Zitat von
Luceija
Sie stolzierte schon beinahe über Omegas Straßen - wie preisgekrönt bahnte sie sich mit in viel zu schnell geschlüpften Klamotten, dessen Oberteil noch halb von ihrer Schulter hing, ihren Weg durch die verworrenen Straßen und ignorierte dabei die gierigen Blicke als sie unverblühmt die Creditchips auf Augenhöhe vor sich hielt und pinibel nachzählte. Sie schmunzelte verwegen, als ihr klar wurde, dass sie den fast schon bemitleidenswerten Typen, der ein Mitbringsel von ihrem Ausflug ins HiTension! - ein kleiner, unterbesetzter Club am regelrechten Hintern von Omega - gewesen war, um seinen gesamten Monatslohnt gebracht haben müsse. Selbst schuld, so dachte sie sich. Man war auch reichlich dumm wenn man glaubte, auf Omega würden einem die Frauen freiwillig in den Schoß springen. Besonders aber junge Söldner gab es hier zu Hauf, denen man allein schon des Reizes und Spaßes wegen die Creditchips nur so aus der Tasche ziehen konnte. Entsprechend triumphal erschien Luci auch ihre eigene Ausbeute, die sie nach ausgiebiger Betrachtung und der Vergewisserung, sich echte Chips erschlichen zu haben, mangels Hosentasche unter den Bund ihrer Hose klemmte.
Tief atmete sie den industriellen Staub des Asteroiden ein und wirkte dabei schon fast, als würde sie genießen was sie tat. Die Schultern hingen etwas lockerer, sie schien nicht mehr so verkrampft wie auf Trident und inzwischen heraufbeschworener Familienproblematiken, die weder in ihre Planung noch ihr Alter gepasst hatten. Geschweige denn zu ihrer Abstammung und das massive Ego, dass sich dahinter schlafen gelegt hatte.
Nach weiteren drei Minuten und Siebenundzwanzig Sekunden, kam sie endlich in ihrem zu Hause an und wenn man es sich jetzt besah, kam man sich vor als befände man sich an einem ganz anderen Ort. Nachdem sie vor etwas über einem Jahr bei ihrer Rückkehr nach Omega einen kleinen Ausbruch hatte und sich so manche Ausgangslagen in ihrem Leben geändert hatten, rieselten ein paar kleinere Investitionen in ihre heruntergekommenen vier Wände und ersetzten alles, was jemals auch nur mit einem Turianer-dessen-Name-nicht-mehr-genannt-werden-durfte in Verbindung stand oder nur daran erinnerte komplett. Das beinhaltete im Grunde alles. Der einzige Punkt war: Luceija war scheiß egal, welche Einrichtung sie hatte und letztlich gleichte die Wohnung schnell wieder einem absoluten Chaos.
Durch dieses Chaos bahnte sie sich jetzt ihren Weg, stolperte dabei über mindestens eine ausgetrunkene Flasche, die so streng roch, dass man nur auswählen musste, aus welchem Jahr der Fusel stammte und schmiss ein paar Einkäufe auf das erneuerte Bett, in das man nicht länger direkt fiel, wenn man eintrat sondern nun an der Wand unter ihrem einzigen Fenster stand - eine Entscheidung, mit der sie nicht sonderlich zufrieden war. Aus der glänzend-grauen Tüte rollten ein paar seltsame Gegenstände die weder nach Waffe, noch Drogen oder einem anderen Mittel aussahen, mit dem man sich selbst oder andere in unmittelbare Gefahr brachte. Tatsächlich waren es ein paar Äpfel (unterdessen lange nicht mehr von der Erde sondern aus diversen Kolonien, die noch Felder mit Apfelbäumen versahen), die sie in ihrem 'Zustand' mehr als dringend gebrauchen konnte. Essen allgemein - dessen Ermangelung wie Leif nun nachträglich herausfand, ebenfalls maßgeblich an ihrer Erkrankung und dem damaligen Koma gelegen hatten. Sozusagen eine Art Push in die Scheiße, wenn sie ohnehin schon bis zum Kinn stand.
Unwillkürlich griff sich die heute Neunundzwanzigjährige in den Nacken, zog einen Moment die Luft scharf ein und schlenderte dann ins Badezimmer, dessen Beleuchtung automatisch bei ihrer Ankunft ansprang. Nach einem Blinzeln warf sie Blicke in ihr unwirkliches Selbst: Wirklich maßgeblich zugenommen hatte sie nicht, aber die durch OP und magerem Krankenhausfutter eingefallenen Wangen waren endlich weg und man konnte sie wieder Menschlich nennen. Sogar etwas Farbe war zurückgekehrt. Der Körper glänzte noch immer in zierlichem Untergewicht, aber aus der drastischen Zone war Luceija nun endlich raus - so oder so wäre es bei ihrer hochgradigen Ernährungsumstellung früher oder später dazu gekommen. Über ihrer zierlichen Schulter, dessen Vielzahl von Narben sie gelernt hatte weitestgehend zu ignorieren und auch einige davon zu akzeptieren, lagen ihre verdammt langen, aalglatten Haare, die mittlerweile allerdings nicht länger in sattem Schwarz sondern in einem perfekt übergangslosen Türkis glänzten. Der Grund dafür war nicht weit von ihr entfernt und lag wackelnd auf dem Spülkasten der Toilette: Ein schmales Etui dutzend kleiner, absolut identisch aussehender Kapseln, die ausschließlich über eine winzige, eingepresste Nummern und eine im Deckel des Etuis eingelassene Beschreibung zu identifizieren waren. Typische, beinahe handelsübliche (aber entsprechend teure) Kapseln, die je nach Gusto und innerhalb kürzester Zeit dem Haar eine andere Farbe verleihen konnten ohne das Naturhaar zu schädigen, oder auch den Teint beeinflussen konnten. Die Packung aus ursprünglich zehn Kapseln war nun bereits bei einer mickrigen Anzahl an 4 Kapseln angelangt, ein kleines Glas in unmittelbarer Nähe mit viel kleineren Kapseln wäre für den Fall, die ganzen Modifikationen frühzeitig abzubrechen.
Hundert prozentig zufrieden war sie bei ihrem Anblick nicht, aber vermied sie so bei den meisten Gelegenheiten unangenehme Begegnungen. Die grell-grünen Augen, die mittels gefärbter Kontaktlinsen zu einem unauffälligen Hellblau modifiziert wurden, fanden nun zu ihrer alten Blüte zurück, als sie sich über das Waschbecken beugte und vorsichtig mit einem Finger die Linsen von ihren Augäpfeln hob. Darauf folgten Augentropfen, die die knallroten Äderchen zurück in die Unauffälligkeit verschwinden ließen. Jeden Tag das selbe Prozedere. Jeden Tag legte sie verschiedenfarbige Linsen ein, aber nochmal würde sie das alles nicht riskieren wollen. Vorsicht war bekanntlich die Mutter der Porzellankiste.
Nach weiteren fünfzehn Minuten und der Einnahme einer Gegenkapsel, die das Türkis von ihren Haaren spülte wie Terpentin von einer Farbwand, stiess sie wieder einmal auf diese Schere, die auf dem Rand des Waschbeckens neben einigen, anderen Utensilien lag. Und immer wieder kam ihr der selbe Gedanke, wenn sie sich in "natürlicher" Form, mit den unausstehlichen, schwarzen Haaren und den grauenvollen, grünen Augen sah. Sich mit den Elementen sah, die ihr mehr Leid als Freude verursacht hatten. Und angelte ihre feingliedrige Hand nach der Schere, packte in einem Schwall von Veränderungswut ihren Schopf und setzte das Schneidwerkzeug knapp oberhalb ihres Kinns an.. . Dabei tauschte sie entschlossene Blicke mit ihrem Spiegelbild. Tauschte letzte Emotionen aus. Stellte sich eine stumme Frage und rutschte beim ständigen Wiederholen dieser mit der Schere langsam immer tiefer. So lange, bis sie sie schließlich zurück ins Waschbecken warf und sich stattdessen lieber abwandte um sich zu duschen - den Schweiß dieses Typen abzuwaschen - und dann etwas anderes anzuziehen.
Es war Zeit zu gehen. Jemand schuldete ihr noch einen Drink. Und kein Tag war besser als der heutige.
Nach der geplanten Dusche schlüpfte sie in eine Art schwarzer Lederjacke, ehe sie das Haus verlies, die in Kombination mit einer schwarzen Synthetikhose, ihren üblichen Magnetsohlenstiefeln und einem längeren, hellgrau-weißen Oberteil wieder ziemlich nach der Luci aussah, die man von damals gewohnt war. Natürlich verzichtete die Halbitalienerin nicht auf Bewaffnung und Comm-Geräte, als sie sich zurück auf die Straßen Omegas aufmachte und ihre Lunge mit harmlosem Zigarettenrauch flutete, während sie ein paar Straßen weiter die Kneipe aufsuchte, die erst vor kurzer Zeit den Betrieb wieder aufgenommen hatte. Das Flamming Soul. Einst Brutstätte von Tom McMahom, der ihr nicht nur in einer Weise das Leben gerettet hatte. Jetzt aber hatte sie immer nur den Namen seines Freundes, den sie sicherlich schon 3 oder 4 Jahre nicht mehr gesehen hatte, Seamus O'Connell hier kursieren gehört. Und die Gerüchte, die sich im Einklang mit ihm bildeten und sich auch mehr als deutlich zeigten, seit sie die Überwachung auf Omega übernommen hatte, waren - sofern wahr - genau der richtige Anfang der Umsetzung ihrer Aufgabe.
An diesem Abend war Omega wieder ganz sie selbst: Unruhig, von Bass, Schüssen und konstantem Aufruhr geprägt und wunderschön mit Neonlichtern und Rauch durchzogen. Ihre Schritte zogen sie beinahe automatisch in die Richtung des beinahe schon schnuckeligen Eckpubs, der schon VOR der Türe eine beachtliche Kundschaft zählte. Die Kundschaft, die sie am meisten schätzte: Menschen. Ausschließlich Menschen. Das letzte Mal, als sich hier ein Alien rumgetrieben hatte (mal abgesehen von den Zeiten, als sich die Vorcha hier eingenistet hatten) schaute er direkt in den doppelten Lauf einer Schrotflinte. Sie wäre auch sicherlich schon früher hier gewesen, wenn es ihr kein Anliegen gewesen wäre den Kopf bis dato tief zu halten und so unauffällig wie möglich zu bleiben. Nachdem sie die meisten ohnehin für Tot hielten war das auch nicht all zu schwer. So war es für sie auch ein Leichtes, ins Innere des Schuppens zu kommen - auch wenn sie als Frau hier sicherlich etwas mehr auffiel als wenn sie ein Mann gewesen wäre - und sich beinahe schon demonstrativ dreist auf den Platz zu setzen, an dem sie vor etwa 3-4 Jahren auch Seamus gegenüber gesessen hatte. Sein damaliger Stammplatz. Die eher seichte "Drohung" war ihr bis heute bekannt.
Luci beachtete das Leben im Inneren des Flamming nur über Umwege - die Scheibe, an der sie direkt saß und sich in unscheinbaren Blicken nach draußen versuchte, spiegelte genug wider und lies sie beobachten... .