EIN-MAL MIT PROFIS.
[Bild: Unbenannt_1_klein_3.png]IST. JA. GUT. So langsam hatte er es auch verstanden. Als ob Ryon das nicht schon beim ersten Mal merkte, was das hämische Grinsen auf den Gesichtern der anderen Spieler bedeutete.
JA, er hatte sich bewusst dafür entschieden seinen Avatar in eine Schuluniform zu stecken und JA, man hätte sich vorher informieren können und JA, das machte ihn wahrscheinlich sehr leicht zur Zielscheibe für andere. All die Jahre hatte hat man ja nie jemanden gesehen, der so in der Art im Dai Shi angetreten war. Also dachte sich Li, dass das vielleicht ein ganz neues, verstecktes Feature – vielleicht sogar Hinweis - wäre. Das stelle man sich doch mal vor: DAS Todesspiel, welches die gesamte Welt zu fesseln scheint, sich auf einmal den Hintergrund eines High School Anime Dating-Games bedient. Dann hätten sie alle Augen gemacht! Und Ryon hätte sie spielend leicht hinters Licht führen können, um letztlich als Sieger hervorzugehen. Nicht, dass das in irgendeiner Weise der Plan war, aber in dem Moment fühlte sich die Vorstellung einfach gut an. Klar, auf Nonomotobook konnte man bestimmt ein Paar Ingame-Screenshots finden, um seine Neugier auf das kommende Event zu stillen. Jedoch vermied Li die Nutzung solcher Mainstream-Dienste, geschweige denn den Besitz von Produkten, die mit diesem Teufelskonzern zusammenhingen.
Die mobile Neuraleinheit musste dabei jedoch eine Ausnahme bilden. Manchmal musste man eben Feuer mit Feuer bekämpfen, wenn man das Böse an der Wurzel packen wollte.
Wie dem auch sei. Lästig war nur, dass offensichtlich alle Spieler annahmen, dass Ryon wohl ein armer Irrer war, der keine Ahnung hatte, worauf er sich da eingelassen hatte und mit ihrer Meinung auch nicht hinterm Berg hielten. Manche konnten sich auch den Ausruf: „Hey, süßer Shotacon!“ nicht kneifen. Jedes mal, wenn der rosahaarige diesen Kommentar hörte, verdrehte er die Augen, schnalzte verächtlich mit der Zunge und schob langsam die Luft aus dem Inneren seines Kehlkopfes, sodass man insgesamt ein: „Tse, chhhh.“ gefolgt von einem „das heißt Shota, ihr Kretins!“ hörte. Wenn dann richtig.
Auch wenn der Thaumaturg optisch auffiel, gab es momentan wahrscheinlich einen weitaus begehrteren Dummen als ihn – der Spieler von letzter Nacht. Jener, welcher sehr negativ über den GM und das Dai Shi geschimpft hatte. Wohl viel mehr geflucht, als nur geschimpft.
Und da waren sie wieder – die leidlichen Bilder des vergangenen Abends. Unwillkürlich schnalzte der zukünfte Magical Boy wieder. Es war egal, was dieser Ober-GM eigentlich für einen Engel darstellen wollte, aber diese… ganze Szenerie! Seine innere Stimme betonte die letzten Worte so, als ob jemand voller Hass das Wort “Magier“ sagen würde. Genervt ließ der Junge seinen Vorderfuß mehrfach schnell hintereinander den Boden berühren. So etwas kann doch nur von einem Typen kommen, der gesellschaftlich und physisch so einiges zu kompensieren hat, dachte Li, aber sie war sich sicher, dass egal wer über diesem Game Master stand, er war ganz bestimmt begeistert von dem vorgeführtem Spektakel.
Danach durfte dieser “X“ garantiert noch solange das Knie seines Vorgesetzten kratzen, bis dieser schließlich „Höhö“ machte. Und wer weiß? Vielleicht war es ja sogar Oda Nonomoto höchstselbst. Eine Frau konnte es unmöglich sein. Die hätte ihm wahrscheinlich noch während der Zeremonie eigens vom Himmel geholt, gefragt was der Bockmist denn solle, den er da fabriziert und etwas qualitativ hochwertiges dahergezaubert. Aber so kam da nur eine schnöde Machtdemonstration bei rum, die alle Spieler auf ihren Platz zurechtweisen sollte. Ganz großes Kino. Ganz ehrlich! Wow, einfach: wow… Als ob die in der Führungsriege dieses sklaventreibenden Saftladens sich nichts besseres einfallen- oder gar hätten leisten können. Was für ein Armutszeugnis.
Etwas resignierend seufzte Ryon. Natürlich mussten ja danach auch alle Spieler, die etwas auf sich hielten SOFORT – am besten schon gestern – zu den Toren stürmen. Nicht wenige davon fanden ein schnelles, unspektakuläres Ende. Normalerweise würde so etwas Li in der Seele wehtun,wenn Leben so sinnlos verwirkten, doch es gab einen Unterschied zwischen Mut und Dummheit. Selbst wenn sie versucht hätte, jemandem zu helfen, ohne Skills wäre der Plan nicht aufgegangen, ganz zu Schweigen von den Massen, deren Herr sie hätte werden müssen. Außerdem entschied es schließlich jeder für sich, wie er die Zeit am Besten nutzte. Andere böse Zungen im Netz hätten jetzt von “natürlicher Auslese“ gesprochen. Auch Ryon empfand den Vergleich ausnahmsweise mal nicht ganz unpassend.
Unbekümmert legte er beide Hände in den Nacken und schlenderte etwas orientierungslos durch die nahegelegenen Straßen der Stadt. Wo wohl die anderen waren? Bei dem Gedränge letzte Nacht hatte er sie nicht gesehen. Auch die hinausstürmende Menge hatte den Umstand sicher nicht leichter gemacht. Am Besten blieb er noch eine Weile am Hauptplatz. Wahlloses Umherirren in einer völlig fremden, riesigen Stadt erschien daher unsinnig. Also machte der Jugendliche schnell wieder kehrt und hoffte, dass ihn bald jemand am Hauptplatz aufgabeln würde.