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Auch Viraya wollte gerade etwas aufatmen, als der Krest langsam näher kam, zu ihr trat und ihr einen Dolch an die Kehle hielt. Er blickte Medin provokativ an.
"Du hast es gehört. Wenn du Faxen machst, stirbt sie. Wir brauchen nur einen von euch."
"Willst du wirklich mich töten?" Raunte Viraya. "Er ist deutlich stärker, die viel grössere Gefahr für euch, zudem..." Sie zögerte und liess unausgesprochen, was nicht ausgesprochen werden sollte. Er würde bestimmt noch weitere gute Argumente an ihrer Stelle finden.
Auch wenn Krest versuchte sich nichts anmerken zu lassen, schienen ihre Worte die gewünschte Wirkung nicht verfehlt zu haben. Sein Hirn war am arbeiten. Er schien hin und her gerissen, während Viraya geduldig abwartete.
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Der Paladin verkniff sich ein weiteres Lächeln. Er hatte beinahe vergessen, wie gefährlich Viraya sein konnte, wenn man sich mit ihr auf ein Spiel einließ, bei dem sie die Regeln kannte – oder sogar machte. Dieser Krest hatte keine Ahnung, weder von einem Spiel noch irgendwelchen Regeln. Medin hoffte, dass er das auch nicht herausfinden musste, aber so hatten sie nun schon einmal bessere Karten.
Der Trupp war inzwischen kampfbereit und ritt in scharfem Tempo los, um die Distanz zu ihren Feinden zu verringern. Sie wirkten entschlossen uns auch wie Leute, die ihr Handwerk verstanden. Wer weiß, vielleicht lief ja wirklich alles so glatt, wie Castor hoffte. Viraya und Medin würden ohnehin abwarten müssen, wie sich die Lage entwickelte.
Nach ungefähr einer Stunde hatten sie ein kleines Gehölz inmitten des hügeligen Buschlandes erreicht. Ein Späher erwartete sie dort und tauschte kurz Informationen mit Castor und Flavius aus. Sie waren zu weit weg, als dass Medin sie hören konnte, also schaute er sich etwas genauer um. Lange würde die Sonne nicht mehr am Himmel stehen. Die Feinde Usas würden bald ein Nachtlager errichten. Das war wahrscheinlich der Augenblick, in dem der Angriff stattfinden sollte. Der Platz, an dem sie jetzt hielten, war auch nicht schlecht. Er war relativ gut vor der Witterung in kalten Nächten geschützt und wenn man kein großes Feuer machte, war man auch nicht leicht zu entdecken.
Flavius rief einen Befehl, der keinen Zweifel mehr zuließ. Jetzt ging es los! Während Sir Castor noch in einer kurzen Rede die größe Usas und die Überlegenheit seiner Zivilisation über die Bergwilden beschwor, zurrten einige der Soldaten ein letztes Mal die Riemen ihrer Rüstungen fest. Dann setzten sich die Reiter mit gezogenen Waffen und gespannten Armbrüsten in Bewegung.
Krest, Viraya und Medin blieben zurück. Sie banden ihre Pferde an ein paar Äste und während die beiden Gefangenen die Gelegenheit nutzten, sich nach einem langen Ritt mal wieder auf weichen Boden zu setzen, blieb ihr Bewacher einige Schritt entfernt stehen. Medin musterte ihn genauer. Er war ungefähr so groß wie er selbst, vielleicht etwas stämmiger und trug Wams, Kettenhemd sowie Metallschienen an Armen und Beinen. Bewaffnet war er mit Bogen, Langschwert sowie einer kleineren Streitaxt. Auf der Brust prangte stolz das Löwenschiff seines Herrn.
„Was glotzt du so?“, fragte Krest und ein leichtes Vibrieren in seiner Stimme verriet, dass er sich alleine mit zwei Gefangenen wartend unwohl fühlte.
„Schöne Rüstung“, antwortete Medin. Er wollte nicht, dass Krest jetzt schon Panik bekam und vielleicht dumme Sachen machte. Noch nicht. „Hab früher selber mal an welchen gearbeitet. Hält einiges aus und ist bestimmt besser als alles, was die Bergbewohner haben.“
„Pff.“ Krest spuckte auf den Boden. „In spätestens einer Stunde sind die anderen wieder hier, das wird ein Kinderspiel. Also macht bloß keine Dummheiten.“ Er blickte zwischen Viraya und Medin hin und her und es war klar, wen er gerade für entbehrlicher hielt.
„Können wir gar nicht“, hob Medin abwehrend die verketteten Hände. „Aber wenn doch Banditen hier als erste vorbei kommen, dann mach uns los. Die sind zu uns bestimmt nicht freundlicher als zu dir.“
„Das hättest du wohl gerne.“ Der Soldat grinste dreckig, aber machte sich dann wieder daran, nicht nur die Gefangenen, sondern auch die Umgebung im Auge zu behalten. Ein weiterer Zweifel gesät.
„Und, hast du schon eine Idee, was du mit ihm machen willst, falls er Panik bekommt?“, flüsterte Medin nach einem Augenblick zu Viraya, als ihr Bewacher außer Hörweite war. Ihre Möglichkeiten waren bei weitem vielfältiger als die des Südländers. Er könnte Krest in einem unaufmerksamen Augenblick versuchen zu überwältigen. Sie könnte versuchen, ihn gefügig zu machen, noch mehr zu verunsichern, oder ihn in einem noch unaufmerksameren Moment überwältigen.
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"Vielleicht."
Entgegnete die Diebin ganz leise ohne mit der Wimper zu zucken, während ihre flinken Finger sich um etwas schlossen, dass Krest zuvor noch besessen hatte. Es war ihr aber zu riskant es Medin zu zeigen. Stattdessen wandte sie sich an die Person, die sie bewachte.
"Krest, warum eigentlich dieses ganze Aufsehen wegen der Leiche eines unbedeutenden Mannes und eines Briefs?"
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Harrowgate-Anwesen in der Stadt Gorthar
Dumak hatte sich einen Überblick verschafft. Sarkophage standen säuberlich in Nischen und in einigen Nebenräumen ebenfalls. Ihre Anzahl bedeutete: Entweder wurde diese Gruft schon lange benutzt oder kürzlich gab es eine Epidemie in der Stadt. Aber da er von so einem Ereignis wohl gehört hätte, blieb nur erstere Vermutung übrig. Doch etwas beschäftigte ihn weitaus mehr. Der Barde hatte erkannt, dass es kein Entrinnen aus dieser Gruft gab. Fenster waren keine zu entdecken. Weshalb auch? Nur einige sehr kleine und schmale, vergitterte Lichtlöcher hoch oben in den Gewölben, in der Nähe der Außenmauern. Offenbar wollten die Erbauer der Gruft vermeiden, dass die teuren Toten aus Versehen herumwanderten und nach draußen abhanden kämen.
So blieb ihm nichts anderes übrig. Mit einem Seufzer klopfte er an das fest verschlossene Tor, dass den einzigen Eingang bildete.
»Hallo?! Kann mich jemand hören? Hallo!«
Er klopfte lauter.
Und hörte dann auf.
Es hörte ja doch niemand. Die Götter hatten ihn vielleicht doch fallengelassen und ihn wie eine Spielfigur an die passenden Stelle zum Sterben verschoben.
Plötzlich - er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit er mit den Fäusten das Holz des Tores malträtiert hatte - hörte er das Schlurfen von Schritten in der Stille. Ein Riegel wurde weggeschoben und mit einer Mischung aus Quietschen und Knarzen öffnete sich ein Torflügel ein Stück weit. Hoffentlich waren nicht die Wachen aus dem Obergeschoss hier unten auf ihn aufmerksam geworden.
»He! Ist da jemand?« hörte er eine Stimme. Wegen des gleißenden Lichtes hatte der Barde die Augen zusammen gekniffen.
»Ja, ich! Hier!«, rief er, als ob das etwas erklärte.
»Wer bist du und was tust du hier?«
Langsam gewöhnte er sich wieder an die Helligkeit. Ein Mann mit weißem Bart, einfacher Arbeitskleidung und einer Harke in der Hand stand vor ihm.
»Mein aufrichtiges Beileid zum teuren Verlust für dieses ehrwürdige Haus. Ich habe hier Totenwache gehalten und muss wohl eingeschlafen sein und als ich wieder erwachte, war alles dunkel und verschlossen«, behauptete er, schnell improvisierend.
»Ähm ... die letzte Beerdigung war vor zwei Monaten«, wunderte sich der Gärtner.
»Jaaaa ...« , begann Dumak gedehnt, »... das erklärt, warum ich mich auch besonders ausgeschlafen und tatendurstig fühle! Ich könnte Berge versetzen!«
Oder mit Höchstgeschwindigkeit aus merkwürdigen Gruften türmen.
Was er dann auch tat. Schnell hinaus durch die Tür, ehe sie wieder zugestoßen wurde, den verdutzten Bediensteten weggestoßen, die Treppe hochgejagt in zwei, drei großen Sätzen und dann war er schon im Garten, der das Anwesen umgab und sprintete auf den hohen Zaun zu, war mit einem Sprung auf dem Sockel, zog sich fast im selben Augenblick an den schmiedeeisernen Stäben hoch und kletterte über die speerartigen Zaunspitzen.
Gekonnt ließ er sich auf der anderen Seite auf die Straße fallen.
»Au!«
Ein scharfer Schmerz durchzog sein linkes Fußgelenk.
»Verdammter Mist!«
Das mit dem gekonnt war dann wohl eine leichte Ausschmückung gewesen. Alles andere, was passiert war, war hingegen die pure Wahrheit. Denn Wahrheit war ja das, woran man glaubte. Also glaubte Dumak fest daran, dass er Totenwache gehalten hatte. Fertig. Dumak würde niemals lügen. Nur ausschmücken.
»Und jetzt schnell zurück ins Kopflose Einhorn«, murmelte er zu sich selbst.
»Die werden staunen«, frohlockte er.
Der Schmerz von eben war schon wieder vergessen. Schnell hatte er die Gasse hinter sich gebracht und war auf einer etwas belebteren Straße gelandet, wo er sich unauffällig unter die Passanten mischte.
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»Hey, Gomez!«, freute er sich, als plötzlich ein großes haariges Etwas auf ihn zugerast kam, sich dabei nicht um die Passanten scherte und manch einer von ihnen mit einem Fluch auf den Lippen das Gleichgewicht suchte, angerempelt von dem großen Hund, der alles durcheinander wirbelte.
»Ja du bist ein ganz feiner, ja das bist du!«, freute sich Dumak, als ihn Gomez erreicht hatte und ihn ansprang, um ihm das Gesicht abzulecken.
»Jetzt reicht es aber«, lachte der Barde, nachdem die lange Zunge des Hundes alles vollgesabbert hatte.
»Ich wusste doch, du findet mich, du bist ein guter Spürhund!«
Dumak kraulte seinem Hund den Hals, der seine Zunge hechelnd aus dem Maul voller scharfer Zähne hängen ließ.
»Und jetzt ab zum Kopflosen Einhorn! Wir fordern den Wetteinsatz ein!«
Frohgemut bog er aus der Straße ab, die kurz davor war, in den zentralen Markt Gorthars zu münden.
Nach kurzer Zeit, nur wenige Straßen weiter, an einem der kleineren Märkte für spezielle Güter stand er vor dem Wirtshaus, dass dafür bekannt war, den nicht ganz so legalen Händlern als Treffpunkt zu dienen. Der griesgrämige Wirt mit dem Holzbein, der ständig mit seinem schmierigen Lappen, der wahrscheinlich schon die Herrschaft Rhobars I. über Myrtana erlebt hatte, über seine Theke wischte, als ob er sie damit in irgendeiner Form sauberer bekäme, würde sich sicher auf die ihm eigene Weise freuen, Dumak wiederzusehen.
»Heiho, da bin ich wieder!«
»Bestell was oder verschwinde«, knurrte Sador, als Dumak an der Theke auftauchte.
Ja, das war pure Freude!
»Einmal Rachenputzer!«
»Was?«
»Na den dreckigen Schnaps, den es hier sicher gibt. Hausmarke.«
»Pass mal auf, mein Junge!«, hub der Wirt an.
Dumak fühlte sich geschmeichelt. Anscheinend hatte er sich doch noch ganz passabel gehalten, um als Junge angesprochen zu werden.
»Du nimmst dir jetzt den Eimer und sammelst den Mist hinten im Stall ein, wo die Maultiere und Pferde der Reisenden stehen.«
Hinter der Theke flitzte ein vielleicht Dreizehnjähriger hervor, in den Händen Eimer und Schaufel.
»Und jetzt zu dir Spaßvogel«, wandte sich Sador an den Barden.
»Erstens. Hunde sind hier nicht erlaubt. Das ist ein ordentliches Gasthaus. Gehobener Standard und so weiter. Zweitens. Wir führen hier keinen Fusel. Nur die Marken derjenigen gortharischen Kaufherren, die mit eigenen Spirituosen handeln. Als da wären Growender Alter, ein ganz exquisiter Weizenschnaps, mindestens vier Jahre im Eichenholzfass gelagert. Dann Van Diemen, ein Weinbrand aus besten Archolos-Weinen mit einem Hauch von Pinienzapfen und Syoskraut. Und zuletzt Harrowgate, der nach gemälzter Gerste schmeckt. Also was soll's sein?«
»Ähm ... ein Bier?«
»War ja klar. Hier. Und danach bist du weg. Mitsamt deinem Köter.«
Der Wirt schob einen hölzernen Krug über den Thresen und Dumak zahlte mit seinen letzten Münzen. Gomez legte den Kopf schief, sah Sador an und ließ die Zunge aus dem Maul hängen.
»Will der jetzt auch ein Bier?«
»Nein, nein«, beeilte sich Dumak, zu erklären.
»Der mag dich bloß. Komischer Hund.«
Er zerrte ihn weg, so gut das mit dem Krug Bier in einer Hand ging.
»Komm, Gomez. Wir suchen Jadefuchs und ihre Bande.«
Er schaute sich um im Gewühl der Gäste. Händler, die entweder gute Geschäfte begießen oder verpasste Gelegenheiten in Alkohol ertränken wollten, waren ebenso Besucher des Kopflosen Einhorns*, wie einfache Träger, die sich von der anstrengenden Arbeit entspannen wollten, Diebesbanden, die hier Informationen zu erhalten hofften und Leute, die er in Ermangelung von weiteren Informationen erst einmal als Gäste klassifizierte.
»Ah, da sind sie«, freute er sich, als er die schwarzhaarige Frau erspäht hatte. Wie erwartet, saßen sie an einem der Tische, weit zurückgesetzt in einer Ecke, die sich gut verteidigen ließ im Fall der Fälle.
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*Dass ein kopfloses Einhorn auch einfach ein kopfloses Pferd sein konnte oder sogar nur ein kopfloser Esel, da das entscheidende Merkmal eben fehlte, war entweder ein Detail, dass dem Wirt bei der Namensgebung entgangen war, oder dass gerade illustrierte, dass die übliche Kundschaft des Gasthauses schon einmal gerne einen Ring aus Messing, der aus Sentarer Massenproduktion stammte, als seltenes Setarrifer Erbstück aus alter Familie an den Mann bringen wollte. Es hing eben immer davon ab, was man in dem jeweiligen Objekt sehen wollte.
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»So und jetzt ab zum Pfandleiher!«, rief Dumak Gomez zu, als sie das Kopflose Einhorn verlassen hatten.
In seiner Hand hielt er ein schönes, rundes Säckchen mit Gold, dass er im Austausch gegen eine kleine Alabasterfigur erhalten hatte, die aus dem Saal im Obergeschoss des Harrowgate-Anwesens stammte. Seine Geschäftspartner waren sehr daran interessiert gewesen. Doch nun war es ihm genug, er hatte beschlossen, sich nicht weiter in die Spielchen der Gortharer Oberschicht hineinzuziehen lassen. So wie er es aus den Worten der Schwarzhaarigen zusammengesetzt hatte, war dies ein spiel unter den Häusern: Den anderen zu beweisen, dass ihre Anwesen nicht sicher genug vor den eigenen Leuten waren, indem man dort einbrach, etwas mitgehen ließ und dies dann gegen Lösegeld wieder zurück gab. Wer lange genug solchen Diebstahlversuchen widerstehen konnte, besaß das höchste Ansehen. Aber die Rangliste änderte sich ständig.
Egal, er hatte seine Belohnung erhalten und würde als erstes die kostbare Laute zurückholen, die er versetzt hatte, als ihm nichts anderes mehr übrig blieb.
Wenn da nur nicht dieses diffuse Gefühl gewesen wäre, beobachtet oder verfolgt zu werden. Dumak hatte genug Erfahrung gesammelt, um dieses Gefühl nicht einfach als unsinnig und eingebildet abzutun. Er suchte nach Straßen, die besonders belebt waren, um zu versuchen, in der Menge unterzutauchen. Das war in Gorthar kein Problem, denn nahe des Hafens und rund um die verschiedenen Märkte war immer etwas los. Jedenfalls tagsüber. Bei Nacht sah das schon wieder anders aus.
»Komm, Gomez! Hier entlang.«
Der große Hund folgte ihm um die Ecke eines hoch aufragenden Hauses mit gemauertem Erdgeschoss und zwei aufgesetzten aus Fachwerk. Hier war er schon in der reicheren Gegend, wo große Handwerksbetriebe, Manufakturen, ihren Sitz hatten. Töpferwaren wurden in Gorthar ebenso in Massen gefertigt wie billiger Schmuck aus Messing oder Woll- und Leinengewebe. Die vielen Schiffe der Gortharer Handelsherren brachten diese Waren neben vielen anderen über alle Meere an ferne Ziele, wo sie sich mit viel Profit verkaufen ließen. Wenn Rhobar III. Myrtana zum nachhaltigen Aufschwung verhelfen wollte, dann hätte er es Gorthar gleich tun sollen. Aber der König war eben eher ein Krieger und kein Krämer.
Zwei Straßen weiter erreichte Dumak den Markt der Fleischhauer, Bäcker und Bauern des Umlandes. Dieser Markt fand jeden Tag statt. Gelegenheiten, hier in der Masse der Käufer und Flanierenden zu verschwinden, war günstig.
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»Keine Hunde auf diesem Schiff!«
Die Wache, die an der Laufplanke stand, schien nicht gewillt zu sein, irgendeine Ausnahme zuzulassen.
»Jaja, schon gut, ich wollte sowieso nicht nach ... wohin gehts nochmal?«
»Die ›Stolz von Gorthar‹ fährt nach Thorniara«, bellte der Wachmann. Anscheinend hatte er Freude daran, zu brüllen.
»Ach, da wollte ich sowieso nicht hin. Thorniara ist doch nur ein Drecksnest!«
Dumak beeilte sich, Land zu gewinnen.
»Pah!«, rief er Gomez zu, als er am Kai entlang rannte, was der Hund als lustige Jagd interpretierte und freudig mit heraushängender Zunge an Dumaks Seite entlang jachterte. »Wir können überall hin fahren, denn wir kommen überall zurecht.«
Sie hatten nach Meinung des Barden genug Abstand von der unfreundlichen Wache gewonnen und Dumak verfiel wieder in ein normales Schlendern. Das war auch viel praktischer, da die Laute, die er dank der Belohnung für den Beweis, dass er im Harrowgate-Anwesen gewesen war, erhalten hatte, mit Leichtigkeit wieder auslösen konnte. aber er hielt es für geraten, dieser intriganten Handelsstadt erst einmal für eine Weile den Rücken zu kehren. Gorthar war einfach ein zu heißes Pflaster. Irgendwo in Myrtana, diesem leicht debilen Reich aus Bauern, die mit ein paar Holzhütten zufrieden waren und wo sich alle damit beschieden, einmal in der Woche Innos zu preisen, auf die Orks zu schimpfen und zu erklären, dass früher alles besser war - was offensichtlich Unfug war, denn früher war das Reich von den Orks besetzt und ziemlich zugrunde gerichtet worden - wäre er erst einmal besser aufgehoben, hatte er beschlossen. Außerdem war Gold dort mehr wert.
Der Barde hatte einige Dinge, die er bei seinem Auftrag hatte mitgehen lassen, sicher deponiert und erst jetzt wieder aus dem Versteck geholt. In Al Shedim oder von ihm aus auch in Vengard würde er einen besseren Preis erzielen für ein paar kitschige Figuren nackter Badenymphen aus purem Gold. Neureiche Varanter oder myrtanische Handelsleute, die meinten, etwas darstellen zu müssen, würden sich die sicher gerne in ihre Geschäftsräume stellen, um ihre in Sachen Geschmack genauso ungebildeten Geschäftspartner zu beeindrucken. Auf Argaan würde er nur kritische Blicke ernten, da war noch zu viel Expertise unterwegs, auch wenn das alte Reich von Setarrif so ziemlich auf den Hund gekommen war.
»Natürlich nicht auf dich«, rief er Gomez zu. »Du bist ein ganz feiner Hund. Ja das bist du!«
Dumak versuchte es bei einem neuen Schiff. Der Kai war lang und er hatte Zeit.
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Die schwere Segelleinwand fiel, befreit von den Segelreffs, nach unten. Wind fing sich in den Falten des Stoffes und blähte ihn auf, während die Männer, die das Segel gelöst hatten, die Wanten herunter kletterten. An Steuerbord hantierten einige Männer der Schiffsbesatzung mit langen Stangen, um die ›Atlan der Große‹ von der Kaimauer zu entfernen. Hafenarbeiter hatten die Trossen von den Pollern, an denen das Schiff festgemacht war, gelöst, andere an Bord holten die schweren Taue an Bug und achtern ein. Das Schiff gewann an Fahrt.
»Auf nach Khorinis!« jubelte Dumak.
Leider hatte er keinen Schiffer gefunden, der nach Vengard und ihn gleichzeitig mitnehmen wollte. Wie so oft musste er also Kompromisse machen.
Von Khorinis hatte er zwar nicht viel Gutes gehört in den letzten Jahren, es hatte sichr von einer wichtigen und reichen Handelsstadt in einen eher fragwürdigen unregierten Außenposten des Myrtanischen Reiches gewandelt. Und Orks sollten dort auch noch ihr Unwesen treiben ...
›Man fragt sich, weshalb der blöde Rhobar dort nicht ein paar Schiffe hinschickt, um aufzuräumen und sich dann am magischen Erz des Minentals eine goldene Nase verdient und Myrtana zu einem reichen Land macht‹, dachte der Barde sich. Kein Wunder, das die Könige immer Rhobar hießen, mit dem Namen wurde wohl auch immer wieder ihre Ideenlosigkeit vererbt. Aber was wusste Dumak schon ...
»Khorinis ist so gut wie jedes andere Ziel«, erklärte er Gomez, der ihn mit schiefem Kopf anschaute, die Zunge ein wenig aus dem Maul hängend.
»Früher sind die Schiffe Umwege gefahren, nur um in Khorinis anlegen zu können«, erzählte er weiter. »Die Seemänner waren heiß auf einen Besuch der Roten Laterne und selbst die einst mächtige Händlergilde Araxos hatte in Khorinis eine Faktorei, einen Baustein in ihrem weitgespannten Netz. Du wirst schon sehen, es wird großartig. Auf der Insel gibt es reiche Bauernhöfe und ein berühmtes Innoskloster.«
Moment, was erzählte er denn da? Was interessierte ihn das blöde Kloster? Dort konnte er weder Lohn für seine Lieder erwarten, noch gab es dort viel, was in Dumajs Taschen umverteilt werden konnte .
»Wir bleiben in der Stadt, Gomez«, korrigierte er sich. »Dort gibt es bestimmt einen guten Platz für uns am Markt, neben dem Freibierstand. Ob es den überhaupt noch gibt? Ohne Miliz auch kein Freibier.«
Dumak schaute über die Reling nach Gorthar zurück. Das Gewirr der vielen Schiffe im Hafen blieb hinter ihnen zurück. Die Stadt breitete sich in ihrem Panorama breit in der Landschaft aus, überragt von der Herzogsburg, in der seit einigen Jahren nun nach dem gewaltsamen Tod des letzten Herzogs die Gilde der Kaufleute die Geschicke der Stadt bestimmte. Ob zum Besseren ... daran konnten legitime Zweifel angemeldet werden, fand Dumak.
»Und von Khorinis gelangen wir im Handumdrehen direkt nach Vengard, du wirst schon sehen!«, redete er mehr sich als seinem Hund Mut zu, die Gedanken wieder in Richtung Zukunft gerichtet.
»He, du da«, rief ein vierschrötiger Kerl, der vom Achterkastell herunter kam, ihm zu. Dumak schreckte aus seinen Träumereien auf.
»Der Eimer steht dort drüben.«
Er wies auf einen am Großmast stehenden hölzernen Eimer, neben dem eine Art Wischmop lehnte.
Achja ... er musste ja arbeiten für die Überfahrt. Lustlos, aber nicht so lustlos, dass es auffiel, schnappte sich der Barde den Eimer und begann seine monotone Arbeit.
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Ihr Bewacher blickte noch einmal zu Medin und dann wieder zu Viraya, die ihm die Frage gestellt hatte. Er zögerte kurz – gerade lang genug, dass es auffiel.
„Was interessiert euch das?“, entgegnete er und schien dann zu bemerken, dass das eine ganz schön dämliche Antwort war. Immerhin war der einzige Grund, weshalb sie gefangen durch die Pampa geschleppt wurden, diese namenlose Leiche auf dem Gebirgspass.
„Lass gut sein“, begann Medin gelangweilt in der frisch bereiteten Kerbe zu arbeiten. „Dem wird nichts erzählt. Sonst hätten sie ihn auch nicht für uns abgestellt.“
„Hältst dich für ganz schlau, was?“, blaffte Krest daraufhin, sichtlich bemüht sich nicht provozieren zu lassen, und tätschelte das geschliffene Blatt seiner Axt. „Was hältst du davon, wenn ich dir dein Grinsen ein bisschen verbreitere?“
„Ganz ruhig.“ Klingelnd hob Medin die Hände. „Wir wollen doch nur wissen, warum wir hier in der Kälte darauf warten, entweder von dir einen neuen Scheitel gezogen zu bekommen oder von den Wilden massakriert zu werden. Das muss ja ungeheuer wichtig sein, wenn ein Adelsspross mit einem dutzend Haudegen ausrücken muss.“
„Klar ist es das, sonst wären wir alle nicht hier.“ Krest spuckte aus und begann sich wieder etwas zu entspannen. Seine Brust drückte er ein wenig heraus und ein Grinsen erschien auf seinem Gesicht. Aber die Art und Weise des ganzen Gebarens verriet einen Hauch Unsicherheit. Etwas, das Medin als Dissonanz von dem, was er eigentlich erwartet hatte, wahrnahm, und auf das er sich noch keinen Reim machen konnte. Der Südländer senkte die Augen leicht gen Boden.
„Glaubt mir, dass ihr in den besten Händen seid“, fuhr Krest vor allem an Viraya gewandt fort, während er mit den Schultern zuckte. „Es geht um eine Aufklärungsmission, politisch wichtig oder so. Mit Politik habe ich nichts am Hut. Wir haben schon so manche Mission erfolgreich hinter uns gebracht und der Lord hält große Stücke auf uns. Das hier wird nicht anders und wenn ihr ordentlich mitspielt, passiert euch nichts. Ansonsten kann ich für nichts garantieren.“
Medin blickte nicht auf. Dass Krest keine Ahnung hatte, warum sie die Leiche finden mussten, war klar. Was ihn aber ein wenig beunruhigte war, dass Krest Angst zu haben schien. Und die schien nicht nur von den Widrigkeiten dieses Berglandes herzurühren.
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Viraya lauschte angespannt. Sie liess die Stille nach den letzten Worten etwas setzen. Sie muster schwer auf Krest lasten nach der kurzen Konversation mit Medin, denn ihr Bewacher wurde noch nervöser. Die Frau mit dem schwarzen Haar wartete noch etwas länger, bis sie Krest ansah, dass sein Mund sich ganz leicht zu regen began. Als würde er sich mit dem Gedanken anfreunden das Thema zu wechseln. Bevor er das allerdings tun konnte, sprach sie ganz ruhig, zwischen bragend und verstehend.
"Castor."
Dabei liess ihre Stimme sehr viel Raum für Interpretation. Es war nicht klar, ob sie Angst hatte und vor ihm beschützt werden wollte, ihn anklagte, ihn fürchtete, ihn respektierte, ihn kannte oder was auch immer das Gehirn einer sowieso schon verunsicherten Person hinein interpretieren würde und es verfehlte seine Wirkung nicht. Krests Gesten deuteten Verunsicherung an. Er spielte mit den Fingernägeln, nur um Augenblicke später seinem Gesicht einen sehr ernsten Ausdruck zu verleihen. Zu ernst. Sie schaute ihn an. Ganz ruhig. Sie hatte keine Angst egal was passieren würde. Das hatte sie gelernt. Ihr Leben war nicht so wichtig. Aber Krest schien noch nicht das Zeitliche segnen zu wollen und gerade davor schien er Angst zu haben. Es war an der Zeit noch etwas weiter in die Kerbe zu schlagen, die Medin so gut vorbereitet hatte.
"Aber wie kannst du uns garantieren, dass nichts passiert wenn wir kooperieren? Was wenn eure Männer überwältigt werden? Und ist dir aufgefallen, dass es dunkler geworden ist? Unnatürlich dunkel. Ich bin mir nicht sicher, ob eure politischen Spiele das Gefährlichste hier ist."
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Wieder Stille. Krests Lippen waren zusammen gepresst, seine erzwungene Entspannung verschwunden. Die Augen fixierten Viraya durch die Abenddämmerung hindurch. Medin hob den Blick wieder. Etwas begann in Krest zu brodeln, das konnte er sehen. Sein Körper spannte sich noch etwas weiter. Alles war viel zu ruhig ...
Er hatte den Gedanken noch nicht beendet, als plötzlich das viel zu nahe Knacken von Geäst die drückende Stille durchbrach. Alle drei fuhren in die Richtung des Geräusches herum. Krest riss seine Axt vom Gürtel, doch für einen Augenblick passierte gar nichts. Dann sprang eine Gestalt aus dem Unterholz. Ein lauter Schrei. Stahl traf auf Holz, ein Handgemenge entstand. Medin – unbewaffnet und gefesselt – wich nach hinten zurück, als er aus dem Augenwinkel eine zweite Gestalt ausmachte, die auf ihn zustürmte. Er dachte gar nicht nach, sondern warf sich instinktiv in Richtung des Angreifers und verkürzte damit die Schlagdistanz für diesen unerwartet. Ein helles Licht schoss durch die geschlossenen Augenlider, als die Köpfe zusammenstießen. Beide Körper prallten aufeinander und stürzten mit einem lauten Stöhnen zu Boden. Der Paladin rollte zur Seite und griff nach dem Knüppel, den der Angreifer hatte fallen lassen. Er bekam ihn zuerst zu fassen, doch keinen Augenblick später hatte auch die dunkle Gestalt – ein stämmig wirkender Mann, der um einiges schwerer als Medin sein musste – die Hände an dem Knüppel. Für einen Moment zerrten beide an der Waffe. Noch immer durch die Ketten eingeschränkt versuchte Medin eine Drehung und kam hinter den Mann, ohne die Hände vom Holzschaft zu lassen. Ein starker Ellenbogenstoß in die Brust war die Quittung und er schnappte nach Luft. Mit aller Kraft stieß er sich nach hinten und fiel um, den Kämpfer mitziehend. Hart schlugen beide auf dem Boden auf und Medin drückte es die letzte Luft aus den Lungen. Doch er klammerte sich nach wie vor mit allem, was er hatte, an dem Knüppel fest, denn wen er jetzt los ließ, war es um ihn geschehen. Auch der Angreifer ließ nicht ab, gewann eine Drehung und begann nun mit beiden Händen den Griff der Waffe auf Medins Hals zu pressen. Der Südländer stöhnte laut auf und versuchte den Berg mit einem Tritt von sich herunter zu befördern, was jedoch misslang.
Aus der Richtung von Krest ertönte ein Schmerzensschrei. Viraya hatte er komplett aus den Augen verloren, sie schien mit der Dämmerung verschmolzen zu sein. Zeit nach den beiden zu sehen hatte er allerdings auch keine, denn der Griff des Wilden wurde immer fester, immer unerbittlicher.
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Sie hatte sich rechtzeitig geduckt, ganz vorsichtig, als Krest und Medin angegriffen wurden und jetzt stand sie im Schatten, beobachtete wie die beiden um ihr Leben rangen. Sie wusste nicht genau für wen es schlechter aussah für Krest oder Medin. Kalkuliert wie immer überlegte sie was zu tun am besten war, waren dies die einzigen beiden Angreifer, so war es am einfachsten wenn sie die beiden ihrem Schicksal überliess und sich auf einem Pferd aus dem Staub machte, war dies aber nicht der Fall und wollte sie nach Usa zurück kehren war es sicher besser Krest zu helfen. Er könnte ein gutes Wort für sie einlegen. Ob er das dann auch tun würde, da war sie sich nicht sicher, denn er schien zu wenig Rückgrat zu haben. Damit lag die Priorität bei Medin. Medin war stark und schien aufrichtig, was sie nie verstanden hatte, aber was ihn zumindest genug berechenbar machte, dass sie sich inzwischen auf ihn verliess. Er war einer der wenigen Menschen, denen sie tatsächlich ihr Leben anvertrauen würde. Nicht, dass sie ihn mochte, aber sie wusste dass sie auf ihn zählen konnte.
Also lauerte sie auf den Moment in dem der Wilde seine Chance gekommen zu sein glaubte, dann stürzte sie sich von hinten auf ihn. Die Schellen kündigten es an, allerdings war er so in Medin verbissen, dass er sie nicht abwehrte. Sie legte ihm die Kette zwischen ihren Händen um den Hals und zog dann die Hände ruckartig nach hinten. Ein unschönes Knacken liess ihr das Blut in den Adern gefrieren. Sie hatte es noch nie genossen Menschen zu töten. Allerdings war sie darauf konditioniert worden es nicht weiter an sich herankommen zu lassen. Der Tod was teil des Lebens, eines Tages würde es sie selber treffen, aber bis dahin überliess sie gerne anderen den Vortritt. Er sackte in sich zusammen und riss Viraya und ihre Kette mit. Ein schmerzhafter Aufprall.
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Auf einmal erschlaffte der Wilde über ihm, stürzte auf ihn zurück und Viraya noch hintendrein. Da lagen sie also, ein Haufen aus drei Körpern und Medin ganz unten. Er bekam keine Luft.
„Luft“, japste er und versuchte mit aller Kraft abermals den Berg von ihm herunter zu befördern. Schließlich gelang es mit Virayas Hilfe, die sich auch wieder aufrappelte und er konnte einen tiefen Zug Atem holen, um wieder Leben in seine Glieder zu bekommen. Noch bevor er aber genau verarbeiten konnte, was gerade passiert war, blickte er sich um. Keine Kampfgeräusche mehr, keine weitere Bedrohung. Krest und der weitere Angreifer lagen ebenfalls zu einem verkrampften Knäuel auf dem Boden zusammen gesunken. Schnell griff er den Knüppel, denn die Gelegenheit bekam er wahrscheinlich kein zweites Mal. Als er die beiden erreicht hatte, sah er aber, dass er zu spät kam. Auch hier war der Wilde tot über Krest zusammen gesunken, doch dieser hatte nicht so viel Glück – oder Hilfe – wie Medin gehabt. Krest hatte beide Hände auf seinen Hals gepresst, doch Blut quoll unablässig unter ihnen hervor und rann ihm buchstäblich durch die Finger.
„Innos“, seufzte Medin und zog den Körper des toten Angreifers von dem Soldaten, bevor er sich neben dem Sterbenden niederkniete. Es lag noch Leben in seinen Augen, das sich mit Panik und Angst immer weiter verabschiedete. Der Schrei war stumm und Medin konnte nichts weiter tun, als seinen Blick nicht abzuwenden. Er ertrug ihn und auch wenn es nur Sekunden waren, kamen sie ihm unverhältnismäßig lang vor. Dann brach sich der Blick des Mannes, der vor wenigen Minuten noch damit gedroht hatte, und der Griff auf der Halswunde entspannte sich.
„Mögest du Frieden finden“, murmelte er, sodass es Viraya wahrscheinlich kaum hören konnte, und machte sich dann daran, die Taschen zu untersuchen. Kurze Zeit später klickte das Schloss seiner Ketten vielversprechend.
„Ich glaube, du hast mir gerade das Leben gerettet“, stellte er das Offensichtliche fest, als auch Virayas Fesseln fielen. Auch wenn er sich da vielleicht etwas zu früh freute, denn jetzt waren sie wieder auf sich allein gestellt und hatten das Blut beider Konfliktparteien an ihren Händen.
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"Dafür schuldest du mir auch etwas."
Viraya schaute Medin ernsthaft an. Sie meinte es. Nichts war umsonst. Medin nickte und reichte ihr das Kurzschwert, das er Krest abgenommen hatte. Seine Mine war ebenso ernsthaft wie ihre, aber erkannte sie da etwas Schalk in seinen Augen.
"Das wird nicht reichen."
Fügte sie hinzu, konnte sich aber tatsächlich ein Lächeln nicht verkneifen. Dann wurde sie aber augenblicklich wieder ernsthaft. Sie befestigte das Kurzschwert und meinte dann.
"Pferde?"
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Ein ungutes Gefühl beschlich ihn bei ihren Worten, aber sie hatte Recht: Pferde! Er blickte sich kurz um. Die Pferde waren aufgeschreckt, aber noch da, wo sie standen. Man hatte sie fest gebunden, da eine schnelle Flucht ja ursprünglich vereitelt werden sollte. Das hatte sich erübrigt.
Die beiden gingen zu ihren beiden Tieren hinüber. „Ruhig“, brummte Medin und hob sachte die frisch befreite Hand in Richtung des Kopfes. Das Pferd ließ ihn näher kommen, auch wenn es das frische Blut roch. Es kannte seinen Reiter nun schon ein wenig und ließ sich schließlich die Stirn streicheln.
„So ist's gut. Wir kommen hier schon raus“, sprach er dem Tier und sich Mut zu. Dann wandte er sich dem Reittier von Krest zu und wiederholte das Ritual. Ein Blick in die Satteltasche ergab etwas Proviant, den er sogleich umlud, aber leider nichts weiter nützliches. Ein zweites Schwert wäre gut gewesen, aber so musste er mit der Axt Vorlieb nehmen, denn Viraya stand die Klinge im Kampf wahrscheinlich um einiges besser als das Blatt.
Sie hatte inzwischen ebenfalls ihr Pferd beruhigen können und losgebunden.
„Was machen wir jetzt? Unsere Hände mögen jetzt frei sein, aber im Grunde stehen wir jetzt schlechter da“, fasste er ihre Lage zusammen. Sie wussten nicht, wie das Gefecht zwischen den beiden Konfliktparteien ausgegangen war, aber sie wussten, dass wahrscheinlich beide nicht gut auf sie zu sprechen waren. Sie konnten einfach ihr Glück versuchen und sich irgendwie durch die Wildnis durchschlagen. Aber die Topografie ließ wenig Spielraum. In einer Himmelsrichtung lag das Gebirge, über das sie gekommen waren, in der anderen das Meer – und Usa – in dem immer noch ihre Waffen verwahrt wurden. Seine geweihte Klinge wollte er auf keinen Fall zurücklassen. Aber auch sonst gab es kaum Optionen. Nur unbekanntes Bergland mit verschlungenen Pfaden und wahrscheinlich vielen Gefahren. Eine Karte wäre gut gewesen. Oder gleich ein ortskundiger Führer der ihnen nicht ans Leder wollte.
Medin blickte mit ratloser Miene zu Viraya, die noch keinen Vorschlag gemacht hatte.
„Vielleicht sollten wir doch einmal nachsehen, was und wer von dem Kampf übrig geblieben ist“, warf er daher in den Raum. Vielleicht hatte sie ja noch eine andere Idee und zog einen bisher unerwähnten Kontakt aus alten Zeiten unter ihren Haaren hervor.
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Viraya musste leider zustimmen. In allen Richtungen lagen ihre Feinde, kehrten sie alleine zurück, würden ihre Köpfe in Usa rollen. Wahrscheinlich aber erst, nachdem man durch Folter alles aus ihnen herausgepresst hatte, was man wissen wollte. Keine schöne Aussicht und auch alle anderen Richtungen hatten sie sich in den letzten Jahren verunmöglicht. Viraya hatte zu viele Feinde und wo sie keine hatte, da war Medin wohl tätig gewesen.
"Wir müssen nicht nur nachschauen, ich glaube unsere einzige Möglichkeit ist ihnen bei zustehen. Sir Castor muss überleben um fast jeden Preis."
Sprach sie, obwohl sie den überheblichen Kerl nicht riechen konnte aber persönliche Präferenzen hatten hier nichts verloren. Sie schwangen sich also auf ihre Pferde und ritten los. Es war tatsächlich noch Kampflärm zu hören, als sie näher kamen und Sir Castor schien noch am Leben. Die verbliebenen Männer stellten sich wie Schilder vor ihn. Es schien als wären sie in der gleichen Situation wie Medin und Viraya. Das war wohl auch ein Weg um Loyalität zu erzwingen. Ein sehr autoritärer, aber er schien effizient. Medin war bereits vom Pferd abgesprungen und hatte die Zügel des ihren genommen, sodass sie auch aus dem Sattel gleiten konnte. Er redete den beiden Tieren gut zu, band sie allerdings nicht fest. So würden sie hoffentlich von alleine bleiben. Nicht aus Angst, sondern weil sie wussten, dass sie hier gute behandelt wurden. Eigentlich seltsam, dass sich Medin und Redsonja nicht ausstehen konnten, sie waren gar nicht so unähnlich manchmal die zwei. Dachte Viraya mit einem leichten Schmunzeln und flüstere.
"Nach dir."
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Medin war ein bisschen überrascht von Virayas Entschlossenheit, sich in einen Konflikt zu stürzen. Normalerweise versuchte sie zumindest – meist wenig erfolgreich – einen weiten Bogen um solche Konfrontationen zu machen. Aber auch sie hatte erkannt, wie wenige Möglichkeiten ihnen noch blieben.
„Sehr zuvorkommend“, erwiderte er und packte den Griff der Streitaxt fester, nur um danach etwas in allen anderen Situationen sehr törichtes hinzuzufügen: „Pass bitte auf meinen Rücken auf.“
Dann stürmte er los. Er wusste, dass alles, was sie hatten, das Überraschungsmoment war. Die Angreifer hatten Sir Castors Gruppe in der Nähe eines kleines Untergehölzes zusammen gedrängt und in einen zähen Nahkampf verstrickt. Auch wenn die Soldaten Usas um eine Deckung gebende Formation bemüht waren, war an Ordnung nicht mehr zu denken. Mann kämpfte gegen Mann und manchmal auch gegen zwei Männer. Frauen sah Medin vor sich keine, aber auch das hätte für ihn in diesen Moment keinen Unterschied gemacht. Die Gegner hatten ihm fast alle den Rücken zugekehrt, da sie mit den Soldaten beschäftigt waren, über allem lag Kampfeslärm und Todesgeschrei.
Den Ersten erwischte Medin vollkommen unvorbereitet. Eben noch in einen Hauen, Kratzen und Stechen mit dem Gegner verwickelt, traf ihn das Axtblatt direkt ins Rückgrat. Er ging sofort zu Boden, doch sein Schrei alarmierte andere. Ein zweiter Krieger wandte sich ihm zu und stach mit einem Speer auf den Paladin ein. Medin konnte gerade noch seine Waffe wieder befreien und dem Stich ausweichen. Ein Hieb aus dem Nirgendwo brachte den Angreifer kurz ins Straucheln und Medin nutzte die Zeit, die Distanz zu überwinden. Auch hier hatte die Lederpanzerung der brutalen Wucht seiner Waffe nichts entgegenzusetzen.
Den gewonnenen Freiraum nutzte er, um sich einen Überblick zu verschaffen. Von beiden Seiten stand nicht einmal mehr eine handvoll Kämpfer. Es war Zeit, die Sache zu Ende zu bringen. Medin ließ die Axt im Körper seines letzten Gegners stecken und bückte sich stattdessen nach einem usaischen Langschwert, das auf dem Boden lag.
Viel besser, dachte er, und wandte sich dem nächsten zu.
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Und Viraya hielt tatsächlich seinen Rücken frei, viel besser als selber in die Bresche zu springen. Hier gab es nichts anderes als zusammen zu halten, denn der Druck auf die kleine Gruppe war gewaltig. Der nächste Kämpfer Usas segnete das Zeitliche. Noch etwas zu früh, sie waren gerade dabei die überhand zu gewinnen. Viraya lief ein Schauer den Rücken hinunter. Das hiess es also mitten im Kampf drin zu sein. So viel war hier dem Zufall überlassen, nicht den eigentlichen Fähigkeiten. Im Gemenge gab es zu viele Gliedmassen und Waffen, die beteiligt waren, sodass es manchmal schwer auszumachen war was wohin gehörte. Wie gewisse Menschen das bloss geniessen konnten? Fragte sie sich.
Dann schaffte sie es gerade noch einem Knüppel auszuweichen, der stattdessen allerdings Medin noch streifte, aber sie hätte ihn unmöglich parieren können. Er wurde mit so viel Kraft geschwungen. Ihr Kampfpartner gab einen Schmerzenslaut von sich. Viraya hingegen nutzte die Lücke, die sich wegen des verfehlten Schlags auftat und stiess das Kurzschwert unter die Rippen des Gegners. Das Schwert steckte fest und ging mit dem Toten zu Boden.
"Nicht gut."
Dachte sie und schaute sich fiebrig nach einer Alternative um, denn es näherte sich bereits ein weiterer Gegner.
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Der Hieb hatte Medin nicht richtig erwischt, aber dennoch blieb ihm für einen Augenblick die Luft weg. Zwar konnte das Kettenhemd verhindern, dass er an der Stelle eine Verletzung davon trug, aber der Schmerz sorgte trotzdem dafür, dass er buchstäblich außer Gefecht war. Zum Glück hatte Viraya einen der Angreifer erledigt. Bevor der nächste da war, fing sich der Südländer wieder. Mit einer etwas langsameren Drehung als sonst fuhr er dem Kontrahenten in die Parade. Holz traf auf Stahl und bevor der zweite Angriff Viraya oder ihm gefährlich werden konnte, hatte Medin seine Präzision wieder gefunden: Der Streich des Schwertes fand sein Ziel an der Kehle des Gegners und dieser stimmte mit einem letzten Stöhnen in die Geräuschkulisse des Kampfes ein. Denn dieser erstarb im wahrsten Sinne des Wortes.
„Danke“, murmelte Medin als er Gelegenheit hatte, wieder etwas Luft zu bekommen und verschaffte sich einen Überblick. Der Schauplatz des Kampfes war chaotisch. Mehr als ein dutzend toter oder sterbender Körper säumte den Boden, während die verbliebenen Bergwilden den Rückzug antraten. Viele waren es nicht mehr und das überraschende Auftreten von Viraya und Medin schien sie in die Flucht geschlagen zu haben. Denn auf ihrer Gegenseite war auch kaum jemand übrig geblieben. Die meisten Soldaten Usas waren tot oder lagen im Sterben. Aber – und das gab Medin Hoffnung – Sir Castor hatte bis jetzt überlebt. Er kniete neben Flavius, der ziemlich schlimm aussah, aber auch noch am Leben war, am Fuße einer vertrockneten Esche. An seinen Händen klebte Blut und auch der Rest von ihm sah aus, als ob er durch die Hölle gegangen war. Als Medin näher kam, erhob sich der Adlige und richtete das Schwert auf ihn.
„Einen Schritt weiter und ihr sterbt!“
„Das halte ich für keine gute Idee.“ Medin hob beschwichtigend die Hände und zeigte dann auf den am Boden liegenden Soldaten. „Lasst uns nach ihm sehen, ob er noch eine Chance hat. Denn wir müssen schleunigst hier weg, bevor sie mit Verstärkung wieder kommen.“
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Viraya nickte bestätigend und wiederholte.
"Die Verstärkung wird nicht lange auf sich warten lassen. Einfachere Beute als wir jetzt bieten, wird es nie geben."
Es war wichtig jetzt noch in die Kerbe zu hauen. Jeder hier wusste, dass ein weiterer Angriff ihren aller Tod bedeuten würde. Flavius meldete sich als nächster.
"Sie haben recht. Los, lasst mich hier zurück." Er war noch immer so bestimmt wie eh und je. Dennoch überraschte sie, dass er für sie Partei ergriff. Aber er war immer der Vernünftige hier gewesen. Viraya hielt nicht viel von Helden, aber seine Ratio, die ohne die Konsequenzen für sich selber zu funktionieren schien, brachte ihm ihren Respekt ein.
Sir Castor antwortete. "Einverstanden, aber wir lassen Flavius nicht zurück."
Das war nicht gut. Flavius würde sie zu sehr ausbremsen.
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