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    hokuspokus 
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    Hetzjagd
    Es war eine sternenklare Nacht in Nordmar. Der Mond leuchtete in einem dunklen rot. Der Wald war unter einer dicken Schneemasse bedeckt. Lange Eiszapfen hingen von den hohen Fichtenbäumen. Der Fluss bahnte sich seinen Weg durch die schöne Schneelandschaft, Eisschichten am Ufer krachten und wurden durch die Strömung mitgerissen. Einige Krähen hatten sich auf einer kahlen Eiche niedergelassen. Das Krächzen hallte durch die Nacht. Ein Reh tapste vorsichtig durch den Schnee. Über ihm klirrten die Eiszapfen im Wind. Die schlaksigen Beine tauchten tief in den Schnee, das Reh verschwand fast bis zum Bauch in dem kalten Weiß. Es blieb an einem kahlen Strauch stehen und knabberte vorsichtig an der Rinde, die Ohren waren dabei aufgerichtetund horchten nach Geräuschen. Ein Wolf heulte in der Ferne auf. Das Reh hob seinen Kopf und sah in die Richtung aus der das Geräusch gekommen war. Langsam beugte es sich wieder zu dem Strauch und knabberte an einem langen Ast. Ein gellender Schrei durchbrach die Stille. Die Muskeln des Rehs zuckten zusammen, es riss seinen Kopf in die Luft, beide Ohren horchten in die Richtung aus welcher der Schrei gekommen war. Das Klirren von Pferderüstungen war zu hören, tiefe Männerstimmen brüllten sich etwas zu, Hunde bellten und kamen rasch näher. Die Augen des Rehs weiteten sich als eine Silhouette auf dem Berg erschien. Es machte einen Satz zur Seite und galoppierte, so schnell der tiefe Schnee es erlaubte, davon.


    Tränen verschleierten ihre Augen. Sie kämpfte mit aller Kraft gegen die Erschöpfung die in ihre Beine kroch. Ihre Röcke hatten sich mit dem feuchten Nass des Schnees vollgesogen, das vorankommen wurde immer schwerer. Sie hielt das Bündel mit ihrem linken Arm und hatte es schützend unter ihrem Umhang, gegen die Brust gepresst. Keuchend atmete sie und kämpfte sich durch die hohen Schneemassen, die ihr fast bis zum Becken reichten. Sie konnte den Fluss erkennen und überlegte fieberhaft wie sie ihn überqueren sollte ohne in den eisigen Massen zu erfrieren. Die Pferde kamen immer näher, das Bellen der Hunde wurde immer lauter. Verzweifelt befahl sie ihren Beinen schneller zu laufen, als sie über eine unter dem Schnee begrabene Baumwurzel stolperte. Schreiend ging sie zu Boden, hatte zum Schutz versucht sich mit der Hand ab zu stützen, doch es gelang ihr nicht, das Handgelenk gab nach und sie fiel den Abhang hinunter. Sie spürte wie sie mit dem Rücken gegen einen Felsen schlug und stöhnte vor Schmerzen auf. Die vollgesogenen Röcke machten ihr das Aufstehen schwer. Ängstlich sah sie nach dem Bündel, als sie hinter sich das schwere Atmen eines Pferdes vernahm. Sie hatte durch den Sturz nicht darauf geachtet wie nah ihre Häscher bereits gekommen waren. Verzweifelt rannte sie mit letzter Kraft zu dem Fluss, als ein harter Schlag sie an ihrem Hinterkopf traf. Stöhnend ging sie zu Boden, versuchte abermals aufzustehen. Eine Hand packte ihr langes Haar und riss sie nach hinten. Weinend sah sie nach oben, doch durch ihre Tränen konnte sie kaum mehr etwas erkennen.
    „Nehmt es mir nicht weg!“
    „Es gehört dir nicht du elendes Weibsbild. Es hat dir niemals gehört!“
    Ein zweiter Umriss erschien in ihrem Blickfeld. Der Mann beugte sich über sie, griff mit seinen Händen unter ihren Umhang. Lederne Handschuhe legten sich um ihre eisigen Fingen.
    „Lass los“,hauchte er. Seine Stimme kroch ihr in Mark und Bein. Wie konnten sie ihr so etwas nur antun? Wie konnte er?
    „Nein, nein bitte“, flehte sie wimmernd und umklammerte das Bündel so fest sie konnte.
    „Hast du nicht gehört was er sagte? Du Miststück sollst es loslassen!“, schrie der andere Mann sie an und trat ihr mit seinen festen Lederstiefeln in den Rücken.
    Gequält schrie sie auf. Die Lederhandschuhe legten sich fester um ihre Hände. Der Mann beugte sich noch weiter über sie und sie konnte seinen angenehmen Duft einatmen. Seine Lippen streiften ihr linkes Ohr. „Es tut mir so leid“, flüsterte er kaum hörbar, löste ihre Finger einzeln von dem Bündel und nahm es an sich. Schreiend griff sie mit ihren Fingern nach seinem Umhang, der andere Mann riss sie weiter nach hinten, sodass sie mit dem Rücken in den Schnee fiel und prügelte mit einem Knüppel auf ihren geschundenen Körper ein.
    Ein letztes „Bitte“,brachte sie über ihre Lippen, während ihre Augen den Mond ansahen und sich allmählich schlossen.

    ***
    „... der festen Überzeugung ein Wunder vollbracht zu haben.“


    „... habe ich in meinem gesamten Leben noch kein menschliches und dazu noch weibliches Wesen gesehen, das so übel zugerichtet worden ist.“


    „Zwei Finger der linken Hand waren die einzigen, die nicht wenigstens einmal gebrochen waren. Der rechte kleine Finger, war so dermaßen nach rechtsgebogen, das der Finger wohl niemals mehr vollständig bewegt werden kann, so ist in jedem Fall meine Befürchtung.“


    „das linke Bein musste ich aufschneiden, das Knochenmark des Unterschenkels teilweise entfernen und eine Metallstange in den porösen Knochen einsetzen. Zusätzlich habe ich das Bein geschient, damit wieder zusammenwachsen kann, was zusammen gehört.“


    „Waren beide Füße komplett erfroren. Durch allmähliches Auftauen konnte ich es tatsächlich schaffen, ihr beide Füße zu retten.“


    „Hatte sie mehrere Rippenbrüche. Es wird noch lange Zeit in Anspruch nehmen, bevor diese Verletzungen verheilt sind.“


    „Fehlten in Ober und Unterkiefer mehrere Zähne. Durch meine neueste Erfindung ist es mir gelungen, Zähne einer gerade verstorbenen, herauszunehmen und sie der zu behandelnden samt Wurzel einzusetzen. Natürlich muss dieses Vorgehen noch vertraulich behandelt werden.“


    „Ihre Nase war ebenfalls mehrfach gebrochen. Durch das Einsetzen stabiler Röhrchen, konnte die Knorpelmasse der Nase, so gut es ging, wieder zusammenwachsen. Ich will meinen, ihre Nase muss nun hübscher aussehen als zuvor. Die Röhrchen konnte ich nach erfolgreicher Wiederherstellung entnehmen.“


    „War ihr Schädel am Hinterkopf gebrochen. Es kostete mich einige Mühe, ihre Kopfhaut zu lösen, ohne die Haare komplett zu entfernen. Nach erfolgreichem lösen der Kopfhaut, bot sich mir ein Blick des Grauens. Die einzelnen Knochenfragmente hatten sich zum Teil in das Gehirn gedrückt. Mit einer Pinzette habe ich sorgfältig alle Fragmente entfernt und ihr alternativ eine passgenaue Metallplatte auf die offene Stelle gesetzt, die Kopfhaut wurde nach erfolgreicher Transplantation, zurück an ihren Platz gelegt und vernäht.“




    ***
    „Was denkst du woher sie kommt?“
    „Darüber habe ich bereits soviel nachgedacht, doch ich habe keine Ahnung. Ihre Kleidungwar fein, bei der Menge an Unterröcken und der Art des Stoffes muss sie aus einem gehobenen Hause kommen. Doch wer richtet jemanden solcher Herkunft so zu? Und würde es dann nicht Menschen geben, die nach ihr suchen?“
    „Wenn jemand nach ihr suchen würde, wäre dies sicher der letzte Ort an dem er mit der Suche anfangen würde.“
    „Das kommt ja noch hinzu. Was macht eine solche Frau an solch einem Ort?“
    „Vielleicht ist es ja doch eher jemand aus der Unterschicht. Deswegen sucht man auch nicht nach ihr.“
    „Nein, nein. Sie muss aus gutem Hause kommen.“
    „Und das erkennst du genau woran?“
    „An ihrer Nase.“
    „Du sagtest mir doch selber, ihre Nase sei zertrümmert gewesen, wie willst du es dann daran erkannt haben?“
    „Ich habe ein Gespür dafür.“
    „Das ich nicht lache..“
    „Sag mir Kyle, wie viele Frauen kennst du?“
    „Ich..., du kennst doch genauso wenige!“
    „Ich habe sie aber studiert, im Gegensatz zu dir. Kannst du überhaupt lesen? Mir fällt ein, dass ich dich bisher noch nie ein Buch in der Hand halten habe sehen.“
    „Jetzt willst du mir also auch noch unterstellen ich sei dumm?“
    „Eher, dass du nicht gebildet bist. Aber wer will es dir verübeln. Bei deiner Herkunft.“
    „Gleich vergesse ich mich!“
    „Hast du des öfteren Probleme mit deinem Erinnerungsvermögen? Vielleicht sollte ich dich einmal untersuchen.“
    „Ich... was?“
    „Ich denke, es wird auf eine ernste Krankheit schließen wenn du dich selber des öfteren vergisst, daher meine Frage. Setze dich doch bitte einmal auf den Schemel, damit ich deinen Kopfumfang messen und meine Instr... Kyle, Kyle? Wo willst du hin?“
    „Den Schemel gegen den nächsten Baum schmettern und mir vorstellen, du wärst es gewesen, dem ich gerade den Schädel eingeschlagen habe.“
    „Solche Gefühlsausbrüche kenne ich ja von dir. Aggression in Verbindung mit Gedächtnisverlusten sind definitiv nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, Kyle!“


    ***

    Sie hatte das Gefühl neben sich zu stehen und erst langsam zurück in ihre eigene, sterbliche Hülle zu gelangen. Ihre Glieder waren schwer und je mehr sie erwachte, desto mehr spürte sie den unerträglichen Druck in ihrem Kopf. Ein Leises Stöhnen kam über ihre Lippen. Eine warme Hand legte sich auf ihre Stirn. „Immer wenn man ihn braucht, ist er nicht da.“, hörte sie eine tiefe Stimme sagen. „Habt Ihr Schmerzen?“ Sie versuchte zu nicken, doch ihr Kopf schien so schwer, dass sie ihn nicht bewegen konnte. Sie versuchte ihre rechten Finger zu bewegen, ihre Hand war schwer, etwas schien um ihre Finger gebunden worden zu sein. Die warme Hand verschwand, etwas kühles legte sich stattdessen auf ihre Stirn. Die Kühle schien ihr den Druck aus dem Kopf zu mildern und sie seufzte erleichtert auf. Sie atmete tief ein und konnte den Duft von Lavendel vermischt mit dem angenehmen Duft eines Mannes wahrnehmen. Langsam versuchte sie ihre Augen zu öffnen.
    „Überstürzt es nicht“, murmelte der Mann leise und legte seine Hand auf ihren Unterarm. Alles herum wirkte so verschwommen. Ihre Pupillen suchten nach einem Punkt den sie fixieren wollten. Sie hefteten sich auf den Umriss des Mannes. Angestrengt betrachtete sie ihn und das Bild wurde allmählich klarer. Er schien sehr groß zu sein. Die braunen Haare waren kurz und wüst, als wäre er sich gerade erst mit den Fingern durch die Haare gefahren. Sie betrachtete die vielen Bartstoppeln, die seine Lippen umrahmten. Ihre Augen betrachteten seine Nase. Sie war etwas gekrümmt. Die grünen Augen waren auf ihr Gesicht geheftet. Sie versuchte zu lächeln und er antwortete ihr mit einem breiten Grinsen, sodass eine Reihe makelloser Zähne zum Vorschein kam. Langsam glitt ihr Blick nach unten, betrachtete den vernarbten Oberkörper, die muskulösen Arme.
    „Wie geht es Euch?“, seine raue Stimme war wie Musik in ihren Ohren.
    Angestrengt konzentrierte sie sich auf ihren Mund und schloss die Augen bei dem Versuch etwas zu sagen. Ihre Lippen waren spröde und rissen auf als sie ihren Mund weit öffnete.
    „Wartet!“, sagte der Mann und tupfte mit einem feuchten Lappen über ihre Lippen. „Das hatte ich ganz vergessen.“
    Erneut setzte sie zum Sprechen an. „W-w-w-a .. i-ssssst...“
    Der Mann, den sie Ende zwanzig schätzte, sah über seine Schulter zur Tür. Sie folgte seinem Blick, konnte aber nicht erkennen, wonach er Ausschau hielt.
    „Wie lange braucht er denn noch?“, murmelte er und wandte seinen Blick wieder zu ihr. „Es tut mir leid, ich weiß einfach nicht was ich sagen darf und was nicht. Wir müssen warten.“
    Worauf warten? Sie wollte jetzt wissen was passiert war und nicht erst später! Wo war sie, was war geschehen? Wer war dieser Mann? Und warum konnte sie sich an rein gar nichts erinnern? Ein Kloß kroch ihren Hals hinauf. Sie wusste nicht einmal mehr wer sie selber war. Sie schniefte und spürte einen stechenden Schmerz in ihrer Nase. Sie schloss die Augen, ihre Brust erbebte und sie begann zu weinen. Tränen rannen ihre Wangen hinunter, ihre Kopfschmerzen wurden schlimmer und ihr Brustkorb fühlte sich an, als würde ihr Herz durch die Rippen zerquetscht werden.
    Eine Tür wurde geöffnet und wieder geschlossen, Schritte näherten sich rasch.
    „Oh, sie ist wach. Wie schön!“
    „Schön? Wo warst du verdammt noch mal?“
    „Verdamme mich jetzt doch nicht. Ich bin ja da und wie ich sehe bist du reichlich überfordert mit der Situation. Wieso weint sie?“
    „Das weiß ich doch nicht?“
    „Wo wir wieder bei der Sache mit der Bildung wären.“
    Der Mann murmelte etwas unverständliches, aber sie hätte schwören können ein paar wenig schöne Flüche gehört zu haben.
    „Kyle, würdest du bitte das Zimmer verlassen? Ich vermute es war einfach ein großer Fehler dich darum zu bitten auf sie auf zu passen. Bei deinem Anblick muss einer Frau doch zum Weinen zumute sein.“
    Sie öffnete ihre Augen und nahm den ihr unbekannten Mann in Augenschein. Ihr Herz begann zu rasen. Sie wusste nicht warum aber sie wollte nicht mit ihm alleine sein, etwas in dem Flackern seiner weiß-grauen Augen verunsicherte sie. Kyle sollte bleiben, er musste einfach. Natürlich sah er alleine durch seine Körperstatur gefährlich aus, während der Mann mit den hellen Augen ihn um einen Kopf überragte und eher schmächtig als kräftig war. Aber die Art wie er sie anstarrte, der seltsame Gesichtsausdruck, den er ihr dabei zuwarf, mit dem schiefen Lächeln und die Weise wie er seine bleichen, knochigen Hände ineinander faltete, missfielen ihr und machten sie misstrauisch. Kyle stapfte wütend an dem anderen Mann vorbei als sie all ihre Kraft zusammennahm um die Worte mit ihren Lippen formen zu können. „Bitte bleibt!“
    Erstaunt zog der Neuankömmling seine Augenbrauen hoch und zupfte mit seinen langen, schlanken Fingern an den Rüschen seines schwarzen Hemdes.
    „Ich bin überrascht über Eure Bitte. Aber wenn Ihr es wünscht, wird Kyle natürlich bleiben!“
    Kyle drehte sich zu ihr um. Sie heftete ihren Blick auf seine grünen Augen in der Hoffnung ihr Misstrauen gegen den anderen Mann darin bestätigt zusehen. Ein kleiner Anflug von Erleichterung war in seinem Blick zu erkennen. Was war hier los?


    ***
    Kyle hatte sich gegen die Wand gestellt und schien das Geschehen schweigend zu beobachten. Die Kerze, die neben ihrem Bett auf einem kleinen Tisch positioniert war und dem Raum die einzige Lichtquelle bot, war in den vergangenen Stunden immer mehr zerflossen. Sie hatte ihre Augen fest auf eben diesen Lichtblick geheftet, während der Mann, der sich mit dem Namen Xardas vorstellte, erklärte was genau mit ihr geschehen war. Je mehr Stunden vergingen, desto mehr hatte sie den Wunsch die Augen wieder zu schließen und für immer ihre sterbliche Hülle zu verlassen. Der Druck in ihrem Kopf nahm kontinuierlich zu und sie hatte das Gefühl, dass ihr Innenleben aus ihr herausplatzen wollte.
    Xardas hatte sich auf die Bettkante gesetzt und legte seine eisigen Finger auf ihrenlinken Unterarm. „Wie Ihr also seht, habe ich Euch ein neues Leben geschenkt. Danken könnt ihr mir dafür später.“
    Sie warf Xardas einen Blick zu, gerade rechtzeitig um sein süffisantes Grinsen zu sehen. Sie mochte ihn nicht.
    „Kyle hat dabei auch einen kleinen Teil geleistet. Er war es, der Euch gefunden und hierher gebracht hat.“
    Warum hatte er sie dort nicht liegen lassen?
    „Nun müssen wir nur noch herausfinden, wer Ihr seid und woher Ihr kommt, damit Ihr so schnell wie möglich zurück zu Eurem Kind kommt. Wobei ich vermute, dass es bereits gestorben ist, so früh wie Ihr von ihm entrissen worden seid.“, sagte Xardas trocken und überprüfte dabei die makellos aussehenden Knöpfe an seinem Mantel.
    „K-k-k-i-n-d?“, ihr stockte der Atem. Sie hatte ein Kind?
    „Ja, ein Kind. Eure Niederkunft kann vor diesem schrecklichen Vorfall noch gar nicht so lange her gewesen sein. Das erkenne ich an der Rückbildung Eurer Gebärmutter und auch an dem Aussehen Eurer...“
    „Genug jetzt! Ich glaube kaum, dass sie in diesem Moment wissen will was du alles untersucht hast!“, wütend hatte Kyle sich vor Xardas aufgebaut.
    Unberührt sah der alte Mann ihn an. „Aber sie hat doch ein Recht darauf zu erfahren was ihr passiert ist.“
    „Natürlich hat sie das. Aber selbst ich weiß, dass man so etwas netter vermitteln kann!“
    „Ach, das erstaunt mich jetzt aber...“
    Sie hatte keine Kraft mehr den beiden streitenden Männern zu lauschen. Ihre Gedanken kreisten um das Kind, das ihres sein sollte. Tränen strömten aus ihren Augen. Sie legte unter Schmerzen die linke Hand auf ihren Bauch. Sie hatte einem kleinen Wesen das Leben geschenkt? Schluchzend versuchte sie sich auf die Seite zu drehen. Das kleine Wesen war wahrscheinlich bereits tot hatte Xardas gesagt. Sie wusste nicht einmal, ob es ein Mädchen oder ein Junge war. Verzweifelt irrte ihr Blick in dem kleinen Raum umher und blieb an dem glänzenden Metallmesser neben der Kerze hängen. Zitternd griff sie mit ihrer linken Hand danach. Nur noch ein kleines Stück und...
    „Nein!“, eine große Hand schleuderte das Messer in die nächste Ecke des Zimmers. Die andere Hand packte ihren linken Arm und legte ihn zurück auf das Bett. Kyle schubste den verdutzten Xardas vom Bett und kniete sich neben sie. Er beugte sich tief über ihr Gesicht, sie konnte Schmerz in seinen Augen erkennen.
    „Ich weiß nicht, wie hart diese Situation für Euch gerade sein muss. Aber ich bitte Euch, gebt Eurem Leben noch eine Chance. Wir werden herausfinden wer Ihr seid und wir werden herausfinden was mit Eurem Kind geschehen ist. Aber versprecht mir Euch nichts anzutun.“
    Zitternd lag sie auf dem Bett, spürte mit welcher Kraft Kyle ihren Arm nach unten drückte. Sie hatte das Gefühl innerlich zu zerbrechen.
    „Außerdem, wäre es schade um die ganze Zeit und Mühe, die ich in Eure Wiederherstellung geopfert habe.“, sagte Xardas trocken.
    Kyle wandte sein Gesicht von ihr und warf dem älteren Mann einen wütenden Blick zu. „Verschwinde“, zischte er.
    „Aber Kyle, du weißt doch gar nichts mit Ihr anzufangen.“
    „Raus!“, brüllte Kyle.
    Xardas zuckte mit den Schultern. „Wir werden ja sehen wie schnell sie meine Anwesenheit wieder erwünscht“, antwortete er von sich überzeugt und verließ den Raum.
    Geändert von Ajnif (06.04.2018 um 16:43 Uhr)

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    II


    Sie schlief unruhig. Immer wieder blitzte das Gesicht eines Mannes in ihren Augen auf, die grauen Augen bohrten sich in die ihren. Er atmete schwer und die warme Luft aus seinem Mund berührte ihre Wange. Sie konnte den Druck seiner warmen, starken Finger auf ihrem nackten Arm spüren. Er hatte sie fest gepackt und schüttelte sie, sein Mund öffnete sich weiter, doch statt eines Wortes, konnte sie nur ein lautes Ächzen hören. Es krachte laut, sie schreckte hoch und schrie laut auf als der Schmerz durch ihren Rücken zuckte. Es krachte erneut und sie schaute angsterfüllt zu dem Fenster, das mit einem Leder verdeckt war, um die Kälte und die Dunkelheit nicht in das Zimmer hinein zu lassen. Das Leder bewegte sich, warme, stinkende Luft schaffte es durch die kleinen Lücken zwischen Leder und Fensterrahmen in das Zimmer zu gelangen. Angewidert hielt sie sich den Handrücken vor die Nase, die kleinen Häarchen auf ihren Armen hatten sich vor Angst und Ekel aufgestellt. Es polterte vor der Tür und Kyle stürzte brüllend in das Zimmer. Er war mit einem Bogen bewaffnet und zielte mit diesem direkt auf das Fenster. Ein knackendes Geräusch entfernte sich rasch, sie konnte immer wieder lautes Stöhnen hören.
    „W-w-was?“, stotterte sie und sah angsterfüllt zu Kyle. Dieser eilte zu dem Fenster und riss das Leder an die Seite. Er lugte mit seinem Kopf hinaus und überprüfte alle Richtungen.
    „Egal was es war, es ist nun weg“, murmelte er, schloss das Leder und kam langsam zu ihr zurück. Eine Kerze erschien im Türrahmen und Xardas betrat im Nachtgewand das Zimmer.
    „Was ist geschehen?“, fragte er neugierig.
    Er stellte die Kerze auf den Tisch und beugte sich über das Bett um mit seinen kalten Fingern ihren Kopf zu betasten.
    „Etwas w-w-ar v-v-or meinem F-f-enster“, stotterte sie. Alleine bei dem Gedanken, lief ihr ein Schauer über den Rücken.
    „Das ist hochinteressant“, murmelte Xardas. „Und doch ist es unmöglich. Ihr befindet Euch hier im ersten Stock.“
    „W-w-as?“
    „Es roch faulig als ich das Zimmer betrat.“, wandte sich Kyle an Xardas.
    „Hm, vielleicht ist eine Wunde nicht richtig verheilt. Ich müsste bei Tageslicht noch einmal alles kontrollieren.“
    „Xardas... Draußen war etwas!“, antwortete Kyle überzeugt.
    „Nun, das mag sein. Wir befinden uns hier ja auch in einem Wald?! Und dennoch kann rein gar nichts direkt vor dem Fenster gewesen sein. Höchstens unter dem Fenster. Und nun schlaft, damit ihr zu Kräften kommt.“
    Xardas wandte sich zur Tür und verließ den Raum mit raschen Schritten. Kyle blickte erneut zu dem Fenster, nahm seinen Bogen fest in die Hand und wollte ebenfalls gehen.
    „Bit-t-te bleibt!“, keuchte sie und versuchte mit ihrer Hand nach ihm zu greifen. Kyle sah sie an, sie konnte in seinen Augen sehen, dass er nicht wusste wie er reagieren sollte.
    „Bitte“, presste sie zwischen ihren Lippen hervor.
    „Nun gut“, murmelte Kyle. „Ich gehe mir nur kurz eine Decke holen.“
    Ein erneuter Angstschauer überkam sie, als Kyle den Raum verließ, doch kein Ton wollte über ihre Lippen kommen. Sie konnte sehen, wie er sich vor dem Zimmer bückte. Hatte er etwa die ganze Zeit schon vor ihrer Tür gelegen?
    Kyle schloss die Tür und verriegelte sie von innen. Er ging zu dem Fenster, überprüfte das Leder und legte seine Decke vor ihrem Fussende ab.
    Sie nahm all ihre Kraft zusammen und setzte zum Sprechen an. „Vertraut ihr Xardas nicht oder w-warum diese V-vorkehrungen?“
    Sie konnte es in seinen Augen flackern sehen, als er zu ihr blickte. „In meinem bisherigen Leben hat sich einfach bewahrheitet, dass man Menschen nur soweit trauen sollte, wie man selber spucken kann. Und ich bin im Spucken wirklich nicht gut.“
    Sie musste bei seinen Worten schmunzeln.
    „Erzählt mir von Euch“, bat sie.
    Kyle setzte sich auf seine Decke und verschränkte die Arme vor seiner Brust.
    „Im Geschichten erzählen bin ich wirklich nicht gut und die Wahrheit wird Euch wohl wenig interessieren“, meinte er.
    „Erzählt mir von Euch“,wiederholte sie ihre Bitte und machte es sich auf ihrem Kopfkissen bequem.
    Seufzend begann Kyle zu reden. „Im Alter von fünf Jahren, habe ich meinen Vater verloren. Man sagt, er starb bei einem tragischen Jagdunfall. Er war damals bereits sehr alt und konnte mit den Augen mehr schlecht als recht sehen. Laut Erzählungen soll er den Arsch eines Wildschweines mit dem eines Orks verwechselt haben. Kaum vorstellbar, oder?“, sagte er mit einem leichten Grinsen.
    „Das ist ja sch-schrecklich!“, rief sie entsetzt aus. „Was passierte dann?“
    „Die Details ersparte man mir. Ich weiß nur, dass mein Vater am Ende einen zertrümmerten Kopf hatte. Man hatte ihn zu uns nach Hause gebracht, damit meine Mutter sich von ihm verabschieden konnte. Seine Zunge hing seltsam aus einem seiner Mundwinkel, der Kopf war stark eingedrückt, stellenweise konnte man bereits die Knochen aus der aufgeplatzten Haut erblicken, die...“
    Ein Blick in ihr Gesicht genügte, sodass er plötzlich verstummte. „Ich hatte Euch gesagt, dass es Euch wohl kaum interessieren wird.“
    Sie kämpfte gegen den Würgereflex an und atmete tief ein. „Nun gut, erzählt mir von Eurer Mutter, vorausgesetzt, sie wurde weder zerquetscht, zertrampelt oder gar zermalmt!“
    Kyle grinste, eine Reihe makelloser Zähne kam dabei zum Vorschein. „Das nicht. Nach dem Tod meines Vaters, reisten wir mit einem kleinen Schiff nach Khorinis. Meine Mutter hatte eine Stellung annehmen müssen, um uns über Wasser halten zu können. Sie arbeitete fortan als Hure.“
    Sie schnappte nach Luft und hielt sich die Hand vor den geöffneten Mund.
    „Ich sollte besser aufhören zu erzählen“, murmelte er und kratzte sich am Kopf.
    Eine Weile schwiegen sie beide.
    „Ich würde mich so gerne erinnern“, flüsterte sie.
    „Das kann ich mir gut vorstellen. Nicht zu wissen wer man ist, woher man kommt, muss furchtbar sein.“
    Sie spürte die aufkommenden Tränen und versuchte sie zu unterdrücken. Kyle sah sie unschlüssig an. „Wie kann ich Euch helfen?“
    Sie begann zu zittern und ließ den Tränen freien Lauf. „Ich weiß es nicht“, schniefte sie. Nichts wünschte sie sich mehr, als ein wenig Geborgenheit zu spüren.
    „Oh bitte.“ Sie konnte die aufkeimende Verzweiflung in seiner Stimme hören. Zögernd stand Kyle auf, setzte sich neben sie auf die Bettkante und sah sie unschlüssig an.
    „Ich...ähm, nun gut.“ Nur widerstrebend legte Kyle ihr einen Arm um die Schulter und drückte sie leicht an sich. „Mache ich das so richtig?“, fragte er unsicher.
    Sie nickte stumm.
    Schweigend saßen sie da. Sie konnte von draußen das Schreien eines Tieres hören, Kyles Herzschlag wirkte beruhigend auf sie. Langsam schob er sie von sich weg. „Ich kann so etwas nicht, es tut mir leid.“, murmelte er, stand auf und legte sich auf seine Decke. „Ihr solltet schlafen, damit es Euch rasch besser geht.“
    Verwirrt saß sie in ihrem Bett. Hatte sie etwas falsch gemacht? Vielleicht konnte er mit Frauen auch nicht umgehen, weil seine Mutter ihren Körper verkauft hatte? Wer wusste schon, in welchen Verhältnissen er dadurch aufgewachsen war.
    Langsam legte sie sich hin und starrte an die Decke. Etwas stimmte nicht. Und dieses Gefühl hatte sie nicht bloß, weil sie nicht mehr wusste wer sie und was geschehen war.



    III

    Still lag es da. Die kleinen Finger griffen nach ihren Haaren, die blauen Augen hatte es fest auf das Objekt seiner Begierde geheftet. Ein Sabberfaden lief an seinem kleinen Doppelkinn hinab. Ein Glucksen kam aus seiner Kehle, als es endlich die begehrten Haare erfassen konnte. Sie spürte die Wärme in ihrer Brust, als das kleine Kind sie anlächelte. Wahrscheinlich war es nur ein Pups, der ihm gerade quer saß, weshalb es so am grinsen war, dachte sie amüsiert. Mit ihren Fingern fuhr sie über die kleinen, kaum wahrnehmbaren, Wangenknochen, dafür war noch viel zu viel Babyspeck vorhanden, als dass man alle Konturen hätte sehen, geschweige denn gänzlich ertasten können. Das Baby öffnete seinen Mund, ein gellender Schrei war zu hören. Hände zerrten es aus der warmen Decke und das Kind verschwand im Mantel des Vergessens.


    Schweiß gebadet wachte sie auf, ihr Herz raste, der Atem ging schnell. Ihre Brust schmerzte und sie ermahnte sich vergebens langsamer zu atmen. Sie spürte, wie ihre Lungen nach Luft lechzten, keuchend sah sie sich um und versuchte einen ruhigen Punkt im Zimmer zu fixieren. Ihr Blick fiel auf den schlafenden Mann vor ihrem Bett. Wie war noch einmal sein Name? Er öffnete seine Augen und wandte seinen Kopf in ihre Richtung. Sie musste komisch ausgesehen haben, denn auf einmal kniete er direkt neben ihr und zwang sie in seine Augen zu sehen.
    „Ihr müsst Euch beruhigen! Versucht langsamer zu atmen, ein- und ausatmen.“
    Sie versuchte seinen Anweisungen Folge zu leisten. Ihr Atem wurde langsamer, der Verstand begann wieder zu arbeiten. „Kyle“, flüsterte sie.
    „Schht, nicht sprechen!", befahl er ihr. „Schön weiter regelmäßig atmen.“
    „W-w-woher?“
    „Jedes Mal, wenn ich im Eiswasser schwimmen gehe, bleibt mir zuerst die Luft weg, mein Herz rast, ich habe das Gefühl mein Brustkorb zerquetscht jeden Moment meine Lungen. Doch wenn man sich zwingt gleichmäßig zu atmen, ist alles halb so schlimm. Man bekommt wieder Luft und kann sich fort bewegen.“
    „Eisw-wasser?“, schockiert sah sie ihn an.
    „Das härtet ab“, erwiderte er grinsend. „Geht es wieder?“
    Sie nickte. „Danke. Konntet ihr einigermaßen gut auf dem Boden schlafen?“
    „Wie ein Stein.“
    Sie heftete ihren Blick auf seine Augen. Ein peinlicher Moment der Stille entstand. Das Heulen des Windes ließ sie aufhorchen.
    „Dürfte ich Euch um einen Gefallen bitten?“
    „Jederzeit.“, sagte er und sie spürte, dass er es ehrlich meinte.
    „Könntet ihr mich nach draußen tragen? Ich brauche frische Luft, trotz des Fensters ist es so stickig in diesem Raum.“
    „Das ist wohl wahr, wenn wir Nachts aber das Leder nicht vor das Fenster spannen und ein Feuer entfachen, würden wir höchstwahrscheinlich erfrieren.“, antwortete Kyle. „Ich werde schauen, ob wir noch warme Kleider für Euch haben. Aber zuerst werdet ihr etwas essen!“, ermahnte er sie, stand auf und verließ den Raum.


    ***

    Sie konnte sich nicht daran erinnern jemals so gut gegessen zu haben. In ihrer derzeitigen Lage, hätte sie sich wohl selbst über eine solch augenscheinliche banale Erinnerung gefreut.
    Man hatte ihr einen Teller mit duftenden Eiern und Pilzen, Haferschleim, geröstetem Brot mit Butter und Käse gebracht. Kyle half ihr beim Essen, die Bewegungen ihrer Arme schmerzten ihr noch sehr. Selbst das Kauen fiel ihr schwer, doch sie war froh darüber, dass man ihr nicht nur Haferschleim vorgesetzt hatte. Xardas klopfte an der Tür und trat langsam ein. Seine Augen machten ihr immer noch Angst.
    „Wie geht es Euch an diesem Morgen?“
    „Besser.“
    „Gut für Euch. Kyle sagte mir, Euch dürstet es nach frischem Wind?“
    „Ja.“, sie versuchte zu lächeln. „Ich habe einen solchen Druck im Kopf und hoffte, er würde an der frischen Luft besser werden.“
    „Ich kann Euch nicht raten nach draußen zu gehen. Die Gründe sind wohl ersichtlich“, meinte Xardas mit einem sarkastischen Unterton und zeigte mit seinem langen Zeigefinger auf ihre Beine.
    „Ich hatte gehofft, es gibt dennoch eine Möglichkeit hinaus zu gelangen“, ihre Stimme klang verzweifelt.
    „Solltet Ihr nicht vorhaben unter größten Schmerzen zu robben, so sehe ich keine andere Möglichkeit.“
    Kyle schüttelte den Kopf. „Ich werde Euch tragen!“
    „Aber das kann ich nicht von Euch verlangen!“, lehnte sie verlegen ab.
    „Und doch werde ich Euch tragen.“
    „Danke“, hauchte sie.
    Kopfschüttelnd verließ Xardas den Raum.
    „Wieso wird mir jedes Mal so Angst und Bange wenn ich ihn sehe?“
    „Nun, dieses Gefühl habe ich selbst heute noch“, lächelte Kyle sie an.
    Er legte ihr ein Hemd, einen Pullover, eine Hose und Strümpfe auf das Bett.
    „Danke“, murmelte sie und betrachtete die Sachen. „Ich... Könntet ihr? Ich meine...“
    „Oh..“, Kyles Augen hefteten sich ebenfalls auf die Anziehsachen. Er fuhr sich mit den Fingern durch die wüsten Haare. „Daran hatte ich gar nicht gedacht“, murmelte er, „Leider bin ich nicht im Besitz eines Kleides und Eure Kleider waren dermaßen zerstört, dass sie Euch nicht mehr von Nutzen sein werden.
    Schamesröte stieg ihr in das Gesicht, doch sie wusste sich nicht anders zu helfen. „Ich würde Euch nicht bitten, wenn ich es alleine sch-schaffen würde.“
    Sie konnte sehen, wie Kyles Gesicht ebenfalls errötete. „Nun gut...“
    Langsam setzte er sich auf das Bett, seine Finger umfassten das Leinen des Hemdes, das sie trug. Seine Augen fixierten die ihren, während er das Hemd hochzog. Er zog es ihr über den Kopf und legte es auf das Bett, griff nach dem frischen Hemd und war im Begriff es ihr über den Kopf zu stülpen, als sie zögernd eine Hand auf seinen Arm legte.
    „Wartet einen Moment“, flüsterte sie.
    Er zog die Augenbrauen hoch, nickte aber schweigend. Sie löste ihre Augen von den seinen und starrte auf ihren Oberkörper hinab. Leinen waren um ihre Brust gewickelt worden, dennoch konnte sie genügend Narben und blaue Flecken, sowie Schwellungen auf ihrem Körper sehen, dass ihr Atem für einen Moment aussetzte. Sie schluckte, wandte ihren Blick wieder nach oben und traf auf Kyles Augen.
    „Es wird wieder vergehen“, hauchte er. Hatte er sich ihren Körper ebenfalls angesehen?
    Sie nickte schweigend.
    Kyle zog ihr das Leinenhemd über den Kopf, half ihr dabei die Arme in die Ärmel zu bekommen. „Es ist etwas weit, verzeiht. Ich hatte nichts anderes und Xardas ist sehr eigen mit seinen Sachen.“
    Er stülpte ihr den Pullover über. Er war wunderbar warm und roch nach ihm.
    Kyle nahm die Hose in seine Hände und sah ihr ernst in das Gesicht. „Bereit, wenn Ihr es seid.“, raunte er.
    Sie holte tief Luft und nickte.
    Er schob die Decke an die Seite Entsetzt schnappte sie nach Luft als sie die lange Narbe auf ihrem linken Bein sah. Lange Hölzer waren links und rechts neben ihrem Bein fixiert worden. Kyle hob langsam das Bein und schob das weite Hosenbein über die Schiene. Dann nahm er das rechte Bein in die Hand und schob den Leinenstoff über ihre Haut. Sorgsam zog er ihr die weiten Strümpfe an.
    „So, nun noch den Rest“, murmelte er und beugte sich mit seinem Oberkörper über sie.
    „Haltet Euch an meinem Hals fest!“
    Sie tat wie ihr geheißen und faltete ihre Hände über seinem Hals zusammen. Ein heftiger Schmerz durchzuckte ihren Körper. Kyle spürte wie ihre Hände nachgaben, griff mit einer Hand fest um sie und zog ihr rasch mit der anderen die Hose hoch. Kurz darauf lag sie wieder im Bett.
    „Geschafft“, lächelte er.
    „Ich danke Euch!“, sie meinte es genau so, wie sie es sagte.
    Geändert von Ajnif (31.08.2014 um 23:42 Uhr)

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    Kyle hatte sie in ein dickes Fell gewickelt und doch raubte es ihr im ersten Moment den Atem als er die schwere Holztür öffnete und der kalte Wind ihr in das Gesicht peitschte. Ein Zittern durchlief ihren Körper, sie konnte spüren, wie Kyles Arme sich anspannten und er sie noch fester an seine Brust presste.
    „Wenn Euch zu kalt werden sollte, sagt nur ein Wort und wir kehren um“, murmelte er.
    Sie wollte nicht umkehren. Sie wollte auf eigenen Beinen im Schnee stehen, wollte das kühle Weiß zwischen ihren Fingerspitzen verreiben. Seufzend atmete sie aus.
    „Können wir ein Stückchen gehen? Ich hoffe ich verlange nicht zu viel?“, bittend wandte sie sich Kyles Gesicht zu. Er hatte die Lippen aufeinander gepresst, seine Augen hatten einen Punkt in der Ferne fixiert. Sie spürte wie er die Luft tief einsog, bevor er sie lächelnd ansah.
    „Ich sagte, dass ich Euch tragen werde, damit meinte ich ganz sicher nicht die Tür nach draußen.“
    Sie musste bei seinen Worten schmunzeln und stellte mit Erstaunen fest, dass die Bewegungen in ihrem Gesicht weniger schmerzten als zuvor. Die Kälte schien den Schmerz zu betäuben.
    Langsam trat Kyle in den Schnee. Sie konnte spüren wie sie ein Stück weit einsackten, doch es schien ihm nichts aus zu machen und er ging weiter.
    Sie versuchte einen Blick auf ihre derzeitige Unterkunft erhaschen zu können, doch Kyles breite Schultern versperrten ihr die Sicht. Schweigend stapften sie durch die Landschaft. Sie versuchte jedes noch so kleine Detail in sich aufzunehmen und abzuspeichern. Wer wusste schon, wann sie das nächste Mal etwas anderes als ihrem Zimmer sehen würde. Sie betrachtete die schwer beladenen Fichten, die Steine, welche immer wieder aus dem Schneeteppich herausragten, konnte das Rauschen eines Gewässers hören. Einige Krähen hatten es sich auf einem abgestorbenen Baum gemütlich gemacht. Ihr schauriges Krächzen klang wie Musik in ihren Ohren. Kyle steuerte zielsicher einen großen Stein an und setzte sich.
    Besorgt sah sie ihn an. „Wird Euch nicht kalt wenn wir uns setzen?“
    Er schmunzelte. „Ich erzählte Euch doch, dass ich im Eiswasser schwimmen gehe?“
    „Oh.“ Sie spürte, wie ihr die Röte in das Gesicht stieg. Kyle zog einen Arm unter ihrem Körper hervor und fuhr sich damit über seine Bartstoppeln. Sie betrachtete interessiert sein Gesicht. Die Narbe unter dem rechten Auge war ihr bisher nicht aufgefallen.
    „Es wäre schön, wenn ich behaupten könnte, dass ich diese Narbe in einem ehrenvollen Kampf um Leben und Tod erhalten habe. Mit viel Phantasie ist dies sogar möglich, wäre das Huhn zwei Meter groß gewesen.“
    „Ein Huhn?!“, sie lachte laut auf.
    „Nehmt Ihr mich gerade nicht ernst?“
    „Wie sollte ich Euch bei der Art von Witz Ernst nehmen?“, sie lachte immer noch, ihre Rippen schmerzten durch die Vibration ihres Körpers.
    „Es freut mich Euch zu amüsieren. Und doch ist es die Wahrheit.“ Sie konnte das Funkeln in seinen Augen sehen und mit einem Mal verstummte sie.
    Langsam beugte Kyle sich über ihr Gesicht und fuhr mit seiner Fingerspitze über ihr rechtes Augenlid. „Stellt Euch vor“, hauchte er „ Ihr seid auf einer grünen Wiese. Ein Wolf heult in der Ferne, der Wind weht Euch um eure Brust. Ihr habt Eure Augen geschlossen, spürt wie die Sonne Eure Nase kitzelt...“
    Sie schloss die Augen und atmete tief ein. Die Kälte verschwand, Wärme umgab ihren Körper. In der Ferne konnte sie einen Wolf heulen hören. Doch es jagte ihr keine Angst ein. Sie spürte wie ihre Brust sich ohne jeglichen Schmerz hob, konnte die Wärme der Sonne auf ihrem Körper spüren. Langsam strich sie sich mit ihren Fingern die Haare aus dem Gesicht. Sie öffnete ihre Augen, betrachtete die Fingerspitzen. Es waren schöne, schlanke Finger, sie konnte die einzelnen Knöchel unter ihrer Haut sehen, die Sehnen betrachten, wenn sie sich anspannten und doch waren die Finger nicht zu dünn. Langsam setzte sie sich auf, öffnete die Augen, betrachtete die grüne Wiese in all ihrer Schönheit. Sie trug ein weißes Leinenhemd, konnte ihre schlanken Beine und die schmalen Füße betrachten. Vorsichtig wackelte sie mit ihren Zehen, betrachtete ihre makellose Haut. Doch all dies war nur eine Illusion, wurde ihr klar und sie schloß ihre Augen. Eine einzelne Träne verirrte sich auf ihre Wange. Ein Schatten legte sich über ihr Auge und sie erschrak als sie mit einem Mal einen heftigen Stich unter ihrem Auge spürte. Erschrocken riss sie ihre Augen auf und sah direkt in Kyles grüne Augen. Amüsiert betrachtete er sie. „Hat meine Geschichte Euch so sehr gefesselt?“
    „Bitte?“
    Das Funkeln verschwand aus seinen Augen. „Ihr habt mir also gar nicht zugehört?“
    „Oh, oh doch. Ich kann sogar sagen, ich habe richtig mitgefühlt“, murmelte sie. „Wisst ihr warum das Huhn Euch attackierte?“
    „Ja, wo wir dann am gruseligsten Teil meiner Geschichte angekommen wären“, grinste er. „Ich hatte mich die ganze Zeit gefragt, was sich unter meinem Auge bewegte, war aber davon ausgegangen, dass sich ein Grashalm dorthin verirrt hatte. In Wahrheit ist es ein fetter, schleimiger Wurm gewesen.“
    Sie spürte wie ihr das Frühstück den Hals hoch kroch.Belustigt sah Kyle sie an. „Ein Kampf auf Leben und Tod wäre wohl nicht so ekelhaft gewesen, hm?“
    „Ich denke, das liegt im Auge des Betrachters“, antwortete sie hustend.
    Er lachte und drückte sie mit seinem Arm fester an sich. „Ihr sagt mir Bescheid wenn Euch zu kalt wird?“
    „Nun, selbst wenn ich frösteln sollte, zieht mich gerade rein gar nichts in mein derzeitiges Heim.“
    Eine Haarsträhne hatte sich in ihr Gesicht verirrt und Kyle strich es vorsichtig hinter ihr Ohr.
    „Warum seid ihr hier?“
    Kyle zuckte mit seinen Schultern. „Es ist eine etwas längere Geschichte.“
    „Ihr mögt es kaum glauben, aber im Moment habe ich nichts anderes vor als Eurer Geschichte zu lauschen.“
    Sie konnte sehen wie sich ein dunkler Schleier vor seine Augen legte. Er presste seine Lippen zusammen, während sein Körper sich merklich verspannte.
    „Ihr müsst es mir nicht erzählen“, flüsterte sie.
    Seufzend sah er sie an. „Wir sollten besser gehen. Eure Lippen färben sich bereits blau.“
    Sie nickte stumm und wandte ihren Blick von ihm ab. Langsam erhob er sich und stapfte den Weg zurück. Als sie einen Hügel erklommen, konnte sie ihr derzeitiges Heim in Augenschein nehmen. Die erste Etage war aus Stein gemauert worden. Dunkle Holzbalken stützen das Haus an der Seite ab und waren ebenso für die zweite Etage genutzt worden. Kleine Fenster waren in die Balken eingearbeitet. Auf der rechten Seite des Hauses konnte sie eine große Fichte stehen sehen. Ob dies wohl der Baum war, den sie von ihrem Fenster aus sehen konnte? „Könnt Ihr mir zeigen wo mein Zimmer ist?“
    „Auf der rechten Seite“, murmelte Kyle geistesabwesend.
    Als sie näher an das Haus traten, konnte sie eine Schleifspur im Schnee erkennen. Als hätte irgendwer einen schweren Stamm durch den Schnee gezogen. Die Spur führte direkt unter ihrem Zimmerfenster entlang. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Irgendetwas war in der Dunkelheit dort gewesen. Doch wollte sie wirklich wissen was sich des Nachts vor ihrem Fenster herum trieb?
    Kyle hatte das Haus erreicht und öffnete die schwere Holztür. Rauch stieg ihr in die Nase und trieb ihr die Tränen in die Augen.
    „Verzeiht, doch wenn wir um diese Uhrzeit nicht mit dem Heizen beginnen, würdet Ihr des Nachts womöglich erfrieren. Sie befanden sich in einer geräumigen Stube. Ein Holztisch war mitten in den Raum gestellt worden, zwei Bänke standen an den Seiten. Auf der Tischplatte lag ein großer Brotlaib, hölzerne Becher standen neben einem großen Krug, Messer lagen fein säuberlich neben dem Brot. An der Feuerstelle konnte sie einen großen Kessel sehen, aus dem weiße Dampfschwaden stiegen. Die Wände waren kahl gehalten. Einzig einige Regale hingen neben der Feuerstelle, getrocknete Kräuter sowie zwei große Keulen baumelten vom Deckenbalken. Von der Stube führte ein schmaler Gang an zwei weiteren Zimmern vorbei, neben der Treppe, die nach oben führte, war eine verschlossene Falltür, die vermutlich in den Keller führte. Kyle stieg langsam die Treppe hinauf. Die Bretter knarrten unter seinen Schritten. Als sie ihre Zimmertür öffneten, stellte sie mit Erstaunen fest, dass jemand ihre Laken gewechselt hatte. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass Xardas solche Aufgaben übernahm.
    „Kyle?“
    „Mh“, antwortete er und legte sie langsam in ihre Laken.
    „Wer lebt alles hier?“
    Überrascht zog er seine Augenbrauen hoch. „Wie meint Ihr das?“
    „Ich würde gerne wissen, wer außer Euch und Xardas noch hier lebt.“
    Sie konnte sehen wie seine Kiefer sich aufeinander pressten. „Wie kommt Ihr darauf, es wäre noch jemand außer uns beiden hier?“
    Sie nahm das frisch gewaschene Laken in ihre Hand und hob es vorsichtig hoch. „Es will mir einfach nicht in den Kopf, dass Xardas Eure Wäsche wäscht und Betten bezieht.“
    „Äh, Xardas ist nun einmal sehr reinlich“, antwortete er ausweichend, drehte sich um und war im Begriff den Raum zu verlassen als er sich zu ihr wandte und raschen Schrittes zurück kehrte. Er nahm das Fell an sich, in das sie draußen gehüllt war, machte auf den Absatz kehrt und verschwand.
    Seufzend legte sie sich auf ihr Kissen. So viele Geheimnisse. Ihr Leben war ein großes Geheimnis, doch Xardas und Kyle waren ein einziges Mysterium für sie.


    ***
    „Ich begehre dich so“, die raue Stimme ging ihr in Mark und Knochen über als er in ihr Ohr raunte. Sie lächelte und griff in seine dunklen Haare, zog ihn daran hoch und sah in seine grauen Augen.
    „Und das obwohl ich so viel fülliger geworden bin“, merkte sie an. Er grinste breit als seine Hände über ihren nackten Körper wanderten. „Bin ich froh, dass Schwangerschaften auch den Vorzug der Fülligkeit mit sich bringen. Ich kann nicht behaupten, dass mir nicht gefällt was ich in meinen Fingern halte.“, hauchte er und griff nach ihrer Brust, während sein heißer Atem ihre Nase kitzelte. Sie schloss ihre Augen als er seine Lippen auf die ihren presste und verlor sich in einem Gefühl aus Leidenschaft und Lust. Seine Hände packten sie und hielten sie fest. Der Druck den er auf ihre Knochen ausübte wurde immer unerträglicher. Sie versuchte etwas zu sagen, doch seine Lippen hinderten sie daran, versuchte sich mit aller Macht zu wehren, doch sein Körper hatte sie fest im Griff. Der Druck um ihre Knochen wurde stärker, unter Stöhnen gaben sie nach und zerbrachen.

    Schreiend wachte sie auf. Sie hatte sich im Bett aufgesetzt, der Schweiß rann von ihrer Haut, ihr Herz raste. Kyle stürzte in das Zimmer. „Was ist los?“, fragte er völlig außer Atem. Ihr Körper zitterte und sie begann zu weinen. Resigniert atmete Kyle aus und setzte sich auf die Bettkante. Langsam legte er einen Arm auf ihre Schultern. „Was ist denn passiert?“
    Sie konnte die Wärme seiner Haut durch das Leinenhemd spüren. Vorsichtig drückte sie ihren Kopf gegen seinen Hals und spürte wie Kyle sich versteifte und seine Atmung sich beschleunigte. Doch sie brauchte seine Nähe, er war derzeit die einzige Wärmequelle die sie hatte. Und obwohl sie kaum etwas über ihn wusste, war er ihr einziger Vertrauter.
    Ihre Tränen rannen ihre Wangen hinunter, liefen über die kleine Kuhle unter seinem Kehlkopf. Sie konnte spüren wie er schluckte und sie etwas fester an sich drückte. Ihre Finger hatten sich in das Leinen der Decke gekrallt.
    All diese Gedanken in ihrem Kopf. Waren es Momente ihres Lebens, Erinnerungen, die allmählich zurück kehrten? Wollte sie, dass es Erinnerungen ihres eigenen Lebens waren?
    Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Die meisten ihrer Träume endeten in Schmerz und Einsamkeit.
    Ihre Kehle fühlte sich trocken an und als sie zu sprechen begann, kam kaum mehr als ein Krächzen aus ihrem Mund. „Ich träume...“
    „Wartet“, unterbrach Kyle sie und reichte ihr einen hölzernen Becher von dem kleinen Tisch. Dankbar trank nahm sie einen Schluck . Die Flüssigkeit schmeckte scheußlich!
    „Xardas hat es für Euch zubereitet. Es soll Euch helfen schneller zu heilen.“
    Sie legte ihren Kopf zurück an seinen Hals.
    „Verzeiht“, murmelte sie. „Ich fühle mich derzeit so alleine. Ich weiß, ich verlange viel von Euch und doch brauche ich Eure Nähe jetzt.“
    Kyle brauchte einen Moment bis er antwortete. „Ihr habt keine Ahnung, wie viel Ihr von mir verlangt“, sagte er mit belegter Stimme.
    Sie hob ihren Kopf und suchte seine Augen. Er schien gedanklich so weit weg zu sein.
    „Kyle?“
    Langsam richtete sein Blick sich auf sie. Konnte sie Trauer darin erkennen? Sie hob ihre Hand und wollte sein Gesicht berühren. Er wich zurück, seine Pupillen weiteten sich, mit festem Griff hielt er ihr Handgelenk umklammert.
    „Nicht“, sagte er bestimmt.
    „Ihr tut mir weh“, keuchte sie.
    Abrupt lockerte er seinen Griff. „Verzeiht mir.“
    „Was ist Euch geschehen?“, flüsterte sie.
    Ruckartig stand er auf und entfernte sich von ihr. „Ich muss nun gehen. Heute Nacht werde ich mich wieder vor Euer Bett legen, damit Ihr keine Angst haben müsst“, murmelte er und verschwand.
    Sie sah noch lange zur Tür. Sie hatte Leid in seinen Augen sehen können, da war sie sich sicher. Doch was war ihm geschehen? Nein, sie konnte sich im Moment nicht auch noch um seine Gefühle kümmern. Sie musste so bald wie möglich gesund sein und herausfinden wer sie war. Vielleicht konnte Xardas ihr dabei helfen? Aber konnte sie ihm wirklich trauen?
    „Wie naiv du doch bist“, murmelte sie. „Wer sagt dir denn, dass du Kyle trauen kannst?“
    Seufzend legte sie sich auf das Kissen zurück. Sie hob ihre Hand und betrachtete ihre schlanken Finger. Es waren immer noch Prellungen und Verfärbungen zu sehen. Sie wackelte mit den Fingerspitzen und lächelte. Eindeutig schmerzte die Bewegung aber nicht mehr so. Sie schloss ihre Augen und berührte mit ihren Fingerkuppen das Gesicht. Die Haut war zart. Sie fuhr sich über die Lippen und konnte spüren wie porös sie waren. Langsam setzte sie sich auf und betrachtete das Zimmer erneut. Kein Spiegel war zu sehen. Sie wusste nicht einmal mehr, wie ihr eigenes Spiegelbild aussah. Sie schlug die Decke zurück und betrachtete ihre geschundenen Beine. Es würden sicher noch Wochen vergehen, bis sie selbständig laufen konnte. Betrübt legte sie sich zurück. Sie schloss ihre Augen und versuchte sich an etwas zu erinnern. Wer war der Mann mit den grauen Augen? Ein Hirngespinst ihrer selbst? Oder hatte sie beide mehr miteinander verbunden? War er tatsächlich der Vater ihres Kindes? Ihres Kindes! Mit einem Mal saß sie wieder in ihrem Bett. Ihr Herz raste. Sie hatte ein Kind, hatte Xardas gesagt. Sie musste es finden! Ihre Hände umfassten das rechte Bein und hoben es aus dem Bett. Ihre Zehen berührten den kalten Fußboden und sie zuckte zusammen. Sie durfte nicht aufgeben. Sie musste von hier fort und erfahren wer sie war! Unter Schmerzen schob sie das linke Bein aus dem Bett. Ihre Hände stützen sich auf der Bettkante ab und drückten ihren Körper nach oben. Der Schmerz war beinahe unerträglich, doch sie zwang sich auf ihre Beine. Zitternd sah sie an ihrem Körper herab, ihre Beine vibrierten unter ihrem Körper und gaben nach. Schreiend ging sie zu Boden und fiel auf ihr Gesicht. Ihre Hände waren zu langsam um den Sturz zu stoppen. Ihre Wange lag auf dem kalten Holzboden und sie ließ ihren Tränen freien Lauf. Sie konnte niemanden die Treppe herauf eilen hören. Man hatte sie alleine gelassen.

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    „Nein, nein, nein nein!“, Kyle hatte sich über sie gebeugt und drehte sie mit dem Gesicht zu ihm. Seine Hände hoben ihren Kopf, sie konnte seinen Atem auf ihrer Haut spüren.
    „So sag doch was!“, schrie er verzweifelt.
    Ihre Augen öffneten sich langsam und sie konnte die blanke Panik in den seinen erkennen. Er schien nicht bemerkt zu haben, dass sie ihn ansah und begann ihren Körper voller Verzweiflung zu schütteln. Stöhnend versuchte sie auf sich aufmerksam zu machen. Kyle hielt in seiner Bewegung inne, die grünen Augen starrten sie an. Ein Zittern ging durch seinen Körper. Er setze sich auf den Boden und presste ihren Körper an seine Brust.
    „Bei den Göttern, du lebst“, keuchte er. Sie wusste nicht wie ihr geschah, als er seine Hände um ihr Gesicht legte und seine Lippen sich auf ihre drückten. Er hatte warme, weiche Lippen, seine Bartstoppeln rieben ihr über die zarte Haut, als er sie gierig küsste. Sie spürte wie ihr Körper sich danach sehnte von ihm berührt zu werden und doch wusste sie, dass es falsch war. Ihre Hände legten sich auf seine Wangenknochen und versuchten ihn weg zu drücken. Erstaunt hörte Kyle auf und sah sie an. Die Erleichterung in seinen Augen wich blankem Entsetzen.
    „Verzeiht mir“, stammelte er.
    Sie konnte spüren wie sein Körper sich wieder versteifte und sie begann zu verstehen, dass es nicht sie gewesen war, die er vor seinen Augen gesehen hatte.
    „Kyle“, begann sie, „Was habt Ihr gerade gesehen?“
    Er presste seine Lippen aufeinander, seine Augen verdunkelten sich unweigerlich.
    „Warum wollt Ihr nicht mit mir reden?“
    Er schob seine Arme unter ihren Körper und hob sie hoch. Sie wollte schreien, so sehr schmerzten ihr die Knochen, Sehnen und Muskeln. Tapfer behielt sie ihren Schmerz für sich, war sie doch alleine Schuld an ihm.
    Behutsam legte Kyle sie in ihre Laken, deckte sie zu und setzte sich mit einigem Abstand zu ihr auf die Bettkante.
    Langsam fuhr er sich mit den Fingern durch die Haare und starrte auf seine Beine.
    „Es war vor geraumer Zeit im Winter.“, seine Stimme stockte und er holte tief Luft. „Ich war draußen im Wald. Der Winter dauerte bereits eine lange Zeit und uns drohte das Feuerholz auszugehen. Ich hatte die Spuren im Schnee nicht gesehen, sonst hätte ich mich an diesem Tag nicht so weit von unserer Hütte entfernt.“
    Sie konnte sehen wie sein Körper bebte, seine Stimme zitterte. Wie gerne hätte sie ihre Hand auf die seine gelegt und doch traute sie sich nicht ihn zu berühren.
    „Sie war so schön“, flüsterte er. „Ihr Gesicht war so zart und lieblich anzusehen. Sie war gut zwei Köpfe kleiner als ich und dennoch wusste sie mich immer wieder in die Schranken zu weisen. Stets war sie am singen, jede Nacht kann ich das Summen ihrer Lieder in meinen Ohren hören. Jede Nacht sehne ich mich nach ihrer Nähe und doch kann ich sie nicht mehr halten, nie wieder berühren, ihr Lachen nie mehr sehen.“
    Sie konnte hören wie sein Atem sich beschleunigte, während seine Hände sich zu Fäusten ballten.
    „Ihr Schrei war hunderte Meter entfernt zu hören. Er ging mir über in Mark und Bein. Ich ließ das gesammelte Holz fallen und rannte so schnell meine Beine mich trugen zurück. Bevor ich sie sah, konnte ich sie riechen. Der faulige Geruch wurde durch den Wind direkt in meine Richtung getragen. Dem ersten den ich begegnete, hieb ich meine Axt in den Schädel. Ich konnte sehen wie ihm das Blut aus der klaffenden Wunde rann. Der zweite stürzte im selben Moment aus der Hütte, die Hände blutbeschmiert. Ich zerrte ihn an seinen klebrigen Haaren zum Holzklotz auf dem ich sonst das Holz spaltete und zertrümmerte ihm den Kopf. Ein dritter kam hinter der Hütte hervor. Er hielt unsere Tochter in den Armen.“ Er keuchte und sie konnte Tränen an seinen Wangen hinunter laufen sehen. Sie setzte sich auf und legte ihm eine Hand auf das Bein. Er wandte sein Gesicht zu ihr und sah sie schmerzverzerrt an.
    „Sie haben sie kaltblütig ermordet, haben auf sie eingeprügelt, ihren Körper misshandelt. Ich habe sie aus seinen Armen gerissen und ihn mit den bloßen Händen erwürgt. Mit meiner Tochter auf dem Arm bin ich in die Hütte gestürzt und habe sie dort liegen sehen. Ihr Körper lag auf dem Bauch, die einst so schönen Haare, waren wüst und blutverschmiert. Ich habe meine Kleine auf das Bett gelegt und mich neben meine Frau gesetzt, ihren leblosen Körper auf meinen Schoß gezogen, versucht etwas von ihrem Duft einzufangen und doch konnte ich nur noch den widerwärtigen Geruch ihrer Peiniger riechen. An diesem Tag habe ich alles verloren, meine Seele, mein Herz, meine Liebe.“
    Schweigend sah sie ihn an, ihre Hand wollte seine Wange berühren, doch er stoppte sie auf den Weg dorthin.
    „Ich kann das nicht. Als Ihr dort gelegen habt, vergaß ich für einen Moment wer Ihr wart. Ich dachte Ihr wäret meine Frau.Wenn ich Euch in mein Herz lasse, werde ich Euch eines Tages ebenso verlieren, wie ich sie verloren habe.“
    „Ist das der Grund, warum Ihr hier lebt?“
    Er nickte stumm.
    Nach alldem was sie in den letzten Minuten erfahren hatte, konnte sie seine Zurückhaltung und Reserviertheit verstehen. Wie sehr musste es ihn gequält haben, als sie ihn darum bat mit ihr hinaus zu gehen, als sie sich an ihn schmiegte. Wie lange musste es her sein, dass jemand ihn berührt hatte?
    Ein Moment der Stille entstand und doch konnte sie ihren Blick nicht von dem seinen abwenden. Eine Träne lief seine Wange hinab und sie konnte nicht an sich halten, griff mit ihren Fingern an sein Gesicht und wischte den Tropfen weg.
    „Ich verspreche Euch, Ihr werdet mich niemals verlieren.“, hauchte sie.
    „Versprecht nichts, was Ihr nicht halten könnt“, murmelte er und erhob sich langsam vom Bett. „Ich werde Xardas holen, damit er sich ansehen kann ob durch den Sturz neue Verletzungen hinzu gekommen sind.

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    IV

    Langsam ging er durch die schmalen Gassen, ohne dass er den Geruch von Dung und Pisse wirklich wahrnahm. Er hatte seine Zähne aufeinandergepresst und bewegte sie knirschend hin und her. Er konnte nicht aufhören an das Geschehene zu denken. Aufgewühlt fuhr er sich mit den Händen durch seine dichten, dunklen Haare. Dann zog er sich seine Kapuze so tief in das Gesicht, dass man kaum mehr seinen Mund erkennen konnte, bevor er in eine größere, mit Fackeln erleuchtete Gasse, trat. Immer wieder sah er sie vor sich. Er konnte ihren Duft einatmen, ihre Angst und Verzweiflung riechen. Selbst in ihren Augen hatte die blanke Panik gestanden. Er hatte ihr alles genommen und selber alles verloren. Den warmen, kleinen Körper an den seinen gepresst, hatte er mit ansehen müssen wie sie zu Boden geknüppelt wurde. Er hasste sich selber dafür nicht eingeschritten zu sein. Er hatte den harten Aufprall ihres Körpers gesehen, miterlebt wie all die Schönheit schwand, das Leben aus ihrem Körper wich. Er war feige genug gewesen sich von dem Anblick abzuwenden. Sie hatte um ihr eigen Fleisch und Blut gekämpft, war stärker als er selbst gewesen und das, obwohl er soviel größer und kräftiger war als sie. All dies hatte nichts gezählt. Wofür all diese Kraft in seinem Leib, wenn er sie nicht hatte nutzen können um sie zu schützen? Wütend schlug er bei dem Gedanken gegen eine Hauswand, Lehm brökelte auf den Boden, seine Faust pulsierte und doch war es ihm egal. Er hatte bereits mit dem Gedanken gespielt sich das Leben zu nehmen. Wie oft hatte er in den vergangenen Tagen bewusst den Kontakt zu einem Wolfsrudel gesucht. Doch jedesmal flackerte ihr Bild vor seinem inneren Auge wieder auf, als wollte sie ihn aufhalten. Wie oft hatte er zu Innos gebetet, um zu verstehen warum all dies notwendig gewesen war. Nicht ein einziges Mal hatte er ihm ein Zeichen geschickt.
    Ohne dass er es bemerkt hatte, war er zum Kai gelaufen. Heute Nacht noch sollte ein Schiff nach Vengard abfahren, das wusste er. Doch was sollte er dort? Er wollte weinen und doch waren seine Tränen längst versiegt. Er wollte schreien, doch aus seinem Mund kam nicht ein einziger Ton. Er wollte jemanden erschlagen, doch wenn er kurz davor stand, wurde ihm schlagartig bewusst, dass er bereits das Blut seiner Gefährtin vergoßen hatte.
    Der Wind heulte auf, er trug die Luft der Stadt auf das Meer. Seufzend atmete er ein und schritt weiter auf das Handelsschiff zu. Er hatte ihn längst wahrgenommen, den Schatten, der ihn seit geraumer Zeit verfolgte. Seine rechte Hand legte sich um den ledernen Schwertknauf. Blitzschnell drehte er sich um und zog seine Waffe, die kurz vor dem Hals seines Gegenübers zum Stehen kam.
    „Damit habe ich nun nicht gerechnet“, erschrocken wich sein Verfolger zurück, stolperte dabei über seinen Umhang und fiel zu Boden. Er setzte direkt nach und zielte mit seiner Schwertspitze auf die Brust das am Boden Liegenden.
    „Wer seid Ihr und warum verfolgt Ihr mich?“, knurrte er mit seiner rauen Stimme.
    „Mein Herr, verzeiht wenn Ihr Euch verfolgt gefühlt habt, wobei dies durchaus richtig ist. Ich habe Euch verfolgt. Aber nicht aus böser Absicht. Im Gegenteil sogar, ich will Euch helfen!“, antwortete sein Gegenüber.
    „Zeigt mir Euer Gesicht!“
    „Nun, ich denke, das sollten wir besser auf einen anderen Ort verschieben. Im Übrigen kann man das Eurige ebenso wenig erkennen“, kam die prompte Erwiderung.
    „Wie könnt Ihr Euch dann sicher sein, dass Ihr dem richtigen gefolgt seid?“
    „Oh, das ist mir besonders leicht gefallen. Man sagte mir vor meiner Reise bereits, ich solle nach dem wohl traurigsten, aggressivsten und verbittersten Mann schauen, den man in ganz Khorinis finden kann. Des Weiteren wurde ich darauf hingewiesen, dass Ihr ebenso der wohl größte Mann sein würdet. Wenn Ihr mir nun bitte folgen würdet?! Ich habe eine dringende Botschaft für Euch und nicht mehr allzu viel Zeit“, kaum hatte sein Verfolger ausgesprochen, schob er flink das Schwert an die Seite, sprang auf und lief die Straße hinauf. Das Klappern seiner Schuhe war dabei auf den kleinen Steinen gut zu hören.
    Langsam folgte er dem ihm Unbekannten. Um nicht zuviel Aufsehen zu erregen, steckte er sein Schwert zurück in die Scheide und versteckte es unter seinem Umhang.
    Sie blieben an einem heruntergekommenen Häuschen stehen. Der Unbekannte sah sich eilig um, öffnete die Tür und bedeutete ihm einzutreten. Im Häuschen brannte lediglich eine kleine Kerze auf einem bereits in die Jahre gekommenen Tisch.
    „Nun zeigt mir Eurer Gesicht!“, verlangte er aggressiv.
    „Aber nicht, dass Ihr Euch erschreckt“, erwiderte der Unbekannte und öffnete seinen Umhang.
    Er erschreckte sich nicht, vielmehr blieb ihm beinahe das Herz stehen und die Spucke in seinem Hals stecken.
    „Was in Innos Namen seid Ihr?“
    „Ist das nicht offensichtlich?“, erwiderte sein Gegenüber amüsiert. „Rob ist mein Name.“
    Sein Herz war immernoch wild am pulsieren als er sich das vor ihm stehende Skelett ansah.
    „Wie ist das möglich?“, flüsterte er und betrachtete die wenigen Fleischfetzen und Fasern, die noch an den Knochen baumelten. Kein Herz schlug in Robs Brust, wie nur konnte er genau in diesem Moment vor ihm stehen und reden?
    Rob zog seinen Umhang zu und starrte ihn aus seinem facettenlosen Gesicht an.
    „Den genauen Vorgang kann ich nicht erklären. Aber Ihr könnt Euch sicher denken, dass es mit Magie zu tun hat? Wobei ich hier gerade nicht von Relevanz sein sollte. Schließlich seid Ihr es, für den ich eine Botschaft habe.“
    Schlagartig wurde ihm bewusst, dass das vermeintliche Klappern der Schuhe durch die blanken Knochen gekommen war und spürte einen Schauer seinen Rücken herunterkriechen. Rob setzte sich an den Tisch und deutete ihm, sich auf der gegenüberliegende Seite niederzulassen.
    „Man hat Euch betrogen mein Herr!“
    Fasziniert beobachtete er den Hals des Skeletts, der sich während des Sprechens nicht ein Stück bewegte, einzig die Kiefer öffneten sich zu den gesprochen Worten.
    „Hört mir zu“, befahl Rob und donnerte mit seiner knochigen Hand auf die wackelige Tischplatte.
    Er zuckte zusammen und versuchte sich ganz auf das Gespräch zu konzentrieren.
    „Ich sagte, man hat Euch betrogen“, wiederholte Rob, legte dabei seinen Kopf etwas schief, als würde er ihn aus seinen leeren Augenhöhlen beobachten. Wie konnte er überhaupt sehen, schoss es ihm durch dem Kopf.
    „Was meint Ihr damit?“, erwiderte er abwesend.
    „Ich rede von Eurer Frau!“
    Er spürte ein wildes Pulsieren in seinem Kopf.
    „Was ist mit meiner Frau?“, schluckte er, während er versuchte die Trauer und Wut nicht erneut die Überhand gewinnen zu lassen.
    „Ihr erinnert Euch sicher daran, warum man ihr das Kind entreißen wollte?“
    „Vor der Geburt kam jemand zu uns. Ich habe seinen Namen vergessen. Aber man sagte uns wenn sie einen Jungen gebären würde, würde er zu einem Werkzeug Beliars. Natürlich glaubten wir all dies nicht. Aber je näher der Geburtstermin kam, desto mehr veränderte sie sich. Nicht nur das, alles um uns herum veränderte sich, es wurde dunkler, kälter. Ich kann es kaum beschreiben. Alles sprach dafür, dass man Recht hatte. Ich...“
    Rob hob eine Hand und gebot ihm zu schweigen. „Ich kenne Eure Geschichte. Allerdings ist genau dies der Punkt, wo man Euch bereits verraten hat! Das Kind Eurer Frau sollte niemals eine Waffe Beliars sein. Im Gegenteil, es war dazu bestimmt Innos zu dienen.“
    Er spürte wie es ihm hochkam und drehte sich gerade noch rechtzeitig um, bevor die Galle ihm aus dem Mund lief. Er hustete und würgte, spürte den immer wiederkehrenden Reiz in seinem Hals, während sein Magen sich immer wieder zusammenzog. Man hatte ihm alles genommen, hatte ihm gesagt es sei Innos Wille gewesen. Zitternd setzte er sich auf, seine Hände ballten sich zu Fäusten, während er mit seinem rechten Handrücken über den Mund wischte. Rob reichte ihm einen ledernen Trinkschlauch.
    „Nehmt einen kräftigen Schluck.“
    Er tat wie ihm geheißen. Das Getränk, was immer es war, brannte in seiner Kehle.
    „Noch ist nichts verloren“, murmelte Rob.
    „Wie könnt Ihr so etwas sagen?“, zischte er.
    „Euer Sohn ist noch am Leben! Man wird ihn erst zum nächsten Blutmond opfern.“
    „Mein Sohn soll eine Opfergabe an Beliar werden? Wo kann ich ihn finden?“
    Rob beugte sich etwas nach vorne, wäre er ein noch lebender Mensch gewesen, hätte der Atem sein Gegenüber erreichen müssen. „Das weiß ich leider nicht.“
    „Was soll das heißen, Ihr wisst es nicht?“, erwiderte er aufgebracht. Er spürte, wie sein Herz sich beschleunigte, seine Muskeln waren längst angespannt. Wenn er seine Frau nicht hatte retten können, musste er wenigstens seinen Sohn wiederbekommen.
    „In der Tat weiß ich es nicht. Ich würde Euch vorschlagen wir beginnen dort zu suchen, wo Ihr ihn zuletzt gesehen habt.“
    „Gut“, er erhob sich, die Bank fiel dabei zu Boden, „ich muss nur noch etwas holen.“, presste er zwischen seinen Zähnen hervor. Rob stand ebenfalls auf und folgte ihm eilig, als er die Tür aufstieß und eiligen Schrittes durch die Gassen lief. Das Klappern Rob seiner Knochen hallte durch die Nacht.
    „Wie darf ich Euch eigentlich nennen?“, rief das Skelett hinter ihm her.
    „Woher wusstet Ihr wen Ihr zu suchen habt, wenn Ihr nicht einmal meinen Namen wisst?“
    „Oh den wusste ich“, erwiderte Rob, „Allerdings habe ich ihn in den letzten Tagen wohl vergessen.“
    „Erstaunlich, dass Ihr Euch ohne Gehirn überhaupt etwas merken könnt. Wie dem auch sei, mein Name ist Kellan.“

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    Sie hatten die Gaststätte erreicht, in der Kellan die vergangenen Nächte gelebt hatte. Er bat Rob draußen zu warten, doch das Skelett bestand darauf ihn zu begleiten.
    „Ich habe Angst im Dunkeln.“
    „Ihr habt was?“
    „Angst im Dunkeln.“
    „Ihr verfolgt mich die ganze Nacht und erzählt mir nun Ihr hättet Angst im Dunkeln?“, erstaunter konnte Kellan wohl nicht klingen. Die ganze Situation war absolut absonderlich.
    „Nun ja, ich war ja nicht alleine. Ich habe Euch verfolgt, alleine kann man das wohl nicht nennen“, konterte Rob.
    Kellan öffnete die Gaststättentür und trat ein, Rob war direkt hinter ihm. Eine Wolke aus Schweiß, Alkohol, Rauch und verkochtem Essen schlug ihnen entgegen. Angewidert rümpfte Kellan die Nase, während Rob leise kicherte.
    „In solchen Momenten bin ich froh, dass ich keine Riechorgane mehr besitze.“
    „Nun, wir können gerne tauschen“, erwiderte Kellan trocken und begab sich zur Treppe.
    Eine vollbusige Frau stellte sich ihm in den Weg, ihre Brüste quollen förmlich aus ihrem Mieder hervor. Angewidert ging er einen Schritt zurück, als sich ihr Mund öffnete und eine Reihe verfaulter Zähne zum Vorschein kam.
    „Na mein Hübscher, wie sieht es aus, mit dir und mir?“ Der süßliche Geruch, der in seine Nase stieg, führte dazu, dass sein Magen sich erneut zusammenzog. Rob reagierte schnell, indem er den Lederschlauch öffnete und ihn unter seine Nase presste. Kellan zwängte sich an der beleibten Frau vorbei und stürmte die Treppe hinauf. Er hatte keine Zeit für solche Spielchen, er musste seinen Sohn finden. Er riss seine Zimmertür auf und verharrte in der Bewegung. Rob rannte gegen seinen Rücken und keuchte erstaunt auf. „Was ist los?“
    Vorsichtig trat Kellan in den Raum, Wasserkrug und Becher lagen in Tonscherben auf dem Boden. Seine Tasche war aufgeschlitzt worden, Bogen und Pfeile zerbrochen. Aus der Matratze quoll das Stroh nur so hinaus. Rob rieb sich mit den Fingerknochen über seinen Unterkiefer. „Mir scheint, Ihr habt jemanden verärgert.“
    Kellan kniete sich hin und suchte nach der losen Bodendiele. Als er sie fand und öffnete, atmete er erleichtert aus. Sein Goldbeutel war noch da und auch der maßgeschneiderte Bogen und die sauber gearbeiteten Pfeile hatte man nicht gefunden.
    „Mir scheint, Ihr habt mit einem solchen Angriff gerechnet.“, sagte Rob, während er sich auf die zerschlissene Matratze setzte.
    „Ich hatte so ein Gefühl, ja“, murmelte Kellan, hang den Goldbeutel an seinen Gürtel und nahm den Bogen zwischen seine Finger. Dann nahm er die Pfeile an sich, steckte sie weg und sah in Robs Richtung. „Benötigt ihr eine Waffe?“
    „Bisher hat es immer gereicht, dass ich den Menschen mein Gesicht gezeigt habe, aber ein Schwert würde wohl nicht schaden“, erwiderte Rob gelassen.
    „Dann kaufen wir Euch morgen eines. Wir sollten uns eine andere Bleibe suchen, hier ist es nicht mehr sicher“, sprach er und stand auf.
    „Wie Recht du doch hast“, erwiderte eine dunkle Stimme vom Türrahmen aus. Kellan fuhr herum, und blickte in drei hässlich dreinblickende Fratzen.
    Er zückte sein Schwert und machte sich zum Angriff bereit, als Rob an ihm vorbeistürzte und sich vor den Männern entblößte. Durch die Knochen des Skeletts konnte er sehen wie die Männer ihre Augen weiteten und zurück in den Flur stolperten. Rob lief rufend hinter ihnen her. „So wartet doch, wir könnten viel Spaß miteinander haben.“
    Kellan trat in den Flur und konnte von unten ein lautes Poltern und das Geschrei der Frauen hören, während er Robs Umhang aufhob um hinter ihm herzulaufen. Als er die letzte Treppenstufe erreichte, sah er wie einige Männer Rob mit ihren Schwertern attackierten. Er sprang über das Geländer und eilte dem Skelett zur Hilfe, dabei stieß er direkt dem nächstbesten das Schwert in die Seite. Jaulend ließ sein Gegner das Schwert fallen und rannte aus der Gaststätte ins Freie.
    „Wasch wällt dir eigentlisch ein, meinem Freund ein Schwert in die Scheite schu rammen?“, brüllte ein übergewichtiger volltrunkener Hüne aus der hinteren Ecke und machte sich schubsend den Weg zu ihnen frei. In voller Größer baute er sich vor Kellan auf und doch war er noch einen Kopf kleiner.
    „Ich habe mich die ganze Zeit gefragt was hier so absonderlich riecht. Nun weiß ich es, Ihr seid es!“, erwiderte Kellan und wich dem Fausthieb seines Gegenübers gekonnt aus.
    „Isch masch disch fertisch“, zeterte dieser und rannte mit Anlauf auf Kellan zu.
    Kellan griff mit der rechten Hand an die Kehle des Hünen und stoppte somit dessen Attacke. Er drückte seine Finger in das wulstige Fleisch und spürte wie die Halsschlagader pulsierte.
    „Ich glaube Ihr habt genug getrunken und solltet besser nach Hause gehen.“, knurrte Kellan gerade laut genug, dass der Hüne verstand. Er löste seine Umklammerung und sah zu wie sein Angreifer schwankend die Gaststätte verließ.
    „Hier könnte es bald sehr unangenehm werden“, rief Kellan Rob zu, als er an die Stadtwache dachte. Sein Begleiter hob das fallengelassene Schwert auf und sah in Kellans Richtung.
    „Nun müssen wir wenigstens kein neues mehr kaufen“, meinte er, nahm Kellan den Umhang dankend ab und sie kämpften sich ins Freie. Kellan konnte bereits das Klirren von Rüstungen hören und eilte in die nächste dunkle Gasse.
    „Wir müssen hinauf auf die Dächer“, sagte er mit einem Blick auf Rob.
    „Ohje, das wird nicht sonderlich einfach. Meine Knochen sind doch recht steif geworden.“
    Kellan rannte weiter in die Gasse hinein, lautes Stimmengewirr war hinter ihnen zu hören.
    „Um aus der Stadt zu gelangen, sollten wir uns vielleicht in die Kanalisation begeben. So bin ich auch hinein gekommen“, meinte Rob keuchend.
    „Für Euch mag es vielleicht ein leichtes sein durch diese stinkende Kloake zu wandern, ich schaffe das aber nicht“, erwiderte Kellan, dem sich alleine bei dem Gedanken erneut der Magen umgedreht hatte. „Wir treffen uns im Wald vor den Stadttoren, solltet Ihr vor mir dort ankommen, wartet dort auf mich.“
    Rob nickte zustimmend. „Eilt Euch, wir haben wahrlich nicht mehr viel Zeit“, erwiderte er, bevor er in der Dunkelheit verschwand.
    Kellan lauschte einen Moment in die Nacht hinein. Die Stimmen näherten sich ihm rasch. Er biss sich auf die Unterlippe und betrachtete die Hauswände, stellte dabei grimmig fest, dass sein Kletterhaken zwischen seinen zerstörten Habseligkeiten liegen geblieben war. Er entdeckte in einer Ecke einige Kisten und Fässer, sprang behände auf sie und flüchtete auf die Dächer Khorinis. Er wusste, dass er vor allem Nachts vorsichtig auf den Bedachungen sein musste, besonders auf denen in Nähe der Stadtmauer, teilweise waren sie morsch, instabil oder es klafften Löcher zwischen den Balken. Kellan kniete sich auf ein Dach und beobachtete wie die Stadtwache durch die dunkle Gasse rannte. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und kletterte langsam weiter Richtung Stadtmauer. Einen kurzen Moment musste er an Rob denken. Wie nur musste sich ein ängstliches Skelett alleine in der Kanalisation fühlen? Er hatte die Stadtmauer fast erreicht und beobachtete die Stadtwache auf den Palisaden. Sorgsam wickelte er sich den Umhang um seinen Umhang um den Hals, sodass er ihn nicht stören konnte. Mit einem Dolch zwischen den Zähnen und einem weiteren in der linken Hand, sprang er im passenden Moment auf die Stadtmauer. Er schaute rasch in beide Richtungen und sah von rechts einen Soldaten heraneilen. Kellan rannte auf den verblüfften Soldaten zu, und versetzte ihm mit dem Knauf des Dolches einen Schlag auf den Kopf. Stöhnend ging der Soldat zu Boden. Kellan schubste ihn von der Stadtmauer hinab, sodass der bewusstlose Soldat nicht direkt auffiel und sprang die Stadtmauer hinab in die Dunkelheit.

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    Kellan hatte sich hinter einigen Sträuchern versteckt und wartete auf Rob. Er hatte seinen Umhang vom Hals gewickelt und wieder ordentlich übergeworfen, um sich vor der Kälte zu schützen. Er wusste, dass es nicht lange dauern und man auch außerhalb der Stadt nach ihm suchen würde. Mit einem tiefen Seufzer nahm er seinen Dolch und schnitt sich die langen Haare ab. Seit er sich erinnern konnte hatte er sie lang und meist in einem Zopf getragen. Nun diesen Schritt zu gehen, bedeutete einiges an Überwindung für ihn. Er fasste sich in sein Gesicht, fuhr mit den Fingern über den Bart, der sich in den letzten Wochen gebildet hatte. Für ihn war es nicht mehr von Relevanz gewesen sich zu pflegen, doch nun versuchte er die harten Stoppeln, so sorgsam es ohne Licht und einer Schüssel Wasser ging, zu entfernen. Sein Magen machte sich grummelnd bemerkbar. Es war seine eigene Schuld. Essen hatte er in den vergangenen Tagen sträflich vernachlässigt. Er winkelte sein rechtes Bein an und legte die Hand mit dem Dolch auf sein Knie. Als er die Augen schloss, atmete er tief ein und rief sich ein Bild seiner Frau in Erinnerung. Er konnte ihren Duft einatmen, sah wie die Sonne durch ihr gelocktes Haar schien, wie der Wind mit den einzelnen Strähnen spielte. Kellan schüttelte seinen Kopf und verdrängte die Träne, die sich in sein Auge geschlichen hatte. Er war müde und doch wusste er, dass Rob und er vor allem Nachts reisen mussten, um nicht weiter aufzufallen. Auch diese Nacht mussten sie bereits nutzen, sodass er erst am darauffolgenden Tag einige Stunden zur Ruhe kommen würde.
    Ein Rascheln ließ ihn aus seinen Gedanken aufschrecken. Rob kam krachend durch das Gebüsch und blieb kurz vor ihm stehen.
    „Ihr habt Euch einige Äste eingefangen“, sagte Kellan amüsiert, als er sich das Skelett näher ansah.
    „Wenn das nur alles wäre. Ich hatte Ratten in meinem Brustkorb! Sie wollten sich an meinen Fleischresten zu schaffen machen. Ganz zu schweigen von dem ganzen Kot und Dreck“, erwiderte Rob während er die Äste und Zweige entfernte. „Ich bin so froh, dass ich nicht mehr riechen kann. Ich muss wie die letzte Kloake stinken! Wo ist das nächste Gewässer? Ich will dringend ein Bad nehmen!“
    Kellan konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Als Rob sich ihm noch etwas mehr näherte, verging es ihm sofort. „Wir sollten wirklich bald etwas zum Baden finden“, stimmte er dem Skelett zu und stand auf.
    „Ihr blutet etwas“, meinte Rob und fasste Kellan mit den Fingerknochen an das Kinn.
    Kellan zuckte überrascht zurück. „Ist mir wohl beim Rasieren passiert“,murmelte er und bahnte sich seinen Weg durch das Geäst. „Ich denke es ist sicherer, wenn wir den Weg erst passieren, sobald wir uns ein gutes Stück von Khorinis entfernt haben.“
    „Da könntet Ihr durchaus Recht haben“, stimmte Rob zu, während er sich an seinem Schädel kratzte.

    Sie waren ein gutes Stück gelaufen, als sie an einem kleinen See vorbeikamen. Rob entledigte sich seines Umhangs und sprang in das Wasser. Kellan kniete sich schmunzelnd an das Ufer, füllte seine Hände mit dem kühlen Nass und wusch sein Gesicht damit.
    „Habt ihr Hunger?“, rief Rob ihm zu und zeigte dabei auf einen Aal, der sich zwischen seinen Rippen wand.
    Kellan wollte ihn zuerst fragen wie Rob das geschafft hatte, doch er konnte nur den Kopf schütteln. „Einen Bissen könnte ich schon vertragen“, antwortete er.
    Sie entfachten ein kleines Feuer und hingen den Aal darüber.
    „Mhhhh wie das duften muss. Er sieht wahrlich lecker aus!“, schwärmte Rob.
    Kellan nahm den Stock, an dem der Aal hing, an sich und hielt ihn dicht unter seine Nase. Er atmete den köstlichen Duft ein und leckte sich über die Lippen. Er warf einen Blick auf Rob, dessen Schädel in seine Richtung sah.
    „Ich würde Euch ja fragen ob Ihr ein Stück haben möchtet, doch die Frage erübrigt sich wohl“, entschuldigte sich Kellan.
    Rob erhob sich, entriss ihm den Aal, kramte in seinem Umhang nach einem Dolch und schnitt ein großzügiges Stück ab. Die andere Hälfte reichte er zurück an Kellan.
    Verdutzt sah dieser dem Skelett dabei zu, wie es sich den Fisch zwischen die Zähne schob und darauf herumkaute.
    „Wenn ich Geruch und Geschmack schon nicht mehr haben kann, dann aber wenigstens das Gefühl einer guten Mahlzeit zwischen den Zähnen“, rechtfertigte Rob sich.
    Schweigend genoss Kellan seinen Anteil, der Aal schmeckte nicht nur gut, er weckte auch sämtliche Lebensgeister in ihm. Sein Magen fühlte sich wohlig warm an.
    „Rob, darf ich Euch etwas fragen?“
    „Ob es schmerzte als meine Geschlechtsteile langsam verkümmerten und zu Staub verfielen?“, erwiderte Rob und stemmte seine knochige Hand an die Hüfte.
    Kellan bleib der Fisch beinahe im Halse stecken. Hustend griff er nach Robs Trinkschlauch und nahm einen kräftigen Schluck.
    „Innos sei Dank, habe ich davon nicht das kleinste bisschen mitbekommen.“
    „Besitzt Ihr überhaupt kein Schamgefühl?“
    „Scham?“, lachend klatschte Rob sich auf den Oberschenkel. „Es mag Euch vielleicht entgangen sein, aber dort wo meine Scham vielleicht einmal gewesen ist, klafft nun ein großes Loch!“
    „Das war nicht meine eigentliche Frage gewesen“, murmelte Kellan.
    „Was beschäftigt Euch dann?“, erwiderte Rob, während er die Fischreste, die durch ihn hindurchgefallen waren, aufsammelte und in einem Loch verscharrte.
    „Wie kommt Ihr damit zurecht, so zu sein wie...“, Kellan versuchte die richtigen Worte zu finden.
    „Nur noch aus Knochen und einigen wenigen Hautfasern zu bestehen? Oh, eigentlich recht gut. Man kann trinken und essen soviel man will, besoffen oder satt wird man eh nicht. Man verspürt keinerlei Schmerz. Allerdings fehlt mir der Sex und das tägliche Masturbieren. Was würde ich darum geben noch einmal ordentlich...“
    „Ja danke, das reicht mir schon“, schnitt Kellan ihm das Wort ab während er aufstand und sich den Dreck von den Hosenbeinen klopfte. „Wir sollten uns auf den Weg machen“, schlug er vor, nahm seine Waffen an sich und wartete auf das Skelett, das sich ebenfalls erhob.

    Am frühen Morgen hatten sie eine kleine Höhle gefunden in der sie ihr Lager aufschlugen. Rob bot sich bereitwillig an Wache zu halten, damit Kellan einige Stunden schlafen konnte. Er breitete seinen Umhang nahe des kleinen Feuers aus und beobachtete die Flammen, während er versuchte Ruhe zu finden.

    „Öffne deine Augen“
    „Was ist los?“, schlaftrunken setzte er sich auf und rieb sich die Augenlider. Als er sie öffnete, stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen. Sie hatte sich vor das Bett gestellt. Die roten Haare bewegten sich im Wind, der unbeirrt durch das geöffnete Fenster herein strömte.
    Sie hatte seine Rüstung angezogen. Neben dem schwarzen Leder wirkte ihre Haut gleich viel blasser. Belustigt warf sie sich den Umhang über den Kopf und funkelte ihn aus ihren Augen an. Sie schimmerten wie flüssiges Gold.
    Sie kniete sich auf die Bettkante und kam geschmeidig wie eine Katze über ihn. Seine Hand berührte ihre warme Wange, während er mit seinem Daumen über ihre Lippen fuhr.
    „Du bist so schön“, murmelte er und atmete ihren Duft ein.
    „Versprich mir, dass du mich nie mehr alleine lässt!“, hauchte sie.
    „Ich verspreche es dir“, flüsterte er und zog ihren Kopf zu sich herunter.

    Erschrocken setzte Kellan sich auf, sein Herz raste, sein Körper zitterte. Er sah an sich herunter, griff mit seinen Händen an die Rüstung. Er konnte ihren Duft noch in seiner Nase spüren, ihre Stimme in seinem Kopf hören. Er hatte sein Versprechen gebrochen. Schwer atmend erhob er sich, griff nach seinem Schwert und ging zum Höhleneingang. Von Rob war keine Spur zu sehen. Die Sonne brach durch die Bäume, der Waldboden war noch feucht vom Morgentau. Er konnte nicht lange geschlafen haben. Langsam kniete er sich auf Laub und Moos, legte das Schwert vor sich auf den Boden.
    „Ich habe das verloren, was mir das Liebste war. Ich habe sie auf dem Waldboden zu meinen Füßen liegen sehen, weil ich blind genug war an unserer Verbindung und vor allem an ihr zu zweifeln. Doch sollte ich vielmehr an mir selber zweifeln! Was bin ich für ein Mann, der seine Frau verrät und sein neugeborenes Kind hergibt, weil er sich von Dingen blenden lässt, die nur dazu gedient haben uns auseinander zu reißen. Ich kann das Vergangene nicht ändern, so sehr ich sie mir zurück wünsche. Ich weiß nicht was für einen Grund es gibt, dass dieses Kind eine so besondere Bedeutung hat. Doch liegt es nicht in meiner Macht über deine Beweggründe zu urteilen. Innos, ich verspreche dir, ich werde meinen Sohn retten. Ich weiß, mein Wort ist nicht mehr wert, als der Dreck unter meinen Schuhen. Ich habe einen Schwur schon einmal gebrochen. Doch ich werde alles in meiner Macht stehende unternehmen, um meinen Sohn aus den Fängen der Anhänger Beliars zu befreien. Ich würde dir sogar mein Leben geben, wenn es dazu dienen könnte meinen Sohn zu retten.“
    Kellan nahm sein Schwert in die Hand und erhob sich. Langsam zog er sich mit der Klinge über die Innenseite der linken Hand. Als das Blut aus der Wunde sickerte, musste er an sie denken.
    „Ich habe mein Versprechen gebrochen, verzeih mir. Und nun muss ich dich aus meinem Kopf verbannen. Ich muss klar denken können und das kann ich nicht wenn ich stets deinen Körper vor Augen und deine Stimme in meinen Ohren klingen höre. Du bist alles was ich will, alles was ich begehre und doch muss ich mich nun von dir trennen. Wenn ich unseren Sohn in Sicherheit weiß, verspreche ich dir, werde ich dich wieder in meinen Verstand lassen, damit ich unserem Kind von seiner Mutter erzählen kann, die einst stärker als sein Vater war.“
    Kellan schloss seine Augen und holte tief Luft. Als er sie öffnete, sah er Rob vor sich stehen. Er ballte seine blutende Hand zu einer Faust und beobachtete den roten Faden, der zu Boden fiel. Er steckte sein Schwert in die Scheide und wickelte sich ein schmutziges Tuch um die linke. Rob nickte ihm schweigend zu, reichte ihm Bogen und Köcher und folgte ihm, als Kellan sich seinen Weg durch die nächsten Sträucher bahnte.

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    Stöhnend kratzte Javier sich an seinem Kopf. Er öffnete die Augen und ließ seinen Blick durch die Höhle gleiten. Die Dunkelheit hielt ihn nicht davon ab, jedes einzelne Detail wahrzunehmen. Als er sich bedächtig über die Lippen leckte, schmeckte er Blut und Reiswein. Sein Blick schweifte neben sich. Dort lag sie, die roten Haare waren wie ein Fächer über ihrem nackten Rücken ausgebreitet. Lange Striemen gingen ihr vom Nacken bis zu ihrem Steiß. Javier beugte sich über sie, seine Haare fielen auf ihre blasse Haut. Langsam leckte er über die offenen Wunden. Er schlang ihre Haare um sein Handgelenk und zog ihren Kopf zurück.
    „Was soll das?“, fauchte sie ihn an, ihre grünen Augen hefteten sich auf die seinen.
    „Ich bin noch nicht fertig mit dir“, murmelte er und griff mit seiner freien Hand an ihren Hals.
    Etwas Kühles presste sich spitz und drohend an seine Eier.
    „Und wie fertig du mit mir bist“, zischte Kenna und drückte ihren Dolch noch etwas fester gegen sein Gemächt.
    Es kostete Javier keine Mühe nach Kennas Arm zu greifen und so den Dolch auf gewissen Abstand zu bringen.
    „Du willst mir also wehtun?“, seine Stimme bekam einen bedrohlichen Unterton als er ihren Arm fest auf das Laken presste und sich auf sie schob.
    „Hat dir etwa nicht gereicht was ich dir heute Nacht angetan habe?“, knurrte Kenna und versuchte nach seinen Lippen zu schnappen.
    Er musste an die Wunden auf seinem Oberkörper denken und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
    „Bei Weitem nicht“, bekannte Javier als er sich stöhnend in sie schob.
    „Ich bin in der Lage über vieles hinwegzusehen. Aber dass ihr erneut missachtet, dass ihr nicht alleine seid, wird mir allmählich zuwider“, brummte Geron und bewegte sich mürrisch neben Kenna.
    Javier ließ seinen Blick über Geron schweifen und zeigte ihm seine Zähne, während er sich keuchend weiter bewegte. Er sah gar nicht ein wieso er sein Vergnügen beenden sollte. Geron war ohnehin nicht in der Lage dieses mit ihm zu teilen. Nachdem Geron als junger Mann von einem Kamel gefallen und von diesem halb zertrampelt wurde, war in aller Munde, dass er keinen mehr hochbekam. Und dennoch stöhnte Geron nun neben ihnen und schob sich fluchend die Hand zwischen die Beine.
    „Was ist los mit dir?“, presste Javier hervor und bewegte sich schneller in der sich unter ihm windenden Kenna.
    Geron schlug die Felle beiseite und deutete auf seinen Schwanz. „Nur weil er verkrüppelt ist, heißt es nicht, dass sich nichts regt. Und das tut verdammt nochmal weh!“
    „Also wenn du willst, schneide ich ihn dir wohl ab“, erbot sich Javier während er Kennas Hals fester drückte. Die junge Frau schrie auf, er konnte spüren wie sich alles in ihr zusammen zog.
    Geron packte Javiers Nacken und hielt mit der anderen Hand seinen Dolch an dessen Hals. „Wenn du willst, kann ich dafür sorgen, dass du weißt wie ich mich fühle“, drohte er.
    Javier lachte laut auf. „Nimm den Dolch weg, bevor ich mich vergesse“, knurrte er. Geron zögerte einen Moment, besann sich dann aber eines Besseren und entfernte sich langsam. Er wusste nur zu gut, dass Javier gleich war wen er erdrosselte oder erstach, selbst wenn er diese Person bereits sein ganzes Leben über kannte. Geron hatte mit ansehen müssen wie Javier seinen eigenen Vater erdrosselte. Als der leblose Körper auf dem Boden lag, hatte er darauf gewartet irgendeine Gefühlsregung in Javiers Augen zu sehen und war erschrocken den Ausdruck absoluter Erregung und Freude in ihnen zu erkennen. Javier tötete aus bloßem Vergnügen. Er hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als er einer ganzen Familie mitsamt kleinen Kind den Garaus gemacht hatte.
    Stöhnend ergoss Javier sich in Kenna und genoss es wie seine Eingeweide sich befreit zusammen zogen.
    „Nächstes Mal bringe ich dich um“, fauchte Kenna und blitzte ihn aus ihren Augen an.
    „Wenn du nicht artig bist, schiebe ich die nächste Runde direkt hinterher“, flüsterte Javier und biss ihr ins Ohr, „und das willst du ganz sicher nicht!“
    Als er aufstand konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen. Die Männer, die vor seinem Lager geschlafen hatten und von denen er wusste, dass sie ganz sicher bereits wach waren, hielten ihre Augen geschlossen und versuchten ihren Atem anzuhalten, während ihr Anführer nackt über ihre Körper hinwegging. Javier steuerte auf den massiven Holztisch zu und griff zielstrebig zu dem großen Kelch. Gierig wollte er das Blut hinunter stürzen, doch bereits beim ersten Schluck spuckte er. Er presste seine Zähne zusammen und drehte sich um. Mit dem Kelch in der Hand bewegte er sich zu Ilias, einem jungen Mann, der erst kürzlich zu ihm gestoßen war. Er kniete sich über ihn und konnte spüren wie Ilias Glieder zitterten.
    „Öffne deine Augen“, sagte er so freundlich er konnte.
    Langsam tat Ilias wie ihm geheißen. Javier erblickte die blauen Augen in denen die blanke Panik zu sehen war. Er tauchte seinen Daumen in den Kelch und schmierte Ilias das Blut auf die Lippen.
    „Sag mir Ilias, verlange ich zuviel von Euch?“
    „Aber nein, Herr“, stammelte der junge Mann.
    „Hattest du in der gestrigen Nacht zuviel vom Sumpfkraut?“, erkundigte Javier sich.
    Ilias schüttelte mit dem Kopf. „Ich habe nicht ein bisschen geraucht“, versicherte er.
    „Dann, lieber Ilias, verrate mir eins“, Javiers Stimme war ruhig, „Wie kommt es, dass das Blut nicht frisch ist? Es war doch deine Aufgabe meinen Becher am Morgen zu füllen.“
    „Aber mein Herr, ich....“
    Javier griff mit seiner freien Hand an Ilias Hals und zog den jungen Mann zu sich heran. Er presste den Becher an dessen Lippen. „Trink!“, befahl er.
    Ilias zögerte. „Ich kann nicht mein Herr“, stammelte er.
    „Trink!“, Javiers Stimme glich kaum mehr einem leisen Flüstern.
    Ilias öffnete seinen Mund und Javier kippte ihm das bereits geronnene Blut in den Mund.
    Der junge Mann spuckte und wandt sich, doch Javier hielt ihn unerbittlich fest. „Solltest du mir das Blut vor die Füße kotzen, bringe ich dich um“, lächelte Javier und ließ Ilias den Becher bis zum letzten Tropfen leeren. Ilias presste seine Hände vor den Mund, Javier beobachtete selbst zufrieden wie ihm alles wieder hochkam. „Du solltest es besser wieder hinunter würgen. Ich weiß, du bist noch nicht lange bei uns. Aber meine Regeln gelten auch für dich. Solltest du es noch einmal wagen mir kein frisches Blut zu bringen, so muss ich dich leider töten.“ Javier beugte sich vor und berührte mit seinen Lippen Ilias Ohr. Ihm war bewusst, dass der junge Mann gezwungen war auf sein Gemächt zu starren, das ihm nur allzu nah vor dem Gesicht baumeln musste. „Und wir wollen doch nicht, dass unsere Beziehung so bald ein Ende findet“, flüsterte Javier, so dass nur Ilias ihn hören konnte.
    Javier stand auf und begab sich erneut zu dem Tisch. „Bringt mir sofort einen neuen Becher!“, brüllte er, sodass es in den Gemäuern widerhallte.
    Er griff zu dem zusammen gerollten Sumpfkraut, zündete es an einer Kerze an und nahm einen kräftigen Zug. Er spürte wie der Qualm seine Lungen füllte. Er wanderte zurück zu seinem Lager und legte sich dort der ganzen Länge nach hin.
    „Er ist auf dem Weg“, hörte er eine Stimme in seinem Kopf sagen.
    „Dann funktioniert alles nach Plan“, dachte er, „Sorgt dafür, dass er es nicht allzu einfach hat, sonst wird er vielleicht misstrauisch. Doch achtet darauf, dass er nicht stirbt. Noch brauchen wir ihn.“
    „Ja mein Herr“, erwiderte die Stimme zischend und verschwand.
    Kenna hatte sich erhoben und war zu dem kleinen Bett gegangen, das neben dem ihren stand. Sie hob den kleinen Jungen mit dem dunklen Haarflaum hoch und presste ihn gegen ihren Körper.Während das kleine Kind hungrig nach ihrer Brust suchte, heftete sie ihren Blick auf Javier.
    Er wusste was sie dachte. Es war kaum zu übersehen dass sie ihn hasste und dennoch konnte sie ihre Finger nicht von ihm lassen. Und doch wusste er, dass sie ihn umbringen wollte. Tief in ihrem Innern wollte sie ihn dafür büßen lassen was mit ihr geschehen war. Er hatte es getan, hatte ihr das Kind im Namen Beliars genommen, viel zu wichtig war das Leben dieses Jungen, als dass er Rücksicht auf ihre Gefühle hätte nehmen können.
    Er hatte ihr das Kind entrissen, sich umgedreht und sie hatte nur noch das Knacken seiner Wirbel hören können.
    Javier schloss seine Augen. Er konnte ihr nicht sagen, dass ihre kleine Tochter noch lebte. Vielleicht eines Tages, doch was würde es für ein Bild auf ihn werfen? Er dachte er hätte niemals Skrupel jemanden zu töten, doch bei seinem eigen Fleisch und Blut hatten seine Kräfte versagt. Er hatte das Kind weggeschickt und doch erfuhr er jeden Tag wie es ihr ging. Es wäre zu gefährlich Kenna davon zu erzählen, das Sagitta noch lebte.

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    Sie hatte sich ihre widerspenstigen Haare zusammen gebunden. Vereinzelte Locken kringelten sich dennoch an ihren Ohren. Ihre Augen hefteten sich auf die kleine Zielscheibe, die zwischen den Bäumen aufblitzte. Sie hörte weder das Knacken der Äste, noch das Zwitschern der Vögel, konzentrierte sich einzig auf ihr Ziel und den Bogen, den sie in ihrer linken Hand hielt, während die rechte den Pfeil spannte. Eine Bewegung blitzte in ihren Augenwinkeln auf und im nächsten Moment stand er direkt hinter ihr. Seine Hand legte sich auf ihre linke. Er dirigierte den Pfeil in die genaue Flugrichtung. Seine Lippen streiften ihr Ohr, ihre Locken kitzelten ihre Haut bei jeder seiner Atemzüge.
    „Ich kann mich nicht konzentrieren“, murmelte sie und presste ihre Lippen aufeinander.
    „Dann musst du wohl doch noch etwas mehr üben“, erwiderte er, während seine rechte sich um ihren Bauch legte.
    „Das ist aber auch unfair! Du würdest dich auch nicht konzentrieren können!“
    Er lachte auf und ließ sie los. „Gib mir den Bogen“, forderte er sie auf.
    Murrend reichte sie ihm die Waffe und sah ihm dabei zu, wie er den Pfeil langsam nach hinten zog. Jeder seiner Armmuskeln spannte sich bei der Bewegung an. Sie stellte sich auf Zehenspitzen und hauchte ihm in die Ohrmuschel. Er zuckte nicht einmal zusammen. Sie wusste, dass er längst das Ziel anvisiert hatte und der Pfeil ganz sicher die Mitte erreichen würde. Und dennoch stand er vor ihr, bewegte sich nicht einen Zentimeter. Es ärgerte sie. Ihre Hände glitten über seine Brust, kniffen ihn fest und doch blieb er stehen, die Augen auf das Ziel gerichtet. Entschlossen stellte sie sich vor ihn und begann sich ihr Hemd über den Kopf zu ziehen. Sie jubelte innerlich als sein Gesichtsausdruck sich veränderte und seine Augen sich auf ihren Körper hefteten.
    „Was machst du da?“
    „Ist es heute nicht furchtbar schwül?“, gab sie zurück und zog sich langsam die Hose von ihrer Hüfte, ein kalter Wind fuhr um ihre nackte Haut und ließ sie erzittern. Sie griff an ihren Hinterkopf und löste das Band, welches ihre Haare zusammen halten sollte. Im nächsten Augenblick stand er direkt vor ihr und hatte seine Hände in ihren Haaren vergraben. Er bog ihren Kopf nach hinten und küsste sie hungrig.
    „Gewonnen“, hauchte sie in seine Mundhöhle.
    „Das glaube ich kaum“, murmelte er und wirbelte sie herum. Ihre Augen hefteten sich auf die im Wind flatternde Zielscheibe. In der Mitte steckte der Pfeil.



    Mit einem tiefen Seufzer wachte sie auf. Sie konnte sich nicht daran erinnern in den letzten Wochen jemals so gut geschlafen zu haben. Vorsichtig streckte sie ihre Glieder, es schmerzte kaum mehr. Kyle hatte ihr zwei gleich große Steine nach oben gebracht. Sie hatte täglich mit ihnen geübt, um genügend Kraft in ihren Armen zu bekommen. Ihr Blick wanderte zu den beiden Ästen, die Kyle ihr ebenfalls geholt hatte. Sie waren so stabil, dass sie sich bei ihren Gehübungen darauf stützen konnte. Mit einem Lächeln auf den Lippen schob sie ihre Beine aus dem Bett. Es waren kaum mehr Blutergüsse zu sehen, sie wirkten auch nicht mehr so geschwollen. Langsam setzte sie ihre Fußspitzen auf den Boden. Sie genoss es den kalten Holzboden unter ihren nackten Füßen zu spüren. Sie stütze sich mit den Handflächen auf der Bettkante ab und verlagerte allmählich das Gewicht auf ihre Beine. Sie löste ihre Hände und stellte sich vollends hin. Zufrieden stellte sie fest, dass ihre Beine kaum mehr zitterten. Vorsichtig machte sie einen Schritt nach vorne. Der Boden bewegte sich gefährlich unter ihr und doch wollte sie so schnell nicht aufgeben. Verbissen presste sie die Lippen aufeinander und ging allmählich Richtung Tür. Sie spürte wir ihr Rücken sich straffte, ihr Herz machte einen Satz. An der Tür griff sie nach dem Ast, den sie am Vortag dort stehen gelassen hatte. Nur im Hemd bekleidet öffnete sie die Tür und trat hinaus in den Flur. Ein eisiger Wind kam ihr entgegen. Der Flur war das Einzige, was nicht beheizt wurde. Sie wandte sich zur Treppe und hielt sich mit ihrer freien Hand vorsichtig an der kahlen Wand fest. Im Haus war nicht das kleinste Geräusch zu hören. Sie schien alleine zu sein. Es wunderte sie nicht. Kyle war um diese Uhrzeit stets am Jagen. Was Xardas machte wusste sie jedoch nie. Und doch hatte sie bereits mitbekommen, dass er die meiste Zeit nicht im Haus anzutreffen war. Sie setzte einen Fuß vor den anderen als sie die Treppe hinabstieg. Ihre roten haare fielen ihr lose über die Schultern. Wenn sie tatsächlich alleine war, wollte sie den moment nutzen und sich wenigstens etwas waschen. Der Badetrog stand neben dem großen Wohnraum, das wusste sie bereits, da kyle sie dort mehrfach gebadet hatte. Als sie daran dachte, stieg ihr die Schamesröte ins gesicht. Sie hatte gespürt wie verlegen ihn die ganze Situation gemacht hatte. Seine Muskeln waren verkrampft gewesen, als er sie in die Wanne gehoben hatte, waren seine Augen geschlossen und sein Körper wirkte eher wie ein harter Gegenstand als tatsächlich wie der eines Menschen. Sie hatte nicht vergessen wie seine Finger durch ihre Haare geglitten waren. Obohl sie so groß waren, hatte er es geschafft, ihr die Haare sanft zu waschen. Sie erinnerte sich daran, wie verlegen sie gewesen war als er auch noch ihren restlichen Körper waschen wollte. Wie schnell sie ihm den Schwamm aus der Hand gerissen und selber ihren Körper gewaschen hatte, würde sie wohl nicht so schnell vergessen. Vor allem nicht wegen der unerträglichen Schmerzen, die sie aber in Kauf genommen hatte, weil sie darauf bestand sich alleine zu reinigen.
    Sie steuerte auf das Feuer zu und warf einen Blick in den großen Kessel. Er war leer. Anscheinend hatte kyle noch keine Ahnung was er ihnen an diesem Tag zu Essen bereiten würde. Sie konnte sich immernoch nicht vorstellen, dass Xardas überhaupt einen Finger krümmen würde, wenn es um solche Dinge ging.Ihr Magen meldete sich und sie sah sich suchend um. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass es gar nichts mehr zu essen gab. Mit einem Blick auf den Tisch wurde diese Vermutung bestätigt. Getrockneter Schinken, ein Laib Brot und ein Stück Käse lagen bereit. Der Schinken war bereits geschnitten worden. Wahrscheinlich hatte Kyle daran gedacht, dass sie noch nicht in der Lage war mit dem Messer so viel Duck auf das harte Stück Fleisch auszuüben. Vorsichtig setzte sie sich auf die Holzbank und streckte ihre Beine aus.
    Als sie fertig gespeist hatte, machte sie sich auf den Weg zum Badetrog. Resigniert stellte sie fest, dass sie nicht bedacht hatte wie sie das warme Wasser aus dem Kessel in den Trog füllen sollte. Ganz zu schweigen davon, wie sie zu dem Bach kommen sollte um überhaupt erst einmal Wasser zum erhitzen zu haben. Sie wanderte an den Bücherregalen vorbei. Erstaunlicherweise gab es davon recht viele in dem Haus. Die Bücher waren nicht einmal besonders verstaubt, als würden sie tatsächlich regelmäßig gelesen werden.
    Ein leises Flüstern ließ sie aufschrecken.
    „Der Meister sagte wir sollen unten bleiben und warten!“
    „Aber er war doch bereits seit Tagen nicht da, vielleicht hat er unsvergessen?“
    „Der meister war schon öfter mehrere Tage lang fort. Er wird schon wieder kommen.“
    „Ich möchte so gerne wieder unter den freien Himmel.“
    „Das können wir doch des Nachts machen wenn sie alle am schlafen sind.“
    „Aber dann ist von der Sonne nichts mehr zu sehen!“
    „Der Mond ist nicht weniger schön...“
    „Ich bin aber eher ein Sonnenkind.“
    „Du bist gar kein Kind mehr.“
    „Du weißt schon wie ich das meine!“
    „Psst, wir sollten leiser sein. Sie ist doch noch im Haus.“
    Ein sich entfernendes Poltern war zu hören.
    Sie spürte ihr Herz. Es schlug ihr eindeutig bis zum Hals. Sie spürte wie ihr Körper immer mehr zitterte, mit einem Schlag war es im gesamten Haus kühl geworden.
    Die Stimmen waren von der Treppe her gekommen.
    „Hallo?“, ihre Stimme war mindestens zwei Oktaven zu hoch.
    Verunsichert bewegte sie sich zur Treppe. Ihr Blick fiel auf die Falltür. Wollte sie wirklich wissen was sich darunter befand? Ihre Zähne schlugen aufeinander als sie sich langsam beugte und nach dem eisernen Türknauf griff. Eine Hand umfasste sie und sie wurde zurück gezogen.
    Verängstigt schrie sie auf und versuchte sich mit aller Kraft zu wehren.
    „Hör auf! Ich bin es doch!“, schrie Kyle und presste sie fester an sich. Er legte seinen Arm um sie, hob sie hoch und wandte sich zum Tisch.
    Nur allmählich konnte sie sich wieder beruhigen.
    "Was ist dort unten?“
    „Nichts“, antwortete Kyle.
    „Und wieso habe ich dann ein Flüstern gehört?“
    „Ein Flüstern? Ich kann mir nicht vorstellen was hier flüstern sollte. Dort unten befindet sich lediglich unser gesamter Vorrat.“
    „Kyle, wenn sich dort unten nur euer Vorrat befindet, wieso hast du mich dann davon abgehalten hinunter zu gehen?“
    Sie spürte, dass er versuchte vor ihren Blicken auszuweichen.
    „Nun, ich habe dort gerade erst einen Hasen gehäutet und wage zu bezweifeln, dass du das sehen möchtest. Und der für mich viel ausschlaggebendere Grund ist, die Treppe ist sehr steil, du könntest dir etwas brechen.“
    Sie spürte dass dies nicht die Wahrheit war. Vermutlich hingen dort tatsächlich die geschlachteten Tiere und die Treppe war ganz sicher auch nicht so einfach aber das konnte doch nicht alles sein.
    „Ich wollte baden gehen“, wechselte sie das Thema und deutete Richtung Badetrog, „Allerdings ist es mir leider nicht möglich den Trog alleine mit Wasser aufzufüllen.“Kyle nickte verständnisvoll, hievte sie von seinem Schoß und setzte sie auf die Bank. Er griff nach dem großen Eimer und begab sich zur Tür.
    „Bleib dort sitzen, ich werde dir Wasser holen.“
    „Danke“, lächelte sie ihn an.
    Als die Tür hinter ihm schloss, versuchte sie so schnell wie möglich auf die Beine zu kommen. Zum Bach benötigte Kyle gute zwei Minuten, das wusste sie, da sie ihn bereits mehrfach dabei beobachtet hatte. Zurück würde er weitere zwei Minuten benötigen. Genügend Zeit also, um sich auf den Weg nach unten zu begeben. Sie eilte so schnell es ging zur Falltür. Sie spürte das erneute Erbeben ihres Körpers. Sie hatte Angst und doch hatte sie den Drang zu erfahren was hier gespielt wurde. Die Tür war schwer, das spürte sie sofort, als sie am Türknauf ziehen wollte. Sie nahm all ihre Kraft zusammen und zog etwas fester. Unter einem lauten Ächzen gab das schwere Holz nach und öffnete sich einen Spalt. Triumphierend zog sie die Falltür weiter auf. Mit einem letzten Blick hinter sich, drehte sie sich vorsichtig um und stieg die Treppen rückwärts hinab. Sie spürte den Angstschauer über ihren Rücken kriechen. Was wenn das Ungewisse sie anfallen und töten würde? In den Wänden waren Kuhlen eingearbeitet, in denen Kerzen standen und ihr den Weg leuchteten. Als sie unten ankam drehte sie sich um. Ihre Augen gewöhnten sich nur schwer an das künstliche Licht. Sie konnte Silhouetten an der Decke erkennen. Das waren vermutlich die Schlachterzeugnisse, die dort nun zum Trocknen hingen. Ein Gang führte aus dem großen Raum hinaus. Ihre Füßen spürten den lehmigen Unterboden. Immer wieder trat sie auf etwas hartes. Vermutlich ein Ast oder auch mal ein Stein. Es war kalt, ihr fröstelte sehr und doch konnte sie dem Drang nicht widerstehen weiter zu gehen. Hinter sich konnte sie die schwere Haustür hören. Schritte bewegten sich rasch in ihre Richtung. Die Treppenstufen knarrten unter Kyles Gewicht. Sie versuchte schneller zu gehen und doch hatte Kyle sie innerhalb weniger Sekunden eingeholt.
    „Was machst du hier?“, brüllte er sie an.
    Sie hatte ihn noch nie so erlebt.
    „Ich will wissen was ihr hier unten versteckt!“
    „Ich sagte doch, dass dies unsere Vorratskammer ist“, erwiderte Kyle aufgebracht.
    Und dann sah sie es. Eine Bewegung im Schatten.
    „Was ist das?“, flüsterte sie, Panik überkam sie und sie klammerte sich an Kyle. Dieser drehte sich um und suchte nach dem was sie gesehen hatte. Ein leises Knurren war zu hören. Leuchtende Augen hefteten sich auf sie. Der Schatten näherte sich. Als er ins Licht trat, fing sie an zu schreien, ihr Herz setzte einen Moment aus und sie versank in Dunkelheit.
    Geändert von Ajnif (31.08.2015 um 23:38 Uhr)

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    Sie lief durch einen langen Gang, das leichte Kleid umschmeichelte ihre Wadenknöchel, ihre blanken Füße ließen sich durch die raue Oberfläche der Steine nicht beirren und folgten unaufhaltsam ihrem eisernen Willen. Ihre Haare klebten zum Teil an ihrem nackten Hals, die restlichen schwangen im Einklang mit ihren Schritten von der einen in die andere Richtung. Ihre Finger hatten sich in dem leichten Leinen vergraben und hoben die Spitze des Kleides nur so weit an, dass es ihr möglich war mühelos durch die Gänge zu laufen. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals, als sie um die letzte Ecke bog und unsanft gegen einen harten Widerstand stieß. Ihre Beine stolperten nach hinten, mit weit aufgerissenen Augen und wild rudernden Armen versuchte sie ihren Körper am Sturz zu hindern. Eine Hand ergriff die ihre und holte sie zurück in einen festen Stand. Sie blickte auf und sah direkt in seine grauen Augen, die sie unverhohlen ansahen. Er war in einen weiten Umhang gehüllt, ein dunkles Tuch verdeckte sein Gesicht, lediglich die Augen, die sie förmlich anzogen, waren zu sehen. Er hätte sie bereits längst loslassen können, doch seine Finger lagen wie versteinert um ihre zarten Knochen.
    „Herrin, was macht Ihr hier draußen?“, eine weitere Gestalt erschien neben ihm und sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Nur schwer konnte sie ihren Blick von ihm lösen und wandte sich an Lucar, einer Wache ihrer Leibgarde.
    „Ich habe gehört mein Vater ist heimgekehrt“, erwiderte sie und löste ihre Finger aus der Umklammerung des ihr Fremdem.
    „Ich befürchte er würde wenig erfreut sein Euch so zu sehen“, erwiderte der ältere Mann. Sein Kopf war geneigt, um jeglichen Augenkontakt mit ihr zu vermeiden.
    „Willst du mir deinen Begleiter nicht vorstellen?“, erwiderte sie.
    Sie konnte sehen dass Lucar zögerte, doch der ihr Unbekannte kam ihrer Leibgarde zuvor als er vor ihr auf die Knie ging. Sie konnte das Schwert unter seinem Umhang aufblitzen sehen und erstarrte. „Herrin“, begann er mit seiner tiefen Stimme, hob seinen Kopf und heftete seine blitzenden Augen auf ihr Gesicht. Sie spürte wie ihre Knie weich wurden. Ganz gleich wer er war, sie wusste bereits längst was er war, an seinem Blick konnte sie erkennen, dass er sich dessen bewusst war. Kleine Grübchen bildeten sich unter seinen Augen, lachte er sie gerade etwa aus?
    Sie holte tief Luft und bevor er sein Spiel beenden konnte, wandte sie sich erhobenen Hauptes von ihm ab und ging geradewegs in den nächsten Gang, einen Bruchteil später erkannte sie, dass sie in eine Sackgasse gesteuert war. Sie presste ihre Hände zu Fäusten zusammen und ging unbeirrt der kahlen Wand entgegen.
    „Ihr müsst Euch nicht fürchten“, hörte sie die Stimme hinter sich, es war kaum mehr als ein Flüstern und doch kroch ihr ein kalter Schauer durch den Körper. Sie verharrte eine Weile an der Wand, drehte sich langsam um und atmete erleichtert aus, als sie niemanden entdecken konnte.
    Schnellen Schrittes ging sie durch den wenig beleuchteten Flur, als sich ein Schatten von der Wand löste und ihr im nächsten Moment eine Hand auf den Mund gepresst wurde.
    „Allerdings solltet Ihr darüber nachdenken Eure Leibgarde auszutauschen. Ich musste mich nicht einmal anstrengen um an Euch heran zu kommen“, hauchte er.
    Ihr Herz raste, ihr Körper zitterte. Langsam löste er seine Hand von ihrem Mund, ihr heißer Atem prallte an seiner Handinnenfläche ab und strömte in ihre halbgeöffneten Lippen.
    Wie ein Kloß lag das Unausgesprochene Wort auf ihrer Zunge, es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis sie ihre Sprache wieder erlangte. „Assassine“, flüsterte sie.


    Ein Rascheln drang an ihre Ohren, ein permanentes Tropfen war zu hören. Der Untergrund auf dem sie lag war kühl. Demnach konnte sie nicht in ihrem Bett liegen. Sie versuchte sich daran zu erinnern und ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Langsam öffnete sie die Augen und versuchte sich an das nur spärlich vorhandene Licht zu gewöhnen. Schweiß lief ihr über die Stirn, als sie einen Schatten sah, der sich von der Wand löste. Ächzend ging sie zu Boden, presste die hände an ihre Schläfen und versuchte einen kühlen Kopf zu bekommen.
    „Euch wird nichts geschehen“, hörte sie die tiefe Stimme in ihrem Kopf sagen. Sie blickte auf, fixierte den Schatten, der einige Meter vor ihr zum Stehen gekommen war, grelle Augen stierten sie an, sie spürte wie eine erneute Panik sich in ihrem Köper auszubreiten drohte. Verzweifelt schloss sie ihre Augen, doch die Dunkelheit, die sie sehnsüchtig erwartete, blieb aus. Graue Augen stierten sie an, kleine Falten umrahmten das Augenpaar. Eine Hand streckte sich aus, sie konnte die Wärme auf ihrer Haut förmlich spüren. Verwirrt riss sie ihre Augen auf, war sie nun wach? Schlief sie etwa immernoch? Was war real, was hatte all das zu bedeuten? Auf ihrer rechten Schulter lag eine kräftige Hand, Wärme breitete sich auf ihren Schultern, ihrem Nacken, ihrem Rücken aus, als eine weitere Hand sie umfasste und sie eng an einen Körper gepresst wurde.
    Sie nahm kaum war, dass ein Wimmern über ihre Lippen kam, ihr Körper zitterte.
    „Euch wird nichts geschehen!“, hörte sie ihn erneut sagen. „Es tut mir so leid“, flüsterte er im nächsten Moment kaum hörbar. Wie ein Blitz schlug es plötzlich in ihrem Kopf ein.
    „NEIN!“, entfuhr es ihren Lippen, „NEIN!“
    Sie versuchte sich aus der Umklammerung zu befreien, schlug verzweifelt um sich.

    „So hilf ihr doch!“
    „Es gibt nichts, womit ich das Fortschreiten ihrer Erinnerungen aufhalten könnte.“
    „Du hast soviel Macht und kannst ihr nicht helfen? Was bringt dir all dein Wissen, wenn es zu nichts zu gebrauchen ist?“
    „Es geschieht was geschehen muss.“
    „Verdammt, siehst du denn nicht wie sehr sie leidet?“
    „Dieser Weg ist ihr vorher bestimmt!“
    „Kannst du ihr nicht wenigstens etwas geben, um ihre Qualen erträglicher zu machen?“
    „Ich hätte nicht gedacht, dass dir ein Mensch jemals wieder soviel bedeuten würde.“
    „Jetzt gib ihr endlich etwas!“

    Etwas kaltes wurde gegen ihre Lippen gepresst, eine Hand zwang sie dazu ihren Mund zu öffnen. Eine klebrige, kühle Flüssigkeit lief ihre Kehle hinab. Die Stimmen wurden leiser, erträglicher.

    Allmählich wachte sie auf. Ihr Körper war warm, sie spürte einen leisen Atem an ihrem Haar. Sie öffnete ihre Augen, betrachtete den Körper, der neben ihr lag, sich schützend gegen sie gedrückt hatte. Ein schwerer Arm hatte sich auf ihren Bauch gelegt, schien sie förmlich zerquetschen zu wollen. Sie versuchte sich so wenig wie möglich zu bewegen, als sie ihr Gesicht zu der neben ihr liegenden Gestalt wandte, Bartstoppeln kratzten ihr bei der Bewegung über die Stirn. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen als sie Kyles Gesicht erkannte. Er öffnete seine Augen und presste seine spröden Lippen für einen Moment aufeinander.
    „Ich hatte einen furchtbaren Traum“, gestand sie und drückte sich kaum merklich enger an den Männerkörper, der ihr soviel Geborgenheit schenkte.
    „Was hast du geträumt?“, erwiderte er mit seiner kratzigen Stimme, die Augen auf die ihren gerichtet.
    „Hast du gewusst, dass die Augen der Eingang zur Seele sind?“, erwiderte sie statt ihm auf seine eigentliche Frage zu antworten.
    „Und was siehst du in den meinen?“
    „Immernoch viel Schmerz, aber auch Besorgtheit. Sie scheinen plötzlich zu glänzen.“
    „Nun erzähle mir von deinem Traum“, wechselte er rasch das Thema. Sie hatte sich bereits daran gewöhnt, dass er stets auswich, abgesehen von jenem Abend an dem er gedacht hatte sie sei gestorben.
    „Ich habe in den letzten Wochen soviel geträumt. Doch heute ist das erste Mal, wo ich mir sicher bin, dass der Traum etwas mit mir zu tun hat und wo ich mich an einzelne Momente erinnern kann.“
    Mit einem Mal überkam sie das Verlangen ihn anzufassen. Sie fuhr mit ihrer Hand durch seine kurzen Haare und spürte wie er unter ihrer Berührung versteifte.
    „Bitte“, flüsterte er, „es zerreißt mich fast, wenn ich nur neben dir liege. Mach es bitte nicht noch schlimmer!“
    „Kyle“, hauchte sie erstickt und zog ihre Hand zurück, „verzeih, wenn ich dich verletzt habe.“
    „Du verletzt mich nicht. Ich weiß nur, dass ich den Gedanken nicht ertragen würde auch dich zu verlieren.“
    „Aber wieso solltest du mich verlieren?“, sie unterdrückte das Bedürfnis ihm über die Wange zu streichen und zu versichern, dass sie nicht vorhatte von seiner Seite zu weichen.
    „Du bist bald genesen, dich wird hier nichts mehr halten und du wirst diesen Ort verlassen“, murmelte er.
    Sie hatte es nicht vergessen und doch schien sie es in diesem Moment verdrängt zu haben. Sicher würde sie diesen Ort verlassen und doch hatte sie nicht bedacht, dass Kyle hier zurück bleiben würde.
    Sie konnte sehen wie sein Kiefer arbeitete, er hatte seine Augen von ihr abgewandt.
    „Und wenn ich dich bitte mich zu begleiten?“, erwiderte sie.
    Er bewegte sich, der Bettkasten knarrte unter seinem Gewicht.
    „Ich habe auch schon darüber nachgedacht. Womöglich wärst du mit meiner Hilfe schneller unterwegs, vielleicht findest du so rasch heraus wer du bist und vor allem was mit deinem Kind geschehen ist.“
    Das Kind durchfuhr es sie, sie musste es finden! „Es tut mir so leid“, erklang eine Stimme aus der Ferne und sie zuckte zusammen.
    „Der Mann mit den grauen Augen“, begann sie. Kyle weitete seine Augen. Eine Sihouette betrat den Türrahmen, sie konnte Xardas bereits an seinem Umriss erkennen.
    „Es war kein Traum, nicht wahr?“, fuhr sie fort und war sich beinahe sicher, dass Xardas die Antwort längst wusste. „Dieser Mann hat mir mein Kind genommen!“ „Ihr müsst Euch nicht fürchten“, ertönte die Stimme und sie ballte wütend ihre Hände zu Fäusten.
    „Dieser Assassine hat mir mein Kind geraubt!“, presste sie zwischen ihren Zähnen hervor.
    Sie nahm Kyles Arm von ihrem Körper, setzte sich auf und blickte Xardas unverwandt an. Das Gesicht des Alten verzog keine Miene und doch musste er in diesem Moment auch nichts sagen. Sie schwang ihre Beine aus dem Bett und erhob sich, ihr Körper hatte seit dem tragischen Tag nicht mehr so grade gestanden. „Und nun sagt mir was sich in Eurem Keller befindet“, zischte sie, während die grellen Augen sie in ihrem Unterbwusstsein anstarrten.

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    Dicke Wolken hingen tief über dem Wald. Ein eisiger Wind wehte durch die engen Baumreihen. Frost hatte sich auf den Ästen abgesetzt. Kellan zog sich seinen Umhang fester um die Schultern. Er war niemand der schnell fror und doch wollte er den Wind nicht zwischen seinen Kleidungsstücken spüren. Rob hatte es sich neben ihm gemütlich gemacht und rupfte einen kleinen Vogel, den er am Tag gefangen hatte. Die ausgerissenen Federn wirbelten im Wind empor und verschwanden in der Dunkelheit.
    „Könnt ihr damit nicht warten?“, murmelte Kellan, während er seine Augenbraue nach oben zog.
    „Wieso sollte ich? Meinen Magen verlangt es nach einem anständigen Geflügel“, erwiderte Rob und zupfte weiter an dem kleinen Tier.
    Kellan bezweifelte dass dieses Tier überhaupt irgendwen sättigen könnte, war es doch viel kleiner als seine Hand. Doch im Falle Robs würde es wohl keine Rolle spielen, ob der Vogel nun den Magen füllen würde oder nicht.
    „Es ist gut möglich, dass die Federn ihren Weg in das Lager finden“, versuchte Kellan an Robs Verstand zu appellieren und deutete auf die kleine Lichtung die direkt vor ihnen lag.
    „Nun“, begann Rob und erhob dabei seinen Blick, „ich mag zu Lebzeiten vielleicht kein gescheiter Mann gewesen sein, aber Ihr seid es durchaus. Daher wundere ich mich darüber dass wir diese Unterhaltung führen. Schließlich weiß selbst ich, dass es die Wölfe auch nicht juckt ob nun der Mond hell am Himmel scheint oder ein Sturm weht. Die nehmen ihr Mahl dennoch zu sich, da fliegen dann auch mal ein paar Federn.“
    Kellan sah das Skelett sprachlos an, das sich wieder seinem Vogel zuwandte ohne auf eine Erwiderung seinerseits zu warten. Kopfschüttelnd nahm er seinen Bogen in die Hand und fuhr mit den Fingern über die lange Sehne.
    In den Augenwinkeln konnte er auf der Lichtung eine Bewegung erkennen. Ein korpulenterer Mann hatte sich von seinem Lager erhoben und wanderte zu den Bäumen. Kellan hatte drei Frauen und vier Männer gezählt, wovon drei Söldner waren, das hatte er sofort an ihrer Kleidung erkannt.
    Der stabiler gebaute Mann musste ein großer Händler sein. Als die kleine Gruppe auf der Lichtung angekommen war, hatten sie zahlreiche Packpferde dabei, die schwer beladen mit feinsten Stoffen und großen, massiven Truhen waren.
    Kellan warf einen Blick auf die am anderen Ende der Lichtung stehenden Pferde. Er hatte sich bereits zwei Tiere ausgesucht, die ihm stark genug erschienen eine längere Reise ohne große Probleme durchzuhalten. Der Händler hatte sich wieder auf sein Lager gelegt und sich zitternd die Decken über den Körper gezogen.
    Kellan schwang sich seinen Köhler auf den Rücken und griff nach einem längeren Dolch. Er würde auch sein Schwert an seinem Gürtel lassen, doch wenn er in eine Situation kommen würde, in der er sich wehren müsste, wäre der Dolch wesentlich effektiver, da er schneller und einfacher zu handhaben war. Er wickelte sich ein Tuch um den Mund, um dem Wind so wenig Angriffsfläche wie nur möglich zu bieten und setzte seine Kapuze auf.
    „Soll ich Euch die langen Federn aufheben?“, erbot Rob sich und zeigte auf die vergleichsweise kleinen Schwanzfedern des Vogels.
    Kellan gab nur einen kurzen dumpfen Laut von sich und verschwand in der Dunkelheit. Obwohl er bereits einige Zeit mit Rob zusammen war, wurde er immer noch nicht ganz schlau aus dem Skelett.
    Langsam bewegte Kellan sich an Büschen und Bäumen vorbei, auf der linken Seite konnte er das kleine Feuer des Lagers sehen, das durch den Wind wild um sich schlug. Er empfand es äußerst riskant das Feuer bei solch einem Wind entfacht zu lassen, wenn niemand mehr wirklich darauf achtete.
    Ein Geräusch ließ ihn aufhorchen. Er ließ seinen Blick durch die Dunkelheit des Waldes schweifen. Seine Augen hatten es nicht verlernt auch bei schlechtesten Bedingungen zu sehen und so erkannte er einen sich bewegenden Umriss gut dreißig Schritte entfernt von ihm. Kellan presste sich rücklings an den nächsten Baum, der Köhler drückte sich dabei in seine Rückenmuskulatur.
    „Schlafen sie endlich?“, hörte er eine dunkle Stimme sagen.
    Ein weiterer Umriss erschien und gesellte sich direkt zu dem ersten. „Ja, der Alte hat aber auch lange gebraucht um endlich einzunicken!“
    „Wissen die anderen beiden auch Bescheid?“
    „Aber natürlich! Sie sind im Lager geblieben um den Händler direkt im Schlaf abzustechen. Den dicken Beutel voll Gold trägt er ja immer an seiner Hüfte.“
    „Ich dachte, er hätte in den Truhen auch welches!“, erwiderte die erste Gestalt.
    „Ja, nur hat keiner von uns Lust irgendeinen Taler dort zu lassen.“
    „Das kann ich verstehen“, antwortete die erste Gestalt grimmig, „Wenn wir mit ihm fertig sind, braucht er sein Gold ja auch nicht mehr. Was ist mit seiner Tochter und ihrer Begleiterinnen?“
    „Für die drei haben wir uns auch schon etwas überlegt“, lachte der zweite, mit einem Unterton, der Kellan die Fäuste zusammen ballen ließ.
    Die Söldner wollten sich also ihrem Auftraggeber entledigen. Kellan musste schnell handeln. Wenn die anderen beiden noch im Lager waren, würden sie den Plan sicher in Kürze in die Tat umsetzen. Die beiden Gestalten verschwanden hinter dem nächsten Baum in Richtung Lichtung.
    Es war keine Zeit mehr um Rob in Kenntnis zu setzen. Kellan schlich zum Rande der Lichtung, zückte seinen Bogen und spannte einen Pfeil. Er konnte die Männer gut erkennen. Einer kniete neben dem Händler, den Dolch in der Hand. Der Körper des schweren Mannes zuckte. Kellan presste seine Zähne aufeinander, zielte auf den Kopf des Knienden und schoss. Der Pfeil bohrte sich in dessen rechtes Auge. Schreiend sprang der Mann auf, griff an den Pfeil und rannte durch das Lager. Kellan spannte direkt den nächsten Pfeil und schoss erneut. Dieses Mal traf er den Hals des Mannes. Es war ein glatter Durchschuss. Die Pfeilspitze blitzte auf der anderen Seite des Halses wieder heraus. Blut sickerte aus der klaffenden Wunde und der Mann ging gurgelnd zu Boden. Die anderen Männer rannten aufgewühlt durch das Lager, die drei Frauen waren kreischend aufgesprungen. Die jüngere von ihnen rannte zum Rande der Lichtung, wo sie mit einem Mal erstarrte. Kellan hatte keine Zeit darauf zu achten. Im nächsten Moment rannte einer der Söldner schreiend in seine Richtung, das Schwert zum Schlag gehoben. Kellan griff nach seinem Dolch und warf ihn geschickt in die Brust des Mannes. Dieser erstarrte, blickte auf sich herab rannte weiter, nur um im nächsten Augenblick zu Boden zu gehen. Kellan riss dem am Boden liegenden den Dolch aus der Brust als ein spitzer Schrei durch die Nacht hallte. Kellan warf einen Blick zum Lager, ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken.
    Die zwei anderen Frauen hielten einen Söldner fest umklammert. Die größere der Beiden hatte ihre Fingernägel in seinen Hals gegraben. Er schwebte einige Zentimeter über dem Boden, stammelte und wimmerte, während die zweite seinen Kopf in beide Hände nahm und ihn im nächsten Moment unter lautem Knacken drehte, sodass sein Gesicht auf der Rückseite erschien. Ein Keuchen ließ Kellan zur Seite schauen. Ein vierter Mann hatte sich zitternd hinter einem Gebüsch versteckt und sah ihn flehentlich an.
    „Bitte lasst mich am Leben“, sagte er mit zittriger Stimme.
    Kellan schluckte, er wusste genau was gerade geschehen war.
    „Wie sehr habe ich Euch vermisst“, säuselte eine liebliche Stimme durch den Wind. Der Mann neben ihm erstarrte, jede Farbe war aus seinem Gesicht verschwunden und er verkroch sich noch tiefer im Gebüsch.
    „Das kann ich nur zurückgeben“, erwiderte Kellan, drehte seinen Kopf Richtung Lager und starrte direkt in ihre giftgelben Augen, „Ihr seid gewachsen Braha!“
    „Das Ihr Euch noch daran erinnert wie klein ich damals war. Und das nach all den Jahren!“, erwiderte sie zischend.
    „Ich kann mir gut vorstellen dass Ihr nicht so gut auf mich zu sprechen seid“, begann Kellan.
    „Schweigt! Ich will es nicht hören! Ich habe jahrelang wegen Euch gelitten!“, erwiderte Braha hysterisch und fuhr sich mit den langen Fingernägeln durch die noch längeren Haare.
    „Dem kann ich nur beipflichten“, mischte sich eine weitere Stimme ein und Calisca erschien neben ihrer Schwester.
    „Wieso habe ich das nur nicht kommen sehen“, murmelte Kellan mehr zu sich selbst.
    „Weil wir uns getarnt haben, du Dummerchen!“, erwiderte Calisca und ließ ihre spitzen Zähne aufblitzen.
    „Ich wusste dass Ihr es seid, ich habe Euren Duft seid unserer Ankunft in der Nase gehabt und Ihr duftet immer noch genauso gut wie einst!“, seufzte Braha und griff mit ihrer Hand unter seine Kapuze, um sein Gesicht zu berühren. Kellan rührte sich nicht, er wusste nur zu gut wie giftig die Fingernägel der Schwestern waren. Braha griff an sein Tuch, zog es hinunter und fuhr mit ihrem Zeigefinger über seine Oberlippe.
    „Genau so schön wie seit jeher“, murmelte sie, ihre Augen wurden glasig während sie über seine Bartstoppeln fuhr.
    „Hier ist noch jemand!“ Fauchend rümpfte Calisca ihre lange Nase und wandte sich dabei von Kellan ab.
    Kellan konnte die Bewegung im Gebüsch aus den Augenwinkeln erkennen und doch war es nicht der junge Mann, der Caliscas Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Krachend erschien eine Gestalt auf der Lichtung, den Umhang hatte sie tief in ihr Gesicht gezogen, das Schwert schimmerte in ihrer rechten Hand.
    „Wie kann das sein? Wir haben doch niemanden übersehen!“, knurrte Calisca und begab sich in Richtung des Neuankömmlings. Braha ließ von Kellan ab und verzog dabei ihr Gesicht zu einer Grimasse, während sie sich ebenfalls dem ungebetenen Gast zuwandte.
    „Gleich zwei holde Damen, die sich für mich interessieren!“, dröhnte Robs Stimme zu Kellan herüber. „Ich bin auf so einen Ansturm gar nicht vorbereitet“, sprach er und zog im nächsten Moment ein weiteres Schwert aus seinem Umhang hervor. „Gleich viel besser“, sprach er mit einem leichten Anflug von Humor und hielt den Hexen die Schwerter entgegen.
    „Ein Skelett!“, zischte Calisca überrascht und blieb für eine Sekunde unschlüssig stehen.
    Zähneknirschend versuchte Kellan die Situation neu einzuschätzen. Mit Rob hatte er vielleicht eine Chance gegen die Hexen anzukommen.
    „Verdammt, meine Hand!“, brüllte das Skelett im nächsten Momen und wedelte mit dem rechten Armknochen herum. Lachend hielt Calisca die Hand des Skeletts fest, das Schwert immernoch zwischen den Fingerknochen gefangen.
    Kellan spannte seine Muskeln an, griff an seinen Köcher, zog einen Pfeil heraus und spannte ihn im Bogen. Im nächsten Moment drehte Braha sich bereits um, die Haare standen ihr zu allen Seiten ab, der halboffene Mund gewährte ihm einen Blick auf ihre geschliffenen Zähne. Kellan presste die Lippen aufeinander und ließ den Pfeil, den er zwischen Zeige-und Mittelfinger gespannt hatte, los. Entsetzt schrie Braha auf, der schrille Ton drang tief in Kellans Kopf, doch er widerstand dem Drang sich die Ohren zuzuhalten, zückte den nächsten Pfeil und schoss auch diesen auf die Hexe. Wild mit den Armen fuchtelnd bewegte Braha sich auf ihn zu, die Pfeile prangten aus ihrer linken Brust, tief waren sie zwischen Brahas Rippen gedrungen und doch war die Hexe so schnell wie eh und je. Kaum kam sie vor Kellan zum Stehen, griff sie seinen Kopf mit beiden Händen und drückte zu.
    „Dafür wirst du sterben!“, Brahas bedrohliche Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
    Kellan war nicht in der Lage zu sprechen, er brauchte sämtliche Kraft um seine Sinne bei sich zu behalten und den Dolch in seiner Hand führen zu können. Als der Druck auf seinen Kopf unerträglich wurde, schrie er qualvoll auf, nahm seine ganze Kraft zusammen, und rammte Braha den Dolch in die Brust, presste ihn fest in ihr Fleisch, bis er ihr wild pochendes Herz erreichte und dieses zum Schweigen brachte.
    Der Zorn wich aus Brahas Augen, ihre Hände erschlafften und sie ging mit einem dumpfen Aufprall zu Boden.
    Kellan stand über dem leblosen Körper, seine Hände zitterten, der Kopf fühlte sich an als würde er im nächsten Moment zerbersten. Er schloss seine Augen, atmete tief ein und zwang seinen Körper zur Ruhe. Als er ausatmete, wischte er sich den Schweiß von der Stirn, öffnete seine Augen und richtete seinen Blick auf Rob oder viel mehr zu der Stelle, wo er Rob vermutet hatte. Am Boden konnte er eine Gestalt in einem Umhang erkennen, doch Kellan konnte nicht ausmachen um wen es sich handelte. Er entfernte den Dolch aus Brahas Brust und ging langsam auf die Silhouette zu. Mit dem Stiefel stieß er gegen die Rückseite der Gestalt. Er war sich ziemlich sicher, dass Rob sofort einen Einwand erhoben hätte, wenn er am Boden liegen würde. Doch die Gestalt rührte sich nicht.
    Kellan beugte sich über sie und drehte den Kopf so, dass er das Gesicht erblicken konnte. Calisca starrte ihn aus toten Augen an, der Mund weit aufgerissen.
    Erstaunt betrachtete Kellan die Hexe eine Weile, er hatte nicht damit gerechnet dass Rob so einfach mit ihr fertig werden würde. „Meinen größten Respekt“, murmelte Kellan.
    „Danke!“, erklang es dumpf an seine Ohren.
    „Rob?“, verwundert blickte Kellan auf, suchte auf der Lichtung nach seinem Weggefährten.
    „Hier unten!“, war die prompte Antwort.
    Überrascht starrte Kellan wieder auf die Hexe.
    „Ich ersticke gleich!“, beschwerte Rob sich ungeduldig, „Nehmt endlich dieses Weib von mir runter!“
    Erstaunt tat Kellan wie ihm geheißen und erblickte im nächsten Moment Robs Schädel.
    „Na endlich! Ich dachte schon, ich müsste hier sterben!“
    „Ihr seid bereits tot“, erwiderte Kellan und kniete sich neben Rob. „Soll ich Euch aufhelfen?“
    „Zuerst einmal, müsstet Ihr den Rest von mir finden!“, antwortete Rob.
    Verdutzt sah Kellan genauer zum Boden und hob den dort liegenden Umhang auf. Tatsächlich befand sich darunter lediglich der Oberkörper und der rechte Oberarm.
    „Wie ist das denn passiert?“, erkundigte Kellan sich, während er den Waldboden nach Knochen absuchte.
    „Sie war der Wahnsinn! Ein Weib von einer Hexe, so voller Leidenschaft und ungezügeltem Zorn, fast wie meine einstige Frau Irmhild“, Robs Stimme überschlug sich beinahe während er erzählte.
    „Ihr hattet eine Frau?“, damit hätte Kellan niemals gerechnet.
    „Ohja, Irmhild und ich lernten uns in einer dreckigen Spelunke kennen. Ich war nicht mehr Herr meiner Selbst, bestellte einen Krug nach dem Anderen. Das ließ Irmhild wohl denken ich sei recht wohlhabend und hätte festen Lohn.“ Kellan hatte bereits den anderen Arm und die Beine gefunden und legte sie vorsichtig an Robs Körper, während das Skelett munter weiter erzählte. „In jedem Fall, war es an dem Abend so, dass sich auch ein Priester unter die Trinkbolde gesellt hatte. Und so zögerte Irmhild nicht lange und nahm mich zum Mann. Wir haben gefeiert, getrunken und getanzt. Die Spielleute waren mehr schlecht als recht und die Hochzeitsnacht war auch nicht besonders schön. Jedenfalls hatten Irmhild und ich bereits am Morgen unseren ersten Streit, als ich von ihr verlangte aus dem ersten Stock in den darunter liegenden Misthaufen zu springen, damit wir die Zeche prellen konnten.“
    Lachend griff Kellan sich in die Seite, während er Robs zweite Hand hochhob.
    „Und wie ist Eure Geschichte ausgegangen?“, fragte er interessiert.
    „Nun, eines schönen Morgens, wir waren gerade zwei Wochen verheiratet, ich hatte in der Nacht etwas Wild bei den Nachbarn gestohlen, sie hatten einen kleinen Schuppen, in denen sie die leckersten Rehkeulen zum Trocknen aufhingen, um so unseren besonderen Tag zu feiern, da erstickte Irmhild mich, während sie mir noch einmal ihre ganz besonderen Vorzüge zeigte.“
    Kellan hatte auch die letzten Körperteile gefunden und legte sie an Robs Oberkörper.
    „Das tut mir leid“, murmelte er.
    „Das muss es nicht“, erwiderte Rob fröhlich, „Irmhild war vielleicht keine Augenweide, aber sie wusste ganz sicher was sie mit ihrer Zunge und ihren Schenkeln alles bewirken konnte. Eine schöne Art zu sterben!“
    „Ich dachte sie hat Euch erstickt“, Kellans konnte seine Erstauntheit nicht verbergen.
    „Das hat sie ja auch“, lachte Rob, „Aber nicht mit einem Kissen.“
    Kellan spürte eine leichte Gefühlsregung in seinem Inneren.
    „Wie bekommen wir Euch nun wieder zusammen?“, wechselte Kellan rasch das Thema.
    „Legt den Umhang über mich und macht es Euch bequem, das wird wohl eine weile dauern. Bisher ist es aber immer alles wieder so zusammen gewachsen. Ihr solltet durch Eure Vergangenheit ja aber wissen dass so etwas möglich ist.“
    Kellan schwie eine Weile. Er hatte sich auf den Boden gesetzt und seine Arme ineinander verschränkt, als er hinter sich ein Geräusch, während ein süßlicher Duft in seine Nase stieg.
    „Kommt heraus“, sagte er so freundlich wie möglich.
    Nach einer Weile erschien eine junge Frau neben ihm, ihr ganzer Leib zitterte trotz Umhang.
    Kellan streckte den Arm aus und zog die Frau zu sich herunter. „Drückt Euch fest an mich, dann wird Euch wärmer werden.“
    „W-w-w-as?“, stotterte sie, ihre Augen vor Angst geweitet.
    „Keine Angst Mädchen, ich tue Euch nichts, ich will nur nicht, dass Ihr mir heute Nacht sterbt.“
    Nur widerstrebend drückte sie sich an Kellans Umhang, der ihr fürsorglich den Arm um die Schultern legte.
    „Was ist eigentlich mit dem anderen Mann geschehen?“, erkundigte Rob sich interessiert.
    „Ich vermute, den werden wir lebend nicht mehr wiedersehen“, antwortete Kellan, als ein Rudel Wölfe in nicht allzu weiter Ferne aufheulte.
    Geändert von Ajnif (05.07.2016 um 15:17 Uhr)

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    Sie konnte sich nicht daran erinnern ob sie sich jemals so stark gefühlt hatte. Ihre roten Haare hatte sie mit einem Stück Leinen zusammen gebunden. Unter dem dunklen Hemd, trug sie weitere Schichten aus guter Schurwolle. Sie trug zwei Hosen, eine die sie vor der Kälte und die Andere die sie vor der Nässe und dem Wind schützen sollte. Die dicken Stiefel passten ihr genau, als wären sie für sie gemacht worden. Sie betrachtete sich eine Weile im Spiegel, presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen, zwirbelte eine Locke um ihren Zeigefinger, fuhr mit ihren Fingern über den beinahe makellosen Nasenrücken, ließ ihre Zähne kurz aufblitzen. Sie fuhr mit ihren Händen an ihrem Hals entlang und atmete tief ein. Ein warmer Luftzug streifte ihr Ohr, im Spiegel konnte sie hinter sich eine Gestalt wahrnehmen, ganz in schwarz gehüllt, das Gesicht durch den Kapuzenumhang verborgen. Eine Hand legte sich kräftig um den Hals ihres Spiegelbildes, zog es zurück. Sie konnte dabei zusehen wie es sich zu der Gestalt umdrehte, ein Lächeln auf den Lippen, wie ihr Spiegelbild mit einem Mal ein langes, dünnes Kleid trug, das den Körper eher umschmeichelte als verbarg. Der Unbekannte beugte sich zu ihrem Abbild herunter, während es ihm seinen Kopf entgegenstreckte. Als es die Kapuze nach hinten schob, starrten graue Augen sie an.
    Sie zuckte zurück, einen Moment nur und griff mit den Fingern an den Spiegel, blinzelte kurz, nur um sicher zu gehen dass sie nicht am träumen war. Als ihre Augen sich nach dem Bruchteil der Sekunde öffnete, starrte sie ihr entsetzter Gesichtsausdruck an, doch stand der Verhüllte immer noch hinter ihr. Sie wirbelte herum, etwas zu schnell, sodass sie sich an dem Tisch festhalten musste, auf dem sich der Spiegel befand. Sie starrte geradewegs in Kyles Gesicht, dessen Augen fest auf sie gerichtet waren.
    „Wie fühlst du dich?“, fragte er mit belegter Stimme.
    „Ausgesprochen gut“, erwiderte sie und vermied ihm von ihrem erneuten Aussetzer zu erzählen. War es nicht schlimm genug, dass sie des Nachts immer wieder von dem Mann träumen musste, der ihr das Kind genommen hatte? Es tut mir so leid, hörte sie ihn erneut in ihrem Kopf sagen. Sie presste ihre Hände zusammen und schüttelte sich kurz.
    „Wollen wir nun los?“, sagte sie stattdessen und begab sich zur Zimmertür. Nur widerstrebend folgte Kyle ihr, dass wusste sie. Und doch wollte sie endlich Klarheit haben. Sie vermied es sich am Treppengeländer festzuhalten, wollte sie doch beweisen, dass sie bereit war um sich endlich auf den Weg zu machen. Am Treppenabsatz konnte sie Xardas stehen sehen, der sie unverhohlen aus seinen Augen ansah. Er musste nichts sagen, alleine seine Anwesenheit ließ ihr einen erneuten Schauer über den Rücken laufen, sie war sich sicher, dass er ihre Unsicherheit spürte, obwohl sie versuchte sie so gut es ging zu verbergen. Als sie unten ankam, wandte sie sich direkt zur Kellertür, die noch fest verschlossen vor ihr lag.
    „Wollen wir uns nicht direkt auf den Weg machen?“, erkundigte Kyle sich.
    Sie wusste nur zu gut, dass es ein erneuter Versuch sein sollte sie daran zu hindern in den Keller zu gehen und doch brauchte sie diese Klarheit, musste erfahren was sich unter dem Haus verbarg.
    „Öffne die Tür!“, erwiderte sie stattdessen und war über die Selbstsicherheit in ihrer Stimme erstaunt.
    Kyle wechselte einen kurzen Blick mit Xardas, bevor er den Riegel von der Tür entfernte und sie öffnete. Die Treppe war durch Fackeln erleuchtet, sie hatten sich also gedacht, dass sie sich dieses Mal nicht so leicht abspeisen lassen würde.
    Langsam stieg sie die steinerne Treppe hinab. Trotz der dicken Stiefel konnte sie die Unebenheiten der einzelnen Steine spüren. Ein beißender Geruch stieg ihr in die Nase und ließ sie nach Luft schnappen. So roch doch kein Wild, das dort zum Trocknen aufgehangen war, dem war sie sich sicher wenn sie sich den Geruch des Trockenfleisches in Erinnerung rief, welches sie kurz zuvor als Proviant in ihre Tasche gesteckt hatte. Das rhythmische Geräusch von tropfen, die in eine Pfütze fielen erklang in ihren Ohren. Doch sie hörte noch etwas Anderes, tiefes Ein-und Ausatmen. Zögernd setzte sie ihren Fuß auf den Boden des Kellergewölbes. Sie spürte dass jemand sich direkt hinter ihr befand und vermutete dass es Kyle war, der ihr in den Keller gefolgt war. Sie griff nach einer Fackel, die in einer Wandhalterung befestigt war und hielt sie fest in ihrer Hand, ging vorsichtig weiter in das Gewölbe hinein. Sie ging an schweren Türen und voll beladenen Regalen vorbei, nahm sich nicht die Zeit um die Inhalte der einzelnen Fächer zu begutachten. Ein dumpfer Schlag auf den Boden ließ sie aufhorchen.
    „W-w-wer ist da?“, stotterte sie in die Dunkelheit hinein und bereute beinahe nach unten gegangen zu sein. Tief im Inneren wusste sie, dass sie es nicht nur beinahe bereute! Es gab Dinge, die besser im Verborgenen bleiben sollten. Sie ging tiefer in die Gewölbe hinein, nur um im nächsten Moment zu erstarren. In der Dunkelheit konnte sie eine Bewegung wahrnehmen. Der Schatten reichte bis zum Deckengewölbe. Steif stand sie da, konnte weder vor noch zurück, als sie aus großen, feurigen Augen angestarrt wurde. Sie wagte es kaum zu atmen, als der Schatten sich auf sie zubewegte. Ein eisiger Schauer durchfuhr sie, als sie sah, dass der Schatten nicht bis auf den Boden zu reichen schien. Ein fauliger Geruch stieg ihr in die Nase, als er kurz vor ihr zum Stehen kam. Sie hörte rasselnden, schweren Atem. Eine Klaue, mit vier verkrüppelten Krallen erschien aus der Dunkelheit und verharrte kurz vor ihrem Gesicht. Ein zweites Augenpaar erschien knapp neben dem ersten und heftete sich auf ihr Gesicht. Sie wagte es nicht ihre Augen zu schließen und auch nicht ihren Blick abzuwenden. Ein Lichtkegel bewegte sich von hinten an sie heran und brachte den Schatten allmählich ins Licht. Panik stieg in ihr auf und dennoch versagten ihre Beine ihr den Dienst, vielmehr knickten sie im nächsten Moment weg und ließen sie ohne jede Vorwarnung zu Boden fallen. Starr lag sie auf dem kalten Boden, die Augen weiterhin auf den Schatten gerichtet. Ein Murmeln drang an ihre Ohren, es war kaum lauter als ein Flüstern. Schwer atmend bewegte das Wesen sich vollends in den Schein der Fackeln und verharrte direkt über ihrem wie versteinerten Körper. Ein Kopf schaute auf sie hinunter, der in die Länge gezogene Kiefer war von einer langen Reihe Zähne übersät. Sie sahen nicht mehr gut aus, waren vergilbt, Fleischreste hingen zwischen den einzelnen Zähnen. Die Nüstern des Wesens blähten sich auf, sie mussten beinahe so groß wie ihre Hände sein. Der schuppige, dunkle Körper glänzte im Schein der Fackel, ein langer Schwanz zierte die Stelle, wo eigentlich die Beine sein sollten. Ein weiterer, längerer Schwanz, lag auf dem Boden und bewegte sich rhythmisch hin und her. Ein zweiter Kopf erschien direkt neben dem ersten, nicht weniger schaurig. Sie zählte vier Arme, deren Hände lediglich aus Knorpeln zu bestehen schienen. Narben und halb verweste Wunden zierten den Körper des Wesens. Aus einer dieser Körperöffnungen krochen Maden hinaus, einige davon gingen zu Boden, zogen sich windend zusammen.
    Sie spürte wie es heraufkroch, ihr Magen verkrampfte sich und der Brechreiz wurde stärker. Würgend drehte sie sich mit dem Kopf zur Seite und erbrach sich. Ihr Körper zitterte vor Anstrengung. Sie sollte rennen, sollte fliehen, doch ihre Beine gehorchten ihr nicht. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter und zog sie ruckartig nach hinten.
    „Ich hatte dir gesagt, dass sie das nicht verkraften wird!“, hörte sie Kyle vorwurfsvoll sagen.
    „Sie wird noch viel mehr ertragen müssen, wenn sie sich auf die Suche nach ihrem Sohn machen wird“, erwiderte Xardas teilnahmslos, ging an ihnen vorbei und stellte sich neben das Wesen.
    „Meister, wassss issst hierrr lossss“, zischte das Wesen leise. Die Stimme hatte trotz des Flüsterns etwas Bedrohliches an sich und ging ihr über in Mark und Bein. Der längliche Schwanz des Wesens glitt über den Boden, das schleimige Geräusch was dabei zu hören war, ließ sie erschauern, während zwei schuppige Arme sich auf dem Boden abstützten und das Ungetüm sich weiter über sie schob.
    „Das ist Iridias, ein Dämon!“, sagte Xardas, ohne auf die Frage des weitaus größeren Dämonen einzugehen. „Nun habt Ihr ihn gesehen und ich denke, es ist an der Zeit, dass Ihr Euch auf den Weg macht.“
    Sie brauchte keine weitere Aufforderung. Obwohl ihr gesamter Körper zitterte und ihr immer wieder ein Schauer über den Rücken glitt, wollte sie nur noch eines, schnellstmöglich den Keller verlassen. Sie wusste nicht, wie sie die Treppe heraufgekommen war oder wie sie unter dem schuppigen Körper des Dämons entkommen war, wusste auch nicht wie sie nach draußen gelangt war und sie blieb auch erst stehen, nachdem sie einige Wegstrecke zwischen sich und das Haus gebracht hatte. Als sie sich keuchend umdrehte, konnte sie außer ihren eigenen Fußspuren keine weiteren mehr entdecken. Sie lauschte dem Wind, doch außer ihrem eigenen Atem, trug er ebenfalls keine Geräusche mit sich. Sie war alleine. Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag, hatte sie doch damit gerechnet dass Kyle sie begleiten würde. Sie haderte einen Moment mit sich, überlegte ob sie zurückgehen sollte. Doch widerstrebte es dem Großteil ihres Körpers umzukehren. Sie presste ihre Hände zu Fäusten zusammen und stapfte durch den tiefen Schnee, wandte ihren Blick gen Himmel um zu erahnen in welche Richtung sie gehen musste. Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben und hingen so tief, dass sie meinte sie mit den Fingern berühren zu können, würde sie sich auf Zehenspitzen stellen und die Hand ausstrecken. Beklommen versuchte sie weiter geradeaus zu gehen, in der Hoffnung den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. Sie wollte ihre Arme um ihre Brust verschränken, doch musste sie mit ihnen ihr Gleichgewicht ausbalancieren. Nachdenklich kaute sie auf ihrer Unterlippe, während sie darüber nachdachte warum Kyle ihr nicht einfach gefolgt war. Sie wusste, dass diese Gedanken nur dazu dienen sollten, den Anblick des Dämonen zu vergessen. Es fiel ihr nicht leicht die Bilder aus ihrem Kopf zu verdrängen. Ein kalter Luftzug ließ sie einen Moment innehalten, doch außer dem tiefen Schnee und den Bäumen, konnte sie nichts erkennen.
    Eine Schneewehe trat vor ihr auf, schien einige Sekunden auf der Stelle zu tanzen, bis sie verschwand und den Blick auf Xardas freigab.
    Sie hielt in der Bewegung inne und starrte in die weißen Augen des Mannes.
    „Was wollt Ihr von mir?“, fragte sie mit ernstem Ton,, versuchte ihre Unsicherheit zu verbergen.
    Schweigend näherte Xardas sich ihr, sein Blick unverwandt auf das ihre gerichtet. Als er seine Hand ausstreckte, wollte sie zurückfahren, doch etwas schien sie zu aufzuhalten. Der alte Mann legte seine Hand an ihre Wange und sie erstarrte.
    Die Erde schien unter ihr zu beben, als Säulen sich schlängelnd aus dem Boden hervorhoben. Gewölbe entstanden über ihrem Kopf, fielen hinter den Säulen als Wände zum Untergrund. Kalte hellgraue Steine, die fein säuberlich aneinandergereiht waren bildeten sich unter ihren Füßen, ihre Stiefel wichen, sodass sie barfuß auf einem hellen, mit feinsten Stickereien besetzten Teppich stand. Ihre Schultern wurden leichter, als ihre Kleidung einem dünnen Kleid wich, das sich auf den Boden ergoss und ihre Hüfte umschmeichelte. Ihre Haare kräuselten sich an den Schultern hinab, dufteten nach frischen Blumen. Sie atmete aus, ihre makellose Brust hob und senkte sich im Takt ihrer Atemzüge. Xardas stand unverwandt vor ihr, die Augen auf die ihren gerichtet.
    „Xardas“, tönte eine tiefe Stimme hinter ihnen, der Klang der Worte hallte durch die Gewölbe wider. „Welch eine Ehre es ist, Euch als meinen Gast begrüßen zu dürfen.“
    Xardas wandte sich von ihr ab, richtete sich auf die Person, die ihn angesprochen hatte und machte den Blick auf einen Mann frei, der sie mit einem Anflug von einem Lächeln bedachte. Die langen schwarzen Haare hatte er ordentlich zu einem Zopf gebunden. Der dunklere Hautton wurde von einem kurz gehaltenen Bart untermalt, die braunen Augen schienen voller Leben zu sein. Als er seinen Blick auf sie richtete, schien er einen Moment seinen Gast zu vergessen. Er kniete sich hin und deutete ihr mit seinem Finger zu ihm zu kommen. Ihr wurde warm ums Herz, als ihre Füße sich in Bewegung setzten und sie sich dem jungen Mann rasch näherte. Sie fiel in seine Arme und er lachte kurz auf. Mit Leichtigkeit hob er sie hoch und hielt sie auf seinem Arm.
    „Bist du deiner Amme wieder davon gelaufen?“, murmelte er in ihr Ohr, seine Bartstoppeln kitzelten dabei ihre Wange. Ein Glucksen kam aus ihrem Mund und sie nickte ihm mit breit grinsendem Gesicht zu.
    Sie nahm sein Gesicht zwischen ihre winzigen Hände und drückte ihm einen feuchten Kuss auf die Nase.
    „Mein Herr“, meldete sich ein älterer Mann räuspernd.
    Seufzend setzte er sie wieder auf dem Boden ab, fuhr liebevoll durch ihre roten Locken.
    „Ich verspreche dir, dass ich zu dir komme sobald ich für heute fertig bin“, sagte er mit einem Augenzwinkern.
    „Das stimmt doch gar nicht“, erwiderte sie trotzig und stemmte ihre Fäuste in die Hüften.
    Er lachte laut auf und fuhr sich über die Haare.
    „Heute schon“, versprach er ihr, drehte sie mit seinen Händen bestimmend um und schob sie zu einer älteren Frau, die sie mit verärgertem Gesichtsausdruck beäugte.
    Die Wände um sie herum begannen zu verblassen, wurden dunkler, während die Säulen gänzlich verschwanden und die hohen Decken sich immer mehr zum Boden neigten. Das leichte Kleid wurde schwerer, die Farben dunkler, ihre Haare lagen geflochten auf ihrer linken Schulter, legten sich schwer auf ihre Brust.
    Sie hatte eine Hand auf ihren gewölbten Bauch gelegt, spürte die aufkeimende Wärme in ihrem Körper als sie eine Bewegung unter ihren Fingerspitzen vernahm.
    „Es ist für Euch nicht mehr sicher“, hörte sie Xardas Stimme in ihren Ohren. „Traut niemanden, nicht einmal jenen, denen Ihr bisher immer Euer Vertrauen geschenkt habt.“
    „Ich verstehe das nicht“, erwiderte sie, während ihre schlanken Finger sich um die Armlehne eines großen Sessels legten, dessen Sitzkissen mit feinster Wolle und Samt überzogen war, und sie sich hinsetzte. Sie spürte wie die Wölbung sich auf ihre Blase drückte und rutschte ein Stück tiefer in den Sessel.
    „Man will Euch Euer Kind nehmen!“
    Bei seinen Worten horchte sie auf und setzte sich gerade hin. „Das kann nicht sein!“, erwiderte sie aufgebracht, während das Herz ihr bis zum Hals schlug. Ein Amulett, dessen mehrfach geflochtenes, ledernes Band auf ihrer Haut lag und in dessen Mitte ein grüner Stein gearbeitet war, fühlte sich mit einem mal viel schwerer an, als es ohnehin war.
    Der Magier trat aus dem Schatten des Raumes und sah sie eindringlich an. „Es bleiben Euch keine Zeit für Zweifel. Packt nur das Nötigste ein und flieht!“
    Die Gemäuer um sie herum begannen zu bröckeln, fielen in sich zusammen und gaben den Blick auf den Wald frei. Das schwere Kleid verschwand, Stiefel und Hosen kamen zum Vorschein. Eisiger Wind wehte ihr um die Nase.
    „Was ist gerade passiert?“, murmelte sie verwirrt, mehr zu sich selbst als zu dem Magier, der sich immer noch vor ihr befand.
    „Ich habe Euch kleine Momente aus Eurem Leben gezeigt“, antwortete Xardas und sah sie eindringlich an.
    „Ihr wisst wer ich bin?“, erwiderte sie.
    „Ihr solltet Euch auf den Weg begeben. Die Zeit steht nicht still“, erwiderte der alte Mann.
    „Nun sagt mir endlich was ihr wisst!“, forderte sie ihn auf, während grenzenlose Fassungslosigkeit sich in ihrem Körper ausbreitete. Xardas hatte stets gewusst wer sie war und hatte es die gesamte Zeit für sich behalten.
    Etwas Schweres legte sich auf ihre Schulter und sie wandte sich panisch um. Kyle stand vor ihr, hinter ihm standen zwei Pferde, die unruhig mit den Hufen scharrten. Ganz in ihre Gedanken versunken, hatte sie nicht mitbekommen, dass Kyle bereits zu ihr aufgeschlossen hatte.
    „Wir müssen gehen“, murmelte er, den Kopf halb hinter einem dicken Schal versteckt.
    „Hast du es auch gewusst?“, erwiderte sie stattdessen, während sie in ihrer Position verharrte.
    Sie konnte Kyles Augen fragend in Xardas Richtung wandern sehen, bis sie sich wieder den ihren zuwandten. Mit zwei Schritten war er bei ihr, packte sie um die Hüfte und hievte sie auf die kleine braune Stute, die ihre Last wiehernd in Empfang nahm.
    Sie wollte protestieren, wollte von dem Pferd herunterspringen, sich vor Xardas stellen und ihn schreiend zur Rede stellen. Sie hatte nicht vor diesen Ort zu verlassen, bis sie nicht wusste was los war. Seit sie aufgewacht war ließ man sie ihm Ungewissen. Es regte sie auf, machte sie wahnsinnig. Ihr Kopf schien unter der Last der Unwissenheit allmählich zu bersten.
    Doch Kyle gab ihr keine Möglichkeit ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Mit einem Ruck schwang er sich hinter sie, legte seinen Arm um ihren Oberkörper und trieb die Stute zur Eile an. Der größere schwarze Wallach folgte ihnen widerstandslos.
    „Lass mich sofort los!“, herrschte sie Kyle an und wand sich in seiner Umarmung.
    „Wir müssen uns beeilen. Ein Sturm zieht auf. Ziehen wir jetzt nicht los, ist es fraglich wann wir die Reise antreten können.“, erwiderte Kyle, während sein Blick sich gen Boden wandte, darauf bedacht, dass die Stute einem Weg folgte, dem man unter der Schneemasse nicht ausmachen konnte.
    Sie glaubte Kyle nicht, trotz der tief hängenden Wolken, hielt sie einen Sturm für recht unwahrscheinlich. Es war kaum ein Lüftchen am Himmel.
    Mit einem Blick über Kyles Rücken stellte sie ernüchternd fest, dass von Xardas jegliche Spur fehlte. Kyle schien dies ebenfalls zu wissen, und ließ die Pferde halten. Ein Ruck ging durch die Stute, als er sich vom Pferd schwang, zum Wallach eilte und in dessen Sattel glitt. Wortlos übernahm Kyle die Führung, löste die Leine, die den Wallach und die Stute verband nicht, während er den Schritt der Tiere beschleunigen ließ. Ihr kalter Atem ließ Nebelschwaden vor ihrem Gesicht erscheinen. Allmählich gewöhnte sie sich an die Gangart der Stute, ließ sich tief in den Sattel gleiten und ging ihren Gedanken nach. Wieso machte Xardas ein solches Geheimnis aus ihr? War es womöglich nur die Angst, dass zu viele Informationen ihren Kopf zu sehr belasten würden? Was konnte es sonst für Gründe geben, wieso er ihr nicht sagte wer sie war? All die Träume die sie seit ihrer Verletzung hatte, waren sie womöglich immer zu einem gewissen Teil wahr?
    „Es gibt noch einen Grund warum wir uns beeilen sollten“, holte Kyle sie in die Gegenwart zurück, „Wir werden verfolgt!“

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    „Es war eine Magd, die hatte dicke Beine.
    Ich liebte ihre Brüste, Scham kannte sie keine.
    Und wenn wir zusammen im Bette lagen,
    ihre langen Haare über die Kante ragen,
    so habe ich sie geliebt und voll Lust genommen,
    bis ihr Mann kam und die Gier war zerronnen.“

    Räuspernd hob Kellan seinen Kopf an und starrte auf Rob, der in seiner ganzen Pracht vor ihm stand und sich pfeifend den Dreck von den Knochen schrubbte.
    „Das war für mich eines der schlimmsten Erlebnisse“, fuhr Rob fort, während er sich angewidert einen Hautfetzen aus den Rippen zog, ihn kurz vor seine Augen hielt und kopfschüttelnd hinter sich warf. „Die Hexe hätte sich wirklich besser pflegen sollen. Wo war ich nun stehen geblieben? Ach ja, die Magd. Bei den Göttern, sie war so schlüpfrig, ein Genuss kann ich Euch sagen!“
    „Vermutlich möchte ich nicht die ganze Geschichte erfahren“, erwiderte Kellan, während er die Reste des kleinen Feuers löschte.
    „Ihr Mann hat versucht mich zu enthaupten“, ignorierte Rob Kellans Einwand, „ist aber gescheitert. Am Ende war es seine eigene Frau, welche die Axt im Hals stecken hatte. Schade um sie, aber besser sie als mein zarter Hals. Er hätte nicht versuchen sollen sich zu rächen, während ich noch auf ihr lag.“
    Ein Husten und Würgen war hinter ihnen zu hören und Kellan wandte sich zu der jungen Frau, die unweit von ihnen entfernt stand und sich erbrach.
    „Vielleicht solltet Ihr Euch in den nächsten Tagen etwas mit Euren Geschichten zügeln“, meinte Kellan, während er sich erhob und die Asche von seiner Kleidung klopfte.
    Die Sonne hatte sich einen Weg durch die Wolken gebahnt und schien hell auf die Lichtung. Ihnen bot sich ein Bild des Grauens. Die Leichen lagen zum Teil verstümmelt um das Lager des Händlers. Kellan wollte den Platz des Geschehens so schnell wie möglich hinter sich lassen.
    Langsam näherte er sich den Pferden. Sie hatten das Grauen miterlebt. Kellan war sich nur allzu sicher, dass sie noch keine solche Kämpfe erlebt hatten. Behutsam sprach er mit den Tieren, fuhr über ihre Nüstern, kraulte sie zwischen den Ohren. Er hatte sich bereits vier Tiere ausgesucht, die geeignet für eine Reise schienen. Er wollte die junge Frau wenigstens bis zum nächsten Ort geleiten, wo sie sich von ihr verabschieden würden. Er hatte sie auch gebeten sich Gegenstände auszusuchen, die sie mitnehmen wollte. Doch sie hatte sich geweigert auf die Lichtung zu gehen und er konnte es ihr nicht verübeln. Wer wollte seinen eigenen Vater tot sehen? Vor allem auf solch tragische Weise? Kellan hatte sich ein großes Leinentuch aus der Händlerware gesucht und die sterblichen Überreste des Händlers hinein gewickelt. Unter Murren hatte Rob ihm geholfen ein Grab für den Händler zu schaufeln und den toten Mann zu begraben. Dann hatte er sich mit der Ware des Händlers beschäftigt, das Gold auf das ausgewählte Packpferd geladen und einige wenige wertvolle Stoffe, sowie Nahrung und ausreichend Trinkflaschen. Außer den vier ausgewählten Pferden, hatte er die anderen frei gelassen.
    Kellan wandte sich der jungen Frau zu. „Wir wollen uns auf den Weg machen. Wenn Ihr soweit seid?!“
    Stumm nickte sie und trat auf die Lichtung. Kellan hatte ihr ein ruhiges Pferd ausgesucht und half ihr beim Aufsitzen. Sie hatte sich den Umhang weit über das Gesicht gezogen. Er war sich sicher, dass sie immer noch in stiller Trauer war. Rob trat näher zu den Pferden. Unruhig begannen sie zu tänzeln, der braune Wallach, den Kellan für ihn ausgesucht hatte, warf wiehernd den Kopf in die Luft und wich zurück als Rob zu ihm trat.
    Beruhigend näherte Kellan sich dem Wallach und legte ihm den Hand auf den Kopf, während er ihm in die Ohren flüsterte.
    Kellan drehte sich zu dem Skelett, das in seiner ganzen Blöße vor ihm stand.
    „Wo ist Euer Umhang?“, zischte er.
    Rob drehte sich um und sah prüfend auf die Lichtung.
    „Den habe ich wohl verloren“, schlussfolgerte er und zog seine Schulterknochen hoch.
    Kellan, dessen Hand immer noch auf dem Kopf des Pferdes lag, spürte wie das Tier sich fluchtbereit anspannte.
    „Dann sucht ihn gefälligst! Die Tiere fühlen sich bei Eurem Anblick nicht wohl!“
    „Ach, und wie es dem Skelett bei dem Anblick eben dieser Tiere geht, interessiert natürlich niemanden!“, erwiderte Rob und verschwand auf der Lichtung.
    Nach kurzem Suchen hatte das Skelett seinen Umhang gefunden und war sogar so weit gegangen, einem der Söldner die Kleidung auszuziehen und anzulegen, damit so wenig wie möglich von seinem Erscheinungsbild zu sehen war.
    Dann erst beruhigte das Tier sich und ließ das Skelett auf seinen Rücken gleiten.
    „Ich hasse Pferde“, murrte Rob, „Sie sind zu hoch. Falle ich herunter, breche ich mir sämtliche Knochen.“
    „Ihr könnt auch gerne laufen, wenn Ihr es schafft Schritt zu halten“, erwiderte Kellan mit einem Grinsen, während er sich auf sein Pferd schwang und mit ihm die Führung der kleinen Gruppe einnahm.
    Schweigend ritten sie eine Weile durch den Wald, selbst Rob schien nichts zu sagen zu haben. Kellan begann seinen eigenen Gedanken hinter her zu hängen und obwohl er es die vergangenen Tage geschafft hatte alles erfolgreich aus seinem Kopf zu verdrängen, kamen auf dem schwarzen Wallach Erinnerungen in ihm hoch.

    „Was machst du hier?“, hörte er sie zitternd sagen.
    „Du weißt weshalb ich hier bin“, erwiderte Kellan und versuchte ihre Hand zu fassen zu bekommen.
    „Du willst ihn mir wegnehmen? Selbst du! Ich kann es einfach nicht glauben!“, ihre Stimme klang schrill, er konnte die Angst und Verzweiflung in ihren Augen sehen.
    „Es ist falsch, wenn wir ihn behalten, du hast sie doch gehört“, erwiderte er, versuchte dabei ruhig zu bleiben. Er wollte die Distanz zwischen ihnen verringern, wollte sie an sich drücken, doch sie ließ es nicht zu.
    „Du weißt, dass ich dir nichts Böses will. Aber dieses Kind ist ein Kind Beliars, das musst du doch verstehen!“
    „Dieses Kind ist mein Kind, es ist mein Fleisch und Blut, ebenso wie es das deine ist. Wie kannst du nur glauben, dass dieses wundervolle Geschöpf, so viel Dunkelheit in sich tragen soll? Sie haben dich manipuliert Kellan, sie manipulieren jeden, Und nun willst selbst du ihnen unser Kind geben. Wie kannst du nur so geblendet sein?“
    „Genug!“, ertönte eine weitere Stimme. „Gebt uns nun endlich das Kind!“
    „Ich kann nicht!“, sagte sie verzweifelt, warf einen letzten verängstigen Blick auf Kellan und rannte im nächsten Moment hinaus in die Dunkelheit.“

    Ein Stoß gegen seinen Rücken ließ ihn aufschrecken und herum fahren. Rob ritt direkt hinter ihm und holte mit einem Ast gerade zum nächsten Schlag aus.
    „Was ist in Euch gefahren?“, knurrte Kellan, schnappte nach dem Ast, riss ihn Rob aus der Hand und schlug dem Skelett auf den Schädel.
    „Ich wollte Euch fragen wann Ihr gedenkt zu rasten“, erwiderte Rob und machte mit seiner Hand eine Geste zum Himmel.
    Kellan folgte der Richtung und stellte überrascht fest, dass die Nacht bereits weit fortgeschritten war. Wie lange hatte er seinen eigenen Gedanken nachgehangen?
    Er drehte sich im Sattel und prüfte ob die junge Frau sich noch bei ihnen befand. In einigen Metern Entfernung konnte er sie reiten sehen. Ihm war nur allzu klar, dass sie sich vor ihnen fürchtete und nur widerwillig Teil ihrer kleinen Gesellschaft war. Aber ihm ging es nicht anders, er wollte die unerwartete Last ebenfalls so schnell wir möglich loswerden.
    „Wir sollten so lange weiter reiten, wie es uns möglich ist.“, erwiderte Kellan, griff nach dem Lederbeutel an seinem Sattel und nahm einen kräftigen Schluck. Die Flüssigkeit, die er für Wasser gehalten hatte, brannte in seiner Kehle. Hustend verschloss er den Beutel und warf Rob einen blick über die Schulter zu.
    „Ich dachte mir, Ihr bräuchtet etwas Härteres. Mir wird in der Nacht auch immer so schnell kalt, da kann man einen guten Schluck durchaus mal gebrauchen.“
    „Wo ist das Wasser?“, erkundigte Kellan sich heiser.
    „Vermutlich ist es bereits im Boden versickert!“, erwiderte Rob schulterzuckend.
    „Ihr habt die gesamten Beutel mit diesem Zeug hier gefüllt?“
    „Wo denkt Ihr hin? Den guten Wein konnte ich natürlich auch nicht auf der Lichtung liegen lassen. Wo die Beutel sich befinden, weiß ich nun aber nicht. Schließlich hattet Ihr die Pferde gepackt.“ Der Wald lichtete sich vor ihnen und Kellan stellte sich in die Steigbügel, um einen besseren Blick über die vor ihnen liegenden Wiesen zu erhaschen. Feiner Nebel hatte sich wie ein Teppich auf die Landschaft gelegt. Der Mond leuchtete in seiner ganzen Pracht und schien in dieser Nacht so nah.
    Ein Summen drang an Kellans Ohr und er wandte sich verwundert um, während das Summen sich zu einer klagenden Stimme erhob.

    Trüb mein Herz, oh weh das Leid,
    der Leib durchbohrt, so rot mein Kleid.
    Die Sehnsucht schreit nach dir mein Mann,
    der mich Nacht um Nacht nicht finden kann.
    Oh weh meine Gier nach dir nicht gebrochen,
    doch meine Peiniger mich haben im Sumpf erstochen.
    So wandere ich hier Nachtaus Nachtein,
    kann ohne meinen Liebsten einfach nicht sein.

    Kellans Wallach begann unruhig zu tänzeln. Rob war nun neben ihm und auch die Händlerstochter war zu ihnen aufgeschlossen. Ein Umriss kam hinter dem nächsten Baum hervor, schwebte über den Boden. Der Mond leuchtete durch die zerbrechlich und gläsern wirkende Silhouette hindurch, ließ sie in seinem Licht erstrahlen. Die Haare umschmiegten ihren zarten Hals, die Augen hatte sie auf die Reiter gerichtet. Sie richtete ihre knochige Hand auf sie.
    „Bist du es Geliebter? Hast du mich letztlich doch gefunden?“, hauchte sie und näherte sich ihnen.
    „Mir ist das Ganze nicht geheuer“, murmelte Rob, „Der letzte Geist, dem ich begegnete, hat damals versucht mich zu enthaupten. Ein Glück, dass ich damals bereits Tod gewesen bin, sonst hätte er es vermutlich geschafft.“
    „Wer seid Ihr?“, fragte Kellan, seine Stimme hallte durch die Dunkelheit.
    „Erkennst du mich denn nicht? Ich bin es, Eluise.“, ein lautes Schluchzen war zu hören. „Oh Liebster, haben sie mich so entstellt, dass du mich nicht mehr als die deine erkennst?“
    Der Geist war beinahe an der kleinen Gruppe angekommen. Wiehernd preschte Robs Wallach davon, riss das Packpferd dabei mit in die Dunkelheit.
    „Welch schönes Pferd du doch hast“, summte der Geist, berührte dabei Kellans Stiefel. Ein kalter Schauer lief ihm das Bein hinauf.
    „Eluise“, flüsterte die Händlerstochter. „Ich habe von ihr gehört.“, sie stockte.
    Kellan wandte seinen Kopf zu ihr und sah blankes Entsetzen in ihrem Gesicht. „Flieht“, formte er mit seinen Lippen, doch sie verstand den stummen Ausruf, presste ihre Füße in die Flanken des Pferdes und jagte davon. Kellans Wallach, prustete unruhig, wich zur Seite und galoppierte im nächsten Moment hinter der Händlerstochter her.
    „NEIN“, ertönte ein schriller Schrei hinter ihnen und veranlasste Kellan sein Pferd nur noch mehr anzutreiben. Die Pferde jagten durch die Dunkelheit, gehetzt durch den Geist, der sie verfolgte.
    Kellan hatte kaum Zeit sein Tier ausweichen zu lassen, als Rob plötzlich mitten auf dem Weg stand.
    „Reitet weiter!“, brüllte er ihnen zu, „ich werde mich um diese arme Liebende kümmern.“
    Kellan nickte ihm zu und jagte mit der Händlerstochter den Weg entlang. Sie waren eine ganze Weile im scharfen Galopp geritten und hatten bereits einige Zeit nichts mehr gehört, als sie zurück in den Schritt fielen. Kellan klopfte den Hals seines Pferdes, es war feucht von der ganzen Anstrengung. Sein Blick fiel auf einen Baum, der nicht unweit des Weges stand. Die Äste knarrten in der Dunkelheit. Doch es waren nicht die Äste, die seine Aufmerksamkeit erregt hatten. Vielmehr war es der tote Körper, der an einem Seil an dem Baum hing. Kellan schwang sich aus dem Sattel und näherte sich vorsichtig dem Baum. Er konnte die hervorgequollene Zunge des bereits in die Jahre gekommenen Mannes sehen. In seiner rechten Hand hielt er ein Pergament. Wie viel Kraft es ihn gekostet haben musste, das Schriftstück während des Sterbens nicht los zu lassen. Kellan löste die feste Umklammerung und faltete das Pergament auseinander.

    Geliebte Eluise

    Mein Herz schmerzt wenn ich an dich denke. All die Jahre habe ich vergeblich nach dir gesucht. Vergib mir, dass ich nicht die Kraft besessen habe weiter nach dir zu suchen. Ich glaube aber einfach nicht mehr daran, dich heute noch zu finden. Und so bleibt mir einzig die Hoffnung, im Tode wieder mit dir vereint zu sein.

    Dein Walther



    „All die Jahre habe ich auf ihn gewartet“, flüsterte Eluise und tauchte direkt neben Kellan auf.
    „Er konnte mich nicht finden. Meinen Körper haben sie vergraben, nachdem sie sich an ihm bedient haben.“
    „Walther wartet nun auf dich. Geh zu ihm“, erwiderte Kellan und reichte dem Geist das Pergament.
    „Ich kann nicht, nicht so lange meine Peiniger noch am Leben sind. Sie haben das Leben nicht verdient.“, Eluise schwebte zu Walther, fuhr mit ihrer Hand über sein gealtertes Gesicht.
    „Meinst du, dass sie noch am Leben sind?“
    „Ich weiß es sogar!“, sagte sie und wirbelte herum.
    „Ich würde dir gerne helfen, doch wir haben kaum Zeit für das, was uns selber bevorsteht.“
    Eluise nickte wissend. „Dein Sohn ist noch am Leben. Du musst ihn dennoch so bald wie möglich finden!“
    „Du weißt von meinem Sohn?“, erstaunt horchte Kellan auf.
    „Wenn man sich wie ich in der Dunkelheit bewegt, bekommt man vieles zu hören. Ich weiß noch so vieles mehr, doch die Zeit reicht nicht aus dir alles zu sagen. Nur eines noch!
    Der Weg den ihr zu gehen habt, wird steinig sein.
    Stimmen werden euch heimsuchen, versuchen euch zu entzweien.
    Du wirst finden wonach du dich sehnst, wenn du jetzt gehst.
    Doch du musst dich entscheiden, um wessen Leben du flehst.“
    Eluise verblasste allmählich. „Mehr darf ich dir nicht sagen, sie werden bereits jetzt kommen und mich heimsuchen. Viel Glück Assassine und vergiss auf deinem Weg nicht wer du bist!“ Der Geist verschwand im Nebel und mit ihm die Gestalt Walthers.
    „Gruselig!“, hörte Kellan Rob hinter sich sagen. „Mir ist eine wahre Gänsehaut über den Rücken gelaufen.“
    „Vor was habt Ihr eigentlich keine Angst?“, lachte Kellan, als er sich zurück auf den Weg begab und sich auf seinen Wallach schwang.
    „Nun, das lässt sich vermutlich an zehn Fingern abzählen“, erwiderte das Skelett.
    „Was habt Ihr gerade gemacht als Ihr versuchtet sie aufzuhalten?“, erkundigte Kellan sich.
    „Oh, ich habe sie gefragt, ob meine Frau bereits ebenfalls das Zeitliche gesegnet hat. Sie kann so rachsüchtig sein, da will ich weit weg von meiner Heimat sein, sollte sie auch zum Geist werden.“
    Kellan lachte laut auf, während er sein Pferd in Bewegung setzte. „Ich möchte dieses Landstück so schnell wie möglich hinter mir lassen. Dann können wir gerne rasten.“
    Zustimmend schlossen die Händlerstochter und Rob zu ihm auf.

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    hokuspokus 
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    Heulend bahnte sich der kalte Wind einen Weg durch die hohen Gemäuer. Die aufgestellten Kerzen flackerten wild, um dem Druck des Windes zu widerstehen und nicht zu erlöschen. Fledermäuse hatten sich in den Gewölben niedergelassen. Der große Saal strahlte eine furchteinflößende Kälte aus. Die Wände nackt und grau, boten den Männern keinen Schutz vor der Kühle.
    Javier hatte sich auf die unebenen Stufen gesetzt, die zu seinem großen Tisch führten. Er genoss das kalte Prickeln auf seinen Armen, die Gänsehaut, die sich rasch auf seinem Körper ausbreitete, seine einzelnen Körperregionen verhärteten, der Schauer, der durch sein Inneres glitt, verebbte, nur um kurz darauf erneut von den Füßen hinauf bis zu seinen Haarwurzeln zu steigen.
    Es erregte ihn, nicht auf die Weise, dass er Kenna begehren würde. Nein, vielmehr schöpfte er aus der Kälte das Verlangen nach Blut.
    Langsam erhob Javier sich, ließ seinen Blick über die am Boden kauernden Männer gleiten. Nur wenige lagen ohne Decken oder Umhänge. Immer wieder konnte er das schnäuzen oder bellendes Husten hören, das ihn doch so kalt ließ. Javier wandte sich zu seinem Stuhl. Er selbst hatte diesen erbaut, aus den Fellen oder Schuppen seiner Gegner. Er war nicht bequem, aber das sollte er auch gar nicht. Javier wollte sich nicht auf einem weichen Stuhl niederlassen, seine Härte sollte nicht nur durch seinen Körper und sein Handeln, sondern auch durch sein Umfeld ausgestrahlt werden.
    Javier ließ sich in seine Sitzgelegenheit fallen, spürte die Unebenheiten, die einzelnen Strukturen. Er hatte sich bereits so oft auf seinen Stuhl gesetzt, dass er den Schmerz in seinen Gesäßbacken, die durch den Kamm des Feuerwarans entstanden, nicht mehr wahrzunehmen vermochte.
    Javier setzte sich gegen die kalte Rückenlehne und wandte seinen Blick zu Ilias, der direkt neben ihm stand. Er wusste nicht mehr wann er den jungen Mann gerufen hatte, es konnte bereits vor einer ganzen Ewigkeit gewesen sein. Ilias hatte sich nicht von der Stelle gerührt, während er zitternd eine Klinge in der Hand hielt.
    Javier nahm den Angstschweiß des jungen Mannes in sich auf. Aus seinen Augenwinkeln konnte er die kleinen, feinen Perlen sehen, die sich auf Ilias Hals bildeten. Er leckte sich über die spröden Lippen, als Ilias die Klinge an seiner rechten Kopfseite ansetzte und sie langsam nach oben zog. Als er sich nach vorne beugte, zog Ilias die Klinge rasch zurück. Javier griff nach einem besonders roten Apfel, von der silbernen Platte, die ihm auf dem großen Tisch am nächsten stand und biss beherzt hinein. Genüsslich schloss er seine Augen, schmeckte die Süße der Frucht, ließ den Saft aus seinem Mundwinkel heraus tropfen.
    „Weiter“, war alles was er sagte und doch genügte es, um Ilias erneut erblassen zu lassen.
    Er setzte die Klinge erneut an und vollzog den nächsten Schnitt, langsam und darauf bedacht seine zittrigen Finger unter Kontrolle zu behalten.
    „Wenn du so weiter rasierst, sitze ich hier noch, wenn ich lieber pissen gehen würde als mich von dir rasieren zu lassen!“, Javier war leise, doch der drohende Unterton genügte um Ilias stammeln zu lassen. Er griff nach der Hand, die das Messer führte, neigte seinen Kopf zur Seite, drückte die Klinge an die Haut und zog sie mit einer einzigen Bewegung nach oben.
    Ein Schatten ließ Javier inne halten. Er blickte auf den Boden, sah der schlangenähnlichen Silhouette dabei zu, wie sie sich um sein Bein wand und langsam zu ihm hinauf kroch.
    „Meister“, zischte es leise.
    Javier ließ seine Hand auf seinen Schenkel gleiten, nahm die lange Kreatur in Empfang, deren übergroßer Kopf sich ihm entgegen streckte, die hässlichen Augen quollen hervor, lange Hauer ragten nach oben und unten aus dem Mund des Dämons. Der Dämon wand sich immer weiter, bis er Ober und Unterarm Javiers völlig bedeckte. Schleim tropfte aus dem Mund, als er diesen zum Sprechen öffnete.
    „Sie ist zurück gekehrt“, die Stimme des Dämons glich mehr einem tiefen Gurgeln.
    Javiers Gesicht erhellte sich, als er die blasse Gestalt auf sich zukommen sah.
    „Eluise“, sagte er und wartete darauf, dass der Geist ihn vollends erreicht hatte.
    „Mein Herr, ich habe getan was Ihr verlangt habt!“, stotterte die durchsichtige Gestalt. Javier wusste dass sie log, er konnte es mit jeder Faser seines Körpers spüren. Er biss erneut in seinen Apfel und sah Eluise erwartungsvoll an.
    „Ich habe getan was ich konnte. Sie sind auf dem Weg hier hin.“
    „Das waren sie vorher bereits auch, meine Liebe“, säuselte Javier. „Du solltest ihm Angst machen. Solltest dafür sorgen, dass er schneller hier her kommt. Stattdessen hast du ihm dein Leid geklagt.“
    „Sie sind wirklich sehr nett zu mir gewesen“, begann Eluise.
    Javiers Armmuskeln spannten sich an.
    „Habt Ihr diesen Mann noch nie gesehen? Diese kleinen Fältchen, die sich um seine Augen bilden und diese Augen erst.“
    „Was ist mit seinen Augen?“, erkundigte Javier sich im höflichen Ton.
    „Sie strahlen so. Er musste mich nur einmal ansehen und es war um mich geschehen. Und dieses Skelett was ihn begleitet, war so interessiert an meinem Leben. Wie ewig ich das schon nicht mehr erlebt habe“, erwiderte sie erqickt.
    „Das mag daran liegen, meine Liebe, weil du eigentlich ein Geist bist, der auf Rache gesinnt ist. Nenne mir nur einen einzigen Menschen, der sich da die Zeit nehmen würde, nett zu dir zu sein, während du versuchst sie im Sumpf in die irre zu treiben, damit sie genauso jämmerlich sterben wie du!“ Javier hatte seine Ansprache leise begonnen, doch noch bevor er seinen letzten Satz beendet hatte, hallte seine Stimme wie eine Drohung durch die Gemäuer.
    „Warum seid Ihr nur so?“, stotterte der Geist.
    „Weil ich es kann“, zischte Javier, „weil du eine Aufgabe hattest, der du nicht nachgekommen bist. Wie gut, dass ich ohnehin mit deinem Scheitern gerechnet habe. Du weißt was das bedeutet, Eluise?“
    Der Geist erblasste und glich nun mehr einem Hauch feinem Nebel, der langsam zu verschwinden schien.
    „Ihr habt es mir versprochen“, flüsterte Eluise.
    „Weißt du, das ist der Unterschied zwischen uns beiden“, sagte Javier, während seine langen Finger über den Kopf des Dämonen glitten und dieser sich unter der Berührung leicht wand. „Ich habe nur gewollt, dass du dich darum kümmerst, dass Kellan schneller zu mir eilt, ohne jedoch zu erahnen, dass ich bereits auf ihn warte. Mir ist es gleich, dass du meinem Wunsch nicht entsprochen hast. Ich habe noch unzählige, die nur darauf warten mir einen Dienst zu erweisen. Für dich stand viel mehr auf dem Spiel. Ein Leben.“
    Javier ließ von dem Dämon ab, rieb den Schleim zwischen seinen Fingerspitzen ohne dabei seinen Blick von Eluise abzuwenden.
    „Das könnt Ihr nicht machen“, schluchzte sie.
    „Ich kann“, erwiderte Javier trocken, erhob sich und ging die wenigen Stufen herunter. Der Klang seiner Stiefel, glich einem dunklen Trommelschlag.
    Javier zeigte keine Gefühlsregung als er knapp vor Eluise zum Stehen kam. Für ihn war es ein Spiel, nicht mehr. Ein Spiel, das er wie kein anderer beherrschte.
    „Holt ihn runter“, befahl Javier und aus den dunklen Ecken der Gemäuer lösten sich zwei schwarze Schatten, die sich an den dicken Säulen nach oben hangelten. Javier konnte Eluises Angst spüren. Er fühlte sie tief in seinem Inneren. Ebenso wie die Angst seiner Gefolgschaft. Er lebte von ihrer Furcht.
    Die Dämonen hatten ihr Ziel beinahe erreicht. Schwere Eisenketten klirrten und quietschten als sie langsam in Bewegung gesetzt wurden. Als die beiden Dämonen sich mit dem Käfig, der im Schwarz der Gewölbe versteckt gehangen hatte, nach unten bewegten, richteten sie ihre roten Augen eindringlich auf Eluise und verzogen ihre schemenhaften Gesichter zu hässlichen Fratzen mit langen, beängstigenden Zungen und Zähnen. Als der Käfig den Boden scheppernd erreicht hatte, verschwanden die Dämonen erneut in der Dunkelheit. Eluise schwebte auf die verrosteten Stangen zu und gab einen ohrenbetäubenden Schrei von sich.
    „Walther!“, schrie sie und zerrte an den kläglichen Überresten ihres Verlobten.
    „Ihr wollt mich täuschen!“, schrie der Geist und wechselte seine Farbe zu einem bedrohlichen Rot. „Sagt, dass Ihr mich täuschen wollt und er genauso wie am Baum nicht echt ist!“
    „Aber Eluise, dann würde ich dich ja belügen“, erwiderte Javier und entblößte dabei seine Zähne. Er trat an den Käfig heran und öffnete ihn.
    „Wie sehnsüchtig er auf dich gewartet hat“, seufzte Javier und fuhr mit seinen Fingern über die Wangenknochen. „Ich wusste dass du es nicht schaffen würdest. Er hat gefleht und gebettelt und doch gab es keine Hoffnung mehr für ihn.“
    Javier dachte an den alten Mann, den seine Dämonen hergebracht hatten. Er war verletzt, hatte die Reise nicht unbeschadet beendet. Sein Atem hatte wie ein Rasseln geklungen. Zitternd hatte Walther sich an seinen Rock geklammert, zu ihm aufgesehen und ihn angefleht ihn von seinem Leid zu erlösen. Seine Liebe zu Eluise hatte ihn alt und schwach werden lassen. Er war zerfressen von einer Krankheit, hatte eitrige Abszesse an seinen Armen und Beinen und sehnte sich nach nichts mehr als der Erlösung, die Javier ihm verwehrt hatte. Er ließ ab von dem Gesicht des Verstorbenen, suchte in der Dunkelheit nach Walthers Geist.
    In dem Moment stürzte Eluise sich kreischend auf Ilias und verschwand in seinem Körper. Ilias Körper verkrampfte sich, ging zitternd zu Boden.
    „Du kleines Miststück“, zischte Javier, eilte auf die Empore und kniete sich neben den jungen Mann. Ein Gurgeln kam aus seinem Hals, die Augen verdrehten sich, Ilias Zunge hing nach draußen, während er weiter krampfte.
    Ilias gab ein tiefes Lachen von sich, die Augen verfärbten sich und schauten starr gerade aus.
    „Hast du gedacht, dass du dich meiner so schnell entledigen kannst?“, ertönte Eluises Stimme aus seinem Mund.
    Javier griff an Ilias Hals und führte mit der anderen Hand den Dämon an den Mund, der sich noch immer um seinen Arm wand.
    Geräuschlos glitt der Dämon in Ilias Mund.
    „Habe ich dir bereits von meinem kleinen Dämon erzählt, Eluise? Er findet Geister, wo auch immer sie sich verstecken, schluckt sie langsam hinunter und schenkt ihnen ewige Verdammnis, schlimmer als dein Dasein in dieser Welt.“
    Stöhnend öffnete sich Ilias Mund so weit er sich nur öffnen konnte und Eluise schoß heulend hinaus.
    „Er wird mich nicht bekommen!“, schrie sie wutentbrannt und eilte Richtung Dunkelheit. Der kleine Dämon kroch ebenfalls aus Ilias, öffnete langsam seinen Schlund und gab einen Laut von sich, der so abscheulich war, dass sämtliche Männer sich wimmernd die Ohren hielten. Eluise griff sich an die Ohren, schrie so laut sie konnte, verlor dabei immer mehr an Höhe. Der Dämon stoppte den Laut, ließ seine Kiefer knackend noch weiter auseinander fahren, und begann die Luft über sich saugend in sich aufzunehmen. Staub wirbelte auf, die Fledermäuse flogen panisch umher, einige wurden von dem starken Sog angezogen, flatterten verzweifelt um ihr Leben. Eluise ließ von ihren Ohren ab, versuchte an Höhe zu gewinnen, doch sie war gefangen in dem entstehenden Wirbel und verschwand zusammen mit allem, was der Dämon angesaugt hatte in dessen Mund. Der Dämon schloss seine Kiefer, blickte kurz in Javiers Richtung.
    „Entschuldigt mich Herr“, ertönte es in Javiers Kopf und er nickte. Der Dämon, dessen Leib durch die Prozedur um ein zwanzigfaches gewachsen war, glitt langsam die Empore hinab und suchte sich einen stillen Ort in der Dunkelheit.
    Javier löste seine Hand von Ilias Hals und blickte einen Moment auf den nun still daliegenden Körper.
    Javier klopfte sich den Staub vom Rock, erhob sich allmählich und warf einen Blick auf seine Männer.
    „Steht auf! Wir bekommen Besuch!“, donnerte seine Stimme durch die Gemäuer. Javier schritt durch das Treiben und näherte sich dem Eingang. Ein unbändiges Verlangen erfasste ihn, als die rote Schönheit langsam die Treppenstufen hinab kam. Er ließ seinen Blick lüstern über ihre schlanken Beine, den langen Rock, den sie vorne bis knapp unter dem Becken hochgerafft hatte, den üppigen Brüsten und die wallenden roten Haare wandern. Ihre Augen warfen ihm einen giftigen Blick zu, als sie vor ihm zum Stehen kam. Sie hatte das Kind in einem Arm, die andere Hand war stets in der Nähe ihres Dolches.
    „Er ist da“, sagte sie und ihre Stimme glich einer Drohung.
    Javier ignorierte ihren Satz, griff in ihre Haare und zog sie gierig an sich, um ihr im nächsten Moment auf die Unterlippe zu beißen.
    „Ist mir egal, er braucht eh noch ein wenig, um hier unten anzukommen“, knurrte er aus den Tiefen seines Rachens, als ein Schatten sich über sie legte.
    Javier fürchtete sich nicht. Es gab nichts, dessen er sich fürchtete. Und doch, wich er einen Schritt von Kenna zurück, als er die Gestalt hinter ihr wahrnahm.
    Die roten Augen des Mannes wanderten durch die Gemäuer. Die Männer hatten sich hinter Javier aufgestellt, senkten ehrfürchtig ihre Blicke. Kenna hatte sich in den Schatten gestellt, sodass Javier freien Blick auf den Mann hatte, dem er soviel verdankte.
    „Zuben“, sagte Javier so gleichgültig er konnte.
    Der große Schwarzmagier sah ihm direkt in die Augen. „Befehle deinen Männern die Kamele und Pferde zu bepacken! Ihr kehrt mit mir zurück nach Ishtar!“
    Javier konnte Gerons lautes Aufstöhnen hinter sich hören.

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    hokuspokus 
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    Majestätisch ragten die Berge in die Höhe. Sie schimmerten in ihrem weißen Antlitz, der an manch einer Stelle die graue Realität der kahlen Felswände preisgab. Wo das Wasser sich seinen Weg gesucht hatte, schimmerten klare lange Zapfen, in deren Struktur das Sonnenlicht ein warmes Farbenspiel zum Besten gab. Eine beruhigende Melodie lag in der Luft, während die Eiskristalle an den Zweigen der weiß gesprenkelten Bäume, im leichten Wind hin und her gewogen wurden. In der Ferne heulte ein Wolf, in dessen schaurig schönen Gesang ein weiteres Tier einstieg.
    Die beiden Pferde suchten sich ihren Weg durch den dicken Schneeteppich, ein feiner, warmer Schweißfilm hatte sich auf ihre Felle gelegt, ihre Hufe wirbelten den feinen Schnee empor.
    Sie hatte sich ihre Kapuze tief in das Gesicht gezogen, vertraute darauf dass die Stute den Weg durch die kalte Landschaft fand, während sie dem Wallach folgte.
    Angetrieben durch ihren Verfolger, waren sie die ganze Nacht durch geritten. Der angekündigte Sturm schien über sie hinweggefegt zu sein, ohne dass er ihnen groß Beachtung geschenkt hatte. Vielleicht hatte sie ihn auch nicht wirklich wahrgenommen. Seit ihrer Abreise hing sie ihren eigenen Gedanken nach und versuchte sich einen Reim aus allem was geschehen war zu machen. Immer wieder versuchte sie sich an ihre Träume zu erinnern, die vielleicht mehr als nur das gewesen waren. Sie konnte es nur schwer einschätzen, in manchen Momenten zweifelte sie an der Glaubhaftigkeit von allem, rechnete fest damit im nächsten Moment aufzuwachen und in einem warmen Sessel vor einem alten, verrußten Kamin zu sitzen. Doch so sehr sie sich auch zwang und in den Arm zwickte, sie saß weiterhin auf der kleinen Stute, spürte deren Bewegung unter ihrem Körper, das Zittern, wenn sie auf etwas im Schnee Verborgenes trat.
    Seufzend setzte sie sich aufrecht hin, schob die Kapuze leicht zurück und sah auf den kalten Berg, der sich zu ihrer Rechten befand.
    „Herrin.“
    Überrascht wandte sie sich um, ihr Blick glitt über die sandsteinfarbenen Wände, die fein angerichteten Blumenarrangements, die an den Säulen des großen Torbogens postiert waren. Sie beobachtete zwei Schmetterlinge, die sich in einem süßen Tanz über den blauen Blumen bewegten. Wie war noch einmal ihr Name? Sie hatte schon immer Probleme damit gehabt sich an die Namen der Pflanzen zu erinnern. Bei dem Gedanken musste sie lächeln. Die Sonne stand hoch am Himmel, kitzelte ihre Nase und wärmte ihre Haut. Sie drehte sich wieder um, betrachtete ihr Spiegelbild in dem großen Brunnen, dessen Wasser so klar war, dass man bis auf den Grund sehen konnte. Eine Schar kleiner Zierfische jagte an ihr vorbei, während sich ein Schatten über ihr Spiegelbild legte.
    „Herrin?“, die Frage glich mehr einem Flüstern, das sich warm in ihrem Bauch ausbreitete.
    Sie hob ihren Kopf an und sah geradewegs in seine grauen Augen.
    „Ihr?“, entfuhr es ihr, während es ihr heiß und kalt über den Rücken lief.
    Der schwarze Schatten ergriff ihren Arm und zog sie zu sich hoch.
    „Ihr müsst mir jetzt vertrauen“, murmelte er leise.
    Sie hörte heran eilende Schritte, das Klirren von Metall.
    Verwirrt wirbelte sie herum, sah schwer bewaffnete Männer durch den Torbogen treten.
    „Was ist hier los?“, verlangte sie von den Männern zu wissen, die sie schon ewig zu kennen schien.
    „Lauf!“, drang eine fordernde Stimme an ihr Ohr, „flieh!“
    Ihr Arm wurde gepackt, grob, fordernd, während der schwarze Schatten sich in Bewegung setzte. Die Männer hinter ihr begannen zu rufen, setzten sich in Bewegung. Sie rannte, ihre nackten Füße eilten über den Rasen, während ihr Herz zu rasen begann. Mit einem Ruck wandte der Schatten sich um, hob sie hoch und sie packte nach der aufgeheizten Mauer, während er sie mit Leichtigkeit nach oben schob. Zitternd blieb sie stehen, wusste nicht wohin ihr nächster Schritt gehen sollte, als er bereits wieder neben ihr war, nach ihrer Hand griff und sie eindringlich ansah.
    „Vertrau mir“, flüsterte er, als er sprang und sie schreiend mit in die Tiefe gerissen wurde. Unten wurde sie von starken Händen aufgefangen und starrte geradewegs in ein weiteres Augenpaar.
    „Die Pferde stehen bereit!“, ertönte es von der anderen Seite.
    Erneut wurde sie am Arm gepackt und auf ein Pferd gehoben. Der Schatten setzte sich direkt hinter sie, hüllte sie in seinen schwarzen Umhang und legte einen Arm schützend um ihre Taille.
    „Wir treffen Geron und den Herrn an der Küste“, lautete seine Antwort, während er seinem Pferd die Sporen gab. Die Tiere preschten los, folgten den verwinkelten Gassen der Stadt.
    „Javier, bleib zurück und verschaffe uns etwas Zeit!“
    Der angesprochene Mann zeigte seine Zähne als er nickte und sein Pferd zurückfallen ließ.
    Sie galoppierten an einfachen Häusern vorbei, während in der Ferne Glocken läuteten. Straßenkinder liefen neben ihnen her, hielten ihre Hände in die Luft und versuchten an ihren Kleidern zu zerren. Zerlumpte Männer sahen sie aus ihren großen Augen an, einige spuckten, andere versuchten sich vor das Pferd zu werfen.
    Plötzlich gab es einen Ruck, sie fand sich hustend auf dem Boden wieder. Verzweifelt versuchte sie wieder aufzustehen, während jemand an ihren Kleidern zerrte. Etwas legte sich um ihre zarten Füße, sie begann zu treten, versuchte sich verzweifelt freizukämpfen, als der Schatten erneut bei ihr war und im Tumult ein schneidendes Geräusch erklang. Sie sah blanken Stahl aufblitzen, der im nächsten Moment wieder verschwand. Ein dumpfer Schlag auf ihrer Brust ließ ihre gesamte Luft entweichen. Verängstigt weitete sie ihre Augen und starrte geradewegs in das ungepflegte Gesicht eines Mannes. Sie drückte ihre Hände gegen seinen Körper, wollte ihn von sich stemmen, atmen. Nur einen Augenschlag später hatte der Schatten ihren Peiniger ergriffen, der lange Dolch glitt leise und schnell durch die Kehle des Angreifers, während der Stahl in der Sonne aufblitzte.
    Er packte nach ihrem Arm, warf ihr seinen Umhang um und zog ihr die Kapuze tief in das Gesicht. Sie saß wieder auf dem Pferd, hatte seinen Dolch in der Hand und preschte durch die Gassen. Als sie die Stadtgrenze erreicht hatte, atmete sie erleichtert aus, während das Pferd seinen Schritt beschleunigte. Sie konnte weitere Pferde hören, die sich ihr schnell näherten, als ein Ruck durch ihren Umhang ging und sie ein weiteres Mal auf dem Boden zum Liegen kam.
    Stöhnend und schmerzerfüllt wand sie sich, als ein Wachmann ihrer Garde sich über sie beugte.
    „Herrin, es tut mir leid, ich dachte, ihr wäret dieser Verbrecher, der euch entführt hat“, murmelte er. Er reichte ihr die Hand, sie zögerte einen Moment nur sie zu ergreifen, als sie die Waffe in seiner anderen Hand erblickte und zurückwich. Sie erinnerte sich an den Dolch, suchte mit ihren Augen nach ihm und sah ihn nicht unweit entfernt liegen. Mit einem Ruck setzte sie sich auf, verdrängte den Schmerz und krabbelte zu der Waffe. Sie hörte das Ächzen von Männern, überraschte Ausrufe, das Klirren von Stahl. Mit dem Dolch in der Hand wollte sie sich umdrehen, als eine Hand sich in ihre Haare grub.
    „Bleibt schön liegen, dann soll Euer Tod auch kurz und schmerzlos sein“, murmelte der Wachmann.
    Sie konnte nicht mehr sagen wie, doch in ihrer Angst schaffte sie es sich zu drehen und dem Mann den Dolch in den Hals zu drücken. Erstaunt sah er sie an, griff nach dem Dolch und zog ihn heraus, während das warme Blut aus der offenen Wunde trat und sich schwallartig auf ihr ergoss. Er schluckte, spuckte Blut aus seinem Mund und fiel schlaff auf ihren Körper. Sie hatte das Gefühl sein Gewicht würde sie erdrücken, schaffte es nicht den Mann von sich zu schieben, als der Schatten an ihre Seite trat, den Wachmann von ihr stieß, sie zu sich zog und hochhob. Sie schluchzte und wimmerte, presste sich fest an ihn, versuchte gar nicht erst das Zittern ihres Körpers unter Kontrolle zu bekommen. Sie hörte ein sich schnell näherndes Pferd, das abrupt neben ihnen zum Stehen kam.
    Sie nahm die Stimmen kaum wahr, als sie bereits aus seinen Armen gehoben wurde. Mit leerem Blick starrte sie in Javiers Gesicht, der sie dem Schatten zurückreichte, nachdem dieser sich in den Sattel geschwungen hatte. Schweigend galoppierten die beiden Männer nebeneinander her. Als sie die Küste erreichten, hörte sie die vertraute Stimme ihres Vaters, der sie im nächsten Moment vom Schatten entgegen nahm und gegen seine Brust drückte.
    „Niemals hätte ich zu träumen gewagt dich wiederzusehen“, murmelte er in ihre roten Haare.
    „Die Gefahr ist noch nicht vorüber, wir sollten aufbrechen“, hörte sie den Schatten sagen.
    Am Strand lag ein kleines Beiboot, das sie zu einem großen Schiff brachte. Sie kannte das Schiff, es war der ganze Stolz ihres Vaters. Sie hielten Backbord des Schiffes, helfende Hände griffen nach ihr und zogen sie nach oben, bevor sie unter Deck gebracht wurde. Die Kabine war geräumig, in diesem Moment hatte sie keine Augen für die schönen Schnitzereien an den Bettpfosten, der faszinierenden Malereien an den Wänden. Sie legte sich die Arme schützend vor die Brust, starrte aus dem Fenster und betrachtete wie das Land, in dem sie groß geworden war langsam immer kleiner wurde. Sie hatte nicht gehört, dass jemand in die Kabine getreten war, vielleicht hatte er diese seit ihrem Eintreten auch nicht verlassen, denn als sie sich umdrehte stand der Schatten vor ihr und sah sie schweigend an.
    „Ich sollte Euch wohl danken“, murmelte sie verlegen, während sie seinem Blick auswich. Sein Wams zeigte zahlreiche Risse und Flecken. Er musste schwer gekämpft haben. Sie verstand immer noch nicht was gerade geschehen war.
    „Danke“, hauchte sie leise und hob betreten ihren Blick. „Seid Ihr verletzt?“, erkundigte sie sich.
    „Nicht mehr als Ihr“, erwiderte er, während seine Augen sich auf ihre Hände richteten.
    „Wie?“, erstaunt betrachtete sie ihre Finger, sie waren dreck- und blutverschmiert.
    „Ich glaube das ist nicht mein Blut“, antwortete sie, suchte mit ihren Augen nach der Waschschüssel und einem Tuch.
    Langsam wusch sie sich den Dreck von den Händen, betrachtete ihre zerkratzten Arme und schluchzte.
    „Ich verstehe das alles nicht“, schniefte sie, „was ist da gerade passiert?“
    Er schwieg, sah sie einfach nur an.
    „Habt Ihr Euch wirklich nichts getan?“, erkundigte sie sich, schritt zu ihm und betrachtete seine restliche Kleidung. Eine kleine Pfütze hatte sich unter seinem rechten Arm gebildet.
    „Ihr blutet!“, entfuhr es ihr, „lasst mich das ansehen!“
    „Es ist nicht mein Blut“, sagte er.
    „Sofort!“, herrschte sie ihn an.
    Die Kabinentür wurde aufgerissen und eine junge Frau betrat ängstlich den Raum.
    „Bring mir frisches Leinen, damit wir seine Wunden versorgen können“, befahl sie ihr. Das Mädchen nickte stumm und verschwand so schnell, wie sie gekommen war.
    Er hatte die Schnallen seiner Lederrüstung gelöst und sie auf die Bank direkt neben seine Handschuhe gelegt. Sie konnte den tiefen Riss in seinem Hemd sehen und keuchte leise. Sie half ihm dabei das Hemd über seinen Kopf zu ziehen, dabei löste sich auch das Tuch, das er stets vor seinem Gesicht trug. Eine tiefe Wunde klaffte in seinem Oberarm. Es klopfte und das junge Mädchen trat erneut ein.
    „Herrin, der Magier möchte sich die Wunde ansehen“, stammelte sie und beeilte sich Platz für den alten Mann mit den weißen Haaren zu machen.
    Sie trat an die Seite und beobachtete den Magier dabei, wie er die Wunde für einen kurzen Moment betrachtete. Dann wandte er sich um.
    „Seid ihr verletzt?“, erkundigte er sich bei ihr.
    „Ich glaube nicht“, erwiderte sie wahrheitsgemäß.
    „Gut“, sagte der Magier trocken und wandte sich zum Gehen.
    „Was ist mit ihm?“, rief sie ihm nach.
    „Wenn er bis jetzt nicht gestorben ist, wird er so schnell wohl nicht vorhaben von uns zu gehen“, meinte der Magier, als er die Tür erreichte und sie hinter sich schloss.
    Sie presste ihre Lippen aufeinander und sah den Mann an, der nichts schattenhaftes mehr an sich hatte.
    „Du darfst auch gehen“, sagte sie zu dem Mädchen, „ich werde mich selbst um seine Wunde kümmern!“
    Sie nahm einen Leinenstreifen in die Hand und tauchte ihn in das warme Wasser, bevor sie damit über die Wunde des Assassinen fuhr.
    „Erzählt Ihr mir, was heute geschehen ist?“, bat sie ihn, während das Leinen sich rot verfärbte.
    „Ich denke, Euer Vater wird Euch das erzählen wollen“, antwortete er.
    Er hatte das Gesicht von ihr abgewandt und betrachtete die Wandmalereien.
    Sie forderte ihn dazu auf sich zu setzen, nahm einen langen Leinenstreifen und band ihn um seinen Arm. Seine Haut war dunkler als sie erwartet hatte und sie fragte sich ob er stets so aussah, oder ob er gerne in der Sonne badete. Doch wann sollte er die Zeit dafür gefunden haben, wo er doch schon seit Wochen im Haus ihres Vaters zugegen war. Niemals hatte sie ihn ohne seinen Umhang oder unverschleiert gesehen. Ihr Blick glitt zu seinem Kinn, und den feinen Bartstoppeln, die seinen Mund umrahmten. Sie betrachtete die feinen Falten an seinen Augen. Sie versuchte sich seine Gesichtszüge einzuprägen, dabei konnte sie nicht einmal sagen warum es sie so sehr danach verlangte dieses Gesicht nicht mehr zu vergessen.
    Sie wusste nicht ob er bemerkt hatte dass sie ihn beobachtete, doch mit einem Mal sah sie geradewegs in seine tiefen Augen und schien sich in ihnen zu verlieren. Sie schluckte und ihr Herz schien einen Moment auszusetzen, während sie sich leicht auf die Lippen biss. Sie hatte ihren Körper bei Weitem nicht so unter Kontrolle wie er, bemerkte sie und spürte wie ihr die Röte in das Gesicht stieg.
    „Seid ihr fertig?“, erkundigte er sich leise.
    Ihr Atem ging schneller, sie wusste nicht was sie darauf antworten sollte.
    Einen kurzen Moment nur kräuselte sich sein Mund, oder hatte sie sich das nur eingebildet?
    Er erhob sich, während er seinen Blick nicht von ihr abwandte. Ihr wurde heiß und kalt zugleich, während sie seinen Duft in sich aufnahm. Er roch nach Schweiß und Dreck, doch das störte sie nicht im Geringsten.
    „Habt Ihr meinen Arm fertig verbunden?“, fragte er erneut, seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, während sein Gesicht dem ihren so nahe war, dass sie seinen Atem auf ihrer Wange spüren konnte.
    „Danke“, hörte sie ihn sagen, als sein Gesicht noch näher kam. Sie schloss ihre Augen, hielt vor Aufregung den Atem an. Sie konnte nicht sagen wie lange sie so dort gestanden hatte, doch als sie ihre Augen öffnete, war sie alleine.

    Sie schüttelte den Kopf und betrachtete die kalte Wand aus Eis. Wann hatte sie das letzte Mal so lange in der Vergangenheit verharrt? Schweiß rann ihr von der Stirn und sie wusste nicht recht wie sie ihre Gefühle einordnen sollte. Sie konnte nicht immer von ein und demselben Mann träumen, es konnte nicht anders sein. Wie hätte dieser Mann ihr alles nehmen können, wenn sie beide scheinbar soviel verband?
    Als sie ihren Kopf nach vorne wand, hielt sie ihr Pferd erschrocken an.
    „Kyle?“, rief sie erschrocken. War er nicht die ganze Zeit vor ihr geritten?
    „Ich bin hier“, kam die prompte Antwort, „ich reite schon eine ganze Weile neben dir.“ Kyle lachte, „du warst so in Gedanken, da dachte ich, dass es sicherer sei neben dir herzureiten.“
    „Wie lange war ich weg?“, murmelte sie verlegen.
    „Oh, eine ganze Weile, wir müssen bald an unserem Ziel angekommen sein“, antwortete er.
    „Und unser Verfolger?“, erkundigte sie sich.
    „Hat sich bis jetzt nicht wieder blicken lassen. Ich weiß auch nicht worauf er wartet“, sagte er und kratzte sich am Hals.
    Eine Weile ritten sie schweigend nebeneinander her. Sie versuchte sich auf ihre Umgebung zu konzentrieren, die Landschaft wahrzunehmen und sich von ihren Gedanken zu lösen.
    In der Ferne bellten Hunde. Sie umklammerte die Zügel der Stute, Panik stieg in ihr auf als sie die ersten Hufe hörte.
    „Was ist los?“, Kyle klang besorgt und ritt nahe an sie heran.
    „Ich weiß es nicht“, stammelte sie. Sie hatte das Gefühl, dass ihr etwas den Hals zuschnürte. Das Geschrei eines Babys drang an ihr Ohr, verzweifelt versuchte sie den kleinen Jungen zu beruhigen, während ihre Röcke sich an einer Wurzel verhakten und sie diese nur mit Mühe wieder losreißen konnte. Sie wagte es nicht sich umzudrehen, hörte nur das Herannahen ihrer Jäger. Panisch suchte sie nach dem richtigen Weg, während sie das Baby fest an ihre Brust drückte.
    Etwas schüttelte sie heftig und sie sah erneut in Kyles Augen, während das Bellen der Hunde immer näher kam.
    „Wir müssen fliehen, ich, ich kann nicht.“, lose Wortfetzen kamen aus ihrem Mund, als die Reiter sie erreichten und vor ihr zum Stehen kamen.
    Mit leeren Augen blickte sie auf, starrte in die Gesichter der Männer, ohne sie wirklich zu sehen. Ein kleiner Mann mit einem dicken Fell auf den Schultern schwang sich von seinem Pferd, die große Streitaxt reichte er seinem Nebenmann.
    Langsam schritt er auf sie zu. Als sein Blick den ihren traf, blieb er stehen, Überraschung zeigt sich auf seinem Gesicht. Er drehte sich um und winkte einem weiteren Mann. Dieser folgte seiner Aufforderung sofort, er war gute zwei Köpfe größer als der kleine Mann, bewegte sich trotz der vielen Kleidung die er trug, als wäre es ein leichtes durch den Schnee zu wandern. Als er neben dem kleinen Mann zum Stehen kam, schob er sich die Kapuze vom Kopf und sie erstarrte.
    „Herrin“, murmelte er und verneigte sich vor ihr, während der kleine Mann es ihm gleich tat.
    „Ich kenne Euch“, flüsterte sie.
    Er hob seinen Kopf und lächelte sie an, sein altes Gesicht war von Narben gezeichnet.
    „Und ich kenne Euch!“

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    hokuspokus 
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    Ihre Röcke raschelten, als sie sich langsam an ihn heranschlich. Er konnte das Knacken der feinen Zweige hören, die sie durch ihre Knie zerdrückte, während sie sich über ihn beugte. Die ersten Haare fuhren über seine Wange. Einen kurzen Moment nur ließ er es geschehen, bevor seine Hand nach oben schnellte und ihren Arm ergriff.
    Kellan öffnete seine Augen und sah direkt in die ihren.
    „Was ist los?“, flüsterte er.
    Sämtliche Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen, als sie sich aufsetzte.
    „Da ist jemand in den Büschen“, antwortete sie mit zittriger Stimme.
    Kellan nickte, er hatte die Gestalt längst wahrgenommen.
    „Legt Euch wieder hin“, raunte er und deutete auf ihren Platz.
    Sie zögerte, er konnte spüren wie viel Angst sie haben musste.
    „Dann legt Euch neben mich!“
    Dankbar legte sie sich hin, faltete ihre Hände auf ihrem Bauch zusammen und starrte in den Nachthimmel. Kellan zog seine Decke zurecht und legte sie über sie, bevor er die Augen erneut schloss.
    „Schlaft Ihr etwa wieder ein?“, erkundigte sie sich verängstigt.
    „Nein“, murmelte er, „ich versuche mich auf die Geräusche der Nacht zu konzentrieren!“
    Sie verstummte, während ihr Körper zitterte. Schweigend legte Kellan seinen Arm auf ihren Bauch, sodass sie erstarrte und er sich auf die Stille der Nacht konzentrieren konnte.
    Er hörte stolpernde Schritte, die sich ihnen näherten und griff mit seiner freien Hand nach dem Dolch, den er neben seinem Kopf liegen hatte. Kellan spürte wie ihr Körper immer mehr versteifte und wusste, dass sie der Gefahr gerade direkt in die Augen sah. Ein starker Geruch von Wein drang in seine Nase und er entspannte sich leicht.
    Wie ein Schatten erhob er sich, griff dem Mann in den Nacken und drückte die Spitze seiner Waffe an seine Kehle.
    „Wenn ich du wäre, würde ich schnellstmöglich nach Hause eilen“, knurrte er während er das angsterfüllte Gesicht des jungen Mannes betrachtete.
    „Ich, ich“, stotterte er und taumelte zurück als Kellan seinen Nacken losließ.
    „Es tut mir so leid“, stammelte er betrunken.
    „Das sollte es auch“, erwiderte Kellan mit tiefer Stimme.
    Als der Mann in der Dunkelheit verschwunden war, legte Kellan sich seufzend hin.
    Anne hatte sich nicht gerührt. Sie lag steif und verängstigt auf dem Boden. Er konnte sich nur ausmalen welche Ängste die Situation in ihr hervorgerufen hatte. Nach all dem was sie in den vergangenen Tagen erlebt hatte, würde es eine Weile dauern bis sie wieder zu einem normalen Leben zurückkehren würde. Sie hatten ihr Lager nicht weit entfernt vom Dorf aufgeschlagen. Morgen früh würde er die junge Frau zur nächsten Gaststätte geleiten. Er hoffte, dass man ihr dort helfen könnte.
    „Du musst keine Angst haben“, murmelte er mit ruhiger Stimme und legte seinen Arm erneut um sie, dieses Mal entspannte sie sich sichtlich unter seiner Berührung.

    Es polterte laut und die Tür wurde mit einer hektischen Bewegung aufgerissen.
    „Oh, Ihr seid noch am Schlafen“, entschuldigte sie sich und war bereits wieder im Begriff zu gehen, als er sich aufsetzte und sie eindringlich musterte.
    Die roten Haare hatte sie versucht mit einem Haarband zu bändigen, die Seeluft kräuselte ihre Locken jedoch so sehr, dass sie eher wie eine ungebändigte Mähne wirkten, die ihr schlankes Gesicht einrahmten. Die leichten Kleider hatte sie gegen ein Baumwollhemd und eine Hose getauscht, die von einem Gürtel gehalten wurde der ihre Taille betonte während ihre sonst wenig bekleideten Füße in glänzenden Stiefeln steckte.
    „Ich bin jetzt wach“, erwiderte Kellan trocken.
    Sie wirkte im ersten Moment unschlüssig, schien darüber nachzudenken ob sie den Raum nicht wieder verlassen sollte.
    „Wie geht es Euch?“, murmelte sie und machte einen Schritt auf ihn zu.
    „Es geht mir gut, danke“, antwortete er. Es war mehr eine Lüge als dass es die Wahrheit war. Die Wunde an seiner Brust eiterte, er hatte Fieber und wollte nur allzu gern weiterschlafen. Er zitterte, kurz nur und doch konnte er an ihren Augen sehen, dass sie es bemerkt hatte.
    Mit schnellen Schritten eilte sie durch den kleinen Raum, der nach Erbrochenem roch. Kellans Zimmergenosse war weniger Seefest als er selbst.
    Als sie nach den Leinenstreifen an seiner Brust griff, packte er ihre Hand.
    „Ihr müsst Euch nicht um mich kümmern!“, knurrte er.
    Sie drückte ihn mit der freien Hand zurück in die unbequemen Laken und murmelte etwas Unverständliches, bevor sie mit einem Dolch das Leinen zerschnitt. Fluchend betrachtete sie die Wunde, erhob sich und eilte aus dem Zimmer.
    Er schloss seine Augen und atmete erleichtert aus, während sein Gesicht sich vor Schmerzen verzog. Es musste Gift gewesen sein, das an der Klinge gewesen war, dem war er sich sicher. Auch er hatte bereits von Gift Gebrauch gemacht und kannte die Symptome nur zu gut. Langsam verblasste der Klang des geschäftigen Treibens auf dem Schiff in seinem Kopf und er begann zu träumen.
    Ein scharfer Schmerz ließ ihn keuchend die Augen aufreißen. Der Magier hatte sich über ihn gebeugt und fuhr mit einer heißen Klinge über die eiternde Wunde.
    Wütend packte Kellan mit der Hand an die Schulter des Mannes und versuchte ihn von sich wegzudrücken, als ihr Gesicht in seinen Augenwinkeln erschien, ihre Hände seinen Arm packten und ihn nach unten drückten. Sie begab sich hinter seinen Kopf und legte ihre Knie auf seine Arme. Selbst wenn er gewollt hätte, er konnte sich nicht mehr rühren ohne sie zu verletzen.
    „Geht sofort von mir runter!“, fuhr Kellan sie an, während er sie wütend anfunkelte.
    „Das werde ich nicht!“, erwiderte sie und schien dabei ebenso erbost und entschlossen, wie er sich in diesem Moment fühlte.
    Ein weiteres Mal fuhr der Magier mit dem Dolch über seine Wunde. Kellan spannte seine Muskeln an und presste seinen Kiefer aufeinander, während sie ihn entschlossen betrachtete.
    „Ich habe das faulige Fleisch nun heraus gebrannt. Es sollte wieder vollends verheilen“, murmelte der alte Mann. Sie nickte, hatte ihre Lippen aufeinander gepresst, während sie ihren Blick nicht von Kellans löste. Der Magier legte eine kühle Paste aus Kräutern auf die Wunde, bevor er sie erneut mit Leinen verband.
    „Ich werde im Laufe des Tages noch einmal nach ihm sehen“, sagte er bevor er sich erhob und den Raum verließ.
    Es war still, nicht einmal auf Deck war etwas zu hören. Einzig das Rauschen des Meeres und der Klang ihres leisen Atems drang an sein Ohr.
    Eine ganze Weile schwiegen sie, er schloss seine Augen, versuchte sich wieder in seine Träume zu flüchten, als sie ihr Gewicht leicht verlagerte.
    „Ihr sitzt immernoch auf meinen Armen“, sagte er trocken.
    „Ich weiß“, erwiderte sie knapp.
    „Könntet Ihr nun von mir runtergehen?“, erkundigte er sich mit belegter Stimme.
    „Nein!“
    „Wenn Ihr nicht wollt, dass ich mir bei dem Versuch Euch von mir hinunterzuwerfen eine weitere Verletzung zuziehe, solltet ihr runtergehen!“, drohte er.
    „Wenn Ihr nicht wollt, dass ich Euch verletze nachdem Ihr mich heruntergeworfen habt, solltet Ihr nicht versuchen Euch von mir zu befreien!“, sagte sie bestimmt.
    Belustigt öffnete Kellan seine Augen Sie hatte ihre geschlossen, ihre Lippen waren zu einem schmalen Streifen zusammengepresst. Er seufzte tief und begann erneut zu zittern. Sie blickte ihn an, betrachtete ihn besorgt. Als sie sich erhob und das Bett verließ, begannen seine Arme ebenfalls unkontrolliert zu zittern. Sie öffnete eine Truhe, kramte weitere Decken hervor, die sie prüfend an die Nase hielt, bevor sie diese angeekelt auf den Boden warf.
    „Ich bin gleich wieder da“, verkündete sie, bevor sie den Raum verließ.
    Als Kellan erneut die Augen öffnete, stieg ihm ein angenehmer Geruch von Kräutern in die Nase. Er wandte seinen Blick zur linken, sah die kleinen verzierten Bullaugen, unter denen ein Regal fein säuberlich angebracht war. Zwei Kerzen flackerten im sanften Auf und Ab des Meeres. Kellan runzelte die Stirn. Dies war nicht sein Zimmer. Er drehte sich zur Rechten und sah direkt in ihr schlafendes Gesicht. Sie hatte ihre Hände unter ihren Kopf gebettet, ihre kleinen Nasenflügel bewegten sich langsam. Kellan griff mit seinen Händen an seine Brust, die unter mehreren Decken verborgen war, fühlte das stramme Leinen. Der Schmerz war erträglicher und er atmete erleichtert aus. Er setzte sich auf, warf einen Blick auf ihren Körper. Sie schlief in denselben Kleidern, in denen er sie zuletzt gesehen hatte. Wie lange mochte das wohl her sein? Langsam schob er seine Beine unter der Bettdecke hervor und wollte seine Füße gerade auf den Boden stellen, als ihre Hand ihn seufzend berührte.
    Kellan lief ein warmer Schauer über den Rücken. Er wünschte sich nichts mehr als neben ihr liegen zu bleiben und ihren Geruch einatmen zu können, doch würde er bleiben, würde er noch viel mehr wollen. Er keuchte leise, als er sich erheben wollte und der stechende Schmerz in seiner Brust zurückkehrte. Fluchend legte er sich wieder hin, spannte seine Muskeln an und wollte einen weiteren Versuch starten, als ihre feinen Finger langsam über seinen Bauch glitten. Er wandte seinen Blick zu ihr, sah in ihre klaren grünen Augen und erstarrte.
    „Ihr bleibt liegen, bis man Euch befiehlt wieder aufzustehen“, flüsterte sie und sah ihn dabei eindringlich an.
    „Ich brauche keine Sonderbehandlung“, entfuhr es ihm und er spürte eine leise Wut in seiner Magengrube aufkeimen.
    „Du bist ein solcher Sturkopf“, knurrte sie.
    Überrascht zog er eine Augenbraue hoch. „Was?“
    „Wenn wir dich in diesem Bett hätten liegen lassen, wärst du gestorben“, schallt sie ihn.
    „Dann wäre dem so gewesen“, erwiderte er trocken, „viele gute Männer lassen jeden Tag ihr Leben.“
    „Ich erlaube dir aber nicht zu gehen!“, fuhr sie ihn an.
    Er lachte leise auf, während sich ein warmes Gefühl in ihm ausbreitete.
    „Lasst mich gehen!“, bat er und sah sie dabei eindringlich an.
    Sie schluckte, er merkte dass sie einen Moment mit sich haderte. Es zerriss ihm förmlich das Herz. Doch welche Zukunft konnte er ihr bieten?
    Sie schloss ihre Augen, doch er hatte längst gesehen, dass sie feucht geworden waren. Sie nickte stumm und er erhob sich nur langsam. Als er sich zur Tür wandte, konnte er eine Bewegung hinter sich ausmachen.
    „Nein“, flüsterte sie.
    Er wandte sich um, sie stand direkt hinter ihm, nur Zentimeter trennten sie. Sein Herz machte einen Satz als sie gleichzeitig nacheinander griffen und sich berührten. Der Schmerz in seiner Brust ließ ihn einen kurzen Moment zusammenzucken,bevor die Frau mit den wilden roten Haaren ihn zurück in das Bett zog. Nie hatte er ein solches Gefühl empfunden als in diesem Moment, in dem sie ihre weichen, warmen Lippen auf seine presste.

    Kellan öffnete verwirrt seine Augen und befreite sich aus der festen Umklammerung.
    „Was macht Ihr denn?“, knurrte er verständnislos.
    Die junge Frau sah ihn verwirrt an.
    „Ihr habt im Schlaf geredet und habt so erregt ausgesehen, ich dachte ich könnte Euch behilflich sein!“, erwiderte sie beschämt und rutschte von ihm ab.
    Stirnrunzelnd erhob Kellan sich und ging einige Schritte als Rhob ihm entgegen kam.
    „Ihr seht aus, als hättet Ihr einen Geist gesehen“, meinte er und blieb stehen.
    „Das habe ich wohl auch“, erwiderte Kellan bevor er weiter in den Wald hineinging. Er stützte sich mit den Händen an einem Baum ab und lehnte seine Stirn an die kühle Rinde. Die verheilte Narbe an seiner Brust pochte wild. Er fuhr sich mit den Fingern über die Lippen und schloss die Augen. Er wollte nichts sehnlicher als zurück in seinen Traum. Wütend ballte er seine Hände zu Fäusten, bevor er sich entschlossen umdrehte und zurück zum Lager ging.
    „Wo seid Ihr heute Nacht eigentlich gewesen?“, erkundigte Kellan sich bei Rhob.
    „Oh, ich bin spazieren gegangen. Habe gedacht Ihr bräuchtet etwas Zeit zu zweit“, erwiderte das Skelett mit einem seltsamen Unterton, „Wenn ich schon keinen Spaß mehr haben kann, könnt Ihr ihn ja für uns beide genießen!“
    Kellan gab einen kehligen Laut von sich, bevor er sich zu den Pferden begab und sie sattelte.
    Schweigend brachte Anne ihm die zusammengelegten Decken. Sie vermied es ihm in das Gesicht zu sehen.
    Als sie aufsaßen und der aufgehenden Sonne entgegen ritten, wollte Kellan nichts sehnlicher als schnellstmöglich weiterzureisen. Er musste seinen Sohn finden.

    Kellan war der erste, der die dunkle Gaststätte betrat. Es war nicht viel los, einzig eine Gruppe von Männern, saßen in der einen Ecke, während eine vermummte Gestalt sich im Schatten niedergelassen hatte. Er wandte sich direkt an die Bar, hinter der eine ältere Frau sich hustend niedergelassen hatte.
    „Ihr seid es“, begann sie, bevor er sie überhaupt ansprechen konnte.
    „Bitte?“, erkundigte er sich überrascht.
    „Ihr habt meinem Enkel heute Nacht einen unglaublichen Schrecken eingejagt, Ihr müsst es gewesen sein. Seine Beschreibung trifft Euch ganz gut. Ich danke Euch, dass Ihr ihm nichts getan habt. Es ist nicht das erste Mal, dass er einen über den Durst getrunken hat!“
    Kellan nickte stumm.
    „Ich habe eine Nachricht für Euch“, fuhr sie fort, „kommt mit!“
    Sie geleitete ihn zu einer Treppe, die in die Kellergewölbe führte.
    „Dort unten“, sagte sie und zeigte auffordernd hinunter.
    Kellan zögerte. Es wirkte wie eine Falle. Er versicherte sich, dass er seinen Dolch bei sich trug, bevor er nach unten kletterte.
    Im Gewölbe war es dunkel.
    „Habt Ihr vielleicht eine Fackel für mich?“, erkundigte er sich bei der alten Frau, die an den obersten Stufen stehen geblieben war.
    „Die werdet Ihr nicht gebrauchen“, erwiderte sie, bevor sie den Eingang durch eine Tür verschloss.
    Kellan fluchte leise vor sich hin. Seine Augen brauchten eine Weile bis sie sich an die Dunkelheit gewöhnten, dennoch fiel es ihm mehr als schwer etwas zu erkennen.
    In der Ferne hörte er leise Wassertropfen auf Stein fallen. Etwas bewegte sich langsam über den Boden und näherte sich ihm. Kellan zog seinen Dolch hervor.
    „Ihhhhrrrrr seiiiiiddd gekommmmeeen“, zischte eine Stimme, die er niemandem zuordnen konnte.
    „Wer seid Ihr?“
    Rote Augen erschienen in der Dunkelheit und näherten sich ihm.
    „Ichhhh binnn Irrrridiiasss“, fuhr das Wesen fort, dessen heißer Atem Kellans Gesicht berührte.
    „Was wollt Ihr von mir?“
    „Meinnn Meisssterr hat michh gesssschickt. Ihhrrr müssst Euchh beeilen. Sonnssst issst nicccht nurr Euerrr Kind verlorren!“
    „Was wollt Ihr mir damit sagen?“, entfuhr es Kellan.
    „Er will Euch damit sagen, dass Eure Frau noch lebt!“, erwiderte Rhob, der wie aus dem Nichts erschienen war.

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    hokuspokus 
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    Sie konnte nicht anders als sich ihrer Handschuhe zu entledigen und das faltige Gesicht zu berühren. Das warme Lächeln des Mannes, spiegelte sich in seinen braunen Augen wider.
    „Wir hätten nicht zu träumen gewagt Euch lebend wiederzusehen“, ertönte seine raue Stimme, als er ihre Hand ergriff und fest drückte.
    Sie spürte wie Wärme ihr Herz erfüllte und dennoch fühlte sie sich verloren. Unsicher biss sie sich auf ihre Unterlippe und entzog ihm ihre Hand.
    „Ich...ich“, begann sie und verstummte.
    „Ihr müsst viel durchgemacht haben“, sagte der Mann und blickte sie verständnisvoll, „Rahesh, reite zurück zum Lager und verkünde dass wir die Herrin gefunden haben.“
    Der kleine Mann, der eher die Größe eines Zwerges hatte, blinzelte einen kurzen Moment in ihre Richtung. Hatte sie Tränen in seinen Augen gesehen?
    „Jawohl Herr General“, sagte er erstickt, wandte sich um und ließ sich von einem jungen Burschen auf sein Pferd helfen, bevor er mit einer Hand voll Männer kehrt machte und davon ritt.
    „Wer seid Ihr?“, fragte sie mit belegter Stimme.
    Überrascht zog der ältere Mann seine linke Augenbraue hoch.
    „Es tut mir so leid“, stotterte sie, „Ihr kommt mir so bekannt vor, aber ich weiß nicht wer Ihr seid.“
    Ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie ballte ihre Hände zu Fäusten.
    Ruckartig machte der ältere Mann einen Schritt auf sie zu und im nächsten Moment hatte er sie fest an seine Brust gedrückt. Ihr Körper zitterte, ob der Kälte Willen oder wegen ihrer Gefühle, sie hätte es nicht sagen können. Der alte Mann fuhr mit seinen Händen über ihren Rücken, flüsterte Worte in einer Sprache, die ihr so bekannt vorkam und doch konnte sie nicht ausmachen, was er ihr sagte.
    „Mein Name ist Isidor und ich bin der oberste General Eures Vaters“, flüsterte er, „Euer treuer Diener, Prinzessin.“
    Sie richtete sich auf und schaute in die braunen Augen. Isidor bedachte sie mit einem warmen Lächeln.
    „Ich verstehe ihn einfach nicht!“, entfuhr es ihr wütend.
    „Euer Vater meint es nur gut mit Euch“, sagte Isidor, während er sich auf die Sandsteintreppe setzte und sein Schwert an die Wand lehnte.
    „Wenn er es doch gut mit mir meint, wie kann er dann nein sagen?“, entfuhr es ihr. Ihre roten Haare hatten sich aus ihrem Zopf gelöst und verdeckten ihr halbes Gesicht. Durch die Tränen hatten einige Strähnen sich an ihre Wange geklebt.
    „Ich bin doch kein kleines Kind mehr!“, sagte sie aufgebracht.
    „Du musst mir helfen, Isidor!“, sie wirbelte herum und sah den General eindringlich an.
    „Prinzessin“, begann Isidor, bevor er tief ausatmete, „Ihr wisst, Ihr seid wie eine Tochter für mich. Aber über den Befehl Eures Vaters werde ich mich nicht hinwegsetzen!“
    Wütend schlug sie mit ihren Handknochen gegen die Wand. Die dünne Haut platzte sofort auf.
    „Prinzessin Edana“, entfuhr es Isidor erschrocken, bevor er aufsprang sein Halstuch abnahm, und es um ihre Hand wickeln wollte. Doch bevor er sie erreichte, ergriffen knochige Hände die ihren und graue Augen sahen sie emotionslos an. Der Magier murmelte leise einige Worte, mehr zu sich, als zu I. Als er seinen Satz beendet hatte, blickten seine stechenden Augen direkt in die Ihren.
    „Es ist Zeit zurückzukehren, Prinzessin“, sagte er, hob seine Hand an seine Lippen und hauchte. Weiße Kälte umschloss sie und zerrte sie aus ihren Träumen. Sie keuchte und griff an den schwarzen Stoff, der sich vor ihr aufgebaut hatte.
    „Isidor“, flüsterte sie. Der Name des Generals klang von ihren Lippen wie ein Hoffnungsschimmer.
    „Prinzessin“, erwiderte der alte Mann, bevor er sie ein Stück von sich entfernte und sie besorgt ansah.
    „Sie hat diese Aussetzer, seit wir sie im Wald gefunden haben“, erklärte Kyle, „Ihr Kopf war schwer verletzt und ich habe kaum daran geglaubt, dass sie je wieder aufwachen wird. Es sind viele Lücken in ihrem Gedächtnis. Sie weiß, dass sie ein Kind hat. Wer sie ist und woher sie kommt, dass weiß sie bisher noch nicht.“
    „Mein Name ist Edana“, sprach sie leise.
    Ein Flackern erschien in Kyles Gesicht.
    Isidors Lippen hoben sich zu einem leichten Lächeln.
    „Ihr seid nicht nur Edana. Ihr seid Prinzessin Edana aus Vashiir.“
    „Vashiir?“, Kyle runzelte seine Stirn.
    „Noch nie habe ich von Vashiir gehört.“
    „Ich werde euch alles erzählen, vorher sollten wir uns aber wieder in Bewegung setzen“, murmelte Isidor und zeigte gen Himmel. Die Sonne stand schon viel zu tief am Horizont.
    „Bevor die Dunkelheit über uns einbricht, sollten wir im Lager sein. Neben Wölfen und Bären, gibt es hier draußen noch andere weitaus gefährlichere Wesen.“

    Sie folgten einem breiten Pfad. Isidor ritt zu ihrer linken, Kyle zu ihrer rechten.
    „Vashiir ist ein kleines aber dennoch sehr wohlhabendes Königreich. Es liegt weit hinter den südlichen Inseln. Edanas Vater, König Darach ist ein weiser und gütiger König. Unter seiner Hand wuchsen die Reichtümer Vashiirs an, wir wurden zu einem wichtigen Handelspartner der südlichen Inseln. Man sagt, dass Vashiir die besten Waffenschmiede besitzt, Schwerter geschmiedet in den Öfen der Drachen. Das Stahl wird durch die Glut so hart, dass die Klingen nie zerbersten. Unser Ruf eilte uns voraus und mit den Schiffen, kamen auch die ersten, die der Königsfamilie nach dem Leben trachtete. Edanas Mutter starb als Edana nur wenige Jahre alt war. Sie war auf dem Markt einkaufen, die Bedrohung kam für uns überraschend und wie aus dem Nichts. Ein schwarzer Schatten, der über sie hinein brach und im Bruchteil einer Sekunde ihre Kehle zerriss. Wir hatten keine Chance. Die Vorfälle mehrten sich, Darach scharrte immer mehr Wachen um sich. Für die Sicherheit seiner Familie heuerte er Assassinen an. Letzten Endes waren es sie und die Magier, die dem Haus treu ergeben waren, die Edana und den König retteten. Genügend Menschen kamen zu der Zeit ums Leben. Der einzige Weg die Königsfamilie zu retten, war die Flucht. Darach hatte entschieden, dass die er und Edana auf getrennten Schiffen reisen sollten. So wollte er sicherstellen, dass seine Tochter lebte, sollte man einen Anschlag auf ihn verüben wollen. Eines Nachts trieben wir in einen Sturm...“
    Die Wellen brachen über sie hinein. Verzweifelt versuchte sie sich an der Rehling festzuklammern.
    „Holt die Segel ein“, brüllte jemand über das Deck, bevor die nächste Welle über sie schwappte und jede Stimme mit sich riss. Edana spürte wie ihr die Planken unter den Füßen weggerissen wurden. Ihre Nägel brachen, als sie verzweifelt versuchte sich an der Rehling festzukrallen. Die nächste Welle zerrte sie davon und schleuderte sie über das Schiff. Sie wollte schreien, doch das Wasser ließ ihre Stimme verklingen. Sie gurgelte, kämpfte gegen die Wassermasse an, wollte atmen, frei sein.
    Arme packten sie, zogen sie nach oben. Im nächsten Moment war ihr Kopf über Wasser, sie spuckte und würgte. Javier hielt sie mit einem Arm fest an sich gepresst, während er mit dem anderen Arm nach einem Tau griff und es um sein Handgelenk schlang.
    „Bald ist es vorbei, Prinzessin“, schrie er durch den tosenden Wind.
    Ein Ruck ging plötzlich durch das Schiff, Javiers Umklammerung löste sich von ihr und sie wurde von Bord geschleudert. Hart schlug sie auf den Wellen auf, ihre durchtränkten Kleider zogen sie in die Tiefe. Sie versuchte dagegen anzukämpfen, strampelte wild mit den Füßen, doch beschleunigte sie damit nur den Sinkvorgang. Ihr Körper kämpfte gegen das Ertrinken an. Sie wollte noch nicht sterben. Sie dachte an ihren Vater und schloss verzweifelt ihre Augen, während sie versuchte sich aus ihren Kleidern zu befreien. Verzweifelt stellte sie fest, dass alles nicht half. Mit Blick zur Oberfläche, wurde ihr bewusst, dass sie es so ohnehin nicht mehr schaffen würde. Sie schaute in die Tiefe, doch außer der Dunkelheit konnte sie nichts erkennen. Und doch, bewegte sich in der Dunkelheit ein großer Schatten? Der schwarze Fleck näherte sich ihr, riss sie mit sich und schoss mit ihr aus den Fluten. Sie wusste nicht wie ihr geschah, als ein lautes Grollen durch die Dunkelheit ertönte und eine Feuersalve direkt vor ihren Augen erschien. Zitternd umklammerte sie die Schuppen, die ihr am nächsten waren, während ihre Lungen sich unaufhörlich vom Wasser befreiten. Der Schatten erhob sich, bis sie über den Wolken waren. Zitternd starrte sie in den blauen Himmel, bevor sie wagte nach unten zu sehen. Die schwarzen Schuppen schimmerten wie dunkle Opale. Wenn sie ihre Arme ausstreckte, vermochte sie nicht die Flügel zu erreichen. Nie hatte sie ein solches Wesen in Natur gesehen, in ihren Büchern waren sie meist kleiner beschrieben und maßen meist nur an die vier Meter, doch dieses Exemplar, übertraf sie alle. Die Schwingen flatterten unter dem Wind. Die harten Schuppen drückten sich an ihre Haut und obwohl sie dem Wesen noch nie begegnet war, kam es ihr seltsam bekannt vor. Die dunklen Wolken hatten sie längst hinter sich gelassen. Der massive Körper bewegte sich abwärts, steuerte auf einen Strand zu. Sanft setzten die Beine auf dem feuchten Boden auf. Als das Wesen seinen Körper neigte, rutschte sie den harten Rücken hinunter. Zitternd landete sie auf allen Vieren, traute sich nicht sich zu bewegen. Sie wusste nicht was es mit ihr machen würde, wenn sie versuchen würde wegzurennen. Das Wesen wandte seinen Kopf zu ihr, graue Augen starrten sie mit einem seltsamen Glitzern an, der schwarze Körper bewegte sich schnell, während der Drache seine Zähne entblößte und eine kleine Rauchwolke aus seinen Nüstern kam. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, als der Drache sich ihr näherte und seinen Kopf über ihren Körper beugte. Sie schloss ihre Augen, bereit ihren letzten Atemzug zu machen, als der große Kopf sie einen kurzen Moment nur anstieß, um dann wieder zurückzuweichen. Der Drache grollte ein letztes Mal, bevor sie es laut knacken hörte. Entsetzt riss Edana ihre Augen auf, der Drache schrumpfte vor ihren Augen! Das schwarze Wesen zischte laut. Rauch kam erneut aus seinen Nüstern und verbarg ihn hinter sich. Als der Qualm sich langsam löste, sah sie ihn dort stehen. Die schwarzen Haare klebten nass an seinem Kopf, sein Oberkörper schimmerte. Er presste seinen Kiefer zusammen und ging auf sie zu. Edana wich zurück, wusste nicht wie sie reagieren sollte. Er packte sie und zog sie zu sich hoch, drückte sie an sich, die grauen Augen bewegten sich hin und her, suchten nach einer Antwort.
    „Geht es dir gut?“, flüsterte er besorgt.
    Sie nickte stumm, nicht in der Lage ein Wort zu sagen.
    Langsam schob er ihr eine einzelne Strähne aus dem Gesicht und lächelte sie an.
    „Was bist du?“, flüsterte sie, „ich meine, wer bist du?“
    Er nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände.
    „Du weißt wer ich bin“, flüsterte er.
    Seine bekannte Stimme nahm ihr die Unsicherheit ein wenig und doch...
    „Ich habe gedacht ich kenne dich“, murmelte sie und versuchte einen Schritt zurückzuweichen.
    „Du kennst mich auch. Es hat sich nichts geändert. Ich bin immer noch derselbe“, versuchte er sie zu beruhigen.
    Doch es machte sie nur aufgelöster.
    „Du bist ein verfluchter Drache!“, rief sie außer sich.
    „Der bin ich“, sagte er trocken.
    „Tu nicht so, als sei das nichts! Das ist etwas gewaltig großes!“, entfuhr es ihr.
    Edana riss sich los, wandte sich um und sah auf das Meer.
    „Du bist ein Drache“, wiederholte sie, als sie sich in den Sand fallen ließ.
    „Edana“, sagte er schlicht.
    „Ich habe mich in einen Drachen verliebt!“, rief sie verzweifelt, „bei den Göttern, was mache ich hier bloß? Du bist ein Drache!“ Ihre Stimme hatte sich immer mehr erhoben. Aufgelöst fuhr sie sich mit den Händen durch ihr Gesicht, ihr Herz pulsierte wild in ihrem Körper. Sie wusste nicht, ob sie lachen oder laut schreien sollte.
    „Ich bin ein Drache und doch bin ich auch ein Mann“, antwortete er. Wenn er es aussprach, klang es so einfach. Doch wie konnte es einfach sein?
    Sie spürte wie er sich neben ihr in den Sand ließ. Er verschränkte seine Beine, stützte sich mit den Händen im Sand ab.
    „Du bist die Einzige, der ich je mein wahres Gesicht gezeigt habe. Und heute war es auch nicht zum ersten Mal.“
    Sie erinnerte sich an ihr erstes Treffen.
    Sie lief durch einen langen Gang, das leichte Kleid umschmeichelte ihre Wadenknöchel, ihre blanken Füße ließen sich durch die raue Oberfläche der Steine nicht beirren und folgten unaufhaltsam ihrem eisernen Willen. Ihre Haare klebten zum Teil an ihrem nackten Hals, die restlichen schwangen im Einklang mit ihren Schritten von der einen in die andere Richtung. Ihre Finger hatten sich in dem leichten Leinen vergraben und hoben die Spitze des Kleides nur so weit an, dass es ihr möglich war mühelos durch die Gänge zu laufen. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals, als sie um die letzte Ecke bog und unsanft gegen einen harten Widerstand stieß. Ihre Beine stolperten nach hinten, mit weit aufgerissenen Augen und wild rudernden Armen versuchte sie ihren Körper am Sturz zu hindern. Eine Hand ergriff die ihre und holte sie zurück in einen festen Stand. Sie blickte auf und sah direkt in seine grauen Augen, die sie unverhohlen ansahen. Er war in einen weiten Umhang gehüllt, ein dunkles Tuch verdeckte sein Gesicht, lediglich die Augen, die sie förmlich anzogen, waren zu sehen. Er hätte sie bereits längst loslassen können, doch seine Finger lagen wie versteinert um ihre zarten Knochen.
    „Herrin, was macht Ihr hier draußen?“, eine weitere Gestalt erschien neben ihm und sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Nur schwer konnte sie ihren Blick von ihm lösen und wandte sich an Lucar, einer Wache ihrer Leibgarde.
    „Ich habe gehört mein Vater ist heimgekehrt“, erwiderte sie und löste ihre Finger aus der Umklammerung des ihr Fremdem.
    „Ich befürchte er würde wenig erfreut sein Euch so zu sehen“, erwiderte der ältere Mann. Sein Kopf war geneigt, um jeglichen Augenkontakt mit ihr zu vermeiden.
    „Willst du mir deinen Begleiter nicht vorstellen?“, erwiderte sie.
    Sie konnte sehen dass Lucar zögerte, doch der ihr Unbekannte kam ihrer Leibgarde zuvor als er vor ihr auf die Knie ging. Sie konnte das Schwert unter seinem Umhang aufblitzen sehen und erstarrte. „Herrin“, begann er mit seiner tiefen Stimme, hob seinen Kopf und heftete seine blitzenden Augen auf ihr Gesicht. Sie spürte wie ihre Knie weich wurden. Ganz gleich wer er war, sie wusste bereits längst was er war, an seinem Blick konnte sie erkennen, dass er sich dessen bewusst war. Kleine Grübchen bildeten sich unter seinen Augen, lachte er sie gerade etwa aus?
    Sie holte tief Luft und bevor er sein Spiel beenden konnte, wandte sie sich erhobenen Hauptes von ihm ab und ging geradewegs in den nächsten Gang, einen Bruchteil später erkannte sie, dass sie in eine Sackgasse gesteuert war. Sie presste ihre Hände zu Fäusten zusammen und ging unbeirrt der kahlen Wand entgegen.
    „Ihr müsst Euch nicht fürchten“, hörte sie die Stimme hinter sich, es war kaum mehr als ein Flüstern und doch kroch ihr ein kalter Schauer durch den Körper. Sie verharrte eine Weile an der Wand, drehte sich langsam um und atmete erleichtert aus, als sie niemanden entdecken konnte.
    Schnellen Schrittes ging sie durch den wenig beleuchteten Flur, als sich ein Schatten von der Wand löste und ihr im nächsten Moment eine Hand auf den Mund gepresst wurde.
    „Allerdings solltet Ihr darüber nachdenken Eure Leibgarde auszutauschen. Ich musste mich nicht einmal anstrengen um an Euch heran zu kommen“, hauchte er.
    Ihr Herz raste, ihr Körper zitterte. Langsam löste er seine Hand von ihrem Mund, ihr heißer Atem prallte an seiner Handinnenfläche ab und strömte in ihre halbgeöffneten Lippen.
    Wie ein Kloß lag das Unausgesprochene Wort auf ihrer Zunge, es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis sie ihre Sprache wieder erlangte. „Assassine“, flüsterte sie.
    „Du wusstest schon damals, dass ich nicht nur ein Assassine sein kann“, holte er sie aus ihren Gedanken zurück.
    Es stimmte, sie hatte den Schatten an der Wand gesehen und doch wurde ihr erst jetzt bewusst, was er bedeutet hatte.
    Er hob seine Hand und fuhr über ihre zarte Wange. Seine Wärme brachte ihr Blut zum Lodern.
    Seine Finger legte sich unter ihr Kinn und er zwang sie in seine Richtung zu sehen.
    „Du bist die Einzige, die um mein Geheimnis weiß“, hauchte er leise, „Ich konnte dich nicht sterben lassen, Edana. Du gehörst zu mir!“
    Es war das erste Mal, dass er so mit ihr sprach. Sonst war er eher trocken und zurückhaltend. Wenn sie ehrlich war, mochte sie seine geheimnisvolle Art.
    Sie seufzte kaum hörbar, als er ihr Gesicht zu sich zog und seine Lippen die ihren fanden. Er griff nach ihr und zog sie auf ihren Schoß, während er sie unaufhörlich weiter küsste.

    „Seit dem Sturm, haben wir nichts mehr von der Prinzessin gehört oder gesehen. Ihre Weggefährten waren ebenso unauffindbar. Vor einem Jahr hat der König die Hoffnung aufgegeben sie jemals lebend wiederzusehen. Wir sind auf diesem Land gestrandet, immer weiter in den Norden gezogen und hier gelandet. Darach hat das Lager seitdem nicht mehr verlassen. Edana, ich muss Euch daher warnen. Euer Vater ist nicht mehr der stattliche Mann, der er einst gewesen ist. Euer Verlust hat ihn gebrochen.“
    Isodors Worte holten sie aus der Vergangenheit zurück. Sie hatten ein großes Tor passiert. Frauen und Männer versammelten sich, um die Reiter zu begrüßen. Als sie Edana erblickten, verstummten die meisten und gingen ehrfürchtig auf die Knie. Kyle hielt ihr Pferd, als sie sich aus dem Sattel schwang und Isodor durch das Lager folgte. Als sie an einem großen Zelt ankamen, wurden die Felle geöffnet und Edana betrat einen warmen aber dennoch tristen Raum. Vor ihr saß der König.

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    hokuspokus 
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    Ajnif ist offline
    Kellan hatte sich auf dem kalten Kellerboden niedergelassen, sein Körper zitterte unkontrolliert.
    Er nahm den Dämon nicht wahr, der näher zu ihm kroch. Rhobs Stimme und das Zischen der Kreatur drangen an sein Ohr, doch er hörte nicht was sie sagten.
    Er versuchte sich an die Frau zu erinnern, nach deren Nähe er sich so sehnte und ballte seine Hände zu Fäusten, als ihm ihr Gesicht nicht einfallen wollte. Er vermochte nicht mehr zu sagen welche Farbe ihre Augen hatten. Hatte sie Grübchen um ihre Mundwinkel? Welche Farbe hatten ihre Haare? Wie hatte es sich angefühlt sie anzufassen?
    Kellan presste seine Zähne zusammen und schüttelte seinen Kopf, als Rhob ihm schwungvoll mit der flachen Hand über die Wange fuhr.
    Überrascht und wütend zugleich starrte Kellan seinen Weggefährten an.
    „Was sollte das denn jetzt?“, knurrte er, während er sich über die brennende Stelle rieb.
    „Wie sonst hätte ich dich denn zur Besinnung bringen sollen?“, erwiderte Rhob und schüttelte den Kopf.
    „Vielleicht hättest du mich einfach mal kurz in Ruhe lassen können?“
    „Und bringt es dir etwas, wenn du auf dem Boden wie ein Trauerkloß sitzt, dich nach dem sehnst was du gerade nicht erreichen kannst? Haben wir nicht ohnehin schon wenig Zeit?“
    „Viellllllllleichhhht können wirrrr ihn kurzzz alleine lasssssen?“, erkundigte Iridias sich und legte den schleimbedeckten Kopf schief.
    „Vielleicht kann er sich aber auch einfach mal darauf konzentrieren, wer er eigentlich ist“, erwiderte Rhob.
    „Das ist ihm nicht möglich“, kam eine knappe Antwort aus der dunklen Ecke des Kellers.
    „Meissster“, zischte Iridias ehrfürchtig und wich zur Seite.
    Als Kellan sich erhob, trat ein Mann mit starren Augen und hellem Haar aus der Dunkelheit. Er hatte seine Hände in seine dunklen Kuttenärmel gesteckt und betrachtete ihn mit schmal zusammen gepressten Lippen.
    „Wer seid ihr?“, verlangte Kellan zu wissen. Er spürte eine innere Unruhe in sich.
    „Eine Schande was er mit Euch gemacht hat“, ignorierte der Mann Kellans Frage, während er ihn unverhohlen betrachtete.
    „Wer hat was mit mir gemacht? Und wer seid ihr?“, fragte Kellan. Sein Körper wurde immer rastloser.
    Ohne eines weiteren Wortes griff der Mann an Kellans Stirn, murmelte etwas Unverständliches und alles verschwamm.
    Als er seine Augen öffnete, sog er warme Luft in seine Lungen. Die Sonne stand tief am Himmel und wirkte so groß, dass er meinte sie beinahe berühren zu können. Die heißen Strahlen machten seinem Körper nichts aus. Das hatten sie noch nie. Er bewegte sich über die schwarzen Gesteine, nahm den Geruch von Schwefel wahr.
    „Das ist mein Zuhause“, erklang eine tiefe Stimme in seinem Kopf. Sie klang nicht wie seine und doch fühlte er sich mit ihr verbunden. Er bewegte sich über die spitze Gesteinsschicht, als könnte sie seinen Füßen nichts anhaben, heißer Atem drang aus seinem Mund.
    In der Ferne hörte er ein herannahendes Gewitter grollen. Ein tiefer kehliger Laut glitt bei dem Anblick der grellen Blitze von seinen Lippen. Von hier oben konnte er die kleine Stadt sehen, die sich am Hang der Berge entlangschlängelte. Sie reichte vom Fuß des schlafenden Riesen, bis hin zu den Klippen am Meer. Die sandsteinfarbenen Häuser hoben sich von den vorrangig dunklen Gesteinen der Gebirge ab. Eine grüne Oase schmiegte sich von der anderen Seite an die Stadt.
    Hier oben konnte er nichts vom geschäftigen Treiben auf den fein angelegten Wegen hören. Doch seine Augen zeigten ihm wie sich Männer und Frauen gleichermaßen durch die Straßen bewegten.
    Er wandte sich von der schönen Kulisse ab, bewegte sich weiter hinauf und folgte den weißen Säulen, die in den Himmel emporstiegen. Die schwefeligen Quellen waren heimtückisch und doch fühlte er sich hier besonders wohl, vielleicht gerade weil sich hier kaum jemand hin verirrte. Jeder Tritt konnte der letzte sein, wenn man sich in den Gebirgen nicht auskannte. Sein Atem beschleunigte sich, als er auf dem Gipfel angekommen war. Vor ihm klaffte ein riesiges Loch aus dem eine Säule weißen Dampfes unaufhörlich gen Himmel stieg.
    „Ich habe dich gefunden“, flüsterte eine dünne Stimme.
    Er drehte sich um, den Herzschlag des kleinen Mädchens konnte er bereits von Weitem hören. Sie hatte sich hinter einem Felsen versteckt. Hätte ihr Herzschlag und ihre schnelle Atmung ihm nicht bereits verraten wo sie sich versteckte, wären es ihre blonden im Sonnenlicht schimmernden Haare gewesen, die sie kaum hinter dem Felsen verstecken konnte.
    Vorsichtig bewegte er sich auf sie zu und beugte sich über den großen Stein. Sei warmer Atem fuhr durch ihre Strähnen. Erschrocken sah sie auf, ihre smaragdgrünen Augen starrten ihn direkt an.
    „Du bist wunderschön“, hauchte sie leise und streckte ihre zierliche Hand aus. Er drückte seinen Kopf sanft an sie und schloss einen Moment nur seine Augen. Ein lauter Schrei hallte durch die Luft und er fuhr herum.
    „Warte“, rief das kleine Mädchen und versuchte stolpernd mit ihm Schritt zu halten.
    Er wurde immer schneller, die Füße waren mehr in der Luft als auf dem Boden.
    „Da ist er ja“, zischte eine dunkle Stimme.
    Verwirrt sah er sich um. Mehrere dunkle Gestalten näherten sich ihm, scharfe Klingen blitzten zwischen ihren Mantelfalten auf. Er gab einen Warnlaut von sich und wich zurück.
    „Schau dir diesen Körper an“, sagte eine Gestalt ehrfürchtig.
    „Der wird uns richtig viel Gold einbringen“, erwiderte ein Anderer, der den anderen in Größe und Breite weitaus überlegen war und lachte leise.
    „Tut ihm nichts!“, ertönte das Mädchen hinter ihm.
    „Wen haben wir denn da?“, sagte der Große, „die Kleine kommt mir so bekannt vor.“
    „Du hast ihr Porträt gewiss bei diesem Lord gesehen, den wir letzte Woche besucht haben“, erwiderte ein anderer.
    „Du hast Recht“, grunzte der Große zufrieden, „schnappt sie euch, sie wird uns ebenfalls eine Menge einbringen!“
    Ein lautes Grollen ertönte durch die Luft, Feuerschwaden erfüllten den Berg. Er drehte sich um, flog beinahe zu dem Mädchen und legte sich schützend um sie. Männer schrien verzweifelt auf, als ein großer Schatten brüllend über sie hinwegfegte. Wind kam auf und jagte die Flammen über die Steine. Sie verbrannten alles, was sich nicht retten konnte. Das Mädchen hatte sich fest an seinen Körper gepresst. Sie zitterte und weinte. Es krachte nicht unweit von ihnen und die Erde erzitterte. Eine warme Wolke drang an seinen Rücken und er drehte sich um.
    „Geht es dir gut?“, erklang eine ihm nur allzu bekannte weibliche Stimme.
    Er eilte zu ihm und berührte seinen Kopf mit ihren warmen Händen. Sein ganzer Körper schien zu dampfen.
    „Wen hast du denn da?“, fragte er lächelnd und reichte dem kleinen Mädchen die Hand.
    Zögernd ergriff sie diese und ließ sich von ihm aufhelfen.
    „Ihr seid wahrhaft groß“, sagte sie mit leuchtenden Augen.
    Der Mann lachte leise.
    „Was machst du denn hier oben?“, erkundigte er sich und sah die Kleine dabei interessiert an.
    „Ich wollte ihn sehen!“, antwortete diese wahrheitsgemäß und zeigte mit den Fingern auf ihn, „ich mag das Schimmern seiner Haut!“
    „Du solltest nicht hier herkommen. Die Quellen sind unberechenbar. Dies ist kein guter Ort für ein kleines Mädchen wie dich“, sagte der Mann, während er in die Knie ging und ihm vorsichtig über den Kopf fuhr.
    „Ich habe keine Angst!“, erwiderte sie und presste ihre Lippen trotzig aufeinander.
    „Ich verstehe. Du bist ein tapferes Mädchen. Und weil du das bist, musst du mutig genug sein, nicht mehr hier herzukommen. Du bringst damit nicht nur dich in Gefahr, sondern auch ihn“, erklärte der Mann, „es werden Andere kommen. Sie werden versuchen ihn zu jagen. Die Welt hat sich geändert. Er ist noch zu klein, als dass er auf sich alleine aufpassen könnte.“
    „Ich möchte nicht, dass ihm etwas passiert“, rief das Mädchen aus und legte ihre Hände auf seinen Rücken. Es fühlte sich schön an und er konnte spüren, wie gut sie es mit ihm meinte.
    „Das weiß ich doch!“, sagte der Mann. Er machte einen ernsten Gesichtsausdruck und fuhr fort: „Willst du mir helfen und ihn beschützen? Dann sag niemandem, dass du ihn gefunden hast.“
    Sie nickte heftig.
    „Wie alt ist er eigentlich?“, fragte sie neugierig.
    „Oh, er ist noch ganz klein. Eines Tages aber wird er zu den größten seiner Art gehören.“
    Das Mädchen lächelte und drückte ihre Lippen an sein Ohr.
    „Eines Tages werde ich dich wiedersehen“, flüsterte sie, erhob sich und verschwand winkend und mit wehenden Haaren im Dampf der langsam abklingenden Hitze.
    Der Mann sah ihn lange schweigend an. Seine Mundwinkel bewegten sich, kurz nur.
    „Siehst du es?“, hörte er den Mann mit den starren Augen.
    „Was soll ich sehen?“, fragte Kellan verwirrt.
    „Siehst du nicht, wer du eigentlich bist?“
    Er spürte wie eine Macht sich in seinem Körper ausbreitete, seine Haut dehnte sich aus, die Knochen wurden breiter und länger. Der Mann mit dem dampfenden Körper verschwand in seinen Erinnerungen, die Felsen und Gesteine wurden immer kleiner, die Stadt entfernte sich immer mehr von ihm. Seine Atmung wurde tiefer, langsamer. Die Sonne war kaum mehr als einen kleinen Moment entfernt. Er glitt durch den Himmel, seine Flügel hatten sich dem Auftrieb des Windes genau angepasst. Seinen langen Hals hatte er weit nach vorne gestreckt, die Augen sahen weit in die Ferne. Als er unter sich das Meer erblickte, stürzte er in die Tiefe und tauchte in die Fluten. Das Wasser kühlte seinen heißen Körper ab. Er liebte es tief unten in den Schluchten zu liegen, genoss die Dunkelheit.
    „Schluss damit!“, knurrte Kellan und riss die Augen auf. Er packte die Hand des Mannes und zerrte sie von seiner Stirn.
    „Spürt er ihn denn nicht in Euch?“, fragte der Mann und blieb ungerührt stehen, „fühlt Ihr nicht mehr das Feuer in Euch?“
    „Was auch immer Ihr mir zeigt, es sind nicht meine Erinnerungen!“, erwiderte Kellan und spürte Wut in sich aufkeimen.
    „Da mögt Ihr Recht haben, denn es sind die Erinnerungen eines anderen Namens!“

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