Zitat von
Serpentes
Wenn du von einem "wichtigsten" Menschenrecht sprichst, führst du natürlich eine Hierarchie ein. Denn wenn es ein wichtigstes gibt, gibt es auch weniger wichtige. Man kann dann die Menschenrechte nach ihrer Wichtigkeit ordnen -> eine Hierarchie.
Von einer Hierarchie würde ich erst sprechen, wenn sich mal was darüber oder darunter ordnen würde. Ein Pickel auf deiner Nase verunstaltet dich zwar nicht so, daß Du mit einer Scheidung rechnen mußt, doch kann dir der im Augenblick so wichtig sein, daß dein Gesicht an Gewicht verliert.
Wenn ein Haus keine Türe hat, hat es zwar auch seinen Wert, doch wird es für die Bewohner auf Dauer etwas lästig, über die Fenster oder den Kamin einzusteigen. Mit dem Selbstbestimmungsrecht mache ich sozusagen die Türe auf zum Haus aller Rechte. Ist die Türe dann offen, und die Bewohner haben sich daran gewöhnt, nicht mehr über den Kamin ins Haus zu klettern, könnten andere Dinge wichtig werden. (Zu mutmaßen, größere Abwasserleitungen, weil sich so viele übergeben müssen, ist nicht notwendig, denn das Haus hat so ziemlich alles, was man braucht, damit sich viele darin wohl fühlen können.)
Selbstbestimmung ist das von äußeren Zwängen, die durch andere direkt verursacht werden, unabhängige Handeln. Selbstverwirklichung ist das Erreichen der persönlichen Ziele und Wünsche, die der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse dienen.
Deine Begriffsfüllungen mögen sich weitgehend mit dem allgemeinen Konsens decken, doch müssen die nicht zwingend den Tatsachen entsprechen. Wissenschaft ist ja immer nur ein Bemühen um den qualifiziertesten Konsens, der immer vom Wissen der Befragten, der Zustimmer und Ablehner abhängig ist. Bisherigen Bemühungen fehlt die Erkenntnis, daß das höchste Ziel aller wahrnehmbaren Erscheinungsformen der Schöpfung das Erreichen von Wohlgefühlen im weitesten Sinne ist. Auch das zweite, von Sozialpsychologen qualifiziert konsensierte Ziel "Macht" vermittelt letztlich nur Wohlgefühle und entsteht durch das nicht gerecht austarierte unabdingbare Gegengewicht "Unwohlgefühle" i. w. S.
Insofern wäre an dieser Stelle festzustellen, daß die Bedeutung, die ich im Augenblick der Selbstbestimmung beimesse, temporär ist. Defakto ist das Recht auf Zufriedenheit das allerwichtigste Recht überhaupt. Doch im Augenblick ist es, aufgrund des weit verbreiteten Mangels an Gerechtigkeit und Rechtsorientierung, wichtiger, das "Schlüsselrecht" oder Türöffnerrecht (wie auch immer) in den Vordergrund zu stellen, bevor unser Miteinander und Nebeneinander sich vollends in ein unerträgliches Aneinandervorbei und Gegeneinander verwandelt hat, dem nichts anderes mehr übrig bleibt, als zu eskalieren und uns vor unseren 9. Staatsbankrott zu stellen.
Wenn der Staat dir verbietet eine Mütze zu tragen, schränkt dich das in deiner Selbstbestimmung (und möglicherweise auch deiner Selbstverwirklichung) ein. Jetzt stell dir vor, der Staat verbietet dir gar nichts, du bist aber arbeitslos, hast keine Ausbildung, findest keinen Job und so langsam auch nichts mehr zu essen. Du hast immer noch das Recht selbst über dein Leben zu entscheiden, du darfst dir einen Job suchen, etwas zu essen kaufen und in den Urlaub fahren. Bringt dir aber nichts, dass du das darfst. Du kannst es nicht machen, weil du keine Ausbildung und keine Kohle hast. Du bist jetzt immer noch selbstbestimmt in dem Sinne, das du tun und lassen darfst, was du willst (natürlich immer ohne Zwang auf andere auszuüben), kannst dich aber trotzdem nicht selbst verwirklichen und dein Leben ist wahrscheinlich ziemlich miserabel. Das ist niemandem zu wünschen, deshalb gibt es auch noch das Recht auf Selbstverwirklichung bzw. gesellschaftliche Teilhabe. Es sichert, dass man zumindest die Möglichkeit zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse hat. Deshalb geben wir z.B. arbeitslosen Menschen Geld. Rechte alleine reichen nicht für ein minimal angenehmes Leben. Und gesetzmäßige Rechte sind es, die die Selbstbestimmung garantieren.
Das Erfordernis, ein Sozialsystem zu unterhalten, das allfällige Schwächen eines Systems abfedert, wird es vermutlich immer geben in so großen Gemeinschaften mit so vielen Selbstbestimmungs- Selbstverwirklichungs- und Fremdbestimmungs- wie Fremdverwirklichungsmöglichkeiten. Seit vielen Jahren unterhalten wir jedoch ein Sozialsystem, das unsere Gesellschaft irgendwann auffressen wird und daher nicht von Dauer sein wird. Diese Abartigkeit nun zu einer gewohnten Anspruchsgrundlage zu machen und dies zur Begründung der Notwendigkeit von mehr Selbstverwirklichung als Selbstbestimmung heranzuziehen, bringt uns beim Erreichen des eigentlichen Zieles nicht weiter. Nett, daß Du mir Gelegenheit gibst, es nochmal auf Hochglanz zu bringen mit deiner abschließenden Frage:
Was ich nicht verstehe, ist, warum du so einen Wirbel um das Selbstbestimmungsrecht machst. Ist doch eigentlich ne recht triviale Sache, das man das hat und auch, dass es wichtig ist. Ich habe nicht das Gefühl, dass sich darüber wenige Leute bewusst sind.
Alles, was in unseren Gesellschaften Unzufriedenheit verursacht, also das Erreichen des höchsten und einzigen "Endzieles" aller erschwert oder gar verhindert, beruht auf zu viel Fremdbestimmung, die sich nicht mit den jeweiligen Regelwerken deckt. Und dieser Ursache kommen wir nur bei, wenn wir massenhaft daran arbeiten, diese unrechte Fremdbestimmung zu kontrollieren und durch Verwirklichungen zu konditionieren.
Gibt's was Besseres? Dann laß' mal hören ...
Edit:
Um sich an mühsam entstandene,
liebgewonnene Überzeugungen zu klammern
und bei Widerständen "Recht" zu behalten, wie auch immer das ausgelegt wird,
verlieren Betroffene sehr gerne die Orientierung und das Wesentliche aus den Augen.
Die Konfliktwirtschaft als nicht geringer „Verdauungsapparat“ menschlichen „Inputs“
mit sehr vielen Mitarbeitern in der Medizin-, Rechts- und Politikwirtschaft,
hat seit Menschengedenken Konjunktur mit unanständigen Zuwachsraten.
Eigentlich hätte die Menschheit den Grips, und inzwischen
auch das Equipment, ihr destruktives Verhalten
dramatisch zu verändern.