*Piep-piep-piep*
Drei hochfrequente, schnell aufeinander folgende Pfeiftöne, zerrissen die schläfrigen Nerven. Hanna wachte auf. Helles Licht flutete durch die großen Panoramafenster und schien ihr direkt in die blinzelnden Augen. Sie rieb sich das Gesicht und setzte sich auf. Das Piepen ertönte schon wieder, diesmal klarer aber weniger laut.
Hanna griff blind auf den Nachttisch. Schnell fand sie die kleine, orangene Pillendose. Sie schnippt den weißen Deckel ploppend auf und schüttet sich einige helle, in der Mitte gekerbte Pillen in die Hand.
„Drei sind zuviel“, dachte sie und ließ eine der Pillen zurück in die Dose gleiten. Die anderen Beiden warf sie sich mit müdem Blick in den trockenen Mund. Hanna suchte etwas zu spühlen, ihre verschlafenen Augen erspähten drei Flaschen aus dunkelgrünem Glas, welche ebenfalls auf ihrem Nachttisch standen. Sie griff nach der Einzigen deren Inhalt noch aus etwas Flüssigem zu bestehen versprach. Das schale Bier darin war noch zu einem Viertel enthalten. Sie setzte den pappigen Flaschenhals an die Lippen und nahm zwei kräftige Schlucke. Emotionslos würgte Hanna die Tabletten runter. Bald würden die Kopfschmerzen, die durch das lästige Piepen des Nachrichtenterminals hervorgerufen worden waren, verklingen. Nochmals fuhr sich Hanna mit der blanken Hand durchs Gesicht, streifte sich ein paar Haare nach hinten und erhob sie aus dem großen, mit weißen Decken und Kissen ausstaffiertem Bett. Sie kratzte sich an ihrer Pobacke und sah sich im Schlafzimmer um. Überall auf dem Boden lagen Klamotten verteilt, hin und wieder auf eine leere Flasche, sowie eine fettige Schachtel mit übrig gebliebenen, angekauten Pizzalappen.
Hanna griff nach einem am Boden liegenden T-Shirt, zog es an und wiederholte die Prozedur bei dem danebenliegenden String. Dann tat sie ein paar vorsichtige Schritte. Dabei stellte sie fest, dass sie nur eine der schwarzen Socken des Vorabends an ihrem Fuß hatte.
*Piep-piep-piep*
„Ja, verdammt! Ich bin ja schon wach!“, maulte Hanna und schlufte genervt ins Nebenzimmer. Die nackte Schönheit, deren blauer Körper zwischen den verwuschelten Lacken ihres Bettes schlief, ignorierte sie.
Langsam verschwanden die Kopfschmerzen. Auf dem Bildschirm blinkte die Anzeige „Incoming call“ in ekelhaft hellen, gleißenden Buchstaben. Hanna berührte den Display, der daraufhin kurz flackerte. Dann erschien das Bild eines jungen, gut aussehenden Mannes in blauer Uniform. Die im Hintergrund sichtbaren Symbole und die hörbare Betriebsamkeit an dem Ort identifizierten den Anrufer zusätzlich als einen Officer von C-Sicherheit.
„Guten Morgen, Schlafmütze!“, sagte der Mann auf der anderen Seite munter.
„Halt die Klappe, Will!“ , entgegnete Hanna schroff. Der Mann, dessen vollständiger Name William Charles Hunter lautete, grinste breit.
„Na wir haben heute aber mal wieder wunderbare Laune! Schau mal raus! Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern...“
Hanna verschwand von dem Bildschirm, tauchte aber wenige Sekunden später wieder vor ihm auf, in der Hand eine Schachtel Zigaretten.
„Was willst du? Ist irgendwas los, oder hattest du nur Sehnsucht?“
Hanna schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen und klickte ein paar mal mit dem silbernen Feuerzeug, dass sie in die andere Hand genommen hatte.
„Fuck!“, fluchte sie murmelnd, als sich nicht sofort eine Flamme entzündete. Diese alten Benzinfeuerzeuge waren stilvoll, aber nicht immer zuverlässig. Schließlich sprang doch ein Funke über und entfachte das kleine Feuer. Sie zündete sich die Kippe an, während Will weitersprach: „Hmm, 60 zu 40!“, er zwinkerte schelmisch, fuhr dann aber ernst fort: „Commander Verox hat einen Job für uns. Mach dich fertig, wir sehen uns in einer Stunde im HQ!“
Der Bildschirm-Will winkte kurz, dann zitterte das Bild und verschwand. Hanna seufzte.
„Ein weiterer Tag in der Hölle“, grummelte sie missmutig. Dann schlurfte sie, die Zigarette im Mund, zurück zum Schlafzimmer. Die Asari schlief noch immer. Sie lag auf dem Bauch und atmete leise. Die Decke war schräg von ihren Kniekehlen hochgezogen, sodass nur die Waden und der rechte Arm von ihr verdeckt waren. Die gesamte Rückseite lag bar vor Hannas Augen. Diese zog einmal kräftig an ihrer Kippe, blies den Rauch mit Druck durch ihre Nase aus und nährte sich dem Bett.
„Hey! Zuckerschnecke. Aufwachen!“, sagte sie und tippte dem graziösen Wesen zwischen die Schulterblätter. Sie schlief weiter und gab nur ein paar entspannte, murmelnde Laute von sich. Hanna gab ihr daraufhin ein paar sanfte, aber bestimmende Klapse auf den blauen Hintern, was die Asari tatsächlich zum Öffnen ihrer Augen bewegte. Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck drehte sie sich um und räckelte sich.
„Guten Morgen“, hauchte sie und lächelte Hanna an.
„N´ Morgen!“, erwiderte diese. Während die Asari genüsslich alle Glieder von sich streckte, was diese mit einem lösenden Knacken quittierten, umrundete Hanna das große Bett, Ausschau haltend nach der zweiten Socke.
„Hast du auch eine für mich?“, fragte die Asari und nickte zu der Zigarette in Hannas Mund. Hanna griff sich an die nacken Oberschenkel, wo sonst die Schachtel in der Hosetasche steckte. Als ihr auffiel, dass sie ja noch keine weitere Kleidung trug, zog sie nochmal kräftig an dem Glimmstängel und reichte ihn dann der Blauen.
„Oh!“, stieß diese überrascht aus, streckte das gerade unter der Decke hervorgezogene Bein in die Höhe und präsentierte die fehlende, an ihrem Fuß steckende, schwarze Socke. Dabei zeigte sie Hanna Alles.
„Ah, die hab ich gesucht! Besten Dank auch!“, raunte sie monothon und zog den Seidenstrumpf von dem zierlichen Fuß der Asari ab. Ein Geruchstest war nicht notwendig und so steckte Hanna nun ihren Fuß in den weichen Stoffmantel.
„Gibt´s Frühstück?“, fragte die Asari in kitschigem, ihrem Alter nicht angemessenen Tonfall.
„Sicherlich. Aber nicht hier...“, antwortete Hanna. Entrüstet sah ihr Übernachtungsgast sie an.
„Wie? Willst du mich jetzt einfach rausschmeißen?“
„Ich muss. Ich hab zu arbeiten!“, erklärte Hanna geduldlos und ruderte aufscheuchend mit ihren Armen. Empört sprang die Asari auf und mit wütendem Ausdruck im Gesicht begann sie, ihre Sachen vom Boden des Appartments aufzusammeln.
„Ich glaub´ da hinten hab ich auch noch was von dir gesehen!“, rief Hanna helfend und deutete Richtung Wohnzimmer. Obwohl es der Wahrheit entsprach, schaute die Asari Hanna giftig an, ehe sie ihre Habe von Hannas Sofa pulte.
„Hör zu, wenn du willst mach ich dir ein Kaffee“, bot Hanna an, doch die Asari überhörte sie einfach, sammelte den Rest ihrer Sachen auf und stürmte Richtung Ausgang. Kurz bevor sie durch die Tür schritt, drehte sie sich nochmals um und zeigte Hanna den Mittelfinger, ein seitdem die Menschheit in der Galaxie aufgetaucht ist, allseits anerkanntes Zeichen der Missachtung.
„Na gut, kein Kaffee für dich, Herzchen“, wisperte Hanna, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob sie sich falsch verhalten habe.
Während der Kaffee durch den Automaten lief, gurgelte Hanna kurz mit etwas Wasser, das mit drei Tropfen einer synthetischen Flüssigkeit versetzt war, welche das lange Zähneputzen vollkommen unnötig machte. Außer man gehörte zur High-Society wo ein fünfminütiges Schrubben mit Zahnbürstern der neuesten Massenfeldgeneration zum Trend geworden war. Hanna spuckte das Wasser in das Waschbecken, klatschte sich danach eine Hand kalten Wassers ins Gesicht und knotete ihre ungebürstete und stuppige Mähne zu einem lockeren Dutt zusammen.
Den Kaffee exte sie in drei Schlucken, was sie im Nachhinein sehr bereute, war er doch viel zu bitter gewesen und der Geschmack des Zahnputzwassers noch zu frisch. Aber ein Morgen ohne Kaffee war ein verlorener Morgen. Sie öffnete ihren in die Wand eingelassenen Kleiderschrank und griff wahllos nach einer Hose. Der Zufall wählte eine Stoffhose mit Beintaschen in militärischem, schwarz-grauen Tarnmuster aus, in welche Hanna rasch schlüpfte, dann ihren Waffengurt umschnallte und die Holster an den Oberschenkeln festclipste. Die Citadel hatte neben der Erde und einer Handvoll menschlicher Kolonien die strengsten Waffengesetze in der Galaxie. Ihr als Mitglied der polizeilichen Behörde jedoch war es gestattet die Waffen an jedem Ort der riesigen, schwebenden Stadt zu tragen.
Schnell stopfte sich Hanna die üblichen Gegenstände in die unnormal tiefen Taschen der Hose und verlies das unaufgeräumte Appartment. Die Unordnung würde auch noch da sein, wenn sie wieder zurückkehrte, da brauchte sie sich keine Sorgen oder Illusionen machen.
„Willkommen, Agent Ilias“, sagte eine synthetische Stimme mit simuliertem, emotionalem Tonfall, als sie in ihr Skycar stieg.
„Bitte Ziel eingeben“, sagte die Stimme, welche die einer Frau nachahmte.
„C-Sicherheit, Hauptquartier“, wies Hanna an.
„C-Sicherheit, Hauptquartier. Bestätigt! Ich wünsche einen angenehmen Flug!“
Das Skycar brummte kaum merklich, als die Turbinen zündeten. Dann begann es auch schon zu schweben und gliederte sich mühelos in den nie enden wollenden Strom automatisch gelenkter Flugobjekte ein.