Nichteinmal achtzehn Stunden, nachdem Julian dem Turianer begegnet war, fand er sich bereits im Frachtraum - denn Passagierraum konnte man es kaum nennen - eines kleineren Raumkreuzers wieder. Die ungepolsterte Stahlbank am Rande des Raumes war längst unbequem geworden und so ging Julian unruhig vo dem einzigen schmalen Fenster auf und ab. Er beobachtete, wie die optischen Krümmungen der näheren Sterne sich gerade normalisierten und somit erkennen ließen, dass der erste Massenportalsprung gerade sein Ende fand. Bis zur Minos-Einöde, in der Invictus lag, waren es vom Omega-Nebel je nach Route mindestens zwei bis drei Sprünge und so schlussfolgerte er, dass sie sich nun gerade im Adlernebel befinden mussten und jetzt auf das Portal nach Minos zusteuerten. Er rieb sich beim Anblick der schwindenden grell-bunten Spektren die Augen, massierte dann mit Daumen und Zeigefinger das Nasenbein. Er hatte die Nacht zuvor kaum Schlaf gefunden.
Diese Reise war mehr als nur ein temporärer Ausflug aus Omega. Es war seine endgültige Fahrkarte in zivilisiertere Gefilde, in denen man mit genügend Geld auch vor Cerberus sicher sein konnte. Die gesamten letzten zwei Jahre hatte er nicht einmal ein Viertel dessen verdient, was Lop'Nor ihm bei diesem Job versprach. Da war das Risiko einer (wie so häufig) ausbleibenden Bezahlung oder gar schlimmerer Hinterhalte allemal gerechtfertigt. Dennoch wirbelte es in seinem Hirn umher wie seit langem Nicht. Prozentuale Erfolgsaussichten, Zahlen, die er selbst nichteinmal bewusst ausgerechnet hatte, schwirrten an seinem inneren Auge vorbei und erinnerten ihn an die Unwahrscheinlichkeit eines positiven Ausgangs, doch er ignorierte diese Stimmen, schob sie bei Seite, sodass sie ihn wie zur Strafe wach hielten. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und glitt langsam an ihr hinab, bis er in kraftloser Körperhaltung zum Sitzen kam und seine Sicht verschwomm.
Er schloss nur kurz die Augen, nicht einmal eine Sekunde lang, blinzelte im Grunde nur, doch als er die Lider wieder hob, fand er sich wieder auf der ihm so bekannten Wiese wieder. Diese perfekt flache, grüne, saftige Fläche, die keinen einzigen Hügel, nicht einmal einen kleinen Felsen ihr Eigen nannte, sondern nur in regelmäßigen Abständen von etwa einem Kilometer die immer gleiche Buche zeigte. Der Himmel war gehüllt in Einheitsblau und es war so still, dass man sich fürchtete, auch nur mit der Kleidung zu rascheln. Es war beängstigend perfekt, aber vor allem bizarr und surreal. Julian sah sich auf dem akkurat getrimmten Grün um, in dem er saß und sah dabei vor sich liegen den saftigsten Granatapfel, den seine Vorstellung nur herzaubern konnte. Dieser war bereits aufgebrochen worden und die rot glänzenden Perlen darin schrien geradezu danach, dass man sie zwischen den Zähnen zerplatzen ließ, aber als Julian nach dem Apfel griff, stellte sich ein schlanker Frauenfuß daneben im Gras auf. Julian blickte an den nackten Beinen der Gestalt aufwärts, die sich ohne große Überraschung als Ms. Watson entpuppte, welche ihn so oft in seinen Träumen besuchte und auch jetzt wieder ihr lockeres aber tristes, hellgraues Sommerkleid trug. Sie war attraktiv wie immer, aber ebenfalls wie immer schämte er sich, diesen Gedanken zu haben, so also könne sie es sehen. Sie blickte emotionslos, wie sie stets war, zu Julian herab und schüttelte nur langsam und tadelnd den Kopf, als sie auf den Granatapfel unter sich deutete. Unwillkürlich folgte Julians Blick der Geste und fiel auf den nun plötzlich verfaulten, grün-schwarzen Rest der eben noch so verführerischen Frucht. Eine kleine Menge Käfer schlüpfte plötzlich aus diesem korrumpierten Mutterleib und krabbelte wild umher, doch erst als einer davon Julians Finger berührte, war es ihm erlaubt, aufzuwachen.
Erst sein realer Körper hatte jetzt die Macht, zurückzuzucken, sich zu erheben und refelexartig die Käfer von der Kleidung zu klopfen, bevor er bemerkte, dass es diese nicht gab. Er seufzte erleichtert auf, wurde sich dann aber plötzlich dessen bewusst, wie lächerlich er wohl gerade wirkte, setzte daher schnell ein verlegenes Grinsen auf, als er sich zur Kamera in der Ecke des Raumes wandte.
"Alles in Ordnung, Dr. Ward?", ertönte kurz darauf eine Stimme aus den Lautsprechern, deren Klang er zwar nicht wiedererkannte, wohl aber den schlechten turianischen Akzent in Handelssprache.
"Sollten sie Sprung-Halluzinationen bekommen, seien Sie beruhigt, wir beenden gerade den letzten Sprung und erreichen in Kürze den Serpent-Nebel."
Der Doktor zuckte in sich zusammen und ein Ausdruck von Skepsis und Schock verzerrte seinen sonst so freundlichen Ausdruck.
"Serpent-Nebel? Aber das liegt doch nichteinmal auf dem Weg nach Invictus!"
"Kleine Planänderung, Doktor. Wir machen einen kurzen Zwischenstopp auf der Citadel und erledigen dort ein paar kurze Geschäfte. Bitte bewahren Sie Ruhe, oder ich und mein Co-Pilot hier müssen uns ihres kleinen Reisefiebers persönlich annehmen."
Er wollte empört widersprechen, doch ein Klicken aus dem Lautsprecher machte deutlich, dass die Verbindung abgeschaltet war und man ihm wohl ohnehin nicht mehr antworten würde. Stattdessen ließ sich Julian kraftlos auf der Stahlbank nieder, stütze den Kopf auf die Hand und griff sich seufzend ins Haar. Der Granatapfel hatte doch so köstlich ausgesehen.