How To Destroy Angels - A Drowning
Sie war sprachlos. Wagte zögerliche Blicke in das Gesicht eines gebrochenen Mannes, dessen groteskes Lächeln nur noch proforma existierte und eine Sicherheit zu versprechen versuchte, die schon lange nicht mehr da war. In diesem Moment konnte sich Luci nicht davor retten, sich einer Situation gegenüber zu sehen, der sie nicht Herr werden konnte. Soetwas hatte sie nicht erlebt. Sie hatte oftmals Geplärre erlebt. Uninteressante Leidensgeschichten diverser - meist betrunkener - Männer und Jungs, die sie mit völliger empathielosigkeit an sich abprallen lies, mit ihren schmalen Schultern zuckte und sich abwandte. Nicht selten dabei auch noch eine extrem freche Klappe zu tage förderte und regelrecht in der Wunde derjenigen mit bloßem Finger herumstocherte. Dort war es einfach - keine Herausforderung. Leif aber...war eine solche, der sie sich nicht gewachsen sah.
Ungewohnt hilflos blinzelte sie kuhäugig nach oben in die grauen Augen - seine Hand lag dabei schon längst an ihr. Der Daumen an ihrer Unterlippe in einem ekelhaft-friedlichen Versuch, alles zu kaschieren. Aber wer konnte das schon kaschieren? Wenn ein Schmerz so tief steckte, dass er selbst nach vielen Jahren - von denen die Halbitalienerin auf Grund des Bildes ausgehen konnte - so präsent war und diese einsame Träne über seine perfekte Wange schicken konnte?
Luci wusste nicht - beim besten willen nicht - wie sie darauf antworten sollte. Nicht nur auf die Tatsache, dass er eine gesamte Familie verlor, nein-...verlor er auch ein...nein SEIN Kind. Und genau hieran lag der springende Punkt. Zwar wollte sie nun nicht aussprechen, dass die Tatsache, dass er ein Kind hatte - von irgendeiner, ihr völlig fremden Frau - ihr selbst einen Keil ins Innerste rammte - besonders wenn sie sah wie sehr Leif darunter litt, aber dennoch...dennoch veränderte es etwas. Veränderte fragile Grundgerüste, auf die sie langsam aufbauten. Ein Kind bedeutete..vieles. Bedeutete eine ganz spezielle, eine unheimlich intensive Bindung zu dieser Frau, die ihr voranging. Die er offenbar sogar geheiratet hatte, wenn sie richtig rekapitulierte, was er auf Gils Hochzeit losgeworden war. Und wie wusste...sie wusste so sehr, selbst bei all ihrer regulären Distanz und Kälte gegenüber Zwischenmenschlichem, wie egoistisch und falsch dieser Gedanke war, aber er war da: Wo genau stand sie? Wo genau IHRE Beziehung? Ihre Liebe zu diesem Mann?
Nein, sie musste sich sammeln. Musste abschalten, was ihr hier dazwischenfunkte. Sie musste den Blickkontakt neu festigen. Denn selbst wenn sie noch so eine kleine, unbedeutende Rolle im Vergleich zu allen anderen in seinem Leben spielen würde: Wer war sie um sich nun noch einmal selbst zu belügen? Ihn zu belügen? So war es schnell klar, was sie offerieren musste. Sich selbst. Ihre sogenannte Schulter. Ihr Gehör. Ihr Herz. Was auch immer er davon wollte, als sie fast schon gewohnt und lediglich in diesem Handtuch den kleinen Spalt ihrer Distanz überbrückte um ihre eigenen Augen zu schließen, als sie ihm näher kam. Um zielgerichtet diese eine, langsame Träne auf seiner Wange mit nichts anderem aufzuhalten als einem Kuss, ehe ihre eigene Nase gegen seinen rechten Nasenflügel strich, sie einfach nur versuchte etwas verdammt wichtige nähe zu vermitteln und dann die Hand knapp oberhalb seines Nackens in die feuchten Haare zu graben.
"Nicht 'noch nicht'. Niemals, hörst du? Wenn dus nicht wirklich willst...dann wirst du mich nicht verliern."
Es war, als müsse sie sich entschuldigen. Unweigerlich war es nämlich schon so, dass sie den Fehler bei sich suchte. Dass sie Wunden aufgerissen hatte, von denen sie nichts wusste. Wie konnte sie nur immer wieder den Egoismus gewinnen lassen? Selbst jetzt. Selbst jetzt war es nichts als Egoismus. Musste sie aber allem voran diese Unsicherheit ausräumen. Dass er sich hier nicht wild in Theorien verrannte.
"Amo tutto di te.", wiederholte sie nun. Langsamer. Genauer. Dass ihm die Wiederholung auffallen würde, bevor sie es übersetzte - und das mindestens ebenso langsam und deutlich. Mit dieser heiseren, ätherisch flüsternden Stimme, die trocken das Sizilianische in ihr Englisch mischte.
"Ich-liebe...", ihre Augen öffneten sich und blickten aus dieser unheimlichen Nähe hinauf in seine,
"alles-an-dir."