Zitat von
Tjordas
Verständnisvoll lächelnd lehnte er sich zurück, als sie ihm so direkt offenbarte, dass ihr die heimische Mahlzeit aus der Mikrowelle und eine mittelmäßige aber bekannte Serie immernoch lieber waren als das beste Essen in einer beklemmenden Atmosphäre. Er konnte es gut nachvollziehen, hatte es selbst in seiner Zeit auf Noveria stets vorgezogen, ein Fertigessen in der Teeküche aufzugießen, statt in der Kantine zwischen den Kollegen zu sitzen, die im Grunde nur um die Anerkennung des anderen und vor allem der Vorgesetzten buhlten. Und nichts anderes war das hier: Wenn man sich umsah erkannte man zahlreiche Gäste, egal ob Mensch, Turianer oder Asari, die nur hier waren, um ihren Status zu demonstrieren.
"Ich sehe das genauso wie du. Aber Schokocornflakes und Tütenkartoffelbrei verlieren zu Hause auch irgendwann ihren Reiz und Blasto ist auch nicht mehr das, was es in den frühen Staffeln war. Aber das hier kann auch unterhaltsam sein..." Julian beugte sich zu Aniko nach vorn, sah sich um und deutete dann mit einer Kopfgeste an einen Nachbartisch, an dem gerade ein Mann mittleren Alters mit einer nur unwesentlich jüngeren weiblichen Begleitung pingelig das Essen zerpflückte.
"Nimm zum Beispiel die beiden da. Im ersten Moment sieht man sie sich an und bewundert ihre feine Kleidung und die perfekt operierten Gesichter, die super sitzenden Designerfrisuren und das Skycar, das draußen parkt. Aber nimm dir einfach ein paar Sekunden, um hinter die Fassade zu sehen. Man erahnt den verkrusteten Spaghettiteller, der zu Hause unabgespült auf dem Tresen der Designerküche steht. Der Eheberatungstermin um sieben, den beide lieber verschieben würden, aber auf den sie sich geeinigt haben, denn aufgrund ihres Umfelds kommt eine Scheidung nicht in Frage. Er hat wieder angefangen zu rauchen. Aus Trotz, nicht aus Lust, nur weil sie es archaisch und unverantwortlich findet und er sich dann freier von ihr fühlt. Sie hat im Gegenzug zwei sündhaft teure Gemälde gekauft, die sie selbst hasst, nur um ihm zu zeigen, dass sie entscheiden kann, was an der Treppenwand hängt." Er räusperte sich, sah genau hin, als beide miteinander zu sprechen begannen und verstellte seine Stimme um beide zu imitieren, so perfekt, dass es fast eindeutig auf ihre Lippenbewegungen passt.
"Also ich weiß gar nicht, was du an diesem Laden findest. Die Algen sind trocken und der Fisch garantiert tiefgekühlt", imitierte er erst die Frau.
"Natürlich ist der tiefgekühlt. Hast du auf der Citadel schon mal einen Ozean gesehen? Streng doch mal dein Hirn an. Oder ist dir die Haarfarbe unter die Hirnrinde gesuppt?"
"Achja? Wenigstens sind das noch meine echten Haare. Ohne die Transplantation wärst du doch so nackt wie ein Molch. Und auch genauso leblos. Wie du allein abends auf der Couch liegst. Wie ein schleimiger Lurch. Und noch dieser Dreck den du dabei frisst"
"Ich bin abends nunmal gestresst, da wird man doch mal sein Hemd ausziehen und das Spiel ansehen können. Sei froh dass ich vorher mit zum Yoga gekommen bin. Mach ich doch auch nur für dich."
"Ja, und um meinen Freundinnen schön auf den Arsch zu schauen, du Höhlenmensch. Und musstest du den Yogalehrer so bloßstellen?"
"Dieser Hippie?!", passenderweise machte der imitierte Mann in diesem Moment eine ausladende, zornige Geste mit beiden Händen, als wolle er seine Begleitung gleich erwürgen, "Mein Energiefluss sei verstopft, sagt er. Ich soll das 'Prana' in meine 'innere Mitte' richten, sagt er. Der kann sein 'drittes Auge' gerne mal tief in mein 'Wurzel Chakra' stecken" - Der Mann machte tatsächlich gerade eine Gänsefüßchengeste mit den Fingern, die Julian direkt für diese Chance nutzte.
"Das wäre dann wenigstens mal irgendeine Art, deinem Körper zu begegnen. Mich hast du schon seit vier Jahren quasi nicht mehr angefasst"
"Macht nichts, das erledigen ja schon der Yogalehrer, der Golftrainer und die männliche Hälfte deines prätentiösen Künstlerclubs für mich."
"Wenigstens leiden die nicht unter einem schlaffen Schwanz!"
Von der tatsächlichen Aggression der imitierten Frau mitgerissen rief Julian die letzte Obszönität wohl ein bisschen zu laut, sodass das besagte Pärchen sich plötzlich zu Julians und Anikos Tisch umdrehte - und dazu auch einige weitere Gäste im Umkreis, die die beiden unpassend gekleideten Neuankömmlinge wohl ohnehin schon skeptisch beäugt hatten und nun in völlige Empörung verfielen. Julian sah schnell zur Seite und verbarg sein Gesicht hinter der Speisekarte, grinste dahinter aber Aniko zu.
"Siehst du? Kann sogar ziemlich unterhaltsam sein", kicherte er mit verschmitztem Grinsen, versuchte dann, unbeteiligt aus dem digitalen Menü per Berührung seine Bestellungen aufzugeben.
"Avocado Maki auch für dich?", wechselte er dann gezwungen und etwas beschämt das Thema.