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    Knight Commander Avatar von Crozyr
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    Crozyr ist offline
    Flackerndes Kerzenlicht erhellte den fensterlosen Raum und ließ die Augen und Herzen der Wächter in einem Schein entflammen, wie Avarich es noch nie erlebt hatte. Mit angehaltenem Atem ließ er die Borsten des Pinsels über die Flammen kratzen, um dem Inferno ein noch tieferes Zinnoberrot zu verleihen. Weit über ein Jahrzehnt hatte er nun schon an seinem Werk gearbeitet, hunderte Male alte Stellen übermalt und getrocknete Farbe abgekratzt, doch noch immer gab es ein halbes Dutzend weiße Flecken auf der Leinwand, die förmlich danach schrien von ihm im Öl ertränkt zu werden. Aber alles zu seiner Zeit. Stolz war er auf die verschiedenen Gesichter der Männer und Frauen, auf die Gravuren an den Grabplatten, die Hauer des vermummten Orks und auf die juwelenbesetzten Kronen und Zepter, die in allen Regenbogenfarben die Nacht des Waldes erhellten. Rot und blau wehten die Roben im Wind und wenn Avarich fest die Augen schloss, dann vermochte er fast schon den Klang der Freiheit zu hören, so glockenhell dröhnte er aus dem Bild empor!
    Eine königliche Schlacht würde es werden, wenn nicht sogar… ein königliches Schlachten.
    Doch nun rief ein akuteres Belangen nach seiner Aufmerksamkeit, und Lord Evadam wandte sich schweren Herzens seinem Gemälde ab, um an dem überladenen Sekretär Platz zu nehmen.
    „… Ich glaube den Weg finde ich noch, danke!“, ertönte die unverkennbare Stimme des Großbauern aus der Vorkammer, und Avarich hatte bereits das prallgefüllte Säckel auf den Eichentisch gestellt, als die Tür zum Arbeitszimmer aufflog. Das hohe Alter zeichnete sich deutlich auf Onars Gesicht ab, doch mit geradem Rücken schritt er auf den Edelmann zu, die Hände zu Fäusten geballt. Berüchtigt war er für sein Temperament und seine Missmutigkeit, doch heute würde er bei bester Laune sein, da war sich Avarich nur zu sicher.
    „Tausend noch eins! Ihr seid ein waschechter Teufelskerl, Evadam, wisst ihr das?“
    Auf Avarichs Lippen schlich sich ein Lächeln. So mochte er die Menschen um sich herum. Berechenbar.
    „Dann hat Salvadore also meine Nachricht überbracht.“
    „Das hat er wohl!“, grinste Onar von einem Ohr zum anderen und ließ sich breitbeinig am gegenüberliegenden Ende des Tisches nieder. Avarich schob ihm das unscheinbare Säckchen entgegen. „Und? Haben wir eine Abmachung?“
    Der Großbauer leckte sich über die Lippen und blickte drein wie ein Kind, das nicht wusste wie ihm geschah, weil das zweite Mal im Jahr sein Geburtstag gefeiert wurde.
    „Sylvio und Bullco, die sollt ihr haben. Fünftausend Goldstücke für achtundvierzig Stunden.“
    Avarich sah das Leuchten in Onars Augen, als er den Geldbeutel öffnete und die Münzen im Kerzenschein zu schimmern begannen.
    „Den Rest werden euch meine Diener an die Pforte tragen.“ Eine aberwitzige Summe für derlei Leistung, dessen war sich Lord Evadam völlig bewusst. Doch der Großbauer sollte ruhig wissen, dass Gold für ihn keine Rolle spielte. Der Landvogt fischte eine Münze aus dem Sack und hielt sie prüfend vor seine Augen. „Avarich, ich komme nicht umher euch zu bewundern. Wir beide müssen aus dem gleichen Holz geschnitzt sein, wisst ihr das? Wir stehen über diesen gewöhnlichen Leuten, zeigen Willensstärke, Risikobereitschaft! Wir sehen das ganze Bild, wo die anderen nur die Farbtupfer erahnen. Sind bereit für unsere Ziele Opfer zu bringen, wie diese!“ Mit einem Plirren landete die Münze wieder unter ihresgleichen.
    „Onar, Onar, zu viel der Ehre.“
    „Es ist nur die Wahrheit, mein Freund. Und genau deshalb sind wir es auch, die es in dieser Welt zu etwas gebracht haben! Seht euch um. Womöglich habt ihr bereits gemerkt, dass ich ein begeisterter Sammler von allerlei seltenen, wunderbaren Schmuckstücken und extravaganten Kleinoden bin. Schaut euch die Gemälde an, die Trophäen und Schnitzereien, die Kronleuchter an der Decke. Ich möchte fast schon damit prahlen. Doch spätestens seit eurer Ankunft muss ich mir von meiner Frau nicht nur anhören, wie ich zu viel Gold für buntes Glas und flauschige Schatten-Läufer ausgebe. Nein, neulich fragte mich Maria schon, ob ich auch auf meine Sammlung von exotischen Gestalten hier am Hof eigentlich stolz wäre. Ich wusste nicht was ich sagen sollte, denn eines muss man euch lassen, Avarich: Ihr seid wahrlich ein Mysterium. Normaler Weise sollte mich in Anbetracht dieser Argumente hier…“ Onar griff wieder ein paar Münzen aus dem Säckchen heraus und ließ sie klirrend zurückfallen. „…nichts weniger interessieren als eure Intentionen, aber ihr habt es geschafft meine Neugierde zu wecken. Also… Dieses ganze Abenteuer… Was bringt euch das ein? Wozu all die Mühe, all der Aufwand, all die Kosten? Wo kriegt ihr eure fünfzehntausend Goldstücke wieder heraus?“
    Avarich atmete tief aus und lehnte sich mit einem gewinnenden Lächeln auf den Lippen in seinen Sessel zurück. „Manche Sachen, geehrter Onar, die tut man nicht für Geld.“
    „Aaaaach Avarich, wir sind doch beides gewiefte Geschäftsmänner, mir könnt ihr nichts vormachen. Was dann? Politik? Ansehen und Ruhm? Offene Rechnungen und Rache? Oder…“ Der alte Grundbesitzer hob schmunzelnd den Zeigefinger. „…Habt ihr euch etwa auf irgend so nen' magischen Teufelskram eingelassen?“ Onars Wangen liefen rot an, als er zu einem polternden Lachen ansetzte. „Meine Frau meinte neulich, ihr wäre der Tag viel kürzer vorgekommen als sonst. Hattet ihr da etwa die Finger im Spiel?“
    „Ich befürchte, ich muss euch enttäuschen“, erwiderte Avarich charmant. „Derart weit reichen meine geheimnisvollen Kräfte dann doch nicht. Und was meine Absichten betrifft,… tja. Ganz so offensichtlich ist es nicht, werter Freund. Nichts für ungut, aber da könnt ihr lange raten.“
    „Ach ja? Es ist nicht etwa vielleicht…“ Onar lehnte sich nach vorne und bleckte die Zähne zu einem schiefen Grinsen. „…die Liebe?“
    Avarich stieß ein kurzes Lachen hervor und schaute zu dem alten Großbauern auf. „Liebe?“
    „Ihr wärt nicht der erste ambitionierte Edelmann, der sich von ein paar hübschen Augen den Kopf verdrehen lässt… Alle sprechen nur noch von dieser Frau, die ihr zum Wettbewerb mitgebracht habt. Verena war ihr Name? Ein echter Hingucker, ganz gewiss.“ Der Bauer räusperte sich. „Falls Maria fragt, habe ich das natürlich nie gesagt.“ Zwinkernd zog er die Schnüre des klimpernden Säckchens zu. „Aber mal so unter uns: Übel nehmen könnte ich’s euch nicht.“
    Hörte dieser Narr denn niemals auf zu reden? Wenn Avarich eines nicht ausstehen konnte, dann war es penetrante Einfältigkeit. Mühsam quälte er sich zu einem amüsierten Grinsen. „Wenn es doch nur so einfach wäre...“
    „Aaaach Avarich, mit der Liebe ist es niemals einfach. Ich weiß noch, bei mir und Maria damals…“
    Avarich atmete erschrocken auf. „Herr Landvogt, verzeiht mir. Wo sind denn meine Manieren? Ich habe ja ganz vergessen euch zu fragen, ob es überhaupt in Ordnung ist, wenn ich hinten im Zimmer meine Leinwand aufschlage. Ich bin begeisterter Maler, müsst ihr wissen.“
    Lord Evadam konnte dem Großbauern ansehen, dass er es nicht gewohnt war, unterbrochen zu werden – doch da löste bereits ein dreckiges Lachen seine perplexe Miene ab.
    „Junger Mann, ich mag alt sein, aber meine Nase hab' ich noch. Eure Kunst konnte man schon im Flur riechen, und wenn sie mich gestört hätte, dann hättet ihr das schon mitbekommen. Aber bei den Mieten, die ihr bereit seid zu zahlen, werter Avarich – da sollt ihr von mir aus den ganzen Raum streichen, wenn euch danach ist.“
    „Nah, dass ihr eure Großzügigkeit nicht bereut!“, lachte Lord Evadam.
    „Nehmt mich ruhig beim Wort“, erwiderte der Großbauer und unterdrückte vergeblich ein Ächzten, als er sich auf die Stuhllehnen gestützt erhob.
    Avarich stand auf und streckte dem Landvogt die Hand entgegen. „Es war wieder eine Freude, mit euch Geschäfte zu machen.“
    „Das Vergnügen ist ganz meinerseits. Malt ihr mal schön eure Gemälde, und geht euren geheimnisvollen Spielchen nach.“ Onar spuckte sich in die Hände und erwiderte die Geste mit festem Druck. „Seid euch nur gewiss:“ Der Landwirt steckte sich den Geldbeutel an den Gürtel und nahm ein paar Schritte in Richtung Tür, ehe er sich wieder dem Edelmann zuwandte. „Glaubt nicht, dass mir entgangen ist, was da auf Sekobs Feld los war. Welchen Unfug ihr hier auch immer treiben mögt - haltet meinen Hof und meine Bauern da raus. Keine weiteren Zwischenfälle. Ist das klar?“ Der alte Onar hatte seinen Grimm endlich zurück. „Soll nicht wieder vorkommen“, versprach Avarich kalt und hielt dem eisigen Blick des Großbauern stand.
    Salvadore wartete bereits hinter der Tür, als die Schritte des Landvogts auf dem Gang verhallten. „Alle Vorbereitungen sind getroffen, Herr“, verkündete Lord Evadams treuster Diener entschlossen. „Ausgezeichnet“, seufzte Avarich, als er erschöpften Schrittes zurück zur Leinwand schlenderte. „Seid gründlich mit der Kontrolle. Keinen einzigen von den Teilnehmern hat es bisher erwischt. Da werden wir wohl bald die Wächter in Anspruch nehmen müssen, um die Spreu vom Weizen zu trennen.“
    „Ihr werdet nicht mitkommen, Herr?“
    „Dank unseres verräterischen Freundes musste ich unsere Pläne ändern... Ein Jammer um ihn.“ Wahrlich bedauernswert. Doch er hatte seinen Zweck ohnehin bereits erfüllt. So viele gab es noch, die nicht wussten, dass sie Teil des Spiels waren. Eine Fehleinschätzung, die als aller erstes ausgerechnet dem alten Rodriguez das Leben kosten würde. „Nehmt ihn mit, wenn ihr loszieht. Sagt ihm, ich bestehe darauf. Er wird gewiss noch in seiner Kammer harren und eine Antwort auf seine Drohgebärden erwarten.“
    „Herr, bitte erlaubt mir, meine Loyalität unter Beweis zu stellen. Ihr bräuchtet diese Schläger nicht, um…“
    „Nicht doch, treuer Salvadore. Ich bewundere euren Eifer. Doch wenn er vom Tod seines Bruders erfährt, muss Fernandos Wut den Richtigen treffen. So schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe.“
    Avarich fuhr sanft mit seiner Hand über das bemalte Leinentuch, die getrocknete Farbe, die Rillen und Erhebungen auf dem Stoff. Sein Diener schwieg.
    „Salvadore, kommt heran.“
    „Aber Herr, sagtet ihr nicht, es sei noch lange nicht fert…“
    Avarich gebot ihm mit einer Geste zu schweigen. Salvadore verstand und trat an seines Herren Seite. Ihm stockte hörbar der Atem, als seine Augen über das Gemälde rasten, wie sie gierig die Gesichter, die Schattenspiele, die vielen Details aufsogen.
    „Und, gefällt dir was du siehst, alter Freund?“
    Lord Evadam sah, wie sein Gehilfe zitterte.
    „Niemand vermag es die Zukunft so eindringlich festzuhalten wie ihr, Herr.“
    Avarich nickte zufrieden. „Eine Handvoll Pinselstriche fehlen zwar noch, Salvadore, aber bald. Bald ist das Meisterwerk vollbracht.“

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    Deus Avatar von Laidoridas
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    Laidoridas ist offline
    Der Weißmagier, entschied Martin, der würde es machen. Entweder der oder dieser Riese. Der hatte zwar den Mund nicht aufbekommen, aber dabei zumindest ganz schön selbstsicher gewirkt.
    So ein Koloss müsste man sein, dachte er, während er an die nicht allzu ferne Holzdecke über seinem Kopf starrte, und zwar in der Höhe und nicht in der Breite. Oder eben ein Magier, der sich einfach unsichtbar macht, wenn ihm einer zu nahe kommt. Solche Leute sind aus einem anderen Holz geschnitzt. Die lassen sich nicht schon ein paar Stunden nach Wettbewerbsbeginn überrumpeln und gefangen nehmen.
    Martin wollte sich am liebsten in den Arsch beißen, wenn er daran dachte, wie miserabel der gestrige Tag verlaufen war – und er hätte es auch längst getan, wenn ihm da nicht der blöde Umstand im Weg gewesen wäre, dass er an einem mehr als unbequemen Bett festgeschnürt war. Hätte er doch gestern bloß ein bisschen schneller reagiert und sich rechtzeitig wegteleportiert! Die Magier hatten ihm nicht nur seine Runensteine abgenommen, sondern ihn auch noch die halbe Nacht hindurch über die Dinger ausgefragt. Dass sie sich nicht gerne auf dem Klo stören ließen, das konnte Martin ja verstehen, aber dass sie ihn deswegen gleich in diese winzige Klosterkammer gesperrt und zu allem Überfluss auch noch an ein Bett gefesselt hatten, das hielt er nun wirklich für ungerecht. Er hatte doch überhaupt nichts Verbotenes getan!
    Nun blieb ihm also nichts außer seinen Gedanken. Die kreisten unablässig um die Frage, wer den Wettbewerb gewinnen mochte – jetzt, da Martins bisheriger Favorit, nämlich er selbst, wohl leider aus dem Rennen war. Hauptsache, Yves fliegt auf die Fresse, dachte Martin und ballte seine machtlosen Hände beim bloßen Gedanken an diese dämliche Stinkmorchel zu Fäusten. Er rechnete Yves zwar von allen zwölf Teilnehmern die zweitschlechtesten Chancen aus, aber allein die Tatsache, dass der Mistkerl damit immer noch näher am Sieg dran war als er selbst –
    Mitten im Gedanken hielt Martin inne. Zwölf Teilnehmer? Es waren nur elf gewesen, die er bei seiner gedanklichen Bewertung berücksichtigt hatte, aber er erinnerte sich noch genau daran, dass sie auf Onars Hof zu zwölft gewesen waren. Wer also war nochmal dieser zwölfte Teilnehmer? Martin überlegte angestrengt, aber vor seinem inneren Auge wollte einfach kein Gesicht auftauchen. Dabei hatte er sein gutes Gedächtnis eigentlich für einen großen Vorteil im Wettbewerb gehalten.
    „Nur Magier dürfen zu ihm rein.“ Die dumpfe Stimme kam von draußen und gehörte zweifellos zu einem der Wache schiebenden Paladine. „Anordnung von Meister Pyrokar.“
    „Schon in Ordnung“, drang eine weitere Paladinstimme an Martins Ohr. „Er ist ja von der Akademie. Pyrokar hat bestimmt nichts dagegen. Aber macht es kurz, ja?“
    „Natürlich.“
    Diese dritte Stimme konnte Martin nicht gleich zuordnen, aber als sich die Tür öffnete und ein blonder, langhaariger Mann mit Hut und gelblich-orangefarbenem Mantel den Raum betrat, erkannte er ihn gleich wieder.
    „Na endlich!“, zischte ihm Martin aufgeregt zu. „Du bist doch der Eingeweihte, oder? Also hol mich hier raus, damit ich beim Wettbewerb weitermachen kann!“
    Der Mann stellte sich mit verschränkten Armen vor das Fußende des Bettes und blickte Martin sichtlich belustigt, aber nicht unfreundlich an.
    „Tut mir wirklich leid, aber mit deinem Wettbewerb habe ich nichts zu schaffen.“ Er packte den Hut an der Krempe und hob ihn zum Gruße kurz an. „Ilyas mein Name, bescheidenes Mitglied der Sternenakademie zu Khoralt. Falls dir das was sagt.“
    „Nee“, entgegnete Martin, dem die kurzzeitig hoffnungsfrohen Gesichtszüge schon wieder entgleist waren. „Aber... du hast mir doch gestern zugewunken! Komm schon, du bist der Eingeweihte!“
    „Ich habe dich eben erkannt“, erwiderte Ilyas schulterzuckend. „Hat einen Moment gedauert, weil ich nicht erwartet hatte, dich so bald wiederzutreffen, und dann auch noch ausgerechnet hier... aber du bist ja nun wirklich schlecht zu verwechseln.“
    „Hä?“ Martin gab sich keine Mühe, seine Verwirrung zu verbergen. „Wir kennen uns?“
    „Aber natürlich. Ich bin derjenige, dem du gestern Nachmittag am Hafen dein Pferd verkauft hast. Du warst so schnell wieder weg, dass ich gar keine richtige Gelegenheit hatte, mich zu bedanken, und da dachte ich –“
    Was?! Ich – ich soll dir meinen Tony verkauft haben? Das ist doch wohl...!“
    Martin brach ab, als er begriff, dass er sich gar nicht so gut daran erinnern konnte, was mit Tony geschehen war. Er wusste nur noch, dass er auf ihm in die Stadt geritten war und ihn vor Kardifs Kneipe angebunden hatte. Danach musste er ihn wohl schlichtweg vergessen haben... aber das war doch ungeheuerlich. Er würde Tony niemals einfach so vergessen!
    „Wenn du deine Meinung geändert hast, ist das kein Problem“, versuchte ihn Ilyas zu beruhigen. „Dein Pferd steht draußen vor dem Kloster. Du kannst es zurückkaufen, sobald du hier raus bist.“
    „Ich weiß nicht, was das alles bedeuten soll“, murrte Martin betont patzig. „Aber dir glaube ich jedenfalls kein Wort. Wenn du kein Eingeweihter wärst, warum wärst du sonst hier?“
    „Nun, ich bin im Auftrag des Königs von Khoralt auf der Insel, um einen seiner Ritter bei der Suche nach einer bestimmten Frau zu unterstützen. Ich bin gut darin, Leute aufzuspüren, weißt du? Diese spezielle Frau ist zwar auch für jemanden mit meinen Fähigkeiten nicht leicht zu finden, aber ich konnte dem Herrn Ritter wenigstens ihren groben Aufenthaltsort nennen. Er ist also auf dem Weg, um sie zu holen, und ich habe derweil einen kleinen Abstecher ins Kloster unternommen, um ein gewisses Anliegen mit dem hohen Rat zu besprechen. Leider habe ich ganz den Eindruck, dass du und deine Runen im Augenblick interessanter sind als ich, also werden sie am Schiff wohl noch eine Weile auf mich warten müssen. Aber die haben Geduld, und die solltest du auch haben. Wenn du nichts allzu Schlimmes angestellt hast, werden sie dich früher oder später gehen lassen.“
    „Ich will hier gar nicht weg, bevor ich mich nicht mit dem Eingeweihten unterhalten habe“, brummte Martin. „Du hast mein Pferd geklaut, also schuldest du mir was. Wenn du so gut darin bist, Leute zu finden, dann finde den Eingeweihten für mich!“

    „...und dann hatter gesagt, dass seinetwegen ja gerne jeden Tag so ’ne Wolfsfrau über sein Maisfeld latschen kann, wenner dann jedes Mal so viel Kohle von diesem Veranstalter kriegt. Könnter sich nämlich ’n Dutzend Maisfelder von kaufen, hatter gemeint. Und annem gleichen Tag kürzt er mir’n Lohn. So isser, der Sekob.“
    „Sonst noch etwas? Etwas von Interesse, meine ich?“
    Hagen ahnte, dass er eine Spur zu unwirsch gewesen war, als der Bauer sichtlich eingeschüchtert den Blick senkte.
    „Nee, ich... ich glaub’, das war’s soweit.“
    „Gut. Cedric hier wird dir dein Gold geben und dich aus der Stadt bringen.“ Hagen gab dem Paladin ein Zeichen, und im nächsten Moment wurde Bronko von ihm am Arm gepackt und zur Tür geleitet.
    „Muss ich echt schon wieder in diese Kiste?“, meldete sich der Bauer noch einmal zu Wort. „Das is’ nämlich echt unbequem, und ich kann auch richtig gut schleichen...“
    „Es ist zu deiner eigenen Sicherheit“, entgegnete Hagen. „Du willst doch nicht, dass dich hier irgendwer sieht und von unserem kleinen Abkommen Wind bekommt, oder? Irgendwer, der vielleicht Verbindungen zu Onar oder Sekob hat?“
    „Nee, Herr Lord, schon klar... ich mein ja nur...“
    „Bis zum nächsten Mal, Bronko.“
    Kaum hatte Cedric mit dem Spitzel im Schlepptau den Raum verlassen, ließ Hagen jegliche Selbstbeherrschung fallen und sackte stöhnend auf seinem weichen Rathausstuhl in sich zusammen. Ursprünglich hatte er noch einen Hoffnungsschimmer darin gesehen, dass sich die orkischen Flotten aus den umliegenden Gewässern zurückgezogen hatten und nach langer Zeit endlich wieder Schiffe von den nahegelegenen Inseln eintrafen. Nun aber zeigte sich, dass dadurch alles bloß noch komplizierter geworden war: Neben den Orks, den Banditen und den Söldnern musste er sich jetzt auch noch mit einem schwerreichen und unberechenbaren Wettbewerbsveranstalter herumschlagen, der inzwischen offenbar mit dem Großbauern gemeinsame Sache machte und auch noch diese Wolfsfrau mit auf die Insel geschleppt hatte. Hagen wusste, dass er mit einem Verbot des Wettbewerbs die gesamte Händlerschaft der Hafenstadt gegen sich aufgebracht hätte, aber nach dem Gespräch mit Bronko war er sich fast sicher, dass ein Händleraufstand das kleinere Übel gewesen wäre.
    „Hagen!“
    Überrascht blickte der Lord auf, als sich ein äußerst angespannt wirkender Pyrokar im Zimmer materialisierte. Um sein ergrautes Haar wirbelten noch ein paar magische Funken, während er ein schwarzes Säckchen hervorholte und auf Hagens Schreibtisch ablegte.
    „Kommt dir diese Runenschrift bekannt vor?“
    Pyrokar nahm einen runden Stein aus dem Beutel und hielt ihn vor Hagens Gesicht. Dem wiederum stockte bei diesem Anblick der Atem.
    „Das letzte Mal habe ich solche Runen bei der Erstürmung der Zitadelle von Xhan gesehen. Aber die Runen von damals wurden alle vernichtet. Woher...?“
    „Von einem Teilnehmer des Wettbewerbs“, erwiderte Pyrokar. „Behauptet, sie bei einem Kneipenwirt im Hafenviertel gekauft zu haben. Lächerlich. Aber der Kerl kann nichts dafür, sein Kopf ist völlig vernebelt von dunkler Magie.“
    „Ich weiß nicht, was du damit andeuten willst, Pyrokar. Die Schwarzmagier von Xhan wurden vollständig ausgerottet.“
    „Zumindest glaubten wir das. Aber die Runen auf diesen Steinen sind erst ein paar Tage alt, und alles spricht dafür, dass ihr letzter Besitzer das Opfer magischer Geistesbeeinflussungen wurde. Seine Erinnerungen wurden eindeutig manipuliert, und Serpentes glaubt sogar, dass jemand noch immer durch seine Augen schaut. Jemand hat ihn benutzt, Hagen. Jemand, der neu auf dieser Insel ist und der seine Teleportzauber offenbar nicht selber testen wollte. Und dieser Jemand ist sich seiner Sache sicher genug, um sich nicht daran zu stören, dass wir jetzt von seiner Existenz wissen.“
    So sehr sich Hagen auch dagegen wehrte, er musste sich eingestehen, dass Pyrokar recht hatte: Geistesbeherrschung und manipulative Spielchen waren genau das, was den Krieg gegen die Magier von Xhan damals zur Hölle gemacht hatte. Das Jahr auf dem östlichen Archipel war das schrecklichste seines Lebens gewesen, und er hatte gehofft, es für immer hinter sich gelassen zu haben.
    „Wieso hier? Wieso sollte einer von ihnen ausgerechnet auf Khorinis wieder auftauchen?“
    Pyrokars Blick wurde giftig. „Wenn du mich fragst, Hagen, dann hat der Wettbewerb, den du gestattet hast, nicht nur ein paar harmlose Abenteurer angelockt.“

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    Sapere aude  Avatar von Jünger des Xardas
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    Jünger des Xardas ist offline
    „Nur die Ruh‘, mien Jung‘, ’n alter Mann is‘ doch keen Klipper.“ Mit einem Quietschen öffnete sich die Tür des Leuchtturms, gegen die Alrik nun schon seit gefühlt fünf Minuten ungeduldig gehämmert hatte, und offenbarte das wettergegerbte Gesicht des alten Jack, eine Pfeife zwischen den Lippen.
    „Weißt du irgendwas von dem Wettbewerb?“, platzte es sofort aus Alrik heraus.
    „Wettbewerb? Was’n für’n Wettbewerb, mien Jung‘?“ Jack öffnete die Tür weiter, um ihn einzulassen, und schob die paffende Pfeife von einem Mundwinkel in den anderen.
    Alrik stapfte in den kleinen Wohnraum, der das Erdgeschoss des Turms einnahm, und sah sich um. Nichts Ungewöhnliches.
    Es wäre wahrscheinlich auch zu simpel gewesen, wenn Jack einfach des Rätsels Lösung parat gehabt hätte. Ein Eingeweihter war der alte Seebär sicher nicht. „Irgend so ein reicher Kerl veranstaltet hier auf der Insel einen Wettbewerb“, erklärte Alrik knapp. „Da gibt’s viel Geld zu gewinnen. Aber erst muss man irgendwelchen Hinweisen folgen und irgendein Artefakt oder so was finden. Und so ein Hinweis hat mich hergeführt.“
    „In meinen Turm?“ Jack schien belustigt. „Was hat ’n alter ausgedienter Seemann wie ich mit so’nem Wettbewerb zu tun?“
    „Wer dem Licht in der Höh‘ folgt, entgeht der Gefahr. Das war der Hinweis. Für mich klingt das nach einem Leuchtturm“, erläuterte Alrik und ließ das unwichtige Detail, dass er nicht allein zu diesem Schluss gekommen war, aus. „Kann ich vielleicht mal nach oben?“
    „Na sicher, mien Jung‘. Hab‘ nicht oft Gäste hier. Fühl dich ganz wie zuhause. Hab‘ zwar keenen Schimmer, was du da oben finden willst, aber ’ne tolle Aussicht is‘ es allemal.“ Alrik nickte dankbar und wollte schon in schnellen Schritten die Treppe erklimmen, als Jack ihn zurückhielt. „Aber wenn du schon hochsteigst, könntest du mir vielleicht eenen Gefallen tun, mien Jung‘?“ Der Leuchtturmwärter wies mit der Pfeife auf einen Stapel Holzscheite, die neben der Treppe lagen. „Das Holz muss nach oben. Und du siehst mir wie’n kräftiger Bursche aus.“
    Alrik wusste nicht, wie viel Zeit er hatte. Vielleicht war er sowieso auf der völlig falschen Spur und die anderen Wettbewerbsteilnehmer waren schon viel weiter als er. Ja, vielleicht hatte sogar schon jemand gewonnen, schoss es ihm durch den Kopf, und unwillkürlich fragte er sich, woran die Verlierer eigentlich merken sollten, dass das Rennen gelaufen war? Wenn sie über die halbe Insel verteilt waren, wie würde der Veranstalter ihnen mitteilen, dass einer ihrer Konkurrenten ihnen zuvorgekommen war? Oder würde ihm das vielleicht einfach egal sein und würde er sie sich dumm und dämlich suchen lassen? Während ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen, bückte er sich nach den Holzscheiten und nahm das große Bündel auf die Arme. Bei aller Eile; dass er dem alten Mann kurz behilflich war, war für ihn selbstverständlich.
    Dass Jack dann aber mit nach oben kam und auch noch vorausging, das hätte dann doch nicht sein müssen. Alrik war kräftig. Das Holz hätte er ohne große Anstrengung rasch nach oben schleppen können. Nun aber schlurfte dieser alte Mann vor ihm her, blockierte seinen Weg auf der schmalen Treppe und nahm quälend langsam und immer wieder innehaltend Stufe für Stufe.
    „Sehr anständig von dir, mien Jung“, keuchte Jack vor ihm. „Ich bin nicht mehr der Jüngste, weißt du? Ständig die Treppen hochzukraxeln, und dann noch immer mit so’nem Haufen Holz, das geht auf Dauer auf die Knochen. Wenn ich ehrlich bin, war ich ganz froh, als keene Schiffe mehr kamen. Konnt‘ ich mir das sparen. Na, aber jetzt muss natürlich wieder Feuer gemacht werden. Der alte Jack kann die Kutter ja nicht alle auf die Riffe laufen lassen. Aber ich sag dir, mien Jung‘“ – und hier hielt der Leuchtturmwärter, der Alriks Geduld mit seinem Schneckentempo und seinem Sermon ohnehin schon strapazierte, zu allem Überfluss auch noch kurz inne, drehte sich zu ihm um und fuchtelte gewichtig mit seiner Pfeife, die ihm als Verlängerung seines mahnenden Zeigefingers diente – „auch wenn jetzt wieder ein paar Schiffe kommen, der Hafen hat ausgedient.“ Alrik dankte Innos stumm, als Jack sich wieder in Bewegung setzte. Das Fuchteln mit der Pfeife endete jedoch nicht. „Khorinis, das wird nie mehr, was es mal war. Da soll’n die sich mal keine Illusionen machen. Ein Seemann, der spürt so was. Die paar Schiffe, die jetzt kommen, das is‘ doch nur das letzte Zucken eines Toten. Glaub mir, ich hab schon viele tote Häfen geseh’n. Bakaresh. Nach dem Varantkrieg völlig hinüber. Ich wette mit dir, da legt auch heute kein Kahn mehr an, ob da jetzt wieder die Assassinen herrschen oder nicht. Oder Khoralt. Das wurd‘ schon lange von dem Schicksal ereilt, das jetzt auf Khorinis wartet. Hübsche Fassaden, das is‘ alles, was übrig bleibt. Dahinter kommt alles langsam herunter.“
    Alrik war erleichtert, als sie endlich auf die Spitze des Turmes traten, wo unter einem flachen Dach eine große steinerne Schale stand, in der zweifellos das Leuchtfeuer entfacht wurde.
    „Leg das Holz einfach da ab“, meinte Jack, mit seiner Pfeife gestikulierend. Alrik tat, wie ihm geheißen. Dann sah er sich um. Nichts. Vielleicht hatte Kardif sich geirrt und den Hinweis fehlinterpretiert? Was wusste der Wirt schon...
    „Hast du von hier oben in den letzten Tagen irgendwas Komisches gesehen?“, wandte Alrik, der sich noch nicht völlig geschlagen geben wollte, sich an Jack.
    Der paffte gemütlich an seiner Pfeife. Dann zog er sie aus dem Mund. „Was Komisches? Nee, kann ich nicht behaupten. Aber viel sieht man hier auch nicht.“ Auf Alriks verdutzten Gesichtsausdruck hin wies Jack in einer ausladenden Bewegung mit seiner Pfeife auf die Umgebung. „Na schau dich doch mal um, Junge! Is‘ zwar hübsch die Aussicht, aber hauptsächlich sieht man Bäume und Felsen. Wir sind hier doch abseits von allen Straßen. Ist halt keen Wachturm, sondern ’n Leuchtturm. Das einzige, was du hier wirklich gut im Blick hast, is‘ das Meer und der Hafen.“
    Alrik folgte mit den Augen der Bewegung der Pfeife. Sein Blick blieb an einigen Masten hängen, die in der Ferne hinter dem Felsarm aufragten, der die Stadt vom Hochseehafen trennte. Wer dem Licht in der Höh‘ folgt, entgeht der Gefahr. Plötzlich kam ihm die zündende Idee. Vielleicht ging es gar nicht um den Leuchtturm, sondern um die, die er anleitete. Nicht das Licht in der Höh‘ war wichtig, sondern der sichere Hafen und die, die ihm dahin folgten. Aufgeregt fuhr er herum. „Jack! Weißt du, wie viele Schiffe hier in letzter Zeit angekommen sind?“
    Der alte Seemann lachte. „Klar, was wär‘ ich sonst für’n Leuchtturmwärter? Außerdem kannst’e die dieser Tage an eener Hand abzähl’n. Ich sag dir doch, der Hafen is‘ hin. Da ändern die paar Kähne, die jetzt kommen auch nichts. Die letzten Tage, ha! Zwei Schiffe, mehr haben den Hafen im ganzen Monat nich‘ angelaufen. Keen Vergleich zu früher.“
    „Was waren das für zwei Schiffe?“, fragte Alrik ungeduldig.
    „Da war einmal dieses Handelsschiff. Ansehnlicher Kahn, das muss ich schon zugeben. Kam schon vor einiger Zeit. Muss so ungefähr...“
    „Um das Schiff geht’s mir nicht“, unterbrach Alrik den Leuchtturmwärter. Das konnte nur das Schiff sein, mit dem der Veranstalter selbst auf die Insel gekommen war. Darauf konnte sich der Hinweis des Eingeweihten doch unmöglich beziehen, oder?
    „Wie du meinst... Dann is‘ da noch dieses andere. Liegt noch keine drei Tage im Hafen vor Anker. ’Ne königliche Galeasse aus Khoralt.“
    Alrik horchte auf. Konnte der Hinweis sich auf dieses Schiff beziehen? Ja warum denn nicht? Der Veranstalter war doch sicher reich genug, um irgendein Schiff zu mieten und pünktlich zum Wettbewerb den Hafen anlaufen zu lassen. Er wusste beim besten Willen nicht, worauf sein Hinweis sonst deuten sollte. Und seit Beginn des Wettbewerbs war kein weiteres Schiff in den Hafen eingelaufen. „Dieses Schiff“, wandte er sich wieder an Jack, „du meinst, es kommt aus Khoralt? Bist du dir sicher?“
    „Junge, ich bin seit meinem siebten Lebensjahr zur See gefahr’n. Ich erkenne, wo ein Schiff herkommt. Der Kahn ist aus Khoralt, so wahr ich hier stehe. Und die Flagge vom König von Khoralt erkenne ich auch noch.“
    Jetzt runzelte Alrik die Stirn. „Khoralt ist doch die Hauptstadt von Khorelius, oder?“ Alrik selbst kam aus Montera und war noch nicht lange hier. Mit den Khorinseln – oder Inseln ganz im Allgemeinen – hatte er nie viel am Hut gehabt. „Das gehört doch zu Myrtana.“
    „Heute, mien Jung‘, heute“, pflichtete Jack bei. „Aber früher hat von dort mal ’n König über alle fünf Inseln geherrscht. Ist natürlich schon ewig her. Aber das alte Herrscherhaus gibt’s immer noch. Die Ashes. Angeblich stammen die sogar direkt von Khor persönlich ab.“ Von dieser Sagengestalt aus grauer Vorzeit, dem angeblichen Entdecker und ersten Herrscher der Khorinseln, hatte selbst Alrik in seiner kurzen Zeit hier auf Khorinis schon gehört. „Heute sind sie verarmt und haben nicht mehr viel zu melden. Aber drüben auf Khorelius verehr’n die Leute sie immer noch. Und sie haben das Recht behalten, sich Könige von Khoralt zu nennen, auch wenn’s nur noch ’n leerer Titel is‘.“
    Alrik schaute wieder zu den fernen Masten hinüber. Dass dieses Schiff gerade jetzt hier eingetroffen war, konnte doch kein Zufall sein! Das musste es sein, wohin ihn der Hinweis des Eingeweihten führte.

    „Könnte kaputt sein“, befand Cord, der mit verschränkten Armen in der Tür zur Höhle stand.
    „Mhm. Oder jemand könnte sich daran zu schaffen gemacht haben.“ Lares erhob sich. Mehr, als dass die Teleportplattform aus war, konnte er nicht feststellen. Von Magie verstand er schließlich nichts. „Mir gefällt das nicht.“
    „Mir auch nicht. Aber nur ein Grund mehr, schnell die Wassermagier aufzusuchen. Ich werde wohl zu den Ruinen laufen müssen.“
    Lares nickte. „Mach das. Und ich sage Orlan bescheid, bevor ich in die Stadt gehe.“
    Sie hatten sich beide darauf gefreut, ihren jeweiligen Fußweg beträchtlich abkürzen zu können. Aber als sie die Höhle nun verließen, beschäftigte Lares die Frage, was mit dem Teleporter passiert war, mehr als der Ärger über die zusätzliche Wegstrecke. Irgendein dumpfes Gefühl sagte ihm, dass auch das hier etwas mit diesem Wettbewerb zu tun hatte.

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    Deus Avatar von John Irenicus
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    Funken sprühten, als Sir Theons Klinge auf die Schneide von Groms Axt traf. Die Männertraube um den Holzfäller stieb auseinander, Grom aber hielt dem Schlag stand und drückte das Schwert des Ritters von sich weg. Für einen Moment herrschte Stille – und dann ging alles drunter und drüber.
    Wo sie nur konnten, versuchten die Holzfäller um Grom, dem Ritter schwere Hiebe mit ihren Äxten und Beilen beizubringen. Zum großen Glück Theons stellten sie sich als ungeübte Kämpfer heraus, die ihre Überzahl nicht effizient zu nutzen wussten. Nichtsdestotrotz hatte der Ritter alle Mühe, die Meute immer wieder mit großen Schwertschwüngen in Richtung ihrer ungeschützten Leiber zu zerstreuen. Dass seine Rüstung dabei immer mal wieder einen Schlag abfangen musste, war dabei wenig beruhigend – vielmehr zeigte es, dass er den teils mit ungeahnter Wucht ausgeführten Axthieben nicht besonders lange standhalten würde, wenn er den Kampf nicht rasch beendete.
    Als einer von Theons Schwertstreichen schließlich in der Brust eines der Holzfäller landete, der daraufhin schreiend zu Boden ging, erwachte Verena endlich aus ihrer Starre. Sie schnappte sich die Axt des Gefallenen und trat ihrerseits in den Kampf ein.
    „Bleibt zurück, Lady Ashe“ kam sofort die Mahnung des keuchenden Theons, der die ungeschickt agierende Holzfällergruppe gerade wieder mit einigen Hieben zerstreut hatte.
    „Und Euch der Gefahr alleine aussetzen?“, fragte Verena zurück, während ein etwas zu schwungvoller Axthieb ihrerseits im Gras landete, dabei ihr direktes Gegenüber aber derart eingeschüchtert hatte, dass er beim Zurückweichen über die eigenen Füße stolperte. „Kommt gar nicht in Frage!“
    Verena wollte ihren Beschützer ganz sicher nicht im Stich lassen. Die Worte des Holzfällers namens Grom hatten unheilverkündend geklungen. Offenbar war ein Kopfgeld auf Sir Theon ausgesetzt worden – Verena hatte auch eine starke Vermutung, von wem. Die Aussicht auf mehrere tausend Münzen jedenfalls weckten in so mancher Landbevölkerung die schiere Skrupellosigkeit. Egal, wie dämlich sich die Holzfäller bei ihrem Kampf anstellten – eine Handvoll schwingender Äxte war immer gefährlich.
    Verena wollte sich in einem scheinbar sicheren Moment nach dem Verbleib Yves’ umschauen – da rammte sie einer der Holzfäller nach einer erstaunlich geschickten Finte frontal um, sodass sie mit dem Rücken im Gras landete und ihr beim Sturz zu allem Überdruss noch die Axt aus den Händen glitt. Der Holzfäller ihr gegenüber – Harald – stürzte mit erhobenem Beil direkt hinterher. Verena rollte sich zur Seite und konnte gerade noch ausweichen, stieß dabei aber Sir Theon am Bein an, der, um sein Gleichgewicht kämpfend, einen schweren Schlag vor seinen Brustpanzer einstecken musste, welcher ihm sichtbar die Luft raubte. Verena spürte, dass der Kampf zu kippen drohte. Während sie versuchte, sich aufzurappeln, noch bevor der Holzfäller namens Harald ihr erneut nachsetzte, fühlte sie in ihr Innerstes. Wenn diese Kerle es so haben wollten, dann würden sie nun eben ihre andere Seite kennenlernen. Sie spürte bereits, wie die Energie sie durchfloss, wie ihre Haut sich anspannte – und dann ebbte der Energiestrom plötzlich ab. Keine Verwandlung. Zum ungünstigsten Zeitpunkt. Sie hatte es beinahe schon geahnt.
    Einen Augenblick später landete ein Knie derart hart in ihrem Bauch, dass ihr die Luft wegblieb. Der Holzfäller namens Harald war schließlich doch noch auf ihr gelandet und hielt ihr sein Beil an die Kehle. Hilflos musste Verena mit ansehen, wie auch Sir Theon von Grom und einem weiteren Holzfäller derart in die Mangel genommen wurde, dass er ebenfalls stürzte und von seinen beiden Widersachern auf den Boden gedrückt wurde. Verena kannte zwar die Beweglichkeit Theons, auch in voller Rüstung, doch wenn zwei grobschlächtige Männer auf ihm waren, war selbst er chancenlos.
    „Ihr habt euch mit den Falschen angelegt!“, rief Grom derart laut und triumphierend, dass es nur so durch die Ebene schallte. „Wer weiß, vielleicht bekommen wir jetzt nicht nur ein Kopfgeld für den Blecheimer hier, sondern auch -“
    Grom brach mit einem unartikulierten Laut des Schmerzes ab, als ihn aus dem Nichts eine große, donnernde Faust seitlich am Kopf traf. Verena sah aus ihrer Position die zweite zugehörige Hand hervorschnellen, ein Schwert an ihrem Ende, welches dem anderen Widersacher Theons direkt an die Kehle fuhr und sie einmal quer durchschnitt. Dann sprang das Schwert direkt wieder zum halb bewusstlosen Grom, fuhr auch ihm an die Kehle – verharrt dort aber zunächst. Die zwei anderen Holzfäller, die in der Nähe Theons standen, sich während des ganzen Kampfes aber übervorsichtig zurückgehalten hatten, machten nun noch ein paar Schritte nach hinten. Verena hatte kaum Zeit für Verachtung über diese feigen Männer. Sie konnte nur staunen über den Besitzer der rettenden Faust und des rettenden Schwerts, der nun grimmig zu ihr und Harald herübersah, den zitternden Grom weiterhin mit blankem Stahl bedrohend. Es war der Hüne, der wenige Augenblicke zuvor noch gefesselt am Baum gelehnt hatte.
    „Lass sie gehen, oder dein Anführer ist Geschichte“, sagte er, mit leisen, aber deutlichen Worten, die wie Wind an Verenas Ohren getragen wurden und ihr noch mehr den Atem verschlugen, als er ohnehin schon durch den auf ihr knienden Harald verschlagen war. Irgendetwas an dieser Stimme kam ihr vertraut vor, sehr vertraut.
    Sir Theon hatte sich in der Zwischenzeit wieder aufgerappelt, ergriff sein Schwert – aber selbst er wagte es nun nicht mehr, sich einzumischen. Zu zwingend war die Präsenz des Hünen.
    „Wie… wie wäre es, wenn wir den Spieß umdrehen?“, sagte Harald. „Wenn du nicht von Grom ablässt, muss das Mädchen dran glauben. Eine falsche Bewegung, und sie ist tot.“ Verena spürte, wie sich der Druck des Beils an ihrem Hals intensivierte. Sie traute sich nun nicht einmal mehr, zu schlucken.
    „Versuch’s doch“, antwortete der Hüne in einem Tonfall, der keinen Zweifel an seiner Gleichgültigkeit ließ. „Töte sie. Aber dann töte ich erst deinen Anführer, und dann dich. Und dann den Rest eurer Bande.“
    Rascheln ertönte. Die beiden anderen übrig gebliebenen Holzfäller hatten bei diesen Worten augenblicklich die Flucht ergriffen. Der Hüne grinste. „Siehst du. Sie sind schlauer als du.“
    Harald blickte hilflos zu Grom, doch der blickte nur ebenso hilflos zurück. Verena spürte, wie der Druck des Beils an ihrem Hals langsam nachließ. Dann nahm auch der Druck auf ihrem Oberkörper ab. Und dann war Harald schon auf dem Weg, unbeholfen rennend, seinen Kumpanen hinterher. Wenige Augenblicke später ließ der Hüne von Grom ab. Dieser hatte noch mehr Mühe, sich nach dem Schlag gegen seinen Kopf fortzubewegen, doch irgendwann war auch er wieder im Wald verschwunden.
    „Wie habt Ihr Euch befreit?“, fragte Theon ratlos, an den Hünen gewandt. Der zuckte nur mit den Schultern. „Schlechte Fesselung. Ich hätte mich auch schon früher befreien können.“
    „Und warum habt Ihr das nicht getan?“
    „Ich habe bis gerade keinen Grund dazu gesehen.“
    Schwer atmend setzte Verena sich auf, betrachtete den Hünen noch einmal ganz genau. Ihre Blicke trafen sich. Und dann erinnerte sie sich.
    „Amagon“, brachte sie hervor.
    „Schön, dass du dich doch noch erinnerst. Wo du mir so viel Ärger eingebracht hast.“
    Sir Theon trat zwischen die beiden und tat dabei so ritterlich, dass Verena unter anderen Umständen darüber gelacht hätte.
    „Verehrte Lady Ashe, darf ich fragen, was dieser Kerl von euch will? Ich kann kaum glauben, dass Ihr so eine Gestalt kennen sollt!“
    „Es ist nicht Eure Schuld, dass Ihr ihn am Hof nie gesehen habt“, antwortete Verena. „Es ist immerhin auch schon eine sehr lange Zeit her. Ich war noch ein Kind. Aber schon damals besaß ich diese gewissen… Fähigkeiten. Ihr könnt Euch vorstellen, dass meine Eltern alles getan haben, um mir diese… Anomalie auszutreiben. Nichts half. Bis eines Tages dieser Mann kam. Der einzige, der diese Verwandlungen stoppen konnte. Ein angeborenes Talent. Nicht wahr, Amagon?“
    Der Hüne verschränkte die Arme, schaute grimmiger denn je.
    „Ein einziges Mal bist du mir entwischt. Ganz Khoralt zitterte vor dem Wolf in Menschengestalt. Die Königsfamilie war außer sich, machte mich dafür verantwortlich. Mir blieb nichts anderes als die Flucht vom Hof. Seitdem habe ich mich auf der ganzen Welt als Hexenjäger und Magiertöter verdingen müssen. Wenn Prinzesschen hier nicht gewesen wäre…
    Verena ging einen Schritt auf den Hünen zu, ließ den Blickkontakt nicht abreißen. Die Farbe seiner Augen… sie musste blind gewesen sein, ihn nicht sofort wiedererkannt zu haben.
    „Warum bist du hier?“, fragte sie. „Doch nicht wegen des Wettbewerbs.“
    „Nein“, brummte Amagon nach einer Weile. „Ich bin hier, weil ich auf dieser Insel Magie spüre. Starke, dunkle Magie. Ein ganzes Durcheinander an Energie, kaum zuzuordnen. Ein magischer Sturm.“
    „Dunkle Magie?“, entfuhr es Sir Theon, der zum Zwiegespräch der beiden kaum noch etwas beitragen, sondern bloß erstaunt schauen konnte.
    „Ich dachte zuerst, sie ginge von Verena aus, konnte mir aber keinen Reim drauf machen. Deshalb mein… Verhalten. Mittlerweile weiß ich, dass sie von woanders herkommen muss.“
    „Aber woher?“, fragte Verena. Sie war nervös, denn obwohl Amagon ganz getreu ihrer Erinnerung nach außen hin vollkommen ausdruckslos wirkte, meinte sie, in seiner Stimme eine Art von Besorgnis zu hören, die ihm gar nicht gut stand.
    „Selbst wenn ich es genau wüsste, würde ich es euch nicht sagen. Zu gefährlich. Aber wahrscheinlich werden wir es alle noch eher erfahren, als es uns lieb ist.“
    „Dann müsst Ihr uns erst recht in Kenntnis darüber setzen!“, schaltete Sir Theon sich wieder ein. „Wenn es hier dunkle Magie gibt, dann muss ihr Einhalt geboten werden! Ich bitte Euch, erzählt uns, was Ihr darüber wisst!“
    Der Hüne stand weiter dort, unbeweglich, die Arme verschränkt. Er hatte nicht einmal einen kleinen Blick zum Ritter herübergeworfen. Verena ging noch einen weiteren Schritt auf ihn zu.
    „Amagon, bitte. Wenn es hier eine Gefahr gibt, ist sie nur umso gefährlicher, wenn wir nichts über sie wissen. Sag uns, was du weißt.“
    Der Hüne atmete ein paar Male tief ein und aus. Schließlich nahm er die Arme aus der Verschränkung und ließ sie sinken wie einen Schild.
    „Sind euch die Schwarzmagier von Xhan ein Begriff?“

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    Drachentöter Avatar von Eddie
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    "Komm schon. Erzähl uns doch was." Gaan tänzelte mit einer ordinären Mischung aus Flehen, Verzweiflung und unterdrückter Wut um Adrien herum. Offenbar konnte sich der junge Jäger nun nicht mehr gedulden.
    Seitdem die Gruppe bestehend aus den beiden Jägern und dem abtrünnigen Eingeweihten von den Tempelruinen aufgebrochen war, brannte Gaan nur eine Frage auf den Lippen: Was hatte Adrien ihnen zu sagen?
    Doch in dem unübersichtlichen Gelände zwischen den Tempelruinen und dem Sonnenkreis war es gefährlich gewesen, allzu laut zu sein. Deswegen wollte er seinen Emotionen nicht völlig freien Lauf lassen. Gaan wäre es deutlich lieber gewesen, den bequemeren Weg in Richtung Orlans Taverne zu nehmen. Doch aufgrund der zerstörten Brücke, die den einzigen Überweg in dieser Richtung über das klippenbewährte Flussufer darstellte, blieb den drei Männern keine andere Wahl.
    Zudem wunderten sich die beiden Jäger immer noch, warum auch die Brücke in der Nähe des Sonnenkreises zerstört wurde. Grimbald hatte die Vermutung geäußert, dass auf der anderen Seite dieser Brücke etwas wertvolles versteckt sei, was man jetzt nicht mehr ohne immense Probleme erreichen sollte. Überprüfen wollte er diese Überlegung jedoch nicht, da er sich in diesem Gebiet nicht gut genug auskannte. Und selbst mit Gaan zusammen war das Risiko noch zu groß. Sie würden sich dafür etwas anderes überlegen müssen.
    Auch Gaan kam in der Frage der Brückenzerstörung nicht voran. Letztlich entschied er sich jedoch dazu, Grimbalds Meinung zu teilen und zu den wesentlichen Dingen des Lebens zurückzukehren.
    Die Drei befanden sich nun auf dem Plateau unterhalb des Sonnenkreises. Dort war es zu dieser Jahreszeit nach Aussage der beiden Jäger weitgehend ungefährlich. Dies war letztlich auch der Hauptgrund dafür, dass Gaan sich dazu entschloss, Adrien Informationen zu entlocken. Und zwar durch immerwährende Fragerei: "Ach komm, los. Bitte, bitte, bitte."
    Grimbald hingegen beobachtete seine Umgebung und gab sich nebenher alle Mühe, mächtig genervt von Gaans aufdringlicher Art zu sein.
    "Das ist ja nicht zum Aushalten, Mann. Warte doch einfach, bis es soweit ist."
    "Aber er kann doch einfach ... wenigstens ein kleines bisschen ..."
    "Keine Chance." Antwortete Adrien daraufhin . Dieser war jedoch im Gegensatz zu Grimwald amüsiert über Gaan. Der Jäger wirkte auf ihn, wie ein kleines Kind, dem man sein Lieblings-Holzschwert erst geben wollte, wenn dieses seine Rosenkohl-Blauflieder-Suppe bis auf den letzten Tropfen ausgelöffelt hatte. Er erinnerte Adrien an sein Zuhause, an seine Tochter und an seine Frau. Sein Herz wurde ihm schwer.
    "Och komm."
    "Nein." sagte der Eingeweihte entschlossen, jedoch nicht argwöhnisch. "Lass uns weiter gehen. Je eher wir in der Hafenstadt sind, desto eher bekommst du deine heißgeliebten Informationen."
    "Können wir nicht noch kurz sitzen bleiben?", grummelte Grimwald. "Ich hab gefühlt drei Jahre nicht geschlafen. Hundemüde bin ich. Und dieser Wald hier ist auch nicht grade ohne."
    "Komm Grimbald, so schlimm isses hier auch nicht." versuchte Gaan seinen Jagdgenossen zu überreden. Widerwillig rappelte sich der ausgelaugte Armbrustschütze schließlich auf und die Drei setzen ihren Weg fort.
    "Und du willst uns wirklich nichts sagen?" fragte Gaan mit einem letzten Aufflammen seiner Neugier. "Keine Chance." erwiderte Adrien mit fester Stimme, aber wohlwollenden Gesichtszügen.
    Gaan schien nun langsam den Bogen ins Korn zu werfen und wurde ruhiger. Die Gruppe machte sich daran, dem Weg weiter zu folgen und den nahen Wald zu betreten. "Aber wie es kam, dass du zu einem Eingeweihten geworden bist, das kannst du uns doch bestimmt erzählen, oder?"
    Die Sonne schien hell und der Himmel war strahlend blau. Ein sanfter Wind wehte durch die Luft und entfernt hörte man Vogelzwitschern und die Schreie eines Scavengers. Im Großen und Ganzen also ein schöner Tag.
    Dennoch blieb Adrien von einem Moment auf den Anderen stehen. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn, seine Hände zitterten und er war zu keiner Regung in der Lage. "Was ist? War das so ne schlimme Frage?"
    Doch Adrien reagierte nicht. Er bekam kaum noch etwas um sich herum mit. Sein Blick starrte ins Leere, er konnte nichts sehen. Nichts, außer einem Dickicht aus Bäumen und Sträuchern, das mit jedem Moment düsterer und düsterer zu werden schien. Doch er spürte es. Er spürte es so deutlich, dass es kaum zu ertragen war. Eine fremde Macht schien von ihm Besitz zu ergreifen. Eine Macht, welche die Kontrolle über seinen Körper übernahm und Adriens Verstand zu einem stummen Beobachter über seine Handlungen werden ließ.
    Doch Adrien war diese Macht nicht fremd. Er wusste, was all dies bedeutete. Er kannte diesen Ablauf und er wusste ganz genau, was als nächstes geschehen würde. Oft genug hatte er all dies erdulden müssen. Oft genug sah er seinem Körper dabei zu, wie dieser Handlungen beging, sie sein Verstand schon bereute, noch bevor irgendetwas geschehen war. Er war froh, dass er das meiste davon entweder nicht mitbekam, oder wieder vergaß. Zumindest fehlten ihm jedes Mal , wenn so etwas passierte, ein paar Stunden seiner Erinnerungen.
    Sein Kopf begann zu schmerzen und dieser Schmerz zwang ihn auf die Knie. Er wusste ganz genau, was gleich geschehen würde. Doch diese Jäger, die ihm helfen wollten, das alles hier zu beenden, sollten keinen Schaden davon tragen. Deswegen versuchte er, sie so gut wie möglich davor zu bewahren. Mit aller verbliebener Gewalt, die er noch über seinen Körper hatte, konzentrierte er sich darauf, eigenständige, nicht von dieser fremden Macht formulierte Sätze zu sprechen.
    "Schafft mich weg. In eine dunkle Ecke. Fesselt mich! JETZT!" Er konnte nichts sehen, war gezwungen, die Augen zusammenzukneifen. Auch war er von allen Umgebungsgeräuschen restlos abgeschnitten. Alles, was er hörte, war ein monotones Brummen und Dröhnen. Da er sich nicht sicher war, ob die Jäger seine Aufforderung wahr genommen hatten, widerholte er sie noch einmal, mit allem Nachdruck, den er noch aufbringen konnte. "FESSELT MICH! JETZT!"
    Er spürte, wie die Kontrolle über seinen Körper immer mehr aus den Händen glitt. Gleich würde er wieder in das tiefe schwarze Loch fallen. Wie jedes Mal, wenn das geschah.
    "Aber aber, mein lieber Adrien. Wer wird sich denn hier gegen die Prozedur wehren wollen?" Eine ihm wohlbekannte und verhasste Stimme drang anstelle des Dröhnens an seine Ohren. Evadam. Er lachte. Hämisch und herablassend. "Wir wissen doch beide, dass das nicht gut für dich ausgehen wird, mein lieber Freund." Dann war es still. Für einen kleinen Moment hörte Adrien überhaupt nichts. Ein beängstigender Moment, wenn man ihn mit vollem Bewusstsein mitbekam. Doch dann drängte sich die giftige Stimme Evadams wieder in den Vordergrund. "Eine solche Schandtat hätte ich nicht von dir erwartet. Ich bin sehr enttäuscht von dir. Aber das hast du sicher wissentlich in Kauf genommen." Wieder eine kurze Stille.
    "Nun gut, sei es drum. Sicher wunderst du dich, wieso ich jetzt mit dir spreche und vor allem, wie mir das möglich ist. Da du als einer von wenigen diesem Martyrium der Fremdkontrolle ausgesprochen gut - und vor allem: Öfter als einmal - standgehalten hast, will es dir erläutern. Öffne die Augen und schaue den Hügel hinauf."
    Adriens Augen öffneten sich und sein Blick wanderte an dem nahegelegenen Hügel hinauf. Er sah, wie er über den Boden geschleift wurde."Siehst du den Schwarzmagier? Er ist mein Medium. Er stellt die Verbindung von mir zu dir her. So kann ich dich steuern, während ich selbst an einem sicheren Ort bin. Großartig, nicht wahr." Er lachte, doch Adrien wurde schlecht. Besser gesagt: Ihm würde schlecht werden, wenn seinem Körper soetwas noch möglich wäre.
    Jemand, wahrscheinlich Gaan oder Grimbald, drückten ihn gegen einen Baum. "Das du deine neuen Freunde schützen möchtest, ist sehr löblich von dir. Ich verstehe deine Entscheidung auch. Dennoch kann ich das leider nicht dulden. Ihres Leben wirst du wohl schuldig machen müssen. Aber auch das hast du sicher billigend in Kauf genommen. Nun gut, genug der Sentimentalitäten. Gute Nacht." Adriens Kopf senkte sich ab und seine Augen fielen zu. Das letzte, was er sah, war ein dünnen Seil, das um seinen Bauch gewickelt wurde. Dann war es aus.

    "Hey. Adrien, alles in Ordnung?"
    "Was ist, Gaan?" fragte Grimbald von hinter dem Baum. "Ich glaube, Adrien ist ohnmächtig geworden." antwortete Gaan. "Irgendwie gefällt mir das hier ganz und gar nicht."
    "Mir auch nicht. Lass uns lieber weitergehen. War vielleicht doch keine so gute Idee, dem so leichtfertig zu helfen."
    "Möglich. Aber es war eben ein sehr verlockendes Angebot."
    "Stimmt. Ich schnür noch eben den Knoten und dann..." Doch da begann die Sache den Jägern zu entgleiten. Adrien schüttelte sich und wehrte sich vehement gegen das Anbinden an den Baum. "Was ist denn jetzt schon wieder?" fragte Grimbald. Gaan spannte einen Pfeil auf die Sehne seines Bogens und zielte auf Adrien. "Versuche, ihn festzubinden. Wenn du es nicht schaffst, werde ich ihn...Oh oh."
    "Was ist?" ,fragte der schreiende Grimbald, der mit aller Kraft versuchte, den Knoten zu schnüren. "Aber wahrscheinlich will ich das auch gar nicht wissen."
    "Adriens Geschreie hat offenbar Besuch angelockt.", sagte Gaan, der sich nicht entscheiden konnte, ob er mit seinem Pfeil auf den wild umherzappelnden Adrien oder auf das grimmig dreinschauende Maul des Schattenläufers im Dickicht zielen sollte.

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    Deus Avatar von Atticus
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    „Ihr seid zurück, Pyrokar.“ Serpentes musterte das Oberhaupt der Feuermagier mit besorgtem Blick, als dieser aus dem verblassendem Licht des Teleportzaubers trat. „Habt Ihr Lord Hagen gesprochen? Wird er die passenden Maßnahmen für eine mögliche Bedrohung gegen die Schwarzmagier von Xhan treffen?“ „Passende Maßnahmen?“, antwortete Pyrokar, während er den Gang hinauf zur Kopfseite der großen Kapelle zu seinem Stuhl unterhalb der Innosstatue schritt und sich dabei die glitzernden Überbleibsel der Magie von der Robe strich. „Ich bezweifle, dass es wirklich wirksame Möglichkeiten gibt die Stadt und ihre Bewohner vor einer Unterwanderung durch Schwarzmagier zu schützen. Zumindest nicht, ohne genug von unseren Magiern vor Ort zu haben, die die Paladine und Bürger vor Gedankenmanipulation schützen könnten.“ Mit einem Stöhnen ließ sich der Hochmagier auf seinen prächtigen Stuhl sinken und legte die Fingerspitzen an seine sorgenvoll gefurchte Stirn. „Warum kann die Vergangenheit niemals ruhen?“, murmelte er mehr zu sich selbst, als zu den beiden anderen Hochmagiern, die sich sorgenvolle Blicke zuwarfen.
    „Sei's drum!“ Pyrokar richtete sich auf und wandte sich an Ulthar. „Wie ist der Zustand des Eindringlings? Gab es irgendwelche Vorkommnisse?“ „Nein“, antwortete Ulthar. „Der Eindringling ist immer nach in der Kammer am Bett fixiert und wir konnten auch keine magischen Anomalien feststellen. Es sieht so aus als halte sich das fremde Bewusstsein in seinem Geist zurück, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.“
    „Wir müssen wissen, wer genau sich in dem Geist dieses Narren eingenistet hat und was seine Mission war oder ist. Diese Bedrohung muss so schnell wie möglich beendet werden. Wir können es uns nicht leisten neben dem Krieg und der Banditenplage Energie auf eine weitere Gefahr zu verschwenden.“, sprach Serpentes und fuchtelte mit seiner beringten Hand durch die Luft.
    „Ich stimme zu.“, pflichtete Ulthar ihm bei. „Je schneller wir handeln, desto schneller können wir einem Angriff zuvorkommen. Wir müssen in den Geist des Spiones eintauchen und unseren Gegner überwältigen um so viele Informationen wie möglich zu erlangen.“
    Pyrokar schüttelte den Kopf. „Wenn wir jetzt in dieses Zimmer gehen und uns an seinem Geist zu schaffen machen, wird der Feind sich aus seinem Bewusstsein zurückziehen, ohne das wir in greifen können.“ Er hob die Hand und winkte einen Novizen zu sich, der am anderen Ende der Halle wartete. Dieser eilte herbei, verbeugte sich und murmelte kurz: „Was ist zu tun, Meister?“
    „Schick einen der Paladine zur Zelle des Eindringlings. Er soll ihn in das Sekretariat bringen, wo ihm die Strafzahlung für sein unbefugtes Eindringen auferlegt wird. Geh.“
    Der Novize eilte davon.
    „Wollt Ihr ihn etwa einfach laufen lassen?“, brauste Serpentes auf und beugte sich empört über die Armlehne seines Stuhles „Wir können doch diesen Spitzel....!“ Pyrokar unterbrach ihn unwirsch. „Natürlich nicht!“ Er stand auf und bedeutete den beiden anderen Hochmagier ihm zu folgen. „In diesem Augenblick ist der Feind auf der Hut. Wir müssen ihn glauben machen, dass wir nichts von seiner Anwesenheit im Geiste dieser Marionette wissen und das wir glauben, dass dieser Bursche nichts weiter als ein gewöhnlicher Einbrecher ist.Wir müssen ihn überrumpeln und dürfen ihm keine Möglichkeit zur Gegenwehr geben.“ Er rauschte mit wehender Robe auf den Ausgang zu. „Und genau das werden wir jetzt tun.!“

    „Gestohlen? Ich habe dir das Pferd – wie ich bereits erwähnte – für gutes Gold abgekauft. Und dies, für einen wie ich finde sehr großzügigen Preis. Warum sollte ich dir etwas schulden?“ Ilyas belustigter Gesichtsausdruck nahm einen leicht spöttischen Zug an, während er den immer noch am Bett fixierten Martin betrachtete, der mit offensichtlicher Entrüstung zu ihm aufsah.
    „Ach ja?“, schnaufte Martin und stierte mit – wie er hoffte bedrohlichem Blick – zurück. „Und wo ist dann das Gold? Darauf weißt du keine Antwort was? Ich hatte schon bevor ich hier ankam nur noch eine Hand voll Silberlinge in meinem Beutel und den haben mir die verdammten Paladine zusammen mit meinem Runenstein abgenommen.“
    „Woher soll ich wissen, was ein Mann wie du mit seinem Geld anfängt?, erwiderte der hochgewachsene Mann, in dessen Ton sich nun leichter Ärger einschlich. „Du sagtest und ich zitiere dich wortwörtlich, du würdest das Gold für eine Angelegenheit brauchen, die keinen Aufschub mehr duldet, was auch immer das heißt.“ Ilyas ließ seinen Blick über Martins massigen Leib gleiten und grinste breit. „Vermutlich hatte diese Angelegenheit mit einem reichhaltigem Mahl und dem ein oder anderen Schluck Bier zu tun?“
    Martin lief vor Scham und Zorn scharlachrot an. „Ich darf doch wohl sehr bitten!“, polterte er. „Bei Adanos feuchten Backen, pass bloss auf wie du mit mir sprichst oder es wird dir noch Leid tun!“
    Sein Leibesumfang war einer der vielen wunden Punkte, bei dem er schnell die Beherrschung verlor. Das seine Drohung angesichts seiner Lage kümmerlich verpuffte, bemerkte er dabei nur am Rande.
    „Wie auch immer.“
    Ilyas wandte sich zum gehen. „Ich denke jedenfalls, dass du dich erst mal darauf konzentrieren solltest dir eine gute Entschuldigung für dein.....Missgeschick bei deiner Ankunft zu überlegen. Wir sehen....“ Doch bevor er die Hand auf den Türknauf legen konnte, pochte jemand zweimal hart dagegen und öffnete die Tür.
    Im Rahmen stand ein Paladin in voller Montur und sah erst Ilyas an und wandte dann sein Gesicht zu Martin. Hinter ihm spähte einer der Novizen neugierig in die Kammer.
    „Über dein Strafmaß wurde entschieden, Krimineller. Du wirst nun von mir zu deiner Urteilsverkündung im Sekretariat gebracht, wo du die Höhe deiner Strafzahlung erfahren wirst. Novize! Löse seine Fesseln.“ Der Novize tat wie ihm geheißen und trat dann vom Bett zurück. Martin rieb sich die schmerzenden Handgelenke und stand auf.
    Gemeinsam gingen er, der Paladin und der Novize aus der Kammer, Ilyas blieb alleine zurück.
    Zu dritt schritten sie mehrere Korridore entlang, stiegen zwei Treppen hinunter und gingen unter dutzenden Torbögen hindurch. Martin leckte sich nervös die Lippen. „Könnt Ihr mir sagen, mit welcher Höhe ich bei meiner Strafe rechnen muss, Herr Paladin? Derzeit bin ich etwas klamm, müsst Ihr wissen. Und eigentlich war es ja auch gar nicht meine Absicht hier im Kloster zu landen, das war ja nur, weil ich....“ „Schweig!“, schnitt im der Ritter das Wort ab.
    „Üblicherweise werden vergehen gegen das Kloster mit Goldzahlungen geahndet. Alternativ kannst du auch mit Schafen bezahlen, wenn unsere Herde aufgestockt werden muss.“, flüsterte ihm der Novize leise zu. „Solltest du allerdings weder das Eine noch das Andere besitzen wirst du Strafarbeiten hier im Kloster verrichten müssen. Gänge kehren, Unkraut ernten, Latrinen säubern....“ Martin konnte den schadenfrohen Unterton des Novizen hören, der direkt hinter ihm ging und sich zu ihm vorbeugte. Fast schon sah er das hämische Grinsen auf seinen Lippen.
    Martin hatte weder genug Geld und noch genug Schafe um eine Strafe zahlen zu können. Er würde wohl oder über arbeiten müssen. Seltsamerweise fand Martin den Umstand, dass er hier im Kloster bleiben müsse, gar nicht so schlimm. Unverständlicherweise freute es ihn geradezu, obwohl ihm beim besten Willen kein Grund einfiel, wieso ihm harte Strafarbeit innerhalb eines Klosters gefallen könnte.
    „Wir sind da.“
    Der Paladin öffnete eine schwere Holztür und stieß Martin hinein. Der Raum war gefüllt mit Regalen voller Schriftrollen, einem schweren Schreibtisch mit prächtigen Stuhl dahinter und einem kümmerlichen Stuhl davor. Auf diesen drückte ihn der Paladin und fixierte erneut Hand- und Fußgelenke. Martins Augen zuckten von einem Regal zum anderen, über den Schreibtisch und saugten alles in sich auf. Er selbst sah nichts Interessantes außer jede Menge Papier, doch konnte er nicht aufhören jedes Detail in sich aufzusaugen, wie als.....
    Plötzlich wurde sein Kopf von hinten gepackt, zwei Hände pressten sich links und rechts an seine Schläfen und er spürte einen scharfen Schmerz in seinem Kopf, wie ein Nagel der sich in sein Hirn bohrte. Er wehrte sich, warf sich so gut er konnte hin und her, konnte die Fesseln die ihn hielten aber nicht abschütteln und auch die Hände hielten ihn weiter fest gepackt. Er warf den Kopf zurück und konnte einen Blick auf den Hochmagier Pyrokar erhaschen, der mit verzerrtem Gesicht und mit entschlossenen Augen auf ihn hinabsah.

    „Haltet ihn!“, brüllte Pyrokar während er all seine magische Energie auf das Bewusstsein des Mannes einwirken ließ. Der Paladin und der Novize die den Gefangenen hierher gebracht hatten, packten die Glieder des Mannes und kämpften gegen dessen vergebliche Versuche sich aus Pyrokars griff zu entwinden. Mit einem geistigen Schlag tauchte der Hochmagier in den Geist Martins ein, fand das fremde Bewusstsein und blockte jeden Fluchtversuch. Sein Plan hatte funktioniert. Die Aussicht mehr von den Räumlichkeiten des Klosters zu erhaschen und mehr Informationen zu sammeln, hatte den Gegner aus der Deckung gelockt. Nun musste Pyrokars Wille den des gegnerischen Magiers niederringen. Er hörte den erschrockenen Schrei im Geiste Martins und spürte die Gegenwehr, doch das Überraschungsmoment hatte dem Hochmagier einen Vorteil verschafft. Er schlug mit all seiner Kraft auf die geistige Barriere ein, die der Gegner errichtete hatte und schon nach kurzer Zeit durchbrach er sie und drang in dessen Geist ein. Pyrokar durchwühlte ihn nach nützlichen Informationen und das Erste was er sah, war ein Name. Er erstarrte. Diesen Moment nutzte der Magier um ihn wieder auszuschließen, die Verbindung zu seiner Marionette zu kappen und sich gänzlich aus dem Bewusstsein Martins zurückzuziehen.
    Pyrokar sackte zusammen. „Pyrokar! Ist es Euch gelungen den Gegner niederzuringen? Was habt Ihr gesehen?“
    „Evadam.“ Das war die schlimmste aller Möglichen Nachrichten. Evadam war am Leben und hier auf dieser Insel.
    Serpentes, Ulthar, der Paladin und der Novize redeten alle auf ihn ein, bis eine plötzliche Erschütterung alle zum verstummen brachte. „Was war das?“, fragte der Paladin. „Das kam aus der Richtung der Artefaktenkammer die Meister Talamon bewacht.“, sagte der Novize ängstlich.
    „Der Schild. Der Schild des Feuers.“ Pyrokar richtete sich unter Mühe auf. Er packte den Paladin am Arm. „Schlagt Alarm! Sie sind hier!“

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    Irenicus-Bezwinger  Avatar von MiMo
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    Der Wind rauschte durch die Baumwipfel, die Blätter flüsterten ihm zu, ohne dass er sie verstand. Die Äste knarrten und nahmen ihm jede Möglichkeit nach Wölfen und anderen Gefahren zu lauschen. Sebastian musterte jeden Baum, an dem er vorbei kam, mit kritischem Blick. Endlich fanden seine Augen, wonach er gesucht hatte. Er hatte sich das Zeichen kleiner vorgestellt, hatte geglaubt, jede Eiche genau untersuchen zu müssen. Dies war einer der Gründe, weshalb er nur so langsam vorangekommen war.
    „Ich bin einverstanden. Ich wüsste da auch schon etwas, was du tun könntest...“, hallten die Worte des Söldnerhauptmanns in seinen Gedanken wider. Plötzlich erschienen sie ihm viel schicksalsträchtiger als noch in dem rustikalen Fachwerkhaus.
    Er sah hoch an den Stamm des mächtigen Baums vor ihm und musterte argwöhnisch die leuchtende Rune, die tief in die harte Rinde eingeritzt war. „Lares und Cord haben nützliche Kontakte, überlass ihnen die Suche nach den Eingeweihten. Du wirst einer anderen Spur nachgehen. Um deine Chancen im Wettbewerb brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich geb dir mein Wort, dass du alles erfahren wirst, was wir über und von den Eingeweihten in Erfahrung bringen können.“
    Sebastian erinnerte sich, mit einem mulmigen Gefühl im Magen genickt zu haben.
    „Pepe, der Schafshirte, hat kurz vor Beginn des Turniers etwas Merkwürdiges beobachtet. Er wollte Onar eigentlich persönlich davon erzählen, doch Onar dachte nicht daran, ihn zu empfangen. Ich war zufällig zur rechten Zeit am richtigen Ort und konnte ihn ein wenig ausfragen.“ Lee war sich an dieser Stelle unruhig mit einer Hand über den Kopf gefahren. „Pepe war eines seiner Schafe entwischt, er nannte es Liesel. Und als er in den Wald ging, um es zu suchen, beobachtete er, wie eine vermummte Gestalt ein merkwürdiges Zeichen in eine Eiche ritzte. Dabei soll er etwas in einer fremden Sprache gesungen haben. Pepe beschrieb es als kehligen Singsang.“
    „Und du willst, dass ich mir diesen Baum genauer angucke?“
    „Ich würde viel darauf setzen, dass das etwas mit eurem Wettbewerb zu tun hat. Und während ihr unterwegs seid, werde ich versuchen, herauszufinden, welche Orte auf diesen goldenen Kugeln markiert sind.“

    Er hatte eingewilligt, nicht ahnend, worauf er sich einließ. Wenn Onars Schafhirte der Zeuge dieser mysteriösen Zeremonie gewesen war, konnte die Eiche ja nicht weit weg sein, hatte er gedacht. Doch Liesel musste recht entschlossen gewesen sein, ihrem Herren zu entkommen, wenn sie so tief in den Wald vorgedrungen war.
    Nun, da er vor der leuchtenden Rune stand, schien schon wieder der Abend hereinzubrechen. Das Licht, das noch den Weg durch die Blätter fand, wirkte rötlich, die Schatten dunkler. Oder lag ein Zauber auf diesem Ort, der ihm diese Eindrücke einimpfte? Irrlichter schwirrten lautlos über den Farnen. Sebastians Herz klopfte, ohne dass er wusste, warum. Genau wie er nicht wusste, warum er überhaupt an diesem Wettbewerb teilnahm. Eine Hand verirrte sich an das rostige Wolfsmesser, das alles war, was er zu seinem Schutz bei sich trug. Wurden die Irrlichter von dem Ort angezogen, oder waren sie zuvor einfach nicht aufgefallen, weil es noch zu hell gewesen war? Vielleicht verfolgten sie ihn auch, hungrig auf die naive Beute, die sich zu tief in den Wald hinein getraut hatte.
    Sein Blick hing an dem gezackten Zeichen, das unverändert smaragdgrün leuchtete. Es erinnerte ihn an etwas… An seine Heimat. Die grünen Butzenscheiben aus seiner einstigen Stammkneipe. „Komm schon, Seb! Gib noch einen aus!“, hörte er einen Freund lallen, der schon vor einem halben Jahrzehnt in einer Mine verschüttet worden war.
    „Willst du noch ein Bier, Sebastian? Wenn du versprichst, morgen wieder zu kommen, geht es aufs Haus.“ Selbst in seiner Erinnerung errötete die kurvenreiche Tochter des Wirts bei ihren schüchtern vorgetragenen Worten.
    Was sollten diese Fragmente aus längst vergangenen Tagen? Warum dachte er ausgerechnet jetzt an sie? Das grüne Licht brannte sich in seine Netzhaut. Ein Stöhnen drang an seine Ohren, ungehemmt und jung. Es gehörte zu der Bauerstochter, der ersten Frau, die er gehabt hatte. Er erinnerte sich an seine Nervosität und wie sie die Arme um ihn geschlungen hatte. Sie hatte ihn mit einer Kraft an sich gepresst, die sie nur der Feldarbeit verdanken konnte. Er verlor sich in der Erinnerung an ihr hübsches Gesicht. Wenn er damals nicht fortgegangen wäre, hätte er sie dann wohl geheiratet? Ihre Umarmung wurde fester, sie umfasste seine Arme und seine Brust. Er spürte den Druck an seiner Hüfte, selbst seine Beine umschlang sie mit ihrem Körper.
    Die Rune erlosch schlagartig, war plötzlich nicht mehr als eine vor Harz triefende Wunde in der Borke. Und als Sebastian das Bild der Bauerstochter wegblinzelte, sah er wieder den großen Baum vor sich, doch der Druck blieb. Die wohlige Zufriedenheit wich blankem Entsetzen. Er konnte sich keinen Millimeter rühren. Äste hatten sich um ihn geschlungen und hielten ihn fest in ihrem Würgegriff. Blätter kitzelten ihn unter der Nase und schmiegten sich an seinen Körper, als wollten sie ihn vollends vor neugierigen Blicken verstecken. Die Irrlichter tanzten surrend im Kreis um den Baum herum, wippten auf und ab, tanzten einen munteren Reigen. Und das Licht hatte sich von dem Rot der Abenddämmerung zu einem aggressiven Blutrot verdunkelt.

    Adarich saß allein an der langen Tafel. Das Licht der Abendsonne warf lange Schatten durch den Raum und über seinen Weinkelch. Er verspürte eine freudige Erregung, die nicht nur daher rührte, dass Rodriguez und Salvadore nun schon einige Zeit unterwegs waren. Er spürte deutlich, dass noch etwas anderes in der Luft lag. Heute Abend würde der Wettbewerb in die nächste Phase eintreten. Er streckte seine Hand nach dem Wein aus, hinter ihm das riesige Ölgemälde. Die weißen Flecken klagende Mahnmale. Die Kerzen flackerten, der Weinkelch vibrierte kaum merklich.
    „Der Wächter der Jadelinse wurde aktiviert“, flüsterte eine Stimme in seinem Ohr. Adarich Evadam stellte den Weinkelch wieder ab, ohne genippt zu haben.
    „Vortrefflich“, sagte er in den leeren Raum. Das machte die Sache interessanter. Vielleicht würde Rodriguez doch nicht der erste sein, der sein Leben ließ. Er erhob sich, eine Idee, was er in einen der weißen Flecken zu malen hatte.

    Sebastian riss an den hölzernen Fesseln, doch sie gaben nicht nach. Er hoffte, dass sie ihn einfach losließen, obwohl es für ihn einen metertiefen Sturz gen Boden bedeuten würde. Seine nackten Handgelenke scheuerten an der Rinde. Die Panik vernebelte ihm die Sinne, oder dünstete der Baum etwas Giftiges aus? Hoffentlich, schoss es ihm unvermittelt durch den Kopf. Hoffentlich war alles nur eine Halluzination, ausgelöst von der Magie der grünen Rune. Ja, genau so musste es sein. Er lachte hysterisch. Es konnte gar nicht anders sein!
    Nur wer nicht sucht, kann fündig werden.
    Sein Unbehagen wuchs noch weiter. Das Wispern der Blätter war für ihn nicht länger unverständlich. Es glich nun dem Flüstern eines alten Mannes, dessen Worte auch gut seine letzten sein konnten. Nur dass dieses Flüstern nicht gebrechlich klang. Eher verstohlen, als wolle es ihn in Sicherheit wiegen.
    „Einfältiger Mann, was ist dein Samen?“, raschelten die Eichenblätter.
    „Sa-men, Sa-men, Sa-men“, sangen die Irrlichter in seinem Kopf.
    „Ich verstehe nicht“, antwortete Sebastian und bekam kaum genug Luft für die Worte. „Ich habe keinen Samen!“
    „Lustiger Mann, wo hast du deinen Samen versteckt?“, echote der Baum neckisch.
    „Sa-men, Sa-men, Sa-men“, setzten die Irrlichter ihren Reigen fort.
    „Ich habe keinen Samen!“, schrie Sebastian. Mit einem Mal endete alle Bewegung. Die Irrlichter froren in ihrer Bewegung ein, hörten sogar auf zu pulsieren. Die Blätter verstummten. Die Rune strahlte wieder auf. Eine donnernde Stimme grollte nun über die Lichtung, die nichts mehr mit dem Rascheln der Blätter zu tun hatte: „Du hast keinen Samen für mich?!“
    Sofort war sich Sebastian sicher, das Falsche gesagt zu haben. Aber was hätte er tun sollen? Es war nun mal so! Wo hatte dieser Lee ihn nur hineingeritten?
    Die Irrlichter wechselten von Weiß zu Rot, verschmolzen ganz mit dem blutfarbenen Hintergrund.

    „Er hat den Samen nicht, der nötig ist, den Baumgeist zu besänftigen“, murmelte Rodriguez.
    Salvadore schnaubte nur geringschätzig. Dass es niemand in so kurzer Zeit schaffen konnte, den Samen aus dem Minental zu bergen, war doch offensichtlich gewesen. Dafür, dass das Artefakt so nah an Onars Hof zu finden war, musste sein Schutz schließlich umso schwerer zu durchdringen sein.
    Sie sahen aus sicherer Entfernung zu, wie die Irrlichter ihre Farbe wechselten und alles in ihr rotes Glimmen tauchten.
    „Immerhin ist es nicht Niklas, der dort in den Ästen hängt“, erwähnte Salvadore den Namen beiläufig.
    Rodriguez warf ihm einen unsicheren Blick von der Seite zu. „Ja… Ja, das war auch mein Gedanke.“ Er zögerte, ehe er fortfuhr. „Ich wusste nicht, dass Lord Evadam mit dir über diese Angelegenheit gesprochen hat.“
    Salvadore ging nicht darauf ein. „Nicht auszudenken, wenn es Niklas gewesen wäre. Du stündest hier, und müsstest hilflos mit ansehen, wie er von dem Baumwächter zerquetscht wird. Siehst du, ich glaube, er fängt gerade an, ihn zu erwür...“
    Plötzlich wechselte die Beleuchtung wieder von Rot zu Weiß. Sebastian stieß einen Schrei aus, als der Baum ihn urplötzlich fallen ließ.
    Rodriguez warf Salvadore einen irritierten Blick zu. „Was ist da passiert?“
    Salavadores Kehle war trocken geworden. „Ich weiß es nicht.“

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    Deus Avatar von Laidoridas
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    „Meister Talamon!“
    „Innos sei Dank – er atmet!“
    „Und der Schild ist auch noch hier!“
    Als immer mehr Novizen und Magier die kleine Artefaktkammer betraten und aufgeregt durcheinander redeten, begann sich Martin zu wünschen, den Hochmagiern und dem Paladin nicht gefolgt und stattdessen einfach im Sekretariat geblieben zu sein. Er wusste nicht, was es zu bedeuten hatte, dass der Steinboden von einem tiefen Riss durchzogen war und dass sich der für die Magier wohl heilige Schild allem Anschein nach von seiner Halterung an der Wand gelöst hatte und zu Boden gefallen war. Martin wusste bloß, dass er jetzt dringend einen Moment für sich brauchte, um zu verstehen, was vorhin eigentlich mit ihm geschehen war.
    „Die Erde... die Erde hat gebebt“, keuchte der umsorgte Talamon, der in einer Ecke des Raumes kauerte und sich den blutenden Hinterkopf hielt. „Fast so wie vor ein paar Tagen, aber diesmal... stärker...“
    „Die Schwarzmagier von Xhan sind in unsere Hallen eingedrungen!“ Pyrokars vor Anstrengung bebende Stirn glänzte schweißnass, als in der rechten Hand des Hochmagiers ein gleißender Feuerball aufflammte. „Findet sie! Sie müssen brennen, bevor sie sich in unseren Köpfen einnisten können!“
    Zischend schälten sich im ganzen Raum Feuerpfeile und Flammenkugeln aus der stickigen Luft, und rasch kam Bewegung in die Menge.
    „Halt!“
    Die Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern gewesen, aber sie hatte ausgereicht, um den Raum zum Verstummen zu bringen.
    „Bisher wissen wir nur von der Existenz eines einzigen Überlebenden von Xhan“, fuhr der hohe Magier, der das Wort ergriffen hatte, nicht minder leise fort. „Selbst wenn wir es mit einer ganzen Gruppe zu tun haben sollten, dann würde ein derart unmittelbarer Angriff auf das Kloster nicht zu dem Vorgehen passen, das wir von den Meistern der Zitadelle kennen. Der Versuch hingegen, uns zur blinden Panik zu verleiten, damit wir uns am Ende gegenseitig mit unseren eigenen Zaubern umbringen... das wiederum würde sehr wohl zu ihnen passen. Und dazu braucht es manchmal nichts als einen Namen.“
    Mit zittriger Hand packte Pyrokar den hohen Feuermagier an der Schulter – ob aus Zorn oder zur Stütze, das konnte Martin nicht so recht einschätzen. „Was wollt Ihr damit andeuten, Ulthar?“
    „Ich glaube, dass es kein Zufall war, dass Ihr den Namen Evadam in den Gedanken unseres Feindes lesen konntet. Vergesst nicht, dass die Magier von Xhan in der Kunst der Geistesmagie um einiges geschulter sind als wir. Wir können bloß versuchen, sie zu überrumpeln... aber ich glaube nicht, dass uns das in diesem Fall gelungen ist. Unser Feind hat zugelassen, dass Ihr diesen Namen erfahrt, weil er wusste, dass er Euch so aus der Fassung bringen konnte.“
    „Unsinn!“, schnaufte Pyrokar. „Eine solche Information würde niemals...“
    „Welche Information denn?“, fiel ihm Ulthar ins Wort. „Es ist bloß ein Name, den wir schon lange kennen. Ihr selbst habt Mavarin Evadam getötet, Pyrokar. Nur weil sein Name in den Gedanken eines Anhängers der Lehre von Xhan auftaucht, heißt das noch lange nicht, dass Mavarin selbst von den Toten auferstanden ist. Ganz zu schweigen davon, dass seine Familie viele weitere Mitglieder hat, die bis heute den Namen Evadam tragen.“
    „Er war der einzige Schwarzmagier unter ihnen. Er muss gemeint gewesen sein.“
    „Vielleicht. Ich glaube aber, dass Euch der Name vor allem ablenken sollte.“ Ulthar nahm Pyrokar bei der Hand und sah ihm eindringlich in die Augen. „Habt Ihr die Konzentration noch lange genug aufrecht erhalten können? Habt Ihr den Zauber erfolgreich bannen können, Pyrokar?“
    „Der Magier hat sich selbst zurückgezogen, als...“
    „Aber habt Ihr den Zauber bannen können?“, wiederholte Ulthar. „Hat er sich wirklich völlig zurückgezogen... oder hat er sich bloß ein neues Opfer gesucht?“
    Martin erinnerte sich noch gut daran, wie einschüchternd der oberste Feuermagier von Khorinis auf ihn gewirkt hatte, als er ihn vor ein paar Monaten bei einer Rede auf dem Kasernenvorplatz der Hafenstadt zum ersten Mal gesehen hatte – auch die Begegnung auf der Klostertoilette hatte an diesem Eindruck nichts ändern können. In diesem Moment allerdings war von alldem nichts mehr übrig. Pyrokar war nur noch ein erschöpfter alter Mann.
    „Äh... Entschuldigung?“
    Martin drehte sich zum Gang um und erkannte den Novizen wieder, der ihn gemeinsam mit dem Paladin in das Sekretariat gebracht hatte. Offenbar war er ihnen erst jetzt zur Artefaktkammer gefolgt.
    „Wirkt vielleicht ’n bisschen merkwürdig, die Frage, aber...“ Der junge Mann zupfte irritiert an seiner Novizenrobe herum und schaute dann mit großen Augen in die Menge. „Was mach’ ich hier eigentlich?“

    „Ich glaube, er kommt zu sich.“
    „Na endlich... hoffentlich fängt er diesmal nicht wieder an zu zappeln wie ein aufgespießter Feldräuber.“
    Gaan konnte seinem Freund in Gedanken nur zustimmen, aber es zeigte sich rasch, dass Adrien seinen merkwürdigen Anfall überstanden hatte. Müde, aber entspannt öffnete der an den Baum gefesselte Eingeweihte die Augen und ließ seinen Blick erst über die beiden Jäger und dann über den Kadaver des Schattenläufers schweifen, aus dessen blutigen Augenhöhlen ein Pfeil und ein Bolzen herausragten.
    „Du hast uns echt was zu verdanken, weißt du das eigentlich?“, setzte Grimbald das unfreiwillig unterbrochene Gespräch fort. „Wenn wir nur ein bisschen schlechtere Schützen wären, dann wärst du aus deinem Fiebertraum garantiert nicht mehr aufgewacht. Von uns beiden will ich gar nicht erst anfangen.“
    Es war Adrien anzusehen, wie seine Gedanken rasten. „Ihr... habt mich zur Stadt mitnehmen wollen, richtig?“
    „Ja“, bestätigte Gaan. „Und dann hast du uns plötzlich angefleht, dich zu fesseln und uns mit deinem Geschrei dieses Vieh hier auf den Hals gehetzt. Hast ein paar Minuten lang am Seil gerüttelt und herumgezuckt, bevor du eingeschlafen bist... tja, und seitdem sitzen wir hier und warten, dass du wieder aufwachst.“
    „Danke“, murmelte Adrien, während Grimbald das Seil löste. „Ihr habt wahrscheinlich mein Leben gerettet. Die meisten anderen hätten mich hier zurückgelassen.“
    Der Anflug eines schlechten Gewissens meldete sich bei Gaan, als er sich daran erinnerte, dass sie genau das beinahe getan hätten.
    „Also, was war da gerade los?“, sprach Grimbald die dringlichste Frage aus. „Ich finde, nach all dem Ärger bist du uns eine ordentliche Antwort schuldig.“
    „Du hast recht.“ Adrien entschlüpfte dem gelockerten Seil und setzte sich seufzend auf den weichen Waldboden. „Ihr habt mich gefragt, wie ich zum Eingeweihten geworden bin, wisst ihr noch?“
    Die Jäger nickten stumm und gespannt.
    „Vor ungefähr zehn Jahren habe ich als Waffenträger in der myrtanischen Armee gedient. Im Kampf war ich nie zu was zu gebrauchen, aber zum Schwerterreichen hat’s genügt... Ich hatte jedenfalls noch ein paar Wochen vor mir, bevor ich ausgetreten wäre, da haben sie mich mit zum östlichen Archipel genommen. Die Hälfte der Magier des Reiches war dabei, und die ganzen hohen Tiere der Paladine. Es ging gegen eine Gruppe von Schwarzmagiern, die sich in ihrer Zitadelle verschanzt hatten, und anfangs sah es nach einer schnellen Sache aus. Aber das war es nicht. Diese Magier hatten Zauber, mit denen sie unsere Gedanken verwirren und kontrollieren konnten. Und ihr Oberhaupt... Mavarin Evadam hieß er. Ein uralter Schwarzmagier, der einige der besten Paladine beherrscht hat als wären sie Handpuppen. Und nicht nur Paladine, sondern auch...“
    Als Adrien nicht weitersprach, sagte Gaan: „Dich?“
    „Ja“, entgegnete Adrien mit belegter Stimme. „Und das nicht nur einmal. Manchmal selbst, manchmal mithilfe eines Schülers. Beim letzten Mal hat ihn einer der Feuermagier erwischt. Mavarin ist gestorben, als ich noch unter dem Bann des Zaubers stand, und ich vermute, dass es daran liegt, dass ich seitdem immer wieder diese... Phasen durchleide. Es ist dann wieder so wie damals. Ich höre seine Worte, sehe die Bilder von einst und... und muss diejenigen angreifen, die mir freundlich gesinnt sind.“
    „Hm“, machte Grimbald. „Das erklärt aber immer noch nicht, wieso du ein Eingeweihter geworden bist.“
    „Dazu komme ich jetzt“, versprach Adrien. „Keiner der Feuermagier konnte mir bei meinem Problem helfen. Ihr müsst aber wissen, dass das Haus Evadam, aus dem Mavarin entstammt, eine adelige Familie ist, die damals noch angesehener war als heutzutage. Sie waren sehr um ihren guten Ruf bemüht, und Adarich, ein Großneffe des Schwarzmagiers, hat sich persönlich bei mir gemeldet und versprochen, seinen besten Alchemisten mit der Sache zu betrauen. Tatsächlich hat er mich zuverlässig mit Tränken versorgt, die die Wirkung des Zaubers zeitweise aufheben konnten, aber sie haben mich auch abhängig von Adarich gemacht. Als ich bemerkt habe, dass er kaum anders ist als sein Großonkel, war es schon zu spät... Er mag kein Schwarzmagier sein, aber er liebt es ebenso sehr, Menschen zu kontrollieren. Ich habe mich dazu durchgerungen, auf die Tränke zu verzichten und nach einer anderen Lösung zu suchen, aber Adarich wollte mich nicht gehen lassen. Als er mit Freundlichkeit nicht mehr weiterkam, hat er mit Drohungen und Erpressungen begonnen, um mich zu halten. Und wie ihr seht, hatte er Erfolg damit: Ich bin zu einem Teil seines Wettbewerbs geworden. Aber damit ist jetzt Schluss. Ich werde keinem Evadam mehr dienen.“
    Bei diesen Worten schien Adrien etwas einzufallen. Er zog einen länglichen, hornförmigen Gegenstand aus seiner Manteltasche, hielt ihn sich an die Lippen und sprach hinein: „Kein Teilnehmer ist bislang bei den Ruinen eingetroffen.“
    Als ihn die Jäger verwundert anblickten, lächelte er nur schwach und sagte: „Das sollte Adarich vorerst zufrieden stellen. Er soll erst erfahren, dass ich meinen Posten verlassen habe, wenn ich auf hoher See bin. Und jetzt lasst uns gehen – alle weiteren Fragen beantworte ich euch auf dem Weg.“

    „Ihr habt sicher recht, dass die Auslösung von Erdbeben nicht zur Xhan-Lehre passt, aber wenn kein Schwarzmagier dafür verantwortlich ist – wer dann?“
    Interessiert lauschte Martin dem Gespräch der Hochmagier, während ein anderer Magier einige abschließende magische Untersuchungen an ihm und dem Novizen durchführte. Der hohe Rat hatte eine große Versammlung auf dem Innenhof einberufen, und als Martin den Blick hob, erkannte er auch Ilyas zwischen den vielen roten Roben. In eben diesem Moment machte der langhaarige Mann einen Schritt auf die Ratsmitglieder zu.
    „Nun, wenn ich mich kurz einmischen darf?“, begann Ilyas. „Zufälligerweise hat es mich genau wegen dieser Angelegenheit in Euer Kloster verschlagen. Sowohl die Sternenakademie als auch der Hain der weißen Druiden im Norden von Khorelius wurden von solchen Erdbeben in den letzten Wochen mehrere Male heimgesucht. Offenbar war unsere Vermutung richtig, dass die Beben an Stellen auftreten, an denen große Mengen magischer Energien aufeinandertreffen. Ich bin hier, um Euch anzubieten, der Sache gemeinsam auf den Grund zu gehen.“
    „Dieses Angebot werden wir gerne annehmen“, erwiderte Pyrokar. „Vielleicht hatte das Beben tatsächlich nichts mit dem Schwarzmagier zu tun. Aber dennoch ist mir sein Verhalten ein Rätsel... wieso hat er ausgerechnet das Gedächtnis des jungen Simon gelöscht? Wieso sollte sich ein Schwarzmagier für einen Novizen interessieren, der gerade einmal seit einer knappen Woche ein Teil unserer Gemeinschaft ist?“
    Martin horchte auf. Ein ganz bestimmter Verdacht wuchs in ihm heran.
    „Stimmt das wirklich?“, wandte er sich an den Novizen. „Du bist erst seit einer Woche hier?“
    „Keine Ahnung“, entgegnete Simon schulterzuckend. „Ich weiß nur noch, dass ich im Handelshafen von Khoron war und mich drei Männer angeredet haben. Ein piekfeiner Kerl in einer lila Robe, ein Großer in Schwarz und noch einer mit Brille.“
    „Der Veranstalter und seine Berater!“, platzte es aus Martin heraus, und spätestens jetzt hatte er die volle Aufmerksamkeit sämtlicher Klosterbewohner ganz für sich. „Wenn die dich hier eingeschleust haben, dann kann das nur eines bedeuten: Du bist der Eingeweihte! Und dieser Schwarzmagier, von dem hier alle sprechen, der hat bestimmt dein Gedächtnis gelöscht, weil er nicht will, dass einer der Teilnehmer an deine Infos herankommt – weil er nämlich selber am Wettbewerb teilnimmt! Deswegen kann ich mich auch nicht mehr an den zwölften Teilnehmer erinnern... der Magier wollte verhindern, dass ich ihn wiedererkennen kann!“
    Dutzende fragende Blicke richteten sich auf Martin. Nur Pyrokar sah gen Himmel und raufte sich die Haare.
    „Dieser vermaledeite Wettbewerb!“

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    Deus Avatar von John Irenicus
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    „Das … das ist der schlimmste Trip, den ich jemals hatte, Mann …“
    Dar hatte sichtlich Mühe, auf dem nassen Grottenboden eine Liegeposition zu finden, die ihn einerseits vor allen Gefahren schützen sollte, andererseits aber nicht so unbequem war, dass ihm schon nach wenigen Augenblicken sämtliche Gliedmaßen einschliefen. Deshalb rollte er sich beständig hin und her, verknäuelte sich wie ein junges Molerat im Schoße der Mutter, lehnte sich dann wieder an die dunkle Höhlenwand, nur um von dort wieder herunterzurutschen und auf allen Vieren zu landen. Buster wusste nicht, wie lange das nun schon so ging. Was er aber wusste, war, dass der wimmernde Dar mit seiner Behauptung vollkommen recht hatte: So einen schlimmen Trip hatte er bei ihm auch noch nie erlebt. Schon gar nicht, wenn Dar überhaupt nichts geraucht hatte.
    Der Panikrausch, in dem sich der Söldner mit den drei Buchstaben noch immer befand, war ansteckend gewesen, und so hatte auch Buster nicht den Nerv gehabt, im Flusswasser auszuharren, bis der wild brüllende Kerl seinen Tanz mit dem Alligator endlich beendet hatte. Dars Befürchtungen, dass der Säbel dieses Glatzkopfes nach dem kommenden Tod des Viechs auch auf sie herniederfahren würde, waren in der Tat recht weit davon entfernt gewesen, von tatsächlichen Umständen gestützt zu sein. Der Söldner hatte sie allerdings so wild und überzeugend vorgetragen, dass auch Buster nicht mehr anders gekonnt hatte, als am Kampf zwischen Mensch und Tier vorbeizustürmen und Dar hinterher eine wilde Hatz durch das Wasser zu starten. Zwischen zwei Stürzen in den Matsch des Flussbetts hatte Buster zwar wieder einige klare Momente bekommen, in denen er dazu angesetzt hatte, Dar wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Die von hinten erschallenden, unverständlichen Rufe des fremden Mannes mit dem Säbel und weiteres Wassergeklatsche hatten Buster aber rasch wieder zur Flucht angetrieben. Bis Dar auf einmal in einen hinter Büschen versteckten Eingang eingetaucht war, zur Hälfte im Wasser liegend. Nach einem kurzen Schulterblick, der Buster verraten hatte, dass der Glatzkopf in der Ferne offenbar tatsächlich die, wenn auch langsame, Verfolgung aufgenommen hatte, hatte Buster dann entschlossen, Dar einfach hinterherzuspringen.
    Und nun saßen sie beide in dieser Grotte und harrten aus. Busters Fluchtinstinkte waren endgültig abgeklungen, doch jeder Versuch, an Dar vorbei zum Grottenausgang zu gehen und nachzuschauen, was dieser Mann mit dem Säbel denn so machte, der sie so gesehen ja immerhin vor dem Alligator gerettet hatte, wurde vom zusammengekauerten Söldner mit Schreien des Entsetzens und noch viel wahnhafteren Verhaltensweisen verhindert. Dar verstieg sich dabei in derartige Hysterie, dass Buster um den letzten Rest der Gesundheit seines Söldnerkollegens fürchtete. Und er verspürte dabei etwas, was ihn mächtig wurmte: Er hatte Mitleid mit Dar.
    Auch deshalb hatte Buster sich die ganze Zeit über bemüht, beruhigend auf seinen Kollegen einzureden. Aber auch er selbst musste zugeben, dass er nicht die besten Argumente dafür hatte, zu begründen, warum sie in dieser Grotte vorerst sicher seien. Klar: Der riesige Schattenläufer, der in einer Ecke dieses Vorraums lag, war tot, zu einem großen Teil zerbissen, kaltgestellt und konnte ihnen nichts mehr anhaben. Aber: Die Aussicht darauf, dass irgendwo in den abzweigenden Gängen ein gefährliches Biest lauerte, das selbst einen ausgewachsenen Schattenläufer wie diesen so zurichten konnte, trug alles andere als zur Beruhigung bei – auch bei Buster selbst nicht. Deshalb hatte Buster recht schnell den Plan wieder fallen gelassen, Dar mit Worten wieder zur Vernunft zu bringen. Er hoffte nunmehr einfach darauf, dass Dar irgendwann, erschöpft vor lauter Angst und Panik, einschlafen oder sonstwie zur Ruhe kommen würde. Bis dahin würde Buster ebenso wie Dar selbst hier ausharren, lauschen, und sich Geraschel, Gekratze und Gejaule aus dem Inneren des Höhlensystems einbilden.
    Und dann kam echtes Geraschel, und zwar von draußen. Dar sprang auf, Buster ebenso, rasch genug, um seinen Kollegen davor zu bewahren, in einen der abzweigenden Gänge hineinzulaufen. Buster war erstaunt, mit welcher Kraft sein doch eher schmächtiger Kollege daran wirkte, sich aus der Umklammerung loszureißen. Es gelang ihm jedoch nicht, und so warteten die beiden gemeinsam darauf, dass das Geraschel endlich aufhörte. Das tat es. Wasser plätscherte. Und dann zwängte sich der Glatzkopf durch den Höhleneingang. Den Säbel hatte er weggesteckt, stattdessen blitzten lediglich seine Augen. Als Buster gewahr wurde, was für einen Anblick er zusammen mit Dar in dieser engen Umschlingung bieten musste, ließ er ihn hastig los. Der Glatzkopf schmunzelte.
    „Ich hätte jetzt so einige Erklärungsansätze für euer Verhalten, aber keiner von denen greift wirklich durch. Wundert mich nicht, bei der Scheiße, die auf diesem Teil der Insel los zu sein scheint. Vielleicht könnt ihr es mir ja erklären.“
    Sein Blick ging zu Dar, der stetig zurückgewichen war und sich nun mit dem Rücken an die unbequeme Höhlenwand presste. Der Fremde schmunzelte erneut.
    „Ich bin übrigens nicht hier, um euch umzubringen“, sagte er dann. „Zumindest noch nicht.“ Er kam einen Schritt näher. Erst jetzt, im spärlichen Licht der Leuchtkristalle in diesem Grottenraum, sah Buster den dunklen Teint des Mannes. Davon abgesehen hatte der Kerl aber wenig Südländisches an sich.
    „Warum bist du dann hier?“, ergriff Buster das Wort, der auf die Mithilfe seines Söldnerkollegen wohl kaum setzen konnte. „Du bist ja wahrscheinlich nicht aus dem Nichts erschienen, nur um uns vor diesem Vieh zu retten, oder?“
    Der Fremde atmete einmal tief ein und wieder aus, die Brust in seiner Lederrüstung hob und senkte sich dabei sichtlich. „Scheint so, als wäre es doch ich, der mit den Erklärungen anfangen muss, was?“ Er ging noch ein paar weitere Schritte auf sie zu, was Dar zu einem – nach Busters Meinung ziemlich peinlichen – Quieken bewegte. „Um auf deine Frage zu antworten: Ja und Nein. Zumindest als ich euch gesehen habe – und das war reiner Zufall – habe ich mich entschlossen, euch zu helfen. Mir ging es dabei aber vor allem um den Alligator. Ich denke, damit könnt ihr jetzt was anfangen, oder?“
    Der Blick des Glatzkopfs ging kurz zu Dar, dann zurück zu Buster. Dieser sagte jedoch auch nichts.
    „Ich bin Alligator Jack“, sagte der Fremde dann. Er machte eine weitere Pause, in der er die beiden musterte. Niemand sagte etwas. Buster fiel immer noch nichts dazu ein. In seinem Blick lag bloße Leere.
    „Genau“, sagte der Glatzkopf dann schließlich mit großer Geste. „Der Alligator Jack. Und ich muss schon sagen: Das Vieh, auf das ihr da gestoßen seid, das war schon ein ordentliches Kaliber. Aber kein Problem für meinen Säbel. Ihr hättet wirklich nicht abhauen müssen. Gerade als … Kämpfer, die ihr ja offenbar seid. Aber Respekt dafür, wie schnell ihr weg wart, durch das Wasser, in den Klamotten, meine ich. Will euch mal zugute halten, dass das ein Naturtalent von euch ist und nicht von der ständigen Übung kommt.“
    „Wir sind nur abgehauen, weil ...“ begann Buster, wurde aber sogleich wieder von Alligator Jack unterbrochen.
    „Ist schon okay, mein Ruf eilt mir eben voraus“, sagte dieser lächelnd. „Aber solange ihr keine Schuppen habt, habt ihr nichts zu befürchten. Es sei denn …“
    „Es sei denn was?“, fragte Buster fordernd, der sich angesichts des zitternden Dar umso mehr verpflichtet sah, sie beide und auch den Rest von Onars Söldnerbande angemessen zu vertreten.
    „Es sei denn, ihr habt etwas mit der erneuten Öffnung des Tempels in Jharkendar zu tun. Was ich zwar nicht glaube. Aber ich glaube eben auch, dass man hier gar nix mehr wissen kann, wenn ihr wisst, was ich meine … wisst ihr? Der Käpt’n scheint da schon ganz recht gehabt zu haben. Hier bei euch ist die Hölle los. Da muss es doch einen Zusammenhang geben.“
    „Zusammenhang? Wozu? Sag mal … bist du auch in den Wettbewerb eingebunden? Bist du vielleicht sogar ein Eingeweihter?“
    Die begeisterten Worte Busters brachten sogar in Dars Blick wieder ein bisschen Leben zurück, und der nun nicht mehr ganz so verängstigte Söldner wagte ein paar Schritte von seiner Wand weg.
    Alligator Jack schüttelte den Kopf. „Also stimmt das doch mit diesem Wettbewerb, was?“ fragte er. „Tut mir leid, aber ich bin so wenig eingeweiht, wie ihr euch das nur vorstellen könnt. Von uns Piraten ist niemand in nur irgendwas eingeweiht, was hier vor sich geht. Da müsstet ihr euch wahrscheinlich eher an die Banditen wenden. Die hocken schließlich auf dem Tempel, und dort tut sich was. Und damit meine ich nicht nur diese verdammten Erdbeben. So seltsam, wie sich deren Führung in letzter Zeit benommen hat … vielleicht sind die einfach schon zu eingeweiht, wenn ihr wisst, was ich meine. Eingeweiht in schwarze Magie. Und damit meine ich nicht die üblichen Voodoo-Puppenspielchen. Sondern richtige schwarze Magie. Unser Käpt’n hat mich deshalb jedenfalls mal losgeschickt, der hat auch irgendwas von einem Wettbewerb gefaselt, aber er wusste nichts Genaues. Aber da bin ich mit euch ja wohl genau an die Richtigen geraten, was? Erzählt doch mal, was das mit diesem Wettbewerb jetzt ist.“
    „Wir … wissen auch nicht so viel“, gestand Buster nach einer kurzen Pause. Er blickte sich etwas hilflos zu Dar um, der sich bei den Worten schwarze Magie jedoch direkt wieder an die Höhlenwand gepresst hatte und nun Glubschaugen machte. „Wir machen einfach nur mit. Aber wir wussten nicht, dass das etwas mit … oh Mann, ich verstehe gar nichts mehr.“
    „Willkommen im Club“, sagte Alligator Jack genervt. „Willkommen im Club.“

    „Die Schwarzmagier von Xhan … wenn das alles wahr ist … dann ist vielleicht auch Adarich Evadam selbst in Gefahr“, schloss Theon, lange nachdem Amagon mit seiner Erklärung geendet hatte.
    „Das kommt ganz darauf an, ob er weiß, mit wem er es zu tun hat“, kommentierte Amagon. „Ich muss euch ja wohl nicht erklären, dass auch das Haus Evadam nicht ganz frei ist von schwarzmagischen Tendenzen. Es gab schließlich Zeiten, da galt es als schick, wenn sich ein Magier, gleich welche Farbe seine Robe hatte, in die Familie einheiratete.“
    „Aber was jetzt?“, schaltete sich Verena wieder ein. „Was sollen wir jetzt tun?“
    Ich weiß, was ich tun werde“, raunte Amagon. „Meine Pläne haben sich nicht geändert. Ich werde diesen Magier finden und ihn zur Strecke bringen. Und Adarich Evadam zur Not gleich mit. Der Kerl kommt mir nämlich auch alles andere als sauber vor.“
    „Aber warum seid Ihr so versessen darauf?“, fragte Theon. „Wer ist Euer Auftraggeber?“
    Amagon senkte den Blick. „Geht davon aus, dass ich auf eigene Rechnung arbeite. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.“
    Aus der Ferne ertönte ein lautes, vibrierendes Grollen. Amagon machte große Augen, richtete sich zum Grollen hin aus. Und dann marschierte er einfach querfeldein los.

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    Drachentöter Avatar von Eddie
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    „Gleich sind wir in der Stadt.“ sagte Gaan zu Adrien. „Wir müssen nur noch den Hang hier runter.“
    „Wir sollten uns beeilen. Es wird bald dunkel.“ meinte Grimbald mit einem besorgten Blick in Richtung des Leuchtturms. Vereinzelt blitzten Strahlen einer tief stehenden Sonne zwischen dem grünen Blätterdickicht der Bäume hindurch. „Wir sind glaub ich alle nicht besonders heiß darauf, von irgendwelchen Mistviechern aus dem Dickicht überrascht zu werden.“
    „Ja, da stimme ich dir zu.“, sagte Adrien. „Und ich möchte mich noch einmal dafür entschuldigen, dass ich euch in solche Gefahren gebracht habe.“
    „Jetzt lass doch mal gut sein.“, antwortete Gaan. Seinem Tonfall nach konnte er sich jedoch nicht entscheiden, ob ihm Adriens ständige Entschuldigungen nun sympathisch waren oder zur Weißglut brachten. „Du scheinst mir ein anständiger Kerl zu sein. Und es ist ja zum Glück nix passiert.“ Er entschied sich für einen neutralen Mittelweg. Grimbald schien das etwas anders zu sehen. So zumindest deutete Gaan das düstere Augenfunkeln seines Jagdkammeraden.
    „In Ordnung.“ meinte Adrien. Es folgte ein langes, jedoch nicht unangenehmes Schweigen. Die Reisegruppe um Gaan, Grimbald und Adrien lief den Hügel von Jacks Leuchtturm hinab. In den Baumwipfeln hörte man Vogelzwitscher und das Säuseln des Windes. Weiter entfernt raschelten ein paar Sträucher. Auch so mancher Ast brach unter der Last eines der vielen Waldtiere.
    „Ich verstehe das einfach nicht.“, begann Adrien urplötzlich die angenehme Stille zu stören.
    „Gut, ich stehe offenbar noch unter irgendeinem Gedankenkontrollzauber. Aber dass das so unregelmäßig ausbricht...abgesehen von vorhin hatte ich das nämlich schon länger nicht mehr. Und vorhin war es auch so...“. Adrien unterbrach. Er wusste gar nicht, wie er weiterreden sollte. Ein eisiger Schauer lief ihm den Rücken hinunter, wenn er an den Nachmittag dachte, als er wieder glaubte, dass seine Gedanken von einer dunklen Magie beherrscht wurden. „...so schlimm war es wirklich schon ewig nicht mehr.“ Wieder wurde er kurz ruhig. „Habt ihr eigentlich diese Gestalt auf dem Hügel gesehen? Dort oben in den Bergen, als ich diesen ... Anfall hatte.“ Gaan und Grimbald überlegten. „Ne, glaub nicht.“ sagte Grimbald. „Hab ich auch nicht so drauf geachtet.“. „Eben“, antwortete Gaan daraufhin. „Du hast uns ja ganz schön auf trapp gehalten.“
    „Hm, stimmt wohl.“ Adrien schnaubte resigniert.
    „Was war denn mit dem?“ wollte Gaan wissen. „Das kann ich dir auch nichts so genau sagen.“ entgegnete Adrien. „Das letzte, an das ich mich erinnern kann, war eben diese Gestalt, die da auf dem Hügel stand. Danach weiß ich nichts mehr ... bis ich wieder aufgewacht bin.“ Adrien zuckte mit den Schultern. „Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass diese Gestalt etwas mit dem Anfall vorhin zu tun hatte. Als hätte er ihn ausgelöst. Oder so.“
    „Du bist ziemlich erschöpft. Da ist es wohl normal, dass man da ein bisschen durcheinander ist. Mach dir nich so ne Platte.“, entgegnete Gaan, um Adrien zu beruhigen. Es schien zu funktionieren. „Vermutlich hast du recht. Es bringt mir ja sowieso nichts, hier wilde Spekulationen anzustellen.“
    Die drei liefen noch ein Stück den Berg nach unten, als Adrien plötzlich schwindelig wurde. Alles um ihn herum drehte sich und wurde verschwommen. „Mir ist schwindelig. Ich glaube, ich muss mich kurz ausruhen.“, sagte Adrien. „Dafür haben wir keine Zeit. Wir müssen weiter.“ Adrien, der sich gerade niederlassen wollte, hatte plötzlich Grimbalds Arm unter den Schultern. „Wer nicht selbst weiterlaufen kann, der wird gestützt.“ kommentierte Gaan das Szenario.
    Doch allzu weit sollten die beiden Jäger und der angehende ehemalige Eingeweihte nicht kommen. Nicht allzuweit von ihnen entfernt blockierte ein Schwarm Blutfliegen den Weg.
    „Drecksviecher. Wie ich die hasse. Wir müssen die zu zweit bekämpfen, Gaan, sonst kommen wir da nie durch.“ Grimbald bedeutete Adrien, sich am Wegrand auf den Waldboden zu setzen und im Dickicht Schutz zu suchen. „Bleib hier bis wir wieder da sind. Und rühr dich nicht von der Stelle!“ Adrien nickte, denn er hatte nicht besonders viel Muße, sich zu unterhalten. Zu seinem Schwindel kamen nun auch noch Kopfschmerzen dazu. Da er sich beim Hinsetzen etwas zu sehr wie ein nasser Sack hatte fallen lassen, wurde ihm schlecht. Er bekam einen Brechreiz und Galle stieg in seinem Hals nach oben. „Was ist das denn nun schon wieder?“ fragte er sich, wispernd mit kaum hörbarer Stimme.
    „Adrien...Adrien...Bist du hier?“
    Plötzlich drang eine fremde, völlig neue Stimme an sein Ohr. Er war sich sicher, diese noch nie gehört zu haben. Dennoch kam sie ihm auf eine zutiefst unheimliche Weise vertraut vor. Er ahnte nichts Gutes.
    „Ich muss Evadam Bericht erstatten. Deine Nachricht, dass sich noch niemand zu den Ruinen verirrt hatte, um dort nach einem Eingeweihten zu suchen, fand er merkwürdig.“
    Adriens üble Vorahnung schien sich zu bestätigen. Einer von Evadams Wächtern war ihm auf der Fährte. Er dachte, dass er sich durch den schwierigen und umständlichen Weg, den sie gegangen waren, von den Schergen seines Bosses fern halten konnte. Doch da hatte er sich getäuscht, wie ihm in diesen Sekunden schmerzlich bewusst wurde.
    „Deshalb haben wir mal nachgesehen. Und was wir da zu sehen bekamen ... Ts ... Evadam wird nicht sehr erfreut sein.“ Adrien verkroch sich am Wegesrand hinter einem großen Stein. Am liebsten wäre er fort gerannt oder hätte mit den beiden Jägern gegen die Blutfliegen gekämpft. Wenn es sein müsste, hätte er in diesem Moment auch das myrtanische Meer bis zur nächsten Insel durchschwommen. Alles, was ihm in diesen Momenten in den Sinn kam, war verlockender, als zurück zu Evadam geschleppt zu werden. Alles. Wirklich alles.
    Doch das Hämmern in seinem Kopf wurde immer heftiger, als würde einer der nordischen Waffenschmiede mit seinem riesigen Hammer darauf eine Streitaxt schmieden. Sie zwangen ihn auf den nassen kalten Boden und hinderten ihn daran, auch nur einen Schritt zu tun.
    „Das können doch keine normalen Kopfschmerzen sein...“, murmelte er leise vor sich hin. Doch er hatte keine Kraft, weiter darüber nachzudenken.
    „Wo bist du ... Ich weiß, dass du hier in der Nähe bist...“ Die Stimme kam immer näher. Es war nun schon fast so, als würde ihm direkt ins Ohr geflüstert. Nun hatte er keine Zeit mehr. Er musste irgendwas unternehmen. Er musste den Jägern seine Nachricht übermitteln. Doch sagen konnte er es Ihnen jetzt nicht mehr. Nicht in Gegenwart von Evadams Schergen. Neben sich im Gras fand er einen handtellergroßen Stein. Er hob ihn auf und gravierte etwas in die Felswand. Die Kopfschmerzen hämmerten nun so sehr, dass er kaum noch seine Hand ruhig halten konnte. Doch irgendwie gelang es ihm, den Stein mit einer Spitze fest genug gegen die Felswand zu drücken, um darauf zu schreiben.
    „Adrien...“
    Er hatte nun keine Zeit mehr. Halbherzig beendete er seine Arbeit und kontrollierte auch nicht, was er geschrieben hatte. Er konnte einfach nur darauf hoffen, dass die Jäger den Satz „BRECHT AB!“ lesen konnten.
    Nach links und rechts torkelnd kam er auf den Weg zurück, wo er versuchte, sich umzusehen. Sein Blick war trübe und seine Augen ertrugen das Licht der tiefstehenden Sonne nicht mehr. In der Ferne erkannte er die beiden Jäger, die sich gerade der letzten Blutfliege annahmen. Er sah in die Richtung, aus der sie gekommen waren und auch am Berg nach oben. Er sah hinunter ins Dickicht des Waldes. Doch von Evadams Kundschafter war nichts zu sehen. Auch die Stimme hörte er nun nicht mehr. Was hatte das zu bedeuten? Schon wieder so ein Anfall? Aber gleich zwei Mal, so kurz hinter einander. Das war wirklich sehr merkwürdig. „Das war`s mit dir, du Mistvieh.“ Adrien hörte die Stimme von einem der Jäger, konnte sie jedoch nicht zuordnen. Es war ihm auch ganz egal. Er wollte nur noch hier weg.
    „Hey, Adrien. Alles in Ordnung. Du siehst ja gar nicht gut aus.“ Adrien hätte gewusst, dass es Gaan war, der in diesem Moment auf ihn zukam, unter den Armen abstützte und den Weg entlangführte, wenn er die Augen aufgemacht hätte. Doch dazu war er nicht mehr in der Lage. Er hatte schon genug damit zu tun, sich auf sein Gleichgewicht zu konzentrieren. Adrien nickte stumm. Hauptsache, er kam hier weg.
    „Wir bringen dich erstmal zu Hanna.“
    „Hey, langsam, Gaan. Hat er überhaupt Geld?“
    „Naja, eine Nacht werden wir ihm ja spendieren können. Wenn wir dank seiner Hilfe den Wettbewerb gewinnen...“ In dem Moment, als Gaan „Wettbewerb“ sagte, begann Adrien sich aufzubäumen, so gut er es eben noch konnte. Er wollte sich verständlich machen, ihnen sagen, dass sie Evadam für keinen Preis der Welt dieses Amulett beschaffen durften. Doch alles, was er zustande brachte, war ein halbherziges Zucken mit den Armen und ein entkräftetes Winseln. Er verstand auch nicht, warum er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Die Anfälle fielen für gewöhnlich anders aus. Er war dann immer rasend vor Wut gewesen, und nicht schlaff, wie eine alte Frau. Auch diese Kopfschmerzen waren ihm völlig neu. War das doch eine Art Fremdkontrolle über seinen Körper? Vielleicht fantasierte er auch nur. Er konnte das in diesen Momenten, in denen alles verschwommen war und sich drehte, nicht mehr sauber voneinander trennen. Vielleicht sollte er sich ja einfach ...
    „Oh, ihr beide habt aber schwer geladen.“ Adrien vernahm eine Stimme, die dem Klang nach zu einem alten Mann gehören musste. „Kann man euch behilflich sein?“
    „Nein, vielen Dank, Herr...Magier?“ meinte einer der beiden Jäger.
    „Zu viel der Förmlichkeit, ich bin nur ein alter Mann, der gerne in staubigen Büchern stöbert und ebenso staubige Klamotten trägt.“ Adrien spürte, wie die Kräfte in seinen Körper zurück kehrten. Sowohl der Schwindel, als auch die Kopfschmerzen ließen nach. Er stellte die schnell geschossene Vermutung an, dass das vielleicht mit dem alten Mann zu tun haben könnte, doch das erschien ihm schon einen Moment danach für sehr weit hergeholt. Er begann deswegen sogar zu schmunzeln.
    „Euer Freund hier sieht aber nicht sehr kräftig aus. Er sollte was essen und trinken.“
    „Vielen Dank, es geht schon. Ich hatte vorhin ein paar Kopfschmerzen und mir war schwindelig, doch nun geht es mir schon wieder besser.“ Das waren die Worte, die Adrien sich im Kopf zurecht gelegt hatte. Doch als er den Alten ansah und der Alte ihn ansah, spürte Adrien, wie er von einem Moment auf den nächsten die Kontrolle über seinen Körper verlor. Er konnte weder beeinflussen, in welche Richtung er gehen wollte, noch, was aus seinen Lippen hervorkam. Alles, was er konnte, war dem Geschehen zuzusehen. Wie ein Vogel, der das Geschehen von oben her erkundete. „Das klingt nach einer guten Idee.“ hörte er aus seinem Munde, als wäre er eine Bauchrednerpuppe. Er sah sich zusammen mit den Jägern in die Stadt laufen. Seine Schritte waren durch die heftigen Kopfschmerzen noch etwas unsicher. Seine Haltung glich der einer Marionette. Ihm gefiel ganz und gar nicht, was da geschah, zumal es dem Alten offenbar irgendwie gelungen war, die Kontrolle über seinen Körper zu gewinnen. Das erstaunlichste daran war jedoch, dass die Kontrollübernahme ohne jede Gewalteinwirkung stattfand. Jedes Mal, wenn einer der Schwarzmagier seinen Körper kontrollieren wollte, war dies mit Krämpfen, Schmerzen und Übelkeit verbunden. Nun jedoch schien es viel mehr so zu sein, als hätte der Alte höflich an der Tür geklopft, um Einlass gebeten und sogar noch ein Präsent mitgebracht. Adrien gefiel das wirklich nicht. Am liebsten hätte er den Beiden Jägern gesagt, dass sie sofort umkehren sollen oder sich zumindest in Acht nehmen mussten. Doch das konnte er nicht. Deshalb blieb ihm nichts übrig, als Wachsam zu bleiben und vielleicht auf eine Möglichkeit zu hoffen, die Kontrolle über seinen Körper zurück zu bekommen.

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    Sapere aude  Avatar von Jünger des Xardas
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    Jünger des Xardas ist offline
    Der Pirat war der erste, der das Ende der steilen Felswand erreichte. Bei ihm sah das so leicht aus. Buster gelang es nur unter Ächzen und Stöhnen, sich langsam nach oben zu tasten. Dieser Pirat kniete sich nun hin und reichte ihm eine Hand. Unter anderen Bedingungen hätte Buster sie dankend ergriffen. Aber nun verbat ihm das sein Stolz, erst recht nach der schlechten Figur, die er und Dar dort unten gemacht hatten. Letzterer schien keine derlei unpraktischen Bedenken zu haben und ließ sich hochziehen, sodass Buster am Ende, obwohl er schneller geklettert war als Dar, als letzter die Straße erreichte.
    „Und jetzt?“ Etwas unsicher blickte er ihren Retter an.
    „Tja, was ihr macht, weiß ich nicht. Ich habe immer noch eine Aufgabe für meinen Käpt’n zu erfüllen. Hm, ihr zwei scheint ja sonst nicht viel zu wissen, aber habt ihr wenigstens eine Ahnung, wo ich mehr erfahren könnte?“
    „Versuch’s in der Stadt“, schlug Buster vor, aber sein Gegenüber schüttelte den Kopf.
    „Da hat unser Käpt’n schon einen meiner Kameraden hingeschickt. Skip sollte den Seeweg nehmen und sich in der Stadt umhören, ich den Landweg, um mich hier im Umland umzusehen.“
    „Na ja, hier gibt’s das Kloster. Da kennen die sich wohl am besten mit Magie und so Zeugs aus. Aber da lassen sie niemanden rein. Also vielleicht hörst du dich mal in der Taverne um?“
    „Hey, Buster“, meldete Dar sich plötzlich zu Wort und zupfte seinen Kollegen am Ärmel. „Ich glaube, ich halluziniere schon wieder. Ich schwöre, ich hab‘ kein Kraut geraucht, aber ich seh‘ Cord da vorne direkt auf uns zukommen!“
    Buster drehte sich um und machte große Augen, als er die Gestalt sah, die dort aus Richtung Taverne den Weg hinauf kam. „Also wenn du halluzinierst, dann halluziniere ich auch“, stammelte er.
    Für Dar war das wohl das Zeichen, dass er nicht wahnsinnig oder breit war. Sofort begann er freudig zu winken. „Hey Cord! Hey! Hier drüben! Wir sind’s! Dar und Buster!“ Buster glaubte, keine Veränderung in der Miene des Söldners auszumachen, hatte aber den Eindruck, dass sich seine Schritte leicht beschleunigten. Neben ihm legte der Pirat ruhig die Hand auf den Knauf seines Säbels. Das gefiel Buster nicht. Ja, der Typ hatte sie gerade gerettet, aber wirklich sicher fühlte er sich in seiner Gegenwart darum noch nicht. Umso froher war er, ausgerechnet Cord zu sehen. Immerhin war der nicht umsonst der Ausbilder in ihrer Truppe. Es galt als ausgemacht, dass er einer der besten Kämpfer auf Onars Hof war.
    „Was machst’n du hier?“, fragte Dar, als ihr Kollege nah genug gekommen war. „Nimmst du jetzt etwa auch an diesem Wettbewerb teil?“
    „Nein. Im Gegensatz zu euch halte ich mich an die Anweisungen des Hauptmanns.“ Die Missbilligung war deutlich aus Cords Stimme herauszuhören. Das war nichts Neues. Missbilligung war eine von Cords Spezialitäten und Buster als ehemaliger Bandit und Dar als... nun, Dar eben hatten sie schon früher zu spüren bekommen. Nun aber kam auch noch ihre Wettbewerbsteilnahme dazu.
    Schuldbewusst scharte Buster mit den Füßen. „Na ja, Lee hat ja nicht direkt verboten, dass wir teilnehmen, er hat nur gesagt...“
    „Das könnt ihr mit dem Hauptmann klären“, unterbrach Cord ihn ungeduldig. Sein Blick zuckte misstrauisch zu dem Mann neben ihnen. „Wer ist euer Freund hier?“
    „Na ja, also Freund ist vielleicht zu viel gesagt“, begann Buster, „wir haben uns gerade getroffen und na ja, er hat uns etwas geholfen...“
    „Das ist Crocodile Jake!“, unterbrach Dar ihn.
    Buster nickte aufgeregt. „Ja ja, genau, DER Crocodile Jake!“
    Cord, der die Arme vor der Brust verschränkt und den Blick auf den Piraten geheftet hatte, zog eine Augenbraue leicht in die Höhe. „Alligator Jack? Hier?“
    Der Pirat hatte ein gequältes Gesicht gemacht, das sich nun merklich aufhellte. „Ganz recht, der bin ich. Und mit wem habe ich das Vergnügen?“
    „Cord. Söldner des Großbauern. Was treibst du in dieser Gegend, Pirat?“
    „Soll hier was rausfinden für meinen Käpt’n. Und du? Was treibst du in dieser Gegend – Söldner?“
    „Das geht keinen was an.“
    „Du willst zu den Wassermagiern, nicht wahr?“
    „Woher weißt du das?“
    „Na ja, abgesehen davon, dass es hier in der Gegend meines Wissens sonst nichts gibt... Du trägst da einen hübschen Ring an deinem Finger. Ich glaube, den Blauton nennt man Aquamarin, oder?“
    Cords Augenbraue wanderte noch ein gutes Stück höher, als sie das zuvor getan hatte. „Vielleicht sollten wir uns etwas unterhalten.“
    Alligator Jack nickte. „Ja, den Gedanken hatte ich auch gerade. Ich glaube, das könnte mich weiterbringen als ein Gespräch mit deinen beiden Kumpels hier.“

    BRECHT AB!
    Alrik runzelte die Stirn. Wieso waren hier Worte in den Fels gemeißelt? Er versuchte, sich zu erinnern, ob sie auf dem Hinweg schon dagewesen waren. An wen sich diese Nachricht wohl richtete? Ob sie vielleicht gar – so schoss es ihm durch den Kopf – mit dem Wettbewerb zu tun hatte? Aber wusste der Veranstalter denn, dass er hier vorbeikommen würde? Tja, damit, dass er den Leuchtturm aufsuchen würde, musste der Veranstalter ja gerechnet haben, dorthin führte immerhin sein Hinweis. Aber wenn die Worte wirklich erst jetzt erschienen waren und vorhin noch nicht an der Felswand geprangt hatten, dann musste der Veranstalter auch genau gewusst haben, wann er zum Leuchtturm gehen und wieder zurückkehren würde.
    Ein unbehagliches Gefühl kroch Alriks Nacken hinauf. Verstohlen blickte er sich um. Durch das Dickicht, das zwischen dem Weg und der nahen Stadtmauer wuchs, huschte bloß eine Riesenratte. Vielleicht war er ja einfach paranoid. Aber vielleicht... ja, vielleicht wurde er auch beobachtet. Reich genug war dieser Veranstalter bestimmt, um Spitzel anzuheuern. Und immerhin, das würde ja erklären, wie der Veranstalter überhaupt wissen konnte, wie sie sich im Wettbewerb schlugen, ob sie unerlaubterweise zusammenarbeiteten und dergleichen. Ja, plötzlich war Alrik sich fast sicher, dass er beobachtet wurde. Und der Gedanke passte ihm gar nicht.
    Und überhaupt, was sollte diese Nachricht denn bedeuten?
    BRECHT AB!
    Wollte der Veranstalter sie warnen, dass der Wettbewerb gefährlich werden könnte? Aber nein, das hätte er doch persönlich auf Onars Hof tun können. Wahrscheinlich sollte diese Botschaft die Teilnehmer nur verunsichern. Eventuell den einen oder anderen tatsächlich zum Abbruch bringen und so die Spreu vom Weizen trennen. Ja, das musste es sein! Und mit dieser Erkenntnis nahm Alrik sich sogleich vor, sich nicht ins Bockshorn jagen zu lassen! Da konnten noch so viele ominöse Botschaften und gruselige Warnungen auf ihn warten, er würde sich nicht abschrecken lassen!
    Unwillkürlich beschleunigte er seine Schritte. Es war nur noch ein kurzes Stück zum Stadttor. Alrik wollte gerne glauben, dass er schneller ging, um rasch sein Ziel zu erreichen, und weil sich außerdem langsam der Abend über Khorinis hereinsenkte, doch wenn er ehrlich war, musste er sich wohl eingestehen, dass der Gedanke, ganz alleine hier draußen zu sein, wo ihn wer weiß wer heimlich beobachtete, ihn ebenfalls antrieb.
    Als er einige tote Blutfliegen erspähte, beschleunigte er seine Schritte abermals. Und dann passierte er auch schon das Osttor. Die beiden Milizionäre, die hier stationiert waren, lehnten sich gelangweilt auf ihre Hellebarden und dachten wahrscheinlich bereits an nichts anderes mehr als an den bevorstehenden Wachwechsel und den Besuch in der Fröhlichen Mastsau oder der Roten Laterne, der darauf sicher folgen würde.
    Hinter dem Tor bog Alrik sofort nach links, um über den Tempelplatz und durch die Unterführung bei Constantino in den Hafen zu gehen, doch etwas erregte seie Aufmerksamkeit und ließ ihn innehalten: Eine Gruppe von vier Menschen, die gerade ebenfalls in Richtung Tempelplatz zu marschieren schienen. Zwei dieser Menschen kamen ihm vage bekannt vor. Und es brauchte nur einen kurzen Moment, ehe er wusste, woher: Das waren doch die beiden Jäger, die er auf Onars Hof gesehen hatte! Zwei seiner Konkurrenten.
    Schon wieder spürte Alrik, wie er seine Schritte beschleunigte. Er folgte der Gruppe auf den Tempelplatz. Um diese Zeit war nicht mehr die Stimme des alten Vatras zu hören, der den Menschen das heilige Wort predigte, dafür klang aus Corangons Wirtschaft das typische Lachen, Grölen und Tellerklappern, das wohl jede Taverne in den Abendstunden auszeichnete. Die vier Menschen vor ihm hielten plötzlich inne und erlaubten ihm so, ein wenig zu ihnen aufzuschließen. Ja, jetzt war er sich sicher, das waren die beiden Jäger, die ebenfalls am Wettbewerb teilnahmen. Aber wer waren die beiden anderen? Doch nicht etwa Eingeweihte?
    Plötzlich wusste Alrik nicht mehr, ob er seinen ursprünglichen Plan fortsetzen und zum Hafen gehen oder sich weiter der Gruppe vor ihm näheren sollte. Durfte er diese Chance verstreichen lassen, möglicherweise andere Eingeweihte zu treffen? Aber andererseits: durfte er von seiner Spur ablassen, wo ihm seine Konkurrenten offenbar schon auf den Fersen, ja wo sie vielleicht bereits viel weiter waren als er?
    Noch ehe er eine Entscheidung getroffen hatte, entfernte sich plötzlich einer der Jäger von der Gruppe und schritt hinüber zu Vatras‘ kleinem Schrein. Und damit stand auch Alriks Entschluss fest. Diese Chance würde er nutzen. Jetzt stand nur noch einer der Jäger zwischen ihm und den zwei möglichen Eingeweihten.
    „Wir brauchen nicht auf deinen Kumpan zu warten“, hörte Alrik einen der Männer, einen alten Mann, sagen, als er näherkam. „Er wird schon nachkommen. Mein Haus ist nicht mehr weit. Und da wartet ein warmes Mahl und ein weiches Bett auf euren Freund hier.“
    „Das ist wirklich sehr nett“, erwiderte der Jäger, der dem dritten in ihrer Runde immer wieder besorgte Blicke zuwarf.
    „Hey.“ Alle drei Männer wandten sich um, als Alrik sie ansprach. „Seid ihr vielleicht Eingeweihte?“, fragte er.
    Der Alte wandte sich sofort wieder ab. „Du musst uns verwechseln“, meinte er nur und sagte dann an den Jäger gewandt: „Komm, es wird spät. Was dein Freund jetzt braucht, ist Ruhe und etwas Pflege.“
    Aber so leicht würde Alrik sich nicht abspeisen lassen. „Hey, mir kannst du nichts vormachen!“, ging er nun den Jäger an. „Ich weiß, dass du auch am Wettbewerb teilnimmst.“
    „Du auch? Ach ja, ich glaube, ich erinnere mich...“
    „Und das hier sind Eingeweihte, hab‘ ich nicht recht?“
    Ein trotziger Ausdruck trat ins Gesicht des Waidmanns. „Was geht’s dich an? Jeder ist in diesem Wettbewerb auf sich gestellt, schon vergessen?“
    „Pff, darum arbeitest du auch mit denem Kumpel zusammen“, spuckte Alrik aus.
    „Gaan ist bestimmt gleich wieder hier“, wandte sich der Jäger jetzt an den alten Mann und ignorierte Alrik einfach. „Ich weiß ja nicht genau, was er bei Vatras macht. Aber vermutlich holt er sich nur seinen Segen oder so. Jetzt haben wir schon die paar Minuten gewartet, da können wir noch etwas länger auf ihn warten.“
    „Mit Verlaub, das halte ich für keine gute Idee“, widersprach der Alte. „Ich glaube, euer Freund muss sich dringend ausruhen.“ Tatsächlich schien es Alrik, als sei der Dritte, der bis jetzt geschwiegen hatte, während ihres Gesprächs etwas blasser geworden. „Komm, so ein Segen, das kann seine Zeit dauern. Gehen wir besser schon vor.“
    „Hier geht keiner, solange ich nicht meine Hinweise habe“, widersprach Alrik. „Ihr Eingeweihten müsst uns doch allen helfen, oder? Nicht nur denen, die euch zuerst finden. Also!“
    „Das ist unsere Angelegenheit“, echauffierte sich nun der Jäger. „Da hast du dich nicht einzumischen. Geh deinen eigenen Hinweisen nach! Und überhaupt, dieser freundliche Herr hier ist gar kein Eingeweihter, wir haben ihn nur zufällig...“ Aber da stockte er, denn als er zur Seite gestikulierte, um auf den Alten zu zeigen, war dieser plötzlich verschwunden. „Wo...?“
    „Das ist er, Vatras.“ Da war der andere Jäger wieder. Und er hatte den städtischen Wassermagier mitgebracht. Und der wiederum hatte eine sehr ernste Miene aufgesetzt, mit der er nun den weiterhin stummen Mann musterte.
    „Hier scheint mir mächtige Magie im Spiel zu sein. Kommt, bringen wir ihn in den Schrein. Ich will mir das genauer ansehen.“

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    Knight Commander Avatar von Crozyr
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    Crozyr ist offline
    Sebastian rang um Atem, während er seinen Knöchel abtastete. Innos, hoffentlich ist da nichts gebrochen!
    „Was hast du mit mir gemacht, kleiner Mensch?“, donnerte die Stimme der Eiche wütender denn je, „ich kann mich nicht bewegen!“ Fiepsend und kreischend flogen nun die Irrlichter umher, völlig aus dem Rhythmus gekommen.
    Sebastian versuchte sich aufzurichten, dem Wesen irgendwie zu entkriechen, doch seine Füße gaben unter ihm nach.
    „Wo bist du?!“, grollte es wieder aus dem Baum hervor. „Ich werde dich erdrücken, kleiner Wicht, erwürgen, ersticken, erschlagen, zerquetschen!“
    Eine Wurzel bohrte sich vor Sebastians Augen aus dem Boden empor und peitschte krampfhaft um sich, suchend nach etwas, dass sie umschlingen konnte, doch zum Glück des jungen Abenteurers verfehlte sie seine Kehle nur um ein haarbreit. Schützend hielt er sich die Hände über sein Haupt. „Lala... Lass mich gehen,“ brachte er hervor, „oder... oder ich werde dich in Flammen aufgehen lassen, du... d-du Baumstumpf in spe!“
    „Er redet nicht mit dir, du armer Narr,“ hallte plötzlich eine neue, tiefe Stimme in seinem Kopf, als käme sie von überall und nirgendwo her. „Bleib unten und sag kein Wort, dann wirst du vielleicht den nächsten Morgen sehen.“
    Sebastian blickte Perplex umher, ehe er ihn endlich sah: Der Hüne! Mit einer geballten Faust in der Höh' trat sein Retter langsam aus dem Wald heran, mit der anderen sein Schwert schützend vor sich haltend. Das Fauchen der Irrlichter wurde unerträglich, als sie immer schneller um die Eiche tanzten. „Bringt mir seinen Samen!“ Befahl der Baum schließlich, und schlagartig änderten die Waldgeister ihren Kurs. Bunte Funken zogen die Lichter hinter sich her, wie sie mit Schwung auf den Fremden zurasten. Sebastian riss ungläubig die Augen auf, als der Hüne eines nach dem anderen mit seiner Klinge abwehrte, nur um sie geblendet vor den gleißenden Blitzen wieder abzuwenden, die nach jedem Aufprall in den Himmel fuhren. Sie verpuffen einfach an seinem Schwert... was ist das bloß für ein Typ? Azurblau und feuerrot tropfte die Essenz der erschlagenen Irrlichter vom Stahl des Hünen, während er sich beständigen Schrittes der Eiche näherte. Immer kürzer wurde die Entfernung zwischen ihm und dem Baumgeist. Beinahe herzerweichend hatten die Schmerzensschreie des Baumes bei jedem entschwundenen Irrlicht in seinem Kopf geklungen, doch nun ging sein Klagen in etwas anderes über. Angst!
    „Ich... sollte doch nur auf meinen... Saaaamen.... warten...Bist du der Sa...?“ Der Baum verstummte schlagartig, als sich die Schneide des Hünen mitten in das Zentrum des wieder aufgeflammten Runengebildes bohrte.

    „Wie konnte uns nur... entgangen sein,... was dieser Riese... für eine Bestie ist!“ Schnaubend und ächzend versuchte der grauhaarige Kaufmann mit Salvadore Schritt zu halten. Sie mussten Evadam schleunigst warnen. „Wie lautete... sein... Name nochmal?“
    „Amagon.“ Die Stimme des Jüngeren verriet keine Spur von Beunruhigung, und Rodriguez hätte auch alles andere gewundert. Doch wie er seinen Gang noch weiter beschleunigte, war es nur zu offensichtlich, dass Salvadore sich genauso um den Fortgang des Wettbewerbs umsorgte. „Er war einer von denen, die ohne Einladung zum Wettbewerb gestoßen waren. Du hättest ihn näher unter deine berühmte Seehilfe nehmen sollen. Welch Ironie. Jetzt hat er die Jadelinse... und aus dem Jungen wird er eine deiner meisterhaften goldenen Kugel schon herauskriegen, auf die eine, oder die andere Art. Das wird Lord Evadam nicht gefallen.“ Rodriguez stieg die Zornesröte ins Gesicht. „Ach ja.?... Du... Warst ihm doch gef...“ Die Worte des Kaufmanns gingen in einen kläglichen Schrei über, als er mit dem Gesicht voran auf dem nassen Waldboden aufschlug. Heiß schoss ihm das Blut aus der Nase, und Rodriguez spürte sofort, dass er sich mehrere Rippen gebrochen haben musste. Für einen Herzschlag dachte er, ein Baum wäre auf ihn gefallen, oder ein Felsen hätte ihn erschlagen, doch der feste Griff eines stählernen Handschuhs um seinen Hals machte ihm klar, dass es ein Mensch war, der ihn niederdrückte. Der Gestank von Bratensoße und altem Schweiß füllte seine Nase, während er verzweifelt versuchte sich mit kraftlosen, blinden Schlägen nach Hinten von seinen Widersacher zu befreien. „Salvadore!“, brachte der er noch hervor. Doch die Warnung kam zu spät. Schwarze Flammen waren zwar bereits aus der gespreizten Hand Evadams Lehrlings aufgegangen, und auch seine Lippen bewegten sich schon in der Beschwörung einer magischen Inkantation, doch ehe er seinen Zauber sprechen konnte, erwischte ihn der Schwertknauf eines zweiten Angreifers. Rodriguez bekam noch mit, wie ihm jemand einen Knebel in den Mund jagte und die Augen verband, und ein letztes Mal pochte es laut – dann war alles still.

    „Du wirst dir sicher gerade den Kopf darüber zerbrechen, was wir bloß mit dir vorhaben, hm?“ Der Söldner setzte genüsslich grinsend den leeren Eimer ab, warf die Augenbinde bei Seite und zog schabend einem schmalen Schemel heran, um dicht vor dem Alten Platz zu nehmen. Eiskalt rann Rodriguez das Wasser den Rücken herab, und nur langsam beruhigte sich sein Atem. Bis auf die beiden Hocker füllten lediglich ein paar Kommoden und ein ranziges Bett den kargen Raum; Salvadore war in der abgedunkelten Kammer nirgends zu sehen. Ein zweiter, breit gebauter Söldner stand mit verschränkten Armen hinter dem Ersten, den Mund leicht geöffnet. Mörderisch war die Pein in Rodriguez' Rücken, hämmernd der Schmerz an seiner Schläfe, doch am schwersten verletzt war sein Stolz.
    Diese Irren wusste nicht, mit wem sie sich angelegt hatten. Durch die Tage an Onars Hof kannte er sogar ihre Namen: Sylvio war der Schlanke; der, der geredet hatte. Und der andere war Bullco, sein einfältiger Gehilfe. „Mhhmhm!“ Machte Rodriguez verächtlich, bis Sylvio ihm mit einem Rückhandschlag zum Schweigen brachte.
    „Die Sache ist ganz einfach.“ Der Söldner setzte ein wölfisches Lächeln auf, beugte sich vor und kam wenige Fingerbreit an Rodriguez' Gesicht heran. „Gestern kam ein Feuermagier zu uns an den Hof, war 'ne richtige Nacht und Nebelaktion, hätte ich so einem gar nicht zugetraut. Und der hat uns mal erzählt, wie gefährlich ein paar von diesen Gestalten sind, die ihr hier hergelockt habt. Diese Wolfsbraut? Oder dieser Yves? Einer mörderischer als die andere. Aber dann kam die Krux. Ein gewisser Niklas soll bei euch mitmachen. Großes magisches Talent hieß es. Und an dem hat das Kloster ganz besonderes Interesse.“
    Wieder drang ein aufgebrachtes „Mhhhmhmhm“ durch seinen Knebel.
    „Ja, mmhmhmhm, ganz genau, alter Mann.“ der Söldner wuschelte Rodriguez durch die nassen Haare und erhob sich wieder. „Denn so groß ist das Interesse der Magier an deinem Neffen, dass sie uns ein besseres Angebot für seine Auslieferung gemacht haben, als euer ach so wichtiger Ava- oder Adarich Evadam, oder wie er auch immer heißt, für seinen Aufenthalt auf dem Hof.“ Sylvio spuckte. „Also wenn es nach mir ginge, könnte man mir mit dieser ganzen Magie-Scheiße nicht weiter fern bleiben. Aber Onar ist der Boss - Onar hat die Schnauze gestrichen voll von eurer Wettbewerbstumult - Und Onar will, dass du deinem Bruder einen kleinen Brief schreibst.“
    Eine dritte Person, die offenbar die ganze Zeit hinter ihm gestanden haben musste, schnitt ihm die Fessel an den Handgelenken auf, während Sylvio zwei Pergamentblätter zückte – eines beschrieben, eines unbefleckt. Sachte breitete er beide auf dem Tisch aus, den Bullco herangezogen hatte, und fügte zufrieden nickend Tinte und Feder hinzu. Der Unbekannte in seinem Rücken schob Rodriguez' Hocker nach vorn, sodass das Schreibwerkzeug in Reichweite war. Mit angehaltenem Atem las er die vorgeschriebene Nachricht:

    F,
    Hat Niklas es bereits zu dir geschafft? Er ist schwer krank, in Lebensgefahr, und vermutlich weiß er nicht einmal davon! Evadams Wettbewerb... Keine Zeit für Erklärungen. Du musst ihn finden und zur Hütte am See unter Bengars Hof bringen! Die Magier, das Ritual... Nur dort können wir ihn heilen! Beeil dich, noch drei Sonnenaufgänge, und es könnte bereits zu spät für ihn sein!
    R


    „Du weißt, was zu tun ist, nehme ich an? Wort für Wort, mit ordentlicher Signatur. Und, achja, – ich muss dir wohl nicht erklären, was dir zustieße, falls du dich gegen unsere Zusammenarbeit entschiedest, oder?“ Sylvio setzte ihm seine Sehhilfe auf, und wies vielsagend auf die Schriftstücke vor ihm.
    Im Kopf des Gefangenen ratterte es, während er die Federspitze ins tiefe Blau tunkte. Das machte alles keinen Sinn! Die Feuermagier suchten Niklas? Sie kannten Yves und Verena? Aber wie waren sie so schnell an diese Informationen gekommen? Und dann wussten sie auch noch von seinem Bruder! Seit ihrer Kindheit hatten die beiden Kaufleute ihre familiäre Beziehung geheim gehalten, stets nach außen hin für sich, doch heimlich immer mit dem anderen im Hinterkopf ihre Geschäfte gemacht, ohne dass die Konkurrenz etwas ahnte von ihrer Zusammenarbeit, ihren Monopolen, ihren Preisabsprachen. Sogar eine eigene Geheimschrift hatten sie geschaffen, um ihre Briefe zu verschlüsseln. Wenn die Brüder schrieben, waren es nicht die Worte, die sprachen, sondern die Verschnörkelung der Lettern, ihre Größe und Breite, die Abstände zwischen ihnen... Nur für Salvadore und Evadam hatte er eine ähnlich ausgeklügelte Code. Fernando musste vor Onar gewarnt werden... Feuermagier?! Diese verfluchten Söldner waren auf einen viel übleren Zauberer reingefallen! Wie hatten es die Hexer von Xhan geschafft, so früh ihrem Plan auf die Schliche zu kommen... Wie hatte Evadam...?
    Aber nein, das kann nicht sein... Rodriguez zweiter Gedanke trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. War das nur, was er glauben sollte? Niemand wusste von seinem Bruder. Nichteinmal Evadam... oder doch? Nervös wanderte sein Blick von Söldner zu Söldner, zurück auf Tinte und Feder. War das, wie sie es tun wollten? War das die Strafe für seine Drohung? Von Anfang an war es Teil des Plans gewesen, die einflussreichen Kaufleute gegen die Landwirte aufzuwiegeln. Und wie ginge es besser, als über seine Leiche? Fernando würde toben, wenn er meinen leblosen Körper fände... Ein weiterer Schritt näher zur großen Schlacht, ein weiterer Schritt näher zum Ende der Schwarzmagier... War er dabei stets nur ein Werkzeug gewesen? Bei Adanos, er hatte ihnen vertraut! All die Arbeit, all die Jahre lang... die goldenen Kugeln... die Artefakte. Doch das Gespräch mit Adarich, seine Drohung...Salvadores Worte hallten in seinen Ohren nach... Nicht auszudenken, wenn es Niklas an Sebastians Stelle gewesen wäre.... Ein düsterer Verdacht beschlich ihn, wer die vierte Person im Raum sein musste. Niemals hätte sich Salvadore von zwei armseligen Söldnern niederstrecken lassen... Der Alte schluckte schwer. Wenn er Recht hatte, waren seine Tage gezählt. Die Söldner, die Geschichte mit dem Feuermagier... Alles trug Evadams Handschrift. Er musste irgendwie seinen Briefwechsel zu Fernando abgefangen haben, und wenn er von seinem Bruder wusste, dann würde Adarich auch seine geheime Warnung an Fernando erwarten, sie geradezu vorhersagen... Und er würde sie sogar lesen können, nutzten sie doch nahezu die selbe Verschlüsselungsmethode untereinander. Doch verdammt sollte er sein, wenn er den alten Rodriguez nicht unterschätzt hatte. Bitter lachte er in sich hinein. Evadam sollte seine Botschaft kriegen.

    Stolz blickte er auf seine letzte große Tat, nachdem er die Feder niedergelegt hatte. Der Kaufmann hatte sich immer noch erinnern können. Alles, was die Söldner lesen würden, wäre eine exakte Kopie ihres Briefentwurfs.
    In Evadams Augen würde sich eine Geheimbotschaft offenbaren, wie er sie sich nicht besser hätte wünschen können.

    Onar hält mich gefangen,
    traue nicht den Feuermagiern,
    rette Niklas!“


    Doch Rodriguez wusste, dass Fernando den Brief zur Sicherheit nocheinmal um neunzig Grad drehen würde, wie in alten Kindheitstagen, wo sie sich mit ihrer Chiffrierungskunst geradezu überbieten wollten, und die dritte Botschaft entdecken, die...
    Der Alte biss hart auf seinen Knebel, als ihn ein zerreißender Schmerz ereilte. Gerade konnte Rodriguez noch das Ende der Klinge sehen, ehe sie sich wieder schmatzend aus seinem Brustkorb herauswand und er vornüber mit dem Kopf auf den Tisch prallte. „Danke, alter Freund,“ hörte er Salvadore in sein Ohr wispern, während der Alte in seinen letzten Atemzügen die wahre Geheimnachricht genoss, so meisterhaft in das Schriftstück hineingewoben...

    Evadam hat uns verraten.
    Du musst Lord Hagen warnen:
    Lady Ashe trägt Adarich's Kind.

  13. Beiträge anzeigen #33 Zitieren
    Irenicus-Bezwinger  Avatar von MiMo
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    MiMo ist offline
    „Himmelsarschundzwirn, was ist…!“
    „Bei Beliar! Benno, was ist mit deiner Hand passiert?“
    „Was weiß denn ich?!“ Selbst durch die Bretterwand des Schuppens, in den sie Niklas gesperrt hatten, klang der Schrei schrill und panisch. „Tu doch irgendwas!“
    „Was soll ich denn…?!“
    Immer mehr Stimmen mischten sich in den Aufruhr, so dass Niklas die einzelnen Worte nicht mehr verstand. Er hob seinen Kopf und blinzelte in die vereinzelten Sonnenstrahlen, die ihren Weg zwischen die Bretter hindurch zu ihm herein fanden. Rostige Spitzhacken und anderes ausrangiertes Werkzeug stapelte sich unordentlich auf dem Boden. Doch Niklas konnte nichts davon für einen wie auch immer gearteten Fluchtversuch nutzen, denn sie hatten ihm die Hände auf den Rücken und an eine der Latten gefesselt. Er war nur mäßig interessiert an der Ursache des Tumults draußen. Er hatte schon festgestellt, dass diese Typen sich gerne wegen allem möglichen ankeiften, prügelten und verstümmelten.
    Gerade hatte er sein Kinn wieder auf die Brust sinken lassen, um weiter zu dösen, als krachend die Tür des Schuppens aufgerissen wurde. Grelles Licht flutete sein Verlies. „Mach das wieder weg, du Pestbringer!“, spie ihm der Mann entgegen, der vor allen anderen den Schuppen gestürmt hatte.
    Niklas brauchte eine Weile, bis er erkannte, dass der Mann ihm seine rechte Hand entgegen streckte. Nur dass diese Hand nicht mehr aussah wie eine Hand. Auf die Größe eines kleinen Kopfes angeschwollen war die Hand mit dicken grünen Schuppen überzogen. Die Finger ragten scheinbar völlig wahllos aus dem geschwollenen Etwas heraus und standen in ekelerregendem Winkel ab.
    Niklas wusste nicht, ob er lachen oder doch besser weinen sollte. Das teure Elixier! Es hatte Monate gebraucht, es herzustellen.
    „Ich wollte doch nur probieren, was du fürn Schnaps dabei hattest!“, heulte der Mann namens Benno auf. Die anderen Banditen hinter ihm warfen sich immer belustigtere Blicke zu.
    „Das Elixier der Salbeidrohne ist nicht zur oralen Aufnahme gedacht“, klärte Niklas ihn höflich auf. „Man träufelt es auf Schnittwunden, damit sie sich schneller schließen. Trinkt man es, dominieren die als Lösemittel gebrauchten Waranspermien und…“
    „Mach es einfach wieder weg, ja?“, unterbrach ihn Benno zornig. „Und zwar sofort!“
    Niklas konnte gar nicht fassen, was für eine Chance sich ihm bot. „Ich kann ein Gegenmittel herstellen, dafür müsst ihr mir aber ein paar Zutaten besorgen und mir die Hände freigeben…“
    „Das kommt gar nicht infrage!“, entschied einer der hinten stehenden Männer kategorisch.
    „Nun, mir solls recht sein“, erwiderte Niklas mit einem Achselzucken, ehe er Benno direkt in die Augen sah. „Je länger es dauert, bis du das Gegenmittel bekommst, desto mehr Schuppen werden dir ein Leben lang bleiben. Schon morgen sollte es so weit sein, dass ich gegen keine einzige von ihnen noch etwas ausrichten kann.“ Also sieh zu, wie du deine Kameraden überzeugst, fügte er in Gedanken noch hinzu.
    Benno schluckte geräuschvoll.

    Yves schlürfte an seinem tönernen Becher und lehnte sich in dem bequemen Ohrensessel zurück. Das lavendelfarbene Möbelstück wirkte unfassbar deplatziert in dieser kleinen Höhle mitten im Wald, wo es außer einem hüfthohen Bücherbord und einem Tisch voll ordentlich angeordneter alchemistischer Gerätschaften keinerlei Einrichtung gab. Nicht einmal ein Bett oder eine andere Art von Schlaflager konnte er in dem Halbdunkel des Kerzenscheins entdecken. Schlief diese Frau etwa niemals? Fast hätte sein Herz wieder das panische Trommeln angestimmt, das es bis vor wenigen Augenblicken noch inbrünstig geprobt hatte. Doch das Gebräu ließ ihn tatsächlich zur Ruhe kommen, so wie die junge Frau gesagt hatte, die ihm nun mit verschränkten Armen gegenüber stand und ihn aufmerksam beobachtete. Yves fühlte sich mit dem heißen Becher in der Hand und in der Gesellschaft einer so schönen Frau mit einem Mal sehr zufrieden und schläfrig. Zum ersten Mal seit Stunden schaffte er es, sich von dem Gedanken an Verena zu befreien. Nicht an seine panische Flucht zu denken, als die Holzfäller zum Angriff übergegangen waren. Er hatte Verena und ihrem einfältigen Ritter wohl ganz schön was eingebrockt. Und dann war er auch noch feige abgehauen. Eigentlich hatte er ja aus sicherer Entfernung beobachten wollen, wie der Kampf verlief. Aber dann hatte er sich plötzlich mitten auf einem Friedhof wiedergefunden. Nebel hatte zwischen den verwitterten Grabsteinen mit den unleserlichen Inschriften gehangen. Geradezu grün hatte er gewirkt! Und Yves hatte noch nie viel für Friedhöfe übrig gehabt. Panik hatte er natürlich keine gehabt, nur vielleicht ein bisschen Respekt vor den Toten. Als er das nächste Mal innegehalten hatte, war er jedenfalls schon tief im Wald gewesen. Außer Bäumen hatte er nichts mehr entdecken können und hoffnungslos die Orientierung verloren, bis er an eine Höhle gekommen war, an deren Eingang das Zwielicht des Waldes von Fackeln durchbrochen wurde.
    „Wie heißt dieses Gesöff noch gleich?“, fragte er mit schwerer Zunge.
    Sagitta lächelte nachsichtig. „Es hat keinen Namen. Ich mische es nach meinem eigenen Rezept aus verschiedenen Kräutern und habe seine Wirkung selbst erforscht. Da bedarf ich keiner Bezeichnung.“
    Yves nahm noch einen tiefen Zug, unfreiwillig dankbar für das Beruhigungsmittel. „Wenn du wüsstest, wer ich bin, hättest du dir bestimmt doppelt so viel Mühe mit dem Zeug gegeben“, mutmaßte er und hob ein bisschen das Kinn.
    „So? Wer bist du denn?“, fragte Sagitta mit hoch gezogener Augenbraue.
    „In meiner Heimat gibt es einige, die meinen Namen nur flüstern“, antwortete Yves und zwinkerte ihr zu. „Ich bin der Albtraum aller Schurken und Halunken, musst du wissen. Wo auch immer eine Dame unverschuldet in Not gerät, bin ich zur Stelle. Also, falls du mal…“
    Sagittas Lächeln bekam einen spöttischen Zug.
    Yves trank hastig einen weiteren Schluck aus seinem Becher, um den peinlichen Moment zu überspielen. Was fiel diesem unverschämten Weib denn ein, ihn so zu belächeln? „Wie alt bist du eigentlich?“, fragte er sie grob. Sie wirkte noch blutjung. Dünne Taille, straffer Busen. Aber um die Augen herum hatte sie Krähenfüße, das hatte er ganz deutlich gesehen, als sie ihm den Becher gereicht hatte.
    „Zweiundfünfzig“, antwortete sie gleichmütig.
    „Zweiund…?!“ Yves verschluckte sich an dem Sud und hustete und prustete. Das konnte einfach nicht sein! Dabei hatte er sie doch in Gedanken schon…
    „Vielleicht auch zehn, zwanzig Jahre mehr. Wen schert das schon?“, erzählte sie, nur um ihr Lächeln anschließend endgültig verschwinden zu lassen. „Aber genug von mir. Ich habe dich furchtlosen Trampel bestimmt nicht ohne Grund zu mir eingelassen.“ Sie lockerte ihre Arme aus der Verschränkung und begann langsam um seinen Sessel herum zu gehen, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
    „Wie hättest du mich denn daran hindern wollen? Hast ja keine Tür oder sowas“, gestikulierte er mit seinem leeren Becher.
    Ein gefährlicher Ausdruck trat auf Sagittas Gesicht und ihm war sofort klar, dass er es nie und nimmer lebendig in die Höhle geschafft hätte, wenn sie es nicht so gewollt hätte.
    „Du nimmst an diesem Wettbewerb teil, nicht wahr?“
    „Woher weißt denn du davon?“
    „Ich bekomme öfter Besuch als du denkst.“
    „Und was willst du jetzt von mir?“
    „Dass du vor allen anderen die Artefaktteile findest.“
    Yves konnte nicht anders. Er wusste, dass er ziemlich überheblich grinste, aber diese merkwürdige Frau schien sofort das Potenzial in ihm gesehen zu haben, das Volltrottel wie diesem Martin nicht mal auffiel, wenn man sie darauf aufmerksam machte. „Ach, jetzt verstehe ich, warum du nur mich und niemanden sonst eingelassen hast“, sagte er mit seiner männlichsten Stimme und versuchte unauffällig seine Brust herauszustrecken.
    „Mir ist vollkommen gleich, mit wem ich den Handel abschließe.“
    Yves fiel zurück in den bequemen Ohrensessel. Er traute seinen Ohren kaum! Sagitta war wieder mit verschränkten Armen vor ihm zum Stehen gekommen. Und ihr Blick hatte etwas an sich… Plötzlich war die beruhigende Wirkung des Tees und die gemütliche Atmosphäre verflogen. Er hatte schon oft genug tief in der Scheiße gesteckt, um zu erkennen, wann er jemandem in die Falle gegangen war. „Und… Wenn ich dem Handel nicht zustimme?“
    Sagittas gefährliches Lächeln entblößte einen unnatürlich spitzen Eckzahn. „Du hast den Tee doch ganz ausgetrunken, oder nicht?“
    Yves Kopf ruckte zu dem Becher in der Hand. Er war tatsächlich restlos leer.
    „Ich werde dir verraten, wie du an eines der Artefaktteile kommst. Ich habe seinen mächtigen Schutz gestern beim Kräutersammeln gespürt. Und der Wächter wurde recht gesprächig, als ich ihm ein paar leckere Tinkturen angeboten habe. Jeder hat seine Schwachstelle. Und dieser Wächter ist eine Naschkatze.“
    „Ein... Artefaktteil?“ Yves schwirrte der Kopf. Ergab das, was diese irre Frau vor sich her redete überhaupt einen Sinn? In seiner Welt bislang jedenfalls noch nicht.
    „Es gibt in der Stadt zwei Auserwählte. Beide geben dir widersprüchliche Hinweise. Wenn du durchschaust, welchen Teilen der Aussagen du vertrauen kannst, und welchen nicht, wirst du wissen, was du dem Wächter im Austausch für sein Artefaktteil darbieten musst, und auch wo du ihn findest.“
    Yves schlug das Herz bis zum Halse. Wenn stimmte, was die Kräuterhexe sagte, hatte er vielleicht wirklich eine Chance, als erster bei dem Artefaktteil zu sein. „Wo finde ich die beiden Auserwählten in der Stadt?“
    Sagitta sagte es ihm.
    Yves‘ Augen wurden noch größer. Dann war es quasi ausgeschlossen, dass vor ihm jemand beide finden würde. „Und woher weiß ich, wer mir die Wahrheit sagt?“
    „Ich habe dir alles gesagt, was ich weiß.“
    Plötzlich fiel Yves der Handel wieder ein. „Und… was hast du davon, mir diese Tipps zu geben?“
    Sagitta begann wieder langsam um seinen Sessel herum zu gehen. Yves brach der kalte Schweiß aus. Vielleicht hätte er sich doch lieber mit den besoffenen Holzfällern prügeln sollen, als sich in die Fänge dieser Alten zu begeben.
    Als Sagitta direkt hinter ihm stand, begann sie zu sprechen: „Du wirst mir das Artefaktteil überbringen, sobald du es hast.“
    „Warum sollte ich das tun? Ich brauche es, um den Wettbewerb zu gewinnen!“
    „Nachdem du es mir gebracht hast, steht es dir frei, jedweden Versuch zu unternehmen, es mir wieder wegzunehmen. Es ist für dich immer noch ein großer Vorteil: Du weißt dann genau, wo sich das Teil befindet und musst es nicht mehr suchen. Bis du die restlichen drei beisammen hast, fällt dir ja vielleicht ein, wie du es mir abjagen kannst.“
    Yves lächelte verstohlen in sich hinein, als Sagitta wieder aus seinem Sichtfeld verschwand. Er hatte die Informationen, die er brauchte. Er würde so tun, als würde er kooperieren, damit sie ihn unbehelligt gehen ließ. Aber zurückkommen würde er nie und nimmer. Plötzlich stand sie wieder vor ihm. Ihre Augen bohrten sich in seine. Das überlegene Lächeln lag wieder auf ihren Lippen. Und er wusste, dass sie jeden seiner Gedanken erraten hatte. Nur auf diesen einen Moment gewartet hatte, in dem sie ihm ihre Trumpfkarte präsentierte. Siedend heiß fiel ihm wieder ihre Bemerkung über den leeren Becher in seiner Hand ein. Er entglitt seinen Finger und zerbrach auf dem nackten Höhlenboden.
    „In dem Becher war nicht nur ein Beruhigungsmittel sondern auch ein von mir selbst entwickeltes Gift. Es wird dich in sieben Tagen dahinraffen, wenn du nicht von mir das Gegenmittel erhältst, im Austausch gegen das Artefaktteil. Und glaub mir, niemand auf dieser Insel ist so gut, dass er dir in so kurzer Zeit ein Gegenmittel entwickeln könnte. Ohne eine Probe des Gifts erst recht nicht. Und selbst wenn du mich jetzt erschlägst und all meine Tinkturen mitnimmst: Du erinnerst dich doch noch daran, dass ich ihnen keine Namen gebe, oder?“
    Yves schluckte mehrmals. Sein Hals war so trocken. So unnatürlich trocken. „Aber was hast du davon? Du bist keine Teilnehmerin. Du kannst diesen Wettbewerb nicht gewinnen.“
    „Es reicht, ein einziges der Artefaktteile für immer aus dem Verkehr zu ziehen, und der Wettbewerb wird nie ein Ende finden. Adarich darf seine Pläne nicht verwirklichen.“ Und der ernste Ausdruck auf ihrem Gesicht ließ ihm keine Zweifel an ihrer zügellosen Entschlossenheit.

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    Sapere aude  Avatar von Jünger des Xardas
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    Jünger des Xardas ist offline
    „Hm, schöne Arbeit, aber was genau soll ich jetzt damit?“ Bennet kniff die Augen leicht zusammen, während er die Gravuren und Einkerbungen auf der goldenen Kugel in Augenschein nahm.
    „Ich habe mir sagen lassen, du seiest der einzige auf der Insel, der sich mit Goldschmiedearbeiten auskennt“, erklärte Verena.
    Bennet nickte versonnen, ohne den Blick von der Kugel zu wenden. „Wissen nicht viele. Hier auf dem Hof schmiede ich nur Waffen. Aber ich war nicht immer bei den Söldnern... Ja, ich habe Ahnung vom Goldschmieden, und weiter?“
    „Aber du hast diese Kugel nicht geschmiedet?“
    Bennet schnaubte. „Also erstens bin ich kein Handwerksmeister aus der Hafenstadt oder so’n Quatsch. Ich bin Söldner. Ich arbeite für Lee, ich nehme nicht einfach irgendwelche Sonderaufträge von sonstwem entgegen. Hast du dich mal umgeschaut?“ Er machte eine ausladende Bewegung zu dem Stapel mit Stahlrohlingen neben der Esse, zu den Bündeln schartiger Waffen beim Schleifstein, zu den verbeulten Brustpanzern und Schulterplatten auf dem Boden. „Wann sollte ich denn dafür noch Zeit haben bei all der Arbeit hier? Und zweitens: Ist ja sicher keine schlechte Arbeit das Ding, aber ein Fachmann erkennt, dass das eher Manufakturprodukt als echte Handwerkskunst ist.“ Er spuckte aus und drückte Verena die Kugel wieder in die Hand. „Jede Wette, dass ich das besser könnte!“
    Unschlüssig hielt sie den schweren Gegenstand in der Luft. Sie hatte es befürchtet. Dieser Bennet würde sie nicht weiterbringen. Und wenn er die Kugel nicht geschaffen hatte und der einzige Goldschmied auf der Insel war, dann hatte Adarich sie wohl mit sich nach Khorinis gebracht und sie würde ihren Hersteller kaum ausfragen können.
    Theon, der nicht mit auf den Hof gekommen war – er hatte protestiert und sie nicht allein lassen wollen, sie aber hatte darauf bestanden, dass er in einiger Entfernung zurückblieb, denn sie wollte nicht riskieren, dass auch einer der Söldner ihn als jemanden erkannte, auf dessen Kopf eine Belohnung ausgesetzt war –, und sie hatten trotz allem beschlossen, bei ihrem ursprünglichen Plan zu bleiben, auch nachdem sie ihre zwei Begleiter verloren hatten. Dass dieser Yves verschwunden war – wohl im Getümmel des Gefechts mit den Holzfällern –, war ihr zunächst gar nicht aufgefallen. Eigentlich erstaunlich, denn sowohl die Leibesfülle als auch das Mundwerk und die ständigen Avancen des Mannes sorgten eigentlich dafür, dass seine Anwesenheit unmöglich zu ignorieren war, so sehr sie das zwischendurch auch versucht haben mochte. In dem ganzen Trubel, der Aufregung und dann ihrem plötzlichen Wiedererkennen Amagons – wie sie den Hünen nicht gleich hatte erkennen können, blieb ihr mindestens so undurchschaubar wie der Umstand, dass sie Yves‘ Verschwinden nicht bemerkt hatte – und den Enthüllungen, die hierauf gefolgt waren, hatte sie es aber wohl doch irgendwie geschafft, gar nicht mehr an Yves zu denken. Sie konnte auch nicht sagen, dass sie sonderlich traurig über die Abwesenheit des... Ja, was war dieser Yves eigentlich? Ein Söldner? Ein Glücksritter? Ein abgehalfterter Bürger der Stadt, dem die Flugblätter Flausen in den Kopf gesetzt hatten? Sie wusste es nicht und es war ihr auch recht gleichgültig. Jedenfalls war sie nicht gerade traurig darüber, dass Yves nicht mehr bei ihnen war. Vielleicht wäre er in dieser Situation ausnahmsweise mal zu etwas nütze gewesen, wenn dieser Bennet ihm wirklich noch einen Gefallen schuldete, aber sie war sich ohnehin nicht sicher, ob das nicht bloß Aufschneiderei gewesen war. Und die Goldmünzen Theons, die sie dem Schmied der Söldner stattdessen für seine Hilfe hatte anbieten müssen, waren ihr das künftige Ausbleiben irgendwelcher schmieriger Kommentare und Annäherungsversuche oder peinlicher Prahlereien durchaus wert. Anders stand es mit Amagon. Als der plötzlich davonmarschiert war, waren sie versucht gewesen, ihm zu folgen. Und der war gewiss kein bestenfalls nutzloses, schlimmstenfalls lästiges Anhängsel, sondern hätte im Zweifelsfall vielleicht ein wertvoller Verbündeter sein können. Aber Verena hatte nach kurzem, aber fieberhaftem Überlegen ihre Entscheidung getroffen und Sir Theon, der dem Hünen bereits hatte folgen wollen, zurückgehalten. Amagon hatte seine eigene Agenda, das war klar. Ihm ging es nicht darum, diesen Wettbewerb zu gewinnen, sondern der schwarzen Magie nachzuspüren, die irgendwie mit diesem zusammenhing. Diese bereitete Verena durchaus Kopfschmerzen; ganz zu schweigen von der Frage, inwieweit wohl Adarich in diese seltsamen Vorgänge eingeweiht sein und mit ihnen zusammenhängen mochte. Aber sie konnte es sich nicht leisten, nun diesem Geheimnis auf den Grund zu gehen und Amagon bei seinem Vorhaben zu helfen. Vielleicht würde sich das noch rächen, vielleicht, so überlegte sie und konnte nicht anders, als sich dabei sorgenvoll auf die Unterlippe zu beißen, war es dumm, solch eine mögliche Bedrohung im Hintergrund einfach zu ignorieren. Aber sie musste diesen Wettbewerb gewinnen. Alles, einfach alles hing davon ab. Die Zukunft Khoralts und Vaters und des Hauses Ashe, nicht zuletzt aber ihr eigenes Schicksal. Sie kannte keinen der anderen Teilnehmer, wusste nicht, was diese bewog, am Wettbewerb teilzunehmen, aber wahrscheinlich waren es überwiegend doch nur triviale Träume von Ruhm und Reichtum. Sie war sich sicher: Niemand hier brauchte den Sieg so dringend wie sie. Und sie wollte – und würde – verdammt sein, wenn sie sich diesen von einem ihrer Konkurrenten wegschnappen ließ. Und doch war sie noch kaum vorangekommen, hatte viel zu viel Zeit durch die Konfrontation mit Amagon, durch die Wanderung durch die Wildnis, durch den Kampf mit den Holzfällern vertrödelt. Wer wusste schon, wie weit die übrigen Teilnehmer mittlerweile bei ihrer Suche sein mochten? Nein, Amagon zu folgen, war schlicht keine Option gewesen.
    Aber sie zweifelte mehr und mehr an dem Plan, Bennet wegen dieser Kugel auszufragen. Wer war überhaupt auf diese Idee gekommen? Langsam fürchtete Verena, dass auch dies alles nur Zeitverschwendung gewesen war und sie lieber weiter den Eingeweihten hätte nachspüren sollen.
    „Gut, du hast die Kugel nicht hergestellt...“, begann sie langsam in einem letzten Versuch, noch irgendetwas Nützliches in Erfahrung zu bringen, „aber ist dir denn gar nichts Besonderes daran aufgefallen?“
    Bennet zuckte mit den Achseln. „Wenn dir so viel dran liegt, kann ich noch mal schauen“, meinte er und griff abermals nach der Kugel. „Aber das einzig Besondere ist, dass sie viel zu leicht ist.“
    Verena merkte auf, während der Schmied den Gegenstand abermals in Augenschein nahm. „Zu leicht?“
    „Ja, die ist nie und nimmer aus massivem Gold. Wer immer die gefertigt hat, wollte wohl Material sparen.“
    „Weißt du, was drin ist?“
    „Nein, aber ich glaube, hohl ist sie nicht“, antwortete Bennet, der mit den Fingern auf die Kugel klopfte.
    Verena überlegte. Das konnte nichts heißen – oder alles. Vielleicht hatte Adarich wirklich nur Material gespart. Andererseits gehörte Sparsamkeit nicht zu seinen herausstechendsten Tugenden. „Kannst du die Kugel öffnen?“
    „Klar, das wird nicht schwer sein.“
    Da Verena nicht sicher war, ob sie die Kugel nicht doch noch brauchen würde, ließ sie Bennet die goldene Hülle nicht direkt aufbrechen, sondern bloß vorsichtig ein kleines Loch hineinbohren. Der Vorgang dauerte zum Glück nicht lange. „Hm, das ist interessant...“, befand der Schmied nach kurzer Arbeit.
    „Was ist interessant?“, fragte sie angespannt. Gerne wäre sie zu ihm hinübergestürmt und hätte ihm die Kugel gleich aus der Hand gerissen.
    „Der Widerstand unter der Hülle. Das Ding ist innen hart wie Diamant. Aber...“ Bennet kniff ein Auge zu und starrte mit dem anderen in die gebohrte Öffnung. „Ah, dachte ich’s mir doch.“
    „Was?!“
    „Tatsächlich nur eine dünne Goldummantelung. Der Kern scheint vollständig aus magischem Erz zu bestehen. Steinhart, aber gleichzeitig federleicht. Kein Wunder, dass dieses Teil nicht so schwer ist, wie es sein sollte. Aber ich kann dir nicht sagen, was das soll. Habe so was noch nie gesehen, ehrlich gesagt. Normalerweise macht man es anders rum: Schwerter haben oft eine Legierung aus Erz und einen normalen Eisenkern. Aber das hier...“
    Sir Theon machte ein erleichtertes Gesicht, als sie zu ihm zurückkehrte. Er wartete am Rand des Waldes bei der Schafsweide auf sie. Auch Verena verspürte eine unwillkürliche Freude und Erleichterung bei seinem Anblick, erlaubte sich aber nicht, ihren Gefühlen weiter nachzugeben, sondern setzte dem Ritter schnell auseinander, was sie erfahren hatte. „Magisches Erz? Daher vielleicht das Leuchten“, war das erste, was diesem dazu einfiel. Dann hatte er noch einen Gedanken: „Und die Kugel soll das Werk einer Manufaktur sein, nicht nur eines Handwerkers? Dann hat Evadam vielleicht noch mehr solcher Kugeln herstellen lassen.“
    „Die Idee hatte ich auch schon“, erklärte sie mit skeptischer Miene, „aber die Ressourcen, die das gekostet hätte...“
    „Evadam ist unvorstellbar reich“, erinnerte Sir Theon sie.
    „Glaubt mir, ich bin die letzte, die das vergessen wird.“ Der Reichtum des Hauses Evadam war ein wichtiger Grund ihrer Verlobung. Die Ashes selbst mochten sich noch mit dem Glanz eines lange bedeutungslosen Titels schmücken und auch das Volk mochte ihnen noch immer innig zugetan sein, doch außer ihrem alten Blut hatten sie nicht mehr viel vorzuweisen. Und um Khoralt, ja ganz Khoron stand es nicht viel besser. „Aber das wäre nicht mehr mit Geld allein zu bewerkstelligen. Mehrere Goldkugel, das wäre ihm zuzutrauen. Aber mehrere Kugeln mit einem Erzkern? Woher sollte er so viel magisches Erz haben? Die Minen von Nordmar sind seit Jahren in der Hand der Orks und den khoriner Erzhandel kontrolliert Araxos vollständig. Und die wiederum liefern alles Erz an den König.“ Ihr Blick schweifte über die in die Kugel eingravierte Karte und blieb am Minental hängen. Konnte Adarich irgendwie Erz von dort organisiert haben? Während sie sich diese Frage noch stellte, fiel ihr ein weiteres Detail an der Kugel auf, das ihr bisher entgangen war: Es war der Standort einer der Einkerbungen, die irgendwelche wichtigen Ziele markieren mochten. Sie kannte diesen Ort. Nicht, dass sie je dort gewesen wäre. Aber natürlich waren Geographie und Historie der fünf Inseln, die ihre Familie einst regiert hatten, Teil ihrer umfassenden Erziehung gewesen. Und diesen Ort kannte sie ganz besonders gut, da er eng mit ihr und der Geschichte ihrer Familie zusammenhing. Das alte Kloster der Tiermagier.

    Berberil kannte seinen Arbeitgeber schon lange. Fernando war nicht von ungefähr einer der einflussreichsten Bürger der Stadt und ein distinguiertes Mitglied der Überseehändlergilde Araxos. Er war stets fleißig und arbeitsam, zielbewusst und geschäftstüchtig gewesen und hatte sich zwischen den Sitzungen im Rathaus, den Verhandlungen mit anderen Kaufmännern, den Besuchen im Kontor und den langen Abenden und Nachmittagen über geschäftlichen Korrespondenzen und der Buchführung nie eine Pause gegönnt. Seit dem Fall der Barriere war er merklich gealtert und der Zusammenbruch des Erzhandels hatte ihm zweifellos zu schaffen gemacht und ihn so weit getrieben, dass er sich in seiner Verzweiflung gezwungen gesehen hatte, sich nach weniger legalen Einnahmequellen umzusehen, aber dies hatte sein emsiges Arbeiten doch nicht zum Erliegen gebracht.
    Das hatte sich geändert, als sein Sohn erst verschwunden war, um an diesem ominösen Wettbewerb teilzunehmen, und als Berberil Fernando dann hatte mitteilen müssen, dass Niklas in die Hände eben jener Banditen gefallen war, mit denen er Geschäfte machte. Beides waren schwere Schläge für den Erzsack gewesen, besonders der zweite, der ihn in eine Berberil bis dato unbekannte Lethargie hatte verfallen lassen. Stumm hatte Fernando sich auf sein Zimmer zurückgezogen und sich offenbar in Dexters Erpressung gefügt. Denn etwas später hatte er ihn zu sich gerufen, um die nächste Ladung Waffen für die Banditen zu organisieren. Hiervon aber abgesehen hatte er seinen Arbeitgeber, der ihm bei dieser Gelegenheit ganz besonders alt und müde erschienen war, nicht mehr zu Gesicht bekommen.
    Umso überraschter war er nun, als er nach vorsichtigem Klopfen und einem überraschend bestimmt gesprochenen „Herein!“ Fernando an seinem Schreibtisch sitzend vorfand, aufrecht und mit einem ganz neuen Feuer, das in seinen Augen loderte, wie ein alter Kämpe, der in seine letzte Schlacht ritt, Innos‘ und seines Lehnsherrn Namen auf den Lippen.
    Eigentlich war Berberil gekommen, um seine Demission einzureichen, aber Fernando schnitt ihm das Wort ab, sobald er den Mund öffnete. „Gut, dass du kommst. Ich habe einige Aufgaben für dich.“ Unter der Hand des Händlers lag ein Stück Pergament, ein wenig zerknittert, als hätte er die Faust darum geballt gehabt. Der Text war kurz, aber auf die Entfernung und verkehrt herum nicht zu entziffern.
    „Ich...“
    „Erst mein Sohn und jetzt mein Bruder“, zischte Fernando, wohl mehr zu sich selbst, und Berberil musste unter seinem Blick unwillkürlich zusammenzucken. „Aber ich werde nicht tatenlos zusehen, wie mir dieser Wettbewerb meine Familie nimmt. Mein Wort hat noch Gewicht in dieser Stadt. Und sie werden es noch bereuen, mich zu ihrem Feind gemacht zu haben!“
    „Herr Fernando?“, fragte er unsicher.
    „Du wirst zu Lord Hagen gehen und ihn fragen, wann er Zeit hat, mich zu empfangen. Du wirst ausrichten, dass es sehr dringend ist und um Angelegenheiten geht, die die Stadt und die ganze Insel betreffen. Dann wirst du den Fremden aufsuchen, der bei Herrn Gerbrandt logiert. Du weißt, der alte Mann aus Khoralt, der mit Lord Evadam kam. Lade ihn für heute Abend zu mir ein. Du wirst ihm sagen, dass ich auf das Angebot seines Herrn bezüglich der Bauern zurückkommen möchte. Und schließlich“, Fernandos Augen zuckten einmal kurz zu dem Brief unter seinen Händen, um dann wieder Berberil zu fixieren, „schließlich wirst du ins Hafenviertel gehen und Kontakt mit der Diebesgilde aufnehmen. Es gibt da etwas, das gestohlen werden muss. Lass sie wissen, dass ich willens bin, sehr gut zu zahlen.“

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    Deus Avatar von Laidoridas
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    Unruhig flackernd schwirrte die weiß gleißende Lichtkugel unter dem hohen Dach des Schreins, als sich die beiden scharfen Bruchkanten der Scherbe in den alten, runzeligen Händen miteinander verbanden. Gespannt beobachtete Gaan, wie die in kühles Licht getauchten Lippen des Wassermagiers inmitten der hereinbrechenden Dunkelheit der Abenddämmerung lautlose Worte formten.
    „Und? Könnt Ihr das lesen?“
    Vatras bedeutete ihm mit einer Handbewegung, zu schweigen, und Gaan biss sich auf die Zunge. In Anwesenheit des Eingeweihten hatte er sich noch mit voller Absicht ein ganzes Stück hibbeliger und unbedarfter gegeben, als er eigentlich war – Adrien hatte gar nicht erst auf die Idee kommen sollen, in Gaan jemand anderen als einen ganz gewöhnlichen Wettbewerbsteilnehmer zu sehen. Er musste sich jedoch eingestehen, dass ein bisschen was von diesem gespielten Gaan durchaus auch im echten steckte. Ruhe und Geduld gehörten nicht gerade zu seinen Stärken, was ihm schon so manche Jagd erschwert hatte. Im Augenblick war er mit dieser Charakterschwäche allerdings nicht allein: Auch Grimbald trat unruhig von einem Bein auf das andere, und der etwas abgeranzt wirkende Kerl zu seiner Linken, der sich als Alrik vorgestellt hatte, gab in regelmäßigen Abständen ein ungeduldiges Brummen von sich, wenn er nicht gerade an seinem Schwertgriff oder am Gürtel herumnestelte. Der einzige, der ganz offensichtlich kein Problem damit hatte, dass sich der alte Wassermagier für die Begutachtung der zerbrochenen Tonscherbe eine ganze Menge Zeit ließ, war der Eingeweihte Adrien. Er lag noch immer reglos auf dem kleinen Haufen aus Kissen und Decken zu Füßen der großen Statue und schlummerte in seinem magischen Schlaf, in den Vatras ihn versetzt hatte.
    „Hm“, machte der Magier schließlich und löste den Blick endlich wieder von den beiden Scherbenstücken in seinen Händen. „Am Sonnenkreis habt ihr sie gefunden, sagt ihr?“
    „Genau“, bestätigte Grimbald. „Dort haben wir auch einen dieser Eingeweihten getroffen – also einen anderen, nicht Adrien hier – und der hat uns gesagt, dass da eine Beschreibung des Artefakts drauf zu lesen sein soll, das wir suchen. Aber die Schrift konnte er selber nicht lesen, angeblich.“
    „Ihr könnt es aber, oder, Meister Vatras?“ Für Gaan war es offensichtlich, dass der Wassermagier längst wusste, was der Veranstalter des Wettbewerbs in den Ton geritzt hatte.
    „Ich kann diese Zeichen in der Tat lesen... und das verschafft mir kein gutes Gefühl. Was ihr hier seht, ist die Runenschrift des alten Volkes von Varant. Meine Brüder und ich, wir dürften die einzigen Menschen auf der Insel sein, die diese Schrift lesen können. Wenn es tatsächlich zum Wettbewerb gehört, dass sie entziffert wird...“
    „Ihr meint, der Veranstalter – dieser Adarich – hat es fest eingeplant, dass Ihr sie für die Teilnehmer übersetzen würdet?“
    Nun wunderte sich Gaan überhaupt nicht mehr über Vatras’ verdrießliche Miene. Er konnte es gut verstehen, dass es dem Wassermagier gegen den Strich ging, ohne sein Wissen längst zum Teil des Wettbewerbs geworden zu sein.
    „Es scheint ganz so. Was euch der Eingeweihte gesagt hat, entspricht zumindest der Wahrheit. Hier wird tatsächlich etwas beschrieben... ein Gegenstand, der aus vier einzelnen Teilen zusammengesetzt werden soll.“
    „Vier Teile!“, platzte Alrik dazwischen. „Vier Teile – das passt ja! Genauso viele sollen wir doch finden!“
    Genervt verdrehte Grimbald die Augen. „Was bei allen Göttern machst du eigentlich noch hier? Das ist unsere Scherbe, wieso sollten wir irgendwen wissen lassen, was da drauf steht? Wenn du mich fragst, ist das jetzt genau der richtige Zeitpunkt für dich, um dich endlich vom Acker zu machen.“
    „Ich gehe nirgendwo hin“, blaffte Alrik zurück und stellte sich demonstrativ breitbeinig vor den Jägern auf. „Da müsst ihr mich schon mit Gewalt vertreiben – und das könnt ihr ja gerne mal versuchen!“
    „Ha!“, knurrte Grimbald. „Auf den Versuch lass ich’s ankommen, du –“
    „Schluss damit“, brummte Vatras ärgerlich. „In meinem Schrein wird niemandem Gewalt angetan, und es wird auch niemand vertrieben.“
    Das triumphierende Blitzen in Alriks Augen war unmöglich zu übersehen. Mit so einer Reaktion des Wassermagiers war natürlich zu rechnen gewesen, und Grimbalds ärgerliches Schnaufen verriet Gaan, dass sich sein Jagdgefährte schon jetzt darüber ärgerte, wie leicht er sich hatte provozieren lassen. Er selbst sah die Sache deutlich lockerer, aber das mochte auch damit zusammenhängen, dass er im Gegensatz zu Grimbald gar nicht vorhatte, den Wettbewerb zu gewinnen.
    „Also?“, wandte er sich wieder an Vatras. „Was steht denn nun genau auf der Scherbe?“
    Lautlos schwebte das magische Leuchten ein Stückchen tiefer, als der Wassermagier den Blick wieder senkte und mit dem Daumen über die eingeritzten Schriftzeichen fuhr.
    „Es werden vier Teile genannt: Zum einen der Sockel. Dann der... hm, ich würde es als Kranz übersetzen. Außerdem: die Kette. Und zuletzt die Glasscheibe... oder... nun, oder Linse vielleicht. Wer sie alle zusammenträgt und miteinander vereint, der erhält ein Artefakt. Um genau zu sein, ein –“
    „Ein Amulett.“
    Adrien hatte sich in seinem improvisierten Schlaflager aufgesetzt und blinzelte mit schmerzverzerrter Miene die letzten Reste der astralen Dösigkeit aus den Augen.
    „Aber ihr dürft es nicht...“ Mit beiden Händen rieb sich der Eingeweihte die Schläfen, während er offenbar angestrengt versuchte, einen bestimmten Gedanken zu fassen. „Aber ihr... solltet es nicht tun. Ihr dürft das Amulett nicht zusammenfügen, meine ich.“
    „Wie bitte?“ Alrik runzelte die Stirn. „Das ist doch gerade genau das, was wir machen sollen bei diesem Wettbewerb, oder etwa nicht?“
    „Ja, aber...“ Adrien stöhnte auf, und schon war Vatras bei ihm, um ihn sanft zurück in eine Liegeposition zu drücken. „Das ist ja, was er von euch will. Das ist der Grund für den ganzen Wettbewerb, aber – aber – das dürft ihr...“
    „Ruhig, ruhig“, redete der Wassermagier mit sanfter Stimme auf ihn ein, und Gaan fühlte sich unwillkürlich gleich ein bisschen mit beruhigt. „Du hast unter dem Einfluss eines Zaubers gestanden. Aber was es auch gewesen ist, du bist nun frei davon.“
    Kaum hatte er das Wort Zauber vernommen, war Adrien wieder in die Höhe gegangen.
    „Der Schwarzmagier!“, krächzte er und blickte sich panisch nach allen Seiten um. „Der – der alte Mann – wo ist er? Ihr habt ihn doch auch gesehen, oder etwa nicht? Er hat etwas mit mir angestellt, er...“
    „Der alte Mann, in dessen Begleitung ihr hier zum Tempelplatz gekommen seid?“, vergewisserte sich Vatras und legte prüfend den Handrücken auf Adriens rot glühende Stirn. „Das war der alte Harold aus dem Hafenviertel, den kenne ich schon seit vielen Jahren als guten Zuhörer meiner Predigten. Ein Schwarzmagier ist er ganz gewiss nicht, da kann ich dich beruhigen.“
    Das warmherzige Schmunzeln verschwand wieder aus Vatras’ freundlichem Gesicht, als deutlich wurde, dass sich der Schrecken, der in Adrien saß, von diesen Worten kein Stück besänftigen ließ.
    „Natürlich“, keuchte der Eingeweihte. „Natürlich, das war nicht sein echter Körper – den hatte er auch nur kontrolliert – wie er mich kontrolliert hat! Sie zeigen sich nie, wenn es nicht ganz unvermeidlich ist...“
    „Von wem redest du da?“ Gaan erinnerte sich daran, was ihnen Adrien während ihrer Reise zur Hafenstadt erzählt hatte. „War das wieder einer dieser... Anfälle?“
    Der Eingeweihte schüttelte den Kopf. „Diesmal war es anders. Es war nicht nur Einbildung, jedenfalls nicht alles... Einer von ihnen muss damals überlebt haben, einer ist dem Orden entkommen... Einer ist hier auf der Insel, und er hat es auf mich abgesehen! Er – er war in meinem Kopf, er hat mit meinen Ängsten gespielt – mit meiner Furcht davor, dass Adarich von meiner Flucht erfahren könnte – er wollte mich in den Wahnsinn treiben, damit er leichtes Spiel mit mir hat, damit er in meinem weichgekochten Hirn wühlen kann wie – wie es ihm beliebt...“
    „Von wem redest du?“, wiederholte Gaan. „Wer ist auf der Insel? Einer dieser Schwarzmagier von damals?“
    „Es muss so sein“, stammelte Adrien mit weit aufgerissenen Augen. „Einer der Schwarzmagier von Xhan ist noch am Leben, und – und er ist hier! Er hat mich kontrolliert, und... er hat diesen alten Mann kontrolliert... wahrscheinlich, um in seinem Körper an mich heranzukommen... um mich unauffällig von euch wegzuführen, damit er in aller Ruhe alles aus mir rauskratzen kann...“
    „Nun mach mal halblang“, brummte Grimbald. „Du hast doch selber gesagt, dass diese Schwarzmagier längst tot sind. Bist du sicher, dass du dir das nicht alles nur zusammenreimst?“
    „Ich weiß, dass er in meinem Kopf war!“, gab Adrien energisch zurück. „Ich spüre es! Es... es ist nicht mehr alles da, wo es war... alles, was ich weiß... über Adarich... über den Wettbewerb... er wollte es aus mir rauskratzen...“
    „Warte mal“, dämmerte es Grimbald. „Willst du damit sagen, dieser Schwarzmagier hat unsere Informationen geklaut? Das soll ja wohl ein Witz sein! Wir schleppen dich über die halbe Insel und dann –“
    „Er hat es ja nicht geschafft“, schnitt ihm Adrien das Wort ab und schien sich wieder ein Stück weit gefangen zu haben. „Zum Glück seid Ihr ja gekommen, Meister Vatras.“
    Der Wassermagier nickte stumm. Für den Moment hielt er es offenbar für das Beste, den Mann einfach reden zu lassen.
    „Ich habe versprochen, euch von einem der Artefaktteile zu erzählen“, fuhr Adrien an die Jäger gerichtet fort, „und ich weiß noch immer alles, was mir Adarich darüber gesagt hat. Zumindest... glaube ich das. Aber ihr solltet es nicht suchen gehen... es ist nie eine gute Idee, das zu tun, was Adarich verlangt.“
    „Darüber werden wir später beraten“, entgegnete Gaan. „Wir haben unseren Teil der Vereinbarung eingehalten, also halte du bitte auch deinen ein.“
    „Nun gut“, seufzte Adrien, ließ sich wieder in die Kissen sinken und schien sich zum ersten Mal ein wenig zu entspannen. „Um ehrlich zu sein: Ich habe keine Ahnung, wo sich das Artefaktteil befindet.“
    „Wie bitte?“ Grimbald entgleisten die Gesichtszüge.
    „Ich kenne den Ort nicht“, fuhr Adrien unbeirrt fort, „aber ich weiß, wie ihr dorthin gelangen könnt. Der Weg führt durch Elms Labyrinth. Wo auch immer ihr am Ende des Labyrinths herauskommen werdet, dort wird das gesuchte Stück auf euch warten. Und einer der magischen Wächter natürlich. Vielleicht werdet ihr aber auch schon im Labyrinth auf ihn treffen, darüber weiß ich nichts Genaues.“
    „Labyrinth... magischer Wächter...?“, entfuhr es Alrik verdattert. „Was ist denn das für’n Wettbewerb hier?“
    „Ich habe mir schon gedacht, dass ihr nicht wisst, worauf ihr euch eingelassen habt. Adarich Evadam, der Veranstalter, er beschäftigt einen Magier namens Elm... der ist übrigens auch einer der Eingeweihten. Adarich hat einen der Stadttürme von der Miliz angemietet, damit Elm dort Quartier beziehen kann – manche Zauberer brauchen einfach ihre Türme, nehme ich an. Jedenfalls stellt Elm eine ganze Reihe magischer Utensilien für den Wettbewerb her. Etwa die Sprechhörner, mit denen wir Eingeweihten mit Adarich in Kontakt stehen: Wir sprechen hinein, und das Gesagte dringt auf magische Weise an sein Ohr. Oder die Spruchrollen, die Salvadore gerne im Kampf benutzt – einer der engsten Vertrauten Adarichs, er nennt ihn auch gerne seinen Lehrling, obwohl er das gar nicht gerne hat. Und schließlich, das Labyrinth. Ein magisches Labyrinth natürlich. Der Eingang liegt im verlassenen Turm des Dämonenbeschwörers südlich von hier. Wie genau es funktioniert und was euch dort erwartet, kann ich euch leider auch nicht sagen. Aber Elm hat eine Vorliebe für haarsträubende Rätsel, und ich schätze mal, es hat seinen Grund, warum ihn die Feuermagier damals verbannt haben. Geht nicht in das Labyrinth, hört ihr? Brecht a–“
    Adriens letztes Wort ging in einem gedehnten Schmerzenslaut unter, als er mit gequälter Miene die Augen schloss.
    „Das reicht für den Moment“, entschied Vatras, kramte einen Schlüssel aus seiner Robentasche hervor und drückte ihn Grimbald in die Hand. „Er braucht jetzt Ruhe und ein warmes Bett. Du weißt, wo ich wohne, oder? Am Marktplatz, gleich neben dem Tor. Alrik und du, bitte bringt Adrien dorthin und legt ihn in mein Bett. Ich schaue, ob es Harold gut geht, und komme dann nach.“
    Grimbald schaute ein bisschen verdutzt, aber als Adrien erneut aufstöhnte, da beeilte er sich, den gepeinigten Eingeweihten gemeinsam mit Alrik in die Höhe zu hieven und ihn aus dem Schrein zu bringen. Gaan hingegen hatte sofort begriffen, was wirklich hinter dem überraschenden Auftrag steckte: Vatras wollte noch einmal allein mit ihm sprechen.
    „Der Mann hat recht“, raunte der Wassermagier, kaum hatte sich Adrien mit Grimbalds und Alriks Hilfe außer Hörweite geschleppt. „Es ist zu gefährlich. Ich kann nicht von dir verlangen, dass du dein Leben für diese Sache aufs Spiel setzt.“
    „Ich habe schon häufiger mein Leben für den Ring aufs Spiel gesetzt“, entgegnete Gaan. „Und bislang war noch nichts an dieser Veranstaltung allzu gefährlich. Ein paar zerstörte Brücken, ein Schattenläufer... und der gehörte bestimmt noch nicht mal zum Wettbewerb dazu. Mit sowas komme ich schon zurecht.“
    „Unterschätze diesen Wettbewerb nicht. Lares war vorhin hier, er hat von deaktivierten Teleportern berichtet, und von leuchtenden Kugeln aus Gold. Nun noch ein Labyrinth, magische Wächter... irgendetwas Großes verbirgt sich hinter all diesem Aufwand. Und wenn es stimmt, dass ein Schwarzmagier von Xhan in den Wettbewerb verwickelt ist – auf welche Weise auch immer – dann ist die Gefahr größer als ich sie irgendeinem Mitglied des Ringes zumuten kann. Ich werde umgehend Pyrokar und Hagen davon berichten, sie waren damals beide bei der Stürmung der Zitadelle dabei. Und ich werde mir diesen Elm einmal genauer ansehen. Aber das sind Aufgaben für einen Magier, nicht für dich.“
    „Richtig“, sagte Gaan. „Meine Aufgabe ist es, am Wettbewerb teilzunehmen. Und das werde ich auch weiterhin tun, Vatras. Ich passe auf mich auf, keine Sorge.“
    Der alte Wassermagier legte die Hand auf Gaans Schulter und seufzte tief.
    „Ich habe befürchtet, dass du so entscheiden würdest. Möge auch Adanos auf dich aufpassen, mein Freund.“

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    Unbeholfen kam Sebastian wieder auf die Beine. Seine Knie waren noch weich wie der Eintopf, den er auf dem Hof des Großbauern gekostet hatte. Und doch strömte unbändige Erleichterung durch seinen Körper. Äste und Wurzeln waren erstarrt, die verbliebenen Irrlichter trieben nur noch träge durchs Unterholz. Der Riese von einem Mann, der ihn gerettet hatte, zog sein Schwert mit einem Ruck aus dem Baum. Sebastian erinnerte sich an den schweigsamen Mann, der sich bei Wettbewerbsbeginn im Hintergrund gehalten hatte.
    „Vielen Dank! Ohne dich wäre ich jetzt bestimmt…“
    „Sei still, du Narr!“, herrschte der Hüne ihn an. „Renn um dein Leben!“
    „Was…?“ Sebastian starrte seinen Retter verständnislos an. Dann nahm er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr, die ihm einen Schauer über den Rücken jagte.
    Plötzlich war der Hüne bei ihm und schlug den durch die Luft peitschenden Ast entzwei. Sebastians Kehle zog sich schmerzhaft zusammen. „Renn, verdammt!“, schrie der fremde Mann und dieses Mal gehorchte Sebastian. Die Todesangst, gerade erst abgeflaut, pulsierte erneut durch seinen Körper, um ein Vielfaches stärker noch als zuvor. Er wandte sich nicht noch einmal um, doch er hörte das Knacken der Äste, das Surren der rot aufleuchtenden Irrlichter und das Sirren des Breitschwerts des Hünen überdeutlich und unmissverständlich. Er rannte einfach durch die Bäume hindurch, sprang über Wurzeln, die sich nur knapp hinter ihm zu erheben schienen, duckte sich unter Äste hindurch, deren spitze Enden es auf nichts anderes als seine Augen abgesehen haben konnten. Der Hüne musste dicht hinter ihm sein, denn der Gesang seiner Klinge war nie weit entfernt. Ein hell strahlendes Irrlicht überholte Sebastian scheinbar mühelos, verdunkelte sich brummend zu einem Zornrot und stürzte sich auf ihn. Sebastian wollte sich zur Seite werfen, um dem Geschöpf zu entgehen, erkannte aber noch rechtzeitig die dicke Wurzel, die dort aus dem Boden hervorbrach. Haarscharf entkam er dem Angriff der Pflanze, doch das Irrlicht flog direkt durch seine Brust. Er stieß einen erstickten Schrei aus, so übermächtig war das Brennen, das das Irrlicht in seinem Körper hinterlassen hatte. Weitere Irrlichter überholten ihn. Er konnte ihnen nicht allen entgehen und ein ums andere Mal wurde er von dem Brennen geschüttelt, das ihre Liebkosungen in ihm auslösten. Von Mal zu Mal wurde es schwieriger auf den Beinen zu bleiben, doch dann wurde die unnatürliche Dunkelheit endlich lichter. Er hatte den Waldrand erreicht. Die Irrlichter blieben zurück, die Wurzeln zuckten, als sie von dem Licht der Sonne getroffen wurden.
    Sebastian rannte hinaus auf eine freie Wiese. Schafe sprangen panisch blökend vor ihm davon. Irgendwo rief ein Schäfer verzweifelt seine Schützlinge zur Ordnung. Sebastian stolperte nun doch noch über seine eigenen Füße, stürzte der Länge nach ins weiche Gras und verlor augenblicklich das Bewusstsein.

    Als er wieder zu sich kam, schreckte er auf. Das dämmrige Licht war ihm nicht geheuer, doch er erkannte schnell, dass es sich dieses Mal um die gewöhnliche Abenddämmerung handelte. Für einen Moment wähnte er sich allein auf der Wiese, weder Schafe noch Schäfer waren zu sehen, doch dann hörte er das Geräusch eines Schleifsteins, der über eine Klinge gezogen wurde. Als er seinen Kopf in die Richtung wandte, aus der das Geräusch kam, sah er seinen hünenhaften Ritter mit angewinkeltem Bein auf einem Stein sitzen. Langsam kam Sebastian auf die Beine. Dieses Mal fühlten sich seine Knie besser an. Während er zu dem Hünen hinüberging, warf er dem Wald einen unruhigen Blick zu. Aus dieser Entfernung deutete nichts auf das Grauen hin, das in ihm lauerte.
    Der Hüne schien zu versunken in seine Arbeit als dass er ihn bemerkt hatte, doch der Eindruck täuschte wohl. „Ich war fest davon ausgegangen, dass die schwarzmagische Rune alles ist, was den Geist in dieser Welt hält“, brummte er. „Mein Schwert hat die Rune gebrochen und ihn aus seinem angestammten Baum vertrieben. Doch der Geist dachte nicht daran, in seine Sphäre zurückzukehren. Nun kann er sich im ganzen Wald herumtreiben, von Baum zu Baum springen und jedem arglosen Teilnehmer dieses Wettbewerbs schon beim ersten Fehltritt das Genick brechen.“
    Sebastians Mund wurde trocken. Er war diesem Schicksal nur gar zu knapp entronnen.
    Der Hüne steckte den Schleifstein weg und hielt sein Schwert prüfend in das rote Licht der untergehenden Sonne. „Ihn hält mehr in dieser Welt als die menschliche Magie, die ihn hierher gerufen hat. Es dürstet ihn nach etwas, das ihm wohl genommen worden ist und das er als Samen bezeichnet. Ohne diesen Samen wird dieser Geist nicht zu besänftigen sein.“ Er schob sein Schwert zurück in die Scheide und stand auf. Sebastian wurde wieder bewusst, wie groß der Hüne tatsächlich war. „Noch einmal komme ich dir nicht zu Hilfe. Wenn du noch einen Schritt in diesen Wald tun möchtest, ohne zu sterben, dann nur mit diesem Samen. Kurz bevor ich dich erreicht habe, konnte ich hören, wie diese beiden Speichellecker von Evadam erwähnten, dass er im Minental versteckt ist.“
    „Das heißt, du begibst dich jetzt ins Minental?“, fragte Sebastian.
    „Ich bin nicht hier, um diesen Wettbewerb zu gewinnen, und mir fehlt die Zeit für die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Wenn du nach all dem noch weitermachen willst, kannst du dich ja darum kümmern.“ Und mit diesen Worten wandte er sich ab und schritt von dannen, dem Sonnenuntergang entgegen.
    Während Sebastian ihm so nachsah, stellte er zweierlei fest. Zum einen, dass dieser Hüne gar nicht so schweigsam war, wie er gedacht hatte. Und zum anderen, dass er sich tatsächlich nicht sicher war, ob er noch weiter am Wettbewerb teilnehmen wollte.


    Yves trat unter den nördlichen Torbogen der Hafenstadt und sog die Luft ein, dass sich seine Brust blähte. Die einmalige Mischung aus salziger Meeresbrise und stinkender Unterstadt, der lautstarke Trubel auf dem Marktplatz. Khorinis war die Stadt der Möglichkeiten und so verzwickt seine Lage im Moment auch sein mochte, er konnte einfach nicht anders als einen Moment innezuhalten und seine Lebensgeister erwachen zu spüren.
    „Yves, alter Haudegen, was machst du denn hier?“
    Jemand drosch ihm so beherzt auf die Schulter, dass er beinahe mit dem Gesicht voran auf dem Kopfsteinpflaster gelandet wäre, doch noch ehe er sich beschweren konnte, schlang dieser Jemand den anderen Arm um ihn und führte ihn bestimmt in das Gedränge zwischen den Marktständen, fort von den Torwachen.
    „Du, Joe? Dich hab ich ja eine Ewigkeit nicht mehr gesehen!“, erkannte er den abgehalfterten Langfinger missfällig. Joe zog ihn bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit in irgendwelche Sachen hinein, mal lohnens-, mal beklagenswert. Doch egal ob lohnenswert oder nicht, in diesem Moment hatte er ganz bestimmt keine Zeit für solch einen Firlefanz und musste ihn schnell wieder loswerden.
    „Du glaubst ja gar nicht, wie recht du hast, alter Kumpel“, antwortete Joe und senkte seine Stimme auf Flüsterlautstärke. „Du erinnerst dich doch noch daran, dass die Miliz mir mein Krautpaket abgeluchst hat und Cassia deswegen stinksauer auf mich war, oder?“
    „Hat die Alte dich zur Bestrafung als Lustsklaven gehalten, oder was kommt jetzt?“ Yves befreite sich aus Joes Arm, rückte jedoch gleich darauf wieder an ihn heran, seine Neugier verfluchend.
    „Schön wärs“, zischte Joe und konnte sich ein Grinsen nicht ganz verkneifen. „Ich hab herausgefunden in welchem Turm die Miliz die beschlagnahmten Gegenstände lagert, also bin ich nachts hin und hab das Schloss aufgebrochen. Aber noch während ich in dem ganzen Gerümpel nach meinem Kraut gesucht habe, kamen Wachen. Ich hab mich hinter einem Stapel varantinischer Vasen versteckt. Sie haben mich nicht gefunden, sind wieder gegangen und haben die Tür von außen wieder verschlossen. Zwei Monate war ich da drin eingesperrt, bis dieser merkwürdige Alte kam. Er gehört nicht zur Miliz, das war offensichtlich. Trotzdem hatte er einen Schlüssel. Er jedenfalls hat mich entdeckt. Ihn hat nicht interessiert, wer ich bin. Er hat nur gesagt, ich solle verschwinden, und das hab ich dann auch getan. Abgefahrene Geschichte, oder?“
    „Der Typ war bestimmt der Auser…“ Rasch täuschte Yves einen Hustenanfall vor. Joe sollte lieber nicht zu viel erfahren, sonst verdarb er nur alles.
    Joe warf ihm einen merkwürdigen Blick zu und Yves wurde klar, dass Joe nicht ganz so dumm war, wie er für gewöhnlich rüberkam. „Was wolltest du gerade…“
    „Wie hast du denn zwei Monate lang in diesem Turm überleben können? Du musst beinahe durchgedreht sein!“
    Joe sonnte sich in seinem Interesse und begann ausschweifend zu erzählen, wie er in dem beschlagnahmten Kram allerhand Essbares gefunden hatte, illegal eingeführte Gaganüsse, Sumpfkrautkekse, krumme Gurken und dergleichen. Und während Joe so daher redete und sie den Marktplatz in Richtung Coragons Taverne verließen, kam Yves ein hervorragender Gedanke.
    „Joe, du erinnerst dich doch bestimmt noch daran, dass du bei unserem letzten Kneipenabend ganz schön einen draufgemacht hast und ich am Ende für dich bezahlt, aber noch keine Gegenleistung von dir bekommen habe, oder?“
    Sofort setzte Joe einen wenig überzeugenden Gesichtsausdruck auf. „Oh, Yves, wer weiß das schon! Ist ja schon Monate her.“
    Yves warf einen prüfenden Blick über die Schulter, dann packte er Joe am Kragen und rammte ihn im Schatten eines üppigen Baumes gegen die nächstbeste Hauswand. „Du weißt genau, wovon ich rede!“, zischte er. „Die Sache ist ernst, Mann! Ich muss so schnell wie möglich ins Obere Viertel. Ins Haus des Richters, um genau zu sein.“ Denn dort versteckte sich der zweite Auserwählte der Stadt, wenn man Sagitta und ihrem Verhör mit dem Wächter trauen konnte. „Lass deine Kontakte spielen, okay? Dann bin ich bereit, ebenfalls besagte Schulden zu vergessen.“
    „Heyhey, mach mal nicht so ein Drama, alter Junge“, winkte Joe ab, wirkte aber überhaupt nicht mehr so erleichtert aus dem Turm entkommen zu sein wie noch vor wenigen Augenblicken. „Kein Problem, verlass dich auf den alten Joe. Wir haben nen Deal und sowas ist dem alten Joe heilig, weißt du doch!“
    Yves ließ ihn los und versicherte sich noch einmal, dass niemand ihnen Beachtung schenkte. „Schaffst du es bis Einbruch der Dunkelheit?“ Joe nickte vage. „Dann sehen wir uns dann in Coragons Taverne. Und wehe, du versetzt mich! Du weißt, dass mein Wort in manchen Ecken des Hafenviertels Gewicht hat.“

    Yves klopfte beherzt an die hölzerne Tür des Turms. Seine Aufregung hielt sich in Grenzen, schließlich war der Eingeweihte in der Taverne keine große Nummer gewesen, der hier konnte nicht viel schlimmer sein. Und da der Wächter Sagitta bereits verraten hatte, worauf es bei den Hinweisen der Eingeweihten in der Stadt ankam, war er sich ziemlich sicher, dieses Mal Erfolg zu haben, wo er bei dem Taverneneingeweihten gescheitert war, dessen Hinweis ihm bislang überhaupt nicht vorangebracht hatte.
    Die Tür des Turms öffnete sich einen Spalt, ohne ein Geräusch zu verursachen. Yves nahm dies einfach mal als Aufforderung einzutreten und trat die Tür noch ein gutes Stück weiter auf, bevor er über die Schwelle trat und sich in dem düsteren Raum umsah. Von dem Sammelsurium unlauterer Herkunft, das Joe ihm geschildert hatte, war nichts zu sehen. Zwei Dutzend Kerzen leuchteten in ausladenenden Ständern, die überall im Raum auf den Möbeln drapiert worden waren. Wuchtige Truhen und zum Bersten gefüllte Bücherregale standen an der runden Wand entlang. In der Mitte des Raums ein Tischschen, auf dem sich alchemistisches Gerät drängte wie die Menschen vorhin auf dem Marktplatz. Türkisfarbene Wölkchen pufften lautlos aus einem bauchigen Kolben.
    Über den Tisch stand ein in die Jahre gekommener Mann gebeugt, der seinem Besucher nur rasch einen Blick über die halbmondförmige Sehhilfe zuwarf, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Wölkchen richtete, die ihm offenbar irgendetwas sagten.
    „Bist du einer der Auserwählten?“, ließ Yves sich nicht lange ignorieren.
    „So ist es. Ich bin Elm, ehemaliges Mitglied der Sternenakademie zu Khoralt. Und ich bin überrascht, so schnell entdeckt worden zu sein. Der Wettbewerb entwickelt sich wahrlich anders als erwartet.“ Er ließ einen Deckel über den Kolben schnappen, sodass der Wölkchenstrom versiegte, und richtete sich gerade auf. Endlich musterte er Yves mit der gebührenden Neugier. „Was hat dich zu mir geführt? Der Hinweis auf dem Etikett des Wacholders in der Taverne, die ihr barbarisches Inselvolk tote Harpyie nennt, oder der nicht in Khorinis beheimatete Fliedersittich, der mich dreimal täglich aufsucht? Du musst mir verzeihen, dass ich diese Frage stelle. Einige Rätsel des Wettbewerbs habe ich selbst entwickelt und darum interessiert es mich einfach.“
    „Weder das eine noch das andere“, stellte Yves klar und versuchte größer zu wirken als er war. „Ich habe meine eigenen Wege, um Dinge in Erfahrung zu bringen.“
    „Wie darf ich denn das verstehen?“ Die Augen des greisen Mannes verengten sich plötzlich und Yves hatte das merkwürdige Gefühl, schon jetzt alles vermasselt zu haben. „Da gibt man sich die größte Mühe, ein paar unterhaltsame Rätsel zu entwerfen und dann wird all diese Arbeit mit Füße getreten? Raus mit der Sprache, wie hast du mich gefunden!“
    „Ich hab einfach gesehen, wie die Miliz ihren Krempel hier rausgetragen hat“, log Yves rasch. Der Zorn des Magiers hatte etwas ganz und gar furchteinflößendes. „Und da hab ich halt Eins und Eins zusammengezählt!“
    „Nun…“, grollte Elm und schob die Ärmel seiner sternenbestickten Robe höher. „Der Krempel der Miliz, wie du ihn nennst, hat diesen Turm aber nie verlassen. Er befindet sich in genau dieser Truhe dort.“ Er wies mit der Linken zwischen zwei Bücherregale. „Und in ihr ist noch genug Platz für einen ignoranten Banausen wie dich!“
    Yves machte auf dem Absatz kehrt und wollte zur Tür hinauswetzen, doch direkt vor seiner Nase schlug die Tür zu und er prallte hart dagegen.

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    „Wochenlang kein Treffen mehr mit den Banditen“, murmelte Cord. „Hätte ich den Magiern auch gleich sagen können, dass das auf Dauer nichts gibt …“
    „Hey, wir hatten uns eigentlich ganz gut miteinander arrangiert“, wandte Alligator Jack ein. „Das hat wirklich ganz gut geklappt, mit der gegenseitigen Duldung und so weiter. Also klar, es gab hier oder da mal ein paar Übergriffe und ab und an auch ’nen halben oder sogar ganzen Toten. Einmal sogar fast einen halbierten ganzen Toten, aber das waren genau genommen nicht die Banditen, sondern ein wild gewordener Alligator. Danach war der Alligator aber selber mehr halb als ganz. Das bringen Begegnungen mit Alligator Jack so mit sich.“
    Cord warf Alligator Jack einen skeptischen Seitenblick zu, aber der Pirat reagierte gar nicht darauf, sondern schaute stur geradeaus. Sie hatten beschlossen, gemeinsam den Rückweg nach Jharkendar anzutreten. Alligator Jack hatte dabei zwar vorgeschlagen, den Weg über das unterirdische System von Minenstollen zu wählen, welches die Piraten bei einem Ausflug in den Canyon zufällig entdeckt hatten. Cord aber hatte mit dem Argument dagegen votiert, dass sie über das magische Portal wesentlich schneller zu den Wassermagiern gelangen würden, und das hatte Alligator Jack dann auch so bestätigen müssen. Auf dem Weg zur Ausgrabungsstätte hatte Cord den Piraten mit den spärlichen Informationen über den Wettbewerb versorgt, die er parat hatte. Nun, als sie dem Tal, in dem sich die Ausgrabungsstätte befand, schon recht nah waren, war Alligator Jack an der Reihe, Cord über die Ereignisse in Jharkendar zu informieren.
    „Ein bisschen Clinch gibt es eben immer, wenn Piraten und Banditen quasi Tür an Tür leben, ist doch klar“, fuhr Alligator Jack fort. „Die Magier sind da wie so eine Art Pufferzone. Die kennen sich mit Gleichgewicht ja aus. Und der Ring des Wassers ja auch. Ich konnte mich jedenfalls nicht groß über die Regelung beschweren. Die Banditen machen ihren Kram, wir Piraten machen unseren Kram, und die kleineren Problemchen dabei werden regelmäßig besprochen. Kann ich mit leben und lief ja auch ganz gut.“
    „Bis jetzt“, wandte Cord ein. Sie zwängten sich gerade zwischen zwei Bergwänden vorbei und betraten den kiesigen Boden des Tals. Schon von Weitem war das riesige Loch im Boden zu sehen, dass sie zum magischen Portal führen würde.
    „Genau, bis jetzt“, bestätigte Alligator Jack. „Zu den Treffen sind die Banditen gar nicht mehr erschienen, gehandelt wird auch nicht mehr, und überhaupt bekommt man von den Jungs kaum noch einen zu sehen. Dann haben vor Kurzem diese Beben wieder angefangen, ab und zu sieht man schwarzen Rauch aus dem Sumpf kommen, als würden die da sonstwas oder sonstwen verbrennen … ich sage dir, wenn ich nicht ziemlich sicher wüsste, dass Raven tot ist … es ist mittlerweile wirklich fast genau wie unter seiner Führung damals. Nur … doch irgendwie anders. Es ist schwer zu erklären, mehr so ein Gefühl, weißt du? Das muss mein Jagdinstinkt sein, der da anschlägt.“
    Cord zuckte mit den Schultern. „Nein, weiß ich nicht“, verneinte er. „Aber ich kann es mir in etwa vorstellen. Und mit den Magiern habt ihr darüber noch nicht geredet? Ich meine, wenn du ohnehin engere Beziehungen zu ihnen pflegst …“
    Alligator Jack runzelte die Stirn und dachte einen Moment lang nach. Dann hellte sich seine Miene wieder auf. „Achso, jetzt verstehe ich erst, was du meinst, nein nein. Ein Alligator Jack schließt sich keinem Ring an, jedenfalls keinem, der nicht von Alligator Jack geführt wird und bei dem es nicht um die Jagd von Reptilien oder sonstigem Gezöge geht. Aber der Ring des Wassers und seine Erkennungssymbole, die sind mir natürlich geläufig. Sowas entgeht manchen anderen Leuten vielleicht. Mir aber nicht.“
    „Also habt ihr nicht mit den Wassermagiern gesprochen?“, hakte Cord nach.
    „Doch doch, schon“, antwortete Alligator Jack, während er den Erdhang zur Grube halb herunterging, halb herunterrutschte. „Aber sie haben uns nicht viel gesagt. Die wirkten ohnehin sehr beschäftigt, sind wohl an einer großen Sache dran. Aber das sind sie gefühlt ja immer. Ob ihre große Sache was mit den Beben zu tun hat, ja, dazu war aus ihnen keine klare Antwort herauszukriegen. Sie meinten aber, wenn sie Genaueres wüssten, dann würden sie uns schon darüber informieren, wenn sie es denn für nötig halten. Wer weiß, vielleicht haben sie in der Zwischenzeit ja sogar etwas herausgefunden.“
    „Kann gut sein“, murmelte Cord, blieb am Hang stehen und sagte deutlich lauter: „Und für euch beide ist es jetzt wirklich Zeit, zu gehen.“
    Dar und Buster machten einen durchaus ertappten, gleichwohl trotzigen Eindruck, als Cord sich zu ihnen umdrehte.
    „Ich habe gesagt, dass der Wettbewerb für euch vorbei ist und dass ihr euch beim Hauptmann zu melden habt“, wiederholte Cord. „Was ist daran so schwer zu verstehen?“
    „Nichts“, entgegnete Buster. „Aber das soll uns Lee ruhig mal selber sagen. Nichts gegen dich, Cord, aber wir sind Söldner. Die kennen normalerweise keinen Hauptmann. Und ein Ausbilder ist kein Vorgesetzter. Und wenn wir es für richtig halten, mal zu schauen, was in Jharkendar so läuft, dann hält uns nichts und niemand davon ab.“
    „Da wäre ich mir ja mal nicht so sicher“, kommentierte Cord, vermied es aber, direkt zu seinem Schwert zu greifen. „Im Übrigen seid ihr dann die längste Zeit Söldner gewesen. Jedenfalls Söldner von Lee.“
    „Das soll uns Lee dann auch mal ruhig selber sagen“, ätzte Buster weiter. „Ich glaube nämlich nicht, dass du uns einfach entlassen kannst, Cord. Und solange Lee halt noch nichts gesagt hat …“
    Der Kahlkopf lächelte gehässig. Dar neben ihm nickte nur, wirkte aber ansonsten gewohnt teilnahmslos und vollkommen neben sich stehend. Eigentlich, dachte Cord, wäre das wirklich die ideale Gelegenheit, die beiden aus Lees Söldnertruppe loszuwerden. Vielleicht sollte er sich wirklich noch einmal mit Lee darüber unterhalten, gerade dieser dauerbenebelte Dar war für die Moral ihrer Truppe -
    „Cord? Cord! Hilfe!“
    Der Ruf des Piraten hallte durch die unterirdischen Gänge und drang gerade so aus dem Erdloch heraus, um Cords Ohren zu erreichen. Ohne sich weiter um Dar und Buster zu kümmern, eilte der Söldner den Hang herunter und hetzte durch die kühlen Steingänge. Er nahm sich nicht die Zeit, eine der mitgebrachten Fackeln zu entzünden, den Weg fand er auch so, er war nicht das erste Mal hier. Aus dem Portalraum drang Licht, und als Cord ihn betrat, sah er Alligator Jack auch schon am Boden knien. Neben ihm lag ein blaues Gewand, darin ein Magier. Es war Myxir.
    „Ich weiß nicht, was mit ihm ist“, sagte Alligator Jack, als Cord sich zu ihnen kniete. „Er lag hier einfach herum. Und er redet wirr. Und seine Augen!“
    Cord sah sofort, was der Pirat meinte: Myxirs Augen zuckten und rollten, zeigten zuweilen nur Weiß, drifteten dann wieder in eine unbestimmte Richtung ab. Er hörte den Wassermagier murmeln, aber nur sehr leise, und er war sich nicht sicher, ob Myxir überhaupt bemerkt hatte, dass sie bei ihm waren.
    „Sie haben uns … angegriffen“, hauchte der aschfahle Mann in der meerblauen Robe.
    „Wer?“, fragte Cord hektisch nach. „Myxir, was ist mit dir? Was ist passiert?“
    „Schwarze … Magie. Die … Banditen …“
    „Ich hab’ es doch gewusst“, rief Alligator Jack aus. „Ich hab’ es doch gewusst! Verflucht noch eins, ich hatte es im Urin!“
    „Krass, was schiebt der denn für ’nen Trip?“, entfuhr es dem hinzugekommenen Dar. Buster neben ihm beugte sich ein wenig zu ihnen herüber.
    Cord winkte den Piraten hastig zur Ruhe und ignorierte seine Noch-Söldnerkollegen, denn Myxir schien noch mehr sagen zu wollen.
    „Die anderen Wassermagier … kämpfen, aber … schwarze Magie. Hilfe. HELFT MIR!“
    Myxir begann mit schreckensgeweiteten Augen zu würgen und zu zappeln, sein Mund öffnete und schloss sich in einem unregelmäßigen, ruckartigen Rhythmus, sein Leib schien sich wie von selbst auf dem kalten Steinboden hin und her zu schmeißen wollen. Cord stemmte sich so sachte wie möglich auf Myxirs Körper drauf, um den Magier festzuhalten und vor Verletzungen zu bewahren. Cord spürte den Schweiß auf seiner Stirn und eine Gänsehaut an seinem eigenen Leib. Er war Schwertkämpfer, kein Heiler oder Magier. Aber das musste er auch nicht sein, um zu verstehen, dass mit Myxir etwas ganz Grundlegendes nicht mehr in Ordnung war. Und im Blick von Alligator Jack neben ihm sah er genau diese Art von Ratlosigkeit, die er selbst gerade fühlte.

    Natürlich hatten sie ihm die Zutaten besorgt, und natürlich hatten sie ihm schließlich nach einigem Zögern auch die Hände freigegeben. Benno hatte sein Bestes getan, um seine Banditenkollegen zur Kooperation mit ihm zu überreden, durch Drohungen wie durch Versprechungen, und als Niklas ihnen dann noch vorgelogen hatte, dass diese Art von alchemistisch verursachtem Gewebeschwulst samt Schuppenflechte in gewissen Fällen durchaus auch ansteckend sein konnte, hatte sich gleich ein ganzer Tross der grobschlächtigen Männer aufgemacht, um im Wald „Blümchen pflücken zu gehen“, wie sie es verächtlich genannt hatten. Und nun lag auf einem eilig herbeigestellten Tisch draußen im Banditenlager eine bunte Mischung aus Kräutern und sonstigen Ingredienzien vor Niklas aus: Geriebener Blauflieder, pürierte Waldbeeren, eine Handvoll gebürsteter Dunkelpilze, zwei Blutfliegenstacheln, abgeschabte Moleratklauen und, tatsächlich, auch eine Drachenwurzel. Statt geriebenen Blauflieders hätte es zwar Kronstöckl sein sollen, und statt der Waldbeeren hatte Niklas eigentlich nach Goblinbeeren verlangt, aber gewisse Verwerfungen bei der Zutatenwahl hatte er ohnehin einkalkuliert, wenn er eine Mannschaft Banditen, die normalerweise allerhöchstens Sumpfkraut zweifelsfrei erkannten, alleine in den Wald schickte. Ihn hatten sie ja nicht mitgehen lassen, und Niklas hatte in diesem Punkt kleinbei gegeben, um die Mitwirkungsbereitschaft der Banditen nicht doch noch zu überreizen. Ein bisschen mulmig war ihm dabei zwar schon, mit diesen Zutaten nun ein Unsichtbarkeitsöl für sich herstellen zu müssen, noch dazu in einem ausrangierten Kochtopf, aber da er im Improvisieren geübt war, wollte er sich daran versuchen. Eine andere Chance hatte er nicht. Die Banditen schauten gespannt zu, wie er eine Zutat nach der andere in den mittlerweile nun auf kleiner Flamme köchelnden Sud hinzufügte. Sie waren so abgelenkt, dass Niklas in Erwägung zog, einfach wegzurennen, aber das würde vielleicht nicht klappen. Er wollte, er musste auf Nummer Sicher gehen. Selbst, wenn Nummer Sicher in diesem Fall hieß, mit nur unzureichendem alchemistischen Gerät agieren zu müssen.
    „Ist es endlich fertig?“, jaulte Benno nun schon zum zweiten Mal auf. „Es tut so weh!“
    „Mach’n Kopp zu, du Heulsuse, und bleib ja von mir fern“, motzte einer seiner Banditenkollegen. „Du bringst den Jungen nur aus dem Konzept, und dann haben wir wegen dir hinterher alle diese scheiß Schuppenflechte.“
    „Es ist gleich fertig“, beruhigte Niklas den ebenso wie seinen Trank siedenden Konflikt etwas. Er war sich bei dieser Angabe zwar selbst nicht so sicher und hoffte, dass die Bitterstoffe des geriebenen Blauflieders die Wirkung des Öls auch dann nicht zu sehr hemmen würden, wenn er den Sud nur kurz aufkochte. Er blieb optimistisch.
    „Ich muss den Sud kurz auf der Haut testen, um sicherzugehen, dass er nicht mit dem Salbeidrohnenelixier reagiert und alles nur noch schlimmer macht.“
    Benno riss die Augen auf. „Was? Nein! Oh nein! An mir wird gar nichts mehr getestet! Erst, wenn sicher ist, dass …“
    „An dir will ich das ja auch nicht testen“, wandte Niklas ein, während er mit dem Löffel ein bereitgestelltes Fläschchen befüllte. „Ich teste das an mir selbst. Dann kannst du dir auch sicher sein, dass ich dich nicht vergiften will oder sowas.“
    Er schwenkte die Flasche ein wenig, gab der Flüssigkeit noch Zeit, um wenigstens etwas abzukühlen und ein bisschen einzudicken. Dann, als er nicht länger warten wollte, hob er das Gefäß über seinen Kopf und ließ den Inhalt von oben über seinen ganzen Körper tröpfeln. Das Öl verteilte sich erwartungsgemäß wie von selbst über seine Haut und seine Kleidung, aber es war doch noch heißer als gedacht. Zu heiß. Und es schien immer heißer zu werden. Einer der Banditen schrie kurz auf, Niklas sah nervös an sich herunter. Er war nicht unsichtbar. Er war … orange. Und irgendwie lodernd.
    „Ach du Scheiße!“, rief jetzt ein anderer Bandit. „Der Kerl ist ja … wie dieser brennende Mann … Geist … dieses Etwas, das Kolja und ich im Stollen gesehen haben! Der flemmt uns hier gleich alles weg! Rennt! Rennt weg! Weg hier!“

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    „Ich danke Euch, Fernando“, sagte Lord Hagen noch einmal. Er ließ die faltige Hand des Händlers noch immer nicht los – das aber nicht des Dankes, sondern des Nachdrucks wegen. „Ihr habt der Stadt, wahrscheinlich sogar der ganzen Insel, einen großen Dienst erwiesen.“
    Fernando zog seine Hand von selbst weg und machte eine kaum sichtbare abwehrende Geste.
    „Ich kann nicht für die anderen Händler sprechen“, sagte er. „Ich kann lediglich meinen Einfluss geltend machen. Sollten Euch die anderen Händler dennoch ob Eurer Entscheidung grollen, dann weil ich nicht mehr tun konnte, als zu versuchen, sie zu überzeugen. Das ist keine formale Abstimmung, mein Lord. Es ist ein … Stimmungsbild.“
    Lord Hagen rieb sich die Stirn. „Es ist mehr als ein Stimmungsbild, und das wisst Ihr ganz genau. Die Händler des Oberen Viertels haben Macht. Wir als Stadt sind auf ihre Steuern angewiesen. Auf Eure Steuern, Fernando. Ich zähle auf Euch und Euren Einfluss, dass uns diese Entscheidung den Stadtsäckel nicht zu sehr verschlankt …“
    Fernando blickte ihn ernst an. „Das klingt so, als ob es Euch nur noch darum ginge, die Auswirkungen Eurer Entscheidung zu begrenzen. Ihr habt längst entschieden, oder?“
    Lord Hagen blickte ebenso ernst zurück. Der alte Händler Fernando, der wohl einflussreichste Händler im Oberen Viertel, war schon immer etwas rätselhaft, enigmatisch, verschattet gewesen – was sicherlich auch daran gelegen hatte, dass die städtischen Ordnungshüter nicht immer so genau auf seine Geschäfte geschaut hatten, wie sie es hätten tun können und müssen. In den vergangenen Tagen hatte sich diese gewisse Verhülltheit in Fernandos Auftreten und seinen Motiven aber nur noch mehr verdichtet. Indes: Lord Hagen hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass der Händler geradeheraus die Wahrheit sagte und keine Hintergedanken hegte – zumindest keine, die seine vordergründigen Einlassungen direkt wieder konterkarierten.
    Fernando zog nun, da Lord Hagen weiter schwieg, eine verschämte Grimasse. „Ich verstehe. Ich will mich dazu nicht weiter im Detail äußern. Nur eines: Ihr habt mehr Macht, als Ihr glaubt, Lord Hagen. Ihr müsst sie nur nutzen.“
    Lord Hagen fühlte sich ertappt. Ertappt dabei, eine Entscheidung getroffen zu haben, die er schon viel eher hätte treffen sollen. Ertappt dabei, dass er sich bei seinen Entscheidungen von Kreisen abhängig machte, die eigentlich gar nicht mitzureden hatten.
    „Ich nehme das zur Kenntnis. Habt noch einmal Dank, Fernando. Ich denke, ich möchte Euch nun nicht weiter aufhalten. Ihr hattet angedeutet, Ihr habt noch zu tun … ?“
    Fernando nickte und deutete eine Verbeugung lediglich an. „So ist es. Ich danke Euch, Lord Hagen, dass ich so kurzfristig einen Termin bei Euch bekommen konnte. Ich hoffe, dass das Treiben auf unserer Insel bald wieder in diejenigen ruhigen Bahnen gerät, die uns beiden gut tun. Wiedersehen.“
    „Wiedersehen“, entgegnete Lord Hagen und beobachtete eher teilnahmslos, wie Fernando aus der Stube heraustrat, einen Gehstock an seiner Seite, den er offenbar weniger zum Stützen als zur Zierde mit sich führte.
    Als Fernando fort war und auch seine Schritte nicht mehr zu hören waren, kam Lord André aus dem Nebenraum herbei. Lord Hagen sah ihm in die Augen, um zu erahnen, was er von der ganzen Sache hielt.
    „Habt Ihr mitgehört?“
    „Ja.“
    „Und?“
    „Ich erwarte Eure Befehle.“
    Lord Hagen schmunzelte, aber aus versteckter Bitterkeit. Wenn man in einer Position war, wo andere nur noch Befehle von einem empfingen und niemand mehr widersprach, dann war es nur eine Frage der Zeit, bis man sich irgendwann einmal schwer irrte.
    „Fernando wird die Händler hoffentlich zum Einlenken bewegen. Leitet bitte schon einmal die Maßnahmen ein, wie wir sie vorab besprochen haben. Macht die Teilnehmer ausfindig und teilt ihnen mit, dass dieser Wettbewerb bald sein vorzeitiges Ende finden wird. Findet diese sogenannten Auserwählten, Eingeweihten oder wie auch immer, und erteilt ihnen das Verbot, weiter am Wettbewerb mitzuwirken. Wendet Zwang an, wo dies notwendig erscheint. Setzt alle Organisatoren dieses Wettbewerbs fest. Und vor allem: Bereitet die Verhaftung von Lord Adarich Evadam vor.“
    Als Lord Hagen geendet hatte, wurde ihm wieder klar, was er Lord André und der Miliz da möglicherweise zumutete. Insbesondere der engere Kreis rund um Lord Evadam würde sich nicht so einfach in die Suppe spucken lassen. Mit Widerstand war zu rechnen. Sehr wahrscheinlich auch mit handgreiflichem Widerstand.
    „Ich werde alles Notwendige in die Wege leiten“, sagte Lord André knapp. „Sonst noch was?“
    Lord Hagen hatte Mühe, sich gegen seine aufkommende Erleichterung zu erwehren. André hatte alles im Griff. Er tat, wie ihm geheißen. Vermutlich wusste er schon genau, wie er das alles anstellen würde, wen er wohin schicken würde, wie er ihre Informationen am besten auswertete, wenn er das nicht längst getan hatte. Es war ein effizientes Handeln, das den Chef der Miliz auszeichnete, zuweilen aber auch ein erschreckend technokratisches. Hagen erkannte sich selbst darin wieder. Bei allem Unbehagen: Vielleicht war gerade das genau die Eigenschaft, die Khorinis vor einem großen Unglück bewahren konnte. Es war nicht nur der Wettbewerb, der ihre Insel bedrohte, das war Hagen nicht erst seit dem Gespräch mit Vatras klar geworden – auch wenn dieser verfluchte Wettbewerb unter Ausrichtung von Evadam irgendwie mit den beunruhigenden schwarzmagischen Vorkommnissen zusammenhing. Der Wettbewerb, Evadam, die Schwarzmagier von Xhan, die Geschehnisse im Kloster, Vatras und dieser Adrien, neue Erdbeben … an irgendeinem Punkt in der Ferne musste und würde alles ineinandergreifen, nur konnte er diesen Punkt noch nicht sehen …
    „Hagen?“
    Lord Hagen nahm Haltung an, bemühte sich, nicht allzu aufgeschreckt zu wirken.
    „Ja. Ich meine: Nein. Das ist alles, André. Vielen Dank im Voraus für Eure Mühen. Ich habe lange genug mit Euch zusammengearbeitet, um zu wissen, dass diese Aufgabe in besten Händen liegt.“
    „Ich werde Euch nicht enttäuschen“, sagte Lord André, und wie er es sagte und mit welchem Ausdruck in seinem Gesicht, klang es nicht wie eine Prognose in die Zukunft, sondern wie etwas, das längst feststand.

    Als Niklas feststellte, dass die wundersame Wirkung seines irgendwie missglückten Zauberöls schon wieder nachgelassen hatte und er für jedermann erkennbar ungefährlich in weißer Robe dastand, wurde er erst richtig nervös. Und obwohl ihm jetzt wenigstens nicht mehr so heiß war, fing er nun das Schwitzen an. Glücklicherweise hatte er sich bereits ein wenig von den Hütten des Banditenlagers entfernt. Im Augenblick war niemand in der Nähe. Er war sich allerdings sicher, dass diese Ruhe nicht lange währen und sich die Banditen vom allgemeinen Chaos wieder erholen würden – spätestens, wenn ihr Anführer Wind davon bekam, was seine Bandenmitglieder alles getrieben hatten und was in den letzten Minuten passiert war. Jedenfalls diese schwülstige Schuppenflechte war äußerst erklärungsbedürftig, und dann würde man die Verfolgung auf ihn, Niklas, auch schon wieder aufnehmen.
    Niklas bewegte sich weiter von den Hütten und dem in seinem Rücken dräuenden Turm weg. Er wandelte auf einem schmalen, grasbewachsenen Pfad, eine Gebirgswand zu seiner rechten entlang, zu seiner linken steile Klippen, die den Blick ins bewaldete Tal zuließen. Niklas wagte es nicht einmal, sich nach etwaigen Verfolgern umzudrehen, denn das hätte ihn nur noch nervöser gemacht und ihn seiner kostbaren Konzentration beraubt. Er blickte daher stur nach vorne und konnte so schon von weitem sehen, dass in die Bergwand, auf die der Graspfad einige Meter weiter stieß, ein Stollen gehauen worden war. Niklas erinnerte sich schwach daran, mal gelernt zu haben, dass man auf Khorinis auch außerhalb des Minentals Bergbau betrieben, diesen aber schnell verzweifelt wieder aufgegeben hatte. Mehr noch erinnerte sich Niklas nun aber wieder an die letzten paar Sätze, die ein paar der Banditen furchtsam vor sich hingebrüllt hatten, als sich an Niklas’ Robe das alchemistische Feuer entzündet hatte: Dieses Etwas, was sie im Stollen gesehen hatten. Niklas’ Gefahrensinne überschlugen sich nun fast. Er konnte wohl kaum zurück ins Lager der Banditen, doch was vor ihm lag, musste jeden vernünftigen Menschen ebenso abschrecken. Wenn denn das stimmte, was die Banditen da gebrabbelt hatten. Aber irgendetwas in Niklas bedeutete ihm, dass an der Sache etwas dran war. Da resonierte etwas in ihm, wenn er darüber nachdachte. Ein brennender Mann, ein brennender Geist …
    Niklas wurde aus seinen Gedanken wieder ins Irdische und Fleischliche gerissen, denn er war auf einen unebenen Felsblocken getreten, der ihn beinahe umknicken ließ. Mit einiger Kraft riss er sein Gewicht noch um und bewahrte sich davor, den Abflug links runter ins Tal zu machen. Der Felsbrocken hingegen rollte die Klippen hinunter – es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sein widerhallendes Klackern verstummte. Nein, da wollte Niklas ganz sicher nicht hin.
    Jetzt, wo er gerade stand, wagte er doch noch einen Blick über seine Schulter. Er konnte nicht erkennen, dass ihm jemand nachjagte. Das beruhigte ihn nicht sonderlich – tatsächlich trieb es ihn eher zur Eile an. Denn vielleicht hatte er jetzt doch noch eine Chance, zu entkommen. Und sei es durch diesen Stollen. Viel anderes blieb ihm auch nicht übrig, wie er merkte, je näher er der aufgebrochenen Bergwand kam. Der gräserne Pfad endete nämlich an diesem Vorsprung; der einzige Weg, der von ihm wegführte, war der Weg, von dem Niklas gerade erst gekommen war.
    Niklas seufzte und wischte sich eine Schweißperle von der Stirn. Er hatte einfach zu viel Angst, wieder umzukehren. Nicht, wenn er nichts gegen die Banditen in der Hand hatte.
    Niklas schreckte erneut auf, als er glaubte, Rufe von den Banditenhütten zu vernehmen. Wenn er noch länger hier stehen blieb, dann ging er wahrscheinlich bald nirgendwo mehr hin. Niklas fasste sich ein zitterndes Herz und schritt auf den Stolleneingang zu. Ein letzter Blick über die Schulter hin zum Turm des Banditenlagers, auf dessen Spitze er eine Silhouette zu erkennen glaubte – und dann war Niklas auch schon in den künstlich aufgeschlagenen Gebirgsschlund eingetreten.
    Niklas hatte einen etwas großzügigeren Eingangsbereich erwartet. Stattdessen bot der Stollen vom ersten Schritt an nur Enge. Die ersten paar Meter reichte noch das Licht von draußen, um den groben Fels und die stämmigen Holzbalken an Wänden und Decke zu erhellen. Danach aber folgten Dunkelheit und eine düstere Ruhe, in der Niklas’ Schritte mehrfach widerhallten. Hätte er nicht in der Ferne des gerade in die Tiefe verlaufenden Stollens einen Lichtpunkt gesehen, er wäre nicht weitergegangen. Im Grunde wäre er auch bei voller Beleuchtung nicht wirklich gerne weitergegangen, doch von hinten schob die Gefahr durch die Banditen, und von vorne zog ihn die Neugier, die schließlich doch einen Tick größer als die Angst vorm Ungewissen war. Mochten die Banditen doch schreiend weggelaufen sein, weil er orange angelaufen war. Wenn sie so etwas schon beeindruckte, dann waren sie hinsichtlich magischer Phänomene kein Maßstab. Vielleicht, so redete sich Niklas ein, lauerte hier unten keine Gefahr, sondern schlicht eine großartige Entdeckung. Wenn etwas an der Sache dran war, an einem brennenden Geist, einem brennenden Mann, dann konnte es sich lohnen, dem auf den Grund zu gehen.
    Niklas war dem Licht in der Ferne nun in Schrittweite nahe gekommen und erkannte, dass das Licht von einer brennenden Fackel kam, die an einer Halterung an der Wand angebracht worden war. Als er sie erreichte, wollte er sie zuerst mitnehmen, doch dann erkannte er, dass hinter der Biegung, die der Gang nun doch machte, noch mehr von ihnen an den Wänden hingen, ebenfalls entzündet. Licht war hier jedenfalls mehr als genug. Ob das hieß, dass erst kürzlich jemand hier gewesen war oder möglicherweise noch im Stollen verweilte? Die Fackeln würden sich ja schließlich nicht spontan von selbst entzündet haben, mochte die richtige Mischung alchemistischer Zutaten derartige Effekte auch ermöglichen, wenn man es denn richtig anstellte. Niklas jedenfalls wurde es mulmig und er nahm eine der Fackeln aus der Halterung heraus. Mit etwas in der Hand fühlte er sich dann doch sicherer.
    Am Ende des Fackelgangs zweigten gleich drei Pfade ab. Einer ging etwas hinauf, Niklas konnte aber schon erahnen, dass der Zweigstollen früh in einer Sackgasse endete. Ein weiterer Pfad knickte vom Ausgangsstollen etwas ab, führte aber mehr oder minder geradeaus weiter. Zur rechten schließlich ging ein Gang weiter nach unten. Er wand und schlängelte sich ein wenig, wie eine Art grob gehauene Wendeltreppe, die so gar nicht zu den Bedürfnissen des Bergbaus zu passen schien. Niklas fand das so faszinierend, dass er diesen Weg als erstes zu nehmen gedachte. An den Wänden dieses Pfades waren zwar keine Fackeln mehr angebracht, aber Niklas hatte ja schon für seine eigene Beleuchtung gesorgt. Die Angst, die ihm beim Hinabschreiten im Nacken saß, versuchte er einfach zu ignorieren.
    Es dauerte nicht lange, da öffnete sich der verschlungene Pfad zu einer Höhle hin, die sich ganz offensichtlich vor langer, langer Zeit auf natürlichem Wege gebildet hatte. Mit ihren Nischen, Ecken und Zweighöhlen, den Verwinkelungen und der niedrigen Decke erweckte sie eher den Eindruck eines Tierbaus. Niklas ging aus Vorsicht etwas geduckt, und das war sein Glück, denn schon nach wenigen Metern ließ ihn eine Entdeckung in die Höhe schnellen. Sein Haupt streifte die trockene Höhlendecke, als er sich in einer Nische zu seiner Linken in Sicherheit brachte. Er hatte eine lodernde Gestalt gesehen, ein helles Orange, das noch jetzt vor seinen Augen umhertanzte. Noch bevor er entscheiden konnte, ob und wie weit er seinen Eindrücken trauen konnte, wurden ihm die aufkeimenden Zweifel direkt wieder genommen. Halb schwebend, halb schleichend bewegte sich die brennende Gestalt in die Mitte der Höhle. Ein brennender Mann, ein Geist. Niklas stockte der Atem. Hatte der Veranstalter nicht von magischen Wächtern gesprochen?
    Und dann war da eine Hand auf seiner Schulter.

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    Sapere aude  Avatar von Jünger des Xardas
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    Jünger des Xardas ist offline
    Martin musste einen Moment innehalten, als er die Tür des Richterhauses endlich vor sich hatte. Vorgebeugt, die Hände auf die Knie gestützt, keuchte und schnaufte er, dann hielt er sich die schmerzende Seite. Er war einfach nicht gemacht für so eine Eile. Aber er musste doch all die Zeit wieder gutmachen, die er verloren hatte! Wer wusste schon, wie weit die anderen Teilnehmer mittlerweile waren?
    Während er so keuchend dastand, gingen ihm noch einmal die vergangenen Stunden durch den Kopf. Sofort hatte er wieder das Bild Ilyas‘ vor Augen. Inmitten des Klosterhofes hatte er gekniet und mit Kreide seine Figuren aufgezeichnet. Ein großes Pentagramm mit lauter Symbolen in den Zwischenräumen und an den fünf Spitzen. Immer abwechselnd hatte er nachdenklich seine Zeichnungen betrachtet und dann wieder durch ein Fernglas in den klaren Nachthimmel emporgeschaut. In der Linken hatte er dabei ein filigranes silbernes Gerät gehalten, das an einen Zirkel erinnerte und das er aus einer dicken Reisetasche gekramt hatte. Wieder und wieder hatte er zwischen seinen Blicken in den Sternhimmel damit Messungen entlang des Pentagramms durchgeführt, dann und wann versonnen mit dem Daumen eine Lücke in eine der Linien wischend oder auch ein neues Symbol dazuzeichnend. Und ringsum, ringsum hatte sich wohl das ganze Kloster versammelt gehabt, sodass nun ein Kreis stummer roter Gestalten gebannt zugeschaut hatte.
    „Nein, verzeiht, aber wie ich mir dachte: Dieser Schwarzmagier hat seine Spur zu gut verwischt. Ich kann ihn nicht aufspüren.“
    Bei diesen Worten hatte Pyrokar hilflos die Hände geballt. „Vielleicht gibt es einen anderen Weg... Der... Nein, aber vielleicht könnte man...“, hatte er gestammelt.
    Einer der anderen Hochmagier hatte sich da zu Wort gemeldet. Ein hagerer Kerl mit weißem Haar und listigem Gesicht, aus dem verschlagene Augen herausblitzten. „Wir können vielleicht den Magier von Xhan nicht verfolgen. Aber wir können diesem Wettbewerb auf die Schliche kommen, an dem er teilnimmt. Die übrigen dieser Eingeweihten, was ist mit ihnen?“
    Ilyas hatte sich bei dieser Frage über die Lippen geleckt. „Ohne ihre Namen zu kennen oder einen Besitz von ihnen zu haben? Schwierig. Aber sie hatten Kontakt mit diesem Novizen, nicht wahr? Das wird gehen.“ Und er hatte den noch immer verwirrten Eingeweihten – oder vielmehr den nun ganz und gar nicht mehr Eingeweihten – herbeigewinkt, sich noch einmal dessen Namen nennen lassen und sich wieder dem bestirnten Himmel zugewandt. „Wissen wir noch irgendetwas über diese Eingeweihten?“, hatte er gefragt.
    „Äh, also ich weiß, wo sie etwa sind“, hatte Martin sich da eingemischt und mit Ilyas sein Wissen geteilt. „Was macht er denn da eigentlich?“, hatte er dann gefragt, ohne sich dabei an jemand Bestimmten zu wenden.
    Meister Ulthar jedoch hatte sich seiner erbarmt und geantwortet. Viel hatte er mit der Antwort jedoch nicht anfangen können: „Astromantie.“
    „Hä?“
    „Jeder Mensch, jedes Ereignis, jedes Ding hinterlässt magische Spuren im arkanen Nexus. In der Sternenakademie zu Khoralt studiert man die Wechselwirkung zwischen den stellaren Bewegungen und dem arkanen Nexus. Wer diese kennt, kann manches aus den Sternen lesen.“
    „Hä?“
    „Der in der Taverne scheint sich noch immer dort aufzuhalten“, hatte Ilyas da aufgemerkt. „Und der Veranstalter ist noch immer auf Onars Hof. Aber bei der Pyramide ist niemand. Nur der Hauch einer Spur, halb verwischt. Die Sterne weisen nach Khorinis. Ich glaube, dieser Eingeweihte ist zur Stadt gegangen. Aber ohne mehr über ihn zu wissen, kann ich ihn dort nicht genau lokalisieren. Die anderen beiden Eingeweihten in der Stadt aber... Das Sternbild des Turmes spricht zu mir, wenn ich nach dem einen frage. Und der Planet Adanos steht gerade im Turm. Ich würde in einem der Türme der Mauer suchen, beim Hafen... oder nein, vielleicht eher beim Adanostempel. Und der andere... Der dritte Aspekt Innos‘... das Gericht... Vielleicht beim Galgenplatz? Oder beim Richter? Aber dieser letzte Eingeweihte... Mit so kryptischen Informationen ist es kaum möglich, ihn zu finden. Ich kann seinen Aufenthaltsort höchstens auf den Osten der Insel eingrenzen.“
    „Das sind bereits hilfreiche Informationen“, hatte der weißhaarige Hochmagier geurteilt. „Wir sollten sie mit Hagen teilen. Soll er nach diesen Eingeweihten aussenden.“
    Pyrokar hatte sich einen Augenblick besonnen. Dann hatte er Ilyas zugerufen: „Evadam! Sucht auch nach Evadam!“
    „Meister Pyrokar...“ Ulthar hatte dem Abt beschwichtigend eine Hand auf die Schulter gelegt. „Wir hatten dies doch schon geklärt. Der Name wird nicht mehr sein als eine Finte des Feindes.“
    „Vielleicht“, hatte Pyrokar mit zusammengebissenen Zähnen eingeräumt, „aber ich will sichergehen. Wenn auch nur eine kleine Chance besteht...“
    Es hatte Ilyas nur wenige Blicke in den Himmel gekostet, bevor er erklären konnte: „Es gibt nur einen Evadam auf dieser Insel. Auf Onars Hof. Der Veranstalter dieses Wettbewerbs.“
    „Sucht weiter“, hatte Pyrokar gezischt und sich auch nicht von Ulthar beschwichtigen lassen, der ihm etwas zugemurmelt hatte.
    Ilyas hatte getan, wie ihm geheißen, und selbst Martin als Laie hatte sehen können, dass er seine Kunst nun noch intensiver trieb. Er hatte ein zweites, kleineres Pentagramm in die Mitte des ersten gezeichnet, dazu weitere Schriftzeichen. Minuten waren vergangen. Gerade als Ulthar sich noch einmal an Pyrokar gewandt hatte, hatte Ilyas den Kopf gehoben. „Es gibt noch einen Evadam auf Khorinis.“ Stille. „Es ist seltsam. Die Spur ist schwach, sehr schwach. Und es ist, als wäre es nur halb die eines Menschen und halb die eines Tieres. Dieser Evadam bewegt sich nach Süden. Weit nach Süden. Ins Tal der Minen.“
    Martin erinnerte sich noch lebhaft, was für ein Tumult im Kloster losgebrochen war, wie die Novizen verwirrt miteinander getuschelt und Fragen gestellt hatten, während die Magier wild durcheinander und vor allem alle auf Pyrokar eingeredet hatten. Warum genau der Name Evadam nun solch eine Rolle für sie spielte, das hatte er nicht verstanden. Wie er überhaupt von der hitzigen Debatte, die nun ausgebrochen war, nicht mehr viel mitbekommen hatte. Umso aufmerksamer hatte er dafür dem zugehört, was Ilyas zuvor über die Eingeweihten gesagt hatte. Da der im Kloster aus dem Spiel war, er die in der Taverne und auf Onars Hof schon kannte und von dem übrigen Eingeweihten Innos allein wusste, wo er sich aufhielt, stand für ihn fest: Er musste in die Stadt. Gleich drei Eingeweihte sollten sich dort aufhalten! Zwar hatte er sich nach zweien schon einmal dumm und dämlich gesucht, aber was sonst sollte er tun? Und immerhin wusste er nun, wo genau sie sich aufhielten! Und falls das Glück ihm doch noch hold war, wusste es sonst noch niemand.
    Er hatte das Chaos im Kloster genutzt, um sich davonzustehlen, und war mit Tony nach Khorinis geritten. Niemand hatte sein Pferd bewacht. Zwar hatte er ein leicht schlechtes Gewissen Ilyas gegenüber, aber er hätte niemals Tony zurücklassen können. Und letzten Endes gehörte der Gaul ja ihm. Dass er ihn verkauft hatte, das zählte nach seinem Befinden nicht, immerhin war das nicht wirklich er gewesen!
    Martin hatte verschnauft und sein Puls hatte sich endlich halbwegs beruhigt. Er klopfte nun an der Tür des Richters. Auf dem Galgenplatz war noch Freibier ausgeschenkt worden, aber einen Eingeweihten hatte er dort nicht entdeckt. Es musste kurz nach Mitternacht gewesen sein, als er in Khorinis eingeritten war. Er hoffte also, dass Ilyas sich nicht geirrt hatte und er im Haus des Richters fündig werden würde. Ja, er rieb sich sogar erwartungsvoll die Hände bei dem Gedanken, dass er bestimmt der erste hier war. Selbst wenn einer der anderen herausgefunden hatte, wo er suchen musste, von diesem Gesindel würde man doch bestimmt niemanden hierher lassen. Na ja, der Weißmagier würde sich vielleicht hineinschleichen können. Aber nicht der Rest der Teilnehmer. Die Wachen hatten zwar etwas die Nase gerümpft, als er das Obere Viertel betreten hatte, aber er war Bürger von Khorinis, da hatten sie nichts sagen können! Hierher getraut hatte er sich trotzdem nie zuvor und auch jetzt war ihm leicht unwohl in dieser piekfeinen Gegend. Aber es galt, die vertane Zeit wieder aufzuholen!
    „Der Herr Richter empfängt um diese Zeit niemanden mehr“, teilte ihm ein Diener mit, der die Tür geöffnet und nur einen flüchtigen Blick auf seinen runden Leib geworfen und dabei die Nase gerümpft hatte. Eine Öllampe in seiner Hand verbreitete spärliches Licht.
    „Ich will auch nicht zum Richter, sondern zum Eingeweihten!“
    „Es tut mir leid, dies ist das Haus des Richters“, näselte der Diener und wollte die Tür schon schließen, als hinter ihm eine Stimme erklang.
    „Schon gut, der Herr möchte mit mir sprechen.“ Ein älterer Mann erschien hinter dem Diener, einen Gehstock in der einen, einen Dreispitz in der anderen Hand.
    „Meine Vergebung.“ Der Diener machte einen Bückling. „Wünschen der Herr, dass ich noch einmal den Kamin in der Stube entzünde?“
    „Nicht nötig. Der Herr wird mich nach Hause begleiten.“ Der Diener verbeugte sich abermals und schloss hinter dem Alten die Tür, der sich den Hut aufgesetzt hatte und zu Martin auf die Straße getreten war. Dieser war etwas verdutzt, dass er nicht hereingebeten wurde, doch der Eingeweihte erklärte sich sogleich:
    „Du hast Glück, mich noch hier anzutreffen. Ich bringe zwar den ganzen Tag beim Richter zu, doch mein Quartier habe ich beim ehrenwerten Kaufmann Gerbrandt bezogen. Gewöhnlich hätte ich mich um diese Uhrzeit bereits zu Bett begeben. Aber ich war heute Abend bei Herrn Fernando geladen und musste danach dem ehrwürdigen Richter doch noch einmal einen späten Besuch abstatten. Ich wollte jedoch gerade heimgehen.“
    „Äh, soll ich morgen wiederkommen?“
    „Aber nicht doch!“ Der alte Mann wies mit seinem Stock die Straße hinab. „Gehen wir ein Stück zusammen. Hier draußen konversiert es sich ebenso gut wie dort drinnen. Wenn nicht gar besser. Es ist eine herrliche Nacht. Und man hat etwas frische Luft.“ Er unterstrich beide Aussagen, indem er einmal mit seinem Gehstock in den Himmel zeigte und dann tief einatmete.
    So schlenderten sie also durchs Obere Viertel. Als sie eine der Straßenlaternen passierten, konnte Martin seinen Begleiter genauer mustern. Ordentlich gestutzte graue Kotletten rahmten ein schmales Gesicht ein, das von vielen Falten zerfurcht war, aber etwas Einnehmendes hatte. Angetan war der Eingeweihte mit einem feinen Gehrock und modischen Schnallenschuhen. Seine Brusttasche zierte ein Wappen. Ein geteilter Schild: Meerblau und Grasgrün, ein Wolf auf der einen, ein Scavenger auf der anderen Seite. Am Gürtel des Mannes hing ein Degen mit reich verziertem Griff.
    „Wenn ich mich vorstellen darf: Tabor Glaubert Nepomuk Daringbert Ulysses Hereborn von der Herm Freiherr zum Auenstein, Ritter vom Orden der goldenen Snapperklaue, vormals Erbhaushofmeister seiner königlichen Majestät von Khoralt, nunmehr Kammerherr in Diensten derer von Evadam.“
    „Ich bin Martin.“
    „Du bist ein tüchtiger junger Mann, Martin. Und Tüchtigkeit, merke dir dies, wird stets belohnt.“ Mit etwas Gehstockgewedel schien der Edelmann seine Worte unterstreichen zu wollen. „Siehst du, ich bin der einzige Eingeweihte, von dem ihr Teilnehmer die Aufenthaltsorte aller Artefaktteile erfahren könnt. Aber mehr noch: Ich besitze einen... nun, sagen wir: Schlüssel – ganz recht, mein lieber Martin, einen Schlüssel, den man braucht, um eines der vier Teile an sich zu bringen. Die Hinweise bin ich jedem zu geben beauftragt, den Schlüssel aber bekommt nur der erste, der mich aufsucht, und dies bist“ – der Eingeweihte hielt kurz inne und deutete breit lächelnd mit seinem Stock auf Martins Brust – „du.“
    „Wirklich?!“ Martin konnte sein Glück kaum fassen. „Dann mal her mit diesem Schlüssel!“
    „Gemach, gemach. Den trage ich nicht bei mir, sondern bewahre ihn im Hause Gerbrandts auf. Wir sind sogleich da. Sicher fragst du dich, weshalb ich meine Tage beim Richter von Khorinis zubringe. Doch alles zu seiner Zeit. Erst möchte ich dich fragen: Kennst du die Geschichte dieser Inseln?“
    „Also früher haben sie hier Erz abgebaut und dann wurde die Barriere errichtet, aber die ist jetzt gefallen.“
    Von Dingenskirchen oder wie der hieß machte eine wegwerfende Handbewegung. „Aber nicht doch. Ich spreche von der älteren Geschichte. Oder vielmehr von den Legenden, die sich um diese Inseln ranken. Man erzählt sich, dass sie dereinst von Khor entdeckt wurden, ihrem sagenhaften ersten König. Khor besaß ein Amulett von gewaltiger magischer Macht. Es erlaubte ihm, die orkischen Stämme, die diese Inseln bewohnten, in die Berge und Schluchten zu treiben und... hm... noch mehr. Ein Gott selbst hatte ihm dieses Amulett geschenkt, bevor er sich auf seine Fahrt nach Osten gemacht hatte, so heißt es.“
    „Welcher Gott?“
    Der Eingeweihte lächelte sanft. „Ja, das ist die Frage, nicht? Genug, König Khor hatte fünf Kinder, nach denen die fünf Inseln benannt wurden. Im hohen Alter, als er seinen Tod nahen spürte, zerbrach er sein Amulett und gab jedem seiner vier Söhne eines der Teile. Khoru war ein Magier und Weiser, der Begründer der Sternenakademie zu Khoralt, und er nahm ein Stück des Amuletts mit sich in ihren höchsten Turm. Khoro war eng verbunden mit der Natur dieser Inseln und schuf den Orden der weißen Druiden. In ihrem Hain, im Stamme des heiligen Baumes, versteckte er das ihm anvertraute Artefaktteil. Khorin ward ein Priester, der erste, der den Inseln den Glauben an die drei Götter brachte, und so wurde sein Erbe im großen Tempel verwahrt. Und Khorel schließlich folgte als ältester Sohn seinem Vater als König und Herr dieser Inseln nach. Sein Artefaktteil ruhte in den Mauern seines Herrschersitzes. Aber nicht ohne Grund hatte Khor das Artefakt zerbrochen. Zu groß und schrecklich war seine Macht. Und er traute keinem seiner Söhne, deshalb sollte keiner allein über sie gebieten können. Und selbst, wenn sie sich vereint und es wieder zusammengefügt hätten, so hätten sie seine Kräfte doch nicht bändigen können. Denn niemand war Khor teurer als seine Tochter Khora. Und ihr allein verlieh er seinen größten Schatz: Nicht bloß einen Teil des Amuletts, sondern die Gabe, es zu beherrschen. Aber – und nun, mein lieber Martin, kommen wir zum spannendsten Teil unserer Erzählung – Khora wurde verflucht. Mit einem Fluch, von dem gesagt wurde, er würde einst nach vielen, vielen Generationen auf eine ihrer weiblichen Nachkommen übergehen. Dieselbe aber würde neben dem Fluch auch Khoras Gabe in sich tragen, das Amulett des Khor zu beherrschen. Dieser Fluch, siehst du...“
    „Ähm, ich will ja nicht unhöflich sein“, unterbrach Martin, „aber wolltet Ihr mir nicht sagen, wo ich die Artefaktteile finde?“
    Der Eingeweihte lachte leise in sich hinein. „Martin, Martin, hast du mir denn nicht zugehört? Das habe ich doch schon. Oder wenigstens habe ich dir Hinweise gegeben, aber mehr versprach ich auch nie. Die Dinge wiederholen sich. Alles geschieht stets zweimal in der Geschichte. Sollte es wirklich anders sein, was die Standorte der Bruchstücke des Amuletts betrifft? Ah, aber da sind wir. Ich werde dir sogleich das Ende der Geschichte erzählen, doch zuvor lass mich dir den Schlüssel aushändigen.“
    Doch der Eingeweihte hatte kaum an Gerbrandts Tür geklopft, als jemand, in dem Martin den Hausherrn selbst vermutete, aufgeregt öffnete und ihm endgegenstotterte: „Herr Baron, ich bin untröstlich, es wurde eingebrochen, jemand hat sich an Eurer Truhe zu schaffen gemacht und ihren Inhalt gestohlen.“
    Dem eben noch so souverän erschienenen Edelmann entglitten die Gesichtszüge. Doch zu einer Erwiderung blieb ihm keine Zeit. Ein Paladin und vier Milizsoldaten bogen soeben um die Ecke.
    „Ah, ich glaube, wir kommen gerade zur rechten Zeit“, stellte der Paladin fest. „Auf Anordnung von Lord Hagen: Hiermit erkläre ich diesen Wettbewerb für beendet.“
    Geändert von Jünger des Xardas (02.08.2018 um 19:38 Uhr)

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    Deus Avatar von Laidoridas
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    Fröstelnd rieb sich Sebastian die Arme, als er hinaus ins Freie trat. Er hatte nicht damit gerechnet, dass es draußen so kalt sein würde, nicht nach den angenehm milden Temperaturen des Tages – aber wenn er an den plötzlichen Wetterumschwung am ersten Tag des Wettbewerbs zurückdachte, dann konnte er sich darüber kaum noch wundern. Gleich wieder ins Haus zu gehen, das kam jedenfalls nicht infrage. So dankbar er Lee auch dafür war, dass er ihn kostenlos im Schlafraum der Söldner übernachten ließ, so unmöglich war es ihm, in der Gesellschaft all dieser grobschlächtigen und teils auch noch lautstark schnarchenden Kerle in den Schlaf zu finden. Und nicht zuletzt waren da natürlich all die drängenden Fragen in seinem Kopf, die ihn auch jetzt noch umtrieben, während er über den zur Ruhe gekommenen Hof wanderte.
    Konnte es nach den Erlebnissen des letzten Tages wirklich noch eine andere Entscheidung geben als die ganz offensichtliche und vernünftige, sich aus dem Wettbewerb zurückzuziehen? Er durfte froh sein, dass er die Begegnung mit diesem Baumgeist überhaupt lebend überstanden hatte, und nun sollte er nach all dem ins Minental spazieren und… ja, was eigentlich dort tun? Jeden Stein umdrehen, in der Hoffnung darunter einen magischen Samen zu entdecken? Wie konnte man überhaupt von ihm verlangen, in ein Gebiet vorzudringen, in dem sich nach allem, was er wusste, nach wie vor eine ganze Armee von Orks tummelte? Wenn überhaupt, dann musste ihn einer von Lees Männern begleiten. Lares war noch nicht aus der Stadt zurückgekehrt und der Söldneranführer ebenfalls nicht in seinem Zimmer gewesen, also hatte er noch niemandem von seinen jüngsten Erlebnissen berichtet. Er war zwar zuversichtlich, dass ihm Lee jemanden zur Begleitung mitschicken würde, wenn er ihn darum bat, aber gewinnen konnte er den Wettbewerb wohl kaum, indem er sich alles von irgendwelchen Söldnern abnehmen ließ – wenn er diesen durch und durch merkwürdigen Wettbewerb denn überhaupt noch gewinnen wollte. Gähnend verschränkte Sebastian die Arme hinter dem Nacken und ließ den Blick über den Sternenhimmel schweifen. Hatte er überhaupt jemals in seinem Leben gewusst, was er wollte?
    Es war in dem Moment, als er den Blick wieder senkte, dass er den kleinen Schatten bemerkte, der gar nicht weit von ihm über die Wiese huschte. Kurz erschrak er, bis er die Silhouette in der Finsternis richtig zugeordnet hatte: Offenbar war dem Schafhirten erneut eines seiner Tiere ausgebüxt. Ganz schön zielstrebig rannte es vom Hof weg, genau in Richtung des Waldes. Des verfluchten Waldes, wie sich Sebastian nur zu gut erinnerte.
    „Ach, verdammt...“
    Jeder einzelne Muskel in Sebastians Beinen wollte ihm mitteilen, dass er an diesem Tag schon mehr als genug gelaufen war, aber es half ja alles nichts – wenn schon kein Wettbewerbsgewinner in ihm steckte, dann doch wenigstens auch niemand, der unschuldige Schäfchen in ihr Verderben rennen ließ. Und die nächtliche Kälte zumindest, die hatte er längst vergessen, als er das Tier endlich schnaufend eingeholt hatte.
    „Jetzt bleib doch mal stehen, du kleiner Ausreißer!“ Eher unbeholfen versuchte Sebastian, das Schaf am Rücken zu packen zu bekommen, doch alles was er davon hatte, war ein bisschen Wolle zwischen den Fingern.
    „Hör mal, Schaf – Liesel?“, vermutete Sebastian, während er mit dem Vierbeiner Schritt hielt. „Du kannst deinem Pepe doch nicht ständig davon laufen! Und in den Wald da hinten, da solltest du schon gar nicht rein. Da spukt es nämlich, hörst du?“
    Die Antwort blieb ihm das unbeirrt weiterlaufende Wollbüschel schuldig, und da die ersten Bäume bedrohlich nahe waren und er schon glaubte, das Flüstern des Baumgeistes vernehmen zu können, entschloss sich Sebastian zu einem beherzten Sprung vor die Schafsschnauze und schlang seine Arme um den Bauch des strampelnden Tieres.
    „Ruhig, ruhig! Ich will dir doch nichts tun, ich bring dich jetzt bloß zurück zum Hof, ja?“
    Erschrocken ließ Sebastian das Schaf los, als er begriff, dass dessen Bauch auf einmal ein ganzes Stück dicker geworden war und seine eigenen Arme gar nicht mehr ganz herumreichten. Mit einiger Verblüffung sah er im schummerigen Mondlicht mit an, wie die weiße Wolle in sich zusammenschrumpfte, wie sich der Kopf des Tieres verformte und wie es plötzlich auf zwei Beine sprang, in die Höhe ging und – ein Mensch war. Der Mann, der da vor ihm stand, war ein bisschen kleiner als Sebastian selbst und gar nicht viel älter, in einen zerfledderten grauen Kapuzenmantel gekleidet und hatte schulterlange dunkle Haare, die in dicken, fettigen Strähnen über sein bleiches Gesicht fielen. Seine Augen aber waren es, die Sebastians Blick auf sich zogen: eines blutunterlaufen, das andere weiß und pupillenlos. Die letzten paar wolligen Fusseln waren noch nicht ganz von seiner Haut verschwunden, als der Fremde schon damit begann, in einer schwarzen Umhängetasche herumzukramen, die um seine Schulter hing.
    „Ruhig, ruhig?“, knurrte er und zerrte eine zerfledderte Pergamentrolle hervor, kurz gefolgt von einer zweiten. „Ahja. Ruhig. Schlaf. Und danach… Vergessen…“
    „Hey, warte mal!“, ging Sebastian rasch dazwischen, als der Mann das erste Pergament entrollte und er beim Anblick der magischen Schriftzeichen begriff, was ihm bevorstand. Noch vor ein paar Minuten, wurde ihm bewusst, hätte er gegen einen kleinen Schlafzauber gar nichts einzuwenden gehabt, aber unter diesen Umständen hatte er seine Meinung geändert. „Du – du bist doch bestimmt einer der Eingeweihten, oder?“
    Die Pupille seines Gegenübers wanderte inmitten der blutroten Augenmasse nach oben, bis sie Sebastian fixierte.
    „Und du bist…?“
    „Sebastian, ich bin einer der Teilnehmer des Wettbewerbs. Und du musst dieser mysteriöse Eingeweihte sein, der…“ Er rief sich Evadams Worte wieder ins Gedächtnis. „...der genau dort ist, wo ich ihn finde!“
    „Nee“, sagte der Mann, packte aber zumindest endlich die Zauberrollen weg und zeigte ein zwar unangenehm öliges, aber Sebastian trotzdem sehr willkommenes Lächeln. „Ich bin der auf Onars Hof, welcher denn sonst?“
    „Der auf Onars Hof?“, wiederholte Sebastian verdattert. „Aber… ich dachte, der Veranstalter wäre der einzige Eingeweihte hier.“
    „Aha. Wer hat dir das denn erzählt?“
    „Naja… der Veranstalter selbst. Er hat mir die Aufenthaltsorte aller Eingeweihten genannt, und er meinte –“
    „Ja, na sicher, der meint ’ne Menge“, sagte der Eingeweihte, während er den rechten Robenärmel zurückschob, um mit den grauen Fingernägeln der anderen Hand äußerst energisch an einer schorfigen und kurz darauf ziemlich blutigen Stelle am Unterarm herumzukratzen. „Aber das gehört zum Spiel dazu, dass nicht immer alles davon stimmt, ja? Solltest du dir merken. Falsche Hinweise, falsche Fährten, Widersprüche. Unser Veranstalter, der liebt all sowas. Ha, das war ein ganz schöner Tipp, den ich dir da gegeben habe. Wenn du den Scheiß hier gewinnst, kannst du dich bei mir bedanken.“
    Sebastian wusste nicht recht, was er davon halten sollte. Hatte ihn Evadam hereingelegt? Besonders vertrauenswürdig wirkte dieser Kerl hier allerdings auch nicht gerade.
    „Also, wer… wer bist du überhaupt?“
    „Karni“, sagte der Mann und hielt ihm die blutverschmierte Kratzhand hin. „Und bevor du dich wunderst, ich hab mit dem Veranstalter nichts am Hut. Hab ’ne Lehre als Magier am Laufen, weißt du? Und mein Meister, der hat sich blöderweise auf diese ganze Wettbewerbsnummer hier eingelassen. Da häng ich jetzt auch mit drin, so kann’s gehen. Bist nicht so der höfliche Typ, was?“
    „Wenn du ein Eingeweihter bist, dann hast du doch auch irgendwelche… Informationen für mich, stimmt’s?“, versuchte sich Sebastian an einem raschen Themenwechsel, während Karni die ungeschüttelte Hand wieder zurückzog.
    „Den Baumwächter hast du ja anscheinend schon getroffen, oder? Der Spuk im Wald?“
    Sebastian nickte.
    „Ich bin der, der ihn beschworen hat. Gar nicht so einfach, den im Blick zu behalten, wenn man sich gleichzeitig als Schaf ausgeben soll und dann auch noch bei jeder Gelegenheit so ein Bauer hinter einem herrennt.“ Der Eingeweihte lachte trocken auf, und Sebastian bildete sich ein, dass dabei ein gewundener Schatten über sein Gesicht zuckte, dicht unterhalb der Haut. „Aber ich hab schon ganz anderen Scheiß in meiner Lehre gemacht, das hier steh ich auch noch durch.“
    „Dein Baumgeist ist jetzt jedenfalls frei und macht den ganzen Wald unsicher“, teilte Sebastian ihm mit. „Du hast da ganz schön was angerichtet.“
    „Den ganzen Wald?“ Karni schien verblüfft, aber für einen Moment lag da auch eine ordentliche Portion Begeisterung in seiner Stimme. „Hättest ihm wohl die Samen bringen sollen. Das ist mein Eingeweihtentipp für dich: Hol die Samen aus dem Minental.“
    „Soweit war ich auch vorher schon“, seufzte Sebastian. „Kannst du mir vielleicht auch sagen, wo genau im Minental ich diese Samen finde?“
    „Ich nicht. Aber schon mal einen Blick auf eine dieser goldenen Kugeln geworfen?“
    „Da ist doch ein gutes Dutzend Markierungen für das Minental eingeritzt“, erwiderte Sebastian. „Bis ich die alle abgelaufen bin...“
    „Ja, das solltest du schön bleiben lassen. Es gibt die guten Orte, und es gibt die nicht so guten Orte, weißt du? So tickt unser Veranstalter: Alles, was dir weiterhelfen kann, das kann dich garantiert auch umbringen. Aber vielleicht probierst du es mal hiermit.“
    Zu Sebastians Überraschung drückte ihm Karni eine Schriftrolle in die Hand.
    „Nur’n einfacher Lichtzauber“, erklärte der Eingeweihte, „aber im Prinzip reicht jeder Pisszauber, um das Ding zum Leuchten zu bringen. Hauptsache Mana. Und wenn es erstmal leuchtet… dann guck dir die Markierungen mal genauer an. Vielleicht merkste was.“
    Sebastian stutzte. Als er die Kugel in der Krypta gefunden hatte, da hatte sie bereits kurzzeitig geleuchtet, aber erst später hatte er die Markierungen eingehender untersucht. Vielleicht war am Hinweis dieses merkwürdigen Magierlehrlings wirklich etwas dran. Vielleicht würde…
    Seine Gedanken rissen ab, als er eine plötzliche Müdigkeit spürte. Stöhnend ging er zu Boden, sah mit schwindendem Blick, wie sich die Schlafzauberrolle, die plötzlich zwischen Karnis Händen aufgespannt war, in kleine Funken auflöste und sich der Eingeweihte über ihn beugte.
    „Weil du der Erste bist, der mich findet, hab ich noch was Nettes für dich.“ Karnis Stimme wurde zu einem Flüstern, als er seine Lippen ganz nah an Sebastians Ohr bewegte. „Das bleibt aber unter uns, ja? Der fiese alte Evadam muss ja nicht alles wissen...“
    Aus dem Augenwinkel sah Sebastian, wie etwas Längliches, Lebendiges an sein Gesicht geführt wurde, bevor ihm die letzten Sinne schwanden.

    Als sich Niklas umdrehte, war er davon überzeugt, in das dreckig grinsende Gesicht eines Banditen zu blicken. Doch der Mann, der ihm die Hand auf die Schulter gelegt hatte, sah ihm sehr ernsthaft und beinahe feierlich in die Augen. In seiner Lederrüstung und mit dem Bogen auf dem Rücken wirkte der Fremde wie ein Jäger, der sich in ein mehr als ungewöhnliches Jagdrevier verirrt hatte.
    „Ein findiger Magier bist du“, sagte der Mann, der in der anderen Hand eine brennende Fackel hielt. Niklas war noch zu perplex, um sich von dieser Anrede gebauchpinselt fühlen zu können. „Du hast einen der wichtigsten Orte des Wettbewerbs entdeckt.“
    „Du... weißt von dem Wettbewerb?“ Erst jetzt dämmerte es Niklas, dass seine neue Bekanntschaft womöglich überhaupt nichts mit den Banditen zu tun haben könnte. „Dann bist du…?“
    „Einer der Eingeweihten“, bestätigte der Jäger. „Man nennt mich den wandernden Eingeweihten, wandere ich doch unablässig von einem Schauplatz des Wettbewerbs zum nächsten. Du hast Glück, mich hier getroffen zu haben, denn ich werde sehr bald wieder woanders sein.“
    Tatsächlich hatte Niklas nach den vielen Rückschlägen endlich wieder das Gefühl, nicht völlig vom Glück verlassen zu sein. Er hatte einen Eingeweihten gefunden – und dann auch noch einen, der offenbar sehr leicht zu verpassen war!
    „Sollten wir uns nicht lieber woanders unterhalten?“, fragte er mit gedämpfter Stimme und deutete auf die lodernde Geistergestalt, die weiter hinten in der Höhle umher schwebte. „Nicht dass uns der magische Wächter bemerkt.“
    „Keine Sorge“, beruhigte ihn der wandernde Eingeweihte. „Der Wächter des Feuers kann uns nicht hören und nur sehen, was im Dunkeln liegt. Es war eine weise Entscheidung von dir, eine Fackel mit hinab zu nehmen, denn im Lichte unserer Fackeln sind wir für den Wächter unsichtbar. Wären wir das nicht, dann würden wir diese Unterhaltung nicht führen. Der Wächter ist größer und mächtiger geworden, seit ich das letzte Mal hier war.“
    Der Mann in der Lederrüstung tat ein paar Schritte in die Höhle hinein und hielt die Fackel gen Boden. Niklas erkannte einige schillernde Pfützen auf dem Gestein, und dazwischen glänzende Glasstücke wie von zerbrochenen und halb geschmolzenen Phiolen.
    „Öltinkturen? Heißt das…?“
    „Jemand war hier und hat sein Feuer gespeist.“ Damit drehte sich der Eingeweihte wieder zu Niklas um. „Aber sag mir, Magier, woher kennst du die Worte Magischer Wächter? Hast du schon andere Eingeweihte getroffen?“
    „Nur den einen in der Taverne“, antwortete ihm Niklas. „Aber der Veranstalter hat doch von den Wächtern gesprochen. Ganz am Anfang, auf dem Hof.“
    Der Eingeweihte schüttelte den Kopf. „Ich selbst war nicht dort, aber ich bin mir sicher, dass er das nicht getan hat. Ihr Teilnehmer sollt erst im Laufe des Wettbewerbs von ihnen erfahren, so war der Plan des Veranstalters. Ich weiß nicht viel über den Veranstalter, wenn auch mehr als die meisten, aber ich weiß, dass er seine Pläne nur ungern verwirft.“
    Niklas runzelte die Stirn. Die Rede des Veranstalters bei der Eröffnung des Wettbewerbs war sehr kurz gewesen, und wenn er genauer darüber nachdachte, konnte er sich tatsächlich nicht daran erinnern, dass dabei von magischen Wächtern die Rede gewesen war. Aber wenn er dem Veranstalter danach nie mehr begegnet war, wieso hatte er dann seine Worte über diese magischen Wächter so deutlich im Ohr? Er hatte mit ihm gesprochen. Auf einmal war ihm die Situation ganz gegenwärtig, als würde er sie zum ersten Mal erleben.
    Ein kleiner Raum, Wände aus Holz.
    Ein Kronleuchter, Gold- und Silberbesteck.
    Eine goldene, leuchtende Kugel in seiner Hand.
    „Wenn man vom Beliar spricht“, hörte er sich sagen.
    Ein Mann im lila Gewand. Der Veranstalter.
    „Wir wollen nachher noch die magischen Wächter an den Fundorten kontrollieren.“

    „Fehlt dir etwas, Magier?“
    Irritiert blinzelte Niklas den Eingeweihten an.
    „Nein, nein. Ich… habe mich nur gerade an etwas erinnert.“
    Hatte er das wirklich? Er hatte nicht mit dem Veranstalter in diesem Raum gesessen, das wusste er genau, und doch – und doch war da diese ganz deutliche Erinnerung in seinem Kopf. Aber seine Hände, die in dieser Erinnerung die merkwürdige Goldkugel gehalten hatten, sie waren alt und runzlig gewesen. Diese Erinnerung gehörte nicht ihm.
    Niklas wusste, dass es in Familien mit großer magischer Begabung manchmal vorkam, dass Erinnerungen von Menschen nach ihrem Tod auf andere Familienmitglieder übergingen. Er hatte viel darüber gelesen, kurz nachdem… nachdem er zu Vater gezogen war. Aber er machte sich nichts vor: Er hatte keine besondere magische Begabung, und alle Familienmitglieder, von denen er wusste, gingen schrecklich profanen Tätigkeiten als Händler, Verwalter oder Stiefellecker irgendwelcher Adligen nach. Es war unmöglich, dass er irgendjemandes Erinnerungen geerbt hatte – und doch –
    Eiskaltes Wasser auf seinem Rücken.
    Ein dunkler Raum. Bullige Männer umringten ihn.
    „Die Sache ist ganz einfach.“
    Da war ein dicker Klumpen in seinem Mund. Ein Stoffbündel, das ihn würgen ließ.
    „...denn so groß ist das Interesse der Magier an deinem Neffen...“
    Zwei Pergamente, vor ihm ausgebreitet.
    Ein Tintenfass, und eine Feder in seiner zittrigen Hand.
    „Wort für Wort, mit ordentlicher Signatur.“
    Unvermittelt ein Schmerz, der ihm alle Luft nahm, überwältigender und endgültiger als alles, was er kannte.
    Die Spitze einer Klinge, die aus seinem Brustkorb ragte.
    „Danke, alter Freund.“

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