemlich dumme Idee war, versuchte sie, sich zu beeilen, den Schinken loszuschneiden. Zum Glück war ihr Messer gut geschärft, aber die Haut der Molerat war dennoch zäh und ließ sich nicht ganz ohne Mühe zerteilen.
    Der Schattenläufer bewegte sich wieder. Er schnaufte und schob den Kopf von einer Seite zur anderen. Thara hielt jetzt nicht mehr inne, im Gegenteil, sie schnitt, so schnell sie konnte und riss schließlich das letzte Stückchen einfach mit einem Ruck ab.
    Der Schattenläufer hob den Kopf. Blinzelte.
    Thara sprang auf und rannte, als wäre Innos persönlich hinter ihr her.

    Sie hatte keine Ahnung, wo sie eigentlich die Kraft hernahm, die Senke hochzusprinten, während sie hörte, wie sich das riesige Raubtier hinter ihr erhob, kurz schüttelte und dann ein dunkles, bedrohliches Knurren ausstieß, bevor es sich mit schweren Schritten in Bewegung setzte. Thara strauchelte immer wieder kurz, fing sich aber jedes Mal und weigerte sich dabei beharrlich, das Moleratfleisch loszulassen, das sie erbeutet hatte. Sie stürmte blindlings in den Wald hinein, ignorierte die Dornen, die ihr die Beine (noch mehr) zerkratzten und die Äste, die sich in ihren Haaren verfingen. Wie ein panisches Kaninchen rannte sie mal nach links, mal nach rechts.
    Sie wagte es nicht, sich nach ihrem Verfolger umzudrehen, konnte ihn aber hören. Der Schattenläufer bewegte sich wie schon zuvor ohne Rücksicht zu nehmen durch das Unterholz, die Sträucher und jungen Bäume konnten den gewaltigen Berg an Muskeln und Sehnen, einmal in Bewegung, kaum verlangsamen. Thara rannte, so schnell sie konnte, aber sie hörte, wie die Bestie aufholte. Sie konnte versuchen, die Bäume zu ihrem Vorteil zu nutzen, aber das reichte nicht aus. Der Schattenläufer würde sie am Ende erwischen, wenn sie nicht irgendwo…
    Aus dem Augenwinkel bemerkte sie eine Felsspalte zu ihrer Rechten. Sie war mit Moos und Flechten bewachsen und so schmal, dass sie sich nicht sicher war, ob sie überhaupt hineinpassen würde, aber es war ihre einzige Chance. Wenn sie sich darin verkriechen konnte, dann konnte der Schattenläufer ihr nicht folgen. Sie schlug einen Haken, gerade als ihr Verfolger zum Sprung ansetzte und eine Sekunde später an der Stelle landete, an der sie eben noch gewesen war, und sprintete in Richtung des Felsspalts. Ohne abzubremsen, drehte sie sich einfach nur kurz zur Seite und ließ sich von ihrem eigenen Schwung in den Felsspalt tragen. Das scharfkantige Gestein riss ihr schmerzhaft die Haut auf, aber hinter dem Eingang weitete sich der Spalt ein wenig und sie stolperte in den Zwischenraum zwischen zwei massiven Felsen. Der Schattenläufer brüllte und war mit wenigen Sätzen beim Spalt angekommen, aber er war viel zu groß, um ihr zu folgen. Frustriert hieb er mit der Pranke ein paar Mal nach ihr; Thara schrie und presste sich gegen das Gestein, aber sie hatte Glück. Das Raubtier konnte sie nicht erreichen. Der Schattenläufer brüllte noch einmal, scharrte mit den Pfoten ein wenig in der Erde vor der Felsspalte herum, verlor aber bald das Interesse an der unerreichbaren Beute und trottete zurück in Richtung seines Lagers.

    Thara sackte kraftlos in sich zusammen und schluchzte. Ihre Lungen brannten, sie blutete aus zahllosen kleinen Schrammen und Schnitten, ihre Erschöpfung war total. Sie wusste, sie würde sich heute keinen Schritt mehr weiterbewegen.
    Aber ihre Finger umklammerten noch immer das große, saftige Stück Moleratfleisch. Sie hatte daran festgehalten, als würde ihr Leben davon abhängen, was ja auch nicht ganz weit weg war von der Wahrheit. Weitere Fleischstücken hatte sie in ihrer Tasche. Und der Platz zwischen den Felsen war nicht der schlechteste, um die Nacht hier zu verbringen.
    Thara brabbelte etwas vor sich hin, das vielleicht so etwas wie ein Dankgebet für eine dunkle Gottheit sein mochte.
    Vielleicht war es aber auch nur das Gestammel eines Mädchens, das seine Kräfte längst überstrapaziert hatte.
    Geändert von Thara (09.06.2023 um 20:37 Uhr)

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    Wie hypnotisiert beobachtete Thara das Spiel der Flammen in ihrem kleinen Lagerfeuer. Sie hatte sich nicht getraut, die schützende Felsspalte zu verlassen und daher nicht allzu viel Brennmaterial zusammentragen können, lediglich die toten Äste und Blätter, die in dem nur wenige Meter langen Spalt auf dem Boden gelegen hatten. Sie musste sich das Material also gut einteilen und hoffen, dass es genügen würde, um das Feuer die Nacht über am Leben zu erhalten.

    Zumindest war sie zum ersten Mal seit Tagen wieder satt. Die ersten Stücke des Moleratfleisches hatte sie nur kurz über das Feuer gehalten und dann noch beinahe roh verschlungen, weil sie es einfach nicht mehr ausgehalten hatte. Nachdem der erste Heißhunger gestillt war, hatte sie sich etwas mehr Zeit gelassen und das Fleisch über der kleinen Flamme durchgebraten. Jetzt hatte sie sogar noch etwas übrig: Ein paar Streifen des Fleisches hingen an einem langen Ast über dem Feuer, so dass Hitze und Rauch sie haltbar machen konnten. Jedenfalls hoffte Thara, dass das so funktionierte. Orin hatte ab und an Fische geräuchert, aber er hatte ihr nie erklärt, wie der Vorgang wirklich funktionierte.

    Der Jäger war nun wieder ihre größte Sorge. Das Ding in der Finsternis, das sie verfolgte. Thara versuchte, sich einzureden, dass sie in ihrem Versteck und mit ihrem Lagerfeuer sicher war, aber sie konnte ihre Zweifel darüber nicht unterdrücken. Der Jäger war kein Schattenläufer, der einfach zu groß war, um zwischen den Felsen hindurchzupassen. Der Jäger war… irgendetwas anderes. In ihrer Vorstellung wechselte er immer wieder die Form, von einer dreiköpfigen Bestie zu einer Art knochigen Katze zu einem gesichtslosen, spindeldürren Mann zu einer schwarz geschuppten Schlange zu purer, lebender Dunkelheit… Er konnte sonst etwas sein. Oder alles auf einmal.

    Thara schob einen weiteren Ast ins Feuer und beugte sich über die Flamme, um etwas mehr Wärme abzubekommen. Unterernährt und übermüdet, wie sie war, fror sie selbst in der relativ milden Sommernacht, und ihr kleines Feuer spendete nur wenig Hitze. Aber vielleicht war das sogar von Vorteil, weil es sie davon abhielt, einzuschlafen. Das war ihre größte Angst – dass sie einschlief und das Feuer ausging…
    Sie versuchte, sich zu beschäftigen. Säuberte so gut es ging ihre mittlerweile zahllosen Schrammen und Abschürfungen, klaubte Laub und Ästchen aus ihren verfilzten Haaren, baute kleine Türmchen aus Steinen, probierte, sich einen Speer aus einem langen Ast zu schnitzen (gab es aber bald wieder auf, weil es einfach zu anstrengend war und sie irgendwie keine auch nur halbwegs brauchbare Spitze zu Stande bringen konnte), versuchte, eine Unterhaltung mit ihrem ‚Begleiter‘ zu beginnen, der jedoch nicht antwortete, und dachte über ihre Vision und die Götter nach. Ein wenig fragte sie sich schon, ob diese Vision überhaupt echt gewesen war, oder ob es sich dabei nur um eine Einbildung gehandelt hatte, hervorgerufen durch ihre Erschöpfung und die Entdeckung des Skeletts mit dem Amulett. Sie verdrängte diese Zweifel aber schnell wieder. Musste sie verdrängen, um mit ihrem Ziel nicht auch die Hoffnung zu verlieren und einfach zu zerbrechen.
    Und immer wieder hielt sie inne und lauschte. Lauschte auf die Geräusche des Waldes. Die Grillen, die Nachtvögel, der Wind in den Bäumen – solange sie etwas hörte, war alles in Ordnung. Was sie fürchtete, war die Stille.
    Sie warf noch eine Handvoll Laub ins Feuer und ließ es damit kurz auflodern. Erschöpft streckte sie sich auf dem Boden aus, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah nah oben, wo zwischen den beiden Felsen ein schmales Stück Himmel zu sehen war. Die Nacht war klar und die Sterne funkelten. Die Nacht… Beliars Herrschaftszeit… Würde Beliar ihr wirklich zur Seite stehen, wo die anderen Götter sie im Stich gelassen hatten? Der Gott, von dem sie immer gelernt hatte, dass er nur Böses und Zerstörung bringe? Warum sollte er das tun? Warum sollte Beliar Interesse an ihr haben, ausgerechnet an ihr? Ihre Gedanken kreisten träge um diese Frage, ohne dass sie sich selbst eine Antwort geben konnte. Ihre Augenlider waren schwer wie Blei. Die Grillen zirpten. Der Wind rauschte. Das Feuer knisterte, und hin und wieder rief eine Eule…

    ***

    Thara fuhr hoch. Es war dunkel. Zu dunkel. Wo war der Feuerschein? Sie konnte kaum die Hand vor Augen sehen! Das Feuer war ausgegangen. Nicht einmal die Asche glühte noch. Sie war eingeschlafen, und das Feuer war erloschen!
    „Oh, verdammt, verdammt…“ Hastig tastete sie nach ihrer Tasche, in der sich ihr Feuerstahl befand. Als sie sie nicht sofort fand, spürte sie schon wieder Panik aufsteigen. Ihre Hände fuhren hastig durch Laub und Erde. Endlich fühlte sie unter ihrer Hand das alte, rissige Leder, zog die Tasche zu sich und wühlte sich blind durch die wenigen Gegenstände darin, bis sie den Feuerstahl und das Zunderdöschen gefunden hatte. Die Feuerstelle war gerade noch ein wenig lauwarm; Thara schaufelte an Blättern und Ästen in den kleinen Ring aus Steinen, was auch immer sie zu greifen bekam, schob hastig ein Zundernest aus trockenem Laub zusammen und begann, Funken zu schlagen.
    Ein lautes Knacken.
    Thara erstarrte und wagte kaum zu atmen. Ein Ast, ein großer Ast, der zerbrochen war, ganz in der Nähe. Der Schattenläufer vielleicht…?
    Nein. Sie wusste es besser. Das war nicht der Schattenläufer gewesen. Oder sonst irgendeine natürliche Bestie. Es war still. Zu still.
    Der Jäger hatte sie gefunden.
    Hastig schlug sie weiter mit dem Stahl auf den Feuerstein, aber der als Zunder dienende Feuerschwamm wollte sich einfach nicht entzünden. Indessen senkte sich die Finsternis über sie. Es war nicht die Dunkelheit der Nacht, sondern etwas anderes, etwas Dunkleres, fast schon physisches, das sie umhüllte, kalt und erbarmungslos. Bei jedem Streich des Eisens gegen den Feuerstein glaubte Thara, im kurzen Aufblitzen der Funken Gesichter zu erkennen, verzerrte, entstellte Gesichter, die sie aus toten Augen anstarrten. Die ganze Welt verlor an Konsistenz und zog sich zusammen, bis sie sich sicher war, dass außerhalb der Felsspalte nur noch Leere existierte, das absolute Nichts, aus dem der Jäger kam…
    Wieder das Krachen eines brechenden Astes. Dann ein Schaben, ein Kratzen wie von dolchartigen Klauen auf Gestein. Nah, so nah! Es umkreiste sie, langsam, lauernd, ohne Eile. Thara merkte nicht, dass sie weinte, während sie wieder und wieder Funken schlug, ohne dass der Feuerschwamm aber anfangen wollte, zu glühen. Es war, als würde er sich weigern… oder etwas ihn daran hindern. Sie glaubte, einen kalten, stinkenden Atem in ihrem Nacken zu spüren, wagte aber nicht, sich umzudrehen. Ihre ganze Welt war auf den Feuerstein fokussiert. Wenn sie auch nur einen Blick zur Seite, einen Blick in die lebende Finsternis warf, die sie umschlungen hielt, würde sie nicht zurückkehren. Dann würde sie dem Jäger in die Augen sehen, und er würde sie holen.
    Er würde ihre Seele verschlingen…

    Als endlich ein Funken die Kraft aufbrachte, den Feuerschwamm zu entzünden, stieß Thara einen Laut aus, der kaum noch menschlich war. Mit zitternden Händen legte sie den glimmenden Pilz ins Zundernest und pustete vorsichtig hinein. Eine winzige Flamme loderte auf. Im selben Moment hatte sie das Gefühl, die Welt um sie herum würde sich mit einem Mal wieder ausdehnen, es rauschte in ihren Ohren und ihr wurde schwindlig. Beinahe wäre sie mit dem Gesicht voran in ihr eigenes Feuer gefallen. Die trockenen Blätter begannen rasch zu brennen, das Licht der Flamme breitete sich aus und verjagte die unnatürliche Finsternis. Thara konnte die Frustration des Jägers spüren, mit jeder einzelnen Faser ihres Seins fühlte sie, wie er sich, betrogen um seine Beute und heulend vor Wut, wieder in die Tiefen des schwarzen Nichts zurückzog, aus denen er gekommen war.
    Eine Grille zirpte. Eine zweite antwortete, eine dritte. Der Wind rauschte in den Baumwipfeln und eine Eule ließ ihren klagenden Ruf ertönen.
    In einer Felsspalte hockte ein Mädchen zitternd vor einem kleinen Feuer und starrte mit leerem Blick in die Flammen, bleich vor Angst und Entsetzen.

    Der Jäger würde wiederkommen.

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    Diesmal wurden die Bäume und das Unterholz nicht langsam lichter, um nach und nach einer rauen Felslandschaft Platz zu machen.
    Diesmal hörten sie einfach auf.
    Als hätte eine unheilige Macht der Natur eine Grenze gezogen: Bis hier her, und nicht weiter! In einem Moment kämpfte sich Thara noch durch ein Gewirr an Sträuchern, Wurzeln und Ästen, im nächsten spürte sie unter ihren Füßen nur noch losen, trockenen, heißen Sand.
    Die plötzliche Veränderung der Landschaft traf sie unvorbereitet, fast wie ein Schock. Sie blieb stehen und ließ mit weit aufgerissenen Augen völlig verwundert ihren Blick über das Gelände streifen, das vor ihr lag. Rötlich-graue Felsen erhoben sich wie die Zähne eines gewaltigen Monsters schroff in den Himmel, der Boden war verdorrt und rissig; aus dunklen Felsspalten stieg sich im Wind kräuselnder Rauch hervor. Ein paar wenige, halb verdorrte Sträucher hier und da war alles an Vegetation, was dieser lebensfeindlichen Wüste den Schatten einer Existenz abzutrotzen vermochte.
    Thara erkannte die Landschaft wieder. Sie hatte sie schon einmal gesehen, in ihrer Vision. Auf einer Klippe hinter den schroffen, schwarzen Bergen aus erkalteter Lava, die sich in der Ferne abzeichneten, lag der Turm.
    Sie war fast am Ziel…

    Trotzdem zögerte sie. Wie weit war es noch? Wie lange würde sie gehen müssen? Es war bereits später Nachmittag, die Sonne senkte sich langsam dem Horizont entgegen. In ein paar Stunden würde die Nacht hereinbrechen, und es sah nicht so aus, als würde sie in der Wüste, die vor ihr lag, ausreichend Material für ein Lagerfeuer finden, das sie vor dem schützen konnte, was ihr in der Dunkelheit folgte. Die paar dürren Sträucher, die hier und da wuchsen, würden innerhalb weniger Minuten verbrennen.
    Unschlüssig schaute sie zurück in den Dschungel, den sie gerade verlassen hatte. Sollte sie stattdessen lieber abwarten, noch eine Nacht im Wald verbringen? Aber wenn sie wieder einschlief, so wie in der vergangenen Nacht? Sie war früh aufgebrochen, die Ereignisse der vergangenen Nacht hatten sie fortgetrieben. Anschließend war sie fast den ganzen Tag gelaufen, nur einmal hatte sie sich in einer Senke neben einem Bachlauf eine kurze Pause gegönnt und ein wenig geschlafen, aber es war kaum genug, um sie auf den Beinen zu halten, geschweige denn die Nacht durchwachen zu lassen. Außerdem war sie sich nicht sicher, wie lange der Jäger sich überhaupt noch vom Feuer würde beeindrucken lassen.

    Nein, noch eine Nacht länger zu warten, stand außer Frage. Sie musste den Turm erreichen. So rasch wie möglich – in dieser Nacht noch, oder spätestens am folgenden Tag. Wenn ihr das nicht gelang, war sie erledigt.
    Seltsamerweise erfüllte sie dieser Gedanke nicht etwa mit Schrecken oder Panik, sondern mit kalter, emotionsloser Ruhe. Das war der Punkt, von dem es keine Wiederkehr gab, kein Umdrehen, kein Zurückweichen. Sie würde den Turm erreichen, oder sie würde bei dem Versuch sterben.
    Die Welt war zusammengeschrumpft auf ein simples entweder – oder.

    Bevor sie losgehen konnte, musste sie jedoch noch Vorbereitungen treffen. Sie würde eine Lichtquelle brauchen, eine Fackel, und genug Brennmaterial, um sie am Leben zu halten, bis sie den Turm erreicht hätte. Thara machte sich auf die Suche nach den Dingen, die sie dafür benötigte – einen dicken, stabilen und nicht zu trockenen Ast, den sie an einem Ende mit Hilfe ihres dafür leider nur mäßig geeigneten Messers ein wenig aufspaltete für die Fackel selbst, sowie Rinde, Harz und trockene Stöckchen als Brennmaterial. Sie füllte ihre Tasche bis zum Rand und nahm noch ein paar zusätzliche größere Äste mit, die sie notfalls zu einem kleinen Lagerfeuer aufschichten konnte.
    Thara wusste nicht, ob es reichen würde. Hatte sie genug Brennmaterial? War eine Fackel überhaupt ausreichend, um den Jäger abzuhalten? Sie würde es erfahren.
    So oder so würde sie es erfahren.

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    Thara beeilte sich. Sie wollte die letzten Stunden vor Sonnenuntergang so gut wie möglich ausnutzen, um Strecke zu machen. Jeder Schritt, den sie näher am Kastell war, wenn die Dunkelheit hereinbrach, konnte zwischen Leben und Tod entscheiden.

    Die Landschaft um sie herum kam ihr fremdartig vor, als wäre sie nicht von dieser Welt. Thara war sich fast sicher, dass die Leblosigkeit dieses staubigen Ödlands keinen natürlichen Ursachen geschuldet war. Jedenfalls nicht nur. Hier war etwas anderes am Werk, eine Kraft, die dem Land regelrecht das Leben entzog und nur tote, trockene Erde hinterließ.
    Beliar.
    Es hätte keinen passenderen Ort geben können für einen Turm, der dem Gott des Todes geweiht war. Vor ihm waren alle gleich, und am Ende… Staub.
    Das war wahre Gerechtigkeit.

    Das Vorankommen in der Aschewüste gestaltete sich jedoch als anstrengender, als Thara zunächst gedacht hatte. Sie musste sich zwar nicht mehr durch dichtes, verschlungenes Unterholz kämpfen, aber der heiße Sand unter ihren Füßen war fein und lose und sie sank bei jedem Schritt ein Stück weit ein, was auf Dauer eine Menge Kraft kostete. Hinzu kam, dass sie die meiste Zeit bergauf gehen und immer wieder auch über scharfkantige Felsbrocken oder Vorsprünge klettern musste – schwarzes, poröses Gestein, das aussah wie verkohlter Knochen. Die Luft war heiß und stickig, sie roch nach Schwefel und Rauch und immer wieder wirbelte der Wind dichte Wolken aus rotem Staub auf, die ihr die Tränen in die Augen trieben. Der Staub setzte sich überall ab, auf ihrer Haut, ihrer Kleidung, in ihren Haaren. Ihre Kehle fühlte sich bald an wie ein Reibeisen, und wenn sie ausspuckte, dann hatte ihr Speichel beinahe die Farbe von Blut.

    Trotzdem verlangsamte sie ihren Schritt nicht. Sie nahm alle Kräfte zusammen, die sie aufbringen konnte, und marschierte weiter, ohne zu zögern, ohne Pause. Sie stellte fest, dass die Aschewüste doch nicht gar so tot war, wie sie zunächst angenommen hatte – selbst hier gab es noch Leben. Auf einem Felsplateau sah sie eine Gruppe riesiger Echsen träge die letzten Strahlen der Sonne mit mannshohen Kämmen auf ihren Rücken auffangen. Thara machte sicherheitshalber einen großen Bogen um die Tiere. Immer wieder fand sie auch gebleichte Knochen, halb begraben im roten Sand. Sie fragte sich, ob es die Überreste von Tieren waren, die in dieser unwirtlichen Gegend heimisch waren, oder von solchen, die sich hier her verirrt hatten? Tiere, und… Menschen?

    Sie folgte einer Schlucht zwischen zwei steilen, schroffen Wänden aus schwarzem Fels, der aussah, als wäre er einst flüssig gewesen. Aus Spalten im Boden stiegen übelriechende gelbliche Dämpfe hervor, die ihre Augen tränen ließen. Ein Felsbrocken, an dem sie vorbeikam, schien sogar noch im Inneren zu glimmen. Sie wunderte sich kurz, schenkte ihm allerdings keine weitere Beachtung…
    Bis der Felsen anfing, sich zu bewegen.
    Unter lautem Schaben und Knirschen richtete er sich auf. Was vor wenigen Augenblicken noch wie lebloses Geröll ausgesehen hatte, entpuppte sich als ein vage humanoides Monstrum aus Gestein, das mit innerem Feuer zu glühen schien. Seine massiven Arme waren so lang, dass sie fast bis zum Boden reichten, und zwischen den breiten, gebückten Schultern saß ein annähernd eiförmiger Brocken mit unregelmäßigen Löchern und Rissen darin, die grob an die Konturen eines Gesichts erinnerten. Mit einem Stampfen, das den Boden erzittern ließ und eine dichte Staubwolke aufwirbelte, wandte es sich in Tharas Richtung.
    Das Mädchen starrte die Kreatur mit offenem Mund an. Aber nur eine Sekunde lang, bevor es sich umdrehte und rannte, so schnell es seine Beine trugen. Ein lautes Stampfen verriet Thara, dass das Ding sie verfolgte. Ihr Verstand weigerte sich beinahe, zu akzeptieren, dass dieses Etwas überhaupt Wirklichkeit war – Steine standen nicht einfach auf und fingen an, zu laufen! –, aber ihr Überlebensinstinkt brüllte ihr Denken nieder und trieb sie zu noch größerer Eile.
    Thara gestatte sich einen kurzen Blick über die Schulter. Wie es schien, war das Ding zum Glück nicht allzu schnell, der Abstand vergrößerte sich… Noch. Die Frage war, wie lange würde sie rennen können? Die Schwefeldämpfe stachen ihr in den Lungen und sie keuchte jetzt schon bedenklich, hatte das Gefühl, kaum noch Luft zu bekommen. Der Stein hingegen – sie glaubte nicht, dass Steine überhaupt müde werden konnten! Sie musste das Monstrum irgendwie anders loswerden. Sich verstecken? Aber wo? Links und rechts von ihr ragten die steilen Felswände auf, sie konnte nur geradeaus laufen!
    Die Schlucht machte eine scharfe Biegung. Thara rannte um die Ecke… und trat plötzlich ins Nichts. Sie schrie auf und schlug der Länge nach auf hin. Schmerzen explodierten in ihrem Knöchel. Es war nur ein kleiner Spalt im Boden gewesen, den sie übersehen hatte, aber das hatte ausgereicht. Wimmernd rollte sich Thara auf den Rücken und zog das verletzte Bein an, aber zugleich hörte sie die stampfenden Schritte des Dings schnell näherkommen. Panisch sah sie sich um und entdeckte einen Felsquader nicht weit weg von der Stelle, an der sie lag. Vielleicht könnte sie sich dahinter verstecken…
    Auf allen Vieren kroch Thara so schnell sie konnte zu dem Gesteinsbrocken und machte sich zwischen ihm und der Felswand so klein wie irgend möglich. Als sie hörte, wie ihr Verfolger um die Ecke bog, presste sie die Hände an die Schläfen, kniff die Augen zusammen und murmelte stumm ein zusammenhangloses Gebet an den Totengott vor sich hin. Ihr Herz raste und sie wünschte sich, sie könnte es irgendwie zum Schweigen bringen aus Angst, das Felswesen könnte es hören…
    Die Schritte des Dings verlangsamten sich, schließlich blieb es stehen. Ab und an knirschte es, Stein, der auf Stein schabte. Sah es sich um? Dem Geräusch nach zu urteilen, stand es auf der anderen Seite des Felsens, hinter dem Thara sich versteckt hielt, kaum einen oder zwei Schritte entfernt. Sie zwang sich mit aller Gewalt, so ruhig wie möglich zu bleiben.
    Ein Geräusch zu viel, und es wäre ihr Ende…

    Nach einer Weile, die Thara wie eine Ewigkeit vorkam, setze das Ding sich wieder in Bewegung. Mit langsamen, gemächlichen Schritten verschwand es zurück in die Richtung, aus der es gekommen war. Thara blieb noch in ihrem Versteck sitzen, bis es wieder gänzlich still war. Erst dann wagte sie es, einen Blick hinter dem Felsen hervorzuwerfen.
    Sie dankte Beliar, dass ihr Verfolger offenbar nicht die Instinkte eines echten Raubtieres besessen hatte. Die Spur im Sand, die von der Stelle, an der sie gestürzt war, zu ihrem Versteck verlief, war unübersehbar. Die Äste, die sie als Fackeln gesammelt hatte, lagen überall verstreut. Jeder, der nur über einen Funken Verstand verfügte, hätte sie im Handumdrehen gefunden. Was auch immer dem Felsen das Laufen beibrachte, hatte ihn zu Tharas großem Glück offensichtlich nicht auch noch das Denken gelehrt.

    Tharas Erleichterung war jedoch nur von kurzer Dauer. Ihr Fußgelenk lief bereits dunkelrot an und wurde fast beim Zusehen dicker. Ein dumpfer, pochender Schmerz zog sich ihr ganzes Bein hoch. Sie biss die Zähne zusammen und stützte sich an der Felswand ab, um aufstehen zu können. Als sie versuchte, mit dem verletzten Fuß aufzutreten, hätte sie fast geschrien.
    Thara hätte losheulen können. Warum? Warum jetzt? So kurz vor dem Ziel…
    Verzweifelt richtete sie ihren tränenverschwommenen Blick gen Himmel, als hoffte sie, von dort irgendein Zeichen zu erhalten.
    Und sie erhielt eines.
    Über dem Rand der Felswand ragte eine sonderbare, klauenförmige Struktur auf, die wie eine schwarze Kralle in den spätabendlichen Himmel ragte. Thara konnte sie im ersten Moment nicht zuordnen, aber sie kam ihr bekannt vor. Aber woher? Wo…
    Dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Der Turm! Das war die Spitze des Turms aus ihrer Vision! Sie sank auf die Knie und lehnte sich erschöpft gegen den Felsbrocken. So nah! Sie hatte es fast geschafft. Nur noch dieses eine letzte Stück…
    Thara kramte einen kleinen Ast aus ihrer Tasche hervor und schob ihn sich zwischen die Zähne. Sie zog sich wieder hoch und belastete vorsichtig ihren verletzten Knöchel. Sie stöhnte auf vor Schmerzen und biss so fest auf das Holzstück, dass sie es beinahe durchgebissen hätte, aber der Fuß war in der Lage, ihr Gewicht zu tragen. Mühsam humpelnd sammelte sie die Äste ein, die sie bei ihrem Sturz verloren hatte.

    Als die Sonne schließlich hinter dem Horizont versank und die Nacht die Welt in Dunkelheit hüllte, entzündete Thara ihre Fackel und machte sich hinkend auf den Weg.
    Der letzte Abschnitt ihrer Wanderung lag vor ihr.

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    Stille.

    Thara sah sich nicht um. Ihr Blick blieb starr auf den Boden vor ihr geheftet, auf den viel zu kleinen Lichtkreis, den ihre Fackel warf. Ihr verstauchter Knöchel brannte wie Feuer, der Schmerz trieb ihr unablässig die Tränen in die Augen, aber sie schleppte sich weiter.
    Sie durfte nicht stehen bleiben. Wenn sie stehen blieb, war sie erledigt. Sie würde nicht einmal mehr in Beliars Reich eingehen; was auch immer sie seit Tagen verfolgte, seit sie den Wald betreten hatte, Thara war sich sicher, es war keine von Beliars Kreaturen. Der Gott der Toten wollte ihr nichts Böses. Er würde das nicht zulassen! Welchen Sinn hätte es schließlich, dass er ihr den Weg wies, nur um sie dann kurz vor dem Ziel von seinen Dienern in Stücke reißen zu lassen? Nein, es war irgendetwas anderes. Etwas, das nicht in diese Welt gehörte… oder in diesen Kosmos.
    Wenn es sie erwischte, würde es sie nicht einfach töten. Es würde nicht nur ihren Körper vernichten, sondern auch ihre Seele verschlingen.
    Es würde sie auslöschen.

    Stille.

    Die Stille war ohrenbetäubend. Thara hörte nur ihr eigenes, angestrengtes Keuchen und Zischen, wenn sie wegen des Schmerzes beim Auftreten die Luft zwischen den zusammengebissenen Zähnen hinauspresste. Das Pochen ihres Herzschlags, das Rauschen des Blutes in ihren Ohren, das leise Knistern ihrer Fackel. Um sie herum jedoch… Stille.
    Der Jäger umkreiste sie, seit die Nacht hereingebrochen war. Sie musste ihn nicht sehen, oder hören. Er brauchte nicht mehr absichtsvoll auf Äste zu treten, um seine Anwesenheit kundzutun.
    Thara fühlte, dass er da war.
    Die Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf und sie fröstelte, obwohl es drückend heiß war und ihr der Schweiß den Rücken herunterlief. Was sie aus dem Augenwinkel von der schroffen Landschaft sehen konnte, wirkte falsch, verdreht, als hätte es nicht die richtigen Winkel und Proportionen. Der Nachthimmel war wolkenlos und sollte voller Sterne sein, aber da war nichts als absolute Schwärze. Befand sie sich überhaupt noch in ihrer Welt?
    Aber da war der Turm. Sie konnte den Turm sehen… Oder besser, die Zitadelle, das Kastell, als das sich die Anlage mittlerweile herausgestellt hatte. Etwas wie ein blasser, grünlicher Schimmer schien von ihm auszugehen und hob es gegen die unnatürliche Schwärze des sternenlosen Nachthimmels ab.
    Auf manch anderen hätte das düstere, massive Gebäude mit seinen zahlreichen klauenartig gebogenen Turmspitzen, die wie die Krallen eines Dämons in den Himmel ragten, vielleicht bedrohlich gewirkt. Für Thara verhieß es Rettung. Die Einzige, die sie in Aussicht hatte.

    Nicht mehr weit – es war nicht mehr weit! Sie konnte bereits den gewundenen Pfad erkennen, der die Klippe hoch führte zum Tor des Kastells. Ein letzter steiler Aufstieg. Eine letzte Prüfung, dann hätte sie es geschafft…
    Ihre Fackel flackerte unregelmäßig. Die Flamme wurde immer kleiner. Thara griff in ihre Tasche und legte ein paar dünne Ästchen und ein Stück Rinde als Brennmaterial nach. Es war kaum noch etwas übrig, ihre Vorräte waren so gut wie aufgebraucht. Noch konnte sie die Flamme am Leben halten, aber sie musste sich beeilen.

    Sie humpelte weiter. Einen der Äste nutzte sie als provisorischen Krückstock, aber er war eigentlich zu kurz und gab ihr nicht viel zusätzlich Stabilität. Und je näher sie dem Kastell kam, umso mehr spürte sie, wie etwas um sie herum seinen Griff schloss.
    Die Dunkelheit presste sich regelrecht gegen das letzte Restlicht ihres Fackelscheins, wie ein lebender Organismus, der einen Weg hinein suchte durch die brüchige Barriere, die das Licht bildete. Die Luft hatte einen sonderbaren, süßlichen Geruch angenommen, den Thara vielleicht sogar als angenehm empfunden hätte, wäre er nicht so unpassend gewesen angesichts der schwefeligen Ausdünstungen, die eigentlich aus den Felsspalten aufstiegen. Mit jedem Schritt hatte sie das Gefühl, dass die Welt um sie herum weniger Sinn ergab. Allein das Kastell blieb unberührt davon, es war das Einzige, was noch wirklich real wirkte.

    Thara bemerkte Bewegungen aus dem Augenwinkel. Sie war sich nicht sicher, aber war dort eben ein Schatten gewesen wie ein riesiger Wolf, mit einem Fell aus purer, stofflicher Dunkelheit?
    Ergab das irgendeinen Sinn?
    Sie versuchte, das vielleicht Gesehene zu ignorieren und konzentrierte sich weiter darauf, einfach einen Fuß vor den anderen zu setzen. Die grausamen Schmerzen in ihrem Knöchel halfen ihr sogar ein wenig dabei. Trotzdem registrierte sie jetzt immer wieder solche Bewegungen und Schemen, die in der Dunkelheit vorbeischlichen. Und jedes Mal sehen sie ein wenig anders aus… glaubte sie. Mal tierisch. Mal menschlich. Mal völlig undefinierbar.
    Unterdessen wurde der Fackelschein immer schwächer, als würde die unnatürliche Finsternis um sie herum dem Feuer die Kraft nehmen. Die Flamme war kaum noch viel mehr als ein Schimmern. Thara versuchte, ihr noch ein wenig mehr Brennmaterial zuzuführen und pustete vorsichtig in die Flamme, die daraufhin noch einmal etwas stärker aufloderte, aber es hielt nicht lange.
    Thara hob den Blick zum Kastell, das noch immer mehrere hundert Schritte entfernt auf der Klippe thronte, und musste der Wahrheit ins Auge sehen: Die Fackel würde nicht reichen. Sie verzog verzweifelt das Gesicht: „Beliar… hilf mir! Bitte!

    Ohne zu wissen, ob der dunkle Gott ihrem Flehen Gehör schenken würde, verdoppelte Thara ihre Anstrengungen noch einmal und zwang sich zu etwas, das man als einen schmerzhaften, halb hinkenden, halb einbeinig hüpfenden Lauf bezeichnen konnte. Sie hielt den Blick fest auf das Kastell gerichtet in dem Versuch, alles außer ihrem Ziel auszublenden. Die Fackel brannte jedoch mit alarmierender Geschwindigkeit weiter herunter, das Feuer kam bald kaum noch einem Kerzenschein gleich…
    Und erlosch schließlich ganz.
    Die Dunkelheit stürzte sich auf sie, und Thara schrie.


    ***

    Komm her zu mir, los!
    Der kommandierende Ton der Gestalt, die sich vor ihr aus der Finsternis schälte, ließ Thara sich unwillkürlich zusammenkrümmen. Die Stimme war hohl und rau und schien von weit her zu kommen, aber sie erkannte sie trotzdem auf Anhieb wieder.
    Die schattenhafte Gestalt streckte ihre Hand aus, fordernd, befehlend.
    Hier her! Worauf wartest du?
    „D-das… das… bist du nicht…“, wimmerte Thara leise, „Das bist du nicht! Du bist nicht mein Vater!“
    Die Gestalt lachte höhnisch.
    Komm… hier… her! Sei ein braves Mädchen! Oder muss ich dir erst wieder Gehorsam einprügeln, undankbares Balg?
    Thara trat zitternd einen Schritt auf die Gestalt zu. Sie konnte deren Umrisse nur vage erkennen, aber ebenso, wie die Stimme eindeutig die ihres Vaters war, so hatte sie keinen Zweifel, dass die Silhouette die Seine war. Er war ein hagerer, drahtiger Mann gewesen, seine Haltung hatte immer etwas lauerndes, raubtierhaftes an sich gehabt. Thara hätte diese Silhouette überall wiedererkannt.
    „Du… du b-b-bist nicht echt!“, stotterte sie leise und schüttele dabei den Kopf. Die Gestalt antwortete nicht. „Du bist nicht echt! Ich habe dich getötet, du verdammtes Arschloch! Ich habe dich getötet!
    Mit einem plötzlichen Anfall von Wut schleuderte Thara die erloschene Fackel auf die Erscheinung. Es war nicht fair! Sie hatte sich nicht aus der Hölle gekämpft, um jetzt wieder in ihr zu landen! Die aus Dunkelheit geformte Gestalt ihres Vaters verpuffte wie Rauch, als die Fackel durch sie hindurch flog. Thara vernahm ein leises, bösartiges Lachen.
    Du wirst mich nie töten können, Töchterlein…
    Die Stimme kam jetzt von überall, leise, aber unüberhörbar.
    Ich bin immer bei dir. Dafür habe ich gesorgt. Wohin du gehst, gehe auch ich. Und ich werde dich zu mir holen… Stück für Stück… Dein Körper war mein, jetzt… ist deine Seele… mein!
    Thara presste die Hände auf die Ohren, doch es half nichts. Es war, als spräche die Stimme direkt in ihren Kopf.
    „Lass mich in Ruhe!“, keuchte sie erstickt. Sie humpelte blindlings weiter auf das Kastell zu, kletterte den steilen Weg zur Spitze der Klippe herauf, so schnell sie konnte. Ein Windstoß, der sie fast von den Beinen riss, war die Antwort. Die Böe war schneidend, wie tausend kleine Messer auf ihrer Haut, und Thara sah mit Entsetzen, wie sich winzige Fleischfetzen von ihren Händen lösten und davongetragen wurden wie Staubkörner in einem Sandsturm. Ihre Haut schälte sich ab und legte bloßes Fleisch, Sehnen und Knochen frei, und dazwischen strömte etwas Helles in leuchtenden Schlieren aus ihrem Körper.
    Das war es, was sie am meisten schockierte.
    „Nein… nein, nein, nein!“ Panisch versuchte Thara, die schimmernden Lichtfäden einzufangen und davon abzuhalten, ihren Körper zu verlassen und in die wirbelnde Dunkelheit um sie herum zu verschwinden, aber ihre geschundenen Hände konnten sie nicht greifen, glitten einfach durch sie hindurch. Nicht nur ihr Körper löste sich auf, sondern auch ihr Geist, ihre Seele. Sie starb nicht.
    Sie wurde ausgelöscht.

    Der Turm! Der Turm war ihre einzige Hoffnung. Thara hob den Blick. Sie war nur noch wenige Dutzend Schritte vom Tor entfernt. Thara nahm all ihre verbliebenen Kräfte zusammen und kämpfte sich Schritt für Schritt voran, während der unnatürliche Wind und die Finsternis an ihrer Essenz zehrten. Mit jedem Augenblick fühlte sie ihre Kräfte schwinden, nicht nur körperlich, sondern auch ihre geistige Widerstandskraft. Ihr Denken wurde träge und unfokussiert, sie konnte bald kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Vor ihrem inneren Auge spielten sich Szenen ihrer Vergangenheit ab, ohne einen anderen erkennbaren Zusammenhang als den, dass es allesamt sehr unschöne Szene waren. Dinge, die sie gern vergessen wollte, aber wohl nie vergessen würde, die sie gezeichnet hatten und ihr das Leben zur Hölle machten, egal, wie viel Zeit seither vergangen war. Diese Szenen fluteten ihre Erinnerung mit der gnadenlosen Wucht einer Springflut.
    Alles, was sie tun konnte, war, sich auf den Turm zu konzentrieren. Sie stolperte, fiel hin, kroch auf allen Vieren weiter. Zum Turm.
    Ihr ganzer Körper war eine Kakophonie von Schmerzen, in Auflösung begriffen, ihre Haut fast vollständig von ihrem rohen Fleisch geschält. Trotzdem kroch sie weiter und zog dabei eine lange, dunkle Blutspur hinter sich her.
    Das Tor! Sie musste das Tor erreichen…

    Zwei Skelette schauten auf sie herab, ihre leeren Augenhöhlen folgten ihren mühsamen Bewegungen. Thara streckte mit letzter Kraft die Hand aus. Holz… Sie spürte das Holz unter ihren Fingern! Sie zog sich noch ein Stück weiter, lehnte sich gegen das Tor und hämmerte schwach dagegen.
    „Bitte… bitte lasst mich ein!“, wimmerte sie, ihre Stimme war kaum noch mehr als ein kraftloses, verzweifeltes Flüstern, „Bitte…“
    Knarrend schwangen die Torflügel auf.

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    Schwertmeister Avatar von Curt
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    Bauernhof, nahe Thorniara

    ‚Wie weit weg liegt dieser Hof denn?‘
    Curt marschierte eiligen Schrittes über den holprigen Trampelpfad, der von Thorniara aus in Richtung Osten führte. Die felsige Küstenlandschaft kannte er nur zu gut. Hier war er einst nach Setarrif gewandert, um sich sein Vermögen zu beschaffen, das damals noch in seinem alten Keller lagerte. Mit Erfolg. Von dem Gold konnte er sich den Eintritt in den Orden des Feuers leisten. Vom Goldd und … einem Schaf. Einem schwarzen Schaf, um genau zu sein. Er hatte es von einem der Höfe entlang der Küstenregion gekauft und konnte sich noch gut an dessen eigenwilligen Namen erinnern. Amaretto. Bei dem Gedanken daran begann seine Nase zu kribbeln. Er hatte allergisch auf das Tier reagiert.
    ‚Hoffentlich ist das nicht derselbe Bauer wie damals‘, dachte er, denn dereinst wurden er und Vielor geradezu vom Hof vertrieben, weil sie das Schaf ungefragt geschoren hatten. Das musste sein, anders konnte Curt die Gegenwart des Tieres nicht ertragen. Nur hatte Vielor wenig Geschick bewiesen bei dem Versuch, das Tier von seiner Wolle zu befreien.
    Was wohl aus dem Fischer geworden war?
    Curt stellte sich vor, dass er seine Zeit immer noch in irgendeiner Ecke der Hafenkneipe verbrachte, immer noch sein Wasser mit Rum trank und nach wie vor Probleme mit beim Lesen und Schreiben hatte. Ob er Curt während seinem langen Schlaf besucht hatte? Ob er mit Curts Hund Gassi gegangen war? Ob er in Curt so einen treuen Freund sah, wie Curt in ihm?

    Ein plötzliches Rascheln im Unterholz holte den Novizen ins Hier und Jetzt zurück. Es war übermütig von ihm gewesen, sich einfach so allein auf den Weg zu machen, jenseits der schützenden Mauern der Stadt. Hier konnte allerlei Getier herumlaufen und Curt hatte nichts als seine Rasierklinge am Mann. Und die Magie natürlich. Die Magie, an welche er seit seinem Erwachen keinen Gedanken verloren hatte.
    „Du bist ertappt, nun zeig dich auch!“, rief er tollkühn und aus dem Gebüsch trat tatsächlich ein Tier. Ein Schaf, um genau zu sein. Wahrscheinlich hatte es den Anschluss zu seiner Herde verloren. Kein Wunder, dass Curts Nase schon wieder kribbelte!
    „Oh Innos“, seufzte er. Das Tier glotzte ihn kurz an, dann widmete es sich wieder dem Strauch, an dem es knabberte. Es schien daran einen Narren gefressen zu haben, was auch immer das für eine Pflanze war. Curt rupfte ein Stückchen ab und hielt es dem Tier hin. Es folgte ihm interessiert.
    „Na komm, bringen wir dich mal zurück zu deinem Hirten“, murmelte er, „und streichen bei Gelegenheit einen Finderlohn ein.“

    Es dauerte nicht lange bis die beiden ein Gehöft und eine zugehörige Koppel erreichten. Curt konnte wahrlich der Nase nach gehen, denn je schlimmer ihn sein Schnupfen plagte, desto näher war er dem Hof. Eine junge Frau bemerkte seine Ankunft und als sie das Schaf an seiner Seite sah, wich der Misstrauen aus ihrem Gesicht.
    „Ihr habt Marzipan gefunden!“, rief sie entzückt und meinte wohl das Schaf. Curt schwante Übles.
    „Ich suche einen Bauern namens Hektor“, überging Curt die Bemerkung prompt, denn er hatte schon genug Zeit verplempert. „Ist das hier sein Hof?“

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    Krieger Avatar von Die Bürger
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    Die Bürger ist offline

    Bauernhof, nahe Thorniara

    Viktoria versorgte gerade die Hühner, als sie einen bärtigen Mann sah, der sich dem Bauernhof näherte. Fast wäre sie ins Haus gelaufen, hatte sie doch einen Banditen vermutet. Doch der Mann trug eine Robe der Novizen und war außerdem in Begleitung ihres Lieblingsschafes. "Marzipan!" brach es auch hier heraus und sie lief freudig dem fremden Mann entgegen. "Ihr habt Marzipan gefunden!"

    Doch der Mann konnte die Freude über ein wiedergefundenes Schaf nicht teilen. "Ich suche einen Bauern namens Hektor" fragte er Viktoria, die jüngste Tochter des gesuchten Bauern. Das junge Mädchen ließ vom Schaf ab. "Ja, das ist sein Hof... kommt, ich führe Euch zu ihm." antwortete sie und befürchtete, ein weiterer Schuldeneintreiber sei gekommen.

    Es war eine schwere Zeit für Hektor, der unweit der Hafenstadt Thorniara einen kleinen Bauernhof betrieb. Denn die Bedingungen für den Anbau von Getreide waren angesichts der vielen Gefahren, die außerhalb schützender Stadtmauern lauerten, nicht sonderlich gut. Kaum trug ein Feld die Früchte ihrer Arbeit, mussten sich die Bauern den Feldräubern erwehren. Auch ehrlose Halunken schauten neuerdings immer häufiger vorbei und stahlen ein Vieh oder bedienten sich am Getreidesilo. Mehrere Male hatte der Bauer die Stadt um eine regelmäßige Patrouille gebeten, doch bisher ohne nennenswerten Erfolg.

    Doch damit nicht genug. Bauer Hektor war auch noch hochverschuldet. Als ein Drachenangriff den Hof fast vollständig zerstört hatte, wusste er keinen Ausweg, als sich bei einem reichen Bürger in Thorniara das Gold für den Wiederaufbau zu leihen. Hätte Hektor geahnt, dass es sich bei dem Geldverleiher um einen derartigen Halsabschneider handelte, wäre er wohlmöglich lieber ins Armenviertel gezogen und hätte von Almosen gelebt.

    Voller Sorge blickte der Bauer auf einen leeren Stuhl in der Wohnkammer. Es war der Platz von Maria, der älteren Tochter von Hektor. Er musste sie in die Schuldknechtschaft schicken, um seine Schulden doch noch abtragen zu können. Jeden Abend machte er sich Vorwürfe deswegen und fragte sich, wie es Maria wohl ginge. Gleichzeitig war es ein Ansporn, noch härter zu arbeiten. Denn je mehr Gold Hektor verdiente, desto schneller konnte er Maria wieder freikaufen.

    "Papa!" eine helle Stimme riss den Bauern aus seinen Gedanken, als er in der Wohnkammer gerade eine Sense schärfte. "Papa! Hier ist ein Mann, der dich sprechen will." hallte es von draußen. Dem Bauern gingen alle möglichen Dinge durch den Kopf. War es wieder einer der Halsabschneider des Grafen, der Zinsen eintreiben wollte? Hektor ging nach draußen und erblickte einen Mann in der Robe der Novizen. "Ich grüße Euch. Mein Name ist Hektor, dies hier ist mein Land. Was wollt Ihr?" fragte er den bärtigen Mann und hoffte, dass er nicht von den Feuermagiern geschickt wurde, um ihn über ein tragische Schicksal seiner Tochter zu informieren.

    Maximus

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