Zitat von
Tjordas
Nur einen kurzen Anflug von Nervosität konnte man auch bei dem Doktor bemerken, als dieser nach Enricos langersehntem Befehl ersteinmal still die Augen schloss und die feuchte Luft der Küche einsog, dann nur halb so schnell wieder ausstieß. Wie vom Blitz durchfahren riss er die Augen dann wieder auf, nickte den beiden nocheinmal bestätigend zu und begab sich dann, nachdem er das Jackett nocheinmal zurechtgerückt hatte, in unauffälligem Gang aus der Schwingtür hinaus in Richtung Flur. Leise pfeifend, ob nun zur Authentizität oder zu Zwecken Selbstberuhigung, schlenderte er ein Stück von der Tür weg und sah sich nach Leibwächtern oder verirrten Partygästen um. Als dergleichen niemand aufzufinden war, klopfte er einige Male an die Schwingtür, um es den Nachfolgern anzuzeigen. Dann ging er voraus, folgte einem tunnelartigen Flur an einem Gewölbeabgang vorbei bis zu einer Tür, die in den dämmrigen Gartenbereich hinausführte, wo sich der Großteil der Gesellschaft jetzt auf der Tanzfläche versammelte und mit einem Applaus die Braut Zora auf die Bühne lockte und begrüßte. Das Dämmerlicht, das erst mit Nähe zur Tanzfläche künstlich aufgehellt wurde, war den dreien bei einer gewissen Unauffälligkeit durchaus von Vorteil, sodass Julian mit einer winkenden Geste dazu anleitete, sich noch etwas mehr ins Freie zu wagen, wobei er selbst sogar noch weiter vorausging, als es unbedingt empfehlenswert war und den anderen andeutete, zunächst zurückzubleiben.
Sein Blick war besonders auf die Gruppe der Brautjungfern gerichtet, fast allesamt junge Frauen in der frühen Blüte ihrer Lebensjahre, jede davon bis zum äußersten des Erlaubten aufdrappiert, sodass man gerade so noch die Restbescheidenheit behielt, die nötig war, um sich von der Braut als eigentliches Zentrum abzugrenzen. Als Julian nah genug war, um diese Details zu erkennen rümpfte er leicht angewidert die Nase ob dieser übertriebenen Oberflächlichkeit, doch erblickte er unter der Truppe hochabsätziger Damen das Gesicht von Melinda Scorsese, einer seiner drei Ziele an diesem Abend und schmunzelte daher zufrieden. Noch bevor er am Rand der Menschenmasse angekommen war, zog er unauffällig den Zünder aus der Innentasche und steckte die Hand samt des Gerätes in die Außentasche, um dort in angemessener Lässigkeit das Geschehen zu verfolgen.
Keine Minute zu früh: Das Publikum begann bereits die Braut durch Rufe und vereinzeltes Klatschen zum Wurf des auf seine eigene Weise besonderen Brautstraußes zu animieren. Julians Hand jonglierte währenddessen den Zünder unruhig in der Tasche herum, legte den Daumen dann an die Verschlussklappe an und schnippste sie immer wieder auf und zu. Jetzt stellte sich Zora mit dem Rücken zum Publikum und die Kappe blieb offen, der Daumen schwebte über dem Auslöser.
"Entschuldigung", sprach ein älterer Herr mit kratziger Stimme Julian an, der sich von hinten angenähert hatte. "Haben Sie da Feuer in der Tasche?", nuschelte er, mit dem Cigarillo bereits zwischen den Lippen. Julian ignorierte ihn zunächst, sondern folgte stattdessen dem Flug des nun geworfenen Brautstraußes, als ihn die synchrone allgemeine und plötzliche Stille wieder auf den Wurf aufmerksam machte. Die Brautjungern quetschen sich etwas in der Menge nach hinten, die ihnen auswich. Scorsese streifte ihn nur, das Mädchen direkt neben hier sprang hinauf und fing den Strauß. Die Menge jubelte. Erst jetzt drehte sich Julian zu dem älteren Mann hinter sich mit dem Cigarillo im Mund, sah ihm direkt in die Augen und hob den Zünder zwischen ihre beiden Gesichter. "Feuer? Gern", entgegnete er mit einem freundlichen Lächeln der Höflichkeit und erkannte noch den Schock des Mannes, als dieser begriff, doch es war zu spät. Ein leises Klicken des Schalters kündigte einen gewaltigen Knall an, der auch Julians Ohren kurz taub werden ließ. Dem Genussraucher war sofort sein eigenes Leben wichtiger und er floh mit einem letzten panischen Blick in Julians Augen, der ihm noch "Gern geschehen!" nachrief, bevor er sich nach hinten drehte und mit einem handzeichen Beyo und Enrico zu sich beorderte. Es war an der Zeit, Ordnung in die Unruhe zu bringen.
Begleitet von seinen beiden Mitgliedern kämpfte er sich durch das Getümmel zur Bühne vor und zog nun bereits die Maschinenpistole unter dem Jackett hervor, hob neben der Gruppe der zersprengten Ladies ein gesprungenes Sektglas vom Boden auf, bevor er die Stufen zur Bühne hinaufschritt. Drei Schüsse in die Luft - die unerwartet viel Wucht hatten für seinen eher schmächtigen Arm - dann klopfte er mit dem Waffenlauf vor dem Mikrofon an das Sektglas.
"Ladies und Gentlemen, darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten, wir sind heute Abend für Ihre Unterhaltung zuständig", griff er dann breit grinsend ein Zitat eines alten Filmstreifens auf, den er irgendwann einmal gesehen hatte. Dann rümpfte er kurz angewidert die Nase, als er einen abgerissenen Finger neben seinem Schuh bemerkte und diesen unauffällig von der Bühne trat.