Prolog
Anno Domini 1156, das ostfränkische Reich, Nordwestküste, freie Seelande der Ostfriesen, Tom Brokes Einflussbereich, die Kleinstadt Marienhafe:
Das geschäftige, laute Treiben in den gepflasterten Straßen war ein klares Zeichen für die Bedeutsamkeit dieses Tages. Hinzu kamen all jene Fahnen, mit Blumenketten geschmückten Häuser sowie dutzende Stände auf dem Marktplatz, welche gegen ein kleines Entgelt Getränke, Gebäck und Fleischspieße verkauften. Ein jeder Marienhafener Hausbesitzer war darauf bedacht sein Haus besonders schmuck aussehen zu lassen, um Ansehen zu erwerben und zu behalten. Die Menschen kamen dem Anlass gemessen nicht in ihrer sonstigen Arbeitskleidung, sondern zogen ihre besten, frisch gewaschenen Stoffe an, um über die sauber gefegten Pflasterstraßen zu flanieren, sich mit den Leuten zu unterhalten und es sich gut gehen zu lassen. Das Stimmengewirr von Marktschreiern, Gelächter und allgemeinem Gemurmel erzeugten eine lockere, ausgelassene Stimmung, die über dem ganzen Ort lag wie das Summen eines eifrigen Bienenstockes. Die Sonne schien durch die schmalen, weißen Wolken der Juli-Wärme und Kinder wirbelten in kleinen Gruppen zwischen den Erwachsenen umher, auf der Suche nach den Gauklern, Tricksern und Taschenspielern, die bei solchen Festivitäten ihr Auskommen suchten. Aber auch alte Männer, die sich einen Spaß daraus machten, ihnen Gruselgeschichten zu erzählen, kamen bei ihnen auf volle Kosten. Die Musikanten spielten ein einfaches, mit hohen Tönen durchzogenes Lied und unterstrichen so die Stimmung. Es war der feierliche Tag der friesischen Freiheit, welcher auch in Marienhafe, dem kleinen, ansonsten eher verschlafenen Ort mit einem winzigen Hafen, gefeiert wurde. Erreichte zu anderen Tagen nur alle paar Wochen ein Schiff die Kleinstadt, so lagerten heute immerhin vier Schiffe vor Anker: allesamt flusstüchtige, flachbordige Schiffe, denn keine von den spitzkieligen Hochsee-Koggen und erst recht kein schwerer Holk hätten je hier anlegen können, ohne sich die Schiffsbäuche aufzuschlitzen, womit sie dann zur Beute für friesische Krieger wurden, welche das ihnen verbriefte Recht nutzten, alle Güter die auf ihrem Grund gestrandet waren, zu beschlagnahmen. Die gefährliche Reise durch die moorigen Flüsse, ins verwinkelte, Beute-aufmerksame Friesland war auch genau der Grund, weshalb die Besatzungen hier ankerten: Sie waren Seeräuber; Vitalien- oder Viktualienbrüder, wie man sie in der Ostsee bisweilen nannte: Krieger und Söldner, Mietschwerter und Vogelfreie. In der friesischen Gegend waren sie eher bekannt unter dem Titel Likedeeler, was Gleichteiler bedeutet. Sie nutzten die geringe Tiefe der friesischen Flüsse gekonnt aus, um sich hier vor den dicken Vredeschiffen der Hanse zu verstecken und um ihre Wunden nach den Raubzügen zu lecken und zu feiern. Hier in Marienhafe und dem Umland mischten sich die Männer unter die Friesen, um einen Hauch von Normalität in ihren ansonsten gehetzten Leben zu erfahren. Darum lachten und tranken sie auch sehr ausgiebig und suchten immer wieder den Kontakt mit den bodenständigeren Menschen, verhielten sich bisweilen wie freche Jungen, neckten und lachten laut. Sie freuten sich über jeden Tag, den sie miteinander verbringen konnten, denn es konnte ebenso schnell wieder vorbei sein. Derweil sie feierten, luden schnaufende Hafenarbeiter die von den Likedeelern erbeuteten Waren aus und brachten sie teils zum großen Hafenlagerhaus oder auch gleich zum Markt, wo sie zu einem sehr günstigen Sonderpreis verkauft wurden. Die Friesen in Marienhafe und anderswo akzeptierten die günstigen Waren gern und nahmen es mit der Herkunft daher nicht allzu genau.
Mit festem Schritt näherte sich ein junger Mann von nunmehr sechzehn Jahren dem allgemeinen Trubel vor dem Kirchturm der Marienkirche. Er hatte kurzes, dunkelblondes Haar, war von durchtrainierter, hochgewachsen-schlanker Gestalt und hatte hellwache, blau-strahlende Augen mit grauem Versatz. Als Kleidung trug er eine dunkelgelbe Leinentunika, blaugefärbte Stoffhosen, einen dunklen Lederkragen auf den Schultern sowie ein Paar hochstehender Wattstiefel, welche man für die häufigen Überquerungen des Wattenmeeres bei Ebbe benötigte. Dies zeichnete ihn indirekt als einen Deichbauernabkömmling aus, die diese vorrangig trugen; auch als Erkennungszeichen. An seinem Gürtel schwang ein kleiner Geldlederbeutel sowie eine Scheide, in der ein Friesenmesser steckte, welches sowohl Werkzeug als auch Waffe in einem war und ursprünglich nur zum Torfstechen genutzt werden sollte. Die eigentliche Waffe des Jungen aber war ein längliches Saxschwert in einer ledernen Scheide auf seiner Schulter, dessen Griff er fest mit seiner rechten Hand umschlossen hielt. Mit ernstem Gesichtsausdruck und ohne ein Wort zu sagen, näherte er sich dem Stammtisch der Likedeeler, die vor der Wirtschaft „Up Pott“ mit reichlich Bier und Braten versorgt wurden. Ihr raues, mit Rülpsern durchsetztes Gelächter war sofort herauszuhören. Dies waren Männer, die ungezählte Schlachten geschlagen und alle bekannten und auch unbekannten Meere bereist hatten. Ein Hauch von Exotik und Verwegenheit umgab sie stets. Von Ost- über Westsee bis zur iberischen Küste und darüber hinaus befuhren sie die Weltmeere. Im Moment glichen sie aber eher einem fröhlich-derben Haufen, der sich lediglich amüsieren wollte und wenig legendär wirkte. Allen voran gluckste der 21-Sommer zählende Störtefad, welcher seinem Vater, dem legendären Likedeeler Schiffsführer Störtebekker, zum Verwechseln ähnlich sah: Minimal gepflegter Bart, ein grinsendes, offenes Gesicht und Krähenfüße rund um die Augen zeichneten ihn als einen Mann aus, welcher es verstand, die Männer zu begeistern und zum Lachen zu bringen. Er war gerade damit beschäftigt einen großen Doppelhumpen Bier auszutrinken, während ihn seine Männer mit erwartungsvollem Schweigen bewunderten wie in stiller Andacht, Sie feuerten ihren Schiffsführer nie dabei an. Erst nach erfolgreichem Leeren des Fasses jubelten sie dafür umso lauter; es war ein Grölkonzert aus dutzenden Männerkehlen und fliegenden Tonhumpen, die am Boden zerschellten. Störtebekker war bekannt dafür gewesen, einen Riesenkrug Bier in einem Zug auszutrinken ohne ihn auch nur einmal abzusetzen. Störtefad folgte in seinen Fußstapfen. Sein erster Maat, der schnauzbärtige Veteran Klaus Schelt, feuerte ihn an. Dieser war schon seit der Zeit in der Ostsee bei den Seeräubern und schwang eine schwere Stabkeule als Waffe, mit der er gegnerische Matrosen von Bord kegelte. Er gefiel sich in der Rolle des schlagkräftigen Kollegen und half Störtefad mit seiner Erfahrung, das Kommando gut zu führen. Selber führen wollte er nicht. Rechts neben Störtefad saßen zwei weitere bekannte Hauptleute der Likedeeler. Der erste der neben Störtefad saß und eben jener welcher dem ganzen Spektakel um sich herum am wenigsten abgewinnen konnte, wurde Magister Wigbold genannt. Der Mittvierziger galt als Denker, Lenker und Kopf der Bruderschaft. Er dachte eher in strategischen Bahnen und verstand es meisterlich, stets zu seinem Vorteil zu handeln, indem er das Handeln seiner Gegner vorhersagen konnte, sowie wie Michels das Wetter. Als ehemaligem Mönch sagte man ihm eine Scheu vor dem Kampf nach, aber es gab niemanden, der es mit seiner seelischen Kraft aufnehmen konnte. Seine Kraft und Wendigkeit waren nicht das Resultat starker Muskeln oder wendiger Glieder, sondern vielmehr Abbild seiner geistigen Beweglichkeit, die in die Realität überschlug. Die Männer in seinem Gefolge wussten, dass ihr Magister stets das Richtige tun würde, und trotz seiner ansonsten kühlen Art zeigte er immer mal wieder, wie sehr ihm seine Männer und ihr Wohlergehen am Herzen lagen. Man sah ihn nie lachen, nur beizeiten schelmisch grinsen, wenn er eine geniale Idee hatte. Magister Wigbold trug - mönchsuntypisch - schicke, kaufmännische Kleidung: Dazu gehörten u. a. ein Barret mit dem Likedeeler-Emblem, einer Schwertwaage, eine schwarze Seidenweste mit verzierten Knöpfen, sowie ein an den Oberarmen geschlitztes Hemd, wie es die Landsknecht-Söldner trugen. Rechts von ihm saß der berühmt-berüchtigte Gödeke Michels und stützte sich mit verschränkten, starken Armen auf seine große irische Galloglass-Axt, mit einem Bierkrug in der Hand. Michels strohblonde Haare hingen ihm wild ins wettergegerbte, breit-grobe Gesicht. Ringe zierten seine Ohren und ein Dreispitz mit Feder krönte sein Haupt. Michels galt als cholerisch-grimmiger Seebär, der ein instinktives Gespür für die Seefahrt hatte. Seine Männer folgten ihm aus eben diesem Grund. Gödeke Michels schien immer zu wissen, wo Nebel auftauchten, woher Winde wehten und wo ihre Beuteschiffe zu finden waren. Im Kampf war Michels aufgrund seiner wuchtigen, gezielten Schläge bei Freund und Feind ebenso gefürchtet wie geachtet.
Diese drei waren die faktischen Hauptleute der Likedeeler in der Region Westsee. Die anderen Anführer befanden sich entweder in den übrig gebliebenen Schlupflöchern der Ostsee wie dem finnischen Meerbusen, oder in den verschiedensten Winkeln der Westsee; in Splittergruppen und kleinen Mannschaften, die gerade so über die Runden kamen. Als vollständige Bruderschaft mit einiger militärischer Schlagkraft und mehreren Schiffen fungierten nur noch die Likedeeler, der Rest kämpfte um sein nacktes Überleben. Als Söldner die für den Kampf gegen die Jütenkönigin Margarethe angeheuert worden waren, waren die Viktualienbrüder inzwischen allesamt verraten und zu Vogelfreien erklärt worden, weil sich niemand mehr für ihre Versorgung verantwortlich fühlte. Es hieß allgemein in zynischem Unterton, sie wären für sich selbst verantwortlich und müssten sehen wo sie blieben. Da der Krieg beendet worden war, und nun keine Verwendung mehr für sie gegeben war, taten die Likedeeler also genau das: Sie blieben wo man sie sah.
Für ihre Gastfreundschaft bekamen die Friesen von den Likedeelern deren Beute zum Spottpreis dargeboten, manchmal aus einer Laune heraus sogar geschenkt. Da die friesischen Hauptlinger vom großen Hansebund ausgeschlossen worden waren, sahen sie kein Problem darin, sich auf diese Weise ihren rechtmäßigen Anteil am Handelsgeschäft zu verschaffen, der ihnen ihrer Ansicht nach unrechtmäßig von den Pfeffersäcken vorenthalten wurde. Mitunter halfen die kampfstarken Seeräuber auch einem Hauptlinger gegen Bezahlung, um dessen Argumente in einer Fehde mit zusätzlicher Kampfesmacht zu verstärken, wobei die Likedeeler immer darauf achteten, das Land, welches ihn Zuflucht bot nicht ganz zu verheeren oder in Brand zu stecken. Tatsächlich sorgte ihr Einsatz für eine bislang kaum gekannte Friedfertigkeit unter den streitlustigen Friesen. Der Grund war simpel: Niemand wollte von ihnen verprügelt werden. Die Hauptlinger selbst unterhielten nur kleine Gefolgschaftsbanden von wirklich gut ausgerüsteten Leibgarden, deren Schlagkraft durch die Likedeeler signifikant aufgewertet wurde. Insbesondere die Familie der tom Broks aus Marienhafe konnte sich durch ihre Freundschaft als neue Macht gegen die anderen Friesenhauptlinger behaupten und inmitten des Dreiecks Norden, Auerk und Emden an eigenem Einfluss gewinnen.
Der junge Mann mit dem Schwert, der das Fest nun betrat, wusste all dies genau und hatte all die Geschichten über die Likedeeler begierig aufgesogen. Er blieb vor ihnen stehen und zunächst bemerkte ihn niemand wirklich. Er war nur ein weiterer Gast des Festes. Dann aber setzte Störtefad den Krug rülpsend ab und seine Männer grölten wie gewohnt, hoben ihre tönernen Humpen in trunkener Zustimmung. Störtefad wischte sich grinsend den Mund ab und rülpste dann noch einmal lautstark. Sogar Wigbold klatschte zweimal in die Hände und sagte sarkastisch: „Gut gemacht: Das hat selbst Gott aufgeweckt. Wenn er denn schlafen würde.“ Offenbar hatte er seinen guten Tag. Es war Gödeke Michels, der schließlich seine buschige Augenbraue hob und den Jungen erspähte, welcher nur stumm dastand und sie intensiv anstarrte. „Sieh an, sieh an.“, brummte er schließlich: „Wenn das nicht dieser Friesenbengel ist, der jedes Jahr hier bei uns aufkreuzt. Wie hieß er noch gleich? Horst? Hukki? Mimmi, Mimmel?“ „Pimmel?!“, rief einer der Likedeeler, und alle prusteten darauf los, klopften auf die Tische, welche ob der Wucht der Schläge auf und ab hüpften. Ein Glatzkopf bekam gar keine Luft mehr, lief rot an und johlte: „Wohouwohouwho!“ Die rüstige Wirtin rollte mit den Augen: Die Likedeeler zertrümmerten immer wieder ihr Mobiliar aber immerhin bezahlten sie dafür, und den Tischler und den Töpfer im Ort freuten die zusätzlichen Aufträge. Dem jungen Mann schoss das Blut ins trotzig verzogene Gesicht: „Mein Name ist Hinni! Hinnerk um genau zu sein! Hinnerk Wiards, um noch genauer zu sein! Und ihr tätet gut daran, euch diesen Namen zu merken, Likedeeler! Denn ich werde noch heute eurer Mannschaft beitreten! Wenn ihr denn Manns genug für mich seit, heißt das!“ Klaus Schelt erwiderte spöttisch: „Du willst uns beitreten? Pfff - Du kannst ja kaum den Zahnstocher halten, den du da auf deinen Schultern trägst, du Vogel! Los, lauf zurück zu deiner Mama, sie vermisst ihr Küchenmesser.“ Erneut ertönte Gelächter und der Glatzkopf rief Hinni zu: „Du bist der Wahnsinn! Wohouwohu!!“ Hinni setzte nun ein eigenes, grimmiges Grinsen auf: „Also wenn ihr Angst habt, gegen mich anzutreten, dann sagt es ruhig und ich suche mir echte Kerle, die was vom Kämpfen verstehen!“ Ein Hüne sprang nun auf und baute sich vor Hinni auf. Er war noch um einen Kopf größer als der hochgewachsene Hinni: „Nimmst die Klappe ja ganz schön voll, Bubi. Kommst hier her, scheißt uns dumm von der Seite an und willst uns dann auch noch beleidigen, oder wat? Verbündete hin oder her, aber es gibt Grenzen! Ich sollte dir hier auf der Stelle den nackten Arsch versohlen, du friesischer Dieskopp du...“ „Alrich! Genug!“, kam es lautstark aus Richtung des Tisches. Es war Störtefad, der nun aufstand und grinste: „Er hat uns beleidigt, weil wir ihn beleidigt haben. Es is‘ sein gutes Recht, sich zu verteidigen. Is‘n echter Friese. Lass gut sein. Wir sollten den Jungen ernst nehmen. Setz dich wieder hin, Alrich. Genieß dein Bier, penn dich aus. Ich guck mir das mal an.“ Alrich schnaufte: „Hmpf. na gut. Mach du das, Störte.“ Störtefad straffte sich, knackte mit den Halswirbeln und warf seinen Umhang zurück. Lässig und lächelnd schritt er zu Hinni herüber. Auf seiner rechten Schulter prangte ein lederner Schutzpanzer mit Nieten versetzt. Er starrte den Jungen an und Hinni erwiderte den durchdringend-schwankenden Blick. Störtefad roch stark nach Schweiß und Alkohol: Er hatte seit gestern Abend durchgefeiert.
Es klatschte laut: Mit einer Bewegung, die keiner sehen konnte, schlug Störtefad Hinni in den Magen: Der Junge blockte den Hieb ebenso schnell mit seiner rechten Handfläche ab. Durch die Wucht aber rutschte er noch ein Stück zurück. Die Umstehenden wurden etwas aufmerksamer auf die Situation. Einige Likedeeler pfiffen anerkennend. „Ja, du hast ja was dazugelernt seit unserem letzten Aufeinandertreffen, Hinnerk Wiards.“, meinte Störtefad und legte den Kopf schief, um den Jungen genauer zu begutachten. Hinni grinste zwar, blieb aber in einer angespannten Pose verharrend: „Zweimal darauf reinzufallen, wäre unentschuldbar gewesen.“ Nach einer kurzen Pause, in der er merkte, dass Störtefad nicht weiter angriff, fuhr er fort: „Ihr habt damals gesagt, dass ihr jeden aufnehmen würdet, wenn er einen von euch im Kampf besiegt! Die letzten drei Jahre habe ich es nicht geschafft, aber dieses Mal werde ich einen von euch in den Staub schicken. Dafür habe ich ein ganzes Jahr trainiert und ich verdiene eine weitere Chance! Ich will ein Likedeeler werden! Will hinaus und mir einen Namen machen!“ Störtefad schmunzelte: „Na also, wenn das so ist, wollen wir freilich keine Zeit mit blödem Geplapper verschwenden, nicht wahr? Hast du vielleicht irgendeinen Wunsch, gegen wen du dich beweisen willst? Magister Wiards?“ Hinni zuckte mit den Schultern: „Mir ist es gleich. Ich kämpfe auch gegen dich, wenn es sein muss.“ „Ist das nicht ein wenig zu hart? Wie wär’s stattdessen mit… mit Magister Wigbold?! Kampf gegen den ollen Mönch? Ein bisserl Wettbeten!“ Die Menge und die Likedeeler lachten verhalten wegen des Scherzes. Zu ihrer aller Verwunderung antwortete Wigbold: „Ich stelle mich dieser immensen Herausforderung. Wohl denn: Du bist eh zu betrunken, Junge.“ Er erhob sich und kam näher. Störtefad und den anderen Vitalienbrüder entfleuchte ein erstauntes „Ohhhh!“ und „Ach!“ Störtefad wedelte dann beschwichtigend mit den Händen: „Haha, Nein, nein, Wigbold! Das war nur ein Scherz! Setz dich wieder, alter Mann. Das kann ich genauso gut erledigen…“ Wigbold rümpfte die Nase: „Ich weiß, ihr alle haltet mich nicht für einen echten Krieger, was auch immer das sein soll außer einem schwertschwingen Irren! Aber ich bin immer noch Mitglied dieses Haufens und so wie wir die Beute teilen, so teilen wir auch die Aufgaben. Ich werde mich nicht davor drücken. Hab ich nie.“ „Aber- aber...“ „Aber was? Sprich deutlich, Fasstrinker. Seit wann stotterst du? Tritt schon beiseite.“ Wigbold und Störtefad stierten sich eine Weile an, ehe Störtefad schnaubend nachgab: „Nagut, groooßer Magister! Ohj-ohjo-jho! Wenn du unbedingt willst, dann hau dich eben weg! Wir sind ja alle erwachsen und wissen, was wir tun oder lassen sollten, nich? Viel Spaß! Und Tschüss!“ Störtefad stapfte zu seinem Tisch zurück, legte trotzig die Füße hoch und schmollte wie ein Kind. Michels schmunzelte. Nun wandte sich Wigbold erst Hinni zu. Aus der Nähe betrachtet hatte Wigbold einen durchdringenden überheblichen Blick in den Augen. Dieser Eindruck wurde durch die hinter seinem Rücken verschränkten Arme noch verstärkt: Er schien Hinni nicht als Bedrohung wahrzunehmen. Er beugte sich leicht vor und zeigte elegant mit einem Arm auf den Marktplatz, wie bei einer höfischen Einladung zum Tanz: „Wollen wir zur Tat schreiten, junger Herr Wiards?“ „Das wollen wir.“, erwiderte Hinni trotzig.
„Es gibt einen Kampf!“, rief ein Marienhafener laut, und die Aufmerksamkeit der Menge war ihnen nun sicher. Neugierig schoben sich Kinder und Halbstarke nach vorne und platzierten erste Wetten. „Schafft Platz Leute.“, rief Wigbold und markierte mit dem Arm einen großen Kreis mitten auf dem Marktplatz. Die Leute machten keine Anstalten, zu widersprechen, und traten drängelnd zurück. Wigbold schritt die Fläche ab und zog mit seinem Fuß einen Kreis in den Sandboden. Er ließ sich dabei genüsslich Zeit und Hinni wurde ungeduldig. Eine unheilschwangere Anspannung lag jetzt in der Luft. Die Ruhe des ehemaligen Mönches beunruhigte den jungen Mann mehr, als er sich eingestehen mochte. War Wigbold letztlich nicht so schwach wie vermutet? Immerhin hatte er bei Mönchen als Novize gelernt und soweit Hinni wusste, beherrschten einige der militärisch-orientierten Orden so manch effektive Kampftechniken. Einmal hatte er sogar mitangesehen, wie ein schmächtiger Wandermönch von Sankt Gallen drei kräftige, landbekannte Raubmänner quer durch ganz Ochtersum getreten hatte, sodass sie bis zum nächsten Tag nicht mehr aufstanden. Hinni und Wigbold stellten sich voreinander auf und der Mönch fragte unbefangen: „Möchtest du nicht das Schwert aus der Scheide ziehen, bevor wir anfangen?“ Gelächter ertönte aus der Menge. Hinni lief eine erste Schweißperle vom Gesicht. Warum nur war Wigbold so gelassen? Er sah noch nicht einmal eine Waffe, womit wollte Wigbold überhaupt kämpfen und seine Hiebe parieren? Hinni nahm das Schwert von der Schulter und zog es sirrend aus der Scheide. Ein Raunen ging durch die Menge, als es in der Mittagssonne aufblitzte; grüne Zacken am flachen Rand der Klinge. Gemurmel erhob sich: „Das kenn ich doch?“ „Wie kommt der Junge an das Ding?“ „Gehört doch Abbo, dem Aufmüpfigen, offnäy?“ „Dem aus dem garstigen Moor?“ „Ja, dat ist doch sein Schwert!“ „Dat Schwert aus dem Teufelsmoor, ja, dat musses sein!“ Magister Wigbold hob eine Augenbraue, als er die gezackte, grünlich funkelnde Klinge erblickte. Hinni wirbelte das Schwert herum und machte ein paar Übungsschläge. Dabei surrte die Klinge und zog kurze, grünliche Schlieren hinter sich her, als leuchtete sie von innen. Hinni erklärte stolz: „Dies ist Abbos Schwert, Pakhaou. Damit habe ich das ganze letzte Jahr geübt und damit werde ich dich besiegen.“ „Interessant. Eine magische Klinge, wie?“, bemerkte Wigbold mit dem Interesse eines Forschers und Fachkundigen. Hinni fragte lapidar: „Willst du nicht auch deine Waffe zücken?“ Er sah ein leichtes Lächeln auf dem Gesicht des Likedeelers: „Meine Waffe ist immer gezückt, junger Freund. Das sind die Regeln dieses Kampfes: Landest du dreimal im Staub, ist der Kampf vorbei, ebenso wenn einer von uns den Kreis verlässt. Schaffst du es, mich auch nur einmal festzunageln, so kannst du in meine Mannschaft eintreten. Es wäre deine eigene, freie Entscheidung als neues Mitglied, bei welchem Houpen du dich wohler fühlst. Bei Michels zählt seefahrerisches Können, bei mir zählt Taktik und List. Bei Störtefad…“ Er blickte zu dem Likedeeler, der zur Antwort laut rülpste: „Nun bei ihm kannst du dich austoben oder sowas.“ „Klingt gerecht.“, stimmte Hinni den Bedingungen zu und ging in die Hocke: „Ich greife dann an!“ „Nur zu.“
Hinni lief mit gezückter Klinge vor und der ehemalige Mönch rührte sich nicht, selbst als die Klinge auf ihn niedersauste. Dennoch traf sie ins Leere: Ein Raunen ging durch die Menge und Hinnis Augen weiteten sich vor Schreck, als er Wigbold direkt hinter sich hörte: „Du bist kein Mörder, Junge. Du zögerst zu sehr.“ In einem Reflex hieb Hinni nach hinten, um Wigbold zu erwischen, aber der Hieb ging erneut ins Leere. Wigbold stand nun einige Meter entfernt an Hinnis Ausgangspunkt. Nur aufgewirbelter Staub zeugte von der aberwitzigen Geschwindigkeit des Magisters, mit der er sich beinahe lautlos bewegte. Konnte das wirklich so sein oder war das nur eine optische Täuschung? Hinni schluckte. Die letzten Jahre hatte Hinni gegen Maate, Unterleute oder Kämpen der Likedeeler gekämpft, aber keiner von ihnen war je so schnell gewesen. „Bin ich jetzt am Zug?“, meinte Wigbold, und Hinni machte sich auf den Gegenangriff gefasst. Der Likedeeler kam in einer Halbkreisbewegung angerast. Hinni hieb im rechten Moment auf ihn ein, aber nur um ihn erneut zu verfehlen. Dabei hätte er Stein und Bein geschworen, dass er ihn erwischt hätte… „Eins.“, hörte er Wigbolds kalte Stimme neben sich und stolperte über dessen ausgestrecktes Bein. Hinni verlor das Gleichgewicht und konnte sich nicht mehr rechtzeitig abstützen. Ein Raunen und vereinzeltes Klatschen ging durch die Menge, als er im Sand landete. Hinni rappelte sich mit einem Sprung wieder auf, mit Staub im Mund. Er spuckte aus und schüttelte seinen Kopf, grinste: „In Ordnung. Du bist ziemlich flott zu Fuß für einen Mönch.“ Dieser zuckte nur mit den Schultern: „Hast du genug? Oder muss dieses Schauspiel weitergehen?“ Hinni grinste: „Ich fang grade erst an!“ Wigbold nickte: „Dumm genug für unseren Haufen bist du ja schon mal.“ Hinni bereitete sich innerlich auf einige Spezialangriffe vor, die er von Onkel Abbo gelernt hatte. Hinni wusste nun, dass Wigbold ihm an Geschwindigkeit überlegen war. Er wich jedem Angriff spielend aus, sodass Hinni sich gezwungen sah, eine eher zweifelhafte Technik hervorzukramen, die Abbo in friesischem Dialekt 'Düvels Danz' getauft hatte. Hierbei hielt Hinni die Waffe hinter sich, lauerte wie eine Spinne im Netz und wartete darauf, dass irgendjemand in den Schlagradius seiner Waffe kommen würde - sozusagen seine Spinnfäden berührte. Höchste Konzentration war erforderlich, da Hinni sich auf die Erschütterungen im Boden, die Luftvibrationen und andere Wahrnehmungen einstellen musste. Magister Wigbold kniff nachdenklich die Augen zusammen und schien zu ahnen, dass der Kampf mit dem merkwürdigen Stand Hinnis eine neue Qualität erreicht hatte: „In Ordnung. Du hast wirklich Fortschritte gemacht. Respekt für deine Hartnäckigkeit. Aber es wird dir nicht helfen.“ Diesmal stürmte Wigbold direkt auf Hinni ein, ohne Halbkreisbewegung. Hinni rührte sich nicht; hielt die Augen geschlossen, voller Konzentration.
Dann wirbelte er um die eigene Achse und stach direkt hinter sich: Genau dort tauchte Wigbold auf. Der Hieb ging diesmal nicht ins Leere, traf auf die Brust des Magisters. Mit einer Bewegung, die Hinni nie für möglich gehalten hätte, weil sie allen Gesetzen der Logik widersprach, wirbelte dieser doch noch herum, sodass der Stich nur seinen Arm streifte. Wigbold rollte sich ab, sprang auf und brachte wieder Distanz zwischen sich und Hinni. Blut tropfte von seinem Arm, aber der Mönch betrachtete es ungerührt: „Soso. Das war es also. Keine schlechte Idee. Wie nennst du diese Technik?“ „Düvels Danz.“ Der Magister nickte: „Eine defensive Technik? Darauf warten, bis der Feind nah genug ist, um dann im geeigneten Moment zuschlagen.“ Wigbold durchschaute Hinnis Absichten viel zu schnell. Nun sah sich der Junge offen mit dem Intellekt eines weit erfahreneren Mannes konfrontiert, der ihn nicht mehr schonen würde. Wissen und Intelligenz waren keine Dinge, die sich Hinni auf seine persönliche Tugendfahne schreiben konnte: Er war zwar auch kein Trottel, aber er bevorzugte seit jeher Taten über dumpfem Brüten. „Erlaube mir etwas auszuprobieren.“, meinte Wigbold höflich. Hinni begab sich wieder in die Lauerstellung vom Düvels Danz. Wigbold lief auf ihn zu wie zuvor, aber anstelle dass er Hinni angriff, lief er nur im Kreis um Hinni herum, gerade so außerhalb der Hiebreichweite seines Schwertes. Er rannte immer im Kreis um ihn herum. Indem er sich so nahe am Rand bewegte, fiel es Hinni mit jeder Sekunde schwerer, sich zu konzentrieren. Faktisch täuschte Wigbold nun permanent potentielle Angriffe vor und reizte Hinnis Sinne damit aufs Äußerste. Es war ein Fintengewitter. Hinni wusste, dass ein Fehltritt sein Ende bedeuten konnte. Seine Konzentration ließ unter der permanenten Provokation spürbar nach und Geräusche und Eindrücke, die rein gar nichts mit dem Kampf zu tun hatten, mischten sich in seine Wahrnehmung und lenkten ihn ab. Schließlich wurde Hinni ungeduldig und musste einen präventiven Ausfallschritt machen. Er versuchte ein letztes Mal, Wigbold zu lokalisieren und als dieser besonders laut und deutlich an seinem Netz vorbeilief, stieß er kraftvoll zu. Wigbold war nicht dort. Ruhig sprach der Mönch: „Zwei!" Hinni verspürte einen kräftigen Schlag in den Nacken, der ihn zu Fall brachte. Er konnte nicht verhindern, dass seine Beine wie weiches Wachs nachgaben und er zuerst auf die Knie und danach der Länge nach hinfiel wie ein nasser Roggensack. Erneut hatte er Staub im Gesicht. Sein Nacken brannte vor Schmerz.
Wigbold trat vor ihn und wirkte aus dieser Lage wie ein schwarzer Riese vor der grellen Sonnenscheibe. Er besah sich den Dreck unter seinen Fingernägeln: „Wie hab ich dich besiegt?“ „K-Keine Ahnung...“ „Dann will ich es dir erklären, Junge. Vielleicht lernst du was fürs Leben: Ich dachte mir gleich, dass deine Technik auf Konzentration beruht. Ich kannte eine ähnliche Technik namens Spinnenbiss: Wie eine Spinne im Netz bewegungslos verharren kann, um im richtigen Moment zuzuschlagen. Recht effektiv gegen einen schnelleren Gegner, wie eine Fliege. Aber Menschen sind keine Spinnen und müssen viel mehr Informationen mit ihren Sinnen verarbeiten als Spinnen. Kannst du mir folgen? Die Spinne reagiert instinktiv; der Mensch muss dafür aber bewusst Konzentrationsenergie aufbringen. Denn ihm ist von Gott Verstand gegeben - aber dieser Verstand hat auch seine Schwächen. Ich musste letztlich nur noch einmal mit dem Fuß aufstampfen und du bist in deiner wachsenden Ungeduld auf den Köder reingefallen. So wird die Spinne zur Beute ihres eigenen Netzes, wenn die Fliege um die Falle weiß.“ Einige Leute applaudierten beeindruckt. Hinni rappelte sich auf: „Verdammt. Ich denke, ein zweites Mal wird es nicht klappen, oder?“ „Nein. Der Trick ist verraten. Mir hat auch das erste Mal schon gereicht. Es ist eine Weile her, dass ich mein eigenes Blut sah. He - Immer noch rot. Gut zu wissen.“ Er packte den Friesenjungen und stellte ihn wieder auf, klopfte ihm sogar den Staub ab: „Im Prinzip eine gute Technik, aber ein bisschen zu komplex für deine Fähigkeiten. Unpassend für deine - bäuerliche Natur…“ Hinni nickte verlegen: Und stach hart mit Pakhaou zu. Der Hieb ging wieder ins Leere und Hinni fluchte lautstark: „Scheisse!“ Wigbold hatte mit einem Sprung sofort einige Meter Abstand zwischen sich und den Gegner gebracht. Er lächelte erstaunt: „Oho! Welch hinterhältiges Manöver.“ „Noch ist der Kampf nicht vorbei, Magister! Einen Versuch habe ich noch.“ Wigbold nickte: „Da war ich wohl ein wenig naiv.“ Hinni grinste, aber es wirkte gequält: Dieser Kampf war eine einzige Blamage. Ihm fielen zwar eine Reihe von Schwerthieben ein, aber alle waren zu langsam, um den übermenschlich dünkenden Reflexen des Magisters Paroli bieten zu können oder ihn auf kaltem Fuß zu erwischen. Da kam ihm eine Idee, eine Eingebung. Vielleicht musste er den Magister garnicht treffen. Er musste eigentlich alles treffen, was sich in dem Kreis befand.
Dies war eine verzweifelte Situation, und Hinni kam eine Idee, wie er einen solchen Radius erreichen konnte, welcher den Kampfring völlig abdecken würde. Er musste die besondere Spezialfähigkeit von Pakhaou nutzen, auch auf die Gefahr hin, dass diese Zuschaustellung von Magie einigen gläubigeren Zuschauern übel aufstoßen würde. Zum Glück hielt sich die Inquisition aus Gründen des offiziellen Friedens meist aus Friesland fern. Neben der magisch verstärkten Durchschlagskraft der Klinge konnte sie sich auch in andere Waffenformen verwandeln. Einziger Nachteil dabei waren die enormen Schmerzen, die der Träger dabei erdulden musste. Es konnte einen gestandenen Mann in die Bewusstlosigkeit treiben. Einzig Onkel Abbo hatte es so sehr gemeistert, dass es ihm nur noch ein grimmiges Keuchen entlockte. Hinni aber sah keine andere Wahlmöglichkeit, den Kampf sonst noch zu gewinnen. Somit drückte er das Emblem am Schwertknauf und hielt den Schwertgriff mit beiden Händen fest. Er konzentrierte sich und bat Pakhaou leise, sich zu einem überlangen Breitschwert zu formen, mit dem Radius des Kreises als Basis. Magister Wigbold sah dem Ganzen mit dem Interesse eines wissbegierigen Gelehrten zu: Er ahnte nicht, was gleich geschehen würde, ebenso keiner der Zuschauer. Zunächst durchfuhr Hinni nur ein leichtes Kribbeln, steigerte sich, bis ein brennender Schmerz von seinen Armen ausgehend durch den ganzen Körper zuckte. Sein Herz pochte, seine Nackenhaare richteten sich auf und er wand sich von Krämpfen geschüttelt mit zusammengebissenen Zähnen. Eine grünliche, nebulöse Aura hüllte ihn ein.
Die Menschen wichen zurück. „D-Das ist Hexerei!“, rief eine alte Frau und bekreuzigte sich mehrfach. „Ach was, dass is' nur Abbo-hos verrücktes' Schwärt!“, rülpste ein angetrunkener Mann lautstark. Ein weiterer rief: „Woouwowou!“ Das grün leuchtende Schwert verformte sich, wurde immer länger. Als es seine endgültige Form erreicht hatte, gab es einen lauten Knall und Hinni fiel auf die Knie. Ein Mann, der das Ganze vom Marienhafener Kirchturm aus beobachtete, atmete nun tief durch. Hinnis Knie waren wachsweich und Schweiß tropfte ihm dick von der Nase. Wigbold hob eine Augenbraue: „Du überrascht mich erneut, aber Magie ist ein flüchtiger Begleiter, ein Werkzeug vorgetäuschter Macht. Darauf kannst du nicht bauen.“ Hinni grinste unter Schmerzen und Schweiß: „Es war ein guter Kampf, Magister. Nun aber endet er.“ Der Likedeeler nickte grimmig: „So sieht es aus. Dann los.“ Hinni stapfte zur Mitte und legte Pakhaous überlange Klinge bis zum Rand des eingezeichneten Kreises: „Geht besser aus dem Weg!“ Das musste Hinni den Menschen kein zweites Mal sagen; sie rückten eilig vom Kampfplatz fort. Er begann sich wie ein Kreisel zu drehen, mit sich selbst als Schwungzentrum und Pakhaou als Sense. Wigbold lief los und war anfangs so schnell wie die Klinge geschwungen wurde, lief immer im Kreis. „Eine nette Übung.“, kommentierte Wigbold die Situation und schien nicht im Ansatz gefordert oder beunruhigt zu sein. Einigen Zuschauern wurde beim immer schnelleren Wirbeln schwindelig, als sie weder Klinge noch Wigbold klar erkennen konnten. Das Surren des vorbeischwingenden Schwertes wurde immer schneller und schriller und ein betrunkener Mann übergab sich provisorisch. Niemand wollte in die Nähe dieses wirbelnden Todes kommen. Hinni legte einen Zahn zu und begann Pakhaou nicht nur auf einer durchgehenden Ebene zu schwingen, sondern die Klinge auf und ab trudeln zu lassen. Er zischte: „Tiletop-Wirbel.“ Ein bedrohliches Sirren pfiff hoch, als die Geschwindigkeit zunahm. Gödeke Michels kommentierte das Ganze ruhig: „Wenn der Bengel die Waffe loslässt, könnte er mit der Wucht den Kirchturm zweimal durchlöchern. Das kann hässlich werden.“ Störtefad nickte: „Entweder das, oder es könnte ihn bis nach Emden schleudern.“ Wigbolds Schemen wurde eingeholt, aber auch Hinni verließen nun die Kräfte. Der bisherige Kampf und die Verwandlung des Schwertes aus dem Teufelsmoor hatten ihn viel mehr Kraft gekostet, als er einkalkuliert hatte. Dies war seine letzte Trumpfkarte, danach war nichts mehr. „Es muss klappen, es muss klappen! Ich will nicht noch länger warten! Ich will raus hier!“, zischte er in Gedanken. Er spürte ein Rucken durch die Klinge, als sie Wigbolds waberndes Abbild erwischte. Erst jetzt verlangsamte er die heulende Geschwindigkeit der Wirbelklinge und brachte sie zum Stillstand, sie zog sich wieder zu Normalgröße zurück. Ihm war schwindelig wie nie zuvor. Fast bekam er es nicht mehr mit, dass Jubel aufbrandete. Wie durch einen Schleier hindurch sah er das Barret von Magister Wigbold im Staub liegen. Hinni lächelte mit zerschundenem Gesichtsausdruck: Offenbar hatte er Wigbold aus dem Kreis vertrieben und den Kampf somit gewonnen. Hinni drehte sich ein paar Mal um sich selbst und torkelte so bedenklich, dass es selbst dem betrunkenen Mann auffiel: „Was ist den looos?“ Hinnis Schmerzen waren durch das Glücksgefühl des Sieges wie weggeblasen und ein breites Grinsen trat auf sein Gesicht, wollte nicht mehr weichen.
Endlich! Endlich war er ein Mitglied der Likedeeler! Endlich konnte er die See befahren, weg vom drögen Bauernleben und hin zu wirklich großen Abenteuern, Schätzen, Liebeleien und allerlei Erlebnissen, von welchen er noch seinen Enkeln mit leuchtenden Augen am Kaminfeuer erzählen würde: In Zufriedenheit und Erfüllung. Hinni war überglücklich. So glücklich dass er nur am Rande seines Bewusstseins das Wort: „Drei.“, vernahm. Es klatschte und dann wurde alles dunkel. Das Lächeln blieb aber, als gäbe es kein Unglück mehr auf Altera. Gewonnen.