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Vanchess spürte die Blicke, die ihm die anderen Gäste der Taverne zuwarfen. Es war für ihn nicht verwunderlich. Die Lande waren dieser Tage voll von allerlei merkwürdigen Gestalten, weswegen sich der Barde nichts anmerken und sich die wunderlichen Blicke gefallen ließ.
"Mein Name ist Vanchess, ich bin Barde... ein Geschichtenerzähler... niemand, um dem man sich Sorgen machen muss, so viel ist sicher!", sagte Vanchess zögerlich, "und ich hätte gern ein kühles Getränk und eine warme Speise, wenn es euch nichts ausmacht, werte Wirtin", ergänzte er.
Situationen wie diese waren für den Barden keine Seltenheit, doch er lernte schon früh, sich zurückhaltend und unnahbar zu geben, um etwaigen Fallen oder zwielichtigen Personen aus dem Weg zu gehen. Er neigte leider dazu, diese Zurückhaltung und Unnahbarkeit etwas zu ausschweifend zu präsentieren, was ihn immer häufiger in merkwürdige, abenteuerliche, aber doch ungewollte Situationen brachte.
Er schaute die Wirtin an und war gespannt, wie sie reagieren würde, wohlwissend, dass sein kleines Schauspiel vielleicht ein bisschen übertrieben war.
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Murdra beugte sich in ihrer vollen Größe über den Tresen und beäugte den neuen Gast mit ihrem durchdringenden Blick. Sie hatte ein scharfes Auge für zahlende Kundschaft und ihr Gehör war ausgesprochen gut darauf trainiert, inmitten der allgemeinen Geräuschkulisse klimpernde Münzen zu vernehmen. Dieser Fremde war zahlfähig. Sogleich verschwand eine der Zornfalten von ihrer Stirn, auch wenn sie noch weit von einem Lächeln entfernt war.
„Ein Dunkles vom Fass, Hühnersuppe und Brot. Du hast Glück, dass wir gerade erst geschlachtet haben.“
Dabei flunkerte sie, denn eigentlich waren es diese Vogelscheuche und ihr debiler Begleiter, die in ihrem Wahn eines ihrer Hühner geköpft hatten. Insgeheim wünschte Murdra diesen Spinnern die Pest an den Hals.
„Hast du uns was zu präsentieren, Herr Barde? Ein schönes Ständchen vielleicht? Dann geht das Getränk aufs Haus.“
Diesen Vorschlag sprach sie so laut aus, dass sämtliche Tische nahe dem Tresen ihre Gespräche unterbrachen, um zu lauschen, ob es mal wieder gute Musik in der Taverne gab. Oder jemanden, den man mit ein bisschen fauligem Gemüse bewerfen konnte. In jedem Fall eine gute Unterhaltung.
Curt
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"Ihr wollt etwas Musik?", sagte Vanchess zurückhaltend grinsend, "Ich bin wahrlich kein Meister der schnellen Improvisation, aber ich gebe mein Bestes und vielleicht ist es ja genug!", ergänzte er.
Er nahm seine Gitarre vom Rücken, zog die Saiten vorsichtig nach und stimmte das Instrument, während er noch schnell überlegte, worüber er eigentlich singen könnte. Die Meute verstummte langsam und er wurde nervös, obwohl er nicht zum ersten Mal im Mittelpunkt einer betrunkenen Horde fremder Menschen stand.
Seine Finger glitten sanft über die nachgezogenen Saiten und er begann eine Melodie anzustimmen, die zum tanzen einladen sollte.
Ihr kommt von nah und fern,
habt das Wandersleben gern
Abenteuer hier und Abenteuer dort,
heute bin ich da und morgen bin ich fort
Das alles ist uns jetzt aber recht egal,
denn die gespaltene Jungfrau war unseres Rastes Wahl
Jetzt schenkt mir ein, dass dunkle Bier,
wir steigen auf die Tische und tanzen hier!
Er war wahrlich kein Improvisationstalent, auch wenn man dies von Leuten seiner Zunft immer erwartete. Die lange Reise hatte ihn müde und schläfrig gemacht, doch die Wirtin wusste, wie sie ihn aus der Reserve locken konnte und so zog er sich, ersponnen aus einigen, schnellen Eingebungen, ein paar Zeilen aus dem Ärmel, hoffend, dass ihn die Meute nicht mit faulem Gemüse bewerfen würde.
Sein Blick wanderte durch die Gesichter der anderen Gäste, nicht ahnend, wie sie wohl auf sein kurzes Ständchen reagieren würden. Seine Hoffnung blieb der Alkohol, der bereits in rauen Mengen floss und hoffentlich die Sinne all derer vernebelte, die sich zu dieser Stund noch in der Taverne befanden.
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Lehrling
So seltsam es erschien: Die Gespaltene Jungfrau war die beste Herberge der Insel. Die Gasthäuser und Tavernen der Städte und Dörfer im Umkreis hatten den Vorteil, dass sie innerhalb belebter Orte lagen. Kundschaft kam also so oder so. Die Jungfrau hingegen hatte diesen Luxus nicht. Murdra, die charmante Gastwirtin, musste ihr Etablissement so einladend gestalten, dass Reisende auf der Insel entschieden, gerade dort zu nächtigen. Von Vorteil war, dass sie sich irgendwie doch recht patente Köche angelacht hatte und ihre Unterkünfte qualitativ einigermaßen hochwertig waren. Zumindest höherwertiger als eine Schlafstatt unter einem Baum im Herbst oder den Fußmarsch durch Wind und Wetter nach Stewark oder gar Thorniara und – die Götter bewahren! – Schwarzwasser.
Daher hatten die varantische Diebin Qarrah und der einheimische Tunichtgut Heric die Gespaltene Jungfrau mit Freuden ausgesucht, um für einige Tage einen Schlafplatz und gutes Essen zu haben. Denn Heric – davon hatte er seiner Begleiterin noch nichts erzählt – plante etwas. Das war ihm, so sehr ihn Organisation und Verantwortung stets abgeschreckt hatten, fast zur zweiten Natur geworden. Planen, Theorien aufstellen. Wo konnte man an gutes Gold kommen, wo war die Chance, erwischt und hinter Gittern gebracht zu werden, möglichst gering.
Dieser Plan jedoch war etwas anders. Es war ein fast schon klassischer Racheplan. Und diese Pläne, wie die Geschichte wusste, waren entweder bis zum letzten Detail durchdacht oder … ergaben sich bei Ausführung der ersten Schritte. Die Rache war auch nur zum Teil für eigens erfahrenes Unrecht. Vielmehr übernahm er sie für jemanden, den er trotz Differenzen wertschätzte, dessen Wiedersehen ihn erschüttert aber auch irgendwo erfreut hatte.
Er ist wirklich heimisch geworden und das ist gut so. Er tut etwas für meinen Heimatort, ich werde etwas für seinen tun.
„Diese alte Vettel“, murrte Qarrah in ihren Becher mit Wein. Herics Kopf ruckte hoch, überrascht.
„Mh?“, machte er und lächelte die junge Frau auf eine Art an, wie er es gelernt hatte. Charmant. In ihrem Falle aber mit einer Spur jugendlicher Zuneigung, die irgendwo zwischen Verliebtsein und Freundschaft pendelte. Qarrah sträubte sich kurz und blickte finster wie eine schlechtgelaunte Katze, ehe sie mit dem Kinn zur weiter entfernten Theke und dem Drachen nickte, dem dieser Hort hier gehörte.
„Ich bat um etwas Wasser für den Wein, weil der stark ist“, erklärte sie ungehalten und schnell. „Und was sagt die Hexe? Dann latsch zur nächsten Oase und besorg dir welches. Hier ist Argaan, hier trinkt man den Wein stark, Sandmädchen!“
Ihre Stimme hatte vor Wort einen schrillen Klang bekommen. Heric seufzte, winkte ab und blickte fast schon mitleidig zu Murdra hin. „Qarrah, Liebes …“
„Nenn mich nicht Liebes, Sumpfjunge!“
„Qarrah, äh … sieh mal: Murdra hat noch nie einen Fuß von Argaan gesetzt. Keine der umliegenden Südlichen Inseln hat sie betreten oder gar das Festland bereist. Ihr Kosmos“ – ein Wort, das er stolz nickend Meister Kiyan verdankte – „beschränkt sich auf ihren Gasthof hier. Die Meinungen und Geschichten der Leute hier sind alles, was sie von der Welt da draußen kennt. Nimm’s ihr nicht übel.“
„Pah!“, die heißblütige Tochter des Sandes spuckte auf den Boden aus, der mit Stroh bedeckt war. „Pah, sag ich! Weißt du, ich hätte gut Lust, sie mal mit dem varantischen Messertanz vertraut zu machen. Wollen wir mal sehen, ob sie mit zwei, drei Fingern weniger immer noch so eine große …“
„Ich würd’s sein lassen.“, sprach jemand im Halbdunkel hinter ihnen, das klang, als würden ein wütender Wirbelsturm und ein polternder Erdrutsch zusammen sprechen. Herics hochroter Kopf drehte sich langsam, während Qarrah erst noch mit offenem Mund dasaß. Empört, weil sie unterbrochen wurde. Dann, weil sie selbst auf dem Festland noch nie so einen Nordmann gesehen hatte. Ragnar Fyresgrimsons Kopf ragte fast bis unter die Deckenbalken auf und plötzlich wirkte der geräumige Schankraum wesentlich enger und kleiner.
„Äh …“, brachte Heric nur hervor, als sich der Riese herunterbeugte und ihm eine Pranke auf die Schulter legte, die sicher mühelos einen Schattenläufer am Aufstehen hindern könnte.
„Heric“, rumpelten die Elemente, die Ragnars Stimme bildeten. „Mein lieber, fauler Heric. Ich setze mich mal, ja?“
Und ohne eine Antwort abzuwarten, setzte sich Ragnar, nachdem er die Hand von Herics Schulter genommen hatte. Sie schmerzte sogar!
„Oh, von Archolos“, Ragnar schmatzte zufrieden, langte mit dem baumlangen Arm über den Tisch und schnappte sich die Flasche. „Gute Wahl, Kinder.“
„Kinder?!“, ohnmächtige Wut troff aus Qarrahs Stimme. „KINDER?!“, zischte sie, kurz vor der Explosion. Heric schluckte und versuchte sie mit Mimik und unauffälliger Gestik zu beschwichtigen. Ragnars grauer Blick wandte sich ihr zu und es war, als würde der Troll den aufmüpfigen Goblin in Augenschein nehmen.
„Ich bin so alt, ich könnte der Großvater von euch beiden sein“, antwortete der Nordmann. Dann sah er von Qarrah weg, als wäre damit alles gesagt. Nun lastete sein Blick auf Heric. Darin lag wenig Freundschaft. Zwar keine Wut, aber durchaus etwas Verstimmung. Und das konnte bei dem Mann durchaus ein Todesurteil sein.
„Ragnar, äh …“
„Du zitierst mich her?“, fragte er ruhig. „Mich?“
„Also … hör mal …“
„Ich höre, Heric. Trotz meines Alters sogar gut. Ich möchte einen guten Grund hören. Einen sehr guten. Denk an die Idioten im Armenviertel von Thorniara. Da hat mich jemand vor die Tür zitiert.“ Er lächelte kalt. „Denk dran, was dann passiert ist.“
Heric unterdrückte ein Zittern der Finger, legte sie flach auf die Tischplatte und atmete durch.
„Gut, du hast recht. Es war falsch, dich herbeizuzitieren. Ich hätte persönlich zu dir kommen sollen. Ich hatte nur die Befürchtung, dass du mich davonjagen würdest, wenn ich dir von meinem Plan erzähle.“
„Planen? Du?“, Ragnar schnaubte belustigt und genehmigte sich einen kleinen Schluck Wein. „Was planst du denn Großes, Bursche?“
Das Zittern hörte auf. Plötzlich war da Sicherheit. Große Sicherheit. Als hätte das Scharren mischender Karten, das Rollen von Würfeln in einem Becher geendet und würden genau die Zahl zeigen, die er zum Sieg benötigte. Er wusste, dass Qarrah und Ragnar seinem Plan zustimmen würden.
„Ich will in Gorthar für Chaos sorgen“, erklärte er ruhig und lächelnd, „Ein Großes Haus zu Fall bringen, einen Auftragsmörder möglichst umbringen und … ach, Ragnar, du als Nordmann weißt, worum es geht: Eine Blutfehde.“
Lange sah ihn der Hüne an. Dann hellte sich sein Gesicht auf. „Gortharer töten?“, fragte er grinsend, „Das habe ich lange nicht mehr getan. Ich bin dabei.“
Beide blickten zu Qarrah. Heric eindringlich, Ragnar abwartend.
„Gibt’s Gold zu holen? Viel?“
Heric nickte. Das Lächeln auf seinem Gesicht war triumphierend. Dann erläuterte er seinen Coup.
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Lehrling
Obgleich Murdra den hinzugestoßenen Ragnar erst finster gemustert hatte, hellte sich ihre Miene ein wenig auf, als Heric – neureich wie er als Dieb und Betrüger war – mit einigen Goldmünzen Licht ins Dunkel über die Absichten des rothaarigen Hünen brachte. Danach war die Vettel die Freundlichkeit in Person, wenngleich sie Qarrah nach wie vor eher abschätzig behandelte. Diese nahm es jedoch gar nicht mehr wahr, da sie ihrem Gefährten zuhörte, vorgebeugt und das Gesicht immer wieder verwundert, ungläubig oder gar mitfühlend verzogen. Ragnars Miene war wie immer steinern und ausdruckslos. Heric hätte genauso gut von Arithmetik oder Tipps zur Imkerei sprechen können, denn von einem Kapitel seines, das ihn nachhaltig verändert hatte.
„Und … dieser finstere einäugige Kerl in Tooshoo war … besessen?“, fragte Qarrah und schüttelte den Kopf. „Er hat sich das Auge ausgestochen?“ Dabei hatte ihre Stimme fast schon einen quiekenden Klang.
Ragnar schnaubte. „Hab im hohen Norden Leute erlebt, die in Gefangenschaft oder durchs Frostfieber wahnsinnig wurden. Kannte einen, der hat sich die Zunge abgesäbelt, weil er meinte, einzig die Ahnen hätten zu sprechen und wir anderen zu schweigen und zu lauschen.“ Er hob die Schultern und trank aus einem großen Bierkrug. Betrunken wirkte er trotz der vorigen, dreiviertel Flasche Wein nicht im Geringsten. Der Hüne wischte sich Schaum von Bart und Mund.
„Danach folgte der Wahnsinn. Ragnar, ich habe diese Hexe gesehen. Sie war besessen. Ihr Körper … die Zähne wandelten sich langsam zu Hauern, die Arme wurden kräftiger, haariger …“ Heric schüttelte sich und kippte einen großen Schluck Wein in die Kehle, um den üblen Geschmack von Rauch, Tod und Blut von der Zunge zu spülen. „Die Frau war besessen.“
Ragnars Blick fing den des jungen Mannes ein, fixierte ihn für mehrere Sekunden. Dann nickte er wortlos. „Fahr fort.“
„Diese ganze Episode ist nahezu unwichtig. Die Kräfte, die Meister Kiyan und mich in die Mine brachten, wussten nichts davon. Zumindest gehe ich davon aus. Wir wurden in einem Küstendorf namens … äh … Drakia?“ – Ragnar nickte – „gefangen genommen. Von einem Hurensohn namens Salvaro Barenzia.“
„Der, der euch befragt hat?“, hakte Qarrah nach.
„Befragt. Ja. Gefoltert trifft es eher. Ein wenig Skrupel hatte dieser wandelnde Kadaver einer Sumpfratte, mich schlug er nur windelweich und fragte mich Dinge, über die ich offensichtlich nichts wusste. Geschäfte Meister Kiyans, geheime Goldreserven, Pläne, die er hatte, …“ Heric seufzte schwer. „Ihn hingegen nahm Barenzia in die Mangel. Peitschenhiebe, brennende Eisen, Klingen. Kiyans Rücken gleicht einem Schlachtfeld, einer verfluchten Vulkanlandschaft. Die … Schmerzen …“
Der junge Mann schüttelte sich. Qarrah ebenfalls. Ragnar nickte nur verstehend, als kenne er ebenjene Schmerzen aus erster Hand. Sein Blick wirkte dabei aber abwesend. Dann sah er auf, fixierte wieder Heric.
„Sag noch mal, Junge, wie hieß das Kuhkaff in der Nähe der Mine?“, fragte er leise.
„Halvung. Wieso?“
„Halvung, Halvung …“, wiederholte er. Die dicken Finger seiner linken Hand trommelten auf der Tischplatte, ballten sich plötzlich zur Faust und schlugen zu, dass der Lärm im Gastraum einen Moment verstummte. Ein warnender Blick Murdras, gefolgt von einer Schimpftirade, in der sie den Leuten klarmachte, sich um ihre Angelegenheiten zu kümmern, gab den drei Gefährten an ihrem Tisch die Möglichkeit, ungestört weiter zu reden.
„Verdammt nochmal, ich wusste doch, dass ich diesen scheiß Namen kenne.“ Sein Blick wurde schwer, in den grauen Winteraugen lag einen Moment große Schuld verborgen. „Vor … seinem Tod kehrte mein Bruder nach Vengard zurück. Er war mit seinem Knappen in Trelis verschwunden. Ich fürchtete, er sei entweder desertiert oder verstorben. Yorgens Leiche – die seines Knappen – fand man im Hafenbecken der Stadt. Monate später erschien mein Bruder am Tor der Burg von Vengard, wollte mich sprechen. Er war verändert. Ein Feuer hatte ihn entstellt, halb wahnsinnig gemacht. Nach seinem Tod stellte ich Nachforschungen an. Woher kam das Schiff, welches ihn brachte. Was gab’s dort. Halvung, ja, und eine Mine. Mehr erfuhr ich nicht.“ Er seufzte. „Schwefel, sagst du?“
Heric nickte. „Ja.“
„Und dieser Schweineficker namens Barenzia hat für die gearbeitet, die euch da hin bugsiert haben? Ich vermute … die Besitzer der Mine?“
„Vermutlich, ja.“ Schweiß bedeckte Herics Handflächen. Erwartungsvoll.
„Dann bin ich nach wie vor dabei, Kleiner. Ich trage nicht mehr die Fesseln meiner Ritterschaft, die Standarte eines Paladins, die Rüstung eines Ahnenkriegers. Jetzt bin ich ein Rachebringer, der Große Gleichmacher. Wenn die Leute hinter Barenzia für das mitverantwortlich waren, was meinem Bruder widerfahren ist, helfe ich dir dabei, dieses ganze, verschissene Herzogtum zugrunde zu richten.“
Heric lächelte. Ehrlich erfreut. Zwar schreckte ihn nach wie vor die rohe, ungebundene Brutalität des Nordmannes ab, aber für sein Vorhaben … nun, war ein tollwütiger Berserker ebenso notwendig wie eine geschickte, versierte Diebin.
Mit seinem besten Charmeurslächeln sah er nun Qarrah an, die seufzte und dann antwortete.
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Lehrling
„So sehr die Aussicht auf Gold – viel Gold – verlockend ist, Sumpfjunge“, begann Qarrah mit ihrer Antwort auf die unausgesprochene Frage des jungen Diebes. „So persönlich ist dein ganzer Plan, dein großer Coup. Hättest du einfach gesagt: Passt auf, ich will die Reichen in diesem Herzogtum schröpfen und brauche Muskeln und Hirnschmalz, weil ich beides nicht habe“ – Ragnar schnaubte belustigt in seinen Humpen – „… dann wäre ich, ohne zu zögern dabei.“
Heric nickte mehrmals, trank einen Schluck Wein und ließ ihn sich auf der Zunge zergehen. Früher hatte er dieses Getränk verabscheut, aber seit er sich auch Sorten leisten konnte, die von besserer Qualität waren, hatte er guten Roten zu schätzen gelernt. Er lehnte sich zurück und sah Qarrah an.
„Aber du hast Angst, dass du in eine Vendetta hineingezogen wirst, die dich im Grunde gar nicht berührt.“ Sein Lächeln wurde hart, fast etwas ungnädig. „Weil du es nicht warst, die von wildfremden Leuten geprügelt wurde, weil du es nicht warst, die in einer verdammten Schwefelmine durch Beliars Hölle auf Erden gegangen ist.“
Er schwieg kurz. „Nicht wahr?“, fragte Heric fast schon schroff, auf eine Art, die Qarrah an dem jungen Mann gar nicht kannte, die sie zurückzucken ließ. Für einen kurzen, seltenen Augenblick ließ er zu, dass sie – die Diebin und der Barbar – sahen, was er hatte werden müssen, um nicht wahnsinnig zu werden, womit er in den Monaten danach, zumeist im Schlaf, hatte fertig werden müssen …
„Es ist ja nur der kleine Scheißer, den jeder von euch mal aufgegabelt hat.“
Qarrahs varantische Züge wurden blass, aber eine Antwort brachte sie nicht hervor. Schimmerten da Tränen in ihren Augen? Herics Blick richtete sich auf Ragnar, der den Humpen abgesetzt hatte.
„Ich habe mich in der Mine mit Jungs in meinem Alter herumgetrieben. Gehörten zu irgendeinem Stamm aus irgendeinem Dschungel, aber sie waren in Ordnung. Unter den Umständen wurden wir Freunde. Mein Lehrer war zu der Zeit … nur noch ein Schatten, der auf den Tod wartete. Dann … ich … sah, wie sie wahnsinnig wurden. Auf den Wink einer Hexe hin. Und … wie Meister Kiyan viele von ihnen tötete. Eine mordende Marionette. Was auch immer er zu fassen bekam. Spitzhacke, Schaufel, Steine … mitunter presste er ihnen mit bloßen Händen das Leben aus dem Leib.“
Waren da nun Tränen in seinen Augen? Er wusste es nicht.
„Am Ende sollte er mich töten. Das war der Wunsch dieser Hexe, die zum Ende hin eine Schreckgestalt war. Als … würde sich ein Mensch langsam in einen Ork verwandeln. Ich bekam eine Armbrust in die Hände, schaffte es irgendwie, den Bolzen anzuzünden.“
Er verstummte. Die Explosion, als der brennende Bolzen das Schwefellager traf. Meister Kiyan, der fortgeschleudert wurde. Die Knochenhexe, die sich nur noch mit einer Krallenspitze am Abgrund vor Beliars Reich festhielt.
„Sie hatte es sich auf einem Stuhl in dem Vorratslager für Schwefel bequem gemacht, als wäre das ihr Thronsaal. Was folgte, ist logisch. Der Schwefel entzündete sich, die ganze Hütte explodierte. Meister Kiyan … ich fand ihn weinend, ja wehklagend am Leichnam der Hexe. Als er mich sah, wollte er mich töten, als hätte ich seine Seelenverwandte erschossen. Ich schlug ihn nieder. Tötete die Hexe ein für alle Mal. Später flohen wir, als er erwacht und … wieder klar war.“
Heric atmete tief durch, bekämpfte aufsteigende Übelkeit durch einen gehörigen Schluck Wein. Dann sah er von Ragnar zu Qarrah und zurück.
„Ich denke nicht, dass Barenzia wusste, was da in der Mine lauerte“, erklärte der Dieb ernst, „Ich vermute, dass seinen Arbeitgebern vorschwebte, wir würden bis an unser Lebensende da schuften. Fakt ist aber, dass Barenzia ein übles Werkzeug ist. Dass er für Folter und Leid im Dienste der Politik irgendeiner adeligen Familie verantwortlich ist. Für keine hehren Ideale, für eine größere Sache. Nein … wenn er mich zusehen ließ, wie er Meister Kiyan folterte, dann war das purer Sadismus. Nicht mehr.“
Ragnar trank einen Schluck. Schwieg. „Ragnar“, Heric sah ihn eindringlicher an, „Du warst Paladin Innos‘. Du hast gegen die Orks gekämpft, als Ahnenkrieger und als Ritter. Das hast du nicht getan, weil es eine rein persönliche Sache war, sondern auch, um nachfolgende Generationen zu schützen. Deinen Bruder!“
Der Hüne sah ihn einen Moment kalt an, als er den verstorbenen Mann erwähnte. Dann nickte er jedoch, wirkte dabei fast besiegt. „Ja, ich weiß was du meinst.“
„Und du, Qarrah, dein Volk … in Varant erhoben sich die Nomaden gegen die Assasinen, gegen die Unterdrücker. Wohlwissend, dass sie für einen Sonnenaufgang kämpften, den sie nie erleben würden.“
„Ich bin keine Nomadin.“
„Äh ..“ Herics Verve verlor an Fahrt, an Glanz. „Achso.“
Ragnar schnaubte belustigt. „Assassine?“, fragte er mit einem Seitenblick.
„Mein Vater“, brachte Qarrah etwas heiser hervor, „ein hohes Tier in Mora Sul. Daher stamme ich. Habe gelebt wie die Made im Speck. Er war kein guter Mann, hatte einen ganzen Harem. Ich war nur zufällig das Kind seiner Lieblingskonkubine.“
Ihr linker Zeigefinger fuhr über den Rand des Glases, erzeugte ein vibrierendes Geräusch. Der Blick der Varanterin ging in die Ferne. „Mein Erzeuger verdiente am Sklavenhandel. Ich kann mich erinnern … wie ich als kleines Kind die armen Gestalten im Garten des Anwesens schuften sah. Den Garten bewässern, ohne einen Schluck trinken zu dürfen. Seine Wachen – ebensolche Kreaturen wie dein Barenzia, Heric – schlugen sie für die kleinste Verschwendung des Wassers, selbst wenn es der Tropfen war, der den Unterschied zwischen Leben und Tod machte.“ Sie lachte bitter. „Der Statthalter Zubens, Gonzalez, war mal zu Besuch und lachte so herzhaft über die versklavten, verdurstenden Nomaden, dass ihm Wein aus der Nase schoss. Ein widerlicher Dreckskerl war das. Wie mein Erzeuger.“
Sie sah zur Seite weg, dennoch immer noch irgendwo ins Nichts. „Ich war froh und bestürzt, als er bei der Flucht vor den Midländern gefangen wurde. Sie knöpften ihn auf. Der Prediger höchstselbst hielt Gericht über ihn.“
Heric bemerkte, wie sich Ragnar versteifte. „Qel-Dromâ“, zischte er, „dieser verfluchte Wahnsinnige. Eine Schande für die Ideale Innos‘!“, stieß der Barbar hervor. Qarrah nickte.
„Er hielt blutige Ernte in Varant. Befreier, nannten die Seinen ihn. Shaitan, Blutadler, Kindermörder, Witwenklage … das sind Namen, die die Varanter – Nomaden und Assassinen – ihm geben.“ Sie seufzte, sah Heric lange an.
„Verflucht, Sumpfjunge. Jetzt weißt du mehr über meine Vergangenheit als ich über deine. Gut, ich bin dabei. Leute wie Barenzia verdienen den Tod. Damit andere weiterleben können.“
Heric nickte langsam. Dann breitete er die Arme aus. „Beginnen wir, nicht wahr?“
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