...Oder warum Animes, Mangas und VNs bestimmte Dinge (nicht) zeigen.
Hallo ihr da draußen,
Es ist wieder einmal Zeit, dass ich mit euch über etwas sprechen möchte, was mich beschäftigt und worüber sich, glaube ich zumindest, auch gut diskutieren ließe. Bevor wir das aber tun können, muss ich erstmal etwas ausholen und erklären, worum um überhaupt geht.
Im Grunde genommen geht es um ein Thema, das so alt ist wie die bildnerische Kunst selbst und das vor allem auch im Realfilm auch heute immer wieder zum Thema von Kontroversen wird: Wenn in einem Werk etwas Schlimmes passiert, sollte das Werk das dann auch perspektivisch schonungslos darstellen?
Erste angeschlossene Frage: Was meine ich mit "etwas Schlimmes"? Nun, damit das hier nicht ausufert, würde ich mal sagen, dass ich vor allem Gewalt gegen andere Menschen (oder andere Humanoide) meine. Mord, Totschlag, Verstümmelung und aus gegebenem Anlass Vergewaltigung.
Im Realfilm
Im Realfilm gibt es da zahlreiche Einzelfälle, die zu ihrer Zeit für Aufsehen sorgten. Die berühmte Duschszene in Hitchcocks Psycho (1960), in der Janet Leigh erstochen wird, war für damalige Verhältnisse nicht nur erschreckend realistisch gehalten, sondern auch recht lang und blutig. Konservative Presse war damals geschockt und forderte selbst in den eher "schnittfaulen" UKs eine gekürzte Fassung.
Schon damals lautete eines der Hauptargumente der Kritiker: "Wir realisieren als Zuschauer schnell, dass [Marion] brutal getötet werden wird. Der anfängliche Schockmoment kommt und geht - welchen filmischen Wert hat es also, die stumpfe Gewalt noch darüber hinaus zu zeigen?"
Damals wurde auch kritsiert, dass die Kamera ungefähr die Perspektive des Mörders einnimmt und man als Zuschauer damit seine Perspektive als Täter "nachempfindet". So ein PoV-Shot war sogar Jahre später noch ein diskussionswürdiges Thema in den USA - zB in John Carpenters Halloween (1978), wo einige Slasher-Szenen aus Michael Myers Perspektive aufgenommen wurden.
Während diese Perspektiv-Geschichte heutzutage an und für sich nicht mehr weiter erwähnenswert oder schockierend wahrgenommen wird - wohl auch weil sie oft an Ego-Shooter-Ästhetik angelehnt sind, wie in Alien 3 (1992) oder Doom (2005) - ist das Gezeigte und die Entscheidung, wie lange "es" gezeigt wird immer noch hitzig debattiert.
Gleichzeitig wurde aber auch das Zeigen von sexuellen Inhalten und Gewalt immer weiter ausgelotet. Zum einen in Borderline-Pornograghischen Kinofilmen, wie im japanischen Im Reich der Sinne (1976), aber eben auch in Vergewaltigungen, die als Schockelement zB in Wes Cravens The Hills have Eyes (1977) eingesetzt wurden.
Deutschland führt uns als Konsumenten derlei Kram immer wieder mal vor Augen, wenn wir eine geschnittene Version im Handel erhalten oder gar eine Indizierung.
Gerade uns hier als Asia-Affinem Publikum könnte das allzu bekannt vorkommen.
Der koreanische Rachethriller I Saw the Devil (2011) erschien in Deutschland zB für ca. 2 Wochen in einer ungeschnittenen Black Edition, wurde dann aber nach einer Beschwerde erneut kontrolliert und daraufhin indiziert. Der Film zeigt schonungslos Folter und Verstümmelung. Größer noch war etwa zeitgleich der Aufschrei bei A Serbian Film (2010) - der sogar damit vermarktet wurde, neue Grenzen in Puncto Gewalt auszuloten...zum...naja, Selbstzweck. In Frankreich hat dieses Horror-Kino mit der New French Extremity sogar eine eigene Strömung kreiert, mit Auswürfen wie Martyrs (2008), Frontieres (2007) oder High Tension (2003) an der Front.
In all diesen Filmen geht es nicht bloß um Gewalt. Die gibt es in genügend anderen Filmen, die weniger diskutiert werden. Das Besondere hier ist viel eher, dass die Gewalt als solche zentral thematisiert wird und für verschiedene Zwecke in scheinbar unendlicher Ausführlichkeit gezeigt wird.
Kriegsfilme wie die Brücke von Remagen (1969), Die durch die Hölle gehen (1978) oder Full Metal Jacket (1987) zeigen Gewalt zum Beispiel mit dem Ziel der 'Verrohung'. Das Gezeigte soll so erschreckend und abstoßend sein, dass der Zuschauer von Krieg abgeschreckt wird. Gerade im Lichte der häufigen Heroisierung von Krieg im 20. Jahrhundert ein sinnvoller Gedanke, will man meinen.
New French Extremity, A Serbian Film und Co. streben aber etwas anderes an - und das finde ich bedenklich: Gewalt zeigen und erforschen, mit dem Ziel, etwas zu zeigen, was vorher noch nie (fiktiv) auf die Leinwand gebannt wurde. Gewalt zum Selbstzweck oder in diversen Gorefests sogar mit dem Ziel zu unterhalten.
Der Tortureporn, der der extremsten Gewalt einen gewissen Unterhaltungswert abgewinnen will, ist seit Saw (2004) ja schon unter Teenies salonfähig.
Im Realfilm herrscht also eine schwelende Debatte darüber, ob das Gezeigte wirklich (noch) als etwas Reflektiertes wahrgenommen wird oder ob die Gewalt heute verstärkt einfach nur gezeigt wird, weil es ein breites Publikum gibt, dass im basalen Sinne des Wortes 'blutrünstig' ist.
Man schaue sich dazu im Vergleich mal Peckinpahs Wer Gewalt sät (1971) und dann sein gleichnamiges 2011er Remake von Rob Lurie an und Vergleiche, worum es da inhaltlich geht.
Ähnlich, wenn auch etwas verwaschener ginge das wohl auch mit Funny Games (1997/2007).
Nun aber mal genug Realfilm
Im Anime-/VN-/Manga-Bereich
Das, worüber ich hier aber im Kern diskutieren möchte, ist unser J-Milieu. Die Entwicklung, die ich für den Realfilm nachgezeichnet habe, gilt für 'unseren' Bereich nur bedingt. Gewalt aller Couleur war schon immer ein Interessenfeld in animierter Kunst, was nicht zuletzt auch daran gelegen haben mag, dass es einfacher ist, extreme Gewalt als Zeichentrick am Zensus vorbeizuschleusen, als im Realfilm. Und daran, dass in Asien nochmal andere Hemmschwellen in puncto Gewaltdarstellung gelten.
Dennoch lässt sich durchaus nachvollziehen, dass Mangas voriger Jahrzehnte teilweise sehr viel differenzierter mit der Darstellung von Gewalt umgingen. Wo frühere Sci-Fi Geschichten wie Akira (1988) aus Versuchen an Menschen und übernatürlichen Fähigkeiten ein ziemlich ambivalentes Bild bastelten, werden vage ähnliche Prämissen später in Deadman Wonderland oder Psyren "Shounen"-fiziert und zur Legitimation für actionreiche kurzweilige Kämpferei genutzt. Sicher, auch die beiden arbeiten mit Abschreckung ob der schlimmen Dinge, aber die Marschrichtung ist merklich stärker auf Popcorn-Unterhaltung getrimmt.
Viel interessanter bzw. bedenklicher finde ich aber die Darstellung von Vergewaltigung in Manga&Co. Ich will das mal anhand einiger Beispiele illustrieren (Dezenter Spoileralarm):
Die Dämonennacht in Berserk birgt die wohl bekannteste Vergewaltigungsszene im gesamten Manga-Universum.
Kaska, eine der Protagonistinnen der Geschichte wird dabei von zahlreichen Dämonen und dem Antagonisten brutal geschändet und das vor den Augen des Protagonisten, an dessen Seite wir den Großteil der Geschichte erleben. Dieses qualvolle Ereignis bricht Kaskas Geist und hinterlässt bloß eine traumatisierte Hülle. Der Manga zeigt das Geschehen also in großer Länge, um die Tortur greifbarer zu machen und auch um zu vermitteln, wie sich Guts, der Protagonist, fühlen muss, der ebenfalls nur hilflos zusehen kann. Das ist, so lässt sich argumentieren, auch inhaltlich eine Schlüsselszene des gesamten Mangas, weil sie alle wichtigen Figuren maßgeblich prägt, den Plot fortan in eine bestimmte Richtung (Rache nehmen und Kaska "heilen") lenkt, Machtverhältnisse aufzeigt usw.
Interessant ist dabei die Zensur. Während der Manga keine sperrigen Schwarzen Balken führt, wird der Schambereich stets in Schatten gehüllt und kein direktes Eindringen verbildlicht. Stattdessen sehen wir Kaska umringt von Monstern mit eindeutigen Phallus-Formen, Blut, das aus ihrem Intimbereich zu kommen schein usw.
Berserk schafft es also, eine Vergewaltigungsszene lange zu zeigen, ohne wirklich den Sex zu thematisieren und reduziert stattdessen das Gezeigte auf seine Bedeutung für das Opfer: Schmerz, Angst, Gewalt. Durch dieses Nicht-Zeigen und Suggerieren ist die Szene auch nicht im geringsten als Erotik stilisiert.
Machen wir einen Zeitsprung zu einem Manga, der von einem ehemaligen Assistenten von Miura (dem Mangaka von Berserk) gezeichnet wird: Wolfsmund. Dort gibt es zahlreiche solche Szenen, in denen der Wächter einer Festung an einem Alpenpass Frauen demütigt, schändet und oft auch hinrichtet. Erneut geht es um sexuelle Gewalt, handfeste Vergewaltigung und dergleichen. Hier ist aber der Fokus anders. In eigenen Panels geht es um Penetration, um Schmerz und oftmals auch um die Verknüpfung mit Lust. Besonders beunruhigend ist dabei das wiederkehrende spöttische Lachen des Wächters, der unmissverständlich klarmacht, dass hier keine abstoßende Vergewaltigung stattfinden soll, sondern etwas auf makabere Weise Unterhaltsames. Zugleich zeigt der Manga auch häufig normalen Sex, der einigermaßen erotisch dargestellt wird und dann - durch Eingriffe von Außen - schlagartig in Gewalt umschlägt. Dadurch kreiert der Manga ein Bild von sexueller Gewalt, das sehr nah an Erotik angelehnt ist und in jedem Fall den reinen Shock-Value verliert. Da der Manga obendrein sehr episodisch ist, wirken die Darstellung oft zu detailliert, wenn man bedenkt, dass sie für die weitere Handlung keine Bedeutung haben.
Obwohl spätestens nach Band 1 jeder Leser wissen sollte, was der Kerl macht, wenn er eine Frau in die Fittiche bekommt, wird es in den Folgebänden immer wieder seitenweise ausgeschlachtet. Scheinbar, so könnte man denken, geht der Mangaka davon aus, dass das einen gewissen Schauwert hat.
Anderes Genre, anderer Manga: In Wolf Guy haben wir vermeintlich wieder einen Fall, wo Vergewaltigung eingesetzt wird, um als plotrelevantes Element zu gelten.
Der Loveinterest des Protagonisten wird gekidnappt, die Vergewaltigung wird angekündigt, wenn es der Protagonist nicht schafft, rechtzeitig einzugreifen. In gewisser Weise ein Berserk-ähnliches Motiv. Wie ihr euch schon denken könnt, ist er nicht rechtzeitig zur Stelle und so wird seine Suche nach der Geliebten immer wieder parallel von Bildern aus ihrer Vergewaltigung unterbrochen. Und hier stellen wir etwas fest, was einen Unterschied zu Berserk darstellt: Was als Schändung beginnt, gegen die sich die Frau wehrt, wandelt sich zu etwas, was ihr scheinbar mit der Zeit gefällt. Da wird urplötzlich mit "Porno-Ästhetik" gearbeitet, der Gewaltaspekt verschwindet und stattdessen wird die Szene in Sprechblasen mit wahrhaftem Porno-Jargon gefüllt. Auch wenn der Manga später enthüllt, dass es in gewisser Weise bewusst so gedreht wurde, dass auch der Protagonist diesen Eindruck bekommt, muss man doch verwundert feststellen, dass hier eine "einvernehmliche Vergewaltigung" gezeigt wird.
Wechsel des Mediums: In der VN Saya no Uta gibt es mehrfach Vergewaltigung zu sehen. Eine davon sticht besonders hervor, weil sie sich in einem Abschnitt ereignet, in der der Täter aus der Ich-Perspektive erzählt, was er da tut. Hier wird nun endgültig mit "Porno-Stellungen" gearbeitet, die nicht zensiert werden und auch die textliche Untermalung schwingt bedenklich nahe in Richtung eines billigen Erotikromans mit einem Hauptcharakter der von seinem "glühenden Schaft" spricht und die Handlung in einer Bildsprache schildert, die eher an einen Wikinger auf Kaperfahrt erinnert, als an ein schlimmes Verbrechen. Auch wenn man der Geschichte inhaltlich anrechnen könnte, dass das Visualisiert, wie der Protagonist dem Opfer die "Menschlichkeit nimmt", stellt sich die Frage, warum die explizite Darstellung gepaart mit dem eindeutig erotischen Text sein muss?
Hier schwingt die Rape-Thematik endgültig n Richtung von Fap-Material.
Loooong story short:
Ich halte es, wie so oft erwähnt, für sehr bedenklich, in welcher Art Gewalt unreflektiert in den Medien, über die wir hier reden, gezeigt wird. Meine Beispiele sollten da verschiedene Anwendungen einer bestimmten Art von Gewalt thematisieren - das ließe sich aber auch mühelos entlang von Mord oder anderen Vergehen illustrieren.
Meiner Meinung nach ist Gewalt ein erstmal legitimes Mittel, um dem Zuschauer zu vermitteln, wenn es etwas schlimm ist. Dabei sollte die Ausführlichkeit aber streng zweckmäßig sein und nur soviel zeigen, wie unbedingt nötig ist, um das zu verstehen, was uns damit handlungsrelevant gesagt werden soll.
Sobald solche Inhalt für ihren bloßen Schauwert gezeigt werden oder man gar versucht, sie in ein positives Licht zu rücken (zB als Erotik), bekomme ich Bauchschmerzen.
Mir erschließt sich nicht, warum solcher Kram eine Daseinsberechtigung hat und ich würde mich vielmehr freuen, wenn derartiger Kram nicht mehr produziert würde.
Und jetzt mag ich eure Meinung hören!
Kennt ihr Beispiele für sehr schwankende Gewaltdarstellung?
Gibt es Werke, wo euch explizit aufgefallen ist wie gut/schlecht/klug/stumpf mit solchen Themen hantiert wird?
Findet ihr, dass auch erotisierende oder ästhetisierte Gewalt eine Daseinsberechtigung hat in den (hiesigen) Medien?
Lest/Schaut/Spielt ihr Kram, wo sowas vorkommt? Mögt ihr das?
Habt ihr schonmal ein Werk speziell deswegen begonnen oder abgebrochen?
Achtet ihr darauf, wie Gewalt verwendet wird?
In diesem Sinne hoffe ich auf eine lebhafte Diskussion und lade euch alle ein, mit mir zu plaudern - Falsche Meinungen gibt es nicht und man muss auch kein Experte in den hiesigen Medien sein, um mitzureden.
Ich bin gespannt auf eure Reaktionen![]()